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Nach Abschluss eines berufsqualifizierenden dualen Studiums mit dem Erwerb des Hochschulgrades eines Bachelor of Arts besteht für ein Betriebsratsmitglied mangels Beendigung eines Berufsausbildungsverhältnisses im Sinne des § 78a BetrVG kein auf diese Schutznorm gestützter Anspruch auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis.
Die Beschwerden des Betriebsrats und der Beteiligten E gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 18.05.2017 – 2 BV 4/17 – werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor präzisierend wie folgt lautet:
Es wird festgestellt, dass zwischen der Arbeitgeberin und der Beteiligten E nach Ende des Studienvertrages vom 10./14.07.2013 mit Ablauf des 31.03.2017 kein Arbeitsverhältnis begründet worden ist.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
2A.
3Die Beteiligten streiten über die Frage, ob zwischen der Arbeitgeberin und der Beteiligten E gemäß § 78a BetrVG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen und ob dieses ggf. aufzulösen ist.
4Die Arbeitgeberin stellt moderne Filtersysteme für die Automobil- und Motorenindustrie her. Sie unterhält in C und in N/O jeweils betriebsverfassungsrechtlich eigenständige Organisationseinheiten. Der für N und O einheitlich gewählte Betriebsrat (Beteiligter zu 3.) ist zurzeit für ca. 1.600 Mitarbeiter zuständig. Diesem Betriebsrat gehörte die Beteiligte E seit dem 25.05.2016 als ordentliches Mitglied an, nachdem sie zuvor als Jugend- und Auszubildendenvertreterin tätig gewesen war.
5Am 10./14.07.2013 schloss die damalige Arbeitgeberin, die Firma I GmbH & Co. KG, mit der am 09.06.1990 geborenen Beteiligten E einen „Studienvertrag“ über die „Berufsintegrierende Ausbildung zum Bachelor of Arts/Betriebswirt VWA Studiengang Betriebswirtschaft“. In dem Vertrag heißt es auszugsweise wie folgt:
6„Vorbemerkung
7Die Studierende absolviert in der Zeit vom 01.08.2013 bis voraussichtlich zum 31.01.2015 eine Berufsausbildung als Industriekauffrau. Über die Ausbildung zur Industriekauffrau wird ein Berufsausbildungsvertrag geschlossen, der als Anlage beigefügt ist und Bestandteil dieses Vertrags ist. Die Studierende absolviert parallel ab dem Wintersemester 2013/2014 und über die Berufsausbildung zur Industriekauffrau hinaus ein Studium an der Westfälischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie N im Studienzweig Betriebswirtschaft mit den Abschlüssen Betriebswirt VWA und Bachelor of Arts Betriebswirtschaft.
8Der Ausbildungsgang gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Ausbildungsabschnitt umfasst drei Semester und endet mit der Prüfung zur Industriekauffrau vor der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Die Prüfung im vorgenannten Ausbildungsberuf gilt als Zwischenprüfung im Rahmen der Ausbildung zum Betriebswirt VWA. Der zweite Ausbildungsabschnitt umfasst ebenfalls drei Semester. Er endet mit der Abschlussprüfung zum Betriebswirt VWA an der Westfälischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie, Studienzweig Betriebswirtschaft. Der dritte Ausbildungsabschnitt umfasst ein Semester und endet mit dem Hochschulabschluss Bachelor of Arts der Fachhochschule N. Die Organisation für sämtliche Ausbildungsabschnitte liegt bei der Westfälischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie – Studienzweig Betriebswirtschaft.
9Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Durchführung des Studiums auf eigenen Wunsch des Studierenden im Interesse seiner beruflichen Fort- und Weiterbildung erfolgt. Der Arbeitgeber beabsichtigt im Interesse der Nachwuchsförderung und in der Absicht einer angestrebten langfristigen Zusammenarbeit, das Studium des Studierenden auf der Grundlage der nachfolgenden vertraglichen Bestimmungen zu unterstützen.
10§ 1
11Vertragsdauer/Betriebsärztliche Untersuchung
121. Dieser Vertrag beginnt am 01.08.2013 und endet automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf,
mit dem Ablauf des Monats, in dem der Studierende die Bachelorprüfung bestanden hat…
…
17§ 2
18Tätigkeit/Ausbildungsgang/Arbeitszeit/Dienstreisen/Überstunden/Mehrarbeit
191. Der Studierende wird bei dem Arbeitgeber angestellt, um ihm ein duales Studium zum Betriebswirt VWA und Bachelor of Arts Betriebswirtschaft zu ermöglichen. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass dies der alleinige Zweck des vorliegenden Vertragsverhältnisses ist und von keiner Seite die Weiterbeschäftigung in einem untergeordneten Dienstverhältnis gewollt ist. Die Erreichung des Ausbildungs- und Studienziels nach Maßgabe der noch zu beschreibenden Kriterien ist somit unabdingbare Voraussetzung für eine weitergehende Beschäftigung des Studierenden.
2. Der Auszubildende nimmt während der Ausbildungszeit an den Lehrveranstaltungen der Westfälischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie N, Studienzweig Betriebswirtschaft, in N sowie den sonstigen im Zusammenhang mit dem Ausbildungsgang erforderlichen Veranstaltungen teil. Er hat während des ersten Ausbildungsjahres das Berufskolleg zu besuchen. Die Teilnahme am Unterricht des Berufskollegs in N ist Bestandteil der Ausbildung.
3. Der Ausbildungsgang umfasst neben der pflichtgemäßen Absolvierung des Studiums
a) die Durchführung der Praxiszeiten sowie der Semester- und Projektarbeiten bei der Firma I GmbH & Co. KG oder nach Absprache bei einem fremden Unternehmen sowie
24b) die Durchführung der Bachelorarbeit bei der Firma I GmbH & Co. KG.
254. Die Arbeitswoche geht von montags bis freitags. Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit beträgt 8.00 Stunden. Der Arbeitgeber stellt den Studierenden für den Berufsschulunterricht während der Ausbildung frei. Darüber hinaus stellt der Arbeitgeber den Studierenden von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung frei, soweit dies zur Teilnahme an Studienveranstaltungen erforderlich ist.
…
28§ 14
29Rückzahlungspflicht bei erfolgreich abgeschlossenem Studium
301. Bei erfolgreichem Abschluss der Bachelorprüfung gelten die nachstehenden § 14 Abs. 2 und 3, wenn die I GmbH & Co. KG dem Studierenden ein verbindliches Angebot für ein an den erfolgreichen Abschluss der Bachelorprüfung anschließendes Arbeitsverhältnis zu folgenden Rahmenbedingungen unterbreitet:
Art der Tätigkeit: kaufmännischer Angestellter
Eingruppierung: mindestens Funktionsstufe 8
Arbeitszeit: 40 h/Woche
Vergütung mindestens 2.545,67 € brutto/monatlich
Zeitpunkt: Anfang des auf den erfolgreichen Abschluss
der Bachelorprüfung folgenden Monats
39Ort: N/O
Die Einzelheiten werden zwischen den Parteien bei erfolgreichem Abschluss der Bachelorprüfung in einem gesonderten Arbeitsvertrag geregelt. Der Studierende ist verpflichtet, die I GmbH & Co. KG den erfolgreichen Abschluss der Bachelorprüfung unverzüglich mitzuteilen und durch Vorlage einer Zeugniskopie nachzuweisen.“
42Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 08.02.2017 eingereichte Kopie des Studienvertrages (Bl. 13 ff. d. A.).
43Den ersten Abschnitt der Gesamtausbildung schloss die Beteiligte E mit einer erfolgreichen Prüfung zur Industriekauffrau am 22.01.2015 ab.
44Nach einem insgesamt sechssemestrigen Studium erhielt sie nach erfolgreicher Absolvierung der Diplomprüfung mit Datum vom 18.01.2017 von der Akademie der Wirtschaft IHK Nord Westfalen (vormals: Westfälische Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie N) eine Urkunde, die sie fortan zur Führung der Bezeichnung „Betriebswirtin (VWA)“ berechtigte (Bl. 540 d. A.).
