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Unter Aufhebung des Bescheides vom 13.2.2012 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung betreffend die Kinder A und B wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für das Kind A, geb. am 1.4.1987 Kindergeld für die Monate Januar bis April 2012 und für das Kind B, geb. am 27.7.1991 Kindergeld ab Januar 2012 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Tatbestand
2Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland. Mit Antrag vom 26.1.2012 beantragte der Kläger u.a. für seine beiden Kinder A, geb. am 1.4.1987 und B, geb. am 27.7.1991 Kindergeld ab Januar 2012. B war im Streitzeitraum Schüler der 1. Klasse 4 B/S .... (auf die Schulbescheinigung vom 20.4.2013, Bl. 35f. d. FG-Akte wird verwiesen) und lebte im Haushalt der Mutter in Italien. Das Kind A studiert seit August 2008 an der Universität von C (Italien) Psychologie (auf die Studienbescheinigungen vom 20.9.2011, Bl. 28 und v. 20.4.2013, Bl. 37f. d. FG-Akte wird verwiesen) und unterhält dort einen eigenen Haushalt. Bei beiden Kindern handelt es sich um eine erstmalige Berufsausbildung bzw. ein Erststudium. Der Kläger ist in einem Restaurant in D (Deutschland) nichtselbständig tätig. Ein Anspruch auf dem Kindergeld vergleichbare Familienleistungen besteht in Italien nicht, da dort Kindergeld nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt wird. Einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland hat die Kindesmutter nicht gestellt.
3Mit Bescheid vom 13.2.2012 wurde der Kindergeldantrag des Klägers abgelehnt, mit der Begründung, das Kindergeld werde nach § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) der Person gewährt, welche das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe. Vorliegend sei das die Mutter in Italien. Daher könne nach § 63 Abs. 1 Satz 4 EStG i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine Festsetzung ihm gegen-über nicht erfolgen.
4Nach hiergegen erfolglos geführtem Einspruchsverfahren begehrt der Kläger mit seiner Klage weiterhin die Gewährung von Kindergeld für seine beiden Kinder A und B. Er trägt vor, die von der Beklagten zitierten Vorschriften seien nicht einschlägig. Er, der Kläger, erfülle die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld, da er hier in Deutschland lebe und unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei. Die Kindesmutter sei demgegenüber keine Berechtigte im Sinne des § 64 EStG. Sie habe auch keinen Antrag auf Zahlung von Kindergeld für die gemeinsamen Kinder gestellt, eine Anspruchskonkurrenz liege daher nicht vor. Seine Tochter A studiere in Italien Psychologie. Sie habe im April 2012 das 25. Lebensjahr vollendet, weshalb ihm für A bis April 2012 das Kindergeld zustehe. Sein Sohn B gehe noch zur Schule.
5Der Kläger beantragt,
6unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 13.02.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.09.2012 wird die Beklagte verpflichtet, für das Kind A Kindergeld ab Antragstellung bis April 2012 und für B Kindergeld ab Antragstellung in voller Höhe zu gewähren.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Der Beklagtenvertreter führt aus, die Mutter der Kinder habe auf Grund der in Art. 67 und 68 der VO(EG) 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO(EG) Nr. 998/2009 niedergelegten sogenannten Familienbetrachtung in Deutschland nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG einen Anspruch auf Kindergeld, da das Kindergeld nur demjenigen gezahlt werden könne in dessen Haushalt das Kind lebe und dies sei hier die Kindesmutter.
10Entscheidungsgründe
11Die Klage ist begründet.
12Zu Unrecht hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf Kindergeld für seinen Sohn B und seine Tochter A, mit der Begründung, der Kindergeldanspruch stehe dem Kläger aufgrund der Haushaltszugehörigkeit der Kinder bei der Mutter nicht zu, abgelehnt.
13Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat u.a. derjenige, der seinen Wohnsitz im Inland hat, Anspruch auf Kindergeld für ein Kind im Sinne des § 32 EStG, das ebenfalls seinen Wohnsitz im Inland oder aber im EU-Ausland oder in einem EWR-Staat hat (Umkehrschluss aus § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger hat seinen Wohnsitz im Inland. Die Kinder waren im Streitzeitraum – für A Januar bis April 2012, für B Januar bis September 2012 (Datum der Einspruchsentscheidung) – berücksichtigungsfähig nach § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG. Beide Kinder befanden sich in einer erstmaligen Ausbildung und beide hatten ihren Wohnsitz im EU-Ausland.
14Der hiernach gegebene Anspruch des Klägers auf volles deutsches Kindergeld (§ 66 Abs. 1 Satz 1 EStG) wird weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht ausgeschlossen.
15Insbesondere steht dem Anspruch des Klägers § 63 Abs. 1 Satz 4 EStG i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nicht entgegen. Dies würde einen Anspruch der Mutter nach § 1 BKGG voraussetzen. Hierfür bestehen nach Aktenlage keine Anhaltspunkte und wurden von der Beklagten auch nicht vorgetragen.
