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1. Vereinbaren die Betriebsparteien im Hinblick auf bestehenden tariflichen Sonderkündigungsschutz für einzelne Arbeitsnehmer, die sich auf einer Namensliste im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG befinden, dass bei einer Nichterteilung der erforderlichen Zustimmung der Tarifvertragsparteien für deren Kündigung eine "Schattenliste" Anwendung finden soll, die dem jeweiligen Mitarbeiter der Liste nach § 1 Abs. 5 KSchG einen anderen Arbeitnehmr zuweist, so nimmt eine solche Liste nicht an den prozessualen Privilegierungen nach § 1 Abs. 5 KSchG teil. 2. Eine solche "Schattenliste" stellt die Kündigung des Arbeitnehmers unter eine Bedingung, § 158 BGB. 3. Der Sachvortrag im Rahmen des § 1 Abs. 5 KSchG ist nicht ausreichend, um eine Kündigung anhand der Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 KSchG zu begründen.
1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.08.2008 nicht beendet wird.
2.Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.
3.Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
4.Der Streitwert wird auf 11.650,00 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
3Der am 17.06.1963 geborene Kläger, der laut Steuerkarte für ½ Kind zum Unterhalt verpflichtet ist, wird seit dem 02.01.1996 als Maschinenführer in dem Unternehmen der Beklagten beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen beläuft sich auf einen Betrag in Höhe von 2.330,00 €. In dem Betrieb der Beklagten sind rund 256 Arbeitnehmer beschäftigt. Es existiert ein Betriebsrat.
4Wegen der anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Lage sah sich die Leitung der Beklagten bereits im Jahre 2006 bezwungen, umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen durchzuführen. Die Beklagte gehört zur so genannten
5E. Gruppe. Hierbei handelt es sich um drei Unternehmen, die sich mit der Herstellung bzw. dem Vertrieb von technischen Textilien bzw. Futterstoffen beschäftigen. Die Beklagte ihrerseits ist einzig mit der Veredlung von Futterstoffen sowie insbesondere mit der Herstellung technischer Textilien befasst. Im Bereich der Futterstoffe ist der Umsatz in den letzten Jahren stark eingebrochen. Die Umsätze sind jährlich um 15% zurückgegangen.
6Die Beklagte führte mit ihrem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan. Die Betriebsparteien einigten sich auf eine Reduzierung der Arbeitsplätze in allen Abteilungen und die damit verbundenen Personalmaßnahmen. Es waren 73 Kündigungen und 3 Versetzungen vorgesehen. Am 12.08.2008 unterzeichneten die Betriebsparteien einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie Sozialplan. Der Name des Klägers befindet sich nicht auf dem Interessenausgleich beigefügten Namensliste. Er findet sich vielmehr auf einem von den Betriebsparteien als Schattenliste bezeichneten Dokument, welches ebenfalls das Datum vom 12.08.2008 trägt, wieder.
7Es sind dort zehn Mitarbeiter der Namensliste aufgeführt, für die eine Austauschmöglichkeit vorgesehen wurde. Es handelt sich jeweils um Mitarbeiter, die tariflichen Sonderkündigungsschutz genießen. Für die Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse war eine Zustimmung der Tarifvertragsparteien für den Ausspruch der Kündigung erforderlich. Der Name des Klägers ist als Tauschmöglichkeit für Herrn U. vorgesehen.
8Die Parteien vereinbarten zudem ein Punktschema im Rahmen der Sozialauswahl.
9Die Beklagte hörte ihrem Betriebsrat mit Schreiben vom 18.08.2008 zur Kündigung des Klägers an. Insoweit wird auf die Ablichtung Bl. der Akten Bezug genommen. Das Gremium sah von einer Stellungnahme ab und nahm die personelle Maßnahme zur Kenntnis.
10Der Kläger meint, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Der Bedarf für seine Arbeitskraft sei nicht entfallen. Die Sozialauswahl stelle sich als grob fehlerhaft dar. Die Beklagte hätte die Mitarbeiter L., H., Z. und H., die jeweils eine geringere Punktzahl als er aufweisen, kündigen müssen.
11Der Kläger beantragt,
121.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.08.2008 nicht beendet wird;
132.im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Im Hinblick auf den Abschluss des Interessenausgleiches mit Namensliste und Sozialplanes werde die Betriebsbedingtheit der Kündigung vermutet.