45Unter dem 06.03.2017 wurde ihr dann von der Fachhochschule N eine Urkunde ausgestellt, in der es u.a. heißt:
46„Frau E
47…
48wird mit dieser Urkunde der Hochschulgrad
49Bachelor of Arts
50B.A.
51verliehen, nachdem sie die Bachelorprüfung im dualen Studiengang Betriebswirtschaft am 06.03.2017 erfolgreich bestanden hat.“
52Schließlich erhielt sie am 21.03.2017 gemeinsam von der IHK Nord Westfalen und der Fachhochschule N ein Schreiben, das auszugsweise wie folgt lautet (Bl. 537 d. A.):
53„Wir bestätigen, dass Frau E Teilnehmerin des Studiengangs Betriebswirtin VWA/Bachelor of Arts an der Akademie der Wirtschaft der IHK Nord Westfalen in Kooperation mit der Fachhochschule N war. Das 7-semestrige Studium begann Frau E im August 2013. Sie hat das Kolloquium zum Bachelor of Arts am 25.01.2017 erfolgreich bestanden.
54Mit Bekanntgabe der letzten Note der Klausur des 7. Semesters am 21.03.2017 hat sie das duale Studium zum Bachelor of Arts erfolgreich beendet."
55Zuvor hatte ihr die damalige Arbeitgeberin mit Schreiben vom 05.10.2016 (Bl. 113 d. A.) bereits mitgeteilt, dass man § 78a BetrVG für nicht anwendbar halte; zugleich wies man vorsorglich darauf hin, sie nicht in ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit zu übernehmen.
56Daraufhin beantragte die Beteiligte E mit Schreiben vom 03.01.2017 (Bl. 114 d. A.) nach erfolgreichem Abschluss des dualen Studiums ihre Weiterbeschäftigung im erlernten Beruf; hilfsweise erklärte sie sich bereit, auch ein anderes zumutbares Arbeitsplatzangebot anzunehmen.
57In einem Personalgespräch am 26.01.2017 (Bl. 621 d. A.) brachte die Arbeitgeberin gegenüber der Beteiligten E u.a. zum Ausdruck, dass diese nach dem Studium im Betrieb nicht länger tätig sein werde, und beurlaubte sie „bis zum Ende ihres derzeitigen Vertragsverhältnisses“. Der geschlossene Studienvertrag wurde im Übrigen bis zum Ablauf des 31.03.2017 abgewickelt.
58Mit Antragsschriftsatz vom 08.02.2017 hat die Arbeitgeberseite das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Sie begehrt in erster Linie die Feststellung, dass wegen der Unanwendbarkeit des § 78a BetrVG nach Auslaufen des Studienvertrages kein Arbeitsverhältnis begründet worden ist; hilfsweise strebt sie die Auflösung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses an.
59Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, bei dem von der Beteiligten E absolvierten dualen Studium über insgesamt sieben Semester habe es sich nicht um eine Berufsausbildung im Sinne des § 78a BetrVG gehandelt. So ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, dass das Berufsbildungsgesetz und damit auch § 78a BetrVG gerade nicht für Berufsbildungen gelte, die - wie hier – in berufsqualifizierenden Studiengängen an Hochschulen durchgeführt würden. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Beteiligte E den betriebswirtschaftlich-anwendungsbezogenen Teil des dualen Studiums im Betrieb absolviert habe.
60Für eine analoge Anwendung des § 78a BetrVG bestehe mangels planwidriger Lücke kein Raum; im Übrigen bestehe auch keine vergleichbare Interessenlage.
61Davon abgesehen sei eine Weiterbeschäftigung im Sinne des § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch unzumutbar, weil kein freier Arbeitsplatz verfügbar sei.
62Die Arbeitgeberin hat beantragt,
63festzustellen, dass zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin weder nach Ablauf des dualen Studiums der Antragsgegnerin noch nach Ende ihres Studienvertrages vom 10./14.07.2013 ein Arbeitsverhältnis begründet wird;
64hilfsweise das zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen.
65Die Beteiligte E und der Betriebsrat haben beantragt,
66die Anträge ab- bzw. zurückzuweisen.
67Sie haben die Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass § 78a BetrVG auch im vorliegenden Fall eines dualen Studiengangs gelte. Denn nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei die genannte Norm auch auf andere Vertragsverhältnisse im Sinne des § 26 BBiG anwendbar, wenn es – wie hier – um den Erwerb beruflicher Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen gehe.
68Um die innere Unabhängigkeit der Amtsführung betriebsverfassungsrechtlicher Organmitglieder zu sichern und zugleich auch die Kontinuität der Arbeitnehmervertretungen zu gewährleisten, müsse auch Auszubildenden in einem dualen Studiengang der Schutz des § 78a BetrVG gewährt werden.
69Dies mache auch der konkrete Fall deutlich. Denn die Nichtübernahme durch die Arbeitgeberin beruhe nicht darauf, dass eine Weiterbeschäftigung unzumutbar sei, sondern allein auf dem vorherigen Engagement der Beteiligten E in betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungsorganen. So habe sie bereits als Jugend- und Auszubildendenvertreterin federführend initiiert, dass der Betriebsrat gegen einseitig von der Arbeitgeberin in die Ausbildungsverträge aufgenommene Verpflichtungen zu Eignungsuntersuchungen vorgegangen sei; diesbezüglich habe sich der Betriebsrat von ihr sogar vor Gericht vertreten lassen. Wegen ihres Engagements sei sie dann auch im Mai 2016 in den Betriebsrat gewählt worden und dort in der Folgezeit sehr aktiv gewesen, wodurch sie bei der Arbeitgeberin in Ungnade gefallen sei. Nur deshalb sei es – anders als bei der Vorgängerin U und dem Mitarbeiter X – zu keiner Übernahme in ein Arbeitsverhältnis gekommen.
70Nach alledem sei ein Anspruch auf ausbildungsadäquate Beschäftigung gegeben, z.B. als Projekteinkäuferin oder als Einkäuferin für Warengruppen.
71Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 18.05.2017 dem Feststellungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass zwischen der Arbeitgeberin und der Beteiligten E kein Berufsausbildungsverhältnis im Sinne des § 78a BetrVG bestanden habe. Denn bei dem von dieser absolvierten dualen Studium mit dem Ziel des Erwerbs eines akademischen Grades habe es sich um einen Ausbildungsgang gehandelt, der gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG vom Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes nicht erfasst sei. Bei typisierender Betrachtungsweise könne davon ausgegangen werden, dass Absolventen einer berufsqualifizierenden Ausbildung mit dem Hochschulabschluss „Bachelor of Arts“ einem geringeren Übernahmerisiko ausgesetzt seien und deshalb keines Amtsschutzes durch § 78a BetrVG bedürften.
72Dagegen richten sich die Beschwerden der Beteiligten E und des Betriebsrates.
73Sie sind der Ansicht, die von der Beteiligten E absolvierte Gesamtausbildung habe zwar auch Studienelemente enthalten, falle aber wegen des überwiegenden Charakters einer Ausbildung unter den Schutzbereich des § 78a BetrVG. So seien die ersten beiden Abschlüsse, nämlich als Industriekauffrau und Betriebswirtin (VWA), eindeutig als Berufsausbildung im Sinne des § 78a BetrVG einzustufen, während der dritte Abschluss zum Bachelor of Arts „nur“ als Annex zur Ausbildung einzustufen sei.
74Unter Berücksichtigung der arbeitgeberseits in der mündlichen Anhörung am 09.11.2018 vorgenommenen Präzisierung der gestellten Anträge beantragen die Beteiligte E und der Betriebsrat,
75den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 18.05.2017 – 2 BV 4/17 – abzuändern und die Anträge abzuweisen.
76Die Arbeitgeberin beantragt,
77die Beschwerden zurückzuweisen.
78Sie weist darauf hin, dass die Beteiligte E einen einheitlichen Studiengang mit dem Ziel des Erwerbs eines akademischen Grades erfolgreich absolviert habe. Dementsprechend sei die im Studienvertrag verankerte Gesamtausbildung auch erst im Monat März 2017 nach Verleihung des Hochschulgrades eines Bachelor of Arts beendet gewesen. Eine vorgezogene Vertragsbeendigung, namentlich mit dem Abschluss zur Betriebswirtin (VWA), mit anschließender Begründung eines Arbeitsverhältnisses sei nicht vorgesehen gewesen und dementsprechend auch tatsächlich nicht erfolgt.
79Die absolvierte Gesamtausbildung mit Hochschulabschluss falle nicht in den Anwendungsbereich des § 78a BetrVG, weil es sich um keine vom Berufsbildungsgesetz erfasste Berufsausbildung gehandelt habe.
80Wegen des weiteren sehr umfangreichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
81Mit Schriftsatz vom 19.04.2018 ist arbeitgeberseits zur Gerichtsakte mitgeteilt worden, dass die ursprünglich als antragstellende Arbeitgeberin aufgetretene Firma I & Co. KG, umfirmiert in I Holding & Co. KG, zum 01.12.2017 den gesamten operativen Geschäftsbetrieb gemäß § 613a BGB auf die I (vormals I Holding) übertragen hat.
82B.
83I. Die jetzige Arbeitgeberin, die Firma I, macht ihre Feststellungs- und ihr Auflösungsbegehren zu Recht einheitlich im Beschlussverfahren geltend, weil es sich um Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz handelt (§ 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbGG).
841. Allerdings ist das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 29.11.1989 (7 ABR 87/88 – AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 20) zu dem Ergebnis gelangt, dass nur die arbeitgeberseitigen Anträge nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 BetrVG unter Berufung auf die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu verfolgen seien. Demgegenüber müsse über einen allgemeinen Feststellungsantrag, gerichtet auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses, im Urteilsverfahren entschieden werden.
852. Demgegenüber hat es der 7. Senat in seiner Entscheidung vom 11.01.1995 (AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 24) im Anschluss an die insoweit ablehnende Stellungnahme von Kraft/Raab (Anm. zu BAG, 29.11.1989 – 7 ABR 67/88 – EzA § 78a BetrVG Nr. 20) in Erwägung gezogen, es einem Arbeitgeber zu ermöglichen, in einem einheitlichen Beschlussverfahren – ggf. durch eine Kombination von Haupt- und Hilfsanträgen – sowohl die Feststellung der Nichtbegründung eines Arbeitsverhältnisses wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 78a Abs. 2, Abs. 3 BetrVG als auch die Auflösung eines solchen Arbeitsverhältnisses wegen Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nach § 78a Abs. 4 BetrVG zu verfolgen.
863. Aus Sicht der Kammer ist es (allein) sachgerecht, wenn alle Streitigkeiten über die Reichweite des kollektiven Schutzes, der durch die betriebsverfassungsrechtliche Norm des § 78a BetrVG Auszubildenden mit bestimmten Amtsträgerfunktionen gewährt wird, ausschließlich im Beschlussverfahren unter Beteiligung der potentiell davon betroffenen Kollektivorgane (vgl. § 78a Abs. 4 Satz 2 BetrVG) entschieden werden. Anderenfalls könnte nämlich die mit den Grundsätzen einer sachgerechten Verfahrenskonzentration nur schwer zu vereinbarende Situation entstehen, dass die vorgreifliche Rechtsfrage, ob die Voraussetzungen für eine gerichtliche Entscheidung nach § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG überhaupt gegeben sind, (vorab) im Urteilsverfahren geklärt werden müsste, bevor dann ggf. im Beschlussverfahren eine richterliche Gestaltungsentscheidung auf der Grundlage des § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG getroffen werden könnte – und das bei (teilweise) unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten und voneinander abweichenden Verfahrensgrundsätzen.
87Dabei treffen die genannten Erwägungen nicht nur auf die Frage des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 78a Abs. 2, Abs. 3 BetrVG zu, sondern sie gelten gleichermaßen auch für die hier von der Arbeitgeberin im Wege des Hauptantrages, gerichtet auf die Feststellung der Nichtbegründung eines Arbeitsverhältnisses, zur Entscheidung gestellte Frage, ob im maßgeblichen Zeitpunkt zwischen der Arbeitgeberin und der Beteiligten E überhaupt ein Berufsausbildungsverhältnis im Sinne des § 78a Abs. 1 BetrVG bestanden hat. Denn nur so ist sichergestellt, dass alle für den möglichen Bestand eines Arbeitsverhältnisses im Rahmen des § 78a BetrVG relevanten Gesichtspunkte in einem einheitlichen gerichtlichen (Beschluss-)Verfahren einer rechtskräftigen Klärung zugeführt werden (vgl. Kraft/Raab, a.a.O.).
