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Für eine Klage, die auf die Differenz zwischen einer vertraglich vereinbarten Vergütung und dem sie übersteigenden gesetzlichen Mindestlohn gerichtet ist, sind die Gerichte für Arbeitssachen auch dann zuständig, wenn ein Landgericht das Vertragsverhältnis der Parteien in einem vorangegangenen Rechtsstreit der Parteien in einem Urteil als freies Dienstverhältnis qualifiziert und eine Arbeitnehmereigenschaft des Klägers ausdrücklich verneint hat. Denn es handelt sich bei der Differenzklage um einen sog. Sic-non-Fall, bei dem die bloße Rechtsansicht des Klägers, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.
I. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 02.07.2020 – 1 Ca 4158/19 – abgeändert.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger macht restliche Vergütungsansprüche in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns geltend.
4Die beklagte Gemeinde ist Eigentümerin einer am Eifelsteig gelegenen Wanderstation mit integrierter Tourist-Information nach dem Vorbild der Wander- und Almhütten in den Alpen.
5Der Kläger mietete die Wanderstation von der Beklagten mit Wirkung zum 01.05.2015 und gestaltete das in der Wanderstation befindliche Café unter Aufwendung eigener finanzieller Mittel zu einer „Wanderbar“ um. Der Mietzins betrug vereinbarungsgenmäß zunächst 300,00 EUR/Monat zzgl. Nebenkosten; ab dem 01.05.2016 betrug der Mietzins 400,00 EUR/Monat zzgl. Nebenkosten.
6Mit Wirkung zum 01.05.2015 schlossen die Parteien eine als „Werkvertrag“ bezeichnete Vereinbarung über den Betrieb der in der Wanderstation befindlichen Tourist-Information und des Nationalpark-Infopunktes. In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger zur Einrichtung und zu dem Betrieb einer Anlauf- und Informationsstelle für Touristen, zur Verteilung von Informationsmaterialien sowie zum Angebot regionaler Produkte. Die Beklagte zahlte für den Betrieb der Tourist-Information und des Nationalpark-Infopunkts einen in monatlichen Teilbeträgen zahlbaren jährlichen Pauschalbetrag von 7.020,00 EUR zzgl. Mehrwertsteuer.
7Zudem trafen die Parteien eine ebenfalls als „Werkvertrag“ überschriebene Vereinbarung, wonach sich der Kläger zum ganzjährigen Betrieb der Wanderstation in eigener Verantwortlichkeit verpflichtete. Diese Tätigkeit umfasste ua. die Sicherstellung der vereinbarten Öffnungszeiten, die personelle Besetzung der Wanderstation sowie Reinigungstätigkeiten. Die Beklagte übernahm die anfallenden Bewirtschaftungskosten in Form einer Pauschalvergütung und brachte Einrichtungsgegenstände in die Wanderstation ein. Für die Übernahme von Leistungen, die nicht durch die Pauschalvergütung für den Betrieb der Tourist-Information und des Nationalpark-Infopunkts abgedeckt waren, erhielt der Kläger einen weiteren jährlichen Pauschalbetrag von 3.120,00 EUR zzgl. Mehrwertsteuer.
8Am 24.05.2016 vereinbarten die Parteien für den Betrieb der Wanderstation eine zusätzliche monatliche Pauschalvergütung iHv. 120,00 EUR für die über die regelmäßige Reinigung nach Bedarf hinausgehenden Grundreinigungen sowie eine zusätzliche monatliche Pauschalvergütung iHv. 25,00 EUR für die Beschaffung diverser Hygeneartikel.
