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Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 14.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2015 wird der Beklagte verpflichtet, die Lohnsteueranmeldung des Monats September 2012 für den Kläger dahin zu ändern, dass die Lohnsteuer auf 2.222,41 € und der Solidaritätszuschlag auf 122,23 € herabgesetzt werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst trägt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob dem Kläger als Arbeitnehmer ein Anspruch auf Änderung der Lohnsteueranmeldung für September 2012 zusteht.
3Der Kläger hat seinen ausschließlichen Wohnsitz in Österreich und ist dort unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. In Deutschland hat er – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt. Im Jahr 2012 war er bei der A GmbH mit Sitz in …, Österreich, angestellt und für diese tätig. Ab September 2012 wurde er im Auftrag der B GmbH im Rahmen einer befristeten Mitarbeiterentsendung zu dem aufnehmenden Unternehmen C AG nach Deutschland entsandt.
4Die C AG unterwarf das gesamte, für den Zeitraum 01.09. bis 31.12.2012 vom Kläger bezogene Gehalt (43.149,96 €) der deutschen Besteuerung und behielt dabei die hierauf entfallende Lohnsteuer einschließlich des Solidaritätszuschlags ein und führte diese Beträge an das beklagte Finanzamt ab. Hierbei unterstellte die C AG, dass der Kläger in diesem Zeitraum ausschließlich in Deutschland beruflich tätig gewesen sei. Tatsächlich war der Kläger von insgesamt 76 Arbeitstagen lediglich an 40 Arbeitstagen in Deutschland tätig (vgl. Reisekalender; Bl. 37 – 49 d. Gerichtsakte -GA-).
5Im Einzelnen war der Kläger im Monat September 2012 an 12 von insgesamt 20 Arbeitstagen in Deutschland tätig. Laut Lohnkonto bezog er für alle Arbeitstage im September 2012 einen Nettolohn in Höhe von 6.834,50 €. Auf die 12 Arbeitstage in Deutschland entfällt ein steuerpflichtiges Nettogehalt in Höhe von 4.100,70 €, unter Hinzurechnung geldwerter Vorteile in Höhe von insgesamt 4.813,12 €. Unter Anwendung der Lohnsteuerklasse I ergeben sich hierauf ein Lohnsteueranspruch in Höhe von 2.222,41 € und ein Anspruch auf Solidaritätszuschlag in Höhe von 122,23 €. Tatsächlich meldete die C AG einbehaltene Lohnsteuer in Höhe von 4.556,41 € und Solidaritätszuschlag in Höhe von 250,60 € an und führte diese Beträge an den Beklagten ab (Differenz: Lohnsteuer in Höhe von 2.334 € und Solidaritätszuschlag in Höhe von 128,37 €).
6Diese Beträge und Daten sind zwischen den Beteiligten unstreitig (Bl. 19 – 20 und 57 d. GA).
7Mit Schreiben vom 07.03.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Erstattung der für September bis Dezember 2012 zu viel einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlags nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Er war der Auffassung, dass diese Abgaben ohne rechtlichen Grund gezahlt worden seien.
8Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14.03.2014 ab. Zur Begründung verwies er auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17.06.2009 VI R 46/07 (Bundessteuerblatt -BStBl- II 2010, 72), mit welchem entschieden worden sei, dass durch die Ausstellung und Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung endgültig feststehe, dass die Lohnsteuer verfahrensrechtlich mit Rechtsgrund entrichtet worden sei. Eine Erstattung sei nur noch im Rahmen des Veranlagungsverfahrens möglich.
9Hiergegen legte der Kläger fristgemäß Einspruch ein und beantragte zunächst das Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zur Entscheidung des Klageverfahrens mit dem Aktenzeichen 9 K 1832/12 AO (zuletzt 13 K 1832/12 AO). Nachdem die Klage in diesem Verfahren zurückgenommen worden war, stimmten die Beteiligten dahingehend überein, das hier anhängige Verfahren als Musterverfahren zu behandeln.
