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Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Staatskasse hat dem Angeklagten seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Angeklagte ist für die in der Zeit vom 31. Januar 2017 bis zum 17. Mai 2018 erlittene Untersuchungshaft sowie für den Schaden, den er durch die im vorliegenden Verfahren durchgeführten – in den schriftlichen Urteilsgründen im einzelnen bezeichneten – Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Sicherstellungen erlitten hat, aus der Staatskasse zu entschädigen.
Gründe:
2I. Der Anklagevorwurf
3II. Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten
4III. Die Feststellungen zur Sache
51. Der Hergang und die Folgen des Sprengstoffanschlags
2. Die Wohnung und der Aufenthalt des Angeklagten zur Tatzeit
3. Keine Feststellung der Täterschaft
IV. Beweiswürdigung
101. Die Angaben des Angeklagten
a) Erste operative Maßnahmen
13b) Vernehmung vom 29. Juli 2000
14c) Vernehmung vom 31. Juli 2000
15d) Vernehmung vom 2. August 2000
16e) Anruf des Angeklagten bei EKHK N2 am 18. Oktober 2016
17f) Gespräch des Angeklagten mit EKHK N2 und KHK O1 vom 20. Oktober 2016
18g) Ermittlungsrichterliche Vernehmungen nach der Festnahme
19h) Angaben gegenüber dem Sachverständigen L6
20i) Angaben in der Hauptverhandlung
21j) Weitere Angaben
222. Feststellungen zum Tatgeschehen
a) Zu dem Tatort
25b) Zu dem Aussehen und zu dem Inhalt der Plastiktüte
26c) Zu der Position und zu den Verletzungen der Geschädigten
27d) Zu dem Standort des Täters
28e) Zu dem Sprengkörper
293. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten
4. Keine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten
a) Die Angaben der ZeugenM1undQ1(ehemalige Mitgefangene)
33b) Die Angaben der Zeugin T6
34c) Die Angaben der Zeugin I4
35d) Zusammenfassung zu den Zeugen M1, Q1, T6 und I4
36e) Die Äußerungen des Angeklagten in Telefonaten
37f) Das Verhalten und die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten
38g) Die Erkenntnisse zur Tatzeit
39h) Die Bewertung des Aussageverhaltens und des sonstigen Verhaltens des Angeklagten
40i) Die technischen Fähigkeiten des Angeklagten
41j) Die Anmietung der Wohnung auf der H13
42k) Die Strafanzeige des Angeklagten im Dezember 1999
43l) M2 als Sprengmittellieferant?
44m) Das Ladenlokal des Angeklagten als „typischer Umschlagplatz“ für Sprengmittel?
45n) Zu der opferspezifischen Tatmotivation
46o) Die Angaben der Zeugin U1
47p) Die Offenbarung von Täterwissen?
48q) Die Zeitung „Marktplatz“
49r) Die weiteren Gegenstände in der Tüte
50s) Das Auskundschaften des Tatorts?
51t) Die Rückkehr zum Tatort
52u) Die Gewaltbereitschaft des Angeklagten
53v) Die abschließende Gesamtwürdigung
54V. Kostenentscheidung
55VI. Entschädigungsentscheidung
56I.
57Dem Angeklagten wird mit der unverändert zugelassenen Anklage versuchter Mord in zwölf Fällen in Tateinheit mit der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion vorgeworfen.
58Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, am 27. Juli 2000 hinter dem Zugangsbereich des S-Bahnhofs E4-Wehrhahn einen Sprengsatz mit Hilfe einer Fernzündung zur Explosion gebracht und hierdurch zehn von insgesamt zwölf Personen einer Gruppe osteuropäischer Sprachschüler teilweise schwer verletzt zu haben; eine Verletzte verlor ihr ungeborenes Kind. Der Angeklagte, der das Ausmaß der Folgen des Sprengmitteleinsatzes nicht sicher habe beherrschen können, habe in der Absicht gehandelt, die von ihm wegen ihrer vermeintlichen Bevorzugung durch öffentliche Stellen missbilligte Gruppe von Zuwanderern, die sich zum Zeitpunkt der Explosion keines Angriffes versehen habe, unter billigender Inkaufnahme ihres Todes endgültig aus seinem Wohnumfeld („seinem Revier“) zu vertreiben.
59Die Kammer hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
60II.
61Im Hinblick darauf, dass die Persönlichkeit des Angeklagten für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielt, sah sich die Kammer veranlasst, auch die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen darzustellen (BGH Urteil vom 5. März 2015 – 3 StR 514/14 – NStZ-RR 2015, 180):
62Der bei Urteilsverkündung 52 Jahre alte Angeklagte wurde in O2 geboren und wuchs gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester bei seinen – zwischenzeitlich verstorbenen – Eltern auf. Er heiratete im Jahr 2006 und hat mit seiner – mittlerweile geschiedenen – Ehefrau (der Zeugin E3) drei Kinder.
63Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte der Angeklagte eine Lehre als Maler und Lackierer. Im April 1987 wurde er als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr einberufen, wo er in einem Panzergrenadierbataillon zum Kradmelder und Kübelfahrer ausgebildet wurde. Er verpflichtete sich sodann als Berufssoldat und wurde als Wachmann sowie bei einem Fernmeldebataillon und sodann bei einer Fernmeldeausbildungskompanie eingesetzt. Eine von ihm angestrebte Verwendung als Unteroffizier kam nicht zustande, weil er die entsprechende Prüfung nicht bestanden hatte. Im Mai 1991 schied er aus der Bundeswehr aus, nahm jedoch noch regelmäßig an Wehrübungen teil. Nach Verlassen der Bundeswehr war der Angeklagte – zeitweise – als Angestellter sowie selbstständig im Sicherheitsgewerbe – insbesondere im Bereich Objektschutz – tätig. Im Jahr 1999 eröffnete er ein Ladenlokal in dem unweit des späteren Tatorts gelegenen Hause H51 in E4, in dem er u.a. sogenannte Militariaartikel zum Kauf anbot. Das Ladenlokal musste er aufgrund mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit im Laufe des zweiten Halbjahres 2000 wieder schließen. Nachdem der Angeklagte im ersten Halbjahr 2000 bei dem Zeugen T7 einen – durch das Arbeitsamt finanzierten – Lehrgang zum Personenschützer absolviert hatte, bot er in der Folgezeit selbst entsprechende Lehrgänge an. Auch hiermit war der Angeklagte jedoch wirtschaftlich nicht erfolgreich und musste die Tätigkeit schließlich einstellen. Der Angeklagte, der infolge seiner fehlgeschlagenen unternehmerischen Betätigungen Schulden in beträchtlicher Höhe hat, bezog regelmäßig bis zu seiner Festnahme in diesem Verfahren Sozialleistungen.
64Der Angeklagte ist mehrfach rechtskräftig vorbestraft. In der Zeit von 1993 bis 2015 kam es – wegen Nötigungshandlungen, Straßenverkehrsdelikten, Betrugshandlungen, Beleidigungsdelikten, Urkundenfälschung, Steuerverkürzungen und Sachbeschädigung – zu insgesamt 17 Verurteilungen, wobei der Angeklagte in 15 Fällen zu Geldstrafen und in zwei Fällen zu Freiheitsstrafen, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt wurde.
65Im vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte am 31. Januar 2017 festgenommen und befand sich anschließend in Untersuchungshaft; am 17. Mai 2018 hob die Kammer den Haftbefehl auf.
66III.
671. Am 27. Juli 2000 wurde um 15:03 Uhr in dem zur B1gelegenen Eingangsbereich des S-Bahnhofs E4-Wehrhahn ein aus einem Stahlrohr hergestellter und mit 250 bis 300 Gramm Trinitrotoluol (TNT) befüllter Sprengkörper zur Explosion gebracht.
68Der Bahnhof E4-Wehrhahn liegt in der E4er Innenstadt in der unmittelbaren Nähe des E4er Hauptbahnhofs. Dieser Bereich war im Jahr 2000 dafür bekannt, dass dort unerlaubt mit Betäubungsmitteln gehandelt wurde bzw. dass diese dort konsumiert wurden. Zu den Bahnsteigen des S-Bahnhofs gelangt man – unter anderem – von der B1aus über einen etwa neun Meter langen und etwa zweieinhalb Meter breiten überdachten Durchgang, der in eine mit einem Stabgeländer versehene, ebenfalls etwa zweieinhalb Meter breite Fußgängerbrücke übergeht. Wegen der Einzelheiten der Örtlichkeiten wird auf die Fotografien Anlagen 1 bis 3 zu den schriftlichen Urteilsgründen (= Sachakte 11, Bl. 72R [überdachter Durchgang], Bl. 59R, Bl. 64 [Luftaufnahmen]) verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO). Die B1 kreuzt unweit des Durchgangs – auf einer Brücke, unter der die Bahngleise verlaufen – die H-Straße. Wegen der Einzelheiten der Örtlichkeiten wird auf die Fotografien Anlagen 4 und 5 zu den schriftlichen Urteilsgründen (= Sachakte 11, Bl. 54R und Folie Nr. 6 einer Power-Point-Präsentation des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen „Fallanalyse EKB12000“ – jeweils Luftaufnahmen) verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).
69Der Sprengkörper befand sich zum Zeitpunkt der Detonation in einer weißen Plastiktüte. In der Tüte befand sich zudem eine – teilweise befüllte –Plastikflasche Coca-Cola, eine Tube Mayonnaise, eine Glasflasche Saft, eine Packung Apfelsaft sowie ein Exemplar des Anzeigenblatts „Marktplatz“ vom 21. Juli 2000. Die Tüte war etwa zweieinhalb Meter hinter dem Ende des überdachten Durchgangs an der Rückseite des zu den Bahngleisen gelegenen Geländers der Fußgängerbrücke angebracht. Die Explosionswirkung war so stark, dass hierdurch die Vertikalstreben des Geländers verbogen wurden. Wegen der Einzelheiten der Beschädigung des Geländers wird auf die Fotografien Anlage 6 zu den schriftlichen Urteilsgründen (= Sachakte 11, Bl. 5) verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).
70Der Sprengkörper war nicht industriell hergestellt, sondern in Eigenbau gefertigt. Der zu seiner Herstellung verwendete Stahl stammte wahrscheinlich aus Osteuropa. In den Sprengkörper war ein externer Zündmechanismus eingebracht, zu dem keine weiteren Feststellungen getroffen werden konnten. Der Sprengkörper selbst wurde bei der Explosion weitgehend zerstört. Lediglich Teile der Oberseite (Füllöffnung nebst Gewinde und Schraube) und Splitter konnten sichergestellt werden.
71Der Sprengsatz wurde mit Hilfe einer funkgesteuerten Fernzündung ausgelöst. Bei Auslösung des Sprengsatzes befand sich der – männliche – Täter sitzend auf einem Stromschaltkasten gegenüber dem Haus H69, von dem aus er – im Übrigen durch eine Mauer geschützt – einen freien Blick auf den sich hinter den überdachten Durchgang anschließenden Bereich der Fußgängerbrücke hatte. Wegen der Einzelheiten der Örtlichkeit wird auf die Fotografien Anlagen 7 bis 9 zu den schriftlichen Urteilsgründen (= Sachakte 11, Bl. 55R, Bl. 56R und Bl. 69) verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO). Der Stromschaltkasten, der auf den Fotografien selbst nicht zu sehen ist, befindet sich neben einer Plakatwand, deren Rückseite auf der Anlage 7 oben rechts und auf der Anlage 8 unten rechts zu sehen ist und deren Vorderseite auf der Anlage 9 ebenfalls unten rechts abgebildet ist.
72Zum Zeitpunkt der Detonation befanden sich zwölf Personen auf dem vorderen Teil der Fußgängerbrücke bzw. im überdachten Durchgangsbereich. Bei diesen Personen handelte es sich ausnahmslos um aus Russland, der Ukraine und Aserbaidschan stammende und kurze Zeit zuvor in die Bundesrepublik übergesiedelte Sprachschüler der Sprachschule X. Vier dieser Personen waren jüdischen Glaubens, was aber nicht aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes erkennbar war. Die Mehrzahl der Personen waren sogenannte „Kontingentflüchtlinge“ im Sinne des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (HumHAG).
73Die Sprachschule X bot zum Tatzeitpunkt Deutschkurse für Ausländer an. Die Unterrichtsräume der Sprachschule befanden sich in verschiedenen Gebäuden in der Nähe des Tatortes. Vier der zwölf Personen, die sich zum Explosionszeitpunkt auf der Fußgängerbrücke bzw. im dem überdachten Durchgang aufhielten, kamen aus den Unterrichtsräumen des Gebäudes H54, die weiteren acht Personen kamen aus den Unterrichtsräumen des Gebäudes B190. Am 27. Juli 2000 trafen diese Personen vor dem überdachten Durchgang kurz vor der Explosion aufeinander und begaben sich in Form einer sich über eine Länge von 15 bis 20 Metern erstreckenden Gruppe – teils zu zweit nebeneinander hergehend – auf den Weg zu dem unteren Bahnsteig. Die vier aus den Räumen der H54 kommenden Personen gingen vorweg. Zum Zeitpunkt der Detonation befanden sich zwei Personen in unmittelbarer Nähe des Sprengsatzes, vor diesen befanden sich sieben, dahinter drei weitere Personen. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Abbildung Anlage 10 zu den schriftlichen Urteilsgründen (Folie Nr. 34 einer Power-Point-Präsentation des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen „Fallanalyse EKB12000“) verwiesen, die die Positionen der Gruppenmitglieder nach Maßgabe einer anhand der Schwere der erlittenen Verletzungen erfolgten Einteilung darstellt.
74Durch die von dem Sprengsatz ausgehenden Splitter wurden zehn der zwölf Personen – zum Teil lebensgefährlich – verletzt, darunter die Nebenkläger M, L3, N, S3 und Q. die Nebenkläger N3 erlitten lebensgefährliche Verletzungen. Die damals 26jährige Geschädigte M, die im sechsten Monat schwanger war, verlor durch Einwirkung der Splitter ihr ungeborenes Kind.
752. Der Angeklagte lebte in der Zeit von Dezember 1999 bis September 2000 in einer Wohnung auf der H13 und somit in einer Entfernung zum Tatort von etwa 466 Metern. Sein Ladenlokal auf der H51 lag schräg gegenüber dem Haus H54, in dem sich die von vier der Geschädigten zum Tatzeitpunkt besuchten Unterrichtsräume der Sprachschule X befanden. Zum Zeitpunkt der Detonation befand sich der Angeklagte in der Nähe – jedenfalls innerhalb eines Umkreises von etwa 500 Metern – zum Tatort; die Kammer konnte indes nicht feststellen, wo genau sich der Angeklagte aufhielt.
763. Die Kammer konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte an dem Sprengstoffanschlag beteiligt war.
77IV.
781. Der Angeklagte hat seine Täterschaft in Abrede gestellt.
79a) Der Angeklagte geriet schon kurze Zeit nach der Tat in das Blickfeld der Ermittlungsbehörden. Unter Hinweis auf seine – in dem Ortsteil vielen Personen bekannte – rechtsextreme Gesinnung wurde er der Polizei von mehreren – teilweise anonym gebliebenen – Hinweisgebern als möglicher Täter benannt, ohne dass diese indes konkrete Angaben zu einer Tatbeteiligung des Angeklagten machten. Am 29. Juli 2000 wurde der Angeklagte erstmals als Beschuldigter vernommen. In der Folgezeit wurden seine Wohnung und sein Ladenlokal durchsucht. Ab dem 31. Juli 2000 erfolgten Observationsmaßnahmen und bis September 2001 umfangreiche Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen.
80b) Bereits im Rahmen der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 29. Juli 2000 bestritt der Angeklagte eine Tatbeteiligung. Zum Tattag gab er an, am Morgen mit seinem Hund zu Fuß unterwegs gewesen zu sein (er habe eine „Runde gemacht“). Er sei in seinem Ladenlokal und beim Postamt gewesen, habe sich dann in seiner Wohnung aufgehalten und sei gegen 13:30 Uhr erneut mit seinem Hund auf die Straße gegangen. Er habe sich mit dem Verkäufer eines gegenüber seines Ladenlokals gelegenen Matratzengeschäfts unterhalten und bis in den Abend – mehrfach – das Tätowierstudio der Zeugin I4 auf der L10 Straße xx aufgesucht, wo er Kaffee getrunken habe. Zwischenzeitlich habe er sich auch wieder in seiner Wohnung aufgehalten. Er sei am Tattag zu keiner Zeit am Tatort gewesen. Diese Vernehmung brach der Angeklagte unter Hinweis darauf ab, dass sein Hund alleine zu Hause sei und außerdem seine Waschmaschine in Betrieb sei.
81c) In seiner – zweiten – polizeilichen Vernehmung vom 31. Juli 2000 gab der Angeklagte an, er sei am Tattag morgens mit seinem Hund spazieren gewesen, wobei er unter anderem in seinem Ladenlokal und in einer Postfiliale gewesen sei. Er habe an dem Tag mehrfach seine Wohnung verlassen und sich auf den Straßen in der Nähe aufgehalten. Wann er in seiner Wohnung gewesen sei, könne man seiner Telefonrechnung entnehmen. Auf die Frage, wo er sich zwischen 14:00 Uhr und 15:00 Uhr aufgehalten habe, gab der Angeklagte an, er habe sich um 13:30 Uhr auf der X1 Straße mit einer Frau getroffen, die einen mit einem Kennzeichen der belgischen Stadt Eupen versehenen PKW der Marke Chevrolet („Eupener Chevrolet-Van“) gefahren habe. Der Name der Frau sei ihm nicht bekannt; sie habe ihn vor dem Treffen angerufen. Es sei bei dem Treffen um einen „Immobilien-Bewachungsauftrag“ gegangen. Die Frau habe jedoch wegen anderweitiger Termine unmittelbar nach dem Zusammentreffen weiterfahren müssen und zwar nach „M3“ (gemeint war der Ortsteil S-Stadt-M3). Man habe sich erneut für 16:00 Uhr an gleicher Stelle verabredet. Dieses Treffen sei jedoch aufgrund der nach der Tat erfolgten polizeilichen Absperrung des weiteren Tatortbereichs nicht zustande gekommen. Die Frau habe sich auch im Anschluss nicht mehr bei ihm gemeldet. Nach dem Treffen mit der Frau sei er in das Tätowierstudio der Zeugin I4 gegangen und habe dort Kaffee getrunken. Auch sei er erneut in seiner Wohnung gewesen oder in der Gegend „rumgelaufen“. Um 14:30 Uhr sei er in dem Tätowierstudio der Zeugin I4 gewesen. Von dort aus sei er über die T8straße in seine Wohnung im Hause H13 gegangen. Zu Hause habe er telefoniert, bis er die aus Anlass der Tat eingesetzte Luftunterstützung der Polizei wahrgenommen habe („bis die Hubschrauber kamen“). Er wisse nicht mehr, mit wem er telefoniert habe, der letzte Anruf sei jedenfalls geschäftlich gewesen. Er habe sodann mit Hilfe eines „Scanners“ den Polizeifunk abgehört und Nachrichten zur Kenntnis genommen, die im Zusammenhang mit dem Anschlag gestanden hätten. Er habe seine Wohnung vor 16:00 Uhr verlassen, um sich – wie zuvor verabredet – mit der „Frau im Chevrolet“ zu treffen. Nachdem diese nicht erschienen sei, habe er sich erneut zu der Zeugin I4 begeben. Dort sei er etwa 45 Minuten geblieben und habe sich dann – auch wegen des dort verbliebenen Hundes – erneut zu seiner Wohnung begeben. Die Frage, ob er die Detonation des Sprengsatzes gehört habe, verneinte der Angeklagte. Auf die Frage, wie sein Hund reagiert habe, antwortete der Angeklagte, dies nicht zu wissen; sein Hund sei in seiner Wohnung gewesen sei. Auf den Vorhalt, dass er nach seiner eigenen Darstellung zum Zeitpunkt der Explosion ebenfalls zu Hause gewesen sei, erklärte der Angeklagte: „Keine Ahnung. Entweder war ich zu Hause oder im Tätoo-Laden.“ Auf erneute Nachfrage („Wo denn jetzt?“) erklärte der Angeklagte: „Ich muss zu Hause gewesen sein. Das kann ich aber nur an Hand meiner Telefonrechnung 100%ig sagen. Ich hatte doch keinen Grund, zu diesem Zeitpunkt das alles zu merken.“ Auf nochmalige Nachfrage, wo er zum Zeitpunkt der Detonation gewesen sei, gab der Angeklagte an: „Entweder Telefonrechnung abwarten oder im Tätoo-Shop. Oder auf dem Weg dazwischen.“
82d) In seiner – dritten – polizeilichen Vernehmung vom 2. August 2000 machte der Angeklagte unter Hinweis auf einen Rat seiner damaligen Verteidigerin keine Angaben mehr zum Tattag, gab jedoch zu in seiner Wohnung und in seinem Ladenlokal sichergestellten Gegenständen Erklärungen ab. Zu einem sichergestellten Handgranatensplint gab er an, dass er diesen entweder auf einem Standortübungsplatz gefunden habe oder er von der ersten von ihm bei der Bundeswehr geworfenen Handgranate stamme. Zu sichergestellten – funktionsunfähigen – Nachbildungen von Schusswaffen gab er an, dass er diese beruflich nutzen wolle („Seminare für Selbstschutz und Sicherheitskräfte“).
83e) Nachdem das Verfahren gegen den Angeklagten im Jahre 2002 eingestellt worden war, wurde es – im Hinblick auf die noch zu erörternden Angaben des Zeugen M1– im Jahr 2014 wieder aufgenommen. In der Folgezeit kam es zu weiteren intensiven Ermittlungsmaßnahmen. Als der Angeklagte hiervon erfuhr, rief er am 18. Oktober 2016 den ermittlungsleitenden Beamten – den Zeugen EKHK N2 – an, erkundigte sich nach den Ermittlungen und wies darauf hin, dass er unschuldig sei. Er beklagte sich über Nachteile, die ihm durch die Ermittlungen entstanden seien und erklärte, dass er bereits vor dem Anschlag Hinweise gegeben habe („Trotzdem ich gesagt habe dem Kommissar S4: Pass auf, da passiert was! Wollte keine Sau hören!“).
84f) Im Anschluss an diesen Anruf des Angeklagten suchten die Zeugen EKHK N2 und KHK O1 am 20. Oktober 2016 den Angeklagten an seiner damaligen Wohnanschrift auf, um ihn ergänzend zu vernehmen. Zu einer förmlichen Vernehmung kam es indes nicht. Der Angeklagte beteuerte erneut seine Unschuld und wies erneut auf Nachteile hin, die ihm durch die Ermittlungen entstanden seien. Auf Vorhalt bzw. Frage stritt der Angeklagte ab, eine Ausbildung im Umgang mit Sprengmitteln erhalten zu haben. Auf den Vorhalt, dass die Tatopfer teilweise in einer gegenüber seinem Ladenlokal betriebenen Sprachschule unterrichtet worden seien, gab der Angeklagte an, dass ihm eine dort gelegene Sprachschule nicht bekannt sei. Auf den Vorhalt, dass ein ehemaliger Mitgefangener aus der Justizvollzugsanstalt D angegeben habe, er – der Angeklagte – habe ihm gegenüber die Tat eingeräumt, stritt der Angeklagte dies ab und äußerte die Vermutung, der Mitgefangene sei „nur scharf auf die Belohnung“. Der Angeklagte sprach sodann erneut einen Hinweis an, den er der Polizei vor der Tat gegeben habe.
85g) In den nach seiner Festnahme (31. Januar 2017) durchgeführten ermittlungsrichterlichen Vernehmungen gab der Angeklagte auf Vorhalt erneut an, dass ihm zur Tatzeit nicht bekannt gewesen sei, dass sich gegenüber seinem Ladenlokal eine Sprachschule befunden habe. Von einer – durch die Zeugin X2 im Rahmen der Ermittlungen geschilderten – Bedrohungssituation vor der Sprachschule habe er keine Kenntnis. Er verfüge nicht über die technischen Fertigkeiten für die Erstellung eines Sprengkörpers. Er habe auch keine Ausbildung im Umgang mit Sprengmitteln absolviert. Zur Tatzeit sei er zu Hause gewesen und habe geschäftliche Telefonate geführt.
86Er habe die Tat gegenüber niemandem – insbesondere nicht gegenüber dem Zeugen M1 (ehemaliger Mitgefangener) – gestanden; die Angaben der im Haftbefehl genannten Belastungszeugen seien unzutreffend.
87h) Gegenüber dem Sachverständigen L6 (Psychiater und Psychologe) stellte der Angeklagte eine Tatbeteiligung ebenfalls in Abrede und wies darauf hin, dass er sich zum Tatzeitpunkt zu Hause aufgehalten habe. Er wisse nicht mehr, ob er geschlafen, Fernsehen geschaut oder Radio gehört habe.
88i) In der Hauptverhandlung äußerte sich der Angeklagte ausschweifend, ungeordnet und teilweise – inhaltlich – kaum verständlich.
89Er sei nicht der Täter und wisse auch nicht, wer den Anschlag begangen habe. Er sei zur Tatzeit nicht „am Tatort“ gewesen. Zu seinem Aufenthalt zur Tatzeit machte der Angeklagte wechselhafte Angaben, so gab er zunächst an, er sei im Tätowierstudio der Zeugin I4 gewesen, dann bekundete er, er sei mit seinem Hund in seiner Wohnung gewesen. Auf den Hinweis, dass sich die jeweiligen Angaben zu seinem Aufenthaltsort widersprächen, gab er an, dass es sich jeweils um Vermutungen handele, da er sich aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr daran erinnern könne, wo er sich am Tattag zu welcher Uhrzeit aufgehalten habe. Er brachte zum Ausdruck, seine Erinnerung an den Tattag nicht mehr klar von Einflüssen trennen zu können, denen er aufgrund der Lektüre der Ermittlungsakte ausgesetzt gewesen sei („Alles, was ich antworte, ist, weil ich 1000 Seiten Akte gelesen habe.“). Er wisse auch nicht mehr, ob es am Tattag das – in seiner polizeilichen Vernehmung vom 31. Juli 2000 erwähnte – geschäftlich veranlasste Treffen mit der Frau um 13:30 Uhr überhaupt gegeben habe. Er äußerte die Vermutung, es handele sich dabei um eine Inszenierung der Sicherheitsbehörden (des „Verfassungsschutzes“).
90Ihm sei vor dem Anschlag nicht bekannt gewesen, dass sich in dem gegenüber seinem Ladenlokal gelegenen Haus von einer Sprachschule genutzte Unterrichtsräume befunden hätten. Er sei kein „Nazi“, sondern ein „Rockabilly“. Er habe zu keinem Zeitpunkt Zeugen beeinflusst. Die in der Tüte am Tatort befindliche Zeitschrift Marktplatz habe er nie gekauft.
91Eine Person aus dem Obdachlosenheim habe ihn im Jahr 1999 vor einem Verkauf von Handgranaten gewarnt („Der hat mir gesagt, pass auf, da oben verkaufen Russen beziehungsweise Jugoslawen Handgranaten; pass auf, wenn du da lang gehst.“). Er sei sodann seiner „Bürgerpflicht nachgekommen“ und habe die Information an die Polizei weitergegeben. Er habe – in diesem Zusammenhang – im Jahr 1999 auch Gespräche mit „dem Verfassungsschutz“ geführt. Zu einer Zusammenarbeit sei es aber nicht gekommen.
