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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 04.04.2007 - 5 Ca 2300/06 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wir folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 916,38 nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 610,92 seit dem 12.10.2006 und aus weiteren 305,46 seit dem 01.04.2007 zu zahlen.
Im Übrigen wird der Zahlungsantrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Ortszuschlages.
3Zwischen den Parteien besteht ein Arbeitsverhältnis, auf das die tariflichen Bestimmungen für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt anwendbar sind.
4Die Vereinte Dienstleistungsgesellschaft (ver.di) und u.a. der Arbeiterwohlfahrt-Bundesverband e.V. mit Vollmacht für sämtliche Gliederungen der Arbeiterwohlfahrt in dem Teil der Bundesrepublik Deutschland und Berlins, in dem bereits vor dem 03.10.1990 das Grundgesetz galt, schlossen einen Übergangstarifvertrag vom 23.12.2004 u.a. mit folgendem Inhalt:
5Präambel
6Die Tarifvertragsparteien verfolgen mit dem Abschluss dieses Übergangstarifvertrages vorrangig folgende Ziele:
7Zum einen soll für die gegenwärtig und zukünftig Beschäftigten in den Gliederungen der Arbeiterwohlfahrt wieder ein Flächentarifvertrag die rechtliche Grundlage für die Regelungen ihrer Arbeitsverhältnisse sein. Der Übergangstarifvertrag symbolisiert die Verantwortung und Partnerschaft aller Beteiligten.
8Zum anderen soll die Laufzeit des Übergangstarifvertrages genutzt werden, um über einen Reformtarifvertrag zu verhandeln, der sowohl den Interessen der Beschäftigten als auch den geänderten Rahmenbedingungen in der Wohlfahrtspflege Rechnung trägt.
9§ 1
10Ersetzungsvereinbarungen
11Dieser Tarifvertrag ersetzt die folgenden, bis zum 31.03.2004 geltenden Tarifverträge:
12Bundes-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt-BMT-AW II
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Alle in den Ziffern 1 bis 8 genannten tarifvertraglichen Bestimmungen entfallen.
15§ 2
16Geltungsbereich, Inhalts-, Änderungs- bzw. Ergänzungsvereinbarungen
17Der normative Inhalt dieses Übergangsvertrages bestimmt sich nach dem Text der ehemaligen Bestimmungen der in § 1 genannten Tarifverträge in ihren jeweils am 31.03.2004 gültigen Fassungen mit den nachfolgenden Änderungen bzw. Ergänzungen.
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9. Die Tarifvertragsparteien vereinbaren die umgehende Aufnahme von Verhandlungen für den Fall, dass es im öffentlichen Dienst zu neuen tariflichen Regelungen kommt.
20Diese Frage ist insbesondere mit Blick auf öffentliche Landes- und Bundesförderung und das Besserstellungsverbot wichtig.
21Gemäß § 23 (1) BMT-AW II besteht die Vergütung des Angestellten aus der Grundvergütung (§ 24) und dem Ortszuschlag (§ 26).
22In § 26 BMT-AW II ist der Ortszuschlag wie folgt geregelt:
23§ 29 BAT lautet wie folgt:
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Der Ehemann der Klägerin ist im öffentlichen Dienst tätig. Sein Arbeitsverhältnis wurde mit Wirkung zum 01.10.2005 in den TVöD-VKA übergeführt. Zu diesem Zwecke wurde bei ihm ein Vergleichsentgelt gebildet, in das u.a. der von ihm bezogene Ortszuschlag nach folgender Regelung eingeflossen ist:
37§ 5 TVÜ-VKA
38Vergleichsentgelt
39Der Ehemann der Klägerin wurde mit der Stufe 1 des § 29 B Abs. 2 Ziffer 1 BAT entgeltmäßig übergeführt.
41Die Beklagte zahlte an die Klägerin über den 01.10.2005 hinaus einen Ortszuschlag nach der Stufe 1 zuzüglich der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des für sie maßgebenden Ortszuschlages. Die monatliche Differenz zur Ortszuschlagsstufe 2 beträgt 50,91 .
42Mit Schreiben vom 13.01.2006 (Bl. 6 d.A.) informierte die Klägerin die Beklagte von der Bildung des Vergleichsentgeltes ihres Ehemannes unter Berücksichtigung der Ortszuschlagsstufe 1 und begehrte die Zahlung des vollen Verheiratetenzuschlags.
