Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der
Q AG, J-Straße, #### O,
Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte M, B-Straße, ##### T,
gegen die Entscheidung des Bundeskartellamts vom ##.10.2008 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antragstellerin auch Einsicht in sämtliche um Geschäftsgeheimnisse und interne Vorgänge bereinigte in dem Verfahren B#-###/## vom Bundeskartellamt sichergestellte Asservate zu gewähren ist.
Die Kosten des gerichtlichen Entscheidungsverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beteiligten trägt die Antragstellerin.
G r ü n d e :
2I.
3Das Bundeskartellamt führte ein Kartellordnungswidrigkeitenverfahren gegen mehrere Hersteller von Dekorpapier wegen des Verdachts wettbewerbsbeschränkender Absprachen bzw. abgestimmter Verhaltensweisen bezüglich Preisen und Kapazitätsstilllegungen. Im November 20## durchsuchte das Bundeskartellamt mehrere Betroffene, wobei umfangreiche Asservate sichergestellt wurden. Infolge der Durchsuchung stellten mehrere Betroffene sogenannte Bonusanträge gemäß der Bekanntmachung des Bundeskartellamts Nr. #/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen. Im Januar 20## erließ das Bundeskartellamt mehrere Bußgeldbescheide wegen Preis- und Kapazitätsstilllegungsabsprachen u.a. gegen die drei vorgenannten Betroffenen. Das Bundeskartellamt stützte sich dabei auch auf Artikel 101 AEUV. Diese Bußgeldbescheide wurden nicht angegriffen und sind rechtskräftig.
4Mit Schreiben vom ##.02.20## beantragte die Antragstellerin beim Bundeskartellamt umfassende Akteneinsicht. Zur Begründung führte sie aus, sie und ihre konzernverbundenen Unternehmen seien Abnehmer der Dekorpapierhersteller und hätten von diesen in den letzten drei Jahren Waren im Wert von mehr als 60 Millionen Euro bezogen. Folglich sei davon auszugehen, dass man kartellbedingt überhöhte Preise für diese Waren bezahlt habe. Die Akteneinsicht diene zur Prüfung und Vorbereitung etwaiger Schadensersatzklagen.
5Im Mai 20## übersandte das Bundeskartellamt den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin drei Bußgeldbescheide, die es Ende Januar 20## in diesen Verfahren erlassen hatte, sowie ein Verzeichnis der bei der Durchsuchung im November 20## sichergestellten Beweismittel. Daraufhin beantragte die Antragstellerin Akteneinsicht in sämtliche Unterlagen dieses Verfahrens einschließlich der sichergestellten Beweismittel.
6Mit Schreiben vom ##.10.20## setzte das Bundeskartellamt die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin darüber in Kenntnis, dass das Bundeskartellamt beabsichtige, dem Antrag teilweise stattzugeben und die Akteneinsicht auf die um Geschäftsgeheimnisse, interne Unterlagen und Unterlagen im Sinne von Rnr. 22 der Bonusregelung des Bundeskartellamts bereinigte Fassung der Verfahrensakte zu begrenzen. Eine weitergehende Einsicht in die Beweismittel solle nicht gewährt werden.
7Gegen diese Entscheidung stellten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am ##.11.20## Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
8Mit Beschluss vom ##.02.20## ordnete das Amtsgericht C an, dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin Akteneinsicht zu gewähren in die um Geschäftsgeheimnisse und interne Vorgänge bereinigte Fassung der Verfahrensakte B#-###/## des Bundeskartellamts. Akteneinsicht sei in vorgenanntem Umfang auch in die beigezogenen Asservate zu gewähren.
9Nach Anhörungsrüge versetzte das Amtsgericht mit Beschluss vom ##.03.20## das Verfahren in die Lage vor Erlass des vorgenannten Beschlusses vom ##.02.20## zurück.
10Mit Beschluss vom ##.08.20## setzte das Amtsgericht C schließlich das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Artikel 234 EG zur Vorabentscheidung vor: Sind die kartellrechtlichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere die Artikel 11 und 12 VU Nr. 1/2003 sowie Artikel 10 Abs. 2 i. V. m. Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe g, dahingehend auszulegen, dass Geschädigte eines Kartells zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche keine Akteneinsicht in Bonusanträge und von Bonusantragstellern in diesem Zusammenhang freiwillig herausgegebene Informationen und Unterlagen erhalten dürfen, die eine mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörde nach Maßgabe eines nationalen Bonusprogramms im Rahmen eines (auch) auf die Durchsetzung von Artikel 81 EG gerichteten Bußgeldverfahrens erhalten hat?
11Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts erkannte der Gerichtshof am 14.06.2011 (Rechtssache C-360/09) für Recht, dass die kartellrechtlichen Bestimmungen der Union, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 101 und 102 AEUV niedergelegten Wettbewerbsregeln, dahin auszulegen seien, dass sie es nicht verbieten, dass eine durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union geschädigte und Schadensersatz fordernde Person Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält, die den Urheber dieses Verstoßes betreffen. Es sei jedoch Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts unter Abwägung der unionsrechtlichen geschützten Interessen zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen dieser Zugang zu gewähren oder zu verweigern ist.
12II.
13Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, aber mit der tenorierten Maßgabe unbegründet. Die Entscheidung des Bundeskartellamts vom ##.10.20## ist insoweit zu Recht ergangen.
141.
15Die Antragstellerin ist als Verletzte anzusehen. Es ist davon auszugehen, dass sie als Abnehmerin von Dekorpapier im Kartellzeitraum möglicherweise durch die Kartellabsprachen kartellbedingt überhöhte Preise gezahlt und damit unmittelbar in ihren Rechten verletzt worden ist.
162.
17Die Antragstellerin hat grundsätzlich auch ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt.
18Ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht besteht insbesondere dann, wenn es der Prüfung der Frage dienen soll, ob und in welchem Umfang der Verletzte gegen den Beschuldigten Schadensersatzansprüche geltend machen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.12.2008, 2 BvR 1043/08, zitiert nach juris, Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 406 e Rn. 3).
19Dies ist vorliegend der Fall. Die Antragstellerin hat dargelegt, dass die Akteneinsicht der Prüfung und Vorbereitung etwaiger Schadensersatzklagen dienen soll. Entsprechende Ersatzansprüche können der Antragstellerin zustehen, da sie als Abnehmerin von Dekorpapier möglicherweise kartellbedingt überhöhte Preise gezahlt hat.
203.
21Die Versagung von Akteneinsicht in Unterlagen im Sinne von Randziffer 22 der Bonusregelung des Bundeskartellamtes ist nicht zu beanstanden. Dies ergeben die Versagungsgründe nach nationalem Recht unter Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen.
22a.
23Die Akteneinsicht ist vorliegend bereits nach § 406 Abs. 2 S. 2 StPO zu versagen.
24Nach dieser Regelung kann die Akteneinsicht versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint.
25Mit der Gefährdung des Untersuchungszwecks ist die Gefahr einer Beeinträchtigung der Sachaufklärung gemeint (vgl. Löwe/Rosenberg, StPO 26. Auflage, § 406 e Rn. 13). Dies gilt auch nach Erhebung der öffentlichen Klage (Meyer-Goßner, a. a. O. § 406e Rn. 6a). Der Begriff "erscheint” macht deutlich, dass die Voraussetzung der Gefährdung nicht feststehen muss (Löwe/Rosenberg, a. a. O.). Bei der Beurteilung einer etwaigen Gefährdung des Untersuchungszwecks besteht ein weiter Entscheidungsspielraum (BGH, Beschluss vom 11.01.2005, 1 StR 498/04 zitiert nach juris).
26Dies ist vorliegend der Fall.
27Der Zweck der Untersuchungen durch das Bundeskartellamt ist die Aufdeckung und Verfolgung von Wettbewerbsverstößen. Deren Aufdeckung und Verfolgung aber erscheint vorliegend gefährdet, wenn der Antragstellerin im konkreten Fall Akteneinsicht auch in die Unterlagen im Sinne von Randziffer 22 der Bonusregelung gewährt werden würde. Es darf nämlich angenommen werden, dass in diesem Fall ein an einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung Beteiligter sich künftig davon abhalten lässt, von der Bonusregelung Gebrauch zu machen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.06.2011, C-360/09, Rn. 27). Die Sachaufklärung dieser Wettbewerbsverstöße wäre damit beeinträchtigt.
28Im Rahmen der Bonusanträge macht der Kronzeuge freiwillig umfangreiche Angaben zu Gegenstand und Beteiligten eines Wettbewerbsverstoßes. Diese gehen in der Regel deutlich über die beim Bundeskartellamt bekannten Umstände hinaus. Der Kronzeuge gibt in seinem Bonusantrag mehr Informationen preis als die übrigen Beteiligte des Wettbewerbsverstoßes, die keinen Bonusantrag gestellt haben. Hierbei handelt es sich um Unterlagen, die den Kronzeugen selbst belasten. Diese enthalten meist umfangreiche Angaben zu Art, Dauer und Umfang seiner Beteiligung am angezeigten Wettbewerbsverstoß. Würde der Antragstellerin auch Einsicht in die diese Informationen enthaltenen Bonusanträge gewährt werden, würde sich die ohnehin schon für den Kronzeugen bestehende Gefahr noch weiter erhöhen, dass der Verletzte gegen ihn zivilrechtliche Schadensersatzforderungen geltend macht. Je höher – wie hier - diese mögliche Schadensersatzforderung und je größer das Risiko ihrer Geltendmachung ist, desto eher könnte der potentielle Kronzeuge geneigt sein, keinen Bonusantrag zu stellen (vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts in der Sache C-360/09, Rn. 38). Diese Gefahr kann gerade bei Beteiligten bei besonders sorgfältig und geheim geplante und durchgeführten so genannten "hard core-Kartellen” auch kaum durch den Anreiz kompensiert werden, dass bei einem Bonusantrag keine Geldbuße verhängt oder diese ermäßigt wird. Die Gefahr der Entdeckung solcher Wettbewerbsverstöße ist ohne Bonusantrag in der Regel gering. Ein Kartellbeteiligter könnte daher insgesamt davon absehen, einen Kronzeugenantrag zu stellen oder während des Kronzeugenverfahrens gegenüber einer Wettbewerbsbehörde weniger Bereitschaft zur Kooperation und Offenheit zeigen, je größer die Gefahr der zivilrechtlichen Haftung ist (vgl. Schlussanträge des Generalanwalt, a. a. O.).
29Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass unter Umständen noch gar kein anderes Verfahren eingeleitet worden ist, dessen Untersuchungszweck im Fall der Einsicht in Bonusanträge gefährdet erscheint. Der Wortlaut des § 406e Abs. 2 S. 2 StPO steht dem nicht entgegen. Der Zweck der Untersuchungen des Bundeskartellamts ist die Aufdeckung und Verfolgung von Wettbewerbsverstößen. Dieser aber erscheint vorliegend aus den vorgenannten Gründen gefährdet, wenn der Antragstellerin auch Einsicht in Unterlagen im Sinne von Randziffer 22 der Bonusregelung gewährt werden würde. Die Sachverhaltsaufklärung durch unterbliebene Bonusanträge wird nicht erst beeinträchtigt, wenn ein Verfahren bereits eingeleitet worden ist, sondern erst recht bereits dann, wenn das Bundeskartellamt noch gar keine Information über einen Wettbewerbsverstoß hat und daher noch kein Verfahren eingeleitet hat. Hier spricht im Übrigen auch das unionsrechtlich geschützte Interesse einer wirksamen Kartellbekämpfung durch Kronzeugenprogramme. Deren Wirksamkeit kann durch die Übermittlung von Dokumenten eines Kronzeugenprogramms an Personen, die eine Schadensersatzklage erheben wollen, beeinträchtigt werden, selbst wenn die nationalen Wettbewerbsbehörden die Geldbuße, die sie hätten verhängen können, ganz oder teilweise erlassen (vgl. auch EuGH, a. a. O., Rn. 26).
30Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Die Vorschrift des § 406e StPO bezweckt, dem Verletzten die Informationen zur Verfügung zu stellen, die er für die Prüfung und Wahrnehmung seiner rechtlich geschützten Interessen benötigt (vgl. Bundestagsdrucksache 10/5305, S. 17 f.). Das Informationsinteresse des Verletzten überwiegt aber nicht generell, sondern bedarf einer Abwägung mit gegenläufigen Interessen (vgl. BVerfG, a. a. O.). Auch wenn grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren ist, bedarf es gleichwohl noch einer näheren Bestimmung des Umfangs der Akteneinsicht, denn die Abwägung kann für verschiedene Aktenbestandteile unterschiedlich ausfallen (LG Berlin, Beschluss vom 20.05.2008, 514 AR 1/07, zitiert nach juris). Dabei ist insbesondere zu prüfen, welcher Aktenbestandteil ein Verletzter zur Substantiierung seiner Schadensersatzansprüche bedarf und welche Eingriffsintensität in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten von dem Bekanntwerden der jeweiligen Information ausgeht (LG Berlin, a. a. O.). Vor diesem Hintergrund erscheint das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, die – wie hier -. freiwillig Angaben im Rahmen eines Bonusantrages machen, insoweit im konkreten Fall schutzwürdiger als das Informationsinteresse der Antragstellerin auf Einsicht in diese Unterlagen. Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass der Bonusantragsteller als Beteiligter des Wettbewerbsverstoßes gegenüber dem Verletzten nicht schutzwürdig ist. Jedenfalls bei den freiwilligen Angaben in Bonusanträgen handelt es sich um selbst erstellte Unterlagen, die der Kartellbehörde übermittelt wurden, und den Kronzeugen belasten. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu Beweismitteln dar, die ohnehin bereits bei den Kartellteilnehmern vorhanden sind und daher der Gefahr unterliegen, beschlagnahmt zu werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dem Bonusantragsteller vom Bundeskartellamt Vertraulichkeit zugesichert worden ist und der Bonusantrag in der Erwartung der Erfüllung dieses Vertrauens gestellt wurde. Auch unter Berücksichtigung der berechtigten Informationsinteressen der Antragstellerin erscheint daher gerade auch vor dem Hintergrund des Prinzips der Selbstbelastungsfreiheit das Grundrecht der Bonusantragsteller auf informationelle Selbstbestimmung insoweit im vorgenannten Umfang schutzwürdiger.
31b.
32Die Abwägung unionsrechtlich geschützter Interessen führt zu keinem anderen Ergebnis.
33aa.
34Die wirksame Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV durch Aufdeckung und Beendigung von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht ist ein unionsrechtlich geschütztes Interesse (EuGH, a. a. O., Rn. 24). Kronzeugenprogramme mit entsprechenden Bonusanträgen sind hierfür wirksame Instrumente (EuGH, a. a. O., Rn. 25). Die Wirksamkeit dieser Programme könnte jedoch durch die Übermittlung von Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens an Personen, die eine Schadensersatzklage erheben wollen, beeinträchtigt werden, auch wenn die Nationalwettbewerbsbehörden dem Kronzeugen die Geldbuße, die sie hätte verhängen können, ganz oder teilweise erlassen (EUGH, a. a. O., Rn. 26). Aufgrund des geheimen Charakters von nach Artikel 101 AEUV verbotenen Kartellen erweist sich die tatsächliche Aufdeckung und Untersuchung sowie damit einhergehend schließlich auch das Verbot und die Verfolgung dieser wegen ihrer zerstörerischen Wirkung auf die Wettbewerbsstruktur und oft zu den schwerwiegenderen Verletzungen des Kartellrechts zählenden Verstöße sowohl für die Kommission als auch für die nationalen Wettbewerbsbehörden als schwierig (Schlussanträge des Generalanwalts vom 16.12.2010, Rechtssache C-360/09, Rn. 31). Die Kommission führte daher 1996 Kronzeugenprogramme ein, durch die die Kooperationswilligkeit von Kartellbeteiligten, die zur Aufdeckung und Verfolgung von Kartellen führt, in Form der Nichtfestsetzung oder Ermäßigung von Geldbußen belohnt wird (Generalanwalt, a. a. O., Rn. 31). Auch das im Jahr 2000 vom Bundeskartellamt eingeführte Kronzeugenprogramm mit Bonusanträgen erweist sich als äußerst wirksames Instrument der Kartellbekämpfung (Generalanwalt, a. a. O., Rn. 33). Gerade bei gut geplanten und geheim getroffenen Kartellabsprachen bestehen aber derzeit keine genauso wirksamen Mittel zur Untersuchung und Verfolgung wie Kronzeugenprogramme. Eine allgemeine Beobachtung von Märkten führt in der Regel nicht zu ihrer Entdeckung. Auch Ermittlungsmethoden wie Telefonüberwachung, Lauschangriff und Einsatz verdeckter Ermittler stehen den deutschen Wettbewerbsbehörden jedenfalls für die Verfolgung von Kartellordnungswidrigkeiten nicht zur Verfügung. Schließlich sind Kronzeugenprogramme mit Bonusregelung bei Anwendung kartellrechtlicher Bußgeldverfahren auch rechtlich bedenkenfrei (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.03.2006, Rs. VI-Kart 3/05 (OWi).
35bb.
36Durch die insoweit erfolgte Versagung der Akteneinsicht werden auch keine Interessen der Antragstellerin unangemessen beeinträchtigt. Eine Diskriminierung ist nicht gegeben. Aber auch das Erlangen von Schadensersatz wird für sie im konkreten Fall weder übermäßig erschwert noch praktisch unmöglich gemacht.
37Die Antragstellerin hat bereits Einsicht in diesem Verfahren erlassenen Bußgeldbescheide sowie ein Verzeichnis der bei der Durchsuchung sichergestellten Beweismittel erhalten. Darüber hinaus erhält sie im tenorierten Umfang Akteneinsicht in die Verfahrensakte sowie die Asservate. Ihr Einwand, die Einsicht in die Bußgeldbescheide sei unzureichend, da diese zu kurz seien, überzeugt daher nicht. Ebenso gilt dies auch für das von der Antragstellerin kritisierte Fehlen von Informationen über kartellbedingte Mehrerlöse. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sie im vorgenannten Umfang auch Einsicht in die Verfahrensakte sowie die Asservate erhält. Zusammen mit den Informationen über ihre Umsätze mit den Kartellbeteiligten, die sie bereits in ihrem Antrag beziffert hat, ist daher weder vorgetragen noch aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ersichtlich, dass es der Antragstellerin damit zumindest nicht möglich ist, den ihr eingetretenen Schaden zu ermitteln. Dies gilt umso mehr, weil ihr im Zivilverfahren bei der Berechnung der Höhe des Schadens die Regelung des § 287 ZPO zu Gute kommt.
38Für die vorgenannte Auslegung unter Beachtung und Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen spricht darüber hinaus auch die Tatbestandswirkung der rechtskräftigen Bußgeldbescheide gemäß § 33 Abs. 4 S. 1 GWB. Diese ermöglicht der Antragstellerin die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche, ohne die Verletzung des Wettbewerbsrecht noch beweisen zu müssen. Die private Durchsetzung von Kartellverstößen wird dadurch gerade nicht erschwert, sondern vielmehr erleichtert.
39Auch im Übrigen wird die private Durchsetzung von Kartellverstößen durch die insoweit erfolgte Versagung von Akteneinsicht nicht übermäßig erschwert. Die Antragstellerin erhält nach wie vor Akteneinsicht in die Verfahrensakte einschließlich der Bußgeldbescheide sowie der Asservate. Würde ihr darüber hinaus auch Akteneinsicht in die Bonusanträge gewährt, würde dies aus vorgenannten Gründen den Untersuchungszweck gefährden. Es wäre in diesem Fall zu erwarten, dass künftig von Bonusanträgen seltener Gebrauch gemacht und damit weniger Kartellordnungswidrigkeiten aufgedeckt und durch die Verhängung von Bußgeldbescheiden abgeschlossen werden. Damit würde sich letztlich aber auch die private Durchsetzung von Wettbewerbsverstößen für Verletzte erschweren, weil sie mangels entsprechender Verfahren und Akten auch keine Einsicht in diese erhalten könnten.
404.
41Ebenso wenig kann die Antragstellerin Einsicht in Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse erlangen. Insoweit überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen bzw. anderer Personen gemäß § 406 e Abs. 2 Satz 1 StPO.
425.
43Auch keine Akteneinsicht ist in interne Vorgänge zu gewähren. Nach § 406 e Abs. 1 S. 1 StPO erstreckt sich der Umfang der Akteneinsicht nur auf die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Fall der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären. Zur Akte, in die Einsicht zu gewähren ist, zählen insbesondere nicht die Handakten der Ermittlungsbehörden sowie andere innerdienstliche Vorgänge wie etwa Entwürfe und Notizen (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 147 Rn. 13).
446.
45Hingegen ist im tenorierten Umfang Akteneinsicht auch in die Asservate zu gewähren. Diese gehören zur Akte, in die das Bundeskartellamt der Antragstellerin bereits nach der angefochtenen Entscheidung vom ##.10.20## Akteneinsicht gewährt, soweit sie rechtmäßig zu ihr gelangt sind. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da die Asservate gemäß §§ 94, 98 StPO als Beweismittel anzusehen sind, weil sie für die Untersuchung von Bedeutung sein können (vgl. auch LG Mühlhausen, Beschluss vom 26.09.2005, 9 Qs 21/05). Versagungsgründe liegen insoweit nicht vor.
46Gleiches gilt im Übrigen auch für die Aktenteile, welche solche Firmen betreffen, mit denen die Antragstellerin keine Geschäftskontakte hatte. Ein möglicher Schadensersatzanspruch der Antragstellerin nach § 33 Abs. 3 GWB hängt nicht zwingend davon ab, dass sie zu jeder der am Wettbewerbsverstoß Beteiligten Geschäftskontakte hatte.
477.
48Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i. V. mit 473 StPO.
49Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG.