Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
1. Die für Flugzeugführer maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen haben es einem im Jahre 1979 geborenen Piloten nicht ermöglicht, mittels eines im Dezember 2017 gestellten Antrages, zum 31. Dezember 2034 aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, in den Genuss der tariflichen Altregelungen zur betrieblichen Altersversorgung zu kommen.
2. Zur (ergänzenden) Auslegung von Tarifverträgen und der Berücksichtigung nachträglich vereinbarter Protokollnotizen
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.12.2018 – 9 Ca 6118/18 – wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit von tariflichen Regelungen, die für die Höhe der betrieblichen Altersversorgung des Klägers von Bedeutung sind, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien.
3Der am 1979 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Juli 2007 als Flugzeugführer beschäftigt. Er ist Mitglied der tarifschließenden Vereinigung Cockpit (VC). Im Arbeitsvertrag ist ergänzend vereinbart, dass sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten unter anderem nach den Tarifverträgen bei der Beklagten richten. Die Beklagte sagte dem Kläger im Arbeitsvertrag zudem eine betriebliche Altersversorgung zu, deren Inhalt und Umfang sich nach dem Tarifvertrag Betriebliche Altersversorgung richten sollte.
4Bis zum 31. Dezember 2017 galt im Unternehmen der Beklagten der Manteltarifvertrag Nr. 5b für das Cockpitpersonal (MTV Nr. 5b).
5§ 19 MTV Nr. 5b und die zu der Vorschrift vereinbarte Protokollnotiz lauten:
6„§ 19 Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erreichens der Altersgrenze
7(1) Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird. Nach Maßgabe der Protokollnotiz I, Ziffer 24 wird das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Mitarbeiters zwischen der Vollendung des 55. und des 60. Lebensjahres vorzeitig beendet. Eine solche vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann nur mit Ablauf eines Monats, in dem ein weiteres Lebensjahr vollendet wird, erfolgen. Der Antrag muss spätestens bis zum 31.08. des Jahres, welches dem Kalenderjahr des geplanten Ausscheidens vorangeht, erfolgen und kann bis dahin auch geändert werden.
8(2) Auf Wunsch des Mitarbeiters erfolgt ein Einsatz im Zeitraum zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr in Teilzeit, wobei der Mitarbeiter mindestens einen 30-Tage-Block und maximal fünf 30-Tage-Blöcke pro Jahr freigestellt wird. Pro Tag, den der Mitarbeiter in einem 30-Tage-Block freigestellt wird, wird die Vergütung (§ 5 Abs. 1) um 1/360 gekürzt.
9Das weitere zu Absatz 1 und 2 regelt eine Betriebsvereinbarung.
10(3) Cockpitmitarbeiter können nach Erreichen der Altersgrenze, wenn und solange sie noch voll leistungsfähig sind, in einer anderen Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft weiterbeschäftigt werden, sofern eine fliegerische Tätigkeit nicht mehr in Betracht kommt. In diesem Fall kann jedoch aus der vorangegangenen Tätigkeit als Cockpitmitarbeiter kein Anspruch auf Fortzahlung der bis dahin gezahlten Bezüge abgeleitet werden. Eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung besteht weder auf Seiten der DLH noch auf Seiten des Cockpitmitarbeiters.
11(24) Eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen Vollendung des 55. und des 60. Lebensjahres gemäß § 19 Absatz (1) erfolgt auf Antrag des Mitarbeiters, sofern im Kalenderjahr des vorzeitigen Ausscheidens das durchschnittliche Ausscheidealter*) von 58 Lebensjahren nicht unterschritten wird.
12Ergibt die Berechnung zum Stichtag 31.08. ein durchschnittliches Ausscheidealter von unter 58 Jahren, so verlängert sich das Arbeitsverhältnis derjenigen Mitarbeiter, die im Folgejahr das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden, um diejenige Zeit, die nötig ist, um das durchschnittliche Ausscheidealter von 58 Jahren zu erreichen. Dabei wird pro betroffenen Mitarbeiter das zu beendende Arbeitsverhältnis um den gleichen Zeitraum jedoch mindestens einen Monat und maximal 12 Monate einmalig verlängert.