92Dem Zeugen M1– einem ehemaligen Mitgefangenen – habe er zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass er die Tat begangen habe oder in sonstiger Weise an der Tat beteiligt gewesen sei. Auch gegenüber dem Zeugen Q1– einem weiteren ehemaligen Mitgefangenen – habe er sich nicht in dieser Weise geäußert.
93j) Weitere Angaben des Angeklagten zum Tatvorwurf sind zum Zwecke der Übersichtlichkeit im Zusammenhang mit der Erörterung der jeweiligen Beweisanzeichen dargestellt.
942a) Die Feststellungen zum Tatort (oben III1) beruhen auf den hierzu in Augenschein genommenen Lichtbildern, einer nach dem Anschlag erstellten Videoaufnahme und den Angaben der Zeugin KHKinE5.
95b) Die Feststellungen zum Aussehen und zum Inhalt der Tüte, in der sich der Sprengkörper befand, beruhen auf den Angaben der im Jahr 2000 vernommenen geschädigten Zeugen X1, L16 und L3, den Angaben der im Jahr 2000 ebenfalls als Zeugen vernommenen Passanten X und Y Z sowie – ergänzend – den Angaben der Zeugin KHKinE5.
96c) Die Feststellungen zu den Geschädigten, ihren Verletzungen und ihren Positionen zum Zeitpunkt der Explosion beruhen auf den Angaben der geschädigten Zeugen W1, B2, B3, X1 und L3 sowie den Angaben der Zeugin KHKinE5, die die Aussagen sämtlicher im Jahre 2000 vernommener Geschädigter ausgewertet und ihre Positionen grafisch anhand der oben als Anlage 10 bezeichneten Abbildung dargestellt hat.
97d) Die Position des Täters zum Zeitpunkt der Explosion steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund von Angaben, die die im Jahre 2000 66jährige Zeugin U1 gemacht hat. Die Zeugin U1 bewohnte zur Tatzeit eine in der vierten Etage gelegene Wohnung im Hause H69 und beobachtete kurz nach der Explosion einen Mann, der auf einem gegenüber des Hauses gelegenen Stromschaltkasten mit Blickrichtung zu dem Tatort saß. Nach der Explosion entfernte sich der Mann in normaler Geschwindigkeit in die dem Tatort entgegengesetzte Richtung. Dieses Verhalten – insbesondere das äußerlich unaufgeregte Verlassen der Örtlichkeit nach Wahrnehmung der Explosion – belegt aus Sicht der Kammer – unter Berücksichtigung der übrigen Tatörtlichkeit und der Tatausführung –, dass es sich bei dem Mann um denjenigen handelt, der den Sprengsatz mit Hilfe einer Funkfernsteuerung auslöste. Hinzu kommt, dass die von der Zeugin U1 wahrgenommene Position des Mannes sehr gut geeignet ist, um die Explosion auszulösen: Die Position bietet einen ungestörten Blick auf den Tatort; zugleich bietet die Mauer Schutz sowohl vor Entdeckung als auch vor Verletzungen durch umherfliegende Bestandteile des Sprengsatzes.
98e) Die Feststellungen zu dem Sprengsatz beruhen auf den Angaben des sachverständigen Zeugen KHK L7 und des Sachverständigen Dr. T9. Der sachverständige Zeuge KHK L7 (sachkundiger Beamter für die Beurteilung von Sprengmitteln und Sprengstoffen bei dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen) hat den Sprengsatz unter Zuhilfenahme der aufgefundenen Restbestandteile annäherungsweise rekonstruiert und Angaben zu seiner Funktionsweise gemacht. Der Sachverständige Dr. T9 (Chemiker) hat Angaben zur Zusammensetzung und Herkunft des verwendeten Stahls gemacht.
993. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten (oben II) beruhen auf dessen eigenen Angaben – soweit diesen gefolgt werden konnte –, den Angaben des Sachverständigen L6 (Psychiater und Psychologe), der über die Einlassung des Angeklagten im Rahmen der Explorationsgespräche berichtet hat, sowie auf dem Inhalt des Bundeszentralregisters. Außerdem haben sich zahlreiche Personen aus dem (früheren) Umfeld des Angeklagten über diesen geäußert und unter anderem Angaben zu seinen Lebensgewohnheiten und seinen charakterlichen Eigenschaften gemacht.
1004. Die Kammer konnte keine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewinnen. Beweismittel, die eine Täterschaft des Angeklagten unmittelbar belegen könnten (Spuren am Tatort bzw. Zeugen, die den Täter bei der Tatausführung oder der Tatvorbereitung beobachtet und als den Angeklagten identifiziert haben), gibt es nicht. Die Angaben von zwei Zeugen (Zeugen M1 und Q1), denen der Angeklagte die Tatbegehung während gemeinsamer Haftaufenthalte gestanden haben soll, sind nicht glaubhaft. Unglaubhaft sind auch die Angaben zweier Zeuginnen (Zeuginnen T6 und I4), denen der Angeklagte eine gegen Ausländer gerichtete Gewalttat angekündigt haben soll. Gleiches gilt, soweit die Zeugin T6 angegeben hat, in der Wohnung des Angeklagten einen Gegenstand gesehen zu haben, der der Rekonstruktion des bei der Tat verwendeten Sprengkörpers glich. Soweit die Staatsanwaltschaft darüber hinaus hinsichtlich des Tatmotivs die These vertreten hat, zwischen dem Angeklagten und Besuchern der Sprachschule X sei es im zweiten Halbjahr des Jahres 1999 zu einem offenen, den Tatentschluss auslösenden Konflikt gekommen, hat die Hauptverhandlung dergleichen nicht erbracht. Im Übrigen verblieben als Entscheidungsgrundlage nur Beweisanzeichen, die teils für und teils gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, die jedoch im Rahmen der von der Kammer vorgenommenen Gesamtwürdigung letztlich keine tragfähige Grundlage für eine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten bilden.
101Im Einzelnen:
102a) Soweit die Zeugen M1 und Q1 jeweils angaben, der Angeklagte habe ihnen die Tatbegehung anlässlich gemeinsamer Haftaufenthalte eingestanden, glaubt die Kammer diesen Zeugen nicht.
103(1) Der Zeuge M1 war im Jahr 2014 zeitgleich mit dem Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt D inhaftiert. Der Zeuge verbüßte dort eine achtmonatige Freiheitsstrafe wegen Urkundenfälschung; der Angeklagte verbüßte eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen übler Nachrede und Steuerverkürzung. Am 3. Juli 2014 wandte sich der Zeuge M1 an die – zu diesem Zeitpunkt in der Justizvollzugsanstalt tätige – ZeuginQ2 (Justizvollzugsbedienstete) und gab an, der Angeklagte habe ihm gegenüber bekundet, an einem im Jahr 2000 begangenen Sprengstoffanschlag beteiligt gewesen zu sein. Nachdem diese Information – über den Zeugen Q3 (Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt) – an die Kriminalpolizei E4 weitergeleitet worden war, wurde der Zeuge M1 am 14. Juli 2014 durch die Zeugen EKHKX2 und KOKinH1 vernommen. In dieser Vernehmung – wie auch in der Hauptverhandlung vor der Kammer – gab der Zeuge M1 an, der Angeklagte habe ihm gegenüber bekundet, die Tat begangen zu haben.
104Die Vernehmung des Zeugen M1 vor der Kammer sowie weitere Erkenntnisse zum Verhalten dieses Zeugen erbrachten durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Angaben. Auf die Angaben des Zeugen M1 vermag die Kammer – auch im Zusammenhang mit anderen Beweismitteln – daher keine Feststellungen zu stützen.
105(a) Aus den Angaben des Zeugen M1 ergaben sich bereits Zweifel daran, dass er zum Anlass und zum Verlauf des Gesprächs, in dessen Rahmen der Angeklagte ihm die Tat gestanden haben soll, einen auf tatsächlicher Erinnerung beruhenden Sachverhalt schilderte: Zum Anlass des Gesprächs hat der Zeuge in der Hauptverhandlung zunächst bekundet, der Angeklagte habe ihm angeboten, er – der Zeuge – könne nach seiner Haftentlassung für ihn – den Angeklagten – in dessen Sicherheitsunternehmen tätig werden. Im Zuge der Erörterung dieses Themas habe der Angeklagte „mehr oder weniger aus dem Gespräch heraus“ die Tat beschrieben bzw. angegeben, dass er diese begangen habe. Es sei ein unaufgeregtes Gespräch gewesen („wie beim Kaffeeklatsch“). Er – der Zeuge M1– habe dem Angeklagten hinsichtlich seiner Schilderung der Tatbegehung zunächst nicht geglaubt (ihn nicht „für voll genommen“), jedoch dann noch am selben Abend oder am nächsten Tag das Gespräch mit Beamten der Justizvollzugsanstalt D gesucht.
106Im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung – sowie auf deren Vorhalt in der Hauptverhandlung – hat der Zeuge M1 die Gesprächssituation jedoch so dargestellt, dass der Angeklagte dem Zeugen zunächst davon berichtet habe, er habe „Rohrbomben“ gebaut, die er auf einem „Kasernengelände“ zur Explosion gebracht habe. Als der Zeuge gegenüber dem Angeklagten seinen Unglauben über diese Schilderung zum Ausdruck gebracht habe („Und da habe ich ihm gesagt, er soll aufhören, mir so einen Scheiß zu erzählen“), habe der Angeklagte emotional reagiert („und der wurde richtig wütend mit allem drum und dran“) und ihm – dem Zeugen – in erregtem Zustand („in seiner Rage“) darüber berichtet, dass er mittels eines Sprengsatzes gegen Ausländer vorgegangen sei („dass er in seiner Gegend richtig aufgeräumt hat. Er hat in S-Stadt richtig mit den Kanacken aufgeräumt. […] und hat halt ne Rohrbombe gebaut mit einem Fernzünder […]“).
107Diese offenkundige Abweichung in der Schilderung der Gesprächssituation und Gesprächsatmosphäre – einerseits: Gespräch über eine dem Zeugen angebotene Arbeitsstelle in ruhiger Atmosphäre („wie beim Kaffeeklatsch“); andererseits: Gespräch über von dem Angeklagten auf einem Kasernengelände gezündete Rohrbomben in aufgeregter Atmosphäre („der war richtig wütend und das kam alles zusammen raus“) – sowie die auf Vorhalt hin erfolgte Anpassung der Schilderung durch den Zeugen M1 spricht aus Sicht der Kammer dafür, dass der Zeuge M1 jedenfalls zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung überhaupt keine Erinnerung an das von ihm geschilderte Geschehen hatte.
108(b) Dass der Zeuge M1 in der Hauptverhandlung Vorgänge bekundete, denen kein mit seiner Erinnerung verknüpftes tatsächliches Geschehen zugrunde lag, wird auch belegt durch die Schilderung des Zeugen betreffend seine eigenen Aktivitäten sowie die zeitlichen Abläufe im Anschluss an das von ihm geschilderte Gespräch:
109In der Hauptverhandlung hat er zunächst angegeben, dass er den Sachverhalt den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt D zu einem Zeitpunkt mitgeteilt habe, als sich der Angeklagte ebenfalls noch dort in Haft befunden habe. Zwischen dem Gespräch mit dem Angeklagten und seiner Mitteilung an die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt hätten lediglich „wenige Stunden“ gelegen („noch am selben Tag“). Diese Schilderung des zeitlichen Ablaufs versuchte der Zeuge M1 mit der Anmerkung zu belegen, er sei dem Angeklagten anschließend – nach dem Gespräch mit den Bediensteten – aus dem Weg gegangen und habe sich ihm gegenüber abweisend verhalten, wohingegen der Angeklagte „ständig“ versucht habe, auf dem Anstaltsgelände Kontakt zu ihm – dem Zeugen – aufzunehmen. Der Angeklagte sei erst nach seiner – des Zeugen – Vernehmung durch die Polizei in eine andere Anstalt verlegt worden. Ihm selbst sei bei der Vernehmung nahegelegt worden, keine Gespräche mehr mit dem Angeklagten zu führen (er sei „angehalten“ worden die „Klappe zu halten“). Diese gesamte – von dem Zeugen M1 äußerst lebendig vorgetragene – Schilderung ist jedoch unzutreffend und eindeutig widerlegt. Denn tatsächlich war der Zeuge M1 erstmals am Abend des 3. Juli 2014 bei Beamten der Justizvollzugsanstalt D vorstellig geworden, um von dem Gespräch mit dem Angeklagten zu berichten. Der Angeklagte war hingegen bereits zuvor, nämlich am 2. Juli 2014 aus D in die Justizvollzugsanstalt F3 verlegt worden. Folglich konnte es zu den von dem Zeugen M1 geschilderten Versuchen des Angeklagten, nach der Offenbarung M1 gegenüber den Anstaltsbediensteten noch Kontakt zu diesem aufzunehmen, überhaupt nicht kommen.
110(c) Der Zeuge M1 hat in der Hauptverhandlung zudem auch widersprüchliche Angaben über seine Wahrnehmungen zur Weltanschauung des Angeklagten bzw. seiner Einstellung zu Personen gemacht, die nicht deutscher Herkunft sind: Zunächst gab er im Zusammenhang mit der Schilderung des Geständnisses des Angeklagten an, die Einstellung des Angeklagten („rechtsgerichtete Ideologie“) sei ihm seinerzeit nicht bekannt gewesen („da hat er nicht wirklich was drüber erzählt“). Im weiteren Verlauf seiner Vernehmung machte der Zeuge M1 jedoch völlig andere Angaben, nämlich dass es während des gemeinsamen Haftaufenthalts zu Auseinandersetzungen mit ausländischen Mitgefangenen gekommen sei („da gab es ständig Ärger“) und dass der Angeklagte seine negative Einstellung zu Ausländern auch nicht verborgen habe („Er hat da keinen Hehl draus gemacht“). Auch habe es zwischen ihm – dem Zeugen – und dem Angeklagten Meinungsverschiedenheiten über diese Einstellung des Angeklagten gegeben („Wir haben uns auch mal in die Haare gekriegt“).
111(d) Schließlich ist auch das Verhalten des Zeugen nach seiner eigenen Haftentlassung wenig nachvollziehbar und mit seinen sonstigen Bekundungen kaum in Einklang zu bringen: Der Zeuge gab in seiner Vernehmung vor der Kammer zunächst an, dass er keinen Kontakt mehr zu dem Angeklagten gewollt habe („danach war das Thema U für mich gegessen“), da er diesen – wegen des eingestandenen Anschlags – für gefährlich gehalten habe und er aufgrund der Schilderung des Anschlags durch den Angeklagten andauernd „Bilder im Kopf“ gehabt habe, die ihn nicht mehr losgelassen hätten. Gleichwohl nahm der Zeuge M1 nach seiner eigenen Haftentlassung über facebook Kontakt zu dem Angeklagten auf, indem er ihm eine sogenannte „Freundschaftsanfrage“ sandte, auf die der Angeklagte am 25. März 2016 mit der Frage reagierte, ob man sich kenne („hallo kennen wir uns schon woher“). Diese Kontaktaufnahme passt aus Sicht der Kammer nur schwerlich zu den Bekundungen des Zeugen M1, er habe den Angeklagten für gefährlich gehalten und diesen deshalb – bereits während der Haftzeit – gemieden. Das gilt auch für die weitere über facebook gewechselte und sich bis zum 29. Juni 2016 erstreckende Korrespondenz, in der der Zeuge M1 sogar noch Angaben über den Ort seiner Berufstätigkeit macht („Ich unterrichte nach wie vor in E9“) und damit einer Person, die er aufgrund der von ihr geschilderten Straftaten für gefährlich gehalten haben will, anlasslos Einblick in die persönliche Lebenssituation gibt. Die auf Vorhalt hin erfolgte Erklärung des Zeugen M1 für seine über facebook erfolgte Kontaktaufnahme, er sei an einer Arbeitsstelle bei dem Angeklagten interessiert gewesen, passt ebenso wenig zu seiner mutmaßlichen Einschätzung des Angeklagten als gefährlichem Straftäter. Soweit der Zeuge M1 diese Bekundung auf weiteren Vorhalt dahin abänderte, er habe nicht bei dem Angeklagten arbeiten wollen, sondern sei lediglich an dessen „Kontakten“ interessiert gewesen, um über diese eine Arbeitsstelle zu finden, wirkte dies angepasst und damit wenig glaubhaft.
112(e) Soweit der Zeuge M1 in der Hauptverhandlung angegeben hat, er sei davon ausgegangen, dass die auf seinen Hinweis hin eingeleiteten Ermittlungen nicht zu weiteren polizeilichen Maßnahmen geführt hätten (er habe gedacht, die Sache sei „im Sande verlaufen“), und er sei von der Ende Januar 2017 erfolgten und durch die Presse berichteten Festnahme des Angeklagten überrascht gewesen, steht dies zudem in Widerspruch zu dem Inhalt der weiteren auf facebook zwischen dem Zeugen und dem Angeklagten geführten Korrespondenz. Dort fragt der Angeklagte am 20. Oktober 2016 – an jenem Tag hatten die Zeugen EKHK N2 und KHK O1 den Angeklagten mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen sowie der Verdachtslage konfrontiert (siehe oben IV1f) – bei dem Zeugen M1 an, ob ihm eine Person bekannt sei, die behauptet habe, er – der Angeklagte – habe geäußert, er stehe in Zusammenhang mit dem Anschlag („Sag mal kennst du jemanden Soldat aus D der behauptet ich habe ihm irgend etwas gesagt vom werhahn die jungs staat waren gerade heute da jetzt kaufen gegen Ermittlungen falsch Aussage“). Die Anfrage, die der Zeuge M1 nach einer weiteren Klarstellung durch den Angeklagten („ok war der Staatsschutz bei dir wegen mir die meinten jemand aus der JVA mit Soldat da habe denen was gesagt. Soll n echt großer Mann sein …“) abschlägig beantwortete („Der Staatsschutz??? Bei mir? Was sollten die von mir wollen?“), konnte der Zeuge nur so verstehen, dass auf seinen Hinweis Ermittlungen eingeleitet worden waren. Dass er dieses Geschehen innerhalb eines Zeitraums von weniger als vier Monaten vollständig vergessen haben und er deshalb von der Ende Januar 2017 erfolgten Festnahme überrascht gewesen sein könnte, schließt die Kammer angesichts der Bedeutung, die der Vorgang auch nach den Angaben des Zeugen selbst für ihn hatte, aus.
113Die Angaben des Zeugen M1 in der Hauptverhandlung stehen zudem im Widerspruch zu einem – zeitlich allerdings nicht näher eingrenzbaren – Kontakt des Zeugen M1 mit dem Zeugen EKHK N2 vor der Festnahme des Angeklagten. Der Zeuge EKHK N2 hat glaubhaft bekundet, dass im Rahmen der Ermittlungen festgestellt worden sei, dass der Zeuge M1 auf der – öffentlich einsehbaren – Facebookseite des Angeklagten eine von diesem veröffentlichte Fotografie kommentiert habe. Er habe daraufhin unmittelbar telefonischen Kontakt zu dem Zeugen M1 aufgenommen und ihm mitgeteilt, dass Ermittlungsmaßnahmen gegen den Angeklagten durchgeführt würden und er – der Zeuge M1– den Kontakt zu dem Angeklagten einstellen solle, um den Erfolg der Ermittlungen nicht zu gefährden. Auch hieraus ergibt sich, dass der Zeuge M1 vor der Festnahme Kenntnis von laufenden Ermittlungsmaßnahmen hatte. Zum anderen belegen die Angaben des Zeugen EKHK N2 aber auch, dass die auf Frage hin erfolgte Äußerung des Zeugen M1, er habe vor der Festnahme keinen Kontakt zu dem Zeugen N2 gehabt, unzutreffend war.
114Warum der Zeuge M1 sich unzutreffend über seinen Kenntnisstand zu dem Ermittlungsverfahren sowie über seine Kontakte zu dem Zeugen EKHK N2 äußerte, vermochte die Kammer nicht zu klären. Aus diesem Grund entnimmt die Kammer dem Umstand auch keine (weiteren) gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben sprechenden Beweisanzeichen.
115(f) Die Kammer verkennt nicht, dass der Zeuge M1 von Umständen berichtet hat, die zur Persönlichkeit des Angeklagten (insbesondere zu seiner Neigung, ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln), zu dem Tatgeschehen (Einsatz einer ferngezündeten Bombe bzw. Rohrbombe), zur Tatzeit (ausweislich von dem Zeugen M1 an den Zeugen Q3 [JVAD] übergebener Notizen im Juli 2000) sowie zu der Tatörtlichkeit („irgendwas mit S-Bahn“) passen. Andererseits hat der Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung auch ihm von dem Angeklagten berichtete Umstände geschildert, die gerade nicht auf eine Kenntnis von den Tatgegebenheiten schließen lassen: So äußerte der Zeuge gegenüber der Polizei zunächst, der Angeklagte habe als Tatort „S-Stadt“ angegeben („in S-Stadt schon mit dem ganzen Kanackenpack aufgeräumt“); erst auf Nachfrage („Sie sprechen von S-Stadt. Hat er S-Stadt gesagt?“) relativierte er seine Angaben und brachte auch den Ort E4 ins Spiel, ohne sich jedoch festzulegen („Was hat er denn gesagt? Irgendwas mit S-Bahn. Irgendeine Bahn war dabei. Er hat immer nur von E4 und S-Stadt gesprochen. Nageln Sie mich bitte nicht fest, ich bin mir nicht sicher, welche Örtlichkeit er genannt hat.“). Auch hinsichtlich der Opfergruppe berichtete der Zeuge M1 über Angaben des Angeklagten, die mit den Ermittlungsergebnissen nicht übereinstimmen („U sprach von Negern, wie gesagt so Zigeuner, Schwarze und mehr kann ich nicht sagen, sonst würde ich ihm was andichten.“). Tatsachen, von denen ausschließlich derjenige berichten konnte, der den Anschlag begangen hat – also Umstände, die den Schluss auf das Vorhandensein sogenannten „Täterwissens“ begründen könnten –, hat der Zeuge M1 im Übrigen nicht bekundet. Vielmehr waren alle von ihm aus dem angeblichen Gespräch mit dem Angeklagten wiedergegebenen Umstände – als Tatsachendarstellungen oder zumindest als Vermutungen – Gegenstand der Presseberichterstattung.
116(g) Bei zusammenfassender Würdigung hält die Kammer die Angaben des Zeugen M1 nicht für tragfähig. Zwar kommt es aus Sicht der Kammer durchaus in Betracht und ist aufgrund der extrovertierten Persönlichkeit des Angeklagten sogar naheliegend, dass dieser mit dem Zeugen M1 während des gemeinsamen Haftaufenthalts über den Anschlag und seine damalige Rolle als Tatverdächtiger gesprochen hat. Indes sind die Angaben des Zeugen nicht geeignet, die Kammer davon zu überzeugen, dass der Angeklagte dem Zeugen tatsächlich die Tatbegehung eingestanden hat. Die in Gänze unzutreffende Erinnerung des Zeugen M1 an die situative Einbettung des mit dem Angeklagten geführten Gesprächs lässt sich gerade angesichts der von dem Zeugen hervorgehobenen Prägnanz der Gesprächssituation nur schwer mit einem auf Zeitablauf beruhenden Erinnerungsverlust erklären. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge zwischen seiner erstmaligen Aussage bei der Polizei und der Vernehmung vor der Kammer weiterhin mit dem Sachverhalt befasst war, sei es durch die auf facebook geführte Korrespondenz mit dem Angeklagten, sei es durch Kontakte zu den ermittlungsführenden Beamten vor und nach der Festnahme des Angeklagten. Insgesamt vermag die Kammer daher die Angaben des Zeugen M1 schon wegen der bezeichneten Unzulänglichkeiten ihrer Entscheidungsfindung nicht zugrundezulegen.
117(2) Auch die Angaben des Zeugen Q1 sind unglaubhaft, weswegen die Kammer sich ebenfalls außerstande sah, Feststellungen hierauf zu stützen.
118Der Zeuge Q1– vor dem Landgericht L8 angeklagt wegen Geiselnahme – und der Angeklagte waren zeitgleich im verstärkt gesicherten Haftbereich der Justizvollzugsanstalt E4 inhaftiert und hatten dort jedenfalls in der Zeit von Februar 2018 bis Mitte April 2018 bei Hofgängen und in einem Aufenthaltsraum Kontakt. Der Zeuge Q1 befand sich – aufgrund eines am 11. April 2018 begangenen Suizidversuches – seit dem 13. April 2018 in dem Justizvollzugskrankenhaus G. Nach der Aufhebung des gegen den Angeklagten im vorliegenden Verfahren ergangenen Haftbefehls am 17. Mai 2018, von der der Zeuge Q1 nach eigenem Bekunden über die Medienberichterstattung erfuhr, wandte sich der Zeuge am 24. Mai 2018 an den für ihn zuständigen Psychologen des Krankenhauses – den Zeugen Q4 – und teilte mit, dass er mit einem Mitarbeiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung sprechen wolle. Er gab an, der Angeklagte plane den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft – Oberstaatsanwalt I– zu töten. In einem am Folgetag geführten Gespräch zwischen dem Zeugen Q1, dem Zeugen Q4 und dem Zeugen B4 (Mitarbeiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung), gab der Zeuge Q1 an, der Angeklagte habe ihm gegenüber die Tatbegehung während des gemeinsamen Haftaufenthaltes in E4 eingeräumt. Der Zeuge wies zudem auf mehrere Schriftstücke hin, in denen er seine Wahrnehmungen dokumentiert habe; diese Schriftstücke wurden sodann auf Veranlassung der Kammer in der Justizvollzugsanstalt E4 sichergestellt bzw. durch den Rechtsanwalt des Zeugen Q1 übergeben. Nachdem sich der Zeuge Q1 in der Hauptverhandlung vor der Kammer zunächst ohne Angabe von Gründen geweigert hatte, zur Sache auszusagen, erfolgte mehrere Hauptverhandlungstage später – die Staatsanwaltschaft hatte sich zwischenzeitlich dafür eingesetzt, dass der Zeuge seinem Wunsch entsprechend in eine andere Vollzugsanstalt verlegt wurde – eine weitere Vernehmung vor der Kammer, bei der der Zeuge Q1 Angaben machte.
119Die Angaben des Zeugen Q1 sind nicht glaubhaft, denn seine Schilderung steht in wesentlichen Punkten in einem unaufgelösten Widerspruch zu seinen eigenen schriftlichen Aufzeichnungen und ist zudem teilweise unplausibel.
120(a) Nach der Schilderung des Zeugen Q1 habe ihm der Angeklagte während der gemeinsamen Freistunde zu verstehen gegeben, dass er die ihm vorgeworfene Tat begangen habe. Er habe verschiedene Freistunden mit dem Angeklagten verbracht. Dieser habe ihn – den Zeugen – aufgrund seiner Tätowierungen für eine der „rechten Szene“ zugehörige Person gehalten und deshalb Vertrauen zu ihm gefasst. Nach anfänglichem Leugnen habe der Angeklagte ihm gegenüber eingeräumt, den Bombenanschlag begangen zu haben. Nach dem Zusammentreffen, bei dem er dieses Eingeständnis abgegeben habe, habe sich der Angeklagte „völlig verändert“ und damit begonnen, ihn – den Zeugen Q1– gegenüber anderen Gefangenen in Misskredit zu bringen, unter anderem indem er behauptet habe, er –Q1– sei für „die Polizei“ oder „die Staatsanwaltschaft“ tätig. Diese Aktivitäten des Angeklagten hätten ihn derart mitgenommen, dass er schließlich versucht habe, sich in seiner Zelle das Leben zu nehmen. Auf Nachfrage, warum er sein Wissen erst weitergegeben habe, nachdem er von der Haftentlassung des Angeklagten erfahren habe, gab der Zeuge Q1 an, dass er bis dahin davon ausgegangen sei, der Angeklagte werde ohnehin verurteilt werden.