16Schließlich steht dem Kindergeldanspruch des Klägers auch § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht entgegen, da beide Kinder über 18 Jahre alt sind und Kindergeld in Italien nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt wird.
17Auch aufgrund unionsrechtlicher Vorschriften wird der inländische Anspruch auf Kindergeld nicht ausgeschlossen. Insbesondere ist nach Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO(EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit v. 19.4.2004 (Amtsblatt der Europäischen Union, L 166/1) auf den Kläger als einem in Deutschland Beschäftigten ausschließlich deutsches Recht anzuwenden. Zwar sind bei Zusammentreffen von Leistungen mehrerer Mitgliedstaaten, die aus demselben Grund zu gewähren sind, nämlich auf Grund einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gem. Art 68 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Buchstabe b) i) VO(EG) Nr. 883/2004, die Familienleistungen des Mitgliedstaates vorrangig zu gewähren, in dem das Kind wohnt. Da vorliegend jedoch kein Kindergeldanspruch in Italien besteht, fehlt es bereits an einer Konkurrenzsituation i.S.d. Vorschrift, für die eine Rangfolge zu bestimmen wäre (vgl. FG Köln v. 30.1.2013 15 K 3230/11, EFG 2013, 795).
18Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der inländische Kindergeldanspruch des Klägers auch nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO(EG) Nr. 987/2009 v. 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO(EG) Nr. 883/2004 (Amtsblatt der Europäischen Union, L 284/1) ausgeschlossen. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG erhält bei mehreren Berechtigten derjenige Berechtigte das Kindergeld, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Hierbei kann dahin- stehen, ob auch die Tochter A trotz ihres eigenen Haushalts in C noch dem Haushalt der Mutter zuzurechnen ist, oder ob nicht vielmehr bezüglich A mangels Aufnahme in den Haushalt der Mutter die Berechtigtenbestimmung ggf. nach § 64 Abs. 3 zu erfolgen hätte, denn sowohl § 64 Abs. 2 als auch Abs. 3 EStG setzen voraus, dass es mehrere Berechtigte gibt, die jeweils einen inländischen Kindergeldanspruch nach § 62 ff. EStG haben. Dies ist hier nicht der Fall. Die Mutter hat einen solchen Anspruch nicht. Sie hat weder im Inland ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG), noch liegen die Voraussetzungen einer inländischen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 bzw. Abs. 3 EStG vor (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Auch die Regelung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO(EG) Nr. 987/2009 führt nicht dazu, dass die in Italien lebende Kindesmutter zur Anspruchsberechtigten i.S.d. § 64 Abs. 2 EStG würde. Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO(EG) Nr. 987/2009 ist bei der Anwendung der Art. 67 und 68 derVO(EG) Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Diese Vorschrift trägt dem Gedanken Rechnung, dass Familienleistungen wie Elterngeld, Erziehungsgeld oder Unterhaltsvorschüsse nicht dadurch ausgeschlossen sein sollen, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nur von dem Ehepartner bzw. Elternteil, der nicht im Beschäftigungsland wohnt, verwirklicht werden (vgl. hierzu im Einzelnen FG Düsseldorf v. 9.2.2012 16 K 1564/11 Kg, EFG 2012, 1369 mit Verweis auf die zugrunde liegende EuGH-Rechtsprechung). Die Vorschrift bezweckt demgegenüber nicht, einen unstreitig bestehenden Kindergeldanspruch dem Anspruchsinhaber unter Hinweis auf seine Familienangehörigen zu versagen. Angesichts des durch Art. 1 Ziff. 18 der VO(EG) Nr. 988/2009 v. 16.9.2009 zur Änderung der VO(EG) Nr. 883/2004 eingeführten Art. 68 a VO(EG) Nr. 883/2004, der dem im Ausland lebenden Familienangehörigen den Zugriff auf das deutsche Kindergeld ermöglicht, wenn es nicht für den Kindesunterhalt verwendet wird, besteht auch gar kein Bedürfnis für eine eigene An-spruchsberechtigung des im Ausland lebenden Familienangehörigen. Mangels An-spruchsberechtigung der Kindesmutter kommt daher weder eine Berechtigtenbestimmung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG noch nach § 64 Abs. 3 EStG zugunsten der Mutter in Betracht.
19Aber selbst wenn man mit der Beklagten davon ausgeht, dass Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO(EG) Nr. 987/2009 geeignet ist, einen eigenen Kindergeldanspruch der in Polen lebenden Mutter im Inland zu begründen, stünde auch dies vorliegend dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Denn Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO(EG) Nr. 987/2009 regelt ausdrücklich, dass dann, wenn eine anspruchsberechtigte Person ihren Anspruch nicht wahrnimmt, der Antrag des anderen Elternteils zu berücksichtigen ist. Da die Klägerin keinen Antrag auf Kindergeld im Inland gestellt hat, ist auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Beklagten zur Anwendbarkeit des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO(EG) Nr. 987/2009 dem Antrag des Klägers stattzugeben.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.