88II. Am Beschlussverfahren beteiligt ist neben Frau E, die sich als (ehemalige) Auszubildende wegen der am 25.05.2016 begründeten Mitgliedschaft im Betriebsrat auf § 78a BetrVG beruft, und dem Betriebsrat (§ 78a Abs. 4 Satz 2 BetrVG) nurmehr die I (vormals I Holding), nachdem sie im Zuge einer im laufenden Beschlussverfahren erfolgten Umstrukturierung (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) seit dem 01.12.2017 automatisch die Position der antragstellenden Arbeitgeberin einnimmt (vgl. BAG, 20.08.2014 – 7 ABR 60/12 – AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 111).
89Demgegenüber war die I Holding & Co. KG (vormals I & Co. KG), die das Verfahren eingeleitet hat, nicht am weiteren Verfahren zu beteiligen.
901. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG sind in einem Beschlussverfahren diejenigen Stellen anzuhören, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz oder den anderen in der Norm genannten Gesetzen im Einzelfall beteiligt sind. Als Beteiligte in Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes ist jede Stelle anzusehen, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen ist (vgl. z.B. BAG, 17.02.2010 – 7 ABR 89/08 – BetrVG 1972 § 78a Nr. 53).
912. Die Voraussetzungen liegen hier auf Arbeitgeberseite für die Firma I Holding & Co. KG nicht vor. Denn durch den erfolgten Betriebsübergang mit dem damit einhergehenden Verlust der Betriebsinhaberschaft (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) ist das Unternehmen durch das vorliegende Beschlussverfahren in keiner materiellen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition mehr unmittelbar betroffen. Daran ändern auch mögliche Folgen des erfolgten Betriebsübergangs, resultierend namentlich aus § 613a Abs. 2 und § 613a Abs. 6 BGB, nichts. Denn aus einer denkbaren individualrechtlichen Relevanz der genannten Normen kann nicht zugleich auf eine (verbliebene) betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung geschlossen werden, zumal auch nicht ersichtlich ist, woraus sich insoweit die unmittelbare Betroffenheit ergeben soll (vgl. z.B. BAG, a.a.O.; 25.02.2009 – 7 ABR 61/07 – DB 2009, 1473).
92III. Der in der letzten mündlichen Anhörung am 09.11.2018 zulässigerweise präzisierte Hauptantrag der Arbeitgeberin, gerichtet auf die Feststellung, dass zwischen ihr und der Beteiligten E nach Ende des am 10./14.07.2013 geschlossenen Studienvertrages mit Ablauf des 31.03.2017 kein Arbeitsverhältnis begründet worden ist, ist zulässig und begründet.
931. Für den begehrten Ausspruch des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse. Denn die Beteiligte E und der Betriebsrat rühmen sich unter Berufung auf § 78a BetrVG der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Beteiligten E und der Arbeitgeberin. Das arbeitgeberseitige negative Feststellungsbegehren führt den daraus resultierenden Streit der Beteiligten einer abschließenden gerichtlichen Klärung zu.
942. Der Antrag ist auch in der Sache gerechtfertigt, weil die Voraussetzungen des § 78a BetrVG für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt sind.
95a) Maßgeblich für die Entscheidung dieser Rechtsfrage ist der Zeitpunkt der jeweils zur Diskussion stehenden Übernahme eines aufgrund einer bestimmten Amtsträgerschaft geschützten Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis (vgl. § 78a Abs. 1 BetrVG).
96Insoweit hat die Beteiligte E selbst in ihrem schriftlichen Antrag vom 03.01.2017 zutreffend zum Ausdruck gebracht, dass es in ihrem Falle um die Begründung eines Arbeitsverhältnisses nach dem erfolgreichen Abschluss des dualen Studiums im ersten Quartal des Jahres 2017 gehe. Dieser Abschluss erfolgte aber „erst“ mit dem Erwerb des Hochschulgrades eines Bachelor of Arts im März 2017 – und nicht bereits zuvor mit dem Abschluss der Diplomprüfung zur Betriebswirtin (VWA) im Januar 2017 und erst recht nicht mit dem Abschluss der kaufmännischen Prüfung zwei Jahre zuvor im Januar 2015.
97In dem Zusammenhang geht auch aus den studienvertraglichen Regelungen und der über mehrere Jahre verlaufenden praktischen Abwicklung unmissverständlich hervor, dass es sich um einen in drei aufeinander aufbauende Abschnitte gegliederten einheitlichen Ausbildungsgang gehandelt hat, der erst mit dem Bestehen der Fachhochschulprüfung zum Bachelor of Arts abgeschlossen wurde. Dies wird auch exemplarisch deutlich in der Regelung unter § 14 des Studienvertrages vom 10./14.07.2013, in dem namentlich unter Ziffer 1. auf ein an den erfolgreichen Abschluss der Bachelorprüfung anschließendes Arbeitsverhältnis abgestellt wird.
98Eine „Beendigung“ im Sinne des § 78a Abs. 1 BetrVG mit dem Ziel der Übernahme in ein Arbeitsverhältnis kann also erst im März 2017 eingetreten sein.
99b) Zu diesem allein maßgeblichen Zeitpunkt bestand zwischen der Arbeitgeberin und der Beteiligten E kein Berufsausbildungsverhältnis im Sinne des § 78a BetrVG.
100aa) Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. 01.12.2004 – 7 AZR 129/04 – NZA 2005, 779; 23.06.1983 – 6 AZR 595/80 – AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 10) orientiert sich die Schutznorm des § 78a BetrVG an den Begriffsbestimmungen des Berufsbildungsgesetzes. Dies hat aber nicht zur Folge, dass die genannte Norm nur auf staatlich anerkannte Ausbildungsberufe Anwendung findet, wie es die engere Fassung des § 9 Abs. 1 BPersVG nahelegen könnte (vgl. BAG, 23.08.1984 - 6 AZR 519/82 – AP BPersVG § 9 Nr. 1). Vielmehr reichen auch Vertragsverhältnisse aus, die aufgrund einer tarif- oder arbeitsvertraglichen Absprache eine geordnete Ausbildung von mindestens zwei Jahren vorsehen. Der tragende Gesichtspunkt für diese erweiterte Anwendung des § 78a BetrVG ist, dass es sich im Einzelfall um ein anderes Vertragsverhältnis im Sinne des § 26 BBiG (vormals § 19 BBiG) handelt – mit einer damit einhergehenden partiellen Anwendung des Berufsbildungsgesetzes. Nur dann ist nämlich ein mit einem Auszubildenden vergleichbares besonderes Schutzbedürfnis gegeben (vgl. Lakies/Malottke, BBiG, 5. Aufl., § 26 Rn. 18). So hat auch das Bundesarbeitsgericht in seinen zwei ergangenen Urteilen vom 01.12.2004 und 23.06.1983 (BAG, a.a.O.) den Schutz des § 78a BetrVG entscheidend davon abhängig gemacht, ob die für eine Vergleichbarkeit mitentscheidende Voraussetzung des Vorliegens eines anderen Vertragsverhältnisses im Sinne des § 26 BBiG (vormals § 19 BBiG) gegeben war.
101bb) Demgegenüber folgt aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, dass das gesamte Berufsbildungsgesetz, an das die Schutznorm des § 78a BetrVG anknüpft, auf Berufsbildungen, die in berufsqualifizierenden oder vergleichbaren Studiengängen an Hochschulen auf der Grundlage des Hochschulrahmengesetzes und der Hochschulgesetze der Länder durchgeführt werden, keine Anwendung findet.
102Die Voraussetzungen dieser Ausnahmenorm sind vorliegend erfüllt.
103Denn die Beteiligte E hat, basierend auf einem mit der Arbeitgeberin im Juli 2013 abgeschlossenen sogenannten Studienvertrag, in einem dualen Studiengang Betriebswirtschaft ein am 01.08.2013 begonnenes Studium absolviert. In dessen Verlauf schloss sie am 22.01.2015 vor der zuständigen Industrie- und Handelskammer erfolgreich eine Berufsausbildung zur Industriekauffrau ab. Die Prüfung galt zugleich als Zwischenprüfung im Rahmen des vier Semester später erfolgten Diplomabschlusses als „Betriebswirtin (VWA)“ an der Akademie der Wirtschaft der IHK Nord Westfalen (vormals Westfälische Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie N). In einem dritten Abschnitt schloss sie dann das insgesamt auf sieben Semester ausgerichtete betriebswirtschaftliche Studium im März 2017 erfolgreich mit dem Hochschulgrad „Bachelor of Arts“ an der Fachhochschule N auf der Grundlage einer an dieser Hochschule gemäß § 2 Abs. 4 und § 64 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (HG NW) bestehenden Prüfungsordnung ab.
104Zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt im März 2017 stand die Beteiligte E also in keinem durch § 78a BetrVG geschützten Berufsausbildungsverhältnis, sondern beendete eine außerhalb des Anwendungsbereiches des Berufsbildungsgesetzes durch den grundgesetzlich nach Art. 30, 70 GG zuständigen Landesgesetzgeber geregelte Fachhochschulausbildung.
105cc) Für eine analoge Anwendung der Schutznorm des § 78a BetrVG zur Herbeiführung eines verfassungskonformen Ergebnisses besteht keine Notwendigkeit. Denn im Zusammenhang mit der insoweit vergleichbaren Problematik in § 9 Abs. 1 BPersVG hat das Bundesverfassungsgericht (21.03.2015 – 1 BvR 2013/12 – NZA-RR 2015, 669) – in Bestätigung einer vorangegangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (30.05.2012 – 6 PB 7/12 – NZA-RR 2013, 55) – zutreffend ausgeführt, dass der Abschluss einer Ausbildung auf Hochschulniveau bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise eine erheblich höhere Wahrscheinlichkeit, anschließend übergangslos eine adäquate Beschäftigung zu finden, schaffe. Deshalb sei es verhältnismäßig, den Anspruch auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis auf Auszubildende im Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes zu begrenzen und so bei typisierender Betrachtungsweise „nur“ eine am Arbeitsmarkt – im Vergleich namentlich auch zu Hochschulabsolventen – schlechter gestellte Personengruppe zu fördern.
106dd) Weitergehende, auf eine Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG gestützte Einwände konnten im vorliegenden Beschlussverfahren nicht berücksichtigt werden, weil sich die rechtliche Prüfung im Rahmen der gestellten Anträge auf § 78a BetrVG zu beschränken hatte. Etwaige Schadensersatzansprüche gemäߠ § 78 Satz 2 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 2 und 249 Abs. 1 BGB sind ggf. im Urteilsverfahren, gerichtet auf den Abschluss eines verweigerten Folgevertrages, geltend zu machen (vgl. BAG, 25.06,2014 – 7 AZR 847/12 – AP BetrVG 1972 § 78 Nr. 14).
107ee) Nach alledem war dem Hauptantrag der Arbeitgeberin stattzugeben, wobei der Studienvertrag aufgrund einer wirksamen in dessen § 1 Nr. 1 getroffenen Abrede nach dem erfolgreichen Bestehen der Prüfung zum Bachelor of Arts im März 2017 mit Ablauf dieses Monats endete, weil sich auf der Grundlage des § 14 des Studienvertrages ab dem 01.04.2017 kein Arbeitsverhältnis anschloss. Eine der Regelung des § 21 Abs. 2 BBiG vergleichbare Bestimmung, wonach bei vorzeitigem Bestehen der Abschlussprüfung eine Vertragsbeendigung bereits mit der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses eintritt, besteht im Falle eines Hochschulabschlusses nicht.
108ff) Weil dem Hauptantrag stattgegeben wurde, sind die Hilfsanträge nicht zur Entscheidung angefallen.
109Wegen der grundsätzlichen Bedeutung namentlich der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, wie der Begriff des Berufsausbildungsverhältnisses im Rahmen des § 78a BetrVG auszulegen ist, war für die Beteiligte E und den Betriebsrat die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§§ 92 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).