121(b) Die Schilderung des Zeugen Q1 von einem durch den Angeklagten zu seinem – des Zeugen – Nachteil ausgeübten „Psychoterror“, der ihn schließlich zu einem Suizidversuch veranlasst habe, steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu Aufzeichnungen, die der Zeuge am 9. April 2018 – und damit nur zwei Tage vor dem Suizidversuch – fertigte. Dort schildert der Zeuge den Umgang mit dem Angeklagten als unproblematisch („Auch heute war es wieder ganz okay …“ und „Die Freizeit ist also eine nette Abwechslung …“) und erwägt sogar weitere gemeinsame Freizeitaktivitäten („… da ich weiß, das er z.B. gerne malt, werde ich ihm mal vorschlagen, dass wir ja mal eine Collage zusammen anfertigen könnten o. ein Bild zusammen malen/zeichnen.“). Diese – mit dem von dem Zeugen geschilderten Verhalten des Angeklagten schlichtweg nicht zu vereinbarenden – Ausführungen versuchte der Zeuge auf Vorhalt dahingehend zu erläutern, er habe bewusst die Unwahrheit geschrieben, um eine „falsche Fährte“ zu legen. Er habe nämlich gewusst, dass seine Aufzeichnungen von einem Anstaltsbediensteten – dem Zeugen JVOI X3 – gelesen würden, der deren Inhalt dem Angeklagten mitteile. Durch die wohlgefälligen Ausführungen habe er den Angeklagten „beruhigen“ wollen.
122Diese – erst auf Vorhalt hin erfolgte – Erklärung des Zeugen Q1 wirkt jedoch nicht nur angepasst, sie ist auch im Übrigen unglaubhaft. Dafür dass, der Zeuge JVOI X3 Aufzeichnungen des Zeugen Q1 ohne dessen Wissen gelesen und dem Angeklagten zur Kenntnis gebracht hätte, haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Auch der Zeuge Q1 selbst konnte seine Behauptungen weder belegen noch ihnen durch begleitende Schilderungen eine auch nur annähernde Plausibilität verleihen. Der von dem Zeugen Q1 beschuldigte Zeuge JVOI X3 hat nachvollziehbar und glaubhaft in Abrede gestellt, dem Angeklagten irgendwelche Informationen aus Unterlagen des Zeugen Q1 zugänglich gemacht zu haben. Im Übrigen hatte der Zeuge Q1 gegenüber den Zeugen B4 und Q4 (Mitarbeiter des Justizvollzugskrankenhauses G) zur Stützung seiner Schilderung auch auf seine Aufzeichnungen verwiesen, ohne indes zugleich darauf hinzuweisen, dass sich dort auch Schriftstücke befinden, die er mit unzutreffendem Inhalt zur Verfolgung anderweitiger Zwecke angefertigt habe.
123(c) Die Überzeugungskraft der Angaben des Zeugen Q1 leidet noch an einem weiteren Umstand: Der Zeuge hatte – sowohl in seinen Aufzeichnungen als auch in einem mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft geführten Gespräch – davon berichtet, er könne seine den Angeklagten belastenden Angaben „beweisen“, werde diesen „Beweis“ aber erst offenbaren, wenn man seiner Forderung nach Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt nachkomme. Der von dem Zeugen Q1 sodann nach – seitens der Staatsanwaltschaft veranlasster – Erfüllung seiner Forderung präsentierte „Beweis“ erschöpfte sich jedoch in der bloßen Behauptung, er sei von dem Angeklagten bzw. von einem anderen Mitgefangenen – dem Zeugen C1 – auf Veranlassung des Angeklagten vergiftet worden, indem ihm – dem Zeugen – mit Medikamenten versetzter Kaffee gereicht worden sei. Hierzu führte der Zeuge aus, dass er nach dem Genuss ihm von dem Angeklagten bzw. von dem Zeugen C1 gereichten Kaffees und nach der Rückkehr in seine Zelle „Herzbeschwerden“ gehabt habe. Diese seien derart massiv gewesen, dass er – der Zeuge – mit seinem Ableben gerechnet habe. Die Frage, ob er in dieser Situation um ärztliche Hilfe gebeten habe, verneinte der Zeuge Q1 mit der – nicht glaubhaften – Erklärung, dergleichen wäre sinnlos gewesen, da er davon ausgegangen sei, derartige ärztliche Hilfe werde ihm seitens der Anstaltsbediensteten verwehrt werden.
124Auch dieses Vorgehen des Zeugen Q1 (Behauptung der Verfügbarkeit eines „Beweises“, der sich als unplausible und nicht überprüfbare Behauptung entpuppt) spricht gegen die Zuverlässigkeit seiner Angaben im Übrigen.
125(d) Die Kammer verkennt wiederum nicht, dass auch der Zeuge Q1 Angaben über Äußerungen des Angeklagten – insbesondere betreffend die laufende Hauptverhandlung – gemacht hat, die dafür sprechen, dass es zwischen beiden einen Gesprächsaustausch gegeben hat. Hiervon geht – abweichend von den Angaben des Angeklagten, der in Abrede gestellt hat, mit dem Zeugen überhaupt über sein Verfahren gesprochen zu haben – auch die Kammer aus. Nur vermag sie dem Zeugen angesichts der dargestellten Widersprüche und Besonderheiten inhaltlich nicht zu folgen, soweit er behauptet, der Angeklagte habe ihm die Tatbegehung eingestanden. Von Einzelheiten zur Tatbegehung oder zur Verdachtslage, die Rückschlüsse auf ein sogenanntes „Täterwissen“ des Angeklagten erlauben würden, hat auch der Zeuge Q1 im Übrigen nicht berichtet.
126(e) Unter zusammenfassender Würdigung sieht sich die Kammer außerstande, die Angaben des Zeugen Q1 zur Grundlage ihrer Überzeugungsbildung zu machen.
127b) Die Kammer hat ebenfalls erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben der Zeugin T6, soweit diese von ihren früheren – aus dem Jahre 2000 stammenden – Angaben abweichen.
128Bei der Zeugin T6 handelt es sich um die Lebensgefährtin des Angeklagten in der Zeit von 1997 bis etwa 2002 und somit auch zum Tatzeitpunkt. Nachdem der Angeklagte unmittelbar nach der Tat in das Blickfeld der Ermittlungen geriet, wurde die Zeugin T6 bereits am 2. August 2000 polizeilich vernommen; auch wurde ihre Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet. Nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen den Angeklagten im Jahr 2014 wurde die Zeugin in der Zeit vom 16. Juni 2015 bis zum 6. November 2017 insgesamt neunmal durch die Polizei vernommen. Für den Anklagevorwurf waren unter anderem ihre aus diesen Vernehmungen stammenden Angaben, der Angeklagte habe die Tat ihr gegenüber angekündigt und sie habe in der Wohnung des Angeklagten vor der Tat einen Gegenstand gesehen, der der von dem Zeugen KHK L7 erstellten Rekonstruktion des bei der Tat verwendeten Sprengkörpers glich, von Bedeutung.
129Die Kammer erachtet die Angaben der Zeugin T6 für nicht belastbar, da die Zeugin ganz erhebliche Schwierigkeiten hatte, zwischen eigenen Wahrnehmungen und Rückschlüssen zu unterscheiden. Ihre Angaben erfolgten zudem teilweise spekulativ und waren in wesentlichen Punkten widersprüchlich.
130(1) In der Hauptverhandlung gab die Zeugin T6 an, der Angeklagte habe die Tat etwa ein Jahr vor dem Anschlag angekündigt. Man habe sich gemeinsam in ihrer Wohnung befunden und der Angeklagte sei auf „irgendetwas“ wütend gewesen. Er habe „so etwas“ gesagt wie: „Ich werde sie hochjagen“. Er habe zwar nicht speziell gesagt, wen er damit meine, indes habe er immer „Hass auf Ausländer“ gehabt. Er habe „das am Bahnhof machen“ wollen. Auf erneute Nachfrage der Kammer zum Zeitpunkt einer solchen Äußerung gab die Zeugin jedoch an, sich nicht mehr zu erinnern, bekundete aber dann – im Sinne eines Rückschlusses („am logischsten“) –, dass die Äußerung vor dem Anschlag gefallen sein müsse; eine solche Äußerung ergebe keinen Sinn, wenn sie nach dem Anschlag gefallen wäre, da es dann „ja schon passiert“ sei.
131Angesichts der auch im weiteren Verlauf der Vernehmung zutage getretenen Schwierigkeiten der Zeugin T6, zwischen eigenen Wahrnehmungen und Rückschlüssen zu unterscheiden, bedürfen deren Angaben aus Sicht der Kammer einer besonders kritischen Würdigung. Dies gilt umso mehr, als die Angaben der Zeugin in ganz entscheidenden Punkten von den Angaben abweichen, die sie anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmungen vom 2. August 2000 und vom 21. September 2001 gemacht hat. Angesichts dessen liegt es aus Sicht der Kammer überaus nahe, dass auch die Schilderung der Zeugin T6 zu einer Ankündigung des Anschlags durch den Angeklagten selbst auf Rückschlüssen beruht. Dies vor allem deshalb, weil die erste Erwähnung dieser Ankündigung – der Angeklagte habe ihr gesagt, dass er „am Bahnhof was machen“ wolle – in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 16. Juni 2015 im Anschluss an einen inhaltlich unzutreffenden Vorhalt erfolgte. Zu Beginn dieser Vernehmung wurde der Zeugin ein Telefonat vorgehalten, das sie am 3. August 2000 mit einer – nicht identifizierten – Person namens „Q5“ geführt hatte.
132Darin kommt es zu folgendem Dialog:
133Q5: Und dann haben sie noch festgestellt, dass das TNT war, das war keine normale Handgranate.
134T6: TNT, dann ist er ja eh weg. Dann, dann, dann …
135Q5: Aber der S5 hat vielleicht die Möglichkeiten das herzustellen. Verstehste? Aber warum? Macht doch keinen Sinn.
136T6: Warum?
137Q5: Warum soll ich so ein kleines Ding bauen, wenn ich eh' TNT hab' bau' ich was Großes wenn ich da Bock drauf hab'. Dat haben sich die Bullen wohl auch gedacht. Wenn der schon irre ist der Typ, dann sprengt der richtig was in die Luft und nicht so ein kleines Dingen.
138T6: Ja, dann geht er nämlich zum Bahnhof. Dann macht er das richtig, das hat der T10 nämlich auch gesagt.
139Q5: Ist doch Schwachsinn alles.
140Bei der anschließenden Befragung wurde der Zeugin jedoch nicht vorgehalten, dass nach ihrer Darstellung „T10 über eine angebliche Äußerung des Angeklagten berichte, vielmehr wurde der Zeugin unzutreffenderweise gesagt, sie habe in dem Telefonat davon gesprochen, der Angeklagte selbst habe ihr gegenüber angekündigt, „was am Bahnhof“ zu machen.
141Daraufhin äußerte die Zeugin T6:
142„Ich verstehe das nicht. Ich weiß nicht warum ich das damals nicht gesagt habe. Es stimmt ja alles. Ich habe das gesagt und S5 hat mir auch gesagt, dass er am Bahnhof was machen will. Ich habe das nicht nur am Telefon erzählt, also S5 hat mir das tatsächlich erzählt. Warum soll ich das sonst gesagt haben, ich habe ihn ja geliebt.“
143Hieraus wird deutlich, dass die Zeugin T6 die Ankündigung des Anschlags („S5 hat mir das tatsächlich erzählt“) auf die durch den unzutreffenden Vorhalt bewirkte – ebenso unzutreffende – Annahme zurückführt, sie habe von einer Ankündigung des Anschlags durch den Angeklagten bereits in dem mit „Q5“ geführten Telefonat berichtet („Warum soll ich das sonst gesagt haben“). Angesichts dessen ist die erstmalige – und in Abweichung von früheren Angaben erfolgte – Schilderung der Zeugin T6, der Angeklagte habe den Anschlag angekündigt, aus Sicht der Kammer nicht tragfähig.
144Die Kammer verkennt nicht, dass sich aus dem Telefonat vom 3. August 2000 eine Einstellung der Zeugin T6 ergibt, wonach dem Angeklagten die Begehung eines Sprengstoffanschlags nach seiner charakterlichen Disposition grundsätzlich zuzutrauen sei. Nur führt sie in dem Telefonat den Anschlag auf der Grundlage der ihr verfügbaren Informationen eben nicht auf den Angeklagten zurück, da „T10“ gesagt habe, „dann“ gehe der Angeklagte „zum Bahnhof“ und mache das „richtig“, wähle mithin einen anderen Anschlagsort mit höherem Schadenspotential.
145Wer jener „T10“ ist, von dem die Zeugin T6 in dem Telefonat spricht, konnte nicht festgestellt werden. Die beiden in Betracht kommenden Personen mit diesem Vornamen – die Zeugen T11 und T12 – haben jeweils abgestritten, sich entsprechend geäußert zu haben. Aus diesem Grunde konnte die Kammer auch nicht feststellen, ob – die Richtigkeit der in dem Telefonat dokumentierten Bemerkung der Zeugin über „T10“ unterstellt – „T10“ der Zeugin T6 eine von dem Angeklagten selbst stammende Äußerung oder lediglich eine eigene Einschätzung oder Vermutung mitgeteilt hat, deren tatsächliche Grundlage sich ebenfalls nicht feststellen lässt.
146Bei der weiteren Würdigung der – bereits aus den vorgenannten Gründen wenig glaubhaften – Angaben der Zeugin T6 zur Ankündigung des Anschlags durch den Angeklagten hatte die Kammer auch zu bedenken, dass die Zeugin in der Vernehmung vom 16. Juni 2015 anders als in der Hauptverhandlung – dort sprach die Zeugin von „hochjagen“ – weder angab, welche konkrete Maßnahme der Angeklagte „am Bahnhof“ ins Auge gefasst bzw. angekündigt habe, noch dass sie sich zu dem Zeitpunkt dieser Ankündigung festlegen konnte („Ich weiß nicht, ob vor oder nach der Tat. Es kann auch sein, dass er mir das nach der Sache erzählte, wo er mir immer wieder seine Unschuld beteuert hat.“). In der folgenden polizeilichen Vernehmung vom 6. September 2015 gab die Zeugin im Anschluss an den (erneut unzutreffenden, s.o.) Vorhalt, der Angeklagte habe „einmal vom Bahnhof“ gesprochen, an, er habe gesagt, wenn er „etwas mache, dann richtig und am Bahnhof“. Bewertet man diese Aussage, fällt auf, dass die Zeugin T6 von dem Angeklagten nunmehr wörtlich diejenige Bemerkung gehört haben will, hinsichtlich derer sie in dem Telefonat vom 3. August 2000 noch angegeben hatte, dass sie auf einer Mitteilung jenes „T10“ beruhe. Die Kammer verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Zeugin T6 die Äußerung des Angeklagten in der Vernehmung vom 6. September 2015 – erstmals – in einen Zusammenhang mit bestimmten äußeren Ereignissen gestellt hat („Da war er irgendwie in Rage wegen der Ausländer, ich glaube vor dem Fernseher“). Indes war sie nicht in der Lage, die von ihr als Ankündigung eines Anschlags verstandene Äußerung („wenn ich etwas mache, dann richtig und am Bahnhof“) im Hinblick auf die in Aussicht genommenen Tatmodalitäten oder einen bestimmten Wortlaut zu konkretisieren; die Zeugin spricht lediglich von „machen“. Eine Äußerung des Angeklagten zur Tatmodalität bringt die Zeugin T6 erstmals in ihrer (sechsten) polizeilichen Vernehmung vom 9. Juni 2016 zur Sprache („er wolle was am Bahnhof in die Luft sprengen“), nachdem ihr erneut eine von „Q5“ geäußerte Bemerkung aus dem Telefonat vom 3. August 2000 vorgehalten worden war, die sich u.a. mit Sprengen befasst („wenn der schon irre ist der Typ, dann sprengt der richtig was in die Luft und nicht so ein kleines Dingen“). Auch gelang es der Zeugin T6 weder in dieser Vernehmung („Wortwörtlich weiß ich das nicht mehr.“) noch in den folgenden drei polizeilichen Vernehmungen, einen Wortlaut wiederzugeben, mit dem der Angeklagte seine Tatankündigung umschrieben hatte. Dass ihr dies stattdessen trotz des weiteren Zeitablaufs von eineinhalb Jahren in der Vernehmung vor der Kammer gelang, gibt umso mehr Anlass zu Zweifeln an der Substanz der Angaben, als die nunmehr geschilderte Äußerung des Angeklagten („ich werde sie hochjagen“) auch noch besonders plastisch ist. Dass die Zeugin T6 derlei vergessen haben könnte und deshalb in den polizeilichen Vernehmungen nicht zur Sprache gebracht hat, ist wenig wahrscheinlich. Umso erstaunlicher erscheint es der Kammer, dass eine konkrete Äußerung des Angeklagten zu der in Aussicht genommenen Tatmodalität dann gerade bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung in ihr Gedächtnis zurückfindet.
147Aufgrund der vorgenannten Umstände sind die Angaben der Zeugin T6 zur Ankündigung der Tat durch den Angeklagten nicht glaubhaft. Die Zeugin hat bereits Schwierigkeiten, eigene Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen voneinander abzugrenzen. Auf den – unzutreffenden – Vorhalt betreffend ihre telefonische Äußerung zur Tatankündigung reagierte sie im Wege einer selbstreferentiellen Schlussfolgerung („Warum soll ich das sonst gesagt haben“), die dazu noch in Widerspruch zu ihrer tatsächlichen Äußerung in dem Telefonat vom 3. August 2000 steht. Die weitere Konkretisierung ihrer Angaben zu der Tatankündigung erfolgte spekulativ bis widersprüchlich (Vernehmung vom 6. September 2015: „Da war er irgendwie in Rage wegen der Ausländer, ich glaube vor dem Fernseher“; Vernehmung vom 9. Juni 2016: „Vielleicht hatte er da irgendwas im Internet gelesen, was ihn zur Weißglut brachte“), ehe sie in der Hauptverhandlung eine überaus prägnante Äußerung des Angeklagten („hochjagen“) präsentierte, von der in den – insgesamt neun – vorherigen polizeilichen Vernehmungen noch nie die Rede gewesen war. Ob die Angaben der Zeugin dadurch beeinflusst sind, dass von ihr antizipierte Erwartungen der Vernehmungspersonen erfüllt werden sollten, oder ob andere Gründe die notwendige Präzision bei der Betätigung ihrer Erinnerung beeinträchtigen, bleibt offen. Jedenfalls vermag die Kammer nicht festzustellen, dass der Angeklagte die Tat in einem Gespräch mit der Zeugin angekündigt hat.
148(2) Die Kammer hat im Hinblick auf das gesamte Aussageverhalten der Zeugin auch erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt ihrer Angaben zu der Sprengvorrichtung.
149Die Zeugin gab in der Hauptverhandlung an, dass sie einen Gegenstand, der der durch das Landeskriminalamt NRW rekonstruierten Sprengvorrichtung gleiche, wenige Tage vor dem Anschlag bei dem Angeklagten in dessen Wohnung auf der H13 gesehen habe. Sie habe im Flur gestanden und in das unaufgeräumte („zugemüllte“) Zimmer gesehen. Der Gegenstand habe in der Küche auf einer Eckbank oder einem Schrank gestanden. Sie habe dem Gegenstand keine Bedeutung beigemessen. Sie habe ihn auch nicht richtig erkennen können, da es in dem Raum dunkel gewesen sei.
150Es ist aus Sicht der Kammer bereits wenig nachvollziehbar, dass sich die Zeugin nach deutlich mehr als 15 Jahren tatsächlich noch an einen Gegenstand erinnern kann, dem sie nach eigenem Bekunden „keine Bedeutung beigemessen“ hat und der bereits aufgrund der – von der Zeugin selbst geschilderten – äußeren Begebenheiten schlecht wahrzunehmen war, da sie sich selbst nicht in dem gleichen Raum befunden hat, der Raum dunkel war und sich in einem Zustand befand, der durch das Abstellen zahlreicher Gegenstände geprägt war („man konnte kaum einen Schritt vor den anderen setzen“, „alles vollgestellt und zugemüllt“).
151Die Angaben der Zeugin T6 – sowohl zur Wahrnehmung des Gegenstandes als auch zu einer damit einhergehenden weiteren Begebenheit – haben zudem im Verlauf des Verfahrens mehrfach gewechselt. So gab sie in der polizeilichen Vernehmung vom 4. Februar 2017, in der ihr die rekonstruierte Sprengvorrichtung (erstmals) gezeigt worden war, noch an, dass sie eine solche „Bombe“ noch „nie gesehen“ habe. Die Zeugin meldete sich dann am 7. Februar 2017 telefonisch bei dem Zeugen KOK L9 und gab an, dass sie einen der ihr gezeigten Sprengvorrichtung entsprechenden Gegenstand doch bei dem Angeklagten gesehen habe. In der daraufhin durchgeführten weiteren Vernehmung vom 16. Februar 2017 gab die Zeugin an, dass sie nach der letzten Vernehmung immer wieder an die ihr präsentierte Sprengvorrichtung habe denken müssen. Sie habe gewusst, dass sie den Gegenstand bereits zuvor einmal gesehen habe. Zwei Tage später sei ihr dann abends eingefallen, dass sie den Gegenstand, der „in etwa“ so ausgesehen habe wie der ihr gezeigte Nachbau der Sprengvorrichtung, in der Wohnung des Angeklagten gesehen habe. In dieser Vernehmung gab die Zeugin zudem an, dass sie diese Beobachtung an einem Tag gemacht habe, an dem der Großvater des Angeklagten diesen habe besuchen wollen; der Angeklagte habe seinen Großvater jedoch nicht in die Wohnung gelassen. Dies sei kurz vor dem Anschlag gewesen.
152Bereits der Umstand, dass die Zeugin T6 noch am 4. Februar 2017 definitiv in Abrede gestellt hatte, jemals einen Gegenstand, der aussieht wie die Rekonstruktion der Sprengvorrichtung, gesehen zu haben, gibt Veranlassung, die Tragfähigkeit ihrer Angaben besonders kritisch zu prüfen. Dieser Prüfung halten die Angaben nicht stand. Denn die Zeugin T6 hat sich höchst widersprüchlich zu dem – einprägsamen – Rahmengeschehen geäußert, anlässlich dessen sie die Beobachtung gemacht haben will (Besuch des Großvaters). In der Hauptverhandlung schilderte sie zu dieser Begebenheit, dass sie mit dem Angeklagten für kurze Zeit in dessen Wohnung (H13) gewesen sei. Es habe geklopft und geklingelt, woraufhin der Angeklagte durch den Türspion gesehen und seinen Großvater erkannt habe. Nachdem der Angeklagte nicht aufgemacht habe, sei der Großvater wieder gegangen. Kurz darauf seien sie und der Angeklagte in einem Kraftfahrzeug an dem Großvater vorbeigefahren. Auf erneute Nachfrage der Verteidigung gab die Zeugin an, dass sie sich nur „zu 90 Prozent“ sicher sei, dass sie bei Erscheinen des Großvaters auch in der Wohnung gewesen sei; ihr würden „ein bisschen Erinnerungen“ fehlen. Im deutlichen und nicht aufzulösenden Widerspruch hierzu hatte die Zeugin jedoch in der polizeilichen Vernehmung am 4. Juni 2016 – hier hatte die Zeugin die Begebenheit betreffend den Großvater lediglich zum Zwecke der Beschreibung der Persönlichkeit des Angeklagten geschildert – angegeben, dass der Angeklagte sie, nachdem er seinen Großvater nicht eingelassen hatte, in ihrer Wohnung aufgesucht und ihr von dem Vorfall berichtet habe („Herr U hat den Opa nicht reingelassen, danach ist er direkt zu mir gekommen“). In der polizeilichen Vernehmung vom 22. Oktober 2016 gab die Zeugin T6 dann wiederum an, dass sie sich bei der Begebenheit (Erscheinen des Großvaters) gemeinsam mit dem Angeklagten in dessen Wohnung aufgehalten habe, um sich kurz darauf zu korrigieren und anzugeben, sie sei sich sicher, dass sie in ihrer Wohnung auf der nahe gelegenen T8straße gewesen sei.
153Da die Zeugin T6 keine zuverlässige Erinnerung an das Geschehen hat, das sich begleitend zur Wahrnehmung des der rekonstruierten Sprengvorrichtung ähnelnden Gegenstandes ereignet haben soll und mit dem sie diese Wahrnehmung verknüpft („Den Gegenstand habe ich in der kleinen Wohnung, H13, bei Herrn U gesehen und zwar genau an dem Tag an dem Herr U seinen Opa nicht in die Wohnung hineingelassen hat. Das war ja kurz vor der Tat.“), verdichten sich die bereits oben dargelegten Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Angaben.
154(3) Dass die Zeugin T6 – wie bereits ausgeführt – nicht in der Lage ist, Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen zu trennen, wird auch durch eine weitere Begebenheit belegt: So gab die Zeugin in der Hauptverhandlung an, man habe ihr anlässlich einer polizeilichen Vernehmung eine Zeichnung gezeigt, auf der der Angeklagte auf einem Stromkasten sitzend mit dem Rücken zur Straße und mit dem Blick auf die S-Bahn-Station abgebildet sei. Die Zeugin sprach diese Zeichnung mehrfach aus eigener Initiative an und beschrieb präzise anmutende Einzelheiten der Zeichnung. Auf die Nachfrage, ob die Zeichnung einen auf dem Stromkasten sitzenden Mann zeige, bestätigte die Zeugin T6 ihre Angaben. Eine derartige Zeichnung existiert indes nicht und wurde der Zeugin T6 auch nicht gezeigt bzw. vorgehalten. Gezeigt wurde der Zeugin T6 im Rahmen der polizeilichen Vernehmung vom 6. September 2015 eine – noch in anderem Zusammenhang zu erörternde – Zeichnung von dem Profil eines Mannes mit einer Baseballkappe sowie eine Montage, auf der ein Foto des Profils des Angeklagten mit der (gezeichneten) Baseballkappe zu sehen ist. Auf der Zeichnung sowie auf der Montage sind ausschließlich Gesicht und Schulterbereich der Person ohne Hintergrund zu sehen. Der Zeugin wurde dazu erläutert, dass es sich bei der gezeichneten Person um einen Mann handele, der auf dem Stromkasten gegenüber vom Tatort gesessen und auf die Gleise gesehen habe. Die Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung zu der Zeichnung des Angeklagten auf dem Stromkasten zeigen deutlich auf, dass die Zeugin – vermutlich unbewusst – verschiedene Geschehensabläufe (Zeichnung und dazu gegebene Erklärung) miteinander vermengt und sich hieraus Angaben ergeben, die nicht dem entsprechen, was sie tatsächlich wahrgenommen hat.