13Restmengen werden nach dem Senioritätsprinzip zugeteilt (Die Seniortätsjüngsten (Senioritätsdatum 1) erhalten die zusätzlichen Monate).
14*) Formel: Das durchschnittliche Ausscheidealter ergibt sich aus dem Durchschnitt des Ausscheidealters von je fünf aufeinander folgenden Kalenderjahren (gemeint sind jeweils die drei zurückliegenden, das aktuelle und das unmittelbar folgende Kalenderjahr). Pro Kalenderjahr wird die Anzahl der aktuellen Ausscheider pro Lebensalter ermittelt. Daraus wird dann das Ausscheidealter als arithmetisches Mittel pro Kalenderjahr t.
15Die Feststellung der Daten erfolgt am 31.08. eines Jahres auf Grund der vorliegenden Anträge für das folgende Kalenderjahr. Die Berechnung für das folgende Kalenderjahr erfolgt auf Grund der vorliegenden Meldungen für das folgende Kalenderjahr und die ermittelten aktuellen Zahlen der vier davor liegenden Jahre.“
16Die angesprochene Betriebsvereinbarung wurde bis heute nicht abgeschlossen.
17Auf das Arbeitsverhältnis fanden zudem zunächst der Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal vom 15. Mai 2000 (TV-ÜV 2000) sowie der Tarifvertrag L - Betriebsrente für das Cockpitpersonal, gültig ab 1. Januar 2002, und weitere Altersversorgung betreffende Tarifverträge (TVe Rente alt) Anwendung.
18Nach ihrer Kündigung galten die Tarifverträge zunächst kraft Nachwirkung weiter, bis sich die Tarifvertragsparteien Ende 2017 rückwirkend zum 1. Januar 2014 auf eine umfassende Neuregelung verständigten.
19Der Tarifvertrag Übergangsversorgung Cockpit in der Fassung vom21. Dezember 2017 (TV ÜV neu) lautet auszugsweise wie folgt:
20„Einleitung
21…
22Mit diesem Tarifvertrag L Übergangsversorgung Cockpit für das Cockpitpersonal werden für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die unter die Vorschriften des jeweils gültigen Manteltarifvertrages für das Cockpitpersonal in seiner jeweils gültigen Fassung fallen, folgende gekündigte Versorgungstarifvertrage
23Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal vom 15./16.05.2000 in seiner aktuell geltenden Fassung einschließlich aller weiteren Änderungs- bzw. Ergänzungstarifverträge und Nebenabreden sowie Vereinbarungen
sowie
26Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal der L C AG mit Einstellungsdatum vor dem 27.09.1995 in der aktuell geltenden Fassung einschließlich aller weiteren Änderungs- und Ergänzungstarifverträge und Nebenabreden sowie Vereinbarungen
(nachfolgend: jeweils ÜV-Altregelungen)
29mit Wirkung zum 01.01.2017 (Umstellungsstichtag) abgelöst, sofern
30mit ihnen bis zum 31.12.2017 noch keine Maßnahmen zum vorzeitigen Ausscheiden vereinbart worden sind (z. B. kein EVA Antrag gestellt), oder
deren Arbeitsverhältnis zu einer der im Geltungsbereich des Tarifvertrags L Übergangsversorgung Cockpit genannten Gesellschaft am 05.04.2018 (Umsetzungsstichtag) noch besteht.“
Der Tarifvertrag L Rente Cockpit in der Fassung vom 21. Dezember 2017 (TV Rente neu) bestimmt:
35„Zusammenfassung
36…
37Für Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis vor oder am Umsetzungsstichtag bereits beendet oder der Versorgungsfall bereits eingetreten ist oder mit denen bis zum 31.12.2017 bereits Maßnahmen zum vorzeitigen Ausscheiden vereinbart sind (z. B. „EVA Antrag“ gestellt) werden die bAV-Altregelungen inhaltlich fortgeführt und aufrechterhalten; eine Ablösung in das neue Versorgungsmodell erfolgt nicht.
38§ 2 Mitarbeiter (Neueinstellungen und Bestandsmitarbeiter)
39…
40(3) Für Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis vor oder am Umsetzungsstichtag bereits beendet oder bei denen der Versorgungsfall bereits eingetreten ist oder deren Arbeitsverhältnis in 2017 nach § 19 des jeweils geltenden MTV Cockpit DLH endet oder mit denen bis zum 31.12.2017 bereits Maßnahme zum vorzeitigen Ausscheiden vereinbart sind (z. B. EVA Antrag gestellt), werden die Altregelungen nach Maßgabe der inAnlage 3 zu diesem Tarifvertrag (Tarifvertrag LH-Betriebsrente) genannten Bestimmungen inhaltlich unverändert fortgeführt und aufrechterhalten; eine Ablösung in das neue Versorgungsmodell erfolgt nicht.“
41§ 19 Abs. 1 des Manteltarifvertrages Nr. 5c (MTV Nr. 5c) sieht in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung vor:
42„§ 19 Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erreichens der Altersgrenze
43(1) Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem der Cockpitmitarbeiter das Lebensjahr vollendet hat, welches ihn nach den jeweils geltenden gesetzlichen Regelungen nicht mehr zum Einsatz als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr berechtigt und er daher seine Tätigkeit als Flugzeugführer nicht mehr ausüben kann. Das Arbeitsverhältnis endet jedoch spätestens mit Ablauf des Monats, in dem der Cockpitmitarbeiter das jeweilige für die Inanspruchnahme der gesetzlichen Regelaltersrente maßgebliche Lebensalter vollendet hat (Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze).“
44Zu dem TV ÜV neu und dem TV Rente neu verständigten sich die Tarifvertragsparteien am 31. August 2018 auf Protokollnotizen, wegen deren Inhalt auf die Akte Bezug genommen wird.
45Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 sein Ausscheiden zum 31. Dezember 2034 gemäß § 19 MTV Nr. 5b. Einen entsprechenden Antrag stellte er unter dem 18. Dezember 2017. Beide Schreiben gingen der Beklagten vor dem 31. Dezember 2017 zu. Dem Verlangen des Klägers, ihm zu bestätigen, dass für ihn die Altregelungen zur betrieblichen Altersversorgung maßgeblich sind, kam die Beklagte nicht nach.
46Außer dem Kläger haben mehrere andere Piloten den Antrag Ende 2017 mit einem ähnlich weiten Vorlauf gestellt. Dies war in den Vorjahren nicht erfolgt.
47Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auf sein Arbeitsverhältnis fänden die alten Regelungen zur Übergangsversorgung und zur Betriebsrente Anwendung. Hierfür sei ausreichend, dass er vor dem 31. Dezember 2017 einen EVA- Antrag (EVA = Erklärung zum vorzeitigen Ausscheiden) gestellt habe. Der Abschluss einer Vereinbarung mit der Beklagten sei nicht erforderlich, weil die Beendigung automatisch erfolge. Die maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen hätten nur festgelegt, bis wann der Antrag spätestens gestellt werden musste, nicht aber, ab wann der Antrag frühestens gestellt werden konnte. Finanziell betrage der Unterschied zwischen der Alt – und Neuregelung ca. 1.300 Euro monatlich.
