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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
2Streitig ist, ob eine ursprünglich gem. § 35 Einkommensteuergesetz (EStG) gewährte Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte in bestandskräftig gewordenen Einkommensteuer (ESt)-Bescheiden nach Umqualifizierung der Einkünfte in solche aus selbständiger Arbeit und Aufhebung der parallel ergangenen Festsetzungen von Gewerbesteuer-Messbeträgen durch entsprechende Änderung nicht mehr zu berücksichtigen ist.
3Die Kläger (Kl.) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die Klägerin (Klin.) ist als Berufsbetreuerin tätig. Die Gewinne ermittelte sie in den Streitjahren gem. § 4 Abs. 3 EStG durch Ansatz des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben. Die Gewinne betrugen im Jahr 2001: xx.xxx DM und im Jahr 2004: xx.xxx €.
4Daneben erzielten beide Kl. in den Streitjahren 2001 und 2004 Einkünfte aus nicht-selbständiger Arbeit und solche aus Kapitalvermögen, über deren steuerliche Behandlung kein Streit besteht. Der Gesamtbetrag der Einkünfte betrug im Jahr 2001 xxx.xxx DM und im Jahr 2004 xx.xxx €.
5Ursprünglich hatte das Finanzamt (FA) die Einkünfte der Klin. als Berufsbetreuerin entsprechend der damaligen Rechtsauffassung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 04.11.2004 IV R 26/03, BStBl. II 2005, 288) als solche aus Gewerbebetrieb qualifiziert. Auf der Grundlage der erklärten Gewinne hatte es für die Jahre 2001 und 2004 Gewerbesteuer-Messbeträge festgesetzt, und zwar für 2001 auf xxx DM (xx,xx €) und für 2004 auf xxx €.
6Bei der Veranlagung zur ESt des Jahres 2001 mit dem Bescheid vom 25.11.2004 hatte das FA wegen der gewerblichen Einkünfte die ESt gem. § 35 EStG um 265 DM ermäßigt. Für 2004 war aus diesem Grund die ESt in dem Bescheid 03.11.2006 um 393 € niedriger festgesetzt. Die ESt-Festsetzungen beider Streitjahre wurden bestandskräftig.
7Die die Jahre 2001 und 2004 betreffenden GewSt-Messbescheide sowie der GewSt-Messbescheid des Vorjahres 2000 wurden von der Klin. mit der Begründung, dass die von ihr erzielten Einkünfte nicht gewerblicher Natur seien, angefochten. Das Verfahren wurde zunächst allein wegen des GewSt-Messbetrages 2000 weiter geführt. Nachdem die wegen dieses Bescheids beim FG Münster erhobene Klage – 6 K 2787/03 G - zunächst erfolglos geblieben war, änderte der BFH in dem daraufhin geführten Revisionsverfahren VIII R 14/09 seine Rechtsauffassung und qualifizierte die Einkünfte der Klin. als Berufsbetreuerin als solche aus selbständiger Arbeit. Den angefochtenen Gewerbesteuer-Messbescheid 2000 hob der BFH mit dem Urteil vom 15.06.2010 auf – Az: VIII R 14/09 (BStBl. II 2010, 909).
8In den danach noch offenen Einspruchsverfahren betreffend GewSt-Messbescheide 2001 (Höhe: xxx DM bzw. xx,xx €) und 2004 (Höhe: xxx €) behandelte das FA nunmehr die in diesen Jahren aus der Betreuungstätigkeit der Klin. erzielten Einkünfte ebenfalls als freiberuflich. Mit den geänderten Bescheiden vom 25.08.2010 setzte es die GewSt-Messbeträge 2001 und 2004 jeweils auf 0 DM bzw. 0 € fest. Diese Bescheide enthielten die Erläuterung:
9Die Festsetzung des GewSt-Messbetrages wird aufgehoben, vgl. BFH-Urteil vom 15.06.2010 VIII R 14/09.
10Hinsichtlich der Festsetzung der ESt der Jahre 2001 und 2004 vertrat das FA nunmehr die Rechtsauffassung, dass eine Ermäßigung für Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 35 EStG nicht mehr zu berücksichtigen sei. Es sah die Festsetzung der GewSt-Messbeträge als Grundlagenbescheide für den Abzug der Ermäßigungsbeträge an. Nach Aufhebung der Bescheide über die GewSt-Messbeträge waren seiner Meinung nach die ESt-Bescheide dieser Jahre als Folgebescheide gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsprechend zu ändern.
11Mit den daraufhin unter Bezugnahme auf diese Vorschrift ergangenen Änderungsbescheiden vom 30.08.2010 setzte das Finanzamt die ESt für 2001 auf xx.xxx DM (x.xxx,xx €) sowie für 2004 auf x.xxx € fest. In den Erläuterungen war jeweils ausgeführt: „Die Änderung erfolgt aufgrund des Urteils des BFH vom 15.06.2010 (VIII R 14/09). Da keine Gewerbesteuerpflicht besteht, entfällt auch die Steuerermäßigung des § 35 EStG“. Für 2001 waren keine Nachzahlungen zur ESt festgesetzt und für 2004 solche in Höhe von xx €.
12Gegen die ESt-Bescheide legten die Kl. am 28.09.2010 Einspruch ein. Hilfsweise machten sie mit Schreiben vom 09.11.2010 zusätzlich geltend, dass die ESt beider Streitjahre aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO niedriger festzusetzen sei.
13Die Einsprüche wies das FA mit den Einspruchsentscheidungen vom 23.11.2010 betreffend ESt 2001 und vom 22.12.2010 betreffend ESt 2004 als unbegründet zurück. Dass der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag einen Grundlagenbescheid für die Ermittlung der Steuerermäßigung darstelle, ergebe sich aus § 35 Abs. 4 S. 3 EStG. Diese Regelung stelle in verfahrensrechtlicher Hinsicht sicher, dass bei einer Ermäßigung oder auch Erhöhung des Gewerbesteuermessbetrages die Steuerermäßigung beim Steuerpflichtigen auf das zutreffende Anrechnungsvolumen (1,8-fache des Messbetrages) im ESt-Bescheid nach § 175 Abs. 1. S. 1 Nr. 1 AO angepasst werden könne. Nach Aufhebung der Gewerbesteuermessbescheide für 2001 und 2004 als Grundlagenbescheide hätten daher die ESt-Bescheide dieser Jahre als Folgebescheide geändert werden können.
14§ 176 Abs. 1 Nr. 3 AO sei nicht anwendbar. Die Änderung der ESt-Bescheide beruhe nicht auf einer anderweitigen rechtlichen Subsumtion, sondern auf dem Umstand, dass nunmehr ein Grundlagenbescheid aufgehoben sei, der dafür maßgeblich sei, ob eine Steuerermäßigung nach § 35 EStG zu berücksichtigen sei.
15In beiden Einspruchsentscheidungen lehnte das FA auch eine Billigkeitsmaßnahme auf der Grundlage des § 163 AO ab. Seiner Auffassung nach fehlte es an Billigkeitsgründen persönlicher oder sachlicher Art. Insbesondere – so führte das FA weiter aus – könne mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Anpassung eines Folgebescheids an einen Grundlagenbescheid eine sachliche Unbilligkeit nicht begründet werden.
16Gegen diese Einspruchsentscheidungen haben die Kl. Klage erhoben. Sie machen geltend, dass die Änderung der bestandskräftigen ESt-Bescheide zu ihrem Nachteil nicht zulässig gewesen sei. Es sei schon verfehlt, wenn die Änderung mit dem Urteil vom 15.06.2010 VIII R 14/09 (BStBl. II 2010, 909) begründet werde. Eine Änderung von Bescheiden aufgrund eines Urteils, das einen anderen Veranlagungszeitraum (= 2000) und eine andere Steuerart (= Gewerbesteuer) betreffe, ergebe keine Legitimation für die Änderung der im Streitfall betroffenen ESt-Bescheide 2001 und 2004.
17Außerdem dürfe nach § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO bei einer Änderung eines Steuerbescheids zu Ungunsten eines Steuerpflichtigen nicht berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes – hier: BFH – geändert habe. Diese Vorschrift sei auch im Falle einer Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zu beachten. Das ergebe sich aus der Stellung dieser Vorschrift im Gesetz und aus dem Wortlaut. Daraus folge, dass einer Aufhebung oder Änderung auf der Grundlage einer der Vorschriften der § 172 ff. AO ein Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO entgegenstehen könne.
18Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass die Änderung der Gewerbesteuermessbescheide 2001 und 2004 für sich genommen neutral gewesen sei. Erst die Umsetzung dieser Messbescheide über § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO setze die geänderte BFH-Rechtsprechung um.
19Greife § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO ein, sei ein Vertrauen eines Steuerpflichtigen immer schutzwürdig. Unerheblich sei, ob ein Steuerpflichtiger – hier: die Klin. – mit einer Änderung der Rechtsprechung habe rechnen müssen. Zumindest er, der Kl. sei in diesem Vertrauen schutzwürdig, da er von der Aufhebung der Gewerbesteuer-Messbeträge nicht betroffen gewesen sei.
20Schließlich sei jede Steuerart und jeder Abschnitt gesondert zu betrachten. Soweit der BFH seine bisherige Rechtsprechung, dass Berufsbetreuer Gewerbetreibende seien, mit dem Urteil vom 15.06.2010 XIII R 14/09 BStBl. II 2010, 909) dahingehend geändert habe, dass sie nunmehr Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielten, handele es sich um eine Änderung zu ihren, der Kl., Ungunsten, weil nunmehr bei der Festsetzung der ESt die Steuermäßigung nach § 35 EStG nicht mehr gewährt werde. Jede Steuerart und jeder Steuerabschnitt sei gesondert zu betrachten.
21Sollten die geänderten ESt-Bescheide 2001 und 2004 jeweils vom 30.08.2010 rechtmäßig sein, sei aber – hilfsweise – die ESt beider Jahre aus Billigkeitsgründen niedriger festzusetzen. In der Kommentierung werde die Rechtsauffassung vertreten, dass dann, wenn nach geänderter Rechtsprechung über § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO ein Vertrauensschutz nicht möglich sei, ein solcher über § 163 AO gewährt werden müsse. Sie, die Kl., verdienten solches Vertrauen. Sie hätten unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung (u. a. Urteil vom 04.11.2004 IV R 26/03, BStBl. II 2005, 288) nicht damit gerechnet, dass sich diese Rechtsprechung in absehbarer Zeit ändern würde (Beweis: Zeugnis der Frau B S, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/Berufsbetreuerinnen, sowie Zeugnis des Herrn L M, Justitiar des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/Berufsbetreuerinnen). Sie hätten daher auf den Bestand der vorher ergangenen ESt-Bescheide vom 25.11.2004 und 03.11.2006 vertraut. Vor allem habe er, der Kl., keine Rücklagen für eine evtl. Nachzahlung gebildet. Im Vertrauen auf den Bestand der ESt-Bescheide habe er sein Geld komplett ausgegeben. Soweit Gewerbesteuer später erstattet worden sei, habe diese allein die Klin. erhalten. Von ihr sei sie zudem als Betriebseinnahme zu erfassen gewesen, wohingegen die zu zahlende ESt nicht entlastend zu berücksichtigen sei.
22Schließlich seien zumindest die Nachzahlungszinsen über eine Billigkeitsmaßnahme zu erlassen. Sie, die Kl., hätten nicht zu verantworten, dass sie jetzt in einem erheblichen Ausmaß Einkommensteuer nachzahlen müssten. Eine Verzinsung sei dann in höchstem Maße unbillig. Das beklagte FA habe auch nicht auf die Folge einer Verzinsung hingewiesen und die Möglichkeit angeboten, die jetzt nachzuzahlenden ESt‘n vor Beginn der Zinslauffrist zu zahlen. Schließlich sei der Zinssatz von 0,5 v. H. je Monat weit überhöht.
23Die Kl. beantragen,
24die geänderten ESt-Bescheide 2001 und 2004 jeweils vom 30.08.2010 und die Einspruchsentscheidungen vom 23.11.2010 betreffend ESt 2001 und vom 22.12.2010 betreffend ESt 2004 aufzuheben,
25hilfsweise das beklagte FA zu Billigkeitsmaßnahmen dergestalt zu verpflichten, dass die ESt-Bescheide 2001 und 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 30.08.2010 und 23.11.2010 aufzuheben sind,
26hilfsweise das beklagte FA zu einer Billigkeitsmaßnahme zu verpflichten, dass die Nachzahlungszinsen in den ESt-Bescheiden jeweils vom 30.08.2010 über 0 € (2001) und über xx € (2004) zu erlassen sind.
27Das FA beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Unter Hinweis auf die Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen macht es geltend, dass die Vorschrift des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht anwendbar sei. Rechtsgrundlage für die geänderten ESt-Bescheide sei § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Danach sei ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukomme, aufgehoben oder geändert werde. Nach § 35 Abs. 4 S. 3 EStG sei die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags ein solcher Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO. Nachdem die Festsetzungen von Gewerbesteuermessbeträgen für die Streitjahre 2001 und 2004 aufgehoben worden seien, habe es keine Grundlagenbescheide mehr gegeben. Dementsprechend seien die ESt-Bescheide als Folgebescheide zu ändern gewesen.
30Nach der Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO werde vorausgesetzt, dass die Änderung des Steuerbescheids – hier: ESt – mit einer anderweitigen rechtlichen Subsumtion einhergehe. Tatsächlich sei aber die Änderung der ESt-Bescheide 2001 und 2004 nicht im Hinblick auf eine Änderung der Rechtsprechung erfolgt, sondern wegen der Aufhebung von Grundlagenbescheiden. Die Änderung der Rechtsprechung habe zwar die Qualifizierung von Einkünften als gewerblich oder selbständig zum Inhalt gehabt. Diese Qualifizierung aber habe keinen Einfluss auf die Höhe des zu versteuernden Einkommens in beiden Jahren gehabt.
31Hinsichtlich einer Schutzwürdigkeit auf der Grundlage des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO sei zwischen den Eheleuten nicht zu differenzieren. Mit ihrem Antrag auf Zusammenveranlagung hätten die Kl. die steuerliche Behandlung als ein Steuerpflichtiger begehrt.
32Die begehrten Billigkeitsmaßnahmen seien zu Recht versagt worden. Da die geänderte Steuerfestsetzung dem Gesetz entspreche, könne nicht davon gesprochen werden, dass sie den Wertungen des Gesetzgebers entgegenstünde. Insofern seien Billigkeitsgründe sachlicher Art zu Recht verneint worden. Schließlich sei die von den Kl. zitierte Fundstelle aus der Kommentierung – vgl. Tipke-Kruse § 176 AO Tz. 18 - aus dem Zusammenhang gerissen. Danach greife ein Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO gerade nicht ein, wenn ein oberster Gerichtshof des Bundes eine Rechtsfrage erstmals entscheide.
33Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten FA-Akten verwiesen.
34Der Senat hat am 19.12.2012 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
35Die Klage ist unbegründet, soweit es um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der geänderten ESt-Bescheide 2001 und 2004 jeweils vom 30.08.2010 geht.
36In der Sache ist es rechtlich zutreffend, dass bei der Berechnung der festzusetzenden ESt eine Ermäßigung für Einkünfte aus Gewerbebetrieb nicht zu berücksichtigen ist. Nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche ESt, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen mit Ausnahme der §§ 34f und 34g EStG, soweit sie anteilig auf im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt, und zwar bei Einkünften aus gewerblichen Unternehmen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG um das 1,8fache des jeweils für den dem Veranlagungszeitraum entsprechenden Erhebungszeitraum nach § 14 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) für das Unternehmen festgesetzten Steuermessbetrags (GewSt-Messbetrag). Im Streitfall sind von den Kl. gewerbliche Einkünfte nicht erzielt worden. Insbesondere steht fest, dass die von der Klin. erzielten Einkünfte als Berufsbetreuerin solche aus selbstständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind (vgl. BFH-Urteil vom 15.06.2010 VIII R 14/09, BStBl. II 2010, 909). Hierüber besteht kein Streit. Sind aber in beiden Streitjahren keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen, kann es auch keine Steuerermäßigung gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG für gewerbliche Einkünfte geben.
37Soweit in den vorher für die Jahre 2001 und 2004 ergangenen ESt-Bescheiden die Ermäßigung für gewerbliche Einkünfte gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG berücksichtigt war, war deren Änderung zu Ungunsten der Kl. rechtmäßig. Die Bestandskraft der streitigen ESt-Bescheide steht nicht entgegen.
38Rechtsgrundlage ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Danach ist ein Steuerbescheid u.a. dann zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.
39Im Streitfall geht es um die Änderung von Steuerbescheiden. Geändert worden sind am 30.08.2010 die Bescheide betreffend die Festsetzung der ESt 2001 und 2004. Hierbei handelt es sich jeweils um Steuerbescheide.
40Für diese Steuerbescheide resultiert aus den parallel für diese Jahre ergangenen GewSt-Messbescheiden eine Bindungswirkung im Hinblick auf die Steuerermäßigung nach § 35 EStG für gewerbliche Einkünfte. Insofern hat es sich um Grundlagenbescheide i.S.d. § 171 Abs. 10 AO gehandelt. Diese Eigenschaft ergibt sich aus § 35 Abs. 4 Satz 3 EStG betr. das Jahr 2001 bzw. § 35 Abs. 3 Satz 2 EStG für das Jahr 2004. Danach ist für die Ermittlung der Steuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb die Festsetzung des GewSt-Messbetrages ein Grundlagenbescheid. Diese gesetzliche Vorgabe ist eindeutig.
41Im Streitfall sind schließlich auch die GewSt-Messbescheide der Jahre 2001 und 2004 aufgehoben worden. Beide Bescheide waren angefochten. Sie waren nach Meinung der Klin. rechtswidrig, weil die von ihr erzielten Einkünfte nicht gewerblicher Natur, sondern solche aus selbstständiger Arbeit seien, so dass GewSt-Messbeträge nicht festzusetzen waren. Dieser Auffassung war das FA gefolgt, nachdem der BFH in dem Revisionsverfahren VIII R 40/09 (BStBl II 2010, 909) wegen des Vorjahres 2000 die Beurteilung von Einkünften eines Berufsbetreuers als gewerblich geändert und als solche aus selbstständiger Arbeit angesehen hatte.
42Das FA hat zwar unter dem Datum 25.08.2010 jeweils auf 0 DM bzw. 0 € lautende GewSt-Messbeträge festgesetzt. Hierbei aber handelt es sich dem wahren Gehalt nach um die Festsetzung von GewSt-Messbeträgen aufhebende Bescheide. Dies ergibt sich im Wege einer Auslegung.
43Verwaltungsakte sind unter Heranziehung des Rechtsbedankens des § 133 BGB einer Auslegung zugänglich. Es kommt nicht auf dasjenige an, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern darauf, wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 28.08.1982 IV R 31/82, BStBl II 1983, 23). Da ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO), muss die Auslegung einen Anhalt in der bekannt gegebenen Regelung haben (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 28.11.1985, IV R 178/83, BStBl II 1986, 293).
44Hiernach ergibt sich im Streitfall, dass die zuvor erteilten GewSt-Messbescheide der Jahre 2001 und 2004 in Wahrheit aufgehoben werden sollten. In der den Bescheiden jeweils vom 25.08.2010 beigefügten Begründung ist aufgeführt, dass die betreffenden Festsetzungen aufgehoben werden sollten. Soweit das FA zusätzlich auf das Urteil des BFH vom 15.06.2010 VIII R 14/09 (BStBl. II 2010, 909) hingewiesen hat, ist dies erkennbar zur Begründung geschehen, dass nunmehr Einkünfte aus Gewerbebetrieb bei der Klin. nicht mehr zu berücksichtigen sein sollten, weil die von ihr als Berufsbetreuerin erzielten Einkünfte unter Beachtung der Grundsätze dieses Urteils als solche aus selbstständiger Arbeit zu qualifizieren waren.
45Waren aber auf Grund von Rechtsbehelfen die zuvor erteilten GewSt-Messbescheide der Jahre 2001 und 2004 aufgehoben, war die Folge, dass nunmehr auch für die parallel ergangenen ESt-Bescheide dieser Jahre die entsprechenden steuerlichen Folgerungen zu ziehen waren. Eine Ermäßigung für gewerbliche Einkünfte gemäß § 35 Abs. 1 EStG war damit nicht mehr zu gewähren.
46Das FA hat die Rechtsgrundlage für die Änderungen auch bezeichnet. In den die angefochtenen ESt-Bescheide jeweils vom 30.08.2010 bestätigenden Einspruchsentscheidungen vom 23.11.2010 betreffend ESt 2001 und vom 22.12.2010 betreffend ESt 2004 hat es auf die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hingewiesen.
47Soweit die Kl. der Auffassung sind, dass § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO einer Änderung zu ihrem Nachteil entgegen stehe, ist ihnen nicht zu folgen. Nach dieser Vorschrift darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zu Ungunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.
48Die Kl. verkennen bereits, dass ESt-Festsetzungen, um die es im Streitfall geht, von der geänderten Rechtsprechung des BFH zur Beurteilung von Einkünften eines Berufsbetreuers als nicht gewerblich (vgl. Urteil vom 15.06.2010 VIII R 14/09, BStBl. II 2010, 909) nicht unmittelbar betroffen waren. Diese Rechtsprechung hatte sich nur auf die Festsetzung von GewSt-Messbeträgen bezogen.
49Entgegen der Rechtsauffassung der Kl. können die vom Streitfall betroffenen ESt-Festsetzungen auch nicht isoliert betrachtet werden. Sie verkennen, dass der Aufhebung der GewSt-Messbescheide als Grundlagenbescheide und der Änderung der ESt-Bescheide als Folgebescheide ein einheitlicher Lebensvorgang zugrunde liegt. Denn die Entscheidung über die Gewerblichkeit der von der Klin. in den Streitjahren erzielten Einkünfte war für die Anwendung des § 35 EStG aufgrund desselben Tatbestandsmerkmals zu treffen wie die Entscheidung über deren Gewerblichkeit als Voraussetzung für den Erlass von GewSt-Messbescheiden. Bei einer zusammenfassenden Betrachtung aber hat sich die geänderte Rechtsprechung des BFH nicht zu Ungunsten der Kl. ausgewirkt. Es ist zwar richtig, dass die Steuerermäßigung des § 35 EStG weggefallen ist, und zwar für 2001 in Höhe von xxx DM und für 2004 in Höhe von xxx €. Zugleich ist aber auch die Belastung mit GewSt entfallen. Bei Hebesätzen von jeweils xxx v. H. hat dies für 2001 xxx DM (xxx €) ausgemacht (xxx DM x xxx v. H.) und für 2004 xxx € (xxx € x xxx v. H).
50Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei dem Kl. ein Vertrauen darauf, dass eine Steuerermäßigung wegen gewerblicher Einkünfte zu berücksichtigen sein sollte, für seine Person nicht eingreifen kann. Die gewerblichen Einkünfte sind nicht von ihm, sondern von der mit ihm zusammen veranlagten Klin. – Ehefrau – erzielt worden.
51Das FA hat die ESt-Bescheide der Jahre 2001 und 2004 innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Festsetzungsfristen geändert. Maßgeblich ist § 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Soweit für die Festsetzung einer Steuer – hier: ESt-Festsetzungen 2001 und 2004 – ein Grundlagenbescheid – hier: Festsetzung eines GewSt-Messbetrages bzw. dessen Aufhebung – bindend ist, endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Im Streitfall wurden die GewSt-Messbescheide am 25.08.2010 aufgehoben. Die ESt-Festsetzungen wurden am 30.08.2010 geändert. Dass dies innerhalb von zwei Jahren geschehen ist, ist offensicht-lich.
52Soweit es um die begehrte Billigkeitsmaßnahme geht, ist die Klage ebenfalls unbegründet.
53Die Kl. haben keinen Anspruch auf eine niedrigere Festsetzung der ESt der Jahre 2001 und 2004 im Billigkeitswege. Das FA hat Billigkeitsgründe ermessensfehlerfrei verneint.
54Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
55Bei der Entscheidung über den begehrten Erlass im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung. Diese ist gemäß § 102 FGO grundsätzlich nur eingeschränkt von den Gerichten überprüfbar (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS OGB 3/70, BStBl. II 1972, 603). Ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt („Ermessensreduzierung auf 0“, vgl. u.a. BFH-Urteil vom 25.01.1996 IV R 91/94, BStBl II 1996, 289). Derartige Billigkeitsgründe liegen nicht vor.
56Persönliche Gründe waren von den Kl. nicht geltend gemacht. Persönliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz eines Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Die wirtschaftliche Existenz ist gefährdet, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.1987 IV R 298/84, BStBl. II 1987, 612). Solche Gründe sind nicht geltend gemacht und nach Aktenlage auch nicht zu sehen. Zu bedenken ist, dass bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte im Jahr 2001 in Höhe von xxx.xxx DM und einen solchen im Jahr 2004 in Höhe von xx.xxx € die Erhöhungen der ESt im Jahr 2001 nur xxx DM und im Jahr 2004 lediglich xxx € betragen haben. Das FA hat sich in den Einspruchsentscheidungen vom 23.11.2010 und 22.12.2012 daher auch zu Recht nicht weiter mit in der Person eines Steuerpflichtigen liegenden Billigkeitsgründen befasst.
57Der Vortrag der Kl. im gerichtlichen Verfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die auf Grund der geänderten ESt-Festsetzungen 2001 und 2004 vom 30.08.2010 nachzuzahlenden Beträge längst vorher verbraucht waren, kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass deren Höhe – 2001: xxx DM, 2004: xxx € - die wirtschaftliche Existenz der Kl. gefährdet erscheinen lassen könnte.
58Sachliche Billigkeitsgründe greifen entgegen der Rechtsauffassung der Kl. ebenfalls nicht ein. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwider läuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen jedoch keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteil vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155). Ein Erlass aus Billigkeitsgründen darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung eines einen Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen (vgl. BFH-Urteil vom 11.07.1996 V R 18/95, BStBl. II 1997, 259).
59Diesen Gesichtspunkt hat das FA zutreffend berücksichtigt. Es hat ausgeführt, dass der GewSt-Messbescheid einen Grundlagenbescheid für die Festsetzung der ESt darstellt. Wegen der gesetzlich angeordneten (vgl. §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 171 Abs. 10 AO) Bindung eines Folgebescheids an einen Grundlagenbescheid habe ein Billigkeitsgrund sachlicher Art von vornherein außer Betracht zu bleiben.
60Abgesehen davon entspricht es auch den gesetzlichen Wertungen des § 35 EStG, dass bei der Festsetzung der ESt eine Ermäßigung nur zu berücksichtigen ist, wenn es sich bei den Einkünften um solche aus Gewerbebetrieb handelt. Der Grund für die Ermäßigung liegt darin, dass solche Einkünfte nicht allein der ESt, sondern auch zusätzlich der GewSt unterliegen. Es ist dann gerechtfertigt, diese zusätzliche steuerliche Belastung bei der Bemessung der Höhe der ESt mindernd zu berücksichtigen. Für Einkünfte anderer Art kann diese Überlegung nicht zutreffen.
61Auch der Gesichtspunkt, dass die nachzuzahlende ESt nicht entlastend berücksichtigt werde, wohingegen die nach Aufhebung der GewSt-Messbescheide zu erstattende GewSt als betriebliche Einnahme zu erfassen sei, führt nicht weiter. Dies entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Die ESt ist gemäß § 12 Nr. 3 EStG nicht abzugsfähig. Dagegen handelt es sich bei der GewSt um eine als Betriebsausgabe zu berücksichtigende Steuer. Da sie im Streitfall zunächst nach der Festsetzung von GewSt-Messbeträgen für die Jahre 2001 und 2004 gezahlt war, hatten die entsprechenden Beträge zu diesen Zeitpunkten Betriebsausgaben darstellt. Es ist nur folgerichtig, dass dann die nach Aufhebung der GewSt-Messbescheide folgende Zurückzahlung der GewSt in korrespondierender Höhe, wie sie vorher abgezogen war, betriebliche Einnahmen darstellen.
62Soweit die Kl. im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme erstmals im Klageverfahren den Erlass von Nachzahlungszinsen begehren, ist die Klage nicht zulässig. Es fehlt an einem Vorverfahren gemäß § 44 FGO.
63Bei diesem Antrag handelt es sich um ein anders geartetes Begehren, als es bisher beim FA geltend gemacht war. Vorher war es allein um die Belastung mit der höher festgesetzten ESt der Jahre 2001 und 2004 gegangen. Von Nachzahlungszinsen war nicht die Rede.
64Eine Klage kann zwar unter den Voraussetzungen der §§ 45 FGO (Sprungklage) oder 46 FGO (Untätigkeitsklage) auch ohne Vorverfahren zulässig sein. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen aber erkennbar nicht vor.
65Abgesehen davon ist zu beachten, dass es um das Begehren nach einer Billigkeitsmaßnahme geht, über das zuvor die Behörde eine Ermessensentscheidung zu treffen hat. Bevor eine solche nicht ergangen ist, ist das Gericht zu einer Überprüfung nicht in der Lage.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.