155(4) Bei der Bewertung der Angaben der Zeugin T6 kann die Kammer auch nicht unberücksichtigt lassen, dass bei den – insgesamt neun – Vernehmungen in den Jahren 2015 und 2016 durch die vernehmenden Polizeibeamten ein hoher Erwartungsdruck aufgezeigt wurde, indem – so die entsprechenden Polizeibeamten selbst – „ziemlich heftig“ auf die hohe Belohnung („120.000 DM“), die Schwere der Tat, die Bedeutung des Verfahrens („schlimmstes Verfahren seit dem zweiten Weltkrieg in E4“, „Untersuchungsausschuss“) und die Bedeutung der Person der Zeugin (niemand sei „näher an ihm dran“ gewesen; es gebe „einen Oberstaatsanwalt und einen Ermittlungsrichter in diesem Verfahren, die die Beantwortung der offenen Fragen erwarten“ würden) hingewiesen und zugleich auch mitgeteilt wurde, dass es bereits Hinweise gebe, wonach der Angeklagte an der Tat beteiligt gewesen sei.
156Im Hinblick auf die Inkonstanzen der Angaben der Zeugin und ihre insgesamt labil erscheinende Persönlichkeit hält die Kammer es für möglich, dass die Erinnerungen der Zeugin auch durch die Art und die Häufigkeit der Vernehmungen verfälscht wurden und die Zeugin nunmehr Tatsachen für wahr hält, obwohl sie nicht der Wirklichkeit entsprechen.
157c) Die Kammer hält auch die Angaben der Zeugin I4 (früher: M4) für nicht hinreichend tragfähig.
158Die Zeugin I4 und der Angeklagte hatten in der Zeit von 1998 bis Ende 2000 regelmäßigen freundschaftlichen – und vereinzelnd sexuellen – Kontakt. Die Zeugin war zur Tatzeit Inhaberin eines Tätowierstudios auf der L10 Straße xx in E4. Dieses lag in einer Entfernung von mehr als 400 Metern zum Tatort. Der Angeklagte besuchte die Zeugin im Juli 2000 nahezu täglich in dem Tätowierstudio; auch am Tattag suchte der Angeklagte die Zeugin mehrfach dort auf. Die Zeugin wurde in den Jahren 2000 und 2001 ebenso wie in den Jahren 2015 und 2016 wiederholt vernommen. In der Vernehmung vom 8. Juni 2016 gab die Zeugin – erstmals – an, der Angeklagte habe die Tat ihr gegenüber angekündigt.
159Die Kammer sieht sich außerstande, Feststellungen auf die Angaben der – nach dem Eindruck der Kammer in ihrer Persönlichkeit ebenfalls labil wirkenden – Zeugin I4 zu stützen, da diese widersprüchlich sind und die Zeugin darüber hinaus auch nicht in der Lage ist, eigene Wahrnehmungen von Schlussfolgerungen zu unterscheiden.
160(1) In der polizeilichen Vernehmung vom 8. Juni 2016 hatte die Zeugin angegeben, der Angeklagte habe gesagt, „dass er die Kanaken in die Luft sprengen wolle“. Sie sei sich „hundertprozentig“ sicher, dass der Angeklagte derartiges vor dem Anschlag mehrfach gesagt habe. Einen zeitlichen oder situativen Zusammenhang, in dem der Angeklagte sich derart geäußert habe, gab die Zeugin nicht an. In der Hauptverhandlung schwächte die Zeugin ihre Angaben mehrfach dahingehend ab, dass der Angeklagte lediglich gesagt habe, dass „man was unternehmen“ müsse. Nachfragen zu dem Ort und die Äußerung begleitenden Umständen konnte sie nicht beantworten. Die Zuverlässigkeit ihrer Angaben relativierte sie selbst, indem sie – auf mehrmaligen Vorhalt ihrer Angaben in der polizeilichen Vernehmung – angab, der Angeklagte habe zu „99,9 %“ gesagt, „die müssten weg, die müsste man wegsprengen“ bzw. „dass man was unternehmen“ müsse. Kurz danach erklärte sie, „sprengen oder so“ habe der Angeklagte nicht gesagt. Auf den Unterschied ihrer Angaben angesprochen gab die Zeugin an, die Polizei habe ihr „die Worte in den Mund gelegt“, aufgrund der langen Dauer der Vernehmung (vier Stunden und zwanzig Minuten) habe sie sich nicht mehr konzentrieren können („wenn Sie vier bis fünf Stunden da sitzen ist das Gehirn auch Matsche und Brei“). Es könne sein, dass der Angeklagte das gesagt habe.
161Die Zeugin I4 konnte auch keine nachvollziehbare Erklärung dafür geben, warum sie derartige Äußerungen in ihren früheren, in den Jahren 2000 und 2001 durchgeführten Vernehmungen nicht erwähnt hatte. Soweit die Zeugin dies in der polizeilichen Vernehmung am 8. Juni 2016 damit erklärt hat, dass sie damals nicht an eine Täterschaft des Angeklagten geglaubt habe, überzeugt dies jedenfalls für ihre Vernehmung am 7. November 2001 nicht, da sich die Zeugin in dieser Vernehmung bereits mehrfach kritisch über den Angeklagten äußerte und eine Täterschaft durchaus in Betracht zog („Aufgrund der vorgenannten Auffälligkeiten und in meiner Kenntnis um die Person S5 U kann ich mit Überzeugung nicht sagen, dass er nichts damit zu tun haben könnte; …“).
162(2) Auch aus dem weiteren Aussageverhalten der Zeugin I4 ergeben sich erhebliche Bedenken gegen die Zuverlässigkeit ihrer Angaben. So gab die Zeugin gleich zu Beginn ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung von sich aus – erstmals – an, dass der Angeklagte im Juni 2000 „F“ mit W“ (gemeint waren die Zeugen F und W) vor die Sprachschule „gestellt“ habe. Ihr damaliger Lebensgefährte (der Zeuge F) habe sich ihren Hund ausgeliehen und mitgeteilt, er müsse „was“ für den Angeklagten „erledigen“, nämlich „jemandem einen Schrecken einjagen“. Im Laufe der Vernehmung gab die Zeugin – ohne sich von der Schilderung als eigene Wahrnehmung zu lösen – an, sie habe von der Polizei erfahren, dass sich die beiden Personen vor der Sprachschule aufgehalten hätten. Die Polizeibeamten hätten ihr gesagt, dass „F und W“ an der Sprachschule gewesen seien. Ihr sei daraufhin „eingefallen“, dass ihr damaliger Lebensgefährte – der Zeuge F– den Hund mitgenommen habe, um die Schüler der Sprachschule zu bedrohen.
163Dass es sich bei der Schilderung der Zeugin I4 nicht um ein auf eigener Wahrnehmung beruhendes tatsächliches Geschehen, sondern um eine zusammengesetzte Phantasie handelte, ergibt sich neben begleitenden Bemerkungen der Zeugin („man kann ja eins und eins zusammen zählen“, „kann ich mir denken, habe ich recherchiert“, „ich hab mir das Ding zusammengereimt“, „die haben das ja wohl auch ausgesagt“) auch aus dem Vergleich mit dem Inhalt der polizeilichen Vernehmung vom 8. Juni 2016. Im Rahmen dieser Vernehmung schilderten die Polizeibeamten der Zeugin ausführlich eine mutmaßliche Bedrohungssituation vor der Sprachschule auf der H durch zwei Männer mit zwei Kampfhunden im zweiten Halbjahr 1999. Die Zeugin war von den Polizeibeamten gezielt gefragt worden, ob sie wisse, ob es sich dabei um ihren damaligen Lebensgefährten, den Zeugen F und um den Zeugen W („W“) gehandelt habe. Die Zeugin gab daraufhin ausdrücklich an, keine Kenntnis von einem solchen Geschehen zu haben. Sie äußerte zudem Bedenken gegen eine Beteiligung des Zeugen F an dem Geschehen mit der Begründung, dass der Zeuge keinen Hund gehabt habe und sie erst seit Anfang 2000 mit ihm liiert gewesen sei. Dass sie dem Zeugen F ihren Hund einmal ausgeliehen habe und er dafür die von der Zeugin in der Hauptverhandlung genannten Gründe angegeben habe, gab die Zeugin hingegen im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung nicht an.
164Dass die Zeugin I4 grundsätzlich kaum in der Lage ist, zwischen eigener Wahrnehmung und Rückschlüssen bzw. phantasiebasierten Vorstellungen zu unterscheiden, ergibt sich auch aus Folgendem: Sowohl im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung vom 8. Juni 2016 als auch in der Hauptverhandlung erklärte sie, dass sie dem Angeklagten im Jahr 2000 einen Rudolf Heß zugeschriebenen Ausspruch („Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte“) auf den Körper tätowiert habe. Die Zeugin schilderte anschaulich, dass der Angeklagte ihr eine „Broschüre“ gezeigt habe, in der das Zitat aufgeführt gewesen sei. Für die Durchführung der Tätowierung habe es mehrerer Sitzungen bedurft, da es sich um eine „große Sache“ gehandelt habe. Sie habe den Ausspruch „viereckig“ mit „normaler Schrift“ auf die Hüfte des Angeklagten tätowiert. Diese Angaben der Zeugin sind jedoch eindeutig widerlegt, da sich ein derartiger Schriftzug nicht auf dem Körper des Angeklagten befindet und – nach den Ausführungen des insoweit mit seiner allgemein-medizinischen Sachkunde herangezogenen Sachverständigen L6 – auch keine Anzeichen dafür erkennbar sind, dass eine solche Tätowierung nachträglich entfernt oder durch eine andere Tätowierung überschrieben wurde.
165d) Zusammenfassend ist zu den Angaben der Zeugen M1, Q1, T6 und I4 zu sagen, dass diese aufgrund der beschriebenen Mängel, Unvollkommenheiten und Widersprüche nicht geeignet sind, zur Wahrheitsfindung beizutragen. Der Umstand, dass es sich um insgesamt vier Zeugen handelt, die jeweils von Äußerungen des Angeklagten mit Tatbezug sprechen, hat die Kammer – auch in Rahmen einer vorweggenommenen Gesamtschau mit weiteren den Angeklagten belastenden Beweisanzeichen – berücksichtigt. Dies führt jedoch zu keiner anderen Bewertung, was auch deshalb gilt, weil sich die Angaben der Zeugen bereits nicht wechselseitig stützen. Denn die Zeugen berichten nicht über eine identische Gesprächssituation (alle Zeugen mit dem Angeklagten gemeinsam), sondern über jeweils unterschiedliche. Die Kammer hat zudem berücksichtigt, dass (auch) die Angaben des Angeklagten, was noch zu erörtern ist, in großen Teilen unglaubhaft und widerlegt sind. Dies führt aus Sicht der Kammer aber aufgrund der aufgezeigten gravierenden Mängel – entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft – nicht zu einer erhöhten Glaubhaftigkeit der jeweiligen Zeugenaussage.
166Die Kammer hat sich hinsichtlich der Zeugen M1 und Q1 auch die Frage nach dem Motiv für eine unzutreffende Falschbelastung des Angeklagten gestellt. Sie konnte diese Frage nicht sicher beantworten, hält es aber hinsichtlich des Zeugen M1 für möglich, dass dieser sich in Ansehung der ausgelobten Belohnung finanzielle Vorteile versprochen hat. Hinsichtlich des aus Sicht der Kammer völlig unberechenbaren Zeugen Q1 kommen als mögliche Motive daneben auch die Erwartung von Vorteilen für das eigene – zum Zeitpunkt der Vernehmung noch bevorstehende – Strafverfahren oder schlicht Wichtigtuerei in Betracht.
167e) Die Kammer hat weiterhin geprüft, ob bestimmte Äußerungen, die der Angeklagte in aufgezeichneten Telefonaten von sich gegeben hat, für seine Täterschaft sprechen:
168(1) Grundsätzlich ist zu den im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung aufgezeichneten Telefonaten anzumerken, dass sich hieraus ein grob ausländerfeindlicher Standpunkt, eine zynisch verachtende Einstellung zu den Opfern des Anschlags sowie eine ausgeprägte Affinität zu nationalsozialistischem Gedankengut ergeben. So äußert sich der Angeklagte in einem mit dem Zeugen T12 am 2. August 2000 – nach einer umfangreichen Presseberichterstattung über seine Rolle als Tatverdächtiger – geführten Telefonat dahingehend, dass er die Tat zwar nicht begangen habe, dass er im Falle der Täterschaft indes eine andere Art der Tatbegehung gewählt hätte („Ich hätte alle acht mit dem Scharfschützengewehr über den Haufen geknallt, dann hätte ich wenigstens noch was davon gehabt. So, ich habe doch keine persönliche Erfüllung dabei.“). In einem am 23. August 2000 mit der Zeugin F1 geführten Telefonat betont er seine Gleichgültigkeit gegenüber den Tatopfern („Das ist mir scheißegal was da passiert ist. Das interessiert mich nur, weil die mich hier beschuldigen. Ansonsten wäre mir das so pissegal.“). In einem am 7. Oktober 2015 mit der Zeugin I5 geführten Telefonat äußert sich der Angeklagte abfällig und in einer seine ausländerfeindliche Einstellung belegenden Art und Weise über die Tatopfer („Ich wusste nur, dass die Russen, Kanaken da irgendwas planen um klar zu machen, ihr müsst die Reise bezahlen. Is so. Die hatten halt das Zeug auch in der Tasche. Das waren nicht die lieben netten Juden, die von Russland in so eine Sprachschule gehen und lieb sind. Das war Drogen verkaufendes Drecksvolk, ja, was erst jüdisch geworden ist als ein deutscher SS Schäferhund durch ihr Dorf gerannt ist und denen erklärt hat beim Arschvögeln das ihr in Deutschland Geld kriegt wenn ihr Juden seid.“).
169Die Erkenntnisse aus diesen und aus einer Vielzahl weiterer Telefonate führen zu der Bewertung, dass dem Angeklagten die Begehung einer gegen Menschen ausländischer Herkunft gerichteten Gewalttat wegen seiner ausgeprägten Ausländerfeindlichkeit keineswegs persönlichkeitsfremd wäre. Die Kammer hatte bei der Bewertung der Äußerungen des Angeklagten jedoch auch sein später noch näher zu beleuchtendes Persönlichkeitsgefüge zu berücksichtigen, das sich im Umgang mit Dritten durch Prahlerei und Egozentrismus auszeichnet.
170(2) Äußerungen, die im Sinne eines Tateingeständnisses belegen würden, dass der Angeklagte Urheber des Anschlags ist, finden sich in den Telefonaten jedoch nicht. Der Angeklagte stellt seine Täterschaft gegenüber seinen Gesprächspartnern durchweg in Abrede, insbesondere wenn in den Telefonaten seine Rolle als Tatverdächtiger erörtert wird.
171(3) Für die von der Staatsanwaltschaft vertretene These einer Selbstbelastung sind zwei Telefonate von Bedeutung.
172In einem am 18. August 2000 geführten Telefonat, in dem sich seine Gesprächspartnerin mit dem Thema „Abtreibung“ beschäftigt, äußert der Angeklagte:
173„Ach, man hat mir übrigens gesagt, dass dieses Kind, was da gestorben ist hier, nä, dass das gar nicht eine Anklage wegen Mord ist. Ja, sondern das ist ja nur Abtreibung, was ich gemacht habe (kurze Pause) oder haben könnte. Also zählt nicht. Du könntest also soundso viele Kinder im Bauch von irgendwelchen Leuten umnieten, das ist nur Abtreibung, kein Mord. Es darf nur nicht die Mutter sterben.“
174Der im Indikativ formulierten Passage („gemacht habe“) könnte zwar – isoliert betrachtet – ein Eingeständnis der Täterschaft entnommen werden. Indes wird diese Formulierung von dem Angeklagten sofort durch Verwendung des Konjunktivs („haben könnte“) berichtigt. Ob der Wortwahl des Angeklagten im konkreten Fall ein Bewusstsein der eigenen Täterschaft, eine missglückte Formulierung – im Sinne einer unangepassten Wiedergabe des Aussageinhalts einer anderen Person – oder eine – was an anderer Stelle noch vertieft zu erörtern ist und keinesfalls fern liegt – verbale Pose im Sinne eines selbstschmückenden Imponierverhaltens zugrunde liegt, lässt sich weder der Betonung noch dem Gesprächskontext entnehmen. Der Angeklagte selbst hatte keine Erinnerung mehr an das Telefonat und versuchte in der Hauptverhandlung auf eine für ihn günstige Interpretation hinzuwirken („Ich habe keinen weggebombt oder sonst was. Ich habe damit nichts zu tun. Ich habe damals gesagt was jemand zu mir gesagt hat, was ich da gemacht hab. Ich sag ja auch dann ‚gemacht haben soll‘ “).
175In einem am 15. Februar 2016 geführten Telefonat äußert sich der Angeklagte im Zusammenhang mit seinen drei – zu dieser Zeit schon getrennt von ihm lebenden – Kindern wie folgt:
176„Naja, drei Mal praktisch richtig Glück gehabt. Mit der Wehrhahn-Sache ja genauso; wenn man das noch nimmt, dann vier Mal. Aber irgendwann ist die Kraft auch raus bei einem Mann, die Kraft zu kämpfen.“
177Der Angeklagte hat diese Äußerung dahin interpretiert wissen wollen, dass er den Begriff des „Glücks“ hier im Sinne einer zynisch gemeinten Umkehrung des eigentlichen Wortsinns verwendet habe. Die im Rahmen eines Umgangsrechtsverfahrens erfolgte Unterbindung des Kontakts zu seinen Kindern – dies habe er der Sache nach gemeint – sei für ihn kein Glück, sondern das Gegenteil. Und dies sei auch im Hinblick auf die „Wehrhahn-Sache“ gemeint.
178Ob eine solche Interpretation naheliegend ist oder nicht, kann dahinstehen. Nach Dafürhalten der Kammer ist ohnehin äußerst zweifelhaft, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch eine konkrete Erinnerung an das Telefonat hatte. Es liegt näher, dass er versucht hat, die Äußerung ohne präsentes Verständnis des hiermit in der Gesprächssituation verbundenen Gedankengangs zu interpretieren und dass hierbei für ihn das Ziel im Vordergrund stand, ein mutmaßlich belastendes Beweisanzeichen zu entwerten. Unabhängig von der Substanz des Interpretationsversuchs durch den Angeklagten lässt die Äußerung aus Sicht der Kammer aber mehrere alternative Deutungen zu. Soweit eine dieser Deutungen darin besteht, der Angeklagte könne mit „Glück“ gemeint haben, dass die im Jahre 2000 gegen ihn geführten Ermittlungen eingestellt wurden, besagt dies aus Sicht der Kammer jedoch noch nichts darüber, dass er diese Äußerung im Bewusstsein der eigenen Täterschaft getätigt hat. Denn auch ein Unschuldiger kann es als „Glück“ empfinden, wenn gegen ihn gerichtete Ermittlungen wegen eines Kapitalverbrechens eingestellt werden. Die Kammer hält – gerade bei einer derart beiläufigen Äußerung und vor dem Hintergrund des nur wenig reflektierenden Konversationsverhaltens des Angeklagten – keine der möglichen Deutungen für vorzugswürdig, naheliegend oder gar zwingend.
179(4) Insgesamt entnimmt die Kammer den Telefonaten eine grob ausländerfeindliche Einstellung des Angeklagten und damit ein im Hinblick auf die Nationalität der Opfer den Angeklagten belastendes Beweisanzeichen. Die Telefonate vom 18. August 2000 und vom 15. Februar 2016 lassen sich nach Dafürhalten der Kammer indes – auch wegen der nachstehend beschriebenen Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten – nicht im Sinne eines tragfähigen Eingeständnisses der Täterschaft interpretieren.
180f) Insgesamt stellt sich das Verhalten des Angeklagten, wie es sich aus zahlreichen aufgezeichneten Telefonaten, aber auch aufgrund seiner Äußerungen in der Hauptverhandlung ergibt, als wenig reflektiert dar. Der Angeklagte neigt – persönlichkeitsbedingt – dazu, sich in nahezu jedem Kontext als kompetenter darzustellen, als er – insbesondere gemessen an seinen eher bescheidenen beruflichen Erfolgen – tatsächlich ist. Die in zahlreichen Telefonaten zum Ausdruck kommende Neigung zu „Imponiergehabe“, die zu der von dem Sachverständigen L6 (Psychiater und Psychologe) diagnostizierten ausgeprägten narzisstischen Akzentuierung der Persönlichkeit des Angeklagten passt, bezieht nach Einschätzung der Kammer auch seine Verfahrensrolle mit ein. So lässt sich zahlreichen im Jahre 2000 aufgezeichneten Telefonaten entnehmen, dass der Angeklagte die mutmaßliche „Prominenz“, die er durch seine auch in der Presse mitgeteilte Rolle als Beschuldigter oder „Verdächtiger“ erlangt hatte, im Sinne einer Persönlichkeitsaufwertung thematisiert. Dies wird auch bestätigt durch die Angaben der Zeugin T13, die davon berichtet hat, der Angeklagte habe sie – im Anschluss an die seine Rolle als Tatverdächtiger betreffende Presseberichterstattung – gefragt, ob sie die Zeitungen schon gelesen habe. Der Angeklagte sei stolz „auf den ganzen Medienrummel“ gewesen, der „um ihn gemacht“ worden sei. In einem am 4. August 2000 mit der Zeugin I4 geführten Telefonat sinniert der Angeklagte über die Möglichkeit, künftig nicht nur Objektschutztätigkeiten, sondern auch „Inkassoaufgaben“ wahrzunehmen, weil die Berichterstattung über ihn säumige Schuldner beeindrucken werde („… weil die jetzt denken aufgrund dieses Bombenverdachts, wenn einer hört, die Firma, die verdächtigt wurde, die Bombe explodiert zu haben, dann zahlen die Leute schneller …“), womit er – jedenfalls bei der Zeugin I4 auch den gewünschten Eindruck erzielt („Jajaja, cool!“).
181Dieses Verhalten, das – wie auch der Sachverständige L6 ausgeführt hat – zu der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten passt, relativiert indes den Beweiswert mutmaßlich selbstbelastender Äußerungen des Angeklagten dahingehend, dass stets seine Neigung in Rechnung zu stellen ist, sich selbst zu erhöhen.
182Dafür, dass der Angeklagte dieses Verhalten im Sinne eines die Überlegungen des Gerichts antizipierenden Entlastungsversuchs lediglich simuliert, haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Im Gegenteil: Die Bewertung der Persönlichkeit des Angeklagten steht in Einklang sowohl mit den Ausführungen des Sachverständigen L6 als auch mit der Schilderung zahlreicher Zeugen aus dem (früheren) Umfeld des Angeklagten. Die in den Schlussvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger teilweise vorgebrachte Erwägung, der Angeklagte spiele in der Hauptverhandlung lediglich eine Rolle, um genau den sich aus der o.g. Würdigung ergebenden Effekt zu erreichen, hat die Kammer geprüft. Die Erwägung ist jedoch schon deshalb zu verwerfen, weil sich das geschilderte Persönlichkeitsbild keinesfalls nur aus den Eindrücken der Hauptverhandlung, sondern vor allem aus den Äußerungen des Angeklagten in den aufgezeichneten Telefonaten ergibt. Dass der Angeklagte bereits während dieser Telefonate ein bestimmtes – seiner „wahren“ Persönlichkeit widersprechendes – Rollenverhalten angenommen haben könnte, um in einem späteren Strafverfahren hieran anzuknüpfen, ist aus Sicht der Kammer als fernliegend zu verwerfen.
183g) Die Erkenntnisse zur Tatzeit sprechen eher gegen als für eine Täterschaft des Angeklagten.
184(1) Die Explosion ereignete sich am 27. Juli 2000 zwischen 15:03:16 Uhr und 15:03:46 Uhr. Dies ergibt sich aus den von dem Zeugen KHK a.D. G1 geschilderten Ermittlungen. Danach habe ein Passant angegeben, dass sich die Explosion ereignet habe, während er mit einem Mobilfunkgerät telefoniert habe. Die Anschlussermittlungen bei dem Mobilfunkanbieter hätten ergeben, dass dieser Anruf um 15:03:16 Uhr begonnen und 30 Sekunden gedauert habe. Eine nähere zeitliche Eingrenzung war nicht möglich. Dieser Zeitrahmen passt auch zu den weiteren hierzu gewonnenen Erkenntnissen, insbesondere den dokumentierten Einsatzzeiten der Rettungskräfte.
185(2) Durch die Ermittlung der rückwirkenden Verbindungsdaten des Festnetzanschlusses in der Wohnung des Angeklagten auf der H13 ist belegt, dass von dem dort installierten Festnetzanschluss um 15:07:42 Uhr ein Anruf an den Festnetzanschluss des Zeugen T14 erfolgte. Der Zeuge T14 hatte in einer Zeitungsanzeige ein Fahrzeug – einen gebrauchten Geländewagen – zum Verkauf angeboten. Die ergibt sich nicht nur aus den Angaben des Zeugen T14, sondern auch aus einem aufgezeichneten Telefonat vom 23. August 2000, in dem der Zeuge den Angeklagten zurückruft und in dem er dem Angeklagten über Einzelheiten des angebotenen Fahrzeugs berichtet. An ein zuvor – insbesondere am 27. Juli 2000 – mit dem Angeklagten geführtes Telefonat konnte sich der Zeuge T14 zwar nicht erinnern; indes ergibt sich aus dem Telefonat vom 23. August 2000, dass der Zeuge auf einen Anruf des Angeklagten Bezug nimmt. Da der Zeuge T14 in diesem Telefonat den sich nicht mit Namen meldenden Angeklagten („Ja bitte!“) mit Namen anredet („Guten Tag Her U, hier ist T14“) steht auch fest, dass der Angeklagte bereits zuvor mit dem Zeugen T14 telefoniert oder den Anrufbeantworter des Zeugen besprochen und dort seinen Namen und seine telefonische Erreichbarkeit hinterlassen hatte. Ob letzteres (Besprechen des Anrufbeantworters) anlässlich des Anrufs vom 27. Juli 2000 geschah, konnte zwar nicht festgestellt werden. Sicher ist anhand der rückwirkenden Verbindungsdaten jedoch, dass es zumindest einen Anrufversuch gegeben hat und der Anrufbeantworter aktiviert wurde, was sich wiederum aus den – der Liste der Verbindungsdaten entnommenen –Kosten des Telefonats in Höhe von nur 0,04 DM ergibt.
186(3) Mangels Hinweises auf einen anderen Anrufer geht die Kammer davon aus, dass der Angeklagte am Tattag den Anruf um 15:07:42 Uhr getätigt hat. Berücksichtigt man, dass – wie auf Veranlassung der Kammer durch einen Richter ermittelt, der hinsichtlich der damaligen körperlichen Konstitution des Angeklagten mit diesem vergleichbar ist – der Fußweg zwischen dem Stromschaltkasten gegenüber dem Hause H3 Str. xx – auf diesem saß der Täter zur Tatzeit (siehe oben III1 und IV2d) – und der Haustür H13 (Wohnung des Angeklagten) 4:50 Minuten bei gemächlicher Gehweise und 3:38 Minuten bei zügiger Gehweise in Anspruch nimmt, würde sich – insoweit zur Überprüfung der Verdachtshypothese zu Lasten des Angeklagten – bei zügiger Gehweise und Zugrundelegung des frühestmöglichen Explosionszeitpunkts (15:03:16 Uhr) sowie unter Berücksichtigung eines von der Kammer ermittelten Zeitaufwandes für den Weg von der Haustür bis zur Wohnungstür in der ersten Etage des Hauses von 14 Sekunden – ohne Berücksichtigung des zweimaligen (Haus- und Wohnungstür) Schließvorgangs sowie des Wahl- und Verbindungsvorgangs – ergeben, dass der Angeklagte 34 Sekunden vor dem Anruf in seiner Wohnung eintraf:
18715:07:42 Uhr(Anruf)
188./.