48Der Kläger hat beantragt,
491. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, gemäß Ziffer 1 § 2 Abs. 3 des Tarifvertrags „L Rente Cockpit“ in der Fassung vom 21.12.2017 die in der Anlage 3 zu diesem Tarifvertrag genannten Altregelungen für ihn inhaltlich unverändert fortzuführen und aufrechtzuerhalten;
2. festzustellen, dass für ihn der Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal vom 15./16.05.2000 in seiner aktuell geltenden Fassung einschließlich aller weiteren Änderungs- bzw. Ergänzungstarifverträge und Nebenabreden sowie Vereinbarungen nicht mit Wirkung zum 01.01.2017 abgelöst worden ist, sondern weiterhin gilt.
Die Beklagte hat beantragt,
54die Klage abzuweisen.
55Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe bereits keinen wirksamen EVA-Antrag gestellt. Der Anspruch könne nicht derart früh geltend gemacht werden. Abgesehen davon bedürfe es einer Vereinbarung. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der maßgeblichen tariflichen Bestimmungen. Der Sinn und Zweck der Ausnahmeregelungen im TV Rente neu und im TV ÜV neu wiesen in dieselbe Richtung. Intention der Tarifpartner sei es gewesen, diejenigen Mitarbeiter zu begünstigen, die im Jahre 2017 den Antrag in Unkenntnis der neuen tariflichen Regelungen gestellt hätten. Jedenfalls sei das Vorgehen des Klägers rechtsmissbräuchlich.
56Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt.
57Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass bereits das fristgemäße Stellen des EVA-Antrages dazu führe, dass die Altregelungen Anwendung fänden. Einer zusätzlichen Vereinbarung bedürfe es gerade nicht. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der tariflichen Bestimmungen, die ein Regelbeispiel enthielten. Hieran ändere der Umstand, dass erst später festgestellt werden könne, wann das Arbeitsverhältnis genau ende, nichts. Die beiden Protokollnotizen vom 31. August 2018 hätten keinen Einfluss auf die Auslegung der tariflichen Altregelungen.
58Der Kläger beantragt,
59das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 5.12.2019 –
609 Ca 6118/18 – abzuändern und
611. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, gemäß Ziffer I § 2 Abs. 3 des Tarifvertrags „L Rente Cockpit“ in der Fassung vom 21.12.2017 die in Anlage 3 zu diesem Tarifvertrag genannten Altregelungen für ihn inhaltlich unverändert Fortzuführen und aufrechtzuerhalten;
2. festzustellen, dass für ihn der Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal vom 15./16.05.2000 in seiner aktuell geltenden Fassung einschließlich aller weiteren Änderungs- bzw. Ergänzungstarifverträge und Nebenabreden sowie Vereinbarungen nicht mit Wirkung zum 01.01.2017 abgelöst worden ist, sondern weiterhin gilt.
Die Beklagte beantragt,
66die Berufung zurückzuweisen.
67Sie meint weiterhin, es komme nicht allein auf den EVA-Antrag an. Maßgeblich sei nicht die missverständliche Erläuterung der Tarifvertragsparteien im Klammerzusatz, sondern das von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Tatbestandsmerkmal. Danach sei nach dem eindeutigen Wortlaut eine Vereinbarung erforderlich. Der Begriff „Antrag“ könne nicht isoliert ausgelegt werden. Anders könnte es allenfalls sein, wenn der EVA-Antrag bereits bindend gewesen wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil der Kläger den Antrag jederzeit ändern könne.
68Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Berufungsbegründung des Klägers, die Berufungserwiderung der Beklagten und die weiteren Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.
69E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
70I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde nach Maßgabe von § 66 Abs.1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.
71II. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.
72Zwar hat der Kläger einen wirksamen Antrag auf vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 19 Abs. 1 MTV Nr. 5b gestellt. Dies führt jedoch nicht zur Anwendbarkeit des TV ÜV alt und der TVe Rente alt, weil mit dem Kläger keine Maßnahme zum vorzeitigen Ausscheiden vereinbart worden ist. Die Auslegung der maßgeblichen Tarifnormen, die im Haupttext von einer Vereinbarung und in dem Klammerzusatz von einem Antrag sprechen, ergibt, dass sie nur zur Anwendung kommen, wenn ein beidseitig bindender EVA – Antrag in dem Sinne vorliegt, dass er nicht mehr abänderbar ist. Nach § 19 Abs. 1 Satz 4 MTV Nr. 5b kann der Kläger seinen Antrag jedoch bis zum31. August 2033 ändern.
73Unabhängig hiervon erweist sich die Klage auch deswegen als unbegründet, weil sowohl der TV ÜV neu als auch der TV Rente neu ergänzend dahingehend auszulegen sind, dass die tariflichen Altregelungen nur für die Mitarbeiter zur Anwendung kommen, die einen Antrag, der auf ein Ausscheiden im Jahr 2018 gerichtet war, bis zum 31. August 2017 gestellt haben. Eine ergänzende Tarifauslegung war geboten, weil die Tarifverträge lückenhaft sind. Sie enthalten keine Regelung zu der Frage, wann der EVA-Antrag frühestens gestellt werden kann. Die Tariflücken waren unter Heranziehung der beiden Protokollnotizen vom 31. August 2018 zu schließen.
741. Die Klage ist insgesamt unbegründet, weil mit dem Kläger keine Maßnahme zum vorzeitigen Auszuscheiden vereinbart worden ist. Zwar hat er einen wirksamen Antrag auf vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 19 Abs. 1 MTV Nr. 5b gestellt. Ein wirksamer Antrag genügt für die Anwendbarkeit der tariflichen Altregelungen jedoch nicht. Erforderlich ist zusätzlich, dass der Antrag nicht mehr abänderbar ist. Dies ergibt die Auslegung der maßgeblichen tariflichen Bestimmungen. Diese zusätzliche Voraussetzung ist nicht erfüllt.
75a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (BAG 22. März 2018 – 6 AZR 29/17; 20. September 2017 - 6 AZR 143/16).
76b) Nach diesen Grundsätzen ist zunächst § 19 Abs. 1 Satz 2 MTV Nr. 5b dahingehend auszulegen, dass es für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur eines Antrages des Arbeitnehmers, nicht aber einer Vereinbarung, bedarf. Die Tarifvertragsparteien sind von einer Beendigungsautomatik ausgegangen. Zudem kann der Antrag nicht erst ab einem bestimmten Zeitpunkt, sondern jederzeit gestellt werden.
77Es ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm, dass zur vorzeitigen Beendigung ein Antrag ausreichend ist. Danach „wird das Arbeitsverhältnis auf Antrag vorzeitig beendet“. Den Begriff der Vereinbarung enthält die Vorschrift nicht.
78Der Annahme einer Beendigungsautomatik steht die Protokollnotiz I, Ziffer 24 MTV Nr. 5b nicht entgegen. Aus ihr ergibt sich nicht, dass eine Vereinbarung erforderlich ist. Sie führt gegebenenfalls zu einer Verschiebung des vom Arbeitnehmer gewünschten Beendigungszeitpunkts. Dies erfolgt bei Vorliegen der Voraussetzungen „automatisch“.
79Die Tarifvertragsparteien haben sich nicht auf einen Zeitpunkt verständigt, ab dem der Antrag frühestens gestellt werden kann. Auch insoweit ergibt sich aus der Protokollnotiz keine andere Betrachtung. Ihr ist lediglich zu entnehmen, dass sich das konkrete Beendigungsdatum erst später ermitteln lässt.
80Der Antrag ist in der Zeit, in der er noch geändert werden kann, nicht unverbindlich. Dies sieht der Tarifvertrag nicht vor. Der Antrag ist vielmehr, solange er nicht geändert wird, für beide Seiten verbindlich.
81c) Die Einleitung zum TV ÜV neu, die Zusammenfassung und § 2 Abs. 3 TV Rente neu sind dahingehend auszulegen, dass es der Stellung eines nicht mehr abänderbaren EVA-Antrages, nicht aber des Abschlusses einer Vereinbarung bedurfte, um zur Anwendbarkeit der Altregelungen zu kommen.
82aa) Der Abschluss einer Vereinbarung war nicht erforderlich.
83Auszugehen ist von dem Wortlaut der Tarifbestimmungen, der scheinbar widersprüchlich ist. Während vor der Klammer von einer „Vereinbarung“ die Rede ist, wird in der Klammer der Begriff des „Antrages“ verwandt. Der scheinbare Widerspruch wird bei der systematischen Betrachtung der Tarifbestimmungen aufgelöst. Sie nehmen ausdrücklich Bezug auf § 19 MTV Nr. 5b. Diese Vorschrift lässt – wie ausgeführt – die Stellung eines Antrages ausreichen. Die Tarifvertragsparteien haben wegen der von ihnen angenommenen Beendigungsautomatik keinen Anlass gehabt, streng zwischen den Begriffen Antrag und Vereinbarung zu unterscheiden. Sie sind davon ausgegangen, dass mit der Stellung des Antrages eine Vereinbarung zustande kommt.
84bb) Die Einleitung zum TV ÜV neu, die Zusammenfassung und § 2 Abs. 3 TV Rente neu sind dahingehend auszulegen, dass die Stellung eines EVA-Antrages die notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung für das Eingreifen der Altregelungen ist. Erforderlich ist zusätzlich, dass der Antrag nicht mehr abänderbar ist.
85Die Kammer schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Köln in dem Urteil vom 14. Dezember 2018 (18 Ca 5302/18, Seite 11 ff.) an.
86Danach ist zu berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien anders als in § 19 MTV Nr. 5b nicht nur einen Begriff, sondern zwei Begriffe verwandt haben. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass dem Begriff der Vereinbarung besondere Bedeutung zukommt, weil er Bestandteil der Tatbestandsmerkmale ist, während der Begriff des Antrags (nur) zur Erläuterung des Tatbestandsmerkmals „Vereinbarung“ verwandt wird. Vor diesem Hintergrund kann die Auslegung nicht zu einem Ergebnis führen, der dem Begriff der Vereinbarung keine Bedeutung beimessen würde.
87Das Erfordernis der Vereinbarung lässt erkennen, dass die Tarifvertragsparteien von einer feststehenden Maßnahme ausgegangen sind. Die weitreichenden Rechtsfolgen, die mit der Anwendbarkeit der Altregelungen verbunden sind, sollten nur eintreten, wenn eine beidseitige Bindung an den Antrag des Arbeitnehmers gegeben ist.
88Für die vorgenommene Auslegung sprechen auch Sinn und Zweck der tariflichen Bestimmungen. Begünstigt werden sollten Mitarbeiter, die einen sie endgültig bindenden Antrag im Vertrauen auf die alte Regelung gestellt hatten. Diese konnten einerseits ihre Entscheidung nicht mehr revidieren, andererseits kannten sie bei Ihrer Entscheidungsfindung nur die Altregelungen und konnten berechtigterweise darauf vertrauen, dass diese für sie maßgeblich sein würden. Dagegen haben die Tarifvertragsparteien erkennbar die Mitarbeiter, die über ihren Antrag noch disponieren konnten, nicht als schutzwürdig angesehen.
89d) Bei der Auslegung waren die beiden Protokollnotizen vom31. August 2018 nicht entscheidend zu berücksichtigen.
90Sie enthalten zunächst keine rückwirkenden Änderungen der Tarifverträge. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut. Ausdrücklich ist ausgeführt, dass die Tarifparteien ihr gemeinsames Verständnis mit dieser Protokollnotiz dokumentieren und präzisieren. Daher bedarf es keiner Klärung, ob eine rückwirkende Änderung zulässig wäre.