43Mit Schreiben vom 06.10.2006 (Bl. 3 d.A.) wiederholte sie ihr Begehren und machte die Differenz von 50,91 monatlich für 13 Monate geltend.
44Mit ihrer am 22.10.2006 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, nachdem die Beklagte den Anspruch mit Schreiben vom 11.10.2006 (Bl. 4 d.A.) ablehnte.
45Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen des § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT lägen nicht mehr vor, da bei ihrem Ehemann zur Ermittlung des Vergleichsentgeltes lediglich ein Ortszuschlag nach der Stufe 1 berücksichtigt worden sei.
46Sie hat beantragt,
47Die Beklagte hat beantragt,
49die Klage abzuweisen.
50Sie hat behauptet, das Familieneinkommen der Klägerin habe sich nicht vermindert, da der ehemalige Ortszuschlag ihres Ehemannes im Wege der Besitzstandswahrung in das Vergleichsentgelt eingeflossen sei.
51Sie hat die Auffassung vertreten:
52§ 26 BMT-AW II sei aufgrund des § 5 Abs. 2 TVÜ-VKA lückenhaft geworfen. Diese Lücke sei im Wege der Rechtsanalogie zu schließen.
53Für die Tarifvertragsparteien des BMT-AW II sei der Fortfall des Ortszuschlages im öffentlichen Dienst nicht vorhersehbar gewesen. Um eine ungerechtfertigte Erhöhung des Familieneinkommens zu verhindern, sei die Lücke dahin zu schließen, dass die Klägerin weiterhin nur den 1 ½-fachen Ortszuschlag begehren könne.
54Mit Urteil vom 04.04.2007 hat das Arbeitsgericht Bochum die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 916,38 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 661,83 seit dem 12.10.2006 und aus weiteren 254,55 seit dem 01.04.2007 zu zahlen, und hat festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin den vollen Ortszuschlag im Sinne von § 26 BMT-AW II i.V.m. § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT zu zahlen.
55Es hat ausgeführt:
56Die Klägerin habe Anspruch auf einen monatlichen Ortszuschlag der Stufe 2 und damit für die Vergangenheit auf Zahlung einer monatlichen Differenz von 50,91 .
57Die Kürzungsregelung des § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT greife nicht ein. Ihr Ehemann stehe zwar im öffentlichen Dienst, er habe aber keinen Anspruch auf Zahlung des Ortszuschlages der Stufe 2, da der TVöD-VKA kein dem Ortszuschlag entsprechendes Entgelt regle.
58Ihm stehe auch keine entsprechende Leistung im Sinne von § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT zu. Leistungen seien dann vergleichbar, wenn das Entgeltsystem, nach dem der Arbeitnehmer vergütet werde, Komponenten enthalte, die dem Ortszuschlag nach den Vorschriften des BMT-AW II gleichwertig seien. Die an den Ehemann gezahlte "Besitzstandszulage", die ein Mindestgehalt auf dem vorherigen Niveau gewährleiste, weise keine Vergleichbarkeit auf, insbesondere dann nicht, wenn dadurch nicht dem veränderlichen, durch die aktuellen familiären Verhältnisse begründeten Bedarf Rechnung getragen werde. Die "Besitzstandszulage" nach § 5 Abs. 2 Satz 2 TVÜ-VKA in Höhe des Ortszuschlages der Stufe 1 diene allein der Besitzstandswahrung und enthalte keine familienbezogene Komponente. Sie stelle nur einen Rechenfaktor für die erstmalige Eingruppierung in eine Stufe der Entgelttabelle nach § 16 TVöD-VKA dar. Dieser Rechenfaktor und damit die Einordnung in eine Entgeltgruppe blieben unabhängig vom weiteren Bestand der Ehe und der Entwicklung der Familie erhalten.
59Nachdem der Ehemann der Klägerin keinen Ortszuschlag mehr erhalte, habe sie Anspruch auf einen Ortszuschlag der Stufe 2.
60Das Bezugnahmeobjekt (BAT) für § 26 BMT-AW II sei durch Einführung des TVöD nicht entfallen. § 26 BMT-AW II verweise dynamisch auf die Regelungen des BAT, jedoch nicht auf den diesen Tarifvertrag ersetzenden TVöD. Mangels Weiterentwicklung des BAT sei die Bezugnahme statisch geworden.
61Die Fortgeltung der in Bezug genommenen Regelung stelle auch keinen Eingriff in die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien des BMT-AW II dar, da diese die Gestaltung des Ortszuschlages durch die Bezugnahmeregelung vollumfänglich aus der Hand gegeben hätten. Es liege in ihrer Tarifmacht, die Regelung zu ändern.
62Eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Ortszuschlages nach der Stufe 2 stelle auch keine nicht gerechtfertigte Besserstellung von Arbeitnehmern mit Ehegatten, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, gegenüber solchen dar, deren Ehegatten nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt werden. Denn die Zahlungsverpflichtung folge allein aus der Anwendung des bei der Beklagten bestehenden Tarifrechtes.
63Der Zinsanspruch folge aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288, 291 BGB.
64Der Feststellungsantrag sei zulässig und aus den dargestellten Gründen begründet.
65Wegen der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe wird auf das erstinstanzliche Urteil vom 04.04.2007 (Bl. 56 bis 65 d.A.) verwiesen.
66Gegen das ihr am 19.04.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.04.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 11.06.2007 eingehend begründet.
67Unter Verweisung auf ein Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 24.04.2007 (2 Ca 265/07, Bl. 81 bis 84 d.A.) vertritt die Beklagte die Auffassung, mit Einführung des TVöD-VKA sei unter Berücksichtigung des § 5 Abs. 2 TVÜ-VKA § 26 BMT-AW II lückenhaft geworden. Unstreitig erhalte der Ehemann der Klägerin seit dem 01.10.2005 keinen Ortszuschlag mehr. Zuvor sei dieser jedoch gezahlt worden und sei der Wortlaut des § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT erfüllt gewesen.
68Zum Zeitpunkt der Vereinbarung des BMT-AW II 1977 seien die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen, dass die Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt in Anlehnung an den öffentlichen Dienst vergütet werden sollten. Deswegen sei in den BMT-AW II ein Anspruch auf Zahlung eines Ortszuschlages unter Verweisung auf den BAT aufgenommen worden. Dabei hätten die Tarifvertragsparteien schlicht nicht bedacht, dass sich die Vergütungsregelungen im öffentlichen Dienst ändern würden und der seit altersher gezahlte Ortszuschlag entfallen könnte.
69Das Bezugnahmeobjekt BAT sei zum 01.10.2005 entfallen. Danach sei sie überhaupt nicht mehr verpflichtet, einen Ortszuschlag zu leisten. Die Fortzahlung in unveränderter Höhe erfolge, um die Klägerin nicht schlechter zu stellen als zum Zeitpunkt der Geltung des BAT.
70Die Beklagte beantragt,
71das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 04.04.2007, zugestellt am 19.04.2007, AZ: 5 Ca 2300/06, abzuändern und die Klage abzuweisen.
72Die Klägerin beantragt,
73die Berufung zurückzuweisen.
74Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
75Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
76Entscheidungsgründe
77I.
78Die gemäß §§ 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist im Wesentlichen unbegründet.
791. Der auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Ortszuschlägen für die Zeit vom 01.10.2005 bis zum 31.03.2007 in unstreitiger Höhe von 916,38 gerichtete Zahlungsantrag ist zulässig und hinsichtlich der Hauptforderung in vollem Umfang, hinsichtlich der Nebenforderung überwiegend begründet.
80a) Der Anspruch auf Zahlung von 916,38 folgt aus §§ 23 Abs. 1 b, 26 Abs. 1 BMT-AW II.
81aa) Unstreitig sind die für die Beklagte geltenden tariflichen Bestimmungen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar.
82Der BMT-AW II ist zwar gemäß § 1 Ziffer 1 des Übergangstarifvertrages vom 23.12.2004 durch diesen Tarifvertrag ersetzt worden. Gemäß § 2 des Übergangstarifvertrages bestimmt sich jedoch dessen normativer Inhalt nach dem Text des BMT-AW II in der am 31.03.2004 gültigen Fassung mit den Änderungen und Ergänzungen des Übergangstarifvertrages. Bezüglich der Zahlung des Ortszuschlages enthält dieser keine abweichende Bestimmung.
83bb) Gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 2 Ziffer 1 BAT haben verheiratete Arbeitnehmer Anspruch auf einen Ortszuschlag nach der Stufe 2.
84Die Klägerin ist verheiratet.
85Gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT erhält der Angestellte den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 (§ 29 Abschnitt B Abs. 1 BAT) und der Stufe 2 (§ 29 Abschnitt B Abs. 2 Ziffer 1 BAT) des für ihn maßgeblichen Ortszuschlags nur zur Hälfte, wenn sein Ehegatte u.a. als Angestellter im öffentlichen Dienst tätig ist und ihm ebenfalls der Ortszuschlag der Stufe 2 oder einer der folgenden Stufen oder eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages in der höchsten Tarifklasse zusteht.
86Der Ehemann der Klägerin ist Angestellter im öffentlichen Dienst. Auf sein Arbeitsverhältnis ist seit dem 01.10.2005 der TVöD-VKA anwendbar. Auch insoweit besteht kein Streit zwischen den Parteien.
87Der TVöD-VKA kennt jedoch keinen Anspruch auf Zahlung eines Ortszuschlages (vgl. Bredendiek/Fritz/Tewes, Neues Tarifrecht im öffentlichen Dienst, ZTR 2005, 230; Böhle/Poschke, Das neue Tarifrecht für den öffentlichen Dienst Teil 2, ZTR 2005, 286; Litschen, Das Tarifrecht der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, Vergleichsentgelt § 5 TVÜ-VKA Rdnr. 4; Breier/Dessau/Kiefer/Lang/Langenbrink, TVöD, § 5 TVÜ-VKA Rdnr. 7 Beispiel 2). Allein zur Besitzstandswahrung ist für den Ehegatten der Klägerin gemäß § 5 Abs. 1, Abs. 2 TVÜ-VKA ein Vergleichsentgelt unter Berücksichtigung eines Ortszuschlages der Stufe 1 gebildet worden.
88Der Ehegatte der Klägerin erhält auch keine vergleichbare Leistung im Sinne des § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT. Zu Recht verweist das erstinstanzliche Gericht darauf, dass der Ortszuschlag im Rahmen der Vergleichsentgeltbildung lediglich einen Rechenfaktor für die erstmalige Eingruppierung in eine Stufe der Entgelttabelle nach § 16 TVöD-VKA darstellt. Der Rechenfaktor ist im Weiteren von dem Bestand der Ehe und der Entwicklung der Familie nicht abhängig.
89Eine Konkurrenz im Sinne des § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT besteht damit zwischen den Eheleuten nicht mehr.
90Nach der Systematik der Vorschrift ist die Klägerin ab dem 01.10.2 005 berechtigt, einen Ortszuschlag nach der Stufe 2 zu verlangen.
91cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ein Anspruch nicht aufgrund ergänzender Auslegung des § 26 BMT-AW II zu verneinen.
92Zwar sind tarifliche Regelungen grundsätzlich einer ergänzenden Auslegung zugänglich. Diese kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst ungeregelt lassen und dies in einer entsprechenden Auslassung seinen Ausdruck findet. Im Falle einer unbewussten Regelungslücke haben die Gerichte die Möglichkeit und die Pflicht, die Lücke zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben (vgl. BAG, Urteil vom 24.02.1988 4 AZR 615/87, BAGE 57, 334; Urteil vom 10.12.1986 5 AZR 517/85, BAGE 54, 30; Urteil vom 03.11.1998 3 AZR 437/97, ZTR 1999, 375; Urteil vom 20.05.1999 6 AZR 451/97, BAGE 91, 358). Die Lückenschließung durch das Gericht scheidet allerdings dann aus, wenn verschiedene Möglichkeiten bestehen und es deshalb aufgrund der bestehenden Tarifautonomie den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben muss, für welche Lösungsmöglichkeit sie sich entscheiden wollen (vgl. BAG, Urteil vom 20.05.1999, a.a.O.).
93Eine Lücke besteht vorliegend nicht schon deshalb, weil § 29 BAT im öffentlichen Dienst der Gemeinden, des Bundes und der Länder durch den TVöD abgelöst wurde. Die Tarifvertragsparteien haben durch eine dynamische Verweisung in § 26 BMT-AW II auf § 29 BAT in der jeweils geltenden Fassung Bezug genommen. Die Verweisung ist konstitutiv, denn sie haben in dem Übergangstarifvertrag und im BMT-AW II ausdrücklich von ihrer Normsetzungsbefugnis Gebrauch gemacht und durch die Verweisung auf § 29 BAT eine eigenständige Regelung für ihren Tarifbereich geschaffen (vgl. zur konstitutiven Verweisung der Tarifvertragsparteien auf einen anderen Tarifvertrag Kempen/Zachert, TVG, 4. Aufl., § 1 TVG Rdnr. 97).
94Die Verweisung ist zulässig, da zwischen dem Geltungsbereich der verweisenden Tarifvorschrift und dem Geltungsbereich der in Bezug genommenen Tarifregelung ein enger sachlicher Zusammenhang aufgrund der öffentlichen Landes- und Bundesförderung und aufgrund des daraus folgenden Besserstellungsverbotes bestehen, vgl. § 2 Ziffer 9 des Übergangstarifvertrages (Zur Zulässigkeit einer dynamischen Verweisung eines Tarifvertrages auf einen branchenfremden Tarifvertrag vgl. Kempen/Zachert, a.a.O. § 1 TVG Rdnr. 796).
95Endet die in Bezug genommene Tarifnorm, so bleibt bis zu einer Änderung des Rechtszustandes durch den verweisenden Tarifvertrag der Rechtszustand bestehen, der bei Ablauf der in Bezug genommenen Tarifnorm bestand. Diese gilt statisch weiter (vgl. Kempen/Zachert, a.a.O., § 1 TVG Rdnr. 800). Das Objekt der Bezugnahme für § 26 BMT-AW II ist nicht "abhanden gekommen", wie das erstinstanzliche Gericht zutreffend ausgeführt hat.
96Zugunsten der Beklagten kann jedoch angenommen werden, dass die Verweisung auf die Konkurrenznorm in § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT lückenhaft geworden ist (so Arbeitsgericht Herne, Urteil vom 24.04.2007 -2 Ca 265/07 -), da allein § 5 Abs. 2 TVÜ-VKA als Überleitungsnorm für das BAT-Arbeitsverhältnis des Ehemanns der Klägerin in ein Arbeitsverhältnis nach dem TVöD zu einem Anspruch der Klägerin auf einen erhöhten Ortszuschlag führt, der so lange nicht bestand, wie der BAT auf das Arbeitsverhältnis ihres Ehegatten anwendbar war. Bis zur Einführung des TVöD durfte die Beklagte aufgrund der tariflichen Verweisung davon ausgehen, dass sie einerseits Ortszuschläge wie im öffentlichen Dienst zu leisten hatte, sie die daraus folgende Last jedoch nicht allein traf, war der Ehepartner ihrer Beschäftigten ebenfalls im öffentlichen Dienst tätig. Sinn und Zweck des Ortszuschlages ist es, dem durch gegenseitige Unterhaltspflichten bestimmten erhöhten finanziellen Bedarf in einer Ehe aus sozialen Gründen Rechnung zu tragen. Der Ortszuschlag hat eine soziale, familienbezogene Ausgleichsfunktion (vgl. BAG, Urteil vom 27.04.2006 6 AZR 680/05, n.v.). Daraus folgt, dass bei Ehegatten, die beide im öffentlichen Dienst im Sinne des § 29 Abschnitt B Abs. 7 BAT tätig waren, der einheitliche Sachverhalt der Eheschließung nicht bei jedem Ehegatten gesondert und damit mehrfach berücksichtigt wurde.
97Bejaht man eine Lücke, so handelt es sich nach Auffassung der Kammer nicht um eine unbewusste Lücke.
98Im Januar 2003 haben die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes und die Gewerkschaft ver.di auch Tarifvertragspartei des Übergangstarifvertrages eine Prozessvereinbarung für die Tarifverhandlungen zur Neugestaltung des Tarifrechtes des öffentlichen Dienstes geschlossen (Prozessvereinbarung vom 09.01.2003, ZTR 2003, 74). Ein Ziel der Neugestaltung sollte die Schaffung eines einheitlichen Tarifrechtes für Angestellte und Arbeiterinnen/Arbeiter bei Lösung vom Beamtenrecht sein. Die familienbezogenen Ortszuschläge nach § 29 Abschnitt B BAT waren aber gerade an dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip orientiert und standen damit im Rahmen einer Neuordnung des Tarifrechtes erkennbar zur Diskussion, zumal die Vergütung flexibler, leistungsorientierter und transparenter gestaltet werden sollte und leistungsfremde Bezahlungsbestandteile abgebaut werden sollten (vgl. Bredendiek/Fritz/Tewes, a.a.O.; S. 230; Böhle/Poschke, a.a.O., S. 286).
