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Unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten wird das am 02.10.2013 verkündete Urteil des Amtsgerichts Langenfeld – 34 C 154/13 – auf die Anschlussberufung des Klägers wie folgt aufrechterhalten:
Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung im Erdgeschoss des Hauses xxx 45, 40723 xxx nebst Schwimmbad und Sauna im Untergeschoss einschließlich der Garage zu räumen und an den Kläger herauszugeben.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 8.000 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e:
2A.
3Der Beklagte mietete seit dem 01.12.2010 eine 140 m² große Wohnung des Klägers mit Sauna und Schwimmbad zu einem monatlichen Mietzins von 1.100 €, zuzüglich der Miete für die dazugehörige Garage in Höhe von 50 € sowie einer Betriebskostenpauschale in Höhe von 180 €.
4Ab Oktober 2011 bezog der Beklagte zunächst Leistungen vom Jobcenter xxx. Seit Januar 2013 leitete er für seine Unterkunft erhaltene Zahlungen nicht an den Kläger weiter, der daraufhin mit Schreiben vom 17.04.2013 die fristlose Kündigung aufgrund der bis dahin aufgelaufenen Mietrückstände erklärte.
5Der Kläger hat den Beklagten auf Räumung und Zahlung der rückständigen Mieten für die Monate Januar bis Mai 2013 in Anspruch genommen. Die Klage wurde dem Beklagten am 08.06.2013 zugestellt. Am 19.06.2013 beantragte dieser bei dem Jobcenter xxx die Übernahme seiner Mietschulden gem. § 22 SGB II, was das Jobcenter mit Bescheid vom 26.06.2013 wegen der Größe der Wohnung ablehnte. Hiergegen legte der Beklagte am 01.07.2013 Widerspruch ein mit der Begründung, er sei erkrankt und daher nicht umzugsfähig. Den Zahlungsanspruch der Klägerin erkannte er an, so dass das Amtsgericht am 09.07.2013 ein Teilanerkenntnisurteil erlassen hat.
6Mit Bescheid vom 22.07.2013 wurden dem Beklagten zwar wieder Leistungen nach dem SGB II gewährt, nachdem der Bewilligungsbescheid am 03.06.2013 zunächst vollständig aufgehoben worden war, allerdings mit Ausnahme der Kosten für die Wohnung des Beklagten.
7Daraufhin beantragte der Beklagte am 23.07.2013 einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Düsseldorf. Dieses verpflichtete das Jobcenter xxx im Wege der einstweiligen Anordnung am 08.08.2013, die vom Kläger eingeklagte rückständige Miete sowie darüber hinaus die fällige Miete bzw. Nutzungsentschädigung zu tragen, soweit dies zur Abwendung der Räumungsklage erforderlich sei. Zudem wurde dem Jobcenter aufgegeben, noch am selben Tag gegenüber dem Kläger eine entsprechende Verpflichtungserklärung abzugeben.
8Eine solche Verpflichtungserklärung gab das Jobcenter zwar ab, zahlte jedoch nur die eingeklagte Miete von Januar bis Mai 2013, nicht auch darüber hinaus die fällige Miete bzw. Nutzungsentschädigung für Juli und August.
9Daraufhin erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 30.08.2013 erneut die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, gestützt auf rückständige Miete für die Monate Juni bis August 2013.
10Seit dem 01.09.2013 unterfällt der Beklagte nicht mehr dem Zuständigkeitsbereich des Jobcenters xxx gem. SGB II, sondern der Stadt xxx gem. SGB XII. Am 21.06.2013 beantragte der Beklagte daher bei der Stadt xxx entsprechende Leistungen. Mit Schreiben vom 03.07.2013 wies die Stadt auf Bedenken in Bezug auf die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft des Beklagten hin. Der Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 09.07.2013. Am 08.08.2013 teilte die Stadt dem Beklagten mit, dass sie ihm nur die Regelleistung bewilligen werde. Hierauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 20.08.2013. Mit Bescheid vom 26.08.2013 bewilligte die Stadt Hilden dem Beklagten lediglich den Regelsatz. Hiergegen legt dieser am 05.09.2013 Widerspruch ein.
11Der Kläger hat beantragt,
12den Beklagten zu verurteilen, die Wohnung im Erdgeschoss des Hauses xxx 45, 40723 xxx nebst Schwimmbad und Sauna im Untergeschoss einschließlich der Garage zu räumen und an den Kläger herauszugeben.
13Der Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Das Amtsgericht hat der Räumungsklage mit Schlussurteil vom 02.10.2013 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei die Kündigung vom 17.04.2013 durch die Verpflichtung des Jobcenters, die rückständigen Mieten auszugleichen, gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB unwirksam geworden. Dies gelte jedoch nicht für die Kündigung vom 30.08.2013. Diese könne gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 BGB nicht unwirksam werden. Der Beklagte habe den Zahlungsrückstand, auf den die zweite Kündigung gestützt wurde, auch zu vertreten, weil er sich schlicht auf das Ergebnis des Sozialgerichtsverfahrens verlassen und den Dingen seinen Lauf gelassen habe.
16Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Der Beklagte habe gerade nicht „den Dingen seinen Lauf gelassen“, sondern alles ihm Mögliche und Zumutbare getan, um den Zahlungsrückstand zu beheben und eine rechtzeitige Zahlung der jeweils fälligen Miete zu gewährleisten. Mangels Verschulden sei der Beklagte daher nicht in Verzug geraten. Jedenfalls verstoße die Kündigung gegen § 242 BGB. Aufgrund der Verpflichtungserklärung des Jobcenters sei der Kläger hinreichend abgesichert gewesen.
17Nachdem die Stadt xxx über seinen Widerspruch nicht entschieden hatte, beantragte der Beklagte beim Sozialgericht Düsseldorf wiederum einstweiligen Rechtschutz.
18Der Beklagte beantragt,
19das am 02.10.2013 verkündete Urteil des Amtsgerichts Langenfeld – 34 C 154/13 – dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird, hilfsweise, ihm eine Räumungsfrist zu gewähren.
20Der Kläger beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 12.03.2014 und vom 17.04.2014 erneut die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen, gestützt auf Zahlungsrückstände aus den Monaten Oktober 2013 bis März 2014 bzw. Juli 2013 bis April 2014.
23Mit Beschluss vom 30.04.2014 verpflichtete das Sozialgericht die Stadt xxx im Wege der einstweiligen Anordnung, die Kosten der Unterkunft des Beklagten ab November 2013 bis Juni 2014 zu tragen. Zuvor hatte ein Amtsarzt die Umzugsunfähigkeit des Beklagten festgestellt.
24B.
25I.
26Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt, §§ 511, 517, 519 ZPO, und ordnungsgemäß begründet worden, § 520 ZPO.
27II.
28In der Sache hat die Berufung des Beklagten keinen Erfolg, weil die Anschlussberufung des Klägers erfolgreich ist.
291.
30Zwar ist dem Beklagten darin zuzustimmen, dass die Kündigung vom 30.08.2013 unwirksam war. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Kammerbeschluss vom 21.02.2014 verwiesen. Die Kündigung verstieß gegen § 242 BGB, da das Jobcenter sich zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gegenüber dem Kläger verpflichtet hatte, die rückständige Miete jedenfalls bis August 2013 auszugleichen, so dass die Vermögensinteressen des Klägers nicht ernsthaft gefährdet waren, auch wenn eine Zahlung für die Monate Juni bis August 2013 zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht erfolgt war.
312.
32Etwas anderes gilt jedoch für die Kündigung vom 12.03.2014. Durch sie ist das Mietverhältnis zwischen den Parteien wirksam beendet worden.
33a)
34Soweit der Kläger seinen Räumungsanspruch nunmehr (hilfsweise) auf die Kündigung vom 12.03.2014 stützt, handelt es sich um eine Klageänderung im Sinne des § 263 ZPO. Eine solche ist in der Berufungsinstanz für den Berufungsbeklagten nur im Wege der Anschlussberufung gem. §§ 524, 533 ZPO möglich, auch wenn eine Änderung der Klageanträge selbst nicht erfolgt, sondern die Klageänderung in dem Austausch des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts liegt (BGH, Urteil vom 07. Dezember 2007 – V ZR 210/06 –, Rn. 12 ff., juris). In der Klageänderung ist daher eine Anschlussberufung zu erblicken, auch wenn eine solche nicht ausdrücklich eingelegt wurde (vgl. BGH, aaO.). Die Anschlussberufung wurde gem. § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO innerhalb der Berufungserwiderungsfrist eingelegt und begründet und ist somit zulässig. Auch die Voraussetzungen des § 533 ZPO liegen vor. Zwar hat der Beklagte nicht eingewilligt, doch hält die Kammer die Klageänderung für sachdienlich. Auf diese Weise wird ein weiterer Rechtsstreit vermieden. Die der Kündigungserklärung vom 12.03.2014 zugrunde liegenden entscheidungserheblichen Tatsachen sind unstreitig. Die Miete für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 hat der Kläger nicht erhalten. Die Parteien sind lediglich in Bezug auf die Fragen, ob der Beklagte den Zahlungsrückstand zu vertreten hat bzw. die Kündigung gegen Treu und Glauben verstößt, unterschiedlicher Auffassung.
35b)
36Der Beklagte ist gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB mit der Miete für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug geraten.
37Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Annahme eines Verzugseintritts nicht entgegen, dass der Beklagte rechtzeitig die entsprechenden Anträge beim zuständigen Sozialamt gestellt und ein sozialgerichtliches Verfahren angestrengt hat, nachdem das Sozialamt sich geweigert hatte, die Kosten für die Unterkunft zu tragen. Dies deswegen, weil der Schuldner für seine finanzielle Leistungsfähigkeit verschuldensunabhängig einzustehen hat, worauf die Kammer bereits mit Beschluss vom 21.02.2014 hingewiesen hat.
38Die Kammer sieht auch keine Veranlassung, von diesem Grundsatz im vorliegenden Fall abzuweichen. Die Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 10.11.2011 – 6 T 198/11, auf die der Beklagte sich stützt, vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Der Kammer ist bereits nicht bekannt, welche Fallgestaltung dieser Entscheidung konkret zugrunde lag, da sich dies den Entscheidungsgründen nicht eindeutig entnehmen lässt. So könnte ein fehlendes Verschulden des Mieters an dem Zahlungsrückstand bspw. dann angenommen werden, wenn der Träger der Sozialhilfe die Zahlung der Miete einstellt, ohne den Mieter hierüber in Kenntnis zu setzen. Eine solche Fallgestaltung lag etwa der Entscheidung des Landgerichts Mainz vom 18.06.2003 – 3 S 57/03 – zugrunde. Hier durfte der Mieter darauf vertrauen, dass die Zahlungen weiter erfolgen. Man könnte sich in einem solchen Fall daher auf den Standpunkt stellen, dass die Mietrückstände nicht auf der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit des Mieters beruhen, für die er nach allgemeinen Grundsätzen verschuldensunabhängig einzustehen hat, sondern auf einem Verschulden des Sozialamtes, das die Zahlungen ohne entsprechenden Hinweis an den Mieter eingestellt hat (so LG Mainz, a.a.O.). Dieses Verschulden des Sozialamts muss sich der Mieter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gem. § 278 BGB zurechnen lassen (BGH NJW 2009, 3781).
39So lag der Fall hier jedoch nicht. Das Sozialamt hat die Mietzahlungen hier nicht überraschend eingestellt, ohne den Mieter hierüber in Kenntnis zu setzen. Auch wenn das Sozialamt die Leistungen zu Unrecht abgelehnt hat und der Beklagte sich das darin evtl. begründete Verschulden des Amtes nicht zurechnen lassen muss, änderte dies nichts daran, dass die nicht erfolgten Mietzahlungen hier auf der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit des Beklagten beruhen, für die er verschuldensunabhängig einzustehen hat.
40Die Kammer vermag nicht zu beurteilen, ob das Landgericht Bonn auch in einem solchen Fall einen Zahlungsverzug verneint hätte. Den Entscheidungsgründen kann entnommen werden, dass dem dort zu entscheidenden Fall unpünktliche Mietzahlungen zugrunde lagen. Es ist anzunehmen, dass der Mieter dort (zunächst) ebenfalls keine Kenntnis von den nicht rechtzeitigen Mietzahlungen hatte. In einem solchen Fall ließe sich die Annahme eines fehlenden Verschuldens des Mieters – wie bereits ausgeführt – gut vertreten.
41Sollte das Landgericht Bonn hingegen der Auffassung sein, ein Zahlungsrückstand begründe generell keinen Zahlungsverzug des Mieters, soweit dieser zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes auf Sozialleistungen angewiesen ist und der Träger der Sozialhilfe unberechtigt nicht zahlt, solange der Mieter „alles ihm Obliegende und Zumutbare“ getan hat, ihn selbst also kein eigenes Verschulden etwa durch nicht rechtzeitiges Beantragen der Leistungen trifft, folgt die Kammer dem nicht. Hierdurch würde der Grundsatz, dass jedermann für seine finanzielle Leistungsfähigkeit verschuldensunabhängig einzustehen hat, letztlich unterlaufen.
42Soweit das Landgericht Bonn zur Begründung seiner Entscheidung ausführt, es sei allgemein anerkannt, dass der Schuldner einer Geldforderung trotz des von ihm zu tragenden Beschaffungsrisikos den Verzug ausnahmsweise nicht zu vertreten habe, wenn er objektiv und schuldlos an der Zahlung verhindert ist, und insoweit auf die Kommentierung in Schmidt-Futterer verweist, ist die Kammer nicht der Auffassung, dass der vorliegende Fall hierunter zu fassen ist. Der vorliegende Fall ist gerade nicht vergleichbar mit den Fällen, welche das Landgericht Bonn selbst als allgemein anerkannte Ausnahmefälle bezeichnet. Das Landgericht führt insoweit aus, der Fall, in dem der im Leistungsbezug der ARGE stehende Mieter alles ihm Obliegende und Zumutbare getan hat, um die ARGE zur pünktlichen Zahlung der Miete an den Vermieter zu veranlassen, sei mit dem Fall zu vergleichen, dass der Mieter wegen einer plötzlichen Erkrankung an der rechtzeitigen Zahlung verhindert sei, oder mit dem Fall, dass der rechtzeitig gestellte Überweisungsauftrag von der Bank trotz Kontodeckung nicht ausgeführt wird, vergleichbar. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden letztgenannten Konstellationen und dem hier vorliegenden Fall ist jedoch der, dass in den letztgenannten Fällen der Zahlungsrückstand gerade nicht auf der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit des Schuldners beruht, sondern auf Umständen, die er nicht zu vertreten hat. Insoweit handelt es sich bei ihnen nicht um Ausnahmefälle von dem Grundsatz, dass jedermann für seine finanzielle Leistungsfähigkeit verschuldensunabhängig einzustehen hat. Mit einer fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit haben diese Fälle nichts zu tun. Mit dem vom Schuldner insoweit zu tragenden Beschaffungsrisiko kann hier ein Vertretenmüssen – anders als im vorliegenden Fall – von vornherein nicht begründet werden.
43Soweit das Landgericht sich zur Begründung seiner Entscheidung auf die Kommentierung von Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 543 BGB Rn. 96 ff., stützt, ist zu beachten, dass der Verfasser dort gerade die Auffassung vertritt, unbeschadet von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach das Sozialamt nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters sei, müsse der Mieter für seine finanzielle Leistungsfähigkeit ohne Verschulden einstehen, und insoweit die Entscheidung des Amtsgerichts Ludwigslust vom 23.08.2011 – 5 C 52/11 – zitiert. Das Amtsgericht hatte in dem Beschluss ausgeführt, dass ein Zahlungsverzug, der gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB zur fristlosen Kündigung berechtige, wegen der verschuldensunabhängigen Einstandspflicht des Mieters für seine finanzielle Leistungsfähigkeit unabhängig davon eintrete, ob der Mieter rechtzeitig einen Antrag auf Bewilligung seiner Leistungen gestellt oder – wie hier – sogar eine diesbezügliche einstweilige Anordnung bei dem Sozialgericht beantragt hat. Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an.
44Diesem Ergebnis steht nach Auffassung der Kammer auch nicht das verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip hingegen, auf welches das Landgericht Bonn in seiner Entscheidung Bezug genommen hat. Dieses entfaltet unmittelbare Wirkung nur gegenüber dem Staat, nicht auch zwischen Privatpersonen. Genau wie Grundrechte kann das Staatsprinzip wohl nur über generalklauselartige Vorschriften im Privatrecht Geltung erlangen. Um eine Generalklausel handelt es sich bei § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB jedoch gerade nicht. Liegen dessen Tatbestandsvoraussetzungen vor, bleibt kein Raum für eine Interessenabwägung (vgl. Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 543 BGB Rn. 3 m.w.N.).
45Auch seinem Inhalt nach besagt das Sozialstaatsprinzip lediglich, dass der Staat, dh. die Gemeinschaft, eine hilfsbedürftige Person nicht sich selbst überlässt, sondern sich solidarisch zeigt. Das Verfassungsprinzip kann jedoch nicht herangezogen werden, um einer einzelnen Privatperson ein Sonderopfer in der Weise abzuverlangen, dass sie dem finanziell nicht leistungsfähigen Mieter praktisch kostenlos eine Wohnung zur Verfügung stellen muss, weil sie das Mietverhältnis trotz erheblichen Zahlungsrückständen nicht wirksam kündigen kann. Der Vermieter kann sich insoweit auf seine ebenfalls in der Verfassung verankerte Eigentumsgarantie berufen. Sein Eigentumsrecht würde durch die nicht mögliche Kündigung unzumutbar beeinträchtigt.
46Der Beklagte mag nach dem Sozialstaatsprinzip einen Anspruch auf Übernahme der Kosten seiner Wohnung gegen den Staat haben. Kommt der Staat seiner Verantwortung aber – wie im vorliegenden Fall – nicht nach, kann dies nicht zu Lasten des Vermieters gehen.
47Letztlich kann der vorliegende Fall nicht anders entschieden werden als etwa der Fall, dass der Mieter, der ein Gewerbe betreibt, die Miete deswegen nicht zahlen kann, weil seine Kunden ihren Zahlungsverpflichtungen wiederum nicht nachkommen. Auch in diesem Fall träfe den Mieter kein Verschulden, dennoch bestünden aufgrund des von ihm zu tragenden Beschaffungsrisikos keine ernsthaften Zweifel daran, dass er in Verzug mit der Zahlung der Miete geriete und sein Vermieter das Mietverhältnis daher kündigen könnte. Es erscheint nicht einsichtig, weswegen ein Mieter, der keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, sondern Sozialleistungen bezieht, in dieser Hinsicht privilegiert werden sollte.
48c)
49Die Kündigung ist auch nicht gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB infolge des Beschlusses des Sozialgerichts vom 30.04.2014, mit welchem die Stadt xxx verpflichtet wurde, für den Zeitraum ab November 2013 bis Juni 2014 für die Kosten der Unterkunft des Beklagten aufzukommen, unwirksam geworden. Abgesehen davon, dass dieser Beschluss nicht sämtliche Zahlungsrückstände erfasst, insbesondere nicht die rückständige Miete für Oktober 2013, ist bereits unklar, ob die Verpflichtung der Behörde durch ein Gericht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB erfüllt. Jedenfalls aber ist hier Satz 2 der Vorschrift einschlägig. Die Kündigung vom 17.04.2013 war bereits gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden.
50c)
51Anders als die Kündigung vom 30.08.2013 verstößt die Kündigung vom 12.03.2014 auch nicht gegen Treu und Glauben.
52Anders als für die Zahlungsrückstände aus den Monaten Juni bis August 2013, auf welche die Kündigung vom 30.08.2013 gestützt wurde, lag jedenfalls zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vom 12.03.2014 eine Verpflichtungserklärung des Jobcenters bzw. des nunmehr zuständigen Sozialamtes zum Ausgleich der Mietschulden für die Zahlungsrückstände aus den Monaten Oktober 2013 bis März 2014 nicht vor. Während zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vom 30.08.2013 die Miete für die Monate Juni bis August 2013 zwar noch nicht gezahlt war, dies aufgrund der Verpflichtungserklärung des Sozialamtes, des Beschlusses des Sozialgerichts vom 08.08.2013 und der bereits erfolgten Zahlungen für die Monate Januar bis Mai 2013 jedoch konkret zu erwarten war, so dass die Vermögensinteressen des Klägers nicht ernsthaft gefährdet waren, gilt dies für die Kündigung vom 12.03.2014 nicht. Im Zeitpunkt der Kündigungserklärung war in keiner Weise absehbar, welchen Ausgang das von dem Beklagten geführte sozialgerichtliche Verfahren nehmen würde und wann der Kläger mit Mietzahlungen durch das Sozialamt rechnen konnte.
53Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, die Stadt xxx habe gegenüber dem Sozialgericht den Anspruch des Beklagten auf Erstattung der Mietkosten bzw. Übernahme der Mietschulden anerkannt. Eine solche Anerkennung des Anspruchs des Beklagten gegen die Stadt xxx gegenüber dem Sozialgericht erzeugt keinerlei Bindungswirkung gegenüber dem Kläger, zumal die Stadt im Schriftsatz vom 04.12.2013 (Bl. 173 ff. d.A.) auch gleichzeitig ausgeführt hat, dass eine Zahlung der Miete nicht erfolgen werde, solange nicht nachweislich geklärt sei, dass die Wohnung nicht gekündigt sei. Auch dieser Schriftsatz lässt damit nicht erkennen, wann der Kläger mit dem Eingang von Mietzahlungen konkret rechnen konnte, zumal der Beklagte nicht einmal vorgetragen hat, dass dem Kläger dieser Schriftsatz zum Zeitpunkt der Kündigung vom 12.03.2014 überhaupt bekannt war. Vielmehr hat der Kläger unbestritten vorgetragen, er erhalte keinerlei Auskunft über den Stand des sozialgerichtlichen Verfahrens. Wenn der Kläger aber zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung keine Kenntnis von der Anerkennung des Anspruchs des Beklagten durch die Stadt xxx hatte, kann ihm auch nicht vorgeworfen werden, dass er sich treuwidrig verhalte oder es rechtsmissbräuchlich wäre, wenn er das Mietverhältnis trotz der Anerkennung des Anspruchs kündige.
54Soweit der Beklagte vorträgt, der im Verfahren vor dem Sozialgericht hinzugezogene Amtsarzt habe am 18.03.2014 seine Umzugsunfähigkeit festgestellt, woraufhin das Sozialgericht mit Schreiben vom 26.03.2014 seinem Antrag gute Erfolgsaussichten eingeräumt habe, und schließlich mit Beschluss vom 30.04.2014 die Stadt xxx verpflichtet habe, die Kosten seiner Unterkunft ab November 2013 bis Juni 2014 zu tragen, können diese Umstände bereits deswegen nicht berücksichtigt werden, weil sie erst nach Ausspruch der Kündigung am 12.03.2014 eingetreten sind. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung ist aber auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung abzustellen. Ist die fristlose Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung wirksam, beendet sie das Mietverhältnis und kann nicht mehr rückwirkend unwirksam werden. Jedenfalls kann auch der Ausspruch der Kündigung nicht wegen Umständen rechtsmissbräuchlich sein, die zum Zeitpunkt des Ausspruchs noch gar nicht vorliegen.
55Schließlich kann die Treuwidrigkeit der Kündigung auch nicht darauf gestützt werden, dass der Beklagte nicht umzugsfähig sei. Im Einzelfall ist zwar in der Rechtsprechung ein Verstoß gegen Treu und Glauben angenommen worden, wenn der Verlust der Wohnung den Mieter ganz besonders hart treffen würde. Allerdings ist diese Rechtsprechung im Sinne der Rechtssicherheit auf Extremfälle zu beschränken. Andernfalls würde § 574 Abs. 1 S. 2 BGB unterlaufen (Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 543 BGB Rn. 133). Eine persönliche Härte steht nach dieser Vorschrift einer Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, der den Vermieter zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, gerade nicht entgegen. Außerdem ist bei Vorliegen von persönlichen Härtegründen eine Interessenabwägung erforderlich. Ein Verstoß gegen § 242 BGB kann nur angenommen werden, wenn das Interesse des Vermieters an der Vertragsbeendigung relativ gering zu bewerten ist (Blank, a.a.O.). Dies kann vorliegend in Anbetracht des Umstands, dass der Kläger seit über einem Jahr keine regelmäßigen Mietzahlungen mehr erhalten hat, die Mietrückstände sich auf über 10.000 € belaufen hatten und nicht absehbar war, wann Mietzahlungen wieder aufgenommen werden würden, nicht angenommen werden.
56Der klar und allein auf den Zahlungsverzug abstellende Kündigungsgrund des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB lässt überdies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen grundsätzlich nicht zu (BGH, Urteil vom 15. April 1987 – VIII ZR 126/86 –, juris).
57Die Frage der Umzugsfähigkeit kann daher allenfalls im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens relevant werden, nicht bereits im Erkenntnisverfahren.
583.
59Eine Räumungsfrist war dem Beklagten nicht zu gewähren. Eine solche ist dem Kläger nicht zuzumuten, da der Beklagte nicht in der Lage ist, den Mietzins zu zahlen. Durch den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.04.2013 wurde die Stadt xxx lediglich verpflichtet, die Kosten der Unterkunft des Beklagten bis Juni 2014 zu tragen. Es ist daher ungewiss bzw. nach dem bisherigen Verhalten des Sozialamtes sogar unwahrscheinlich, dass dieses auch für die Zeit nach Juni 2014 die Mietkosten tragen wird.
60Entscheidend ist jedoch vor allem, dass die Räumungsfrist lediglich dem Zweck dient, dem Mieter übergangsweise den Verbleib in seiner Wohnung zu ermöglichen, um von dort aus nach einer neuen Wohnung Ausschau zu halten. Der Beklagte beabsichtigt jedoch erklärtermaßen gerade nicht, sich eine neue Unterkunft zu suchen. Vielmehr steht er auf dem Standpunkt, ein Umzug sei ihm aufgrund seiner Erkrankung unzumutbar, was ihm auch bereits amtsärztlich attestiert worden ist. Die Gewährung einer Räumungsfrist erscheint vor diesem Hintergrund nicht angezeigt.
61III.
62Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711.
63IV.
64Die Revision wird zugelassen, weil es hier um die grundsätzliche Frage geht, ob ein Mieter, dem zu Unrecht Sozialleistungen verweigert werden, in Zahlungsverzug gerät, obwohl er die Leistungen rechtzeitig beantragt und sogar gerichtlichen (Eil-) Rechtsschutz gesucht hat, ihn mithin kein Verschulden trifft. Da bereits mehrere Instanzgerichte eine von der Auffassung der Kammer abweichende Rechtsmeinung vertreten haben, erscheint zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs angezeigt. Bislang hat sich dieser lediglich mit der Frage befasst, ob das Sozialamt Erfüllungsgehilfe des Mieters ist und dieser sich daher im Rahmen einer auf § 543 Abs. 1 BGB gestützten fristlosen Kündigung dessen Verschulden zurechnen lassen muss.
65V.
66Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 13.800 € festgesetzt.