10Mit Entscheidung vom 28.07.2015 wies der Beklagte den Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Lohnsteueranmeldung für September 2012 zurück. Er ist der Auffassung, dass dem Kläger kein Anspruch auf Änderung der Lohnsteueranmeldung für September 2012 zustehe. Im Einzelnen führte er Folgendes aus:
11Die Änderung der im Streitfall zu Unrecht angemeldeten und einbehaltenen Steuerbeträge sei aufgrund des § 41c Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr möglich. Zu Korrekturen könne es nur noch über die Einkommensteuerveranlagung des Klägers als Arbeitnehmer kommen.
12Nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG sei eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig. Diese Übermittlung habe gemäß § 41b Abs. 1 Satz 2 EStG spätestens bis zum 28. Februar des Folgejahres zu erfolgen. Nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung sei jegliche Änderung des Lohnsteuerabzugs zum Vorteil des Arbeitnehmers unzulässig, weil ansonsten der Inhalt der Lohnsteuerbelege unrichtig würde. Dies entspreche auch dem gesetzgeberischen Willen, bei Änderung des Lohnsteuerabzugs zum Vorteil des Arbeitnehmers auf einen geänderten Steuerabzug zu verzichten, da ansonsten die Gefahr einer zu hohen Anrechnung bestünde (so Bundestags-Drucksache 18/1995). Dies gelte selbst dann, wenn die Lohnsteuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sei. Die Erstattung dürfe nach Abschluss des Kalenderjahres nur im Rahmen eines Lohnsteuerjahresausgleichs durch den Arbeitgeber unter den Voraussetzungen des § 42b EStG vorgenommen werden. Entsprechendes gelte im Falle von zu Unrecht einbehaltener Lohnsteuer. Werde erst nach diesem Zeitpunkt festgestellt, dass Lohnsteuer einbehalten worden sei, obwohl der Arbeitslohn im Inland nicht der Besteuerung unterliege, dürfe der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug nicht mehr ändern.
13Hier sei eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nach diesen Maßstäben nicht mehr möglich. Denn die nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG geltende „Ausschlussfrist“ sei für 2012 ersichtlich abgelaufen (für 2012 bereits mit Ablauf des 28.02.2013).
14Zwar stünden Lohnsteueranmeldungen Steuerbescheiden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 218 Abs. 1 Satz 2 und § 168 Satz 1 AO) und dürften daher bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung noch geändert werden (§ 164 Abs. 2 und Abs. 4 AO). Die Änderungssperre des § 41c Abs. 3 EStG stelle jedoch eine Spezialvorschrift dar, welche § 164 Abs. 2 AO vorgehe.
15Auch unter Berücksichtigung der jüngeren BFH-Rechtsprechung komme eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nach Ablauf des 28. Februar des Folgejahres nicht mehr in Betracht. Denn dies würde voraussetzen, dass sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft habe, für die Lohnsteuer einbehalten worden sei (BFH-Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, BStBl II 2013, 929; vgl. auch § 41c Abs. 3 Satz 4 bis 6 EStG i. d. F. d. Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2014, 1266). Dies sei hier offensichtlich nicht erfolgt. Auch aus der Neufassung des § 41c Abs. 3 EStG mit Gültigkeit ab Kalenderjahr 2014, die einen Ausnahmefall betreffe, werde deutlich, dass der Gesetzgeber grundsätzlich weiter die Änderungsmöglichkeit von Vorbehaltsfestsetzungen habe einschränken wollen.
16Im Übrigen hätten beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer, die die EU/EWR-Staatsangehörigkeit besäßen und die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU/des EWR hätten – wie vorliegend der Kläger –, stets die Möglichkeit, eine Veranlagung gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4b EStG zu beantragen. Im Rahmen dieser Veranlagungen könnten die Steuerpflichtigen den zutreffenden inländischen Arbeitslohn geltend machen.
17Ferner könne sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 70/08 (BStBl II 2012, 493) berufen, da er als Österreicher die EU-Staatsangehörigkeit besitze. Es sei zwar zuzugeben, dass der I. Senat des BFH einen Erstattungsanspruch eines beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmers in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG grundsätzlich bejaht habe. In dem entschiedenen Streitfall sei es gleichwohl um einen Arbeitnehmer gegangen, der weder die EU-Staatsangehörigkeit besessen noch seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU/des EWR gehabt habe (im entschiedenen Fall: USA). Für diesen Arbeitnehmer habe folglich keine Möglichkeit zu Antragsveranlagung gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4b und Satz 7 EStG bestanden. Daher sei es nur konsequent, dass der BFH in einem solch gelagerten Fall die Möglichkeit eines Erstattungsantrags nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG analog eröffne. Nur in einem solchen Fall dürfe eine Erstattung außerhalb des Veranlagungsverfahrens erfolgen.
18Auch die gesetzlichen Vorgaben zur Antragstellung von beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern im EU-/EWR-Raum seien eindeutig, selbst wenn es im Einzelfall zu nachteiligen Folgen wegen des Ansatzes des Progressionsvorbehaltes kommen sollte. Der Ansatz des Progressionsvorbehaltes sei aber hinzunehmen, da dieser nicht übergebührend belaste. Die Ursachen für den ungerechtfertigten Steuerabzug hätten regelmäßig der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber selbst verschuldet. Eine Benachteiligung der EU-/EWR-Staatsangehörige könne das Finanzamt im Regelfall nicht erkennen, da diese nach § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG weitere Werbungskosten gelten machen könnten. Insbesondere liege kein Verstoß gegen europarechtliche Bestimmungen vor, da alle EU-/EWR-Staatsangehörige gleich behandelt würden. Es könne nicht Aufgabe des Gesetzgebers oder der Judikative sein, im Einzelfall mögliche Härten immer vollständig auszugleichen. Dies gelte insbesondere, wenn der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer nicht rechtzeitig – wie hier – alle Umstände ermittele, die für den zutreffenden Steuerabzug notwendig seien.
19Der BFH habe mit Urteil vom 30.10.2008 (VI R 10/05, BStBl II 2009, 354; bestätigt durch BFH-Urteil vom 17.06.2009, BStBl 2010 II, 72) entschieden, dass eine Änderung der Festsetzung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld unter den Voraussetzungen des § 164 AO zum Nachteil des Arbeitgebers auch nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig sei. Demgegenüber sei eine Änderung der Lohnsteueranmeldung zu Gunsten des Arbeitgebers und/oder des Arbeitnehmers nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung aufgrund des § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG nicht mehr möglich.
20Angesichts dieser widersprüchlichen Entscheidungen könne das Finanzamt nicht von einer gefestigten BFH-Rechtsprechung ausgehen, wonach eine Änderung der Lohnsteueranmeldung zu Gunsten von Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer grundsätzlich möglich sei.
21Zusammenfassend biete der BFH keine schlüssige, einheitliche und nachvollziehbare Begründung an, warum zum Vorteil des Arbeitnehmers bzw. Arbeitgebers der Steuerabzug unter Missachtung von § 41c Abs. 3 EStG geändert werden könne, wenn ein Nachprüfvorbehalt nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO noch bestehe. Denn nach Auffassung des BFH sei der tatsächliche Lohnsteuerabzug (Istbetrag) für die gesetzlich bestimmte Entrichtungsschuld (Sollbetrag) nicht von Bedeutung (z. B. BFH-Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, BStBl II 2013, 929). Diese Auffassung sei denkgesetzlich nicht nachvollziehbar und stehe zudem im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen; daher sei diese Auffassung für die Finanzverwaltung auch nicht anwendbar (vgl. BMF-Schreiben vom 07.11.2013, BStBl I 2013, 1474).
22Hiergegen richtet sich die Klage, mit welcher der Kläger weiterhin die Änderung der Lohnsteueranmeldung zu seinen Gunsten geltend macht. Zur Begründung verweist er auf das BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 70/08 (BStBl II 2012, 493). Hiernach könne auch ein beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer die Lohnsteueranmeldung des Arbeitgebers, soweit sie ihn, den Arbeitnehmer, betreffe, aus eigenem Recht anfechten und eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO beantragen. Für den Arbeitnehmer sei – im Gegensatz zum Arbeitgeber - die Änderungssperre nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG nicht maßgeblich. Daher sei er hier auch rechtlich unerheblich, ob die Neuregelung des § 41c Abs. 3 Satz 4 bis 6 EStG bereits für den Streitfall anwendbar sei.
23Darüber hinaus habe der Kläger als beschränkt Steuerpflichtiger nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung ein Erstattungsanspruch in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG. Dieser bestehe auch unabhängig von der potentiellen Sperrwirkung des § 41c Abs. 3 EStG.
24Der Kläger beantragt,
25unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 14.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2015 den Beklagten zu verpflichten, die Lohnsteueranmeldung des Monats September 2012 der C AG für den Kläger auf 2.222,41 € Lohnsteuer und 122,23 € Solidaritätszuschlag herabzusetzen,
26hilfsweise,
27die Revision zuzulassen.
28Der Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen;
30hilfsweise,
31die Revision zuzulassen.
32Er betont, dass keine materiell-rechtlichen Einwendungen gegen die Höhe des Erstattungsbetrages bestünden. Allerdings sei hier aus formellen Gründen eine Änderung der Lohnsteueranmeldung ausgeschlossen. Über einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO habe er – was zwischen den Beteiligten unstreitig sei – nicht entschieden.
33Er ist weiterhin der Ansicht, dass im Zeitpunkt der Antragstellung am 07.03.2014 die Sperrwirkung des § 41c Abs. 3 EStG eingetreten sei. Die Lohnbescheinigung weise ein Ausstellungsdatum vom 01.06.2013 aus; es handele sich hier um einen Erstattungsfall. Der beschränkt steuerpflichtige Kläger habe als EU-Staatsangehöriger ein eigenständiges Antragsrecht auf Veranlagung zur Einkommensteuer.
34Die Finanzverwaltung lasse auf der Grundlage des BFH-Urteils vom 30.10.2008 VI R 10/05 (BStBl II 2009, 354) nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung lediglich eine Erhöhung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld durch den Arbeitgeber zu. Anders verhalte es sich bei einer Erstattung von Lohnsteuer nach Ablauf des Kalenderjahres außerhalb des Lohnsteuer-Jahresausgleichs. Eine uneingeschränkte Berichtigungsmöglichkeit könnte darauf hinauslaufen, dass dem Arbeitnehmer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG Beträge angerechnet würden, die dem Arbeitgeber bereits wieder erstattet worden seien oder erst nach der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers noch erstattet würden. Die Gefahr des Steuerausfalls ginge auf die Finanzverwaltung über, was dem Lohnsteuerabzugsverfahren als Massen- und Quellensteuerabzugsverfahren zuwider laufe.
35Die Auffassung, dass die Entrichtungsschuld des Arbeitgebers (Sollbetrag) von der tatsächlich einbehaltenen Lohnsteuer (Istbetrag) getrennt gesehen werden könne, lasse außer Betracht, dass sich der tatsächliche Lohnsteuerabzug ändere, sobald die Entrichtungsschuld gemindert werde. Die Lohnsteuerbescheinigung sei ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden habe. In der Summe mindere sich allerdings die tatsächlich abgeführte Lohnsteuer um den nachträglichen Erstattungsbetrag. Insoweit würden der Istbetrag und damit die Lohnsteuerbescheinigung des Arbeitgebers nachträglich unrichtig. Dann könne die Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr ihre Funktion als Urkunde erfüllen.
36Außerdem könnte die Klage auch deswegen unbegründet sein, weil die Neuregelung des § 41c Abs. 3 Satz 4 bis 6 EStG im Streitfall einschlägig sei. Nach Auffassung von Fissenewert in Herrmann/Heuer/Raupach (HHR), Kommentar u. a. zum EStG, § 41c Rz. 18, sei diese Regelung bereits dann anzuwenden, wenn über den Änderungsantrag i. S. des § 164 Abs. 2 AO nach dem 31.12.2013 zu entscheiden sei, und zwar auch dann, wenn der Antrag eine Lohnsteueranmeldung für einen Veranlagungszeitraum vor 2014 betreffe.
37Im Übrigen sei die Zulassung der Revision erforderlich. Eine höchstrichterliche Entscheidung, die eindeutig und zweifelsfrei den Umfang und den Personenkreis der Sperrwirkung nach § 41c Abs. 3 EStG beschreibe und speziell den beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer im EU–Bereich betreffe, liege bislang nicht vor.
38Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
40E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
411. Die Klage ist zulässig.
42Der Kläger ist klagebefugt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (z. B. BFH-Urteile vom 21.10.2009 I R 70/08, BStBl II 2012, 493; vom 20.07.2005 VI R 165/01, BStBl II 2005, 890; vom 12.10.1995 I R 39/95, BStBl II 1996, 87; jeweils m.w.N.) kann ein Arbeitnehmer – wie hier der Kläger - die Lohnsteueranmeldung seines Arbeitgebers, soweit sie ihn betrifft, aus eigenem Recht anfechten. Wenn ein Anfechtungsrecht gegen die Lohnsteueranmeldung besteht, ist damit zugleich die Möglichkeit eingeräumt, nach dem Eintritt formeller Bestandskraft gegenüber der Finanzbehörde gemäß § 164 Abs. 2 AO eine Änderung der Lohnsteueranmeldung zu begehren.
432. Die Klage ist auch begründet.
44Die Ablehnung eines Änderungsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
45a) Der Beklagte ist nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO verpflichtet, die Lohnsteueranmeldung für den Monat September 2012 - wie beantragt - zu ändern.
46Hiernach kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt der Nachprüfung i. S. des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO wirksam ist.
47aa) Die Voraussetzungen dieser Änderungsvorschrift sind hier erfüllt. Hier liegt eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vor. Eine Steueranmeldung – hier die Lohnsteueranmeldung für September 2012 i. S. des § 41a EStG – steht nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorhalt der Nachprüfung gleich.
48Der Vorbehalt der Nachprüfung war im Zeitpunkt der Antragstellung im März 2014 noch wirksam. Die Festsetzungsfrist war noch nicht abgelaufen (vgl. § 164 Abs. 4 AO).
49Darüber hinaus war die Lohnsteueranmeldung für September 2012 fehlerhaft.
50Der Bruttoarbeitslohn des Klägers war für das Jahr 2012 nicht in vollem Umfang im Inland steuerpflichtig. Soweit der Kläger seine Tätigkeit nicht physisch im Inland ausgeübt hat, und zwar an acht Tagen, unterliegen die Einnahmen nicht der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 4a EStG i.V.m. Art. 15 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) Deutschland - Österreich.
51Für den Monat September 2012 ist demgemäß – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - die Lohnsteuer für den Kläger auf 2.222,41 € und der Solidaritätszuschlag auf 122,23 € herabzusetzen.
52bb) Eine geänderte Festsetzung ist ungeachtet der Regelung des § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 2012 geltenden Fassung möglich.
53Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (z. B. BFH-Urteile vom 13.11.2012 VI R 38/11, BStBl II 2013, 929; vom 21.10.2009 I R 70/08, BStBl II 2012, 493; vom 30.10.2008 VI R 10/05, BStBl II 2009, 354) ist eine Änderung der Festsetzung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld unter den Voraussetzungen des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO auch nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung (§ 41c Abs. 3 EStG) zulässig. Da eine Steueranmeldung nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) gleichsteht, ist sie jederzeit und umfassend änderbar.
54Aus dem Lohnsteuerabzugsverfahren ergeben sich keine Einschränkungen. Nach dem Wortlaut des § 41c Abs. 3 EStG ist zwar eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung und eine Erstattung von Lohnsteuer an den Arbeitnehmer nach Ablauf des Kalenderjahres nur noch im Wege des Lohnsteuer-Jahresausgleichs nach § 42 b EStG durch den Arbeitgeber zulässig. Diese Regelung beschäftigt sich jedoch mit dem Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie mit der Lohnsteuerbescheinigung, nicht jedoch mit der Entrichtungsschuld des Arbeitgebers, also mit dem Verhältnis zwischen Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner und Finanzbehörde, das im Steuerbescheid „Lohnsteueranmeldung“ zum Ausdruck kommt. Eine solche Steuerfestsetzung ist jederzeit - bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist - nach § 164 Abs. 2 AO änderbar (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 28.01.2016 16 K 3444/14 L, Revision eingelegt, Az. BFH: VI R 6/16).
55Soweit der Beklagte geltend macht, dass die Änderungssperre des § 41c Abs. 3 EStG in Erstattungsfällen als lex specialis § 164 Abs. 2 AO vorgehe und Korrekturen nur noch über die Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers erfolgten könnten (kritisch auch Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, unter „Lohnsteuer-Anmeldung“ Rz. 18/5), wird diesem Vorbringen nicht gefolgt. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass das Lohnsteuerabzugsverfahren ein Massenverfahren ist und die Gefahr eines Steuerausfalls gegeben sein kann. Seine Rechtsansicht ist aber dem - jedenfalls für das Streitjahr (2012) gültigen - Gesetz nicht zu entnehmen. Die jederzeitige, umfassende Änderbarkeit von Steuerfestsetzungen, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, ist ein anerkannter Grundsatz des Steuerrechts und gesetzlich geregelt (§ 164 AO). Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Änderungsmöglichkeit nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO mit Hilfe des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 (BGBl I, 1266, 1272) in § 41c Abs. 3 Satz 4 bis 6 EStG erstmals ausdrücklich eingeschränkt (vgl. BMF-Schreiben vom 07.11.2013, BStBl I 2013, 1474, zum BFH-Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, BStBl II 2013, 929).
56Diese Rechtsansicht steht auch nicht im Widerspruch zum BFH-Urteil vom 17.06.2009 VI R 46/07 (BStBl II 2010, 72), mit welchem der BFH die Änderungssperre des § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG bestätigt und eine Korrektur nur noch über die Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers zugelassen hat. Diese Entscheidung betraf einen nicht vergleichbaren Fall. Die Kläger des Ausgangsverfahrens wandten sich gegen den Einkommensteuerbescheid.
57cc) Ferner steht einer Änderung der Lohnsteueranmeldung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO hier auch nicht die Neufassung des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG entgegen.
58Nach dieser Neuregelung ist eine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Ein solcher Fall liegt hier zwar nicht vor. Diese Einschränkung gilt jedoch erst für Änderungen des Lohnsteuerabzugs ab dem Jahr 2014 (vgl. z. B. Heuermann in Blümich, Kommentar u. a. zum EStG, § 41c EStG Rz. 3; Pfirrmann in Bordewin/Brandt, Kommentar zum EStG, § 41c Rz. 1).
59Der Senat schließt sich nicht der Auffassung von Fissenewert (in HHR, § 41c EStG Rz. 18) an, wonach die Neuregelung in § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG bereits dann anzuwenden ist, wenn über den Änderungsantrag i. S. des § 164 Abs. 2 AO nach dem 31.12.2013 zu entscheiden ist, und zwar auch dann, wenn der Antrag eine Lohnsteueranmeldung für einen Veranlagungszeitraum vor 2014 betrifft. Der Gesetzgeber hat vielmehr in § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 (BGBl I, 1266, 1272) zum Ausdruck gebracht, dass die Neufassung des Gesetzes beim Steuerabzug vom Arbeitslohn erstmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnsteuerzahlungszeitraum gezahlt wird. Dies kann nur so ausgelegt werden, dass auch nur Änderungen des Lohnsteuerabzugs für nach dem 31.12.2013 endende Lohnsteuerzahlungszeiträume von der einschränkenden Neuregelung betroffen sind.
60Demgemäß braucht hier nicht entschieden zu werden, ob eine Rückwirkung der Neufassung wegen einer zunächst unklaren Rechtslage verfassungsrechtlich zulässig wäre (so Fissenewert in HHR, § 41c EStG Rz. 18).
61b) Darüber hinaus kann hier offen bleiben, ob dem Kläger auch ein Erstattungsanspruch in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zusteht (so BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 70/08, BStBl II 2012, 493).
623. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
63Dem Beklagten waren nicht nach § 139 Abs. 4 FGO die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Gründen der Billigkeit aufzulegen. Die Beigeladene hat keinen Sachantrag gestellt und hat damit nicht das Risiko getragen, zu unterliegen und mit Kosten belastet zu werden (vgl. Stapperfend in Gräber, Kommentar zur FGO, 8. Aufl., § 139 Rz. 158, m.w.N.).
64Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Insofern wird auch auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren VI R 6/16 hingewiesen.
65Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.