91Bei der Auslegung konnte nicht entscheidend auf die Protokollnotizen abgestellt werden, weil sie nachträglich ergangen sind und damit allenfalls Rückschlüsse darauf erlauben, was die Tarifvertragsparteien eigentlich regeln wollten. Dagegen lassen sie nicht erkennen, ob dieser Wille in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat.
92e) Danach erweisen sich die Klageanträge als unbegründet. Die tariflichen Altregelungen kommen nicht zur Anwendung, weil der Kläger keinen EVA-Antrag gestellt hat (und auch nicht stellen konnte), der ihn dauerhaft gebunden hätte. Er kann vielmehr bis zum 31. August 2033 noch geändert werden.
932. Die Klage ist auch deswegen unbegründet, weil sowohl der TV ÜV neu als auch der TV Rente neu ergänzend dahingehend auszulegen sind, dass die tariflichen Altregelungen nur für die Mitarbeiter zur Anwendung kommen, die einen Antrag, der auf ein Ausscheiden im Jahr 2018 gerichtet war, bis zum31. August 2017 gestellt haben. Eine ergänzende Tarifauslegung war geboten, weil die Tarifverträge lückenhaft sind. Sie enthalten keine Regelung zu der Frage, wann der EVA-Antrag frühestens gestellt werden konnte. Die Tariflücken waren unter Heranziehung der beiden Protokollnotizen vom 31. August 2018 zu schließen.
94a) Tarifvertragliche Regelungen sind einer ergänzenden Auslegung grundsätzlich nur dann zugänglich, wenn damit kein Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verbunden ist. Eine ergänzende Auslegung eines Tarifvertrags scheidet daher aus, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst ungeregelt lassen und diese Entscheidung höherrangigem Recht nicht widerspricht. Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder eine Regelung nachträglich lückenhaft geworden ist. Eine solche Tariflücke darf jedoch nicht durch ergänzende Tarifauslegung geschlossen werden, wenn den Tarifvertragsparteien ein Spielraum in der Frage bleibt, wie die Lücke zu schließen ist, und es ihnen wegen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie überlassen ist, die von ihnen für angemessen gehaltene Regelung selbst zu finden. Für die Beantwortung der Frage, ob es sich um eine bewusste oder unbewusste Tariflücke handelt, ist auf den Willen der Tarifvertragsparteien abzustellen (BAG 26. Januar 2017– 6 AZR 450/15).
95b) Danach liegen Tariflücken vor, die wie dargestellt zu schließen waren.
96Es handelt sich um eine unbewusste Regelungslücke. Die Tarifvertragsparteien waren sich darüber im Klaren, dass sie sich verständigen mussten, wann der Antrag spätestens zu stellen sein würde. An eine Regelung, wann der Antrag frühestens gestellt werden konnte, haben sie ersichtlich nicht gedacht. Die bisherige Praxis gab zu einer derartigen Regelung auch keinen Anlass. Die Tarifvertragsparteien haben die Regelungsbedürftigkeit dieses Punktes schlicht übersehen. Ein Wille, Anträge mit unbegrenztem zeitlichem Vorlauf zu begünstigen, lässt sich den tariflichen Bestimmungen nicht entnehmen.
97Das Gericht konnte die Tariflücke schließen, ohne damit in die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie einzugreifen. Aus den beiden Protokollnotizen vom 31. August 2018 ergibt sich, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten, wenn sie die Lückenhaftigkeit ihrer Vereinbarungen erkannt hätten. Dies bedeutet, dass die Anwendbarkeit der Altregelungen einen bis zum 31. August 2017 für ein Ausscheiden in 2018 gestellten Antrag voraussetzt.
98c) Nach diesen Grundsätzen erweisen sich die Klageanträge auch deswegen als unbegründet, weil der Kläger mit seinem Antrag nicht sein Ausscheiden im Jahre 2018 erreichen wollte.
99III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
100IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.
101Rechtsmittelbelehrung
102Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
103Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.