17Die Sozialauswahl sei auch nicht fehlerhaft. Der Kläger könne die Arbeiten, die die von ihm im Rahmen der Sozialauswahl benannten Mitarbeiter ausüben würden, erst nach einer längeren Einarbeitungszeit ausführen. Im Übrigen sei er mit diesen Arbeitnehmern nicht vergleichbar.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Die zulässige Klage ist begründet.
21Im Hinblick auf die Dauer der Beschäftigung (§ 1 Abs. 1 KSchG) und die Anzahl der bei der Beklagten beschäftigen Arbeitnehmer (§ 23 Abs. 1 KSchG) genießt der Kläger Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Er hat die streitgegenständliche Kündigung vom 29.08.2008 auch rechtzeitig mit seiner am 12.09.2008 beim Arbeitsgericht Krefeld angebrachten Klage angegriffen.
22Die Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt. Sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).
23Die soziale Rechtfertigung der Kündigung wird nicht gemäß § 1 Abs. 5 KSchG vermutet. Denn der Kläger ist nicht in einem Interessenausgleich mit Namensliste im Sinne von § 111 BetrVG namentlich bezeichnet. Die Beklagte hat mit ihrem Betriebsrat am 12.08.2008 einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie Sozialplan abgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts obliegt es dennoch dem Arbeitgeber, im Prozess darzutun, dass eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorlag und für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in dem Interessenausgleich benannt ist (BAG, Urteil vom 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG Namensliste; Urteil vom 31.05.2007 - 2 AZR 254/06 - AP Nr. 65 zu § 111 BetrVG 1972; Urteil vom 03.04.2008 - 2 AZR 879/06 - AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG Namensliste).
24Die Kammer konnte eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG bejahen. Der bloße Personalabbau kann eine Betriebseinschränkung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG sein. Hierfür sind maßgeblich die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG (BAG, Urteil vom 10.12.1996 - 1 AZR 92/96 - AP Nr. 32 zu § 113 BetrVG 1972). In dem Unternehmen der Beklagten sind regelmäßig 256 Mitarbeiter tätig. Die Kündigung von 73 Mitarbeitern erfüllt ersichtlich die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG.
25Dennoch kann die ausgesprochene Kündigung der Beklagten nicht an den prozessualen Privilegierungen von § 1 Abs. 5 KSchG teilnehmen. Der Name des Klägers ist unstreitig nicht in der Namensliste des Interessenausgleichs vom 12.08.2008 aufgeführt.
26Die Beklagte vermochte nicht mit ihrer Argumentation durchzudringen, wonach die sogenannte Schattenliste an den Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG teilnehmen soll. Diese Schattenliste sollte lediglich unter einer Bedingung (§ 158 BGB), nämlich jeweils dann zum Tragen kommen, wenn die Tarifvertragsparteien ihre erforderliche Zustimmung zur Kündigung der in der Hauptliste genannten Arbeitnehmer nicht erteilen. Der Kläger war als Ersatz für Herrn U. vorgesehen. Herr U. genießt tariflichen Sonderkündigungsschutz. Dieser Mitarbeiter war jedoch nicht bereit, seinen Arbeitsplatz aufzugeben. Die erforderliche Zustimmung der Tarifvertragsparteien zu dessen Kündigung wurde nicht erteilt.
27Die Beklagte ist darauf zu verweisen, dass die prozessualen Privilegierungen des § 1 Abs. 5 KSchG nur dann Anwendung finden, wenn die Namenliste mit dem Interessenausgleich eine einheitliche Urkunde bildet (BAG, Urteil vom 06.07.2006 - 2 AZR 520/05 - AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969; Urteil vom 06.09.2007 - 2 AZR 715/06 - AP Nr. 170 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Urteil vom 21.02.2007 - 2 AZR 581/00 - EzA Nr. 10 zu § 1 KSchG Interessenausgleich). Die so genannte Schattenliste stellt eine Austauschliste für die Originalliste dar. Sie erfüllt schon nicht die gesetzlichen Voraussetzungen. Die Schattenliste ist unter der Bedingung abgeschlossen, dass die dort aufgeführten 10 Mitarbeiter, die tariflichen Sonderkündigungsschutz genießen, nicht bereit sind, in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zu wechseln. Nur für diesen Fall wird dem Originalmitarbeiter auf der Namensliste ein Mitarbeiter der Schattenliste zugeordnet. Eine Kündigung ist als einseitig gestaltendes Rechtsgeschäft grundsätzlich bedingungsfeindlich (vgl. nur BAG, Urteil vom 15.03.2001 - 2 AZR 705/99 - AP Nr. 26 zu § 620 BGB Bedingung). Dies gilt auch für die Namensliste im Sinne von § 1 Abs. 5 KSchG.
28Die Kündigung ist auch nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.
29Das Bundesarbeitsgericht differenziert in seiner ständigen Rechtsprechung zwischen selbstbindenden und gestaltenden Unternehmerentscheidungen. Bei einer selbstbindenden Unternehmerentscheidung (außerbetrieblicher Grund) beschränkt sich der Unternehmer darauf, seinen Betrieb an die äußeren Sachzwänge zu binden. Die Kündigungen sind dann zwangsläufige Folgen einer betrieblichen Anpassung an die Auftragslage. Dies setzt voraus, dass sich der Grund unmittelbar und zwingend unter Beachtung der betrieblichen Gegebenheiten auf die Beschäftigungsmöglichkeiten auswirkt. Im Kündigungsschutzprozess hat der Arbeitgeber Tatsachen vorzutragen, aus denen das Gericht schließen kann, eine unternehmerische Entscheidung ist tatsächlich realisiert worden oder es ist aufgrund der Umsetzung dieser Entscheidung bei vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung davon auszugehen, dass sie zum Zeitpunkt der vorgesehenen Beendigung vollzogen sein wird (BAG, Urteil vom 07.07.2005 - 2 AZR 447/04 - AP Nr. 136 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
30Die Beklagte hat diesbezüglich vorgetragen, sie habe Umsatzrückgänge in Höhe von jährlich 15% seit dem Kalenderjahr 2006 zu verzeichnen gehabt. Dies hätte den Personalabbau mit 73 Kündigungen und 3 Versetzungen in allen Abteilungen gerechtfertigt. Im Hinblick auf diesen Sachvortrag ist die Beklagte darauf zu verweisen, dass die bloße arbeitgeberseitige Entscheidung, einem Mitarbeiter zu kündigen, keine von den Gerichten hinzunehmende Unternehmerentscheidung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ist (BAG, Urteil vom 20.02.1986 - 2 AZR 212/85 - AP Nr. 111 zu § 1 KSchG 1969).
31Zudem hat der Arbeitgeber, wenn er sich auf außer- oder innerbetriebliche Umstände beruft, diese nicht durch schlagwortartige Umschreibungen darzulegen. Er muss seine tatsächlichen Angaben vielmehr so im Einzelnen darlegen (substanziieren), dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht überprüft werden können (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Diesem Erfordernis genügt der Sachvortrag der Beklagten nicht. Der Kammer war es nicht möglich anhand des behaupteten Umsatzrückganges seit dem Kalenderjahr im Jahr 2006 in Höhe von jeweils 15% nachzuvollziehen, wieso im August 2008 deshalb 73 Kündigungen und 3 Versetzungen in allen Abteilungen erforderlich gewesen sein sollen.
32Die Kammer brauchte sich mit der Frage, ob die Beklagte die Sozialauswahl ordnungsgemäß durchgeführt hat, im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Kündigung aus den vorgenannten Gründen nicht mehr zu befassen.
33Der Kläger hat gegen die Beklagte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Der Anspruch ist nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 (GS 1/84 - AP Nr. 14 zu 611 BGB Beschäftigungspflicht) begründet. Der Kläger hat erstinstanzlich obsiegt. Die Beklagte hat keine über die Ungewissheit des Prozessausgangs hinausgehenden Umstände vorgetragen, aus denen sich im Einzelfall ihr überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Klägers hätte ergeben können. Für das Gericht war nicht ersichtlich, dass schützenswerten Interessen der Beklagten einer Beschäftigung des Klägers für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens entgegenstehen könnten.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
35Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 3 ZPO. Die Kammer hat fünf Monatsgehälter als Streitwert zugrunde gelegt.
36Rechtsmittelbelehrung
37Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
38B e r u f u n g
39eingelegt werden, weil es sich um eine Bestandsschutzstreitigkeit handelt.
40Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
41Die Berufung muss
42innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat
43beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax: 0211 7770 2199 eingegangen sein.
44Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
45Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
461.Rechtsanwälte,
472.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
483.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
49Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
50* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
51Rolfs