99In Ansehung dieser Prozessvereinbarung ist der Übergangstarifvertrag vom 23.12.2004 geschlossen worden. Die Tarifvertragsparteien haben bewusst im Hinblick auf erwartete Änderungen im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes nur Übergangsregelungen bis zum Abschluss eines Reformtarifvertrages schaffen wollen. In der Präambel des Übergangstarifvertrages haben sie betont, seine Laufzeit solle zur Verhandlung über einen reformierten Tarifvertrag genutzt werden. In § 1 Ziffer 1 haben sie die Ersetzung des BMT-AW II durch den Übergangstarifvertrag bestimmt und die Normen des BMT-AW II in § 2 nur für den Übergang für anwendbar erklärt. In § 2 Ziffer 9 haben sie ausdrücklich vereinbart, dass umgehend Verhandlungen aufgenommen werden sollten, sollte es im öffentlichen Dienst zu neuen tariflichen Regelungen kommen. Ihnen war somit in Kenntnis der konstitutiven Verweisung in § 26 BMT-AW II klar, dass Lücken entstehen konnten und würden, die sie durch eigene Verhandlungslösungen schließen wollten und wollen, wie die nach Vortrag der Beklagten voraussichtlich zum Jahresende 2007 abgeschlossenen Tarifverhandlungen zeigen.
100Ginge man gleichwohl mit der Beklagten von einer unbewussten Lücke aus, so wäre das Gericht gehindert, sie im Sinne seiner Auffassung zu schließen.
101In § 2 Ziffer 9 des Übergangstarifvertrages haben die Tarifvertragsparteien ihre Verhandlungsautonomie betont und die Schaffung von der neuen Tarifsituation im öffentlichen Dienst angepassten reformierten Tarifregelungen für sich in Anspruch genommen. Sie haben die Verhandlungen auch aufgenommen. Deren Ergebnis hat die Beklagte abzuwarten und für den Übergang den gerade für diese Umbruchsituation geschaffenen Übergangstarifvertrag anzuwenden.
102Im Übrigen gibt es zur Schließung der Lücke verschiedene Möglichkeiten. Naheliegend ist, dass die Tarifvertragsparteien vereinbaren, auch in ihrem Tarifbereich die Ortszuschläge abzuschaffen, um so den geänderten Rahmenbedingungen der Wohlfahrtspflege Rechnung zu tragen, vgl. Präambel des Übergangstarifvertrages. Es steht dann zu erwarten, dass sie eine Besitzstandssicherung vornehmen, wobei in eine entsprechende Besitzstandszulage in Fällen wie bei der Klägerin die Ortszuschlagsstufe 2 einfließen könnte und müsste.
103dd) Die Klägerin hat die Ausschlussfrist des § 54 Ziffer 1 BMT-AW II gewahrt. Danach hat der Arbeitnehmer seine Ansprüche aus diesem Tarifvertrag innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen, wobei in gleicher Höhe monatlich wiederkehrende Ansprüche nur einmal und nicht für jeden Monat gesondert geltend gemacht werden müssen (vgl. Küttner/Eisemann, Ausschlussfrist, Rdnr 26, Personalbuch 2007, 81).
104Die Klägerin hat das Stammrecht mit Schreiben vom 13.01.2006 fristgerecht geltend gemacht, indem sie für die Zeit ab dem 01.10.2005 die Zahlung des Ortszuschlages der Stufe 2 begehrt hat. Eine Bezifferung war entbehrlich, weil die Höhe der monatlichen Differenz für die Beklagte unschwer zu ermitteln war.
105b) Der Zinsanspruch rechtfertigt sich im Wesentlichen aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, Abs. 2 Ziffer 1, 247 BGB.
106Die Zahlung des Ortszuschlages ist mangels einer tariflichen Regelung gemäß § 614 Satz 2 BGB mit dem Monatsende fällig. Am 12.10.2006 war der Betrag für Oktober 2006 demnach noch nicht fällig. Die Beklagte war zu diesem Zeitpunkt mit dem Differenzbetrag für 12 Monate in Verzug. Entsprechend erhöht sich der Betrag, der ab dem 01.04.2007 zu verzinsen ist, um 50,91 .
1072. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Gerichts und auf die Ausführungen der Berufungskammer zur Begründetheit des Zahlungsanspruchs Bezug genommen.
108II.
109Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die Zulässigkeit der Revision für die Beklagte aus § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.
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