18915:03:16 Uhr(Explosion)
190=
19104:26 Minuten
192./.
19303:38 Minuten(Zeit für den Gang von dem Stromkasten zu der Haustür)
194./.
19500:14 Minuten
196(Zeit für den Gang von der Haustür zu der Wohnungstür)
197=
19800:34 Minuten
199(4) Dieses Zeitraster engt sich weiter ein, wenn man – wie die Kammer – aufgrund der Angaben der Zeugin U1 davon ausgeht, dass der Täter den Stromschaltkasten nicht sofort nach der Explosion verlassen hat. Die Zeugin U1 hat insoweit angegeben, dass sie erst aus ihrem Fenster geschaut habe, nachdem sie den Knall gehört habe. Sie habe zunächst zu der in der Nähe des S-Bahnhofs gelegenen Bushaltestelle gesehen und dort verschiedene Beobachtungen (Scherben vor der Bushaltestelle; laufende Menschen im Bereich der Fußgängerbrücke, die dann „umfielen“ und auf dem Weg lagen) gemacht. Erst danach habe sie auf den vor ihrem Fenster installierten Stromschaltkasten gesehen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Mann noch dort gesessen und auf den Tatort geschaut. „Kurz darauf“ habe er sich von dem Stromschaltkasten „geschwungen“ und sei die H in Richtung X1 Straße gegangen. Er habe sich „nicht besonders schnell“ bewegt, sondern sei „ganz normal“ gegangen. Berücksichtigt man diese Angaben und bedenkt man zusätzlich, dass der Täter, um nicht aufzufallen, „ganz normal“ ging und legt deshalb bei der Weg-Zeit-Berechnung den Mittelwert zwischen gemächlicher Gehweise (4:50 Minuten) und zügiger Gehweise (3:38 Minuten) mit 4:14 Minuten zugrunde, ergibt sich – bereits ohne Berücksichtigung der von der Zeugin U1 geschilderten, nicht quantifizierbaren („Kurz darauf“) Latenzzeit –, dass der Angeklagte erst zwei Sekunden nach Beginn des Anrufs in der Wohnung eingetroffen wäre.
20015:07:42 Uhr
201(Anruf)
202./.
20315:03:16 Uhr
204(Explosion)
205=
20604:26 Minuten
207./.
20804:14 Minuten
209(Zeit für den Weg von dem Stromkasten zu der Haustür)
210./.
21100:14 Minuten(Zeit für den Weg von der Haustür zu der Wohnungstür)
212=
213– 00:02 Minuten
214(5) Geht man schließlich – insoweit zugunsten des Angeklagten – von der spätestmöglichen Detonationszeit aus (15:03:46 Uhr) und rechnet man für den Wähl- und Verbindungsvorgang sowie den zweimaligen Schließvorgang (Haustüre und Wohnungstüre) nochmals fünf Sekunden hinzu, ergibt sich eine Zeitdifferenz von 37 Sekunden.
21515:07:42 Uhr(Anruf)
216./.
21715:03:46 Uhr(Explosion)
218=
21903:56 Minuten
220./.
22104:14 Minuten(Zeit für den Weg von dem Stromkasten zu der Haustür)
222./.
22300:14 Minuten
224(Zeit für den Weg von der Haustür zu der Wohnungstür)
225/.
22600:05 Minuten
227(Zeit für den zweimaligen Schließvorgang sowie den Wähl- und Verbindungsvorgang)
228=
229– 00:37 Minuten
230Dann hätte der Angeklagte den Anruf nur führen können, wenn er auf dem Weg vom Tatort bis zum Telefon 37 Sekunden eingespart hätte. Dies vermag die Kammer zwar grundsätzlich nicht auszuschließen. Die Kammer hat auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Systemzeiten des Telekommunikationsanbieters, der die Daten zur Ermittlung der Tatzeit lieferte, und desjenigen, der die rückwirkenden Verbindungsdaten des Festnetzanschlusses in der Wohnung des Angeklagten aufzeichnete, voneinander abweichen mögen. Sie kann diese Möglichkeit mangels hierzu gewonnener Erkenntnisse indes nicht als naheliegend betrachten. Ein Wechsel von der durch die Zeugin U1 geschilderten Fortbewegungsgeschwindigkeit („nicht besonders schnell“ bzw. „ganz normal“) zu einer wesentlich höheren Geschwindigkeit erscheint der Kammer ebenfalls nicht naheliegend, da der gesamte Bereich zwischen dem Stromschaltkasten und der Wohnung des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund der zahlreichen Anwohner und Passanten voraussehbar belebt war und der Angeklagte sich voraussehbar verdächtig gemacht hätte, wenn er sich unmittelbar nach der Tat in einer auffällig hohen Geschwindigkeit über die Straße bewegt hätte.
231(6) Doch selbst dann, wenn der Angeklagte 34 Sekunden (siehe oben IV4g3) oder gar – beispielhaft – zwei Minuten vor dem Anruf bei dem Zeugen T14 seine Wohnung betreten hätte, würde der Anruf den Angeklagten im Sinne eines gegen seine Täterschaft sprechenden Beweisanzeichens entlasten, da aus Sicht der Kammer mehr dagegen als dafür spricht, dass jemand, der soeben einen Sprengstoffanschlag begangen hat, unmittelbar nach der Tatbegehung ein Telefonat betreffend den beabsichtigten Erwerb eines Gebrauchtwagens führt. Soweit die Staatsanwaltschaft meint, der Angeklagte habe sich durch den Anruf bei dem Zeugen T14 lediglich ein Alibi verschaffen wollen, weil er – zutreffend – angenommen habe, dass die Verbindungsdaten erfasst würden, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn ein solches Vorgehen scheint der Kammer aus zwei Gründen gerade nicht naheliegend:
232(a) Wenn der Angeklagte im Falle der Täterschaft den Plan gefasst hätte, sich durch einen solchen Anruf von einem befürchteten Tatverdacht zu entlasten, hätte es aus Sicht der Kammer näher gelegen, einen Telefonanschluss zu wählen, bei dem der Angeklagte einigermaßen sicher sein konnte, dass der Angerufene das Telefonat sowohl entgegennimmt als auch ihn später glaubhaft als Anrufer identifiziert. Wieso er stattdessen die erheblich weniger erfolgversprechende Alternative gewählt haben sollte, den ihm bis dahin völlig unbekannten Zeugen T14 anzurufen, von dem er nicht einmal wusste, ob er erreichbar ist und das Telefonat später würde bezeugen können bzw. ob er über einen funktionsfähigen Anrufbeantworter verfügt, leuchtet der Kammer nicht ein.
233Der hiergegen gerichtete Einwand der Staatsanwaltschaft, ein Anruf bei einem Bekannten des Angeklagten hätte die Gefahr mit sich gebracht, dass diesem später nicht geglaubt werde, verfängt ebenso wenig wie die Überlegung, der Angeklagte hätte bei Nichterreichbarkeit des Zeugen T14 noch andere Rufnummern aus der Zeitung, in der der Zeuge inseriert hatte, anrufen können. Denn als Alternative zu dem Zeugen T14 wäre auch ein mit dem Angeklagten nur flüchtig oder lediglich geschäftlich bekannter Anschlussinhaber in Betracht gekommen, dessen Erreichbarkeit wahrscheinlich gewesen wäre. So rief der Angeklagte bereits um 15:21 Uhr – 14 Minuten nach dem Anruf bei dem ZeugenT14– bei einer Fahrschule an, bei der er seinerzeit zur Wiedererlangung seiner Fahrerlaubnis Unterricht nahm. Hätte sich der Angeklagte um einen Anrufadressaten bemühen wollen, der eine hinreichende persönliche Distanz zu ihm hat, um so eine überzeugendere Quelle für die Bestätigung des Anrufs zu schaffen, so hätte er statt bei dem ihm völlig unbekannten und hinsichtlich seiner telefonischen Erreichbarkeit – und daher hinsichtlich des Nachweises des Anrufs – unzuverlässigen Zeugen T14 auch bei der Fahrschule oder anderen Anschlussinhabern anrufen können, deren Angaben nicht wegen einer mutmaßlichen Nähe zu dem Angeklagten kritisch hinterfragt worden wären. Die Kammer hält es auch nicht für naheliegend, dass der Angeklagte – hätte er den Anruf bewusst zur Entlastung von einem Tatverdacht getätigt – das Risiko eingegangen wäre, im Falle der Nichterreichbarkeit des Zeugen T14 oder des Nichtvorhandenseins eines Anrufbeantworters – und damit der unterbliebenen Dokumentation des Anrufs im Speicher der Verbindungsdaten – „wertvolle“ Zeit zu verlieren, um „auf gut Glück“ andere Telefonnummern anzuwählen. Hinzu kommt, dass der Zeuge T14 zur Tatzeit einen gebrauchten Geländewagen inseriert hatte. Gerade ein solches Fahrzeug hatte sich der Angeklagte jedoch auch später – im Jahre 2001 – angeschafft. Zudem hat er am 23. August 2000 mit dem Zeugen ein ausführliches Gespräch über das Fahrzeug geführt. Auch dies spricht dagegen, dass der Angeklagte mit dem Anruf den Zweck verfolgte, seinen Aufenthalt in der Wohnung zu dokumentieren.
234(b) Hinzu kommt Folgendes: Der Angeklagte hat zwar in seiner Vernehmung vom 31. Juli 2000 gegenüber dem Zeugen PHK T15 mehrfach darauf hingewiesen, dass er, nachdem er von der Zeugin I4 (Inhaberin des Tätowierstudios) in seine Wohnung gekommen sei, telefoniert habe und deshalb anhand seiner Telefonrechnung belegen könne, wann er zu Hause gewesen sei. Er hat jedoch auf die Frage, mit wem er telefoniert habe, keine konkrete Antwort gegeben („Keine Ahnung. Die letzte Nummer war irgendwas Geschäftliches. Durch die Hubschrauber habe ich dann nichts mehr verstanden und deshalb aufgelegt“), obwohl es – jedenfalls aus Sicht der Kammer – im Falle der Täterschaft und der gezielten Konstruktion eines Entlastungsbeweises schon in dieser Situation nahegelegen hätte, konkret auf den Anruf bzw. Anrufversuch bei dem Zeugen T14 hinzuweisen, um den verdachtsentlastenden Effekt des Telefonats bereits zu einem frühen Zeitpunkt auszulösen. Stattdessen entwickelte der Angeklagte auch in der Folgezeit keine Aktivitäten, um einen auf Entlastung zielenden Plan umzusetzen und die Ermittlungsbehörden – naheliegenderweise durch Präsentieren der Telefonrechnung mit den jeweiligen Anrufzeiten – zu täuschen. Die These der Staatsanwaltschaft, die einzige logische Erklärung für die Nichtvorlage der Telefonrechnung sei darin zu sehen, dass der Angeklagte inzwischen die polizeilichen Ermittlungen zur Vermessung der Wegstrecke zwischen Tatort und seiner Wohnung bemerkt hatte und ihm deshalb bewusst geworden sei, dass er mit der Telefonrechnung keinen Alibibeweis werde führen können, teilt die Kammer nicht. Denn der Angeklagte konnte im Falle der Täterschaft bei realistischer Einschätzung ohnehin nicht davon ausgehen, dass ein vier Minuten nach der Tat getätigter Anruf ihm ein Alibi liefern werde, das seine Täterschaft absolut ausschließt. Deshalb hätte der verdachtsentlastende Effekt des Anrufs – die Täterschaft des Angeklagten unterstellt – ohnehin nur darin liegen können, seinen Aufenthalt in der Wohnung lediglich innerhalb einer engen zeitlichen Nähe zu dem Anschlagszeitpunkt zu belegen. Warum er hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht hat, erschließt sich der Kammer nicht, weshalb sie auch die weitere These der Staatsanwaltschaft von einer vorweggenommenen Konstruktion eines Alibibeweises nicht teilt. Diese Überlegungen gelten umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass sowohl auf dem – dem Angeklagten bekannten – Fahndungsplakat als auch in der Vernehmung des Angeklagten am 31. Juli 2000 als Tatzeit 15:05 Uhr – also ein Zeitpunkt nach der eigentlichen Tatzeit und somit (noch) näher an der Zeit des geführten Telefonats – angegeben wurde.
235(c) Damit liegt es aus Sicht der Kammer aus den genannten Gründen näher, dass dem Anruf bei dem Zeugen T14 eben keine taktischen Erwägungen zugrunde lagen, so dass zugunsten des Angeklagten die oben ausgeführte (Hilfs-)Überlegung zum Tragen kommt, wonach es eher untypisch wäre, wenn der Täter eines Sprengstoffanschlages nur Sekunden nach dem tatzeitnah erfolgten Betreten seiner Wohnung versucht, ein Telefonat über die Anschaffung eines Gebrauchtwagens zu führen.
236(d) Der Kammer ist bewusst, dass sie bei der Überprüfung der These, ob der um 15:07 Uhr getätigte Anruf für oder gegen die Täterschaft des Angeklagten spricht, dessen Verhalten am Maßstab der menschlichen Vernunft bzw. menschlich naheliegender Verhaltensweisen misst (hier: Sekunden nach der Begehung eines Sprengstoffanschlags verhandelt ein Täter eher nicht über den Kauf eines Gebrauchtwagens; die entlastende Wirkung gezielt geschaffener Beweise präsentiert ein Täter im Zweifel möglichst frühzeitig). Sie sieht sich hieran nicht durch die an anderer Stelle erörterte bzw. noch zu erörternde Feststellung gehindert, der Angeklagte äußere und verhalte sich spontan und wenig überlegt und richte sein Verhalten im Übrigen daran aus, seine eigene Bedeutung hervorzuheben. Denn die (belastende) These, der Angeklagte habe sich in bestimmter Weise verhalten, um die Tat begehen zu können oder als Täter einen Tatverdacht zu zerstreuen, setzt eine intentionale und damit grundsätzlich am Maßstab der Vernunft orientierte Handlung gerade voraus, was es wesentlich wahrscheinlicher macht, dass er sich dann zweckgebunden rational verhält. Die Kammer sah sich deshalb nicht gehindert, bei der kritischen Überprüfung der Verdachtsthese eben diesen Maßstab anzulegen.
237h) Der Angeklagte wird – teilweise – durch sein Verhalten während des Verfahrens sowie durch seine Angaben – insbesondere zu seinen Aktivitäten am Tattag – belastet: Er hat sowohl in der Hauptverhandlung als auch im Ermittlungsverfahren mehrfach die Unwahrheit gesagt. Er hat zu seinem Aufenthaltsort zur Tatzeit im Anschluss an seine beiden Vernehmungen aus dem Jahre 2000 wechselnde Einlassungen präsentiert. Schließlich hat er ausweislich der aufgezeichneten Telefonate mehrfach versucht, auf Zeugen einzuwirken, um sie zu veranlassen, entweder keine Angaben bei der Polizei zu machen (Zeuginnen T6, I4 und F1) oder bestimmte Angaben zu machen (Zeugen T12 und N5).
238Im Einzelnen:
239(1) Der Angeklagte gab in der Hauptverhandlung unter anderem an, mit der in der Justizvollzugsanstalt D als Sozialarbeiterin tätigen Zeugin O3 die Probleme erörtert zu haben, die ihm im Hinblick auf den im Jahre 2000 gegen ihn geäußerten Tatverdacht entstanden seien. Er habe deshalb die Zeugin E6 – seine damalige Lebensgefährtin – gebeten, ihm Unterlagen zu dem Anschlag in die Justizvollzugsanstalt zu bringen bzw. zu senden. Von diesen Unterlagen habe der Zeuge M1 Kenntnis genommen.
240Die Zeugin O3 hat – in jeder Hinsicht glaubhaft – in Abrede gestellt, mit dem Angeklagten über den Anschlag und seine damalige Rolle als Verdächtiger gesprochen zu haben. Als Erklärung für die danach unzutreffende Behauptung des Angeklagten sieht die Kammer den Versuch, die ihn aus seiner Sicht belastenden Angaben des Zeugen M1 zu entwerten.
241(2) Der Angeklagte hat im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben zu seinem Aufenthaltsort zum Explosionszeitpunkt (siehe oben IV1) gemacht, die seinen Angaben aus dem Jahr 2000 (Aufenthalt in der Wohnung mit Telefongesprächen oder Aufenthalt im Ladenlokal der Zeugin I4) widersprechen und mit diesen unvereinbar sind. So äußerte er in einem Telefonat vom 7. Oktober 2015 gegenüber seiner Gesprächspartnerin, er sei zum Tatzeitpunkt gemeinsam mit seinem Hund auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause gewesen. Dem Sachverständigen L6 (Psychiater und Psychologe) sagte er im Rahmen eines Explorationsgesprächs, er sei zum Tatzeitpunkt zu Hause gewesen, er wisse jedoch nicht mehr, ob er geschlafen („gepennt“), Fernsehen geschaut oder Radio gehört habe.
242Indes hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung zum Ausdruck gebracht, dass es sich insoweit um Vermutungen handele, weil er keine präsente Erinnerung mehr an seinen Aufenthaltsort zur Tatzeit habe. Vor diesem Hintergrund kommt aus Sicht der Kammer den Erstangaben des Angeklagten zu seinem Aufenthaltsort in der Vernehmung vom 31. Juli 2000 besondere Bedeutung zu. Die Staatsanwaltschaft sieht den Angeklagten dadurch belastet, dass er bereits in dieser Vernehmung widersprüchliche Angaben gemacht habe: Der Angeklagte gab dort an, er habe die Detonation nicht gehört. Auf die Frage, wie sein Hund reagiert habe, antwortete er, dass er dies nicht wisse; der Hund sei in der Wohnung gewesen. Die Staatsanwaltschaft versteht diese Aussage dahingehend, dass der Angeklagte hiermit im Sinne einer kausalen Verknüpfung zum Ausdruck gebracht habe, dass er die Reaktion des Hundes nicht beschreiben könne, weil er – der Angeklagte – sich zu dem Zeitpunkt der Detonation nicht mit diesem zusammen in der Wohnung aufgehalten habe. In der Vernehmung vom 31. Juli 2000 wurde dem Angeklagten von dem vernehmenden Beamten ein entsprechender, sich aus einer solchen Verknüpfung ergebenden mutmaßlicher Widerspruch vorgehalten („Ich denke, Sie waren auch zu Hause?“), den der Angeklagte jedoch nicht auflöste, sondern stattdessen selbst über seinen Aufenthaltsort spekulierte („Keine Ahnung. Entweder war ich zu Hause oder im Tätoo-Laden.“ – „Ich muss zu Hause gewesen sein.“).
243Die Kammer hat diese Interpretationsmöglichkeit als grundsätzlich verdachtsbegründend berücksichtigt. Sie hält es jedoch ebenso für möglich, dass der Angeklagte schlicht – ohne kausale Verknüpfung – darauf hinwies, weder habe er – der Angeklagte – die Detonation gehört, noch habe er eine Reaktion des – sich jedenfalls in der Wohnung befindlichen –Hundes bemerkt. Denn die Angaben des Angeklagten in der Vernehmung lassen sich auch mit einer fortbestehenden Unsicherheit über den eigenen Aufenthaltsort in Einklang bringen. Der Angeklagte hatte auch zuvor in der Vernehmung nicht behauptet, zum Zeitpunkt der Detonation in seiner Wohnung gewesen zu sein. Er hatte vielmehr angegeben, er sei „um 14:30 Uhr herum“ in dem Tätowiergeschäft gewesen und anschließend „nach Hause“ gegangen. Auch den Vorhalt auf den – scheinbaren – Widerspruch beantwortete der Angeklagte mit einem Hinweis auf die Alternativen (Aufenthalt in der Wohnung oder in dem Tätowiergeschäft) bzw. mit einer Spekulation. Eine solche – im Jahre 2000 bestehende – Unsicherheit über seinen Aufenthaltsort zum Tatzeitpunkt wäre nur dann fernliegend, wenn der Angeklagte die Detonation gehört haben müsste. Dies steht jedoch nicht fest. Es konnte bereits nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte die Detonation in seiner Wohnung hätte hören müssen. Sofern der Angeklagte zum Zeitpunkt der Detonation – im Gegensatz zu seinem Hund – nicht in seiner Wohnung gewesen sein sollte, hielt er sich wegen des um 15:07:42 Uhr getätigten Anrufs bei dem Zeugen T14 jedenfalls in der Nähe seiner Wohnung und damit auch im Umfeld des Tatorts auf. Den Angaben des Angeklagten entsprechend kommt es aber in Betracht, dass er seine Wohnung im unmittelbaren Anschluss an das Verlassen des Ladenlokals der Zeugin I4 betreten hat. Für den Weg hätte er nach den von der Kammer veranlassten Messungen zwischen 4:01 Minuten und 5:29 Minuten (einschließlich der 14 Sekunden für den Weg von der Haustür bis zur Wohnungstür) benötigt, so dass er zum Zeitpunkt der Detonation – wenn auch nur bei Zugrundelegung der für ihn insofern günstigen Zeiten von Explosionszeit und Gehweg – noch in dem Ladenlokal der Zeugin I4 hätte sein können und daher die Detonation nicht hätte hören müssen. Dass die Detonation in dem Ladenlokal nicht zu hören war, haben die Zeuginnen I4 und E7 – letztere hielt sich zur Tatzeit als Begleiterin einer Kundin in dem Ladenlokal auf – bekundet.
244Darüber hinaus steht auch nicht fest, dass der Angeklagte die Detonation hätte hören müssen, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg von dem Ladenlokal der Zeugin I4 zu seiner Wohnung befunden hätte. Denn dann hätte er sich – jedenfalls während eines nicht unbeträchtlichen Teils des Weges – auf der L10 Straße befunden, einer vierspurigen, stark befahrenen Straße, die mehrere hundert Meter von dem Tatort entfernt liegt und geschlossen bebaut ist. Dass der Angeklagte angesichts dessen die Explosion – bei Zugrundelegung seiner (alternativen) Angaben – gehört haben müsste, erscheint der Kammer nicht naheliegend.
245Nochmals zusammengefasst: Wenn der Angeklagte die Detonation – was nach seinen Angaben zu seinen jeweiligen Aufenthaltsorten durchaus in Betracht kommt – nicht gehört hat, konnte er auch nicht bekunden, wo genau er zu diesem Zeitpunkt war. Angesichts dessen hat der Umstand, dass er unsichere bzw. wechselnde Angaben zu seinem exakten Aufenthaltsort zur Tatzeit gemacht hat, nur eine eingeschränkte Aussagekraft.
246Dass der Angeklagte im weiteren Verlauf des Verfahrens – nach dem Jahre 2000 – nochmals wechselnde Angaben zu seinem Aufenthaltsort zur Tatzeit gemacht hat, wertet die Kammer ebenfalls als grundsätzlich belastendes Beweisanzeichen, indes mit der Einschränkung, dass es sich mangels noch vorhandener präsenter Kenntnis um Spekulationen gehandelt haben könnte.
247(3) Soweit der Angeklagte abgestritten hat, eine rechtsradikale Gesinnung zu haben, wird er durch den Inhalt der aufgezeichneten Telefonate und durch weitere Beweisanzeichen eindeutig widerlegt. Sowohl in den aufgezeichneten Telefonaten aus den Jahren 2000 und 2001 als auch in den Telefonaten ab dem Jahre 2014 finden sich – wie oben (IV4e1) im Einzelnen ausgeführt – grobe, zynische Hasstiraden gegen Personen ausländischer Herkunft. Dass der Angeklagte im Jahre 2000 als Mitglied der „rechten Szene“ galt, haben zudem auch die Personen aus seinem damaligen Umfeld, unter anderem die Zeugen T11, T13, X4, S6, F, N4 und T16 bestätigt. Die Einstellung des Angeklagten ergibt sich auch aus seinen Tätowierungen, die unter anderem Hakenkreuze und SS-Runen darstellen.
248Die Angaben des Angeklagten dazu, weshalb sich bestimmte bei der Durchsuchung seines Ladenlokals aufgefundene Gegenstände (Symbole, die einen eindeutigen Bezug zu rechtsradikalem Gedankengut haben) in seinem Besitz befanden (es handele sich um „Theaterrequisiten“), sind aus Sicht der Kammer offensichtlich unwahr.
249(4) Der Angeklagte hat die Zeuginnen T6, I4 und F1 ausweislich aufgezeichneter Telefonate im Jahr 2000 aufgefordert, gegenüber der Polizei keine Angaben zu machen bzw. polizeilichen Ladungen nicht Folge zu leisten.
250Auch hat er den Zeugen T12 in einem Telefonat am 18. August 2000 aufgefordert, sich dafür zu verwenden, dass Personen, die der rechtsradikalen Szene zuzurechnen sind, nach Möglichkeit nicht mit den Ermittlungsbehörden kooperieren („... dass Du dann mal Bescheid gibst …“). Gegenüber dem Zeugen N5 gab der Angeklagte in Telefongesprächen vom 8. und 11. September 2000 an, dieser solle bei der Polizei sagen, er – der Angeklagte – sei positiv gegenüber ausländischen Menschen sowie gegenüber politisch Andersdenkenden eingestellt („… und immer pro Ausländer …“, „… beim U kommen auch stinkende Punker rein und saufen Kaffee …“).
251Diese Versuche des Angeklagten, Einfluss auf Zeugen und damit auch auf das Ermittlungsverfahren zu nehmen, wertet die Kammer grundsätzlich als belastendes Beweisanzeichen, indes mit den unten noch zu erörternden Einschränkungen.
252(5) Ungewöhnlich und damit grundsätzlich tatverdachtsbegründend erscheint es der Kammer, dass der Angeklagte sich nicht in der Lage sah, die in der Vernehmung vom 31. Juli 2000 (oben IV1c) benannte (weibliche) Person namhaft zu machen, mit der er sich am Tattag um 13:30 Uhr auf der X1 Straße – also in der Nähe des späteren Tatorts – getroffen haben will. Er war noch nicht einmal in der Lage, insoweit zur Identifizierung führende sinnvolle Angaben beizusteuern. Auch erscheint es der Kammer ungewöhnlich, dass diese Frau unmittelbar nach dem Treffen mit dem Angeklagten ausgerechnet einen Termin in S-Stadt-M3 habe wahrnehmen müssen, also in dem Ort, in dem der Angeklagte aufgewachsen ist. Es ist mithin ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte insoweit die Unwahrheit bekundet hat und es weder jene Frau gab, noch ein Treffen um 13:30 Uhr stattfand, noch ein weiteres Treffen um 16:00 Uhr stattfinden sollte.
253Indes hat sich die Kammer die Frage gestellt, welchen Zweck der Angeklagte – seine Täterschaft unterstellt – mit einer derartigen Schilderung verfolgt haben könnte. Ein (unzutreffendes) Alibi konnte sich der Angeklagte von einer derartigen Schilderung nicht versprechen, da die eigentliche Tatzeit hiervon nicht abgedeckt war. Die These der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte habe eine Erklärung für seine zum Zwecke der Tatvorbereitung notwendige Anwesenheit am Tatort geben wollen, erscheint der Kammer möglich, indes nicht naheliegend. Der Angeklagte hätte den Sprengsatz – als mutmaßlicher Einzeltäter – tatzeitnah an dem Geländer hinter dem überdachten Durchgang anbringen müssen. Hätte man ihn hierbei beobachtet, scheint der Nutzen einer Erklärung für ein um 13:30 Uhr stattfindendes Treffen auf der – von dem Tatort mehr als 200 Meter entfernten – X1 Straße von vorneherein sehr begrenzt. Dies gilt umso mehr, als der Tatort für ein Treffen auf der X1 Straße – sowohl von der Wohnung des Angeklagten als auch von dem Ladenlokal der Zeugin I4 aus betrachtet – auch nicht hätte passiert werden müssen.
254Dass sich der Angeklagte am Tattag tatsächlich – wie von den Zeugen T4 und U2 glaubhaft angegeben – gegen 13:30 Uhr an der Kreuzung X1 Straße/H aufgehalten hat, spricht aus Sicht der Kammer für sich genommen weder für noch gegen seine Täterschaft. Insofern ist zu berücksichtigen, dass dieser Ort in unmittelbarer Nähe zu dem Ladenlokal des Angeklagten liegt, sich eine Beobachtung des – späteren – Tatortes von dieser Stelle aber – aufgrund der Entfernung und der durch die Bebauung bzw. Bepflanzung fehlenden Sicht – gerade nicht anbietet. Dass der Angeklagte für seinen dortigen Aufenthalt keine – glaubhafte – Erklärung angegeben hat, sondern stattdessen die wenig plausible Schilderung eines Treffens mit der „Frau im Chevrolet“ präsentierte, hat die Kammer – mit den erwähnten Einschränkungen – als belastend berücksichtigt.
255(6) Die Kammer sieht in den vorstehend geschilderten Verhaltensweisen des Angeklagten teilweise verdachtsbegründende Beweisanzeichen, indes mit den nachfolgend erörterten – weiteren – Einschränkungen:
256(a) In Anwendung der Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zum Beweiswert unwahrer Alibiangaben aufgestellt hat (vgl. BGH Urteil vom 21. Januar 1998 – 5 StR 469/97 – NStZ-RR 1998, 303; Urteil vom 5. Juli 1995 – 2 StR 137/95 – BGHSt 41, 153), kommt beispielsweise den unzutreffenden Angaben des Angeklagten zu seinen Gesprächen mit der Zeugin O3 (oben IV4h1) nur ein begrenzter Beweiswert zu. Denn auch derjenige, der unschuldig ist, kann Anlass haben, Zuflucht zur Lüge zu nehmen oder sich in anderer unzutreffender Weise von dem Tatverdacht zu entlasten (vgl. BGH Urteil vom 13. März 1985 – 3 StR 15/85 – StV 1985, 356; Beschluss vom 18. März 1986 – 5 StR 74/86 – NStZ 1986, 325; Miebach in: Münchener-Kommentar zur StPO, § 261 Rn. 181; Miebach, Die Beweiswürdigung des Aussageverhaltens des Angeklagten in der Hauptverhandlung, NStZ-RR 2018, 265, 268).
257Was die Versuche des Angeklagten anbelangt, Einfluss auf Zeugen und damit auch auf das Ermittlungsergebnis zu nehmen (oben IV4h4), ist dieses Verhalten vor folgendem Hintergrund zu bewerten: Nachdem der Angeklagte Ende Juli 2000 in das Blickfeld der Ermittlungsbehörden geraten war und diese insbesondere Kenntnis über seine Nähe zu rechtsextremem Gedankengut erlangt hatten, vernahm die Kriminalpolizei eine Vielzahl von Personen aus dem persönlichen Umfeld des Angeklagten, insbesondere solche, die der rechtsextremen Szene E4s zugerechnet wurden. Auch wurde Ende Juli 2000 in der Presse ausführlich über den Tatverdacht gegen den Angeklagten berichtet; dieser Tatverdacht wurde in der Berichterstattung in unmittelbaren Zusammenhang zu seiner rechtsextremen Einstellung gebracht. Angesichts dessen stellen sich die Bemühungen des Angeklagten, Zeugen zu veranlassen, gegenüber der Polizei seine angeblich positive Einstellung zu Ausländern und politisch Andersdenkenden („Punkern“) hervorzuheben, als – indes wenig erfolgversprechender – Versuch dar, die Erkenntnisse über seine tatsächliche Einstellung bzw. Weltanschauung zu neutralisieren. Ein solches Verhalten wäre aus Sicht der Kammer indes auch nicht ungewöhnlich, wenn der Angeklagte – wie er in den Telefonaten mit den Zeugen immer wieder betont – die Tat nicht begangen hätte. Dass bestimmte in den Telefonaten angesprochene Beweispersonen über Informationen verfügen würden, die – über die rechtsradikale Gesinnung des Angeklagten hinaus – Erkenntnisse im Sinne eines Nachweises der Täterschaft des Angeklagten belegen könnten, ergibt sich aus den Telefonaten nicht.
258(b) Hinzu kommt, dass sich die Aussagekraft des Verhaltens des Angeklagten – insbesondere der von ihm präsentierten unwahren Behauptungen und Antworten – auch vor dem Hintergrund seiner auffälligen Persönlichkeitsstruktur relativiert: Wie bereits an anderer Stelle angesprochen, handelt es sich bei dem Angeklagten – nach dem Eindruck aus der Hauptverhandlung, dem Inhalt der aufgezeichneten Telefonate, der Schilderung zahlreicher Zeugen sowie den Ausführungen des Sachverständigen L6 – um jemanden, der in seinem Verhalten maßgeblich geleitet wird durch Geltungssucht, Aktionismus und mangelnde Selbstreflektion. Seine Angaben zum Tatvorwurf, aber auch seine Äußerungen gegenüber Dritten sind vor diesem Hintergrund zu würdigen und daher aus Sicht der Kammer – auch im Falle erwiesener Unwahrheit – nur eingeschränkt aussagekräftig. Die von Dritten geäußerte und anhand zahlreicher Beispiele belegte Einschätzung, bei dem Angeklagten handele es sich um einen Menschen mit mangelhaft ausgeprägtem Realitätsbezug, aber umso stärker ausgeprägtem Geltungsbedürfnis („Spinner“), erscheint der Kammer auch nach dem Eindruck aus der Hauptverhandlung zutreffend. Der Angeklagte war in seinem – durchweg ungeordneten – Redefluss kaum zu stoppen und verstieg sich immer wieder in abwegige Spekulationen über ein Komplott der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden zu seinem Nachteil. Sein Geltungsbedürfnis wurde in der Hauptverhandlung beispielhaft belegt durch seine erratischen Schilderungen betreffend seinen Kontakt zu der Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalens, den die Kammer nach dem Ergebnis der hierzu angestellten Ermittlungen ausschließt. Auch der Umstand, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung bei nahezu jeder Gelegenheit – indes meist ohne Bezug zu der gerade erörterten Thematik – intimer Kontakte zu zahlreichen Frauen rühmte, passt zu dem ihm durchweg zugeschriebenen ausgeprägten Geltungsbedürfnis. Dabei erscheint der Kammer die Kompetenz des Angeklagten, unzutreffende Darstellungen konsequent, überzeugend und unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen schlüssig zu präsentieren, unterentwickelt. Seine Neigung zum Lügen und zum Abstreiten offensichtlicher Tatsachen stellt sich der Kammer vor diesem Hintergrund als persönlichkeitsimmanent dar und lässt nicht den Schluss darauf zu, der Angeklagte verfolge hiermit eine in sich schlüssige Strategie. Dies erschwert die Beurteilung seines Aussageverhaltens im Rahmen der Beweiswürdigung, da immer in Rechnung zu stellen ist, der Angeklagte wolle sich durch eine Äußerung oder eine Verhaltensweise aufspielen und „wichtig tun“.
259(c) Insgesamt hat die Kammer das oben geschilderte Aussage- und sonstige Verhalten des Angeklagten in dem dargelegten Umfang als verdachtsbegründend und belastend berücksichtigt, dies indes mit den Einschränkungen, die sich aus den ebenfalls geschilderten Besonderheiten seiner Persönlichkeitsstruktur ergeben.
260i) Die Kammer kann nicht feststellen, dass der Angeklagte über diejenigen Fertigkeiten verfügte, die erforderlich waren, um einen durch Fernzündung ausgelösten Sprengsatz – einschließlich des Zündmechanismus – zu erstellen. Zwar hat der Angeklagte eine ausgeprägte Affinität zu Waffen und sonstigem militärischem Material. Auch verwendete der Angeklagte bei von ihm durchgeführten Schulungsveranstaltungen für Personenschützer selbst erstellte Attrappen für Briefbomben. Eine besondere Sachkunde betreffend die Erstellung von und den Umgang mit Sprengmitteln, wie sie für die Durchführung des Anschlags erforderlich war, ließ sich jedoch nicht belegen.
261(1) Fest steht nach den Angaben der Sachverständigen/sachverständigen Zeugen Oberstleutnant F2, KHK L7 und KHK Q6, dass zur Erstellung eines Sprengsatzes, wie er bei der Tat verwendet wurde, sowie zu dessen Auslösung erhebliche – indes nicht im Sinne einer Skalierung quantifizierbare – Fachkenntnisse erforderlich sind.
262(2) Soweit der Anklage die These zugrunde lag, der Angeklagte verfüge über während seiner Tätigkeit bei der Bundeswehr erworbene Fachkenntnisse im Erstellen und Anwenden von Sprengsätzen, hat sich dies nicht bestätigt.
263Der erstmals im Jahr 2000 vernommene Zeuge Oberfeldwebel a.D. C1, der bei der Bundeswehr zeitweise gemeinsam mit dem Angeklagten Dienst versah und auf dessen Angaben die entsprechenden Verdachtsmomente gestützt waren, hat in der Hauptverhandlung hieran im Wesentlichen nicht mehr festgehalten („Ich kann das nicht nachvollziehen, dass ich das so gesagt haben soll“ bzw. „das würde ich heute nicht mehr sehen“). Seinen im Ermittlungsverfahren gemachten, in der Hauptverhandlung gerade nicht bestätigten Angaben, der Angeklagte sei für das Anbringen von versteckten Ladungen „hervorragend ausgebildet“ gewesen und es sei unter Beteiligung des Angeklagten zu Übungen gekommen, bei denen „Sprengfallen“ unentdeckt und im Übrigen in der Weise angebracht worden seien, dass eine „größtmögliche Wirkung bei der Detonation“ eingetreten sei, sind im Übrigen durch andere Beweismittel widerlegt. Insbesondere der Sachverständige Oberstleutnant F2 als fachkundige Person betreffend die Ausbildung im Umgang mit Sprengmitteln bei der Bundeswehr hat ausgeführt, dass die von dem Zeugen C1 beschriebenen Tätigkeiten nicht Gegenstand der Ausbildung in Tätigkeitsbereichen sind, die der Angeklagte als Soldat durchlaufen hat. Auch der Zeuge Oberstleutnant a.D.C2– ehemaliger Dienstvorgesetzter des Angeklagten – hat bekundet, dass der Angeklagte unter seiner Leitung keine entsprechende Ausbildung absolviert bzw. keine derartigen Tätigkeiten durchgeführt hat. Der Zeuge C2 hat angegeben, der Angeklagte sei ihm zur Unterstützung bei der Durchführung der Einzelkämpfervorausbildung von Offiziersanwärtern zugewiesen gewesen. Er habe sich dabei überwiegend als sein – des Zeugen – Fahrer betätigt, habe an den Ausbildungsinhalten jedoch nicht teilgenommen. Die Erstellung von Sprengsätzen bzw. verdeckten Ladungen sei im Übrigen auch nicht Gegenstand der Einzelkämpfervorausbildung gewesen. Er habe den Anwärtern lediglich vermittelt, wo Sprengsätze angebracht würden bzw. wie sie getarnt seien. Es sei möglich, dass der Angeklagte im Zuge der von ihm geleisteten Unterstützungshandlungen schon einmal hierbei zugehört habe. Technische Unterweisungen zur Erstellung von Sprengsätzen habe es jedoch nicht gegeben. Soweit einzelne Beistände der Nebenkläger in den Schlussvorträgen die Zuverlässigkeit der Angaben des Zeugen C2 mit der Erwägung in Zweifel zogen, der Zeuge habe ein Interesse daran, den Ruf der Bundeswehr nicht zu beschädigen, folgt die Kammer dem nicht. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge C2 die Unwahrheit gesagt haben könnte, haben sich nicht einmal ansatzweise ergeben. Seine Angaben waren in sich schlüssig, inhaltlich überzeugend und während des gesamten Verfahrens konstant. Sie werden im Übrigen bestätigt durch die Angaben des Sachverständigen F2, der anhand der Bundeswehr-Personalakten des Angeklagten erläutert hat, dass sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergäben, der Angeklagte sei jemals im Umgang mit Sprengmitteln ausgebildet worden.
264Weshalb der Zeuge C1 im Ermittlungsverfahren abweichende Angaben gemacht hat bzw. auf welchen Wahrnehmungen diese beruhen, konnte die Kammer nicht klären.
265Soweit die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit in den Raum gestellt hat, der Angeklagte habe sich die zur Erstellung des Sprengsatzes erforderlichen Kenntnisse durch Lektüre eines ihm während seiner Zugehörigkeit zur Bundeswehr zugänglichen Dokuments – der Dienstvorschrift ZDv xxx, in der der Aufbau und die Funktionsweise einer Handgranate beschrieben wird – verschafft, vermag die Kammer hierauf die Feststellung, der Angeklagte sei in der Lage gewesen, den Sprengsatz herzustellen, nicht zu stützen. Zum einen fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte diese Unterlage tatsächlich zur Kenntnis genommen hat bzw. nach Beendigung seiner Dienstzeit noch über sie verfügte. Zum anderen wäre die Kenntnis von dieser Unterlage auch nicht ausreichend gewesen, um die Fertigkeiten zur Erstellung des ferngesteuerten Zündmechanismus zu vermitteln.
266(3) Technische Fertigkeiten des Angeklagten im Umgang mit Sprengmittel konnten auch nicht durch andere Beweismittel belegt werden. Der Zeuge T7, der in E4 eine Ausbildungseinrichtung betreibt, in der der Umgang mit Waffen und Sprengmitteln erlernt werden kann, hat angegeben, der Angeklagte habe bei ihm im März 2000 eine Kurzausbildung zum Personenschützer durchlaufen, das Ausbildungsmodul „Spreng- und Brandvorrichtungen“ jedoch nicht absolviert, weil die Ausbildungskosten insoweit nicht von dem Arbeitsamt, das die Ausbildung im Übrigen finanziert habe, getragen worden seien. Soweit der Angeklagte nach Durchlaufen der Ausbildung bei dem ZeugenT7 seinerseits als Ausbilder im Tätigkeitsbereich Personenschutz an die Öffentlichkeit trat, rief dies die Verwunderung des ZeugenT7 im Hinblick auf eine hierfür nicht hinreichend vorhandene Qualifikation des Angeklagten hervor.
267(4) Dass der Angeklagte ausweislich eines Zeitungsartikels aus dem Jahre 2004 unter der Bezeichnung „T18“ weiterhin – wenngleich wirtschaftlich nach den Angaben aller hierzu vernommenen Zeugen wenig erfolgreich – Detektive und Personenschützer ausbildete und dabei mutmaßlich auch Fertigkeiten im Erkennen von Briefbomben und Sprengfallen vermittelte, ersetzt jedenfalls nicht die fehlenden Erkenntnisse darüber, dass er in der Lage gewesen wäre, solche Vorrichtungen auch in funktionsfähiger Weise zu erstellen. Dies gilt auch, soweit die Attrappe einer Briefbombe der Art, wie sie der Angeklagte im Zuge dieser Tätigkeit zu Ausbildungszwecken erstellte – insoweit wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO wegen der Einzelheiten auf die Fotografie Anlage 11 zu den schriftlichen Urteilsgründen (Bl. 938 der Sachakte 63b) verwiesen –, nach Dafürhalten des sachverständigen Zeugen KHK Q6 (Teamleiter Entschärfungen/Tatortgruppe Sprengstoff des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen) „professionell“ aussehe. Zum einen belegt die äußere Anmutung einer Attrappe keine hinreichenden Erkenntnisse über die Fähigkeiten des Herstellers zur Vorlage eines funktionsfähigen Sprengsatzes. Zum anderen ist die technisch anspruchsvollste Voraussetzung für die Installation eines funkferngezündeten Sprengsatzes nach Auskunft der hierzu gehörten Beweispersonen ohnehin die Anbringung und Präparation der Zündvorrichtung bzw. deren Verbindung mit dem funkgesteuerten Auslösemechanismus. So hat gerade auch der sachverständige Zeuge KHK Q6, der beruflich mit derartigen Vorrichtungen befasst ist, bekundet, dass er sich selbst nicht in der Lage sehe, eine funktionsfähige Funkzündung für eine Sprengvorrichtung zu erstellen und auszulösen.
268(5) Soweit die Teilnehmer des bereits oben ausführlich erörterten Telefonats vom 3. August 2000 (die Zeugin T6 sowie der nicht identifizierte „Q5“) darüber sprechen, der Angeklagte sei in der Lage Sprengstoff („TNT“) zu beschaffen („… wenn ich eh' TNT hab' bau' ich was Großes“) bzw. der Angeklagte habe die Möglichkeit einen Sprengsatz herzustellen („Aber der S5 hat vielleicht die Möglichkeiten das herzustellen. Verstehste?“), haben sich die tatsächlichen Grundlagen dieser Einschätzungen nicht einmal im Ansatz aufklären lassen. Die Zeugin T6 konnte weder ihre damalige Äußerung („TNT, dann ist er ja eh weg. Dann, dann, dann …“) erläutern noch sich daran erinnern, dass der Angeklagte Umgang mit bzw. Zugriff auf „TNT“ hatte. Ob die Äußerungen der Gesprächsteilnehmer auf Erkenntnissen beruhen, die in dem Sinne valide sind, als sie auf den Angeklagten zurückzuführen sind, oder ob es sich nur um Vermutungen oder die Wiedergabe von Gerüchten handelt, konnte nicht aufgeklärt werden.
269(6) Kenntnisse des Angeklagten im Umgang mit Sprengmitteln werden auch nicht dadurch belegt, dass bei ihm im Jahre 2000 im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen ein zu einer Handgranate gehörender Sicherungssplint gefunden wurde. Hierzu hat der Angeklagte im Jahr 2000 angegeben, dass dieser entweder von seiner ersten bei der Bundeswehr geworfenen Handgranate stamme oder er ihn auf einem Truppenübungsplatz gefunden habe. In der Hauptverhandlung gab der Angeklagte an, dass er bereits im Jahr 2000 keine Erinnerung mehr gehabt habe, woher der Sicherungssplint stamme; er sei damals dazu gedrängt worden, eine Antwort zu geben.
270Woher der Sicherungssplint tatsächlich stammte, konnte nicht festgestellt werden. Der Zeuge C2 gab glaubhaft an, dass es keinen Unterschied zwischen dem Splint einer Übungshandgranate und dem Splint einer scharfen Handgranate gebe. Sofern bei der Bundeswehr eine Übungshandgranate geworfen werde, sei es den Soldaten erlaubt gewesen, den Splint zu behalten.
271Selbst wenn – wie die Staatsanwaltschaft meint und wie sich aus einer Äußerung des Angeklagten in einem mit der Zeugin T6 am 3. August 2000 geführten Telefonat ergeben könnte („Da werden sie noch mehr Handgranatenringe finden. Fünf oder sechs oder wat.“) – der Angeklagte über eine Mehrzahl von Handgranatensplinten verfügte, ergäbe sich hieraus – im Hinblick auf die Ausführungen des Zeugen C2– nicht, dass der Angeklagte im Besitz von scharfen Handgranaten (mit einer entsprechenden Menge TNT) war.
272Dass der Angeklagte jemals Umgang mit scharfen Handgranaten hatte, konnte die Kammer nicht feststellen. Bei den durchgeführten Durchsuchungen in der Wohnung und im Ladenlokal des Angeklagten wurden keine scharfen Handgranaten gefunden.
273Soweit die Zeugin I4 in ihrer Vernehmung vom 11. Juni 2015 angab, der Angeklagte habe ihr im Anschluss an die im Jahr 2000 erfolgten Durchsuchungen erzählt, die Polizeibeamten hätten die sich bei ihm befindlichen Handgranaten nicht gefunden, da er diese „in irgendwas Ekeligem“ versteckt habe, vermag die Kammer bereits aufgrund der beschriebenen Persönlichkeit des Angeklagten (ausgeprägtes Geltungsbedürfnis, Neigung zur Selbstinszenierung) daraus nicht den Schluss ziehen, dass die behaupteten Angaben des Angeklagten gegenüber der Zeugin der Wahrheit entsprachen. Die Angaben der Zeugin sind zudem inkonstant, sodass die Kammer – auch im Hinblick auf das übrige Aussageverhalten der Zeugin – hierauf keine Feststellungen stützen kann. Die Zeugin gab in ihrer Vernehmung vom 11. Juni 2015 schon nur im Sinne eines Rückschlusses an, dass es sich bei den versteckten Handgranaten um scharfe Handgranaten gehandelt habe („das war mir klar, sonst hätte er die ja nicht verschwinden lassen müssen“). In der Hauptverhandlung hielt die Zeugin I4 an ihren Angaben aus der Vernehmung nicht mehr fest; sie gab vielmehr an, zu keinem Zeitpunkt gehört zu haben, dass der Angeklagte über scharfe Handgranaten verfügte. Er – der Angeklagte – habe „was verschwinden lassen“. Sie wisse nicht mehr, ob es sich dabei um Handgranaten gehandelt habe.
274(7) Soweit sich der Angeklagte in Telefonaten im Zusammenhang mit seiner Rolle als Tatverdächtiger Fähigkeiten zur Begehung des Anschlags berühmt – zur Erläuterung, weshalb ein Tatverdacht auf ihn gefallen sei, erklärt der Angeklagte gegenüber einem Gesprächspartner: „ich bin der Einzige, der es drauf hat“ – vermag die Kammer hierauf angesichts seiner bereits erwähnten – auf seiner Persönlichkeitsstruktur beruhenden – Neigung zur Selbstinszenierung keine Feststellungen zu stützen.
275(8) Soweit durchgehend in der Hauptverhandlung die Frage thematisiert wurde, ob der Angeklagte in der Lage sei, zu schweißen – der Angeklagte hatte eine solche Fähigkeit grundsätzlich in Abrede gestellt –, geht die Kammer aufgrund der Angaben mehrerer Zeugen davon aus, dass der Angeklagte gelegentlich Schweißarbeiten an seinem Kraftfahrzeug vorgenommen hat, dass indes die dabei erzielten Erfolge jeweils nicht sonderlich nachhaltig waren. Ob die Kenntnisse des Angeklagten angesichts dessen ausreichten, um den Korpus des Sprengsatzes herzustellen, der nach den Angaben des sachverständigen Zeugen KHK L7 sowie des Sachverständigen Dr. T9 geschweißt wurde, lässt sich anhand objektivierbarer Kriterien nicht nachprüfen und damit auch nicht feststellen. Dies kann nach Dafürhalten der Kammer jedoch auch offenbleiben, da die größte Schwierigkeit bei der Erstellung des Sprengsatzes nicht die Erstellung des Behältnisses, sondern die Beschaffung des Sprengstoffs sowie die – ohne besondere Fachkenntnisse nicht durchzuführende – Installation des Zündmechanismus einschließlich der Funksteuerung waren.
276(9) Dass der Angeklagte zu Letzterem in der Lage war, konnte nicht festgestellt werden. Dergleichen liegt auch angesichts der von dem sachverständigen Zeugen KHK Q6 geschilderten hohen Anforderungen an Kenntnisse auf dem Gebiet der Elektronik eher fern. Insoweit ergeben sich besondere Fachkenntnisse des Angeklagten auch nicht daraus, dass dieser nach seiner Haftentlassung auf der Internetplattform facebook eine Fotografie veröffentlichte, die einen – mutmaßlich von ihm genutzten – Sonnenkollektor zeigt, der mit Kabeln zu einem Mobiltelefon verbunden ist und dieses anscheinend mit elektrischer Energie versorgt; wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Abbildung Anlage 12 zu den schriftlichen Urteilsgründen (Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 23. Juli 2018) verwiesen. Dem Umstand, dass eine Person im Jahre 2018 in der Lage ist, eine derartige Konstruktion herzustellen, entnimmt die Kammer nicht, dass dieselbe Person im Jahre 2000 in der Lage gewesen wäre, die Funkfernsteuerung für einen Sprengsatz herzustellen.
277(10) Ungeachtet seiner nicht festzustellenden Sachkompetenz wird der Angeklagte jedoch dadurch belastet, dass anlässlich der im Jahr 2000 in seiner Wohnung durchgeführten Durchsuchungsmaßnahme ein Werbeflyer für eine Sprengkapsel aufgefunden wurde, wie sie – nach den Ausführungen des sachverständigen Zeugen KHK Q6 – auch bei dem Anschlag Verwendung gefunden haben könnte. Die hierzu von dem Angeklagten in der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung, er kenne diesen Flyer nicht und vermute, dass Dritte ihn in seiner Wohnung deponiert hätten, um ihm zu schaden, hält die Kammer für abwegig. Indes konnte die Kammer keine Feststellungen dazu treffen, ob der Angeklagte auch im Besitz einer Sprengkapsel der beworbenen Art – sowie des zu ihrer Auslösung erforderlichen Zündapparates – war. Hiergegen spricht jedenfalls, dass nach Angaben des sachverständigen Zeugen KHK Q6 beides nicht frei verkäuflich war bzw. ist und nur an Personen abgegeben wird, die über eine behördliche Erlaubnis im Umgang mit Sprengmitteln verfügen.
278(11) Belastet wird der Angeklagte auch durch seine allgemeine Affinität zu Schusswaffen und sonstigem militärischen Material. Diese ergibt sich für die Kammer aus dem Umstand, dass im Jahre 2000 bei der Durchsuchung seines Ladenlokals eine Vielzahl von Waffenattrappen und sonstigen militärischen Gegenständen aufgefunden wurden. Die hierzu von dem Angeklagten gegebene Erklärung, er habe diese Gegenstände als Theaterrequisiten entgeltlich verleihen wollen, hält die Kammer für abwegig.