9Die Beklagte kontrollierte in der Folgezeit die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen und sprach gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 29.03.2016, 13.04.2016, 05.05.2017, 12.06.2017, 04.08.2017, 06.10.2017, 02.11.2017 Abmahnungen wegen Verstößen gegen die vereinbarten Öffnungszeiten, die übernommenen Reinigungspflichten und gegen das Verbot der eigenmächtigen Unter- bzw. Weitervermietung aus. Ab Februar 2019 zahlte die Beklagte die vereinbarten Beträge nicht mehr bzw. nicht mehr in der vereinbarten Höhe. Mit Schreiben vom 09.05.2019, das dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte sämtliche Verträge ordentlich zum 30.04.2020. Am 21.08.2019 teilte der Kläger der Beklagten mit, alle Leistungen in Bezug auf die Wanderstation und den Infopunkt einzustellen. Mit Schreiben vom 26.08.2019 kündigte die Beklagte sämtliche Verträge fristlos. Zudem forderte sie den Kläger zur Räumung auf.
10Das Landgericht Aachen verpflichtete die Beklagte mit einem am 16.04.2020 verkündeten Urteil, an den Kläger ausstehende Vergütung für den Zeitraum von April bis November 2019 und wegen der Reinigung der Toiletten für den Zeitraum von Februar bis November 2018 insgesamt einen Betrag iHv. 9.769,90 EUR zu zahlen und dem Kläger enstandene vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten iHv. 492,54 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Dabei ging das Landgericht davon aus, dass zwischen den Parteien verschiedene freie Dienstverhältnisse bestünden, die von der Beklagten durch Kündigung nicht vor dem 30.04.2020 beendet worden seien. Das Vorliegen eines Arbeitsverhältnis lehnte das Landgericht in den Entscheidungsgründen des Urteils ausdrücklich ab.
11Mit seiner am 20.12.2019 bei dem Arbeitsgericht Aachen eingereichten Klage begehrt der Kläger die Differenz zwischen der bereits gezahlten Vergütung und dem sie übersteigenden gesetzlichen Mindestlohn nebst Zinsen für das Jahr 2016 iHv. 21.539,00 EUR brutto abzgl. geleisteter 10.140,00 EUR netto, für das Jahr 2017 iHv. 22.400,56 EUR brutto abzgl. gezahlter 10.140,00 EUR netto, für das Jahr 2018 iHv. 22.400 EUR brutto abzgl. gezahlter 10.140,00 EUR netto und für den Zeitraum Januar bis März 2019 iHv. 5.789,70 EUR brutto abzgl. gezahlter 2.535,00 EUR netto. Den Klageforderungen legt der Kläger ausgehend von den vereinbarten Öffnungszeiten und einer realen Arbeitsleistung von sieben Stunden täglich den gesetzlichen Mindestlohn iHv. 8,50 EUR für das Jahr 2016, iHv. 8,84 EUR für die Jahre 2017 und 2018 sowie iHv. 9,19 EUR für das Jahr 2019 zu Grunde.
12Der Kläger ist der Ansicht, zwischen ihm und der Beklagten habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, weil er sowohl hinsichtlich des Tätigkeitsorts an der Wanderstation als auch bezüglich der Arbeitszeit seine Tätigkeit nicht frei habe gestalten können. Zudem habe die Beklagte Einfluss auf die Beratungsleistungen gegenüber den Touristen und das bereitgestellte Informationsmaterial genommen. Das Arbeitsgericht sei für die Klage zudem bereits deswegen zuständig, weil es sich bei einem auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach §§ 1, 3 MiLoG gestützten Antrags um einen sog. Sic-non-Antrag handele.
13Die Beklagte hat die Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gerügt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe weder schlüssig Tatsachen vorgetragen, die seine Arbeitnehmereigenschaft begründen könnten, noch handele es sich bei der Klage auf den gesetzlichen Mindestlohn um einen sog. Sic-non-Antrag. Zudem sei das Arbeitsgericht an die Entscheidung des Landgerichts, wonach zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden habe, gebunden.
14Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 02.07.2020 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint und den Rechtsstreit an das Landgericht Aachen verwiesen. Seine Entscheidung hat das Arbeitsgericht damit begründet, dass der Kläger kein Arbeitnehmer gewesen sei und es sich bei einer Klage auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht um einen Sic-non-Fall handele. Denn für die Vergütungsklage komme neben dem Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn auch ein vertraglicher Vergütungsanspruch in Betracht.
15Der Beschluss ist dem Kläger am 13.07.2020 zugestellt worden. Seine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist am 23.07.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.
16Der Kläger vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und verweist darauf, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund sein Beschäftigungsverhältnis mit Bescheid vom 14.08.2020 als versicherungspflichtige Tätigkeit iSd. § 7 SGB IV eingeordnet habe.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze und die eingereichten Unterlagen Bezug genommen.
18II.
19Die sofortige Beschwerde ist begründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG eröffnet. Denn der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis geltend. Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger tatsächlich ein Arbeitnehmer iSd. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG war. Denn es handelt sich bei der allein auf die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns gestützten Vergütungsklage des Klägers um einen sog. Sic-non-Fall, bei dem bereits die Rechtsauffassung des Klägers, er sei Arbeitnehmer, die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen begründet.
201.) Für die Zulässigkeit des Rechtswegs, über die gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab entschieden werden muss, ist der jeweilige Streitgegenstand maßgebend, der für jeden prozessualen Anspruch gesondert zu prüfen ist (BAG, Beschluss vom24. April 1996 – 5 AZB 25/95 –, Rn. 31, juris) und der gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO alleine vom Kläger bestimmt wird (BAG, Beschluss vom 22. Oktober 2014– 10 AZB 46/14 –, Rn. 24, juris).
21a) Ob eine Streitigkeit in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fällt oder ob der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, hängt damit von der Natur des Rechtsverhältnisses ab, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen oder allein nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1991 – III ZR 53/90 –, BGHZ 114, 1-9, Rn. 14).
22b) Anders ist es jedoch in den sog. Sic-non-Fällen.
23aa) Sic-non-Anträge sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur dann begründet sein können, wenn das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist. Für diese Anträge eröffnet die bloße Rechtsansicht des Klägers, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten (BAG, Beschluss vom26. Oktober 2012 – 10 AZB 60/12 –, Rn. 20, juris; BAG, Beschluss vom 24. April 1996 – 5 AZB 25/95 –, Rn. 42, juris). Denn die entsprechenden Tatsachenbehauptungen des Klägers sind in Sic-non-Fällen sowohl für die Rechtswegzuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage maßgebend und insoweit "doppelrelevant".
24bb) Würde der Rechtsstreit verwiesen, so müsste das Gericht, wenn es der Begründung folgt, die zur Verweisung geführt hat, die Klage als unbegründet abweisen (BAG, Beschluss vom 24. April 1996 – 5 AZB 25/95 –, Rn. 34, 37 juris). Die Verweisung wäre ein Umweg, um dasselbe Ergebnis, die Sachabweisung, durch ein anderes Gericht zu erreichen. Daran kann grundsätzlich niemand interessiert sein (Schwab/Weth, 5. Aufl. 2018, § 2 ArbGG, Rn. 237), auch wenn die letztlich obsiegende Partei eines arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits im ersten Rechtszug gemäß § 12aAbs. 1 Satz 1 ArbGG keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten hat, wohingegen sie die Erstattung der Rechtsanwaltskosten bei einem Rechtsstreit vor einem Amts- oder Landgericht im Wege der Kostenfestsetzung erreichen könnte. Jedoch führt der Umstand, dass die Rechtsansicht des Klägers in Sic-non-Fällen als wahr zu unterstellen ist, zu einer beschleunigten endgültigen Erledigung des Rechtsstreits und wird den Interessen der Parteien insgesamt am ehesten gerecht: Der Kläger erreicht die Prüfung der Berechtigung seiner Klage vor dem angerufenen Gericht auf seine bloße Rechtsansicht hin und riskiert damit die Abweisung seiner Klage als unbegründet. Bestreitet die Beklagte zu Recht das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, erlangt sie ein klageabweisendes Sachurteil, das der materiellen Rechtskraft fähig ist. Stellt sie das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zu Unrecht in Abrede, erleidet sie keinen Nachteil, wenn das Gericht zugleich die Zulässigkeit und die Begründetheit der Klage bejaht. In diesem Fall muss sie nicht einmal die Kosten des gegnerischen Bevollmächtigten tragen. In allen Fällen bleibt gewährleistet, dass die Richtigkeit der bestrittenen Tatsachen gerichtlich festgestellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom27. Oktober 2009 - VIII ZB 42/08 -, BGHZ 183, 49-59, Rn. 14). In den Sic-non-Fällen, in denen die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist, reicht daher die bloße Rechtsbehauptung des Klägers, er sei Arbeitnehmer, zur Begründung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit aus (BAG, Beschluss vom24. April 1996 – 5 AZB 25/95 –, Rn. 42, juris).
252.) Die Klage auf den gesetzlichen Mindestlohn gehört jedenfalls dann zu den Sic-non-Fällen, wenn die klagende Partei im Falle einer den gesetzlichen Mindestlohnanspruch unterschreitenden vertraglichen Vergütungsabrede den gesetzlichen Mindestlohn als Differenzbetrag abzüglich der bereits zuvor gezahlten vertraglichen Vergütung unter Offenlegung ihrer Berechnungsmethode einklagt. Denn zwingende Voraussetzung für diesen Mindestlohnanspruch ist das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Auf eine andere Anspruchsgrundlage kann dieser Anspruch nicht gestützt werden.
26a) Gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten bzw. seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind nach § 3 Satz 1 MiLoG insoweit unwirksam. Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. Das Mindestlohngesetz greift in die Entgeltvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien und anwendbarer Entgelttarifverträge nur insoweit ein, als sie den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten (BAG, Urteil vom 25. Mai 2016– 5 AZR 135/16 –, BAGE 155, 202-214, Rn. 22 - 24).
27b) Ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben nach dem in § 22 MiLoG geregelten persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes nur Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16 –, BAGE 157, 356-361, Rn. 16) sowie die ihnen in § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG unter besonderen Voraussetzungen gleichgestellten Praktikanten. Maßgeblich für die Arbeitnehmereigenschaft ist der allgemeine Arbeitnehmerbegriff, wie er über die Definition des Arbeitsvertrags in § 611a Abs. 1 BGB normiert ist (HWK/Sittard, 9. Aufl. 2020, § 22 MILOG, Rn. 4). Andere Personen, die nicht gemäß der näheren Bestimmung zum anspruchsberechtigten Personenkreis in § 22 MiLoG als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingeordnet werden können, können sich hingegen nicht auf den gesetzlichen Anspruch aus § 1 MiLoG berufen (LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Dezember 2019 – 12 Ta 2007/19 –, Rn. 15, juris; ErfK/Franzen, 19. Aufl. 2019, § 22 MiLoG, Rn. 1).
28c) Damit bildet der gesetzliche Mindestlohn eine Art Sockel, der in jedem höheren Entgeltanspruch enthalten ist (BAG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 5 AZR 43/18 –, BAGE 165, 205-219, Rn. 18). Beantragt ein Arbeitnehmer im gerichtlichen Verfahren die Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung einer bestimmten vereinbarten Vergütung für seine in einem bestimmten Zeitraum geleistete Arbeit, umfasst dieser Lebenssachverhalt neben der vertraglichen Vergütung auch den ihr innewohnenden gesetzlichen Mindestlohnsockel. Bei einer auf tatsächliche Arbeit gestützten Entgeltklage sind sowohl der Mindestlohn als auch die vertragliche Vergütung streitgegenständlich (vgl. BAG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 5 AZR 43/18 –, BAGE 165, 205-219, Rn. 19). Bei solchen Klageanträgen, für deren Begründung entweder arbeitsrechtliche oder bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen (sog. Aut-aut-Fälle) oder die widerspruchslos auf beide Rechtsgrundlagen gestützt werden können (sog. Et-et-Fälle), obliegt es dem Kläger, bereits für die Begründung der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen jedenfalls diejenigen Tatsachen schlüssig vorzutragen, die seine Arbeitnehmereigenschaft begründen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. August 1999 – 1 BvR 1389/97 –, Rn. 14, juris; BAG, Beschluss vom 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 –, BAGE 165, 61-73, Rn. 20).
29d) In den Fällen, in denen der Kläger im Falle einer den gesetzlichen Mindestlohnanspruch unterschreitenden vertraglichen Vergütungsabrede den gesetzlichen Mindestlohn als Differenzbetrag abzüglich der bereits zuvor gezahlten vertraglichen Vergütung unter Offenlegung ihrer Berechnungsmethode einklagt, stützt er seine Zahlungsansprüche aber gerade nicht auf die vertragliche Vergütungsabrede, sondern allein auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch aus §§ 1, 3 MiLoG, wie er nur Arbeitnehmern zustehen kann. Ein solcher (gesetzlicher) Differenzanspruch ist von der bereits geleisteten vertraglichen Vergütung entkleidet.
30aa) So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Der Kläger hat seinen Zahlungsanträgen eine Berechnungsmethode zu Grunde gelegt, bei der er die geleisteten Arbeitsstunden mit dem für das jeweilige Jahr aus § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG folgenden Mindeststundenlohn multipliziert hat. Von dem so errechneten Betrag hat er den aufgrund der vertraglichen Vergütungsabrede gezahlten niedrigeren Betrag abgezogen. Dabei kann dahinstehen ob der Kläger seine Klageforderung richtig errechnet hat und ob er die teilweise vom Langericht bereits ausgeurteilte zusätzliche Pauschalvergütung für die zusätzlichen Reinigungsleistungen zu Unrecht nicht in Abzug gebracht hat. Denn der Kläger macht ausdrücklich einen Differenzanspruch aus §§ 1, 3 MiLoG geltend, den er ausschließlich darauf stützt, dass die vertragliche Vergütungsabrede die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns unterschreite und daher gemäß § 3 Satz 1 MiLoG insoweit unwirksam sei. Dieser gesetzliche Differenzanspruch kann ungeachtet der möglicherweise unzutreffenden Berechnung aufgrund des vom Kläger zum Gegenstand seiner Klage gemachten Lebenssachverhalts und der von ihm geltend gemachten Anspruchshöhe nur dann bestehen, wenn er zugleich Arbeitnehmer ist. Mithin ist die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers für die geltend gemachten Zahlungsanträge doppelt relevant.
31bb) Dem kann weder entgegen gehalten werden, dass auch ein freier Dienstnehmer wegen einer sittenwidrig niedrigen und damit in der Konsequenz unbestimmten Vergütung ein Entgelt in Höhe der üblichen Vergütung iSd. § 612 Abs. 2 BGB beanspruchen kann, noch dass eine arbeitsvertragliche Vergütungsabrede, die den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn unterschreitet, durch § 612 Abs. 2 BGB ersetzt werden könnte. Denn der Kläger hat seine Klageforderung im vorliegenden Fall ausschließlich auf §§ 1, 3 MiLoG gestützt und sich damit auf einen möglichen Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis beschränkt. Damit hat er den für die Bestimmung des Rechtswegs maßgeblichen Streitgegenstand festgelegt (BAG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 10 AZB 46/14 –, Rn. 24, juris) und zugleich einen Rückgriff auf § 612 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, weil § 1 Abs. 1 MiLoG die angemessene Vergütung bestimmt und es folglich an einer fehlenden Bestimmtheit der Vergütung iSd. § 612 Abs. 2 BGB fehlt (vgl. Lembke, NZA 2015, 70, 77; ErfK/Franzen, 20. Aufl. 2020, § 3 MiLoG, Rn. 1a). Darin liegt keine systemwidrige Manipulation hinsichtlich der Auswahl des zuständigen Gerichts. Diese Gefahr bestünde nur, wenn der Kläger im Wege der Zusammenhangsklage nach § 2 Abs. 3 ArbGG mit einem Sic-non-Fall weitere Streitgegenstände verbunden hätte, für die entweder arbeitsrechtliche oder bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. August 1999 – 1 BvR 1389/97 –, Rn. 14, juris). Jedoch findet § 2 Abs. 3 ArbGG keine Anwendung, wenn die Zuständigkeit für die Zusammenhangsklage allein aus der Verbindung mit einem Sic-non-Antrag folgen kann. Denn dies wäre mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar, wonach der erkennende Richter auf Grund allgemeiner Kriterien normativ bestimmt sein muss, um der Gefahr manipulierender Einflüsse vorzubeugen. Werden zusätzlich zu einem Feststellungsantrag, der einen Sic-non-Fall darstellt, weitere Anträge gestellt, muss daher für diese die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 oder 2 ArbGG gesondert festgestellt werden (BAG, Beschluss vom 11. Juni 2003 – 5 AZB 43/02 –, BAGE 106, 273-278, Rn. 24, 25).
323.) Der Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen steht schließlich nicht entgegen, dass das Landgericht Aachen mit Urteil vom 16.04.2020 über – hier nicht streitgegenständliche – Vergütungsansprüche des Klägers sowie Ersatzansprüche für Reinigungskosten und Urlaubsvertretungen entschieden und ausdrücklich eine Arbeitnehmereigenschaft des Klägers verneint hat.
33a) Soweit man darin eine Bejahung der Rechtswegzuständigkeit sehen sollte (zur stillschweigenden Bejahung der Rechtswegzuständigkeit BGH, Urteil vom 19. November 1993 – V ZR 269/92 –, Rn. 9-11, juris; Zöller/Lückemann, 33. Aufl. 2020, § 17a GVG, Rn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege, 41. Aufl. 2020, § 17a GVG, Rn. 4), würde diese zwar gemäß § 17a Abs. 5 GVG das zuständige Rechtsmittelgericht binden; sie könnte jedoch keinerlei Bindungswirkung für den vorliegenden Rechtsstreit erzeugen.
34b) Auch materiell dürfte die Verneinung der Arbeitnehmereigenschaft nicht gemäß § 322 ZPO in Rechtskraft erwachsen. Rechtskräftig kann vielmehr nur die im Urteil ausgesprochene Rechtsfolge werden, also das Bestehen oder Nichtbestehen der vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche. Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden hingegen von der Rechtskraft regelmäßig ebenso wenig erfasst wie der Entstehungsgrund des geltend gemachten Rechts (BGH, Urteil vom 03. Juni 1987 – VIII ZR 158/86 –, Rn. 12, juris; Weißenfels, BB 1996, 1326, 1330). Zudem besteht die in den Sic-non-Fällen begründete Rechtswegzuständigkeit gerade eben unabhängig davon, ob zwischen den Parteien tatsächlich ein Arbeitsverhältnis zu Stande gekommen ist oder nicht. Zwar verhindert die materielle Rechtskraft insoweit ein nochmaliges Verfahren um dieselbe Rechtsfolge oder um dasselbe Rechtsschutzbegehren. Ihre Wirkung besteht darin, dass jede neue Verhandlung und Entscheidung über die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 23. März 2017 – 8 AZR 91/15 –, BAGE 159, 1-11, Rn. 14; Weißenfels, BB 1996, 1326, 1329). Die sich im Hinblick auf den Vorprozess stellende Frage könnte hier jedoch nur sein, ob der im vorliegenden Verfahren angekündigte Antrag gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO wegen Streitgegenstandsidentität unzulässig oder wegen Präjudizialität unbegründet ist. Für beide Entscheidungen wäre aber das Arbeitsgericht Aachen zuständig.
35III.
36Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO. Wird ein Verweisungsbeschluss im Beschwerdeweg nach § 17a Abs. 4 GVG angefochten, so ist über die Kosten des Rechtsmittels nach den allgemeinen für die Beschwerde geltenden Grundsätzen zu entscheiden (Zöller/Lückemann, 33. Aufl. 2020, § 17b GVG Rn. 4).
37IV.
38Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.