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Der Anschuldigungserzwingungsantrag der Antragstellerin vom 26.04.2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsgegners werden der Antragstellerin auferlegt.
Gründe:
2I.
3Dem Antrag der RAK I, durch gerichtliche Entscheidung die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens anzuordnen (§ 122 Abs. 2 BRAO i.V.m. §§ 173 -175 StPO), liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4Rechtsanwalt O (Antragsgegner) aus S war für die Firma E GmbH (im Weiteren: Firma N) im Bereich des öffentlichen Vergaberechts aufgrund einer unter dem 04.08.2008 geschlossenen Rahmenvereinbarung (vgl. Bl. 19 ff. d.A.) tätig. Nach Ziffer 1 dieser Vereinbarung war er mit 250,- €/angefangener Stunde zu vergüten. Zudem war eine pauschale Abrechnung von 7.000,- € (netto) (entspricht 28 Stunden à 250,- €) pro Monat für anwaltliche Beratung in sämtlichen Vergabeverfahren, sowie 3.500,- € (netto) je prozessualer Vertretung in Nachprüfungsverfahren vereinbart worden. Die Vorauszahlungen wurden quartalsweise mit der tatsächlich verdienten Anwaltsvergütung verrechnet. Eine Unterdeckung sollte durch Nachzahlung ausgeglichen, ein Überschuss durch den Antragsgegner erstattet werden. Diese Abrechnungsweise ergibt sich nicht unmittelbar aus der vorzitierten Rahmenvereinbarung vom 04.08.2008, war jedoch möglicherweise zwischen dem Antragsgegner und seiner Auftraggeberin mündlich vereinbart worden, jedenfalls entsprach sie nach Aktenlage der tatsächlichen Übung.
5Mit Schreiben vom 04.02.2011 rechnete der Antragsgegner für das 4. Quartal 2010 ab und teilte der Firma E zugleich mit, dass noch ein Restbetrag aus dem 3. Quartal 2010 zu erstatten sei. Insgesamt ergab sich danach ein Erstattungsbetrag zugunsten seiner Auftraggeberin in Höhe von 23.119,67 € (vgl. Bl. 22 f d.A.). Abschließend bat der Antragsgegner in dem vorbezeichneten Schreiben um Mitteilung, auf welches Konto und zu welchem Verwendungszweck der Erstattungsbetrag überwiesen werden soll.
6Per E-Mail vom 11.02.2011 teilte die Firma E dem Antragsgegner sowohl die Bankverbindung als auch den anzugebenden Verwendungszweck mit (vgl. Bl. 24 d.A.).
7Mit Schreiben vom 23.03.2011 mahnte die Firma E den Erstattungsbetrag an und machte zugleich Verzugszinsen geltend (vgl. Bl. 25 f d.A.). Mit Schreiben vom 03.05.2011 forderte die Auftraggeberin den Antragsgegner erneut auf, den zu erstattenden Betrag zuzüglich Verzugszinsen bis zum 06.05.2011 zu zahlen, anderenfalls sie einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides stellen werde (vgl. Bl. 27 f d.A.).
8Der Antragsgegner leistete schließlich drei Teilzahlungen in Höhe von einmal 3.119,67 € am 15.06.2011, und jeweils in Höhe von 5.000,- € am 16.06. und 20.06.2011. Zudem versprach er, den Restbetrag in Höhe von 10.000,- € bis zum 01.07.2011 zu überweisen. Zur Begründung für die verspätete Zahlung soll er finanzielle Schwierigkeiten angegeben haben (vgl. die E-Mail-Korrespondenz Bl. 29 f d.A.).
9Nachdem die 10.000,- € nicht wie angekündigt bei der Firma E am 01.07.2011 eingegangen waren, wandte sich diese mit Schreiben vom 04.07.2011 (vgl. Bl. 17 f d.A.) an die Antragstellerin und erhob Beschwerde gegen RA O wegen Verletzung berufsrechtlicher Pflichten. Zugleich leitete sie ein gerichtliches Mahnverfahren gegen RA O ein.
10Auf entsprechende Aufforderung der Antragstellerin nahm der Antragsgegner mit Schreiben vom 18.08.2011 (Bl. 33 ff. d.A.) zu der Beschwerde Stellung. Danach habe er mehrfach bei der Firma E nach der einschlägigen Kontoverbindung nebst Verwendungszweck fragen müssen, was zu einer verzögerten Erstattung geführt habe. Die Stückelung der rückerstatteten Beträge (3.119,00 €/ 5.000,00 €/5.000,00 €) resultiere aus den für die ausführende Mitarbeiterin eingerichteten Onlinebanking-Limitierungen. Wirtschaftliche Schwierigkeiten - wie sie von der Firma E gemutmaßt würden - bestünden nicht. Die finanzielle Lage seiner Kanzlei sei seit Jahren auf gutem und stabilem Niveau. Anfang August sei der Restbetrag in Höhe von 10.000,- € durch ihn selbst an die Firma E angewiesen worden.
11Die Antragstellerin hat sich darauf veranlasst gesehen, gegen den Antragsgegner ein anwaltsgerichtliches Verfahren i.S.v. § 115 b BRAO wegen Verstoßes gegen § 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO einzuleiten, um ihn zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren.
12Demgegenüber sieht die Generalstaatsanwaltschaft I eine Berufspflichtverletzung als nicht gegeben. Bei den von der Firma E an den Antragsgegner überwiesenen Honorarvorschüssen handele es sich nicht um anvertraute Vermögenswerte bzw. Fremdgelder. Die nach § 23 BORA erforderliche Abrechnung sei nach Aktenlage rechtzeitig erfolgt.
13Unter dem 28.03.2012 - Eingang bei der Antragstellerin am 29.03.2012 - hat die Generalstaatsanwaltschaft den Antrag der Antragstellerin auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens i.S.d. § 121 BRAO gegen den Antragsgegner zurückgewiesen (vgl. Bl. 15 f d.A.).
14Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Anschul-digungserzwingungsantrag vom 26.04.2012, der im Original beim hiesigen Anwaltsgerichtshof am 27.04.2012 eingegangen ist.
15Sie beantragt,
16durch gerichtliche Entscheidung die Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens gegen RA O aus S anzuordnen (§§ 122 Abs. 2, 3, 123 Abs. 3 BRAO).
17II.
18Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
191.
20Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist gemäß § 122 Abs. 2 BRAO zulässig.
21a)
22Die Antragstellerin hat binnen einen Monats, nachdem ihr die Generalstaatsanwaltschaft durch Bescheid vom 28.03.2012 (Bl. 15 f) bekannt gemacht hatte, ihrem Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens gegen RA O keine Folge zu geben, die gerichtliche Entscheidung beim hiesigen Anwaltsgerichtshof beantragt
23(§ 122 Abs. 2 S. 1 BRAO). Mithin ist ihr Anschuldigungserzwingungsantrag rechtzeitig eingegangen.
24b)
25Der Antrag ist auch in der gebotenen Form begründet worden. Er gibt die Tatsachen an, welche die Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens begründen sollen, und die entsprechenden Beweismittel (vgl. § 122 Abs. 2 S. 2 BRAO).
262.
27Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist jedoch unbegründet.
28a)
29Das vorbeschriebene Verhalten des Antragsgegners stellt einen Verstoß gegen
30§ 43 a Abs. 5 BRAO nicht dar. Es geht hier um monatliche, pauschale Vorauszahlungen auf eine quartalsweise abzurechnende Anwaltstätigkeit (Beratung und/oder Prozessvertretung). Bei diesen Honorarvorauszahlungen handelt es sich nicht um anvertraute, fremde Vermögenswerte i.S.v. § 43 a Abs. 5 S. 1 BRAO. Anvertraut sind einem Rechtsanwalt Vermögenswerte im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift dann, wenn ihm die Verfügungsmacht über diese Vermögenswerte im Interesse des Mandanten eingeräumt wurden, der Mandant also die Herausgabe an sich oder einen Dritten verlangen kann (vgl. Feuerich/Weylandt, BRAO, 7. Aufl., § 43 a, Rdnr. 89; Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43 a Rdnr. 223 ff.). Dies ist bei einem Honorar-vorschuss nicht der Fall, denn über dieses Geld darf und soll der Rechtsanwalt im eigenen Interesse verfügen. Es ist ihm von seinem Auftraggeber zur Nutzung für eigene Zwecke übereignet worden.
31Aus eben solchem Grunde stellt der Honorarvorschuss auch kein Fremdgeld i.S.d. § 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO dar, welches unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24.11.2000, Az.: 2 StR 384/00).
32Aus der Verpflichtung des Rechtsanwalts zur quartalsweisen Abrechnung und Erstattung eines etwaigen Überschusses ergibt sich nichts anderes. Aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.v. § 675 Abs. 1 BGB zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber - hier der Antragsgegner einerseits und die Firma E andererseits - und der entgegen § 614 BGB erfolgten Vorschusszahlungen folgt denknotwendigerweise
33als vertragliche Nebenpflicht des Rechtsanwalts die Pflicht zur Abrechnung und Erstattung eines etwaigen Überschusses. Wegen dieser vertraglichen Verpflichtung wird aus einem durch den Rechtsanwalt „nicht verdienten" und daher zu erstattenden Vorschuss kein Fremdgeld oder fremder Vermögenswert i.S.v. § 43 a Abs. 5 BRAO. Auch der nicht verdiente Vorschuss bleibt Geld des Rechtsanwalts bzw. des Auftragnehmers. Der Rechtsanwalt ist jedoch einem vertraglichen Rück-zahlungsanspruch seines Auftraggebers ausgesetzt.
34Für diese Auffassung streitet auch die aktuelle Fassung der Berufsordnung für Rechtsanwälte (Fassung vom 01.07.2010). Dort wird in § 4 Abs. 2 S. 6 BORA und § 23 BORA ausdrücklich zwischen Fremdgeldern und Honorarvorschüssen unterschieden.
35b)
36Der Antragsgegner hat sich auch nicht eines Verstoßes gegen §§ 43, 113 BRAO
37i.V.m. § 23 BORA schuldig gemacht.
38§ 23 BORA (Fassung vom 01.07.2010) lautet wie folgt:
39„§ 23 Abrechnungsverhalten
40Spätestens mit Beendigung des Mandats hat der Rechtsanwalt gegenüber dem Mandanten und/oder Gebührenschuldner über Honorarvorschüsse unverzüglich abzurechnen."
41Im vorliegenden Fall hatten nach Aktenlage der Antragsgegner und seine Auftraggeberin, die Firma E, eine quartalsweise Abrechnung über die monatlich pauschal überwiesenen Vorschüsse vereinbart. RA O rechnete mit Schreiben vom 04.02.2011 über das 3. und 4. Quartal 2010 ab.
42(1)
43Soweit es das 4. Quartal 2010 betrifft, dürfte die Abrechnung (noch) unverzüglich i.S.d. § 23 BORA erfolgt sein. Bei einer Kanzlei mit mehreren Anwälten ist die Erstellung der Abrechnungsmitteilung innerhalb von ca. vier Wochen nach Ablauf eines Quartals noch unverzüglich. So müssen die zuständigen Büroangestellten zunächst die entsprechenden Aktenvorgänge in der Kanzlei suchen und zusammenstellen, bis die eigentliche Erstellung der Abrechnung überhaupt beginnen kann. Bereits diese Zuordnung dauert Zeit. Hinzu tritt im konkreten Fall der Umstand, dass der gesamte Büroablauf sich nach den Weihnachtsferien erst wieder einspielen musste.
44(2)
45Diese Überlegungen gelten nicht für das 3. Quartal 2010, für das der Antragsgegner im Schreiben vom 04.02.2011 einen Erstattungsbetrag in Höhe von 12.406,82 € angab (vgl. Bl. 22 d.A.). Das 3. Quartal 2010 endete mit dem 30.09.2010. Den Erstattungsbetrag gab RA O über vier Monate später mit dem vorbezeichneten Schreiben an, wenn nicht bereits vorher darüber eine Abrechnung erstellt und der Firma E mitgeteilt worden war. Letzteres wird zu Gunsten des Antragsgegners angenommen.
46(3)
47Um die Feststellung dieses Verstoßes (2) geht es der Antragstellerin nicht, sondern um die vom Antragsgegner über mehr als sechs Monate hinausgezögerte Rück-zahlung des zugunsten seiner Mandantin festgestellten Honorarüberschusses. Diese Rückzahlung erfolgte sicherlich nicht unverzüglich. Fraglich ist, ob die Auskehrung des festgestellten Überschusses auch unter eine Abrechnung i.S.d. § 23 BORA zu subsumieren ist.
48In den einschlägigen Kommentaren zur Berufsordnung der Rechtsanwälte (Feuerich/Weylandt und Hartung) findet sich eine Definition von dem Begriff „abzurechnen" nicht.
49In Palandt (Palandt-Sprau, 71. Aufl. 2012, § 782 Rdnr. 2) wird „abrechnen" wie folgt definiert:
50„Abrechnung ist jede unter Mitwirkung von Gläubiger und Schuldner stattfindende Feststellung eines Rechnungsergebnisses, sei es im laufenden Rechnungsverhältnis über wechselseitige Forderungen im Wege der Verrechnung oder im uneigentlichen Rechnungsverhältnis zur Feststellung eines einseitig geschuldeten Gesamtbetrages im Wege der Addition."
51In diesem - rein buchhalterischen - Sinne werden die Begriffe „Abrechnung" und „abzurechnen" auch im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet, nämlich als abschließende Rechnung (vgl. Wikipedia unter Stichwort „Abrechnung"). Nicht umfasst von dem Begriff „Abrechnung" ist also die Auszahlung des festgestellten Saldos oder Überschusses. Danach liegt tatsächlich eine Regelungslücke vor. Die verzögerte Auszahlung eines nach Abrechnung festgestellten Überschusses des Mandanten wird von § 23 BRAO nicht erfasst.
52Eine Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass nicht nur die unverzügliche Abrechnung, sondern auch die umgehende Auskehrung des festgestellten Überschusses an den Berechtigten zu erfolgen hat, dürfte wegen des Bestimmtheitsgebotes i.S.v. § 103 Abs. 2 GG nicht in Betracht kommen. Der Bestimmtheitsgrundsatz formuliert als spezielle Ausformung des Willkürverbots ein überragend wichtiges Prinzip rechtsstaatlicher Strafrechtspflege und enthält als Bestandteile das Bestimmtheitsgebot, das Verbot der Rückwirkung, das Verbot der Analogie sowie die Bindung des Strafrechts an geschriebene Gesetze. Das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Straftatbeständen gilt als programmatische Grundnorm auch im Nebenstrafrecht, im Ordnungswidrigkeitenrecht sowie im Disziplinarrecht (vgl. Thomas Fischer, StGB, 58. Aufl., § 1 Rdnr. 2).
53c)
54Schließlich kommt auch eine Anschuldigung des Antragsgegners wegen Verstoßes gegen § 43 BRAO nicht in Betracht.
55Nach dieser Vorschrift hat der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. Die Bedeutung dieser Norm ist allerdings umstritten.
56Ein Teil der Literatur sieht in ihr lediglich eine sogenannte Transportnorm, welche nicht für sich allein und selbstständig, sondern nur in Verbindung mit anderen Normen mit berufsrechtlichem Gehalt anwendbar sei. Da alle besonderen Normen des anwaltlichen Berufsrechtes in der BRAO und in der BORA als lex specialis zu § 43 für sich allein stehen können, hat im praktischen Ergebnis nach dieser Auffassung § 43 BRAO nur noch Bedeutung, soweit diese Vorschrift auf gesetzlich geregelte Berufspflichten außerhalb der BRAO und der BORA, z.B. aus dem Strafgesetzbuch, Bezug nimmt. Für die Rechtsanwälte soll insofern Rechtssicherheit hergestellt werden, als sie sich Klarheit verschaffen können, welche beruflichen Pflichten zu beachten sind (vgl. Ausführungen unter b) (3)).
57Neben der soeben dargestellten Auffassung wird aber auch die Meinung vertreten, § 43 BRAO könne für sich allein zu einer berufsrechtlichen Maßnahme führen und sei im Falle von Gesetzeslücken insoweit ein Auffangtatbestand. Diese Auffassung beruft sich vor allem darauf, dass es Beispiele für Gesetzeslücken im Rahmen berufsrechtlicher Pflichten gebe, die auf diese Weise geschlossen werden können (vgl. zum Ganzen Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43 Rdnr. 21 u. 22 m.w.N. und Feuerich/Weylandt, 8. Aufl., § 43, Rdnr. 7).
58Der Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 07.09.2011 mit dem Aktenzeichen 2 AGH 48/10 (anwaltsgerichtliches Verfahren RA T./. RAK I betreffend die Aufhebung eines belehrenden Hinweises vom 21.04.2010) der zweiten Auffassung angeschlossen. Es gibt zahlreiche Lücken innerhalb der Normierung berufs-
59rechtlicher Pflichten. Die Verpflichtung einer gewissenhaften Berufsausübung eines Anwalts lässt sich nicht nur über die BRAO bzw. BORA und über einige, ggf. einschlägige, Vorschriften im Strafgesetzbuch (z.B. §§ 263, 266, 352 StGB) erfassen. Dies zeigt der vorliegende Fall sehr deutlich. Daher ist § 43 BRAO nicht nur als sogenannte „Transportnorm", sondern auch als Auffangtatbestand anzuwenden. Diese Handhabung entspricht auch seiner amtlichen Überschrift als „allgemeine Berufspflicht“.
60Der Senat verkennt jedoch nicht, dass bei der Anwendung des § 43 BRAO zurückhaltend vorzugehen ist. So kann diese Vorschrift nicht als Auffangtatbestand zum Zweck der Ahndung von beruflichen Pflichtverletzungen subsidiär herangezogen werden, wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber bewusst auf eine Statuierung einer Berufspflicht verzichtet hat.
61So liegt der Fall jedoch hier. Denn in § 23 BRAO hat der Satzungsgeber ausdrücklich die unverzügliche Abrechnung über Honorarvorschüsse geregelt, die unverzügliche Auskehrung eines Überschusses an den Mandanten jedoch nicht, obwohl diese Regelung an dieser Stelle nahe lag und ein Leichtes gewesen wäre. Gleichwohl hat der Satzungsgeber an dieser Stelle die unverzügliche Auskehrung eines Überschusses nicht geregelt, was in dem Umstand begründet sein mag, dass der Mandant mit der Abrechnung über die Honorarvorschüsse eine vom Rechtsanwalt selbst ausgestellte Urkunde erhält, die ihm die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens (z.B. Urkundsprozess § 592 ZPO) erheblich erleichtert. Daher ist anzunehmen, dass der Satzungsgeber diese Verpflichtung bewusst nicht als Berufspflicht statuieren wollte. Mithin ist auch eine Anwendung des § 43 BRAO als Auffangtatbestand hier nicht möglich.
62Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist daher zurückzuweisen.
63III.
64Die Kosten des Verfahrens sind gemäß § 116 BRAO i.V.m. § 177 StPO der Antragstellerin aufzuerlegen.