279j) Soweit die Staatsanwaltschaft als Beleg für die Erstellung eines Sprengkörpers durch den Angeklagten den Umstand heranzieht, dass der Angeklagte die Wohnung im Hause H13 anmietete, obwohl er zuvor mit der Zeugin T6 zusammenwohnte und sich seinerzeit auch anschließend überwiegend in einer von dieser ebenfalls neu angemieteten Wohnung aufgehalten habe, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn die Wohnung im Hause H13 war ausweislich der aus den Durchsuchungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse sowie nach den Angaben der Zeugin T6 nicht ohne Funktion. Der Angeklagte bewahrte dort – in sehr ungeordnetem Zustand (Zeugin T6: „Man konnte kaum einen Schritt vor den anderen setzen“) – eine Vielzahl seiner Habseligkeiten auf. Dies passt auch zu dem Zustand seiner von ihm vor der Festnahme im Januar 2017 genutzten Wohnung. Dieser belegt die Neigung des Angeklagten zur ungeordneten Ansammlung einer Vielzahl von Gegenständen nach Art eines sogenannten „Messies“. Zur näheren Verdeutlichung wird wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO beispielhaft auf die Fotografien der Anlagen 13 bis 20 zu den schriftlichen Urteilsgründen (Bilder 17 bis 24 auf dem Datenträger nach Bl. 1578 der Sachakte 63d) verwiesen. Angesichts dessen gilt auch hier, dass die indizielle Aussagekraft eines Verhaltens, das von an Maßstäben der Vernunft orientiertem Vergleichsverhalten abweicht, bei dem Angeklagten grundsätzlich nur eingeschränkt ist. Da der – bereits im Jahre 2000 vielfältigen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgesetzte – Angeklagte ohnehin nicht in der Lage war, die Miete für die neu angemietete Wohnung zu bezahlen und diese nach Auskunft des Zeugen S6 (Sohn der Vermieterin) auch nicht gezahlt hat – es erfolgte eine Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges mit anschließender Klage auf Räumung –, waren die spürbaren Auswirkungen des mit der Anmietung verbundenen Eingehens neuer finanzieller Verpflichtungen im Übrigen auch denkbar gering. Die von der Staatsanwaltschaft in deren Schlussvortrag geäußerte Überlegung, der Angeklagte habe die Wohnung überhaupt nicht als solche nutzen wollen, da er dann die Möglichkeit einer engmaschigen Kontrolle des Verhaltens der in ihrer Wohnung verbleibenden Zeugin T6 aufgegeben hätte, führt im Ergebnis zu keiner abweichenden Beurteilung. Nach den Angaben der Zeugin T6 hielt sich der Angeklagte auch nach Anmietung der neuen Wohnung häufig in ihrer Wohnung auf.
280Im Übrigen hat auch die Zeugin E3 – seine geschiedenen Ehefrau – angegeben, der Angeklagte habe sich „auch immer mal Lagerhallen und Büros angemietet“, weil seine Sammelwut „Überhand angenommen“ habe.
281Insgesamt fehlen der Kammer daher die notwendigen Beweisanzeichen, um feststellen zu können, dass der Angeklagte die Wohnung im Hause H13 angemietet hat, um dort die Tat – insbesondere durch Erstellung des Sprengsatzes – vorzubereiten. Soweit der Zeuge S6 darüber berichtete, der Angeklagte habe ausweislich der Angaben von anderen Mietern „Lärm“ im Hause gemacht – diese Schilderung steht im Einklang mit den im Jahre 2000 gemachten Angaben einer Bewohnerin des Hauses gegenüber einer E4er Tageszeitung – ist diese Angabe zu unspezifisch, um hieraus den von der Staatsanwaltschaft und den Beiständen der Nebenkläger nahe gelegten Schluss zu ziehen, der Angeklagte habe in der Wohnung lärmverursachende Arbeiten im Zusammenhang mit der Herstellung des Sprengsatzes verrichtet.
282Dessen ungeachtet bestand natürlich für den Angeklagten grundsätzlich die Möglichkeit, in dieser von ihm allein genutzten Wohnung unentdeckt tatvorbereitende Handlungen vorzunehmen, was die Kammer in ihre Beurteilung eingestellt hat.
283k) Dem Umstand, dass der Angeklagte im Dezember 1999 einen Vorgang zur Anzeige brachte, nach dem ihm von dem – zwischenzeitlich verstorbenen – F2 als Mittelsmann Handgranaten eines ehemaligen jugoslawischen Soldaten zum Kauf angeboten worden seien, entnimmt die Kammer – insoweit anders als die Staatsanwaltschaft – nicht, dass der Angeklagte hierdurch bereits eine von seiner Täterschaft ablenkende Erklärung für einen alternativen Taturheber vorwegliefern wollte. Zuzugeben ist, dass sich der Angeklagte auch im Rahmen dieses Vorgangs – erneut – wenig sinnvoll verhielt, indem er im Februar 2000 eine von dem Zeugen KHK a.D. S4 hierzu durchgeführte Zeugenvernehmung ohne nachvollziehbare Begründung abbrach („Ich habe mir überlegt, dass es sinnlos ist, hier weitere Angaben zu machen“). Auch fällt auf, dass der Angeklagte bei Konfrontation mit dem Tatvorwurf immer wieder auf seine damalige Strafanzeige hingewiesen hat. Indes belegt dies nach Dafürhalten der Kammer nicht die These, der Angeklagte habe den gesamten Vorgang nur inszeniert, um sich zu einem späteren Zeitpunkt für eine eigene, seinerzeit schon geplante Tat entlasten zu können. Hiergegen spricht zunächst der Umstand, dass der Angeklagte mit einer relativ genauen Beschreibung des F2, die später auch zu dessen Identifizierung geführt hatte, Anschlussermittlungen ermöglichte, die dazu hätten beitragen können, den gegen jenen unbekannten Jugoslawen erhobenen Verdacht zu entkräften. Dies hätte jedoch das Misslingen des nach Dafürhalten der Staatsanwaltschaft von dem Angeklagten mit der Strafanzeige verfolgten Vorhabens heraufbeschworen.
284Hinzu kommt, dass der Zeuge KOK H2im Zuge der auf die Anzeige des Angeklagten eingeleiteten Ermittlungen den – mittlerweile ebenfalls verstorbenen – C3 vernommen hatte, der angab, dass ihm einmal von den Handgranaten erzählt habe, er jedoch „auf diese Geschichte nicht viel gegeben und sie für eine Übertreibung gehalten“ habe. Damit ist belegt, dass F2 zumindest auch einer weiteren Person von einem solchen Sachverhalt berichtet hat, was dagegen spricht, dass der Angeklagte das entsprechende Gespräch mit F2 erfunden hat. Schließlich hat auch der Zeuge T11 davon berichtet, der Angeklagte habe ihm davon erzählt, ihm seien Handgranaten angeboten worden, was er – der Angeklagte – zur Anzeige gebracht habe.
285Ob die Erklärung für das Verhalten des Angeklagten in seiner Neigung zu sehen ist, sich als Ordnungshüter aufzuspielen, kann dahinstehen. Jedenfalls erscheint der Kammer die Schlussfolgerung von der Strafanzeige und dem damit zusammenhängenden Verhalten des Angeklagten auf den Plan der vorweggenommenen Etablierung eines Alternativtäters nicht schlüssig.
286Aus dieser Bewertung durch die Kammer folgt – entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft – nicht der Schluss, dass dann tatsächlich im Jahr 1999 Handgranaten zu erwerben waren und dem Angeklagten zur Verfügung standen. Der Angeklagte hatte gegenüber den in den Jahren 1999 und 2000 bzgl. dieser Sache ermittelnden Polizeibeamten nicht angegeben, dass ihm die Handgranaten tatsächlich gezeigt wurden, sondern lediglich, dass diese nach den Angaben des F2 besorgt werden könnten. Dafür, dass die Handgranaten tatsächlich vorhanden waren, haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Dies ist im Hinblick auf die Person des – drogen- und alkoholabhängigen sowie mittellos in einem Caritasheim lebenden – F2 auch eher fernliegend.
287l) Soweit die Staatsanwaltschaft darauf hinweist, der Angeklagte habe die Möglichkeit gehabt, Handgranaten oder sonstige Sprengmittel bei einem M2 zu erwerben, gilt hierzu Folgendes: M2, der als Söldner in kriegerischen Auseinandersetzungen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien tätig war und dessen derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt ist, stand ab dem Jahre 2002 in Kontakt zu dem Angeklagten. M5 hatte sich auf eine Zeitschriften-Annonce des Angeklagten gemeldet und im Rahmen des Objektschutzes mit diesem zusammengearbeitet. Zudem war M5 an einer von dem Angeklagten im August 2002 begangenen Nötigung beteiligt. Auch in der Folgezeit hatten der Angeklagte und M5 noch Kontakt, insbesondere suchte der Angeklagte M5 mehrfach in dessen Autowerkstatt auf der D1straße auf. Im Oktober 2002 fiel M2 den Ermittlungsbehörden auf, weil er in einem Wohnmobil eine Vielzahl von mit TNT befüllten Handgranaten aufbewahrte. Der Schluss von einem Kontakt zwischen dem Angeklagten und M2 darauf, dass der Angeklagte den Sprengsatz – oder Komponenten hierfür – von M5 bezogen haben könnte, wird von der Kammer jedoch nicht gezogen. Denn sämtliche hierzu angestellten Ermittlungen haben zu dem Ergebnis geführt, dass M2 frühestens im Jahre 2001 – und damit nach der Tat – nach E4 kam und sich zuvor über mehrere Jahre im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien aufhielt. Damit fehlte es an jedem Beleg für einen Kontakt zwischen dem Angeklagten und M5 bereits vor der Tat. Auch für die Zeit nach der Tat konnte im Rahmen der umfangreichen – bis 2001 durchgeführten – Überwachungsmaßnahmen nicht festgestellt werden, dass M2 dem Angeklagten vor dem Jahre 2002 überhaupt bekannt war.
288Ein auf die Tat bzw. die Tatzeit bezogener Kontakt zwischen dem Angeklagten und M2 ergibt sich auch nicht aus dem Verhalten des Angeklagten am 21. Oktober 2016, wie es durch die auch an diesem Tage durchgeführte akustische Überwachung des Innenraums seines Fahrzeugs belegt wird. Der Angeklagte fuhr am Abend jenes Tages gemeinsam mit der Zeugin L11 (seine damalige und derzeitige Lebensgefährtin) von S-Stadt nach E4, wo er sein Fahrzeug zunächst auf der L12straße abstellte und nach einer Stunde auf die D1straße fuhr. Hier steigt er kurz aus und äußert sich sodann zu der Zeugin L11 in einer Weise, der entnommen werden kann, dass er während des Aussteigens die Stelle aufsuchte, an der sich vormals die Autowerkstatt des M2 befand („… die alte Werkstatt von M2.“). Auch äußert er gegenüber der Zeugin L11, dass er über den – später zu dessen Verurteilung führenden – Umgang des M2 mit Sprengmitteln jedenfalls vom Hörensagen informiert ist („… der angeblich sechs Kilo TNT oder Sprengstoff geschmuggelt hat, oder wat auch immer …“). Anschließend weist der Angeklagte die Zeugin L11 an, dem M5 eine Nachricht über den Nachrichtendienst WhatsApp zu senden („Hallo. S5 U hier. Immer noch in selber Hand der Laden? War eben mal da. Gruß S5 U."). Dass die Nachricht den M2 erreicht hätte, kann nicht festgestellt werden, erscheint der Kammer jedoch angesichts des Umstandes, dass sein Aufenthaltsort bereits zum damaligen Zeitpunkt unbekannt war, eher unwahrscheinlich. Jedenfalls ergab sich weder aus der Telekommunikationsüberwachung noch aus der Innenraumüberwachung, dass der Angeklagte von M5 eine Antwort auf die Nachricht erhalten hätte.
289Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung angegeben, Zweck der Fahrt nach E4 sei der Besuch eines Lichtspielhauses („Pornokino“) gewesen. An der Werkstatt auf der D1straße habe er angehalten, da sowohl sein Fahrzeug als auch das seiner Lebensgefährtin (Zeugin L11) defekt gewesen seien. Da er zu früheren Zeiten bereits in dieser Werkstatt Arbeiten habe durchführen lassen, habe er gehofft, die Fahrzeuge dort kostengünstig reparieren lassen zu können oder die Möglichkeit einer Ratenzahlung zu erhalten.
290Die Staatsanwaltschaft hält es für verdachtsbegründend, dass der Angeklagte die (ehemalige) Werkstatt des M2 am 21. Oktober 2016 und damit einen Tag, nachdem er von den Zeugen EKHK N2 und KHK O1 mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen konfrontiert wurde, aufsuchte. Dem folgt die Kammer nicht: Hätte M2 den Angeklagten tatsächlich mit bei dem Anschlag verwendeten Sprengmitteln versorgt, so wäre zu erwarten gewesen, dass, falls der Angeklagte aus Anlass der Konfrontation mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen den Kontakt zu diesem sucht, dies wesentlich konspirativer geschieht. Insbesondere wäre nicht verständlich, weshalb er die Zeugin L11 in den Versuch einer Kontaktaufnahme einbindet. Wäre der Angeklagte der Täter und hätte M2 ihm die benötigten Sprengmittel geliefert, so wäre auszuschließen, dass er dies der Zeugin L11 mitgeteilt hätte. Denn zu einer entsprechenden Kenntnis der Zeugin L11 von einer solchen Funktion des M5 würden weder Äußerung des Angeklagten zu der Vergangenheit des M2 („… der angeblich sechs Kilo TNT oder Sprengstoff geschmuggelt hat, oder wat auch immer …“) passen, noch wäre dies in Einklang damit zu bringen, dass der Angeklagte gegenüber der Zeugin L11 nach dem Besuch der Zeugen EKHK N2 und KHK O1 eine Tatbeteiligung in Abrede stellt. Dass der Angeklagte die Zeugin L11 am 21. Oktober 2016 mitgenommen hat und sie sogar anweist, eine Textnachricht an M5 zu senden, spricht aus Sicht der Kammer dagegen, dass der Angeklagte den Plan hatte, an diesem Tag – alarmiert durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen – mit M5 in Kontakt zu treten, um Vorkehrungen gegen erfolgreiche Ermittlungsmaßnahmen zu treffen oder sich mit diesem in sonstiger Weise abzusprechen.
291m) Die These, das von dem Angeklagten betriebene Ladenlokal sei nach der Art der dort angebotenen Artikel („Militariagegenstände“) ein typischer Umschlagplatz auch für Sprengmittel, teilt die Kammer nicht. Es gibt weder einen entsprechenden Erfahrungssatz, noch haben sich aufgrund der Hauptverhandlung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich in dem Ladenlokal des Angeklagten Personen einfanden, die Umgang mit Waffen oder Sprengmitteln hatten.
292n) Soweit die Staatsanwaltschaft – im Anschluss an eine durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (Zeugin KHKinE5) erstellte „operative Fallanalyse“ – die für den ursprünglichen Tatverdacht in ganz erheblichem Umfang bedeutsame These vertritt, es habe im Jahre 1999 eine Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und Sprachschülern gegeben, die in dem Gebäude H54 – dieses lag schräg gegenüber dem von dem Angeklagten betriebenen Ladenlokal – unterrichtet wurden, und dies habe den Angeklagten veranlasst, durch den Anschlag gegen die ebenfalls aus Sprachschülern bestehende Opfergruppe tätlich zu werden, gilt aus Sicht der Kammer Folgendes:
293Angesichts der spezifischen Homogenität der Gruppe der von der Explosion betroffenen Personen – gemeinsamer Besuch der Sprachschule X, Herkunft aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion – hält auch die Kammer es für naheliegend, dass es dem Täter nicht darum ging, eine bestimmte individualisierte Person zu treffen, sondern dass sich die Tat gegen sämtliche zu dieser Gruppe gehörenden Personen richtete. Da die Opfer letztlich nur während des Sprachunterrichts und auf dem Weg von und zu der Sprachschule in der Formation einer als Gruppe erkennbaren Personenmehrheit auftraten – ansonsten bestand zwischen ihnen keine die Gesamtgruppe umfassende persönliche Verbindung –, ist es aus Sicht der Kammer ebenfalls naheliegend, dass der Täter im Nahbereich des Tatortes bzw. zwischen dem Tatort und den – jeweils fußläufig erreichbaren – Gebäuden, in denen sich die Unterrichtsräume befanden, auf die Personen aufmerksam geworden ist. Eine solche Kenntnisnahme von der Personengruppe wäre dem Angeklagten, der in der Gegend häufig fußläufig unterwegs war, möglich gewesen. Dies gilt jedoch mit der Einschränkung, dass die Sprachschüler, die in dem Gebäude unterrichtet wurden, das seinem Ladenlokal gegenüber lag, jeweils nur einen Teil der Gesamtgruppe ausmachten, die in wechselnder personeller Zusammensetzung – nicht nur am Tattag – regelmäßig vor und in dem Zugang zu dem S-Bahnhof zusammentraf.
294Die Staatsanwaltschaft hat deshalb – in Anlehnung an eine Formulierung der mit der operativen Fallanalyse befassten Beamten – die Auffassung vertreten, dass es zu einem den Tatentschluss auslösenden „sozialen Vorkontakt“ zwischen dem Täter und der Opfergruppe gekommen sein muss. Einen solchen Kontakt zwischen dem Angeklagten und – nicht der konkret betroffenen Personengruppe, sondern – der Gruppenkategorie „Sprachschüler“ sieht die Staatsanwaltschaft durch die Angaben der Zeuginnen X5, L13 und E8 belegt. Die Zeuginnen X2 und E8 unterrichteten in den Jahren 1999 und 2000 jeweils Sprachschüler in dem Gebäude H54. Die Zeugin L13 war zum Tatzeitpunkt Sprachschülerin, indes am 27. Juli 2000 nicht vor Ort.
295Aus den Angaben der drei Zeuginnen – vor allem aus den Angaben der Zeugin X2– soll sich – so die These der Staatsanwaltschaft – ergeben, dass es in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 zu einer Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern der von der Zeugin X2 seinerzeit unterrichteten Klasse einerseits und dem Angeklagten sowie zwei diesem nahestehenden Personen andererseits gekommen sei. Diese Auseinandersetzung soll auslösend für den Tatentschluss des Angeklagten gewesen sein, den er mit einem für die Tatvorbereitung benötigten zeitlichen Vorlauf am 27. Juli 2000 umgesetzt habe.
296Im Einzelnen:
297Nach den im Jahre 2000 gegenüber der Polizei gemachten Angaben der Zeugin X5, die zwischen Juli 1999 und Dezember 1999 in den Unterrichtsräumen auf der H54 Sprachunterricht erteilte, sollen sich in dieser Zeit zwei männliche Personen über einen Zeitraum von etwa zwei Wochen „regelmäßig“ bzw. täglich in den Morgenstunden zu verschiedenen Uhrzeiten – manchmal um 8:00 Uhr, manchmal um 9:30 Uhr – vor dem Eingang der Sprachschule aufgehalten haben. Diese – relativ großen (mindestens 1,90 Meter) – Personen seien jeweils in Begleitung eines Hundes (Rottweiler) gewesen. Sie hätten schwarze Lederbekleidung mit einem langen Ledermantel getragen und seien auffällig tätowiert gewesen. Die Personen hätten sie – die Zeugin – sowie die von ihr unterrichteten Schüler fixiert bzw. ständig in deren Richtung geschaut. Die Anwesenheit der Personen habe ihr – der Zeugin – Furcht bereitet und zwar um ihre Schüler, aber auch um sich selbst. Zu Bedrohungen bzw. Pöbeleien sei es seitens dieser Personen nicht gekommen.
298Nach Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen den Angeklagten wurde die Zeugin im August 2015 erneut polizeilich vernommen. In dieser Vernehmung erwähnte die Zeugin sodann, dass sie die beiden von ihr beschriebenen männlichen Personen auch mit dem „Inhaber“ des gegenüber gelegenen Ladenlokals zusammen vor dem Laden habe stehen sehen. Erstmals schilderte die Zeugin, dass – auf ihren Vorschlag hin – sie sowie die Schüler einmal zu dem zur H hin gelegenen Fenster der Sprachschule gegangen seien und zeitgleich gemeinsam auf die Männer geblickt hätten, woraufhin diese zurückgeschaut und sich sodann schnell in das Ladenlokal zurückgezogen hätten. Danach seien ihr die beiden Personen, die vor dem Eingang der Schule gestanden hätten, nicht mehr begegnet. Wegen der Einzelheiten der örtlichen Verhältnisse wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Abbildung Anlage 21 zu den schriftlichen Urteilsgründen (Bl. 433 der Sachakte 63a) verwiesen. Die Unterrichtsräume der Sprachschule lagen nach den Angaben der hierzu vernommenen Zeugen im ersten Obergeschoss des Hauses H54.
299In der Hauptverhandlung hat die Zeugin X2 ihre Schilderung wiederholt und dahingehend ergänzt, dass sich der Vorfall wohl im Oktober 1999 ereignet haben müsse. Der „Inhaber“ des Ladenlokals sei ihr nur im Zusammenhang mit dem geschilderten Vorfall aufgefallen. Aus dem äußeren Erscheinungsbild der beiden – jungen – Männer, die sich vor dem Eingang der Sprachschule aufhielten, schlussfolgere sie, dass sie diese als „rechtsextrem“ eingeschätzt habe. Es sei bei den Begegnungen zu nonverbaler Kommunikation gekommen: Die Männer hätten sie angegrinst. Die Tätowierungen der Männer hätten sich – zumindest bei einem von beiden – auch am Hals befunden. Die Männer hätten links und rechts neben dem Eingang zu dem Haus gestanden, in dem sich die Unterrichtsräume befanden, so dass man zwischen ihnen habe hindurchgehen müssen. Sie bzw. die Schüler seien indes nicht am Betreten des Gebäudes gehindert worden. Ihre Beobachtungen und die damit verbundenen – auch von den Schülern geäußerten – Ängste habe sie der Zeugin E8 mitgeteilt, die zeitgleich eine andere Klasse Sprachschüler in demselben Gebäude unterrichtete. Die Zeugin E8 habe ihr – der Zeugin X2– daraufhin berichtet, identische Beobachtungen gemacht zu haben; auch ihre – der Zeugin E8– Schüler hätten sich nach deren Darstellung über die Situation beschwert.
300Eine Verbindung zwischen den beiden Männern und dem gegenüber gelegenen Ladenlokal habe sie – die Zeugin X2– hergestellt, weil die Männer auch vor dem Ladenlokal gestanden hätten. Anlässlich der Situation, wo sie – die Zeugin sowie die von ihr unterrichteten Personen – die beiden Männer (zurück-)fixiert hätten, hätten beide mit derjenigen Person, die sie für den Inhaber des Ladens gehalten habe, vor dem Laden gestanden. Es habe Blickkontakt zwischen ihr und den Schülern einerseits sowie den drei Personen andererseits bestanden. Zu Gesten sei es nicht gekommen.
301Die Schilderung der Zeugin X2 ist – unabhängig davon, dass ein wesentlicher Gesichtspunkt („Zurückfixieren“ der drei Personen durch die Sprachschüler und sie selbst) erstmals im Jahre 2015 Erwähnung fand – grundsätzlich glaubhaft. Dass im Jahre 1999 zeitweise zwei junge, schwarz gekleidete Männer mit Hunden vor dem Eingang des Hauses H54 standen, hat – jedenfalls in ihrer im Jahre 2015 durchgeführten polizeilichen Vernehmung – auch die Zeugin E8 berichtet. Sie berichtete ebenfalls von einer Schilderung ihrer Kollegin – der Zeugin X2–, wonach diese und deren Schüler in „einer Art gewaltfreien Widerstand“ auf die beiden Männer reagiert hätten. Eine Verbindung der beiden Männer zu dem gegenüber gelegenen Ladenlokal des Angeklagten stellte die Zeugin E8 in ihrer polizeilichen Vernehmung in der Weise her, dass sie die beiden Männer „auch schon einmal vor dem Laden“ habe stehen sehen. Soweit die Zeugin E8 in der Hauptverhandlung einen anderen Sachverhalt schilderte, nämlich dass ihr regelmäßig ein großer, schwarz gekleideter Mann mit Hund begegnet sei, den sie als „unangenehm“ empfunden und der „ab und zu“ auch am Eingang der Sprachschule gestanden habe, ließ sich dieser Widerspruch zu dem Inhalt ihrer polizeilichen Vernehmung nicht aufklären. Angesichts der plastisch vorgetragenen Schilderung der Zeugin X2 und der jedenfalls hinsichtlich deren polizeilicher Vernehmung bestehenden Übereinstimmung mit den Angaben der Zeugin E8, hat die Kammer indes keine Bedenken, ihrer weiteren Beurteilung die Schilderung der Zeugin X2 zugrunde zu legen.
302Indes sieht sich die Kammer außerstande, auf die Angaben der Zeugin X2 die Schlussfolgerung zu stützen, durch die Situation, anlässlich derer sie und die Sprachschüler die drei auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehenden Personen durch Blicke fixiert hätten, sei eine Entwicklung in Gang gesetzt worden, die letztlich zum Entschluss des Angeklagten geführt hätte, Sprachschüler mittels eines versteckten Sprengsatzes zu töten. Es kann mangels hinreichender Anhaltspunkte bereits nicht festgestellt werden, dass – wie die Staatsanwaltschaft meint – die beiden jungen Männer sich auf Veranlassung des Angeklagten vor dem Gebäude der Sprachschule aufhielten. Wer die beiden Männer waren, konnte trotz aufwändiger Untersuchungen nicht ermittelt werden. Personen aus dem Umfeld des Angeklagten konnten diese – trotz der auffälligen Merkmale (erhebliche Körpergröße und auffällige Tätowierungen, teils am Hals) – nicht identifizieren. Von den auf die zahlreichen von der Kammer vernommenen Zeugen aus dem damaligen Umfeld des Angeklagten bzw. den als Skinheads bekannten Personen traf diese Beschreibung hinsichtlich einer Tätowierung am Hals lediglich auf den Zeugen C4 zu. Dieser hat indes – aus Sicht der Kammer glaubhaft – in Abrede gestellt, überhaupt näheren Kontakt zu dem Angeklagten gehabt zu haben – er habe nur einmal für einen Tag für ihn gearbeitet – bzw. sich in der von der Zeugin X2 beschriebenen Weise auf der H aufgehalten zu haben.
303Soweit die Zeugin I4 angegeben hatte, bei den Personen habe es sich um die Zeugen F und W gehandelt, beruht dies – wie schon an anderer Stelle ausgeführt – unzweifelhaft auf einer durch Vorhalte verursachten Suggestion im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung.
304Soweit die Zeugin T13 geschildert hat, sie habe nach Beendigung der mit dem Angeklagten zwischen Dezember 1999 und Februar 2000 geführten Beziehung als „Skinheads“ bezeichnete Personen bemerkt, die vor ihrer Haustür patrouillierten, was sie auf eine Initiative des Angeklagten zurückgeführt habe, konnte zwar durch die Vernehmung des Zeugen T11 (damaliger Bekannter des Angeklagten) festgestellt werden, dass dieser sich auf Veranlassung des und gemeinsam mit dem Angeklagten auf die Straße begeben habe, in der die Zeugin damals wohnte. Nach Erinnerung des Zeugen T11 habe der Angeklagte die Zeugin T13 auf diese Weise „kontrollieren“ wollen. Jedoch vermag dieser Vorfall die Kammer nicht zu dem Schluss zu führen, dass die vor der Sprachschule stehenden Männer sich dort im Auftrag des Angeklagten aufgehalten haben. Hierfür fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten. Feststellbar ist – aufgrund der Angaben der Zeugin X2– allein, dass die Männer zeitweise Kontakt zu dem Angeklagten hatten, als diese vor dem von ihm betriebenen Ladenlokal standen. Angesichts des Umstandes, dass sie nicht als zu dem persönlichen Umfeld des Angeklagten gehörend identifiziert werden konnten, sieht sich die Kammer jedoch nicht in der Lage, mehr als den beschriebenen persönlichen Kontakt vor dem Ladenlokal festzustellen. Angesichts dessen vermag die Kammer ebenfalls nicht festzustellen, dass der Angeklagte anlässlich dieses persönlichen Kontakts Kenntnis davon erlangt hat, dass die beiden Männer den von der Zeugin X2 als unangenehm und bedrohlich beschriebenen Kontakt zu den Sprachschülern hatten. Es kann schon nicht festgestellt werden, dass die beiden Männer das Geschehen ebenso interpretiert haben wie die Zeugin X5.
305Schließlich kann die Kammer daher auch nicht feststellen, dass die von der Zeugin X2 beschriebene Begebenheit, anlässlich derer auf die Anwesenheit der Männer durch deren gezieltes Fixieren reagiert wurde, von dem Angeklagten überhaupt als Austragen eines sich zuvor anbahnenden Konflikts wahrgenommen wurde und dass er dies auch – im Sinne eines tatentschlussauslösenden Erlebnisses – auf sich selbst bezogen hat. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass mangels näherer Erkenntnisse zur primären Motivlage der beiden Männer, zu ihrer Verbindung zu dem Angeklagten und zu der Frage, ob und ggf. mit welchem Inhalt sie sich mit diesem über die von der Zeugin X2 geschilderten Vorfälle ausgetauscht haben, völlig offen bleibt, ob der Angeklagte dieses Geschehen überhaupt in der Bedeutung, die die Zeugin ihm zumisst, zur Kenntnis genommen hat und ob er dies zum Anlass genommen hat, einen zur Tat führenden Unmut über die Sprachschüler zu entwickeln. Die von der Staatsanwaltschaft nahegelegte Verknüpfung von dem Verhalten und dem äußeren Erscheinungsbild der Männer (Skinheads) darauf, dass diese durch ihr Auftreten im Auftrag oder mit Billigung oder auch nur in Kenntnis des Angeklagten tätig geworden sind, vermag die Kammer angesichts der insoweit überaus dürftigen Tatsachengrundlage nicht nachzuvollziehen und ihrer Überzeugungsbildung zugrundezulegen.
306Diese Tatsachengrundlage wird auch nicht durch die Angaben der Zeugin L13 verbreitert. Die Zeugin L13 – eine Sprachschülerin, die die Schule seit Ende Februar 2000 besuchte, am 27. Juli 2000 jedoch nicht am Unterricht teilnahm – berichtete davon, dass sich vor dem Ladenlokal des Angeklagten regelmäßig Männer aufgehalten haben, deren Bekleidung sie dergestalt beschrieb, das man sie als „Skinheads“ einordnen kann. Sie habe das Ladenlokal betreten wollen, was ihr jedoch von einem der Männer mit dem Hinweis, dies sei ein „spezielles Geschäft“ verwehrt worden sei. Die Personen – es seien immer verschiedene Personen gewesen – hätten auf sie einen feindseligen Eindruck gemacht. Das Ladenlokal sei indes „meistens geschlossen“ gewesen.
307Die Bekundungen der Zeugin L13 betreffen einen von den Wahrnehmungen der Zeugin X2 abweichenden Zeitraum und weichen auch im Übrigen von der Schilderung der Zeugin X2 ab, als diese nach der auf Oktober 1999 datierten – jedenfalls in der zweiten Jahreshälfte 1999 erfolgten – Auseinandersetzung (Fixieren) keine Personen mit der äußeren Anmutung von „Skinheads“ mehr gesehen haben will. Die Angaben der Zeugen L13 vermögen daher lediglich zu belegen, dass das Ladenlokal des Angeklagten ein Anziehungspunkt für Angehörige der „rechten Szene“ war, was die Kammer auch schon aufgrund der Angaben zahlreicher anderer Zeugen feststellen kann. Die Feststellung, dass die beiden von der Zeugin X2 beschriebenen Männer auf Veranlassung oder in Kenntnis des Angeklagten handelten, dass der Angeklagte von deren Vorgehen Kenntnis hatte oder dass er eine Abwehrreaktion der Sprachschüler (auch) auf sich selbst bezog, lässt sich auf der Grundlage der Angaben der Zeugin L13 nicht treffen.
308Gegen die von der Staatsanwaltschaft nahe gelegten Zusammenhänge spricht aus Sicht der Kammer ganz deutlich der Umstand, dass der Angeklagte trotz persönlichkeitsbedingter Neigung, seinem – auf seiner rechtsradikalen Einstellung beruhenden – Unmut gegen ausländische Personen ständig durch Äußerungen gegenüber Dritten Ausdruck zu verleihen, mit keinem der hierzu vernommenen Zeugen – insbesondere nicht mit den Zeuginnen T6 und I4 – darüber gesprochen hat, dass sich in dem gegenüber seinem Ladenlokal gelegenen Haus Personen aufhalten, die osteuropäischer Herkunft sind und die bzw. deren Verhalten seinen Unmut erregen. Die Kammer hat zwar erwogen, dass der Angeklagte hiervon deshalb abgesehen haben könnte, weil er seine Urheberschaft für einen bereits frühzeitig gefassten Anschlagsplan nicht durch entsprechende Bemerkungen habe offenbaren wollen. Dies hält die Kammer angesichts der Persönlichkeit des Angeklagten aber gerade nicht für naheliegend. Eine solche taktische Selbstdisziplinierung des Angeklagten würde im Übrigen auch nicht dazu passen, dass er – wie durch die aufgezeichneten Telefonate belegt – sich nach dem Anschlag in diffamierender Weise über die Opfergruppe äußerte und damit das Risiko einging, eine tatverdachtsbegründende Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
309Damit entfällt im Rahmen der Anklagethese ein für den Nachweis der Täterschaft ganz erheblicher Gesichtspunkt: Kann nicht festgestellt werden, dass es vor der Tat zu einem konfliktauslösenden „sozialen Vorkontakt“ zwischen dem Angeklagten und Sprachschülern gekommen ist, fehltt es an einer qualifizierten Verbindung des Angeklagten zu der späteren Opfergruppe. Die Kammer hat daher bei ihrer Überzeugungsbildung als Beweisanzeichen lediglich die Möglichkeit berücksichtigt, dass dem Angeklagten überhaupt bekannt gewesen sein könnte, dass sich in dem gegenüber seinem Ladenlokal gelegenen Haus eine Sprachschule befand, in der ausländische Menschen – nach dem äußeren Erscheinungsbild osteuropäischer Herkunft – unterrichtet wurden und dass dies vor dem Hintergrund seiner fremdenfeindlichen Gesinnung seinen Unmut erregt haben könnte. Indes relativiert sich das Gewicht dieses Beweisanzeichens weiter dadurch, dass der Angeklagte – wie bereits ausgeführt – gegenüber ihm nahestehenden Personen nie seinen Unmut über diese konkrete Personengruppe zum Ausdruck brachte, obwohl dies seiner Persönlichkeit entsprochen hätte. Die in aufgezeichneten Telefonaten von dem Angeklagten über die Opfer des Anschlags gemachten abfälligen Bemerkungen belegen zwar seine entsprechende Einstellung, können zum Beleg einer bereits vor der Tat bestehenden Aversion aber nicht herangezogen werden, da sie vor dem Hintergrund der durch die Berichterstattung über den Anschlag öffentlich gewordenen Kenntnisse über die Nationalität und die Religion der Tatopfer erfolgten.
310o) Belastet wird der Angeklagte dadurch, dass die Zeugin U1 unmittelbar nach der Explosion auf einem vor ihrer Wohnung installierten Stromschaltkasten den Täter hat sitzen sehen, der – wenngleich bei nicht passender Angabe der Körpergröße („mindestens 180 cm“ – der Angeklagte war im Jahre 2000 174 Zentimeter groß) – nach Phänotyp und Altersangabe („unter 40 Jahre, eher 35 Jahre alt“) dem Angeklagten ähnelt. Nach den Angaben der Zeugin U1 war im Jahre 2000 eine Zeichnung der von ihr wahrgenommenen Person erstellt worden, die eine mit einer Schirmmütze bekleidete männliche Person darstellt. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Abbildung links oben der Anlage 22 zu den schriftlichen Urteilsgründen (Bl. 434 der Sachakte 63a) verwiesen, bei der es sich um die Zeichnung handelt. Ein Vergleich mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten im Jahre – insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Abbildungen rechts oben sowie unten der Anlage 22 verwiesen – belegt Ähnlichkeiten (Haarlänge im Nacken und im Ohrbereich), indes auch Unterschiede (Größe der Ohren und Verlaufsform des Kinns). Zur Feststellung einer Personenidentität kommt die Kammer hingegen – nicht zuletzt wegen des Fehens auffälliger individueller Merkmale sowohl bei der gezeichneten Person als auch bei dem Angeklagten – nicht.
311Soweit die Staatsanwaltschaft bei der Bewertung der Zeichnung maßgeblich darauf abstellt, die Zeugin T6 (Lebensgefährtin des Angeklagten zur Tatzeit) habe den Angeklagten im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung darauf wiedererkannt, folgt die Kammer ihr nicht: Der Zeugin war in einer Vernehmung vom 8. September 2015 zunächst (nur) die Zeichnung vorgehalten worden, woraufhin sie angab, dass die Kopfbedeckung und die Art, wie diese getragen werde, zu dem Angeklagten passe und die Zeichnung dem Angeklagten „sehr ähnlich“ sehe. Erst als ihr die Montage vorgehalten wurde, die das bereits als Anlage 22 (dort unten) in Bezug genommene Lichtbild des Angeklagten mit der – gezeichneten – Kappe zeigt, äußerte sie, dass dies aussehe wie eine Zeichnung von dem Angeklagten. In einer wesentlich späteren Vernehmung – vom 4. Februar 2017 – nach Inhaftierung des Angeklagten äußerte die Zeugin T6, auf nochmaligen Vorhalt der Zeichnung, dass es sich dabei um den Angeklagten handele („Das ist der U“). Von einer eindeutigen Identifizierung anhand der Zeichnung kann angesichts dieses Geschehensablaufs keine Rede sein. Es verbleibt somit bei der Bewertung durch die Zeugin als „sehr ähnlich“. Indes ist für die Kammer vornehmlich ihre – bereits oben referierte – eigene Bewertung und nicht die Bewertung durch die Zeugin maßgeblich.
312Bemerkenswert und insoweit für die Täterschaft des Angeklagten sprechend ist insoweit allerdings, dass die Zeugin U1, die an den Sachverhalt mittlerweile keine Erinnerung mehr hat, zur Kopfbedeckung Angaben gemacht hat („dunkle Baseballkappe [vmtl. dunkelrot]“), die sich mit Angaben decken, die die Zeugin I4 in ihrer zweiten im Jahre 2000 erfolgten Vernehmung gemacht hatte („Das einzige was ich dazu sagen kann, dass er auf jeden Fall ein Cappy trug. Ich meine ein rotes.“).
313Soweit die Staatsanwaltschaft die Auffassung vertritt, die von der Zeugin U1 beschriebene Person sei auch im Übrigen exakt so gekleidet gewesen wie der Angeklagte am Tattag, kann dies nicht festgestellt werden. Denn die Zeugin U1 machte – mit Ausnahme des Hinweises auf eine „dunkle“ und „vermutlich dunkelrote“ Kappe – Angaben („Stoffhose, Farbe unauffällig, kein schwarz, eher mittelgrau, keine Jeans, keine enge Hose, eher wie eine Bundfaltenhose, mittellange Stoffjacke, nicht schwarz, unauffällige Farbe, keine Lederjacke“), die sich mit den Angaben der Zeugen I6 und I4 zur Bekleidung des Angeklagten am Tattag in der Gesamtheit gerade nicht decken. So sprach der Zeuge I6, der den Angeklagten zur Mittagszeit gesehen hatte, davon, der Angeklagte habe ein weißes Hemd und eine weiße Hose getragen, die Kleidung habe einen minimalen Rotstich gehabt. Die Zeugin I4 gab an, der Angeklagte habe vormittags helle Bekleidung getragen, nachmittags hingegen dunkle Bekleidung, namentlich Jeans und eine dunkelblaue Jacke. Selbst wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass sich der Angeklagte nach der Mittagszeit umgezogen haben könnte, verbleibt ein Widerspruch zwischen den Angaben der Zeugin U1 und der Zeugin I4 insoweit, als es um den Stoff der Hose geht („Jeans“). Diesen Widerspruch interpretiert die Kammer zwar nicht dahin, dass der Angeklagte schon deshalb als Täter auszuschließen sei; sie kann nur nicht – wie von der Staatsanwaltschaft nahegelegt – feststellen, dass die Bekleidung des von der Zeugin U1 beobachteten Täters und des Angeklagten („exakt“) übereinstimmte.
314p) Soweit die Staatsanwaltschaft den Angeklagten dadurch belastet sieht, dass er gegenüber der Zeugin I4 bzw. in einem Telefonat mit einem Journalisten Erkenntnisse offenbart habe, über die ausschließlich der Täter verfügen könne (sogenanntes „Täterwissen“), gilt Folgendes:
315(1) Die Zeugin I4 hat in ihrer Vernehmung vom 7. November 2001 bekundet, der Angeklagte habe bereits in dem ersten mit ihr nach der Explosion geführten Telefonat die Befürchtung geäußert, wegen der Explosion festgenommen zu werden.
316Im Hinblick auf die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, insbesondere seine Geltungssucht und seine Neigung zur Selbstinszenierung, erscheint es der Kammer zwar nicht fernliegend, dass sich der Angeklagte entsprechend geäußert hat. Bei der Bewertung einer solchen Angabe kommt jedoch – aufgrund der erst nach und nach bekannt gewordenen Hintergrundinformationen zur Explosion – dem Zeitpunkt eine besondere Bedeutung zu. Dass der Angeklagte eine solche Äußerung bereits um 15:34 Uhr – zu dieser Uhrzeit erfolgte nach den rückwirkenden Verbindungsdaten das erste Telefonat von dem Festnetzanschluss des Angeklagten an denjenigen der Zeugin – gegenüber der Zeugin I4 gemacht hat, kann die Kammer indes nicht feststellen.
317Maßgebend ist insoweit Folgendes: In der Hauptverhandlung konnte sich die Zeugin nicht daran erinnern, dass sich der Angeklagte bereits in einem ersten mit ihr geführten Telefonat derart geäußert hat („Angerufen? Kann sein. Das ist so lange her, ich kann mich nicht mehr an Details erinnern.“). Auf konkrete Nachfrage, ob der Angeklagte die Befürchtung geäußert hat, festgenommen zu werden, äußerte die Zeugin sich vage („Er hat das schon so angedeutet, dass da was kommen könne“). Auf noch konkretere Nachfrage, wann eine solche Äußerung gefallen sei, ob dies noch am Tag des Anschlags gewesen sei, äußerte sie: „Nein, das kann ich nicht sagen. Ich meine, bevor die Polizei bei mir im Geschäft war. Ich meine, das war zwei, drei Tage später. Kann ich nicht sagen. Mit Daten und Zahlen habe ich es nicht so.“ Auf noch konkretere Nachfrage, ob sie eine Erinnerung daran habe, dass der Angeklagte in dem „ersten Telefonat“ die Befürchtung geäußert habe, festgenommen zu werden, äußerte die Zeugin: „Kann ich Ihnen nicht mehr sagen. Kann sein, dass er das angedeutet hat. Wenn ich das da gesagt hab, wird das so gewesen sein. Ich kann mich nicht mehr erinnern.“ Auf wörtlichen Vorhalt der Staatsanwaltschaft aus der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung der Zeugin antwortete diese sodann: „Ich glaube, ich dachte mir noch, was hast Du damit zu tun.“ Die anschließende Frage, ob die damalige Bekundung aus heutiger Sicht wahrheitsgemäß gewesen sei, bejahte die Zeugin („Ja, auf jeden Fall.“).
318Angesichts dieser Angaben der Zeugin I4 in der Hauptverhandlung hat sich die Kammer die Frage gestellt, ob ihre Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 7. November 2001 ausreichen, um eine solche Bemerkung des Angeklagten zu belegen. Dies ist nicht der Fall: Denn in der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung vom 31. Juli 2000 – mithin ein Jahr und vier Monate zuvor – machte die Zeugin keine Angaben zu einer entsprechenden Äußerung des Angeklagten. Sie gab dort zu dem ersten mit dem Angeklagten nach der Explosion geführten Telefonat lediglich an, der Angeklagte habe sie nach dem Verbleib ihrer Kinder befragt. Er habe ihr mitgeteilt, dass „etwas explodiert“ sei, er über den Scanner von einem Polizeieinsatz am Wehrhahn erfahren und Hubschrauber wahrgenommen habe. Sie habe gegen 16:00 Uhr aus den Nachrichten erfahren, dass es zu einer Sprengstoffexplosion gekommen sei. Vor 18:00 Uhr sei der Angeklagte erneut in ihr Geschäft gekommen. Er habe ihr nicht sagen können, was passiert sei, er habe auf ihre Nachfrage nur mitgeteilt, dass „irgendetwas“ „hochgegangen“ sei. Sie könne nicht sagen, worüber man noch gesprochen habe.
319In der polizeilichen Vernehmung vom 7. November 2001 berichtete die Zeugin ebenfalls von einem Anruf des Angeklagten gegen 15:30 Uhr. Sie schilderte ihn auch mit dem nahezu identischen Inhalt wie in der Vernehmung vom 31. Juli 2000. Erst später und nicht im Zusammenhang mit diesem konkreten Telefonat gab die Zeugin dann an, dass der Angeklagte sie „im Verlauf des Nachmittags und abends noch ein paarmal angerufen“ habe. Er habe bereits beim ersten Telefonat die Befürchtung gehabt, „wegen der Explosion festgenommen zu werden“.
320Angesichts dieses Aussageverhaltens der Zeugin I4 vermag die Kammer auf ihre Angaben in der Vernehmung vom 7. November 2001 nicht die Schlussfolgerung zu stützen, der Angeklagte habe sich wirklich schon um 15:34 Uhr dahingehend geäußert, er befürchte wegen der Explosion festgenommen zu werden. Zum einen hat die Zeugin I4 von einer solchen Bemerkung erst in dieser dritten – mehr als ein Jahr nach der ersten liegenden – polizeilichen Vernehmung berichtet, obwohl es im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage nahegelegen hätte, diese bereits in der ersten Vernehmung zur Sprache zu bringen. Es ist zwar denkbar, dass die Zeugin dem Angeklagten im Jahre 2000 nicht schaden wollte oder Angst vor ihm hatte und aus diesem Grunde von der Erwähnung einer solchen Äußerung abgesehen hat. Dergleichen liegt jedoch aus Sicht der Kammer schon deshalb nicht nahe, weil die Zeugin I4 auch der mit ihr befreundeten Zeugin O4 nach deren Angaben seinerzeit lediglich davon berichtete, der Angeklagte habe sie nach der Explosion angerufen und sich nach dem Befinden ihrer Kinder erkundigt. Von einer Bemerkung des Angeklagten betreffend eine befürchtete Festnahme berichtete sie der Zeugin O4 hingegen nicht. Dergleichen hätte jedoch nahe gelegen, da die Zeugin I4 nach den Angaben der Zeugin O4 ihr gegenüber von Dingen betreffend den Anschlag und die Person des Angeklagten berichtet habe, die ihr – der Zeugin I4 – nach eigenem Bekunden „seltsam“ vorgekommen seien. Hierzu hätte – jedenfalls für den objektiven Betrachter – sicherlich auch der Umstand gehört, dass der Angeklagte bereits eine halbe Stunde nach der Explosion Angst vor einer Festnahme hatte.
321Hinzu kommt Folgendes: Das von dem Festnetzanschluss des Angeklagten mit der Zeugin I4 um 15:34 Uhr geführte Telefonat dauerte lediglich eine Minute. Der Angeklagte und die Zeugin führten am Tattag nach der Explosion zudem neben dem Telefonat um 15:34 Uhr mindestens vier weitere Telefonate von dem Festnetzanschluss des Angeklagten sowie – nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugin und des Angeklagten – mindestens ein Telefonat von einer Telefonzelle. Sie trafen sich nach der Explosion jedenfalls noch einmal im Ladenlokal der Zeugin, so dass es am Tattag nach der Explosion zu mehreren Gesprächen kam. Angesichts dieser Vielzahl von Kontakten und angesichts der unterbliebenen Erwähnung der Bemerkung sowohl in den ersten beiden polizeilichen Vernehmungen der Zeugin I4 als auch in dem Gespräch mit der Zeugin O4 vermag es die Kammer nicht als fernliegend auszuschließen, dass – falls es zu einer solchen Bemerkung gekommen ist – diese zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte, zu dem bereits öffentlich bekannt war, dass der Explosion ein Anschlag zugrunde lag. In einem solchen Fall käme der Äußerung jedoch angesichts des auf Selbstinszenierung angelegten Verhaltens des Angeklagten nur noch ein geringes verdachtsbegründendes Gewicht zu, das die Kammer indes in ihre Beurteilung eingestellt hat.
322(2) In einem am 18. August 2000 zwischen dem Angeklagten und einem Journalisten („Yellow TV“) geführten Telefonat erwähnt der Angeklagte einen schwarzen Kraftwagen, der in der Nähe des Tatortes beobachtet worden sein soll.
323U: Und keiner ermittelt nach ‚nem schwarzen Auto mit drei Personen drin.
324Journalist: Was ist das?
325U: Das ist hier gesehen worden von Anwohnern. Ein schwarzer fetter Wagen mit drei ausländischen Personen.
326Journalist: Zu dem Zeitpunkt?
327U: Und der war auch vorher da schon aufgefallen dieser Wagen.
328Journalist: Wieso erzählst Du das jetzt erst? Ist da irgendwas bekannt? Meinst Du, dass die Polizei…
329U: Die Polizei weiß das, die Polizei bricht aber jedesmal ab, wenn man davon anfängt zu erzählen.
330(…)
331U: Weil das haben auch nur Mitbürger gesehen. Das wissen aber, das ist eigentlich hier so, das davon jeder erzählt. Ein schwarzes Auto mit mehreren Personen, teilweise sagt man, (unverständlich) maskiert gewesen mit Sonnenbrillen.“
332Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, Kenntnis über dieses Fahrzeug könne der Angeklagte nur dann gehabt haben, wenn er sich unmittelbar vor der Explosion am Tatort befunden habe. Sie bezieht sich insoweit auf einen Hinweis des Zeugen T17, der als Anwohner des in der Nähe des S-Bahnhofs gelegenen Hauses B178 davon berichtet hatte, er habe erstmals um 14:20 Uhr und dann nochmals kurz vor 15:00 Uhr vor dem Hause B153 – mithin gegenüber dem Eingang zu dem S-Bahnhof – einen mit zwei Personen besetzten schwarzen Wagen parkend gesehen. Ein solcher Wagen habe ausweislich von Fotoaufnahmen, die von Anwohnern gefertigt wurden, auch nach der Explosion noch an der von dem Zeugen T17 beschriebenen Stelle gestanden. Deshalb sei – so die Staatsanwaltschaft – auszuschließen, dass die Nutzer dieses Fahrzeugs etwas mit der Tat zu tun hätten, da sie andernfalls den Tatort im Anschluss an die Explosion mit Sicherheit verlassen hätten. Aus diesem Grunde sei ebenfalls auszuschließen, dass der Wagen für die Ermittlungsbehörden oder für Schaulustige bzw. interessierte Anwohner zu jenem Zeitpunkt noch in irgendeinem Zusammenhang mit der Tat gebracht worden sei. Deshalb könne der Angeklagte die in dem Telefonat mit dem Journalisten aufgestellte These von einer möglichen Tatrelevanz des schwarzen Wagens nur auf der Grundlage von Erkenntnissen gebildet haben, die er unmittelbar vor der Tat erlangt habe. Dies setze jedoch voraus, dass er den Wagen auch unmittelbar vor der Tat an der besagten Stelle – gegenüber dem Eingang des S-Bahnhofs – gesehen habe. Hieraus folge, dass er sich dort unmittelbar vor der Tat aufgehalten habe.
333Der Angeklagte hat angegeben, nicht (mehr) zu wissen, von wem er die in dem Telefonat geäußerte Information über einen schwarzen Wagen erhalten habe. Er sei jedenfalls am Tattag nicht am Tatort gewesen.
334Nach Dafürhalten der Kammer ist die Schlussfolgerung der Staatsanwaltschaft von der Erwähnung eines schwarzen Wagens auf die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort unmittelbar vor der Explosion nicht tragfähig. Die Kammer vermag der Staatsanwaltschaft bereits im Ausgangspunkt ihrer Überlegungen nicht zu folgen, wonach der Angeklagte in dem Telefonat hinsichtlich des schwarzen Wagens über eigene Wahrnehmungen berichtet. Der Angeklagte selbst bezieht sich insoweit in dem Telefonat auf Wahrnehmungen Dritter („Das ist hier gesehen worden von Anwohnern.“). Angesichts dessen erscheint es nicht fernliegend, dass der Zeuge T17 – dieser konnte sich während seiner Vernehmung vor der Kammer an den gesamten Sachverhalt nicht mehr erinnern – seinerseits weiteren Personen von seiner Beobachtung berichtet hatte und diese Informationen so – gewissermaßen im Wege einer „stillen Post“ – an den Angeklagten gelangt sind, der sie in dem Telefonat an den Journalisten weitergab. Daneben kommen angesichts der Vielzahl der Personen, die in der Nähe des Tatortes wohnten, sich gedanklich mit der Tat beschäftigten und – wie die Vielzahl der an die Polizei gelangten Hinweise belegen – verschiedenste Spekulationen über den Tathergang anstellten, auch bislang völlig Unbekannte als Urheber jenes von dem Angeklagten erwähnten „Gerüchts“ betreffend den schwarzen Wagen in Betracht. Aus der Erwähnung dieses Gerüchts auf angebliches Wissen zu schließen, das der Angeklagte nur durch Anwesenheit am Tatort zur Tatzeit erlangt haben kann, hält die Kammer für fernliegend. Hinzu kommt, dass der Angeklagte in dem mehr als eine Stunde dauernden Telefonat gegenüber dem Journalisten eine Vielzahl von Gesichtspunkten zur Sprache bringt, die teils falsch und teils abwegig sind. Das Telefonat – der Angeklagte selbst hatte den Journalisten angerufen und gab bereitwillig Auskunft – belegt erneut die Neigung des Angeklagten zur Wichtigtuerei und zu anlasslosen Spekulationen (bspw.: die Opfer hätten den Sprengsatz selbst ausgelöst oder die Polizei „breche“ [s.o.] ab, wenn „man“ von dem Wagen erzähle).
335Unter Würdigung der genannten Umstände entnimmt die Kammer der Erwähnung eines schwarzen Wagens durch den Angeklagten kein auch nur ansatzweise tragfähiges Beweisanzeichen, das den von der Staatsanwaltschaft nahegelegten Schluss tragen würde.
336(3) Belastet wird der Angeklagte durch Äußerungen in einem Telefonat vom 7. Oktober 2015, die die Staatsanwaltschaft als „Voraberklärung“ zu einer von ihm selbst in Betracht gezogenen Spurenlage interpretiert. In dem Telefonat zitiert die Gesprächspartnerin des Angeklagten aus einem Medienbericht über die Wiederaufnahme von Ermittlungen und erwähnt dabei u.a., dass eine erneute molekulargenetische Untersuchung von Spurenmaterial erfolgen solle, das am Tatort (Geländer der Fußgängerbrücke) sichergestellt worden sei. Auch andere Asservate würden – so die Gesprächspartnerin – mit „neuen Analysemethoden“ untersucht. Der Angeklagte äußert daraufhin Umstände, die den Nachweis von ihm zuzuordnenden Spurenmaterial am Tatort plausibel erscheinen lassen könnten:
337„Der Witz ist, dass ich ja da immer mit meinem Hund langgegangen bin. Ich hab da hingerotzt. Mein Hund hat da hingepinkelt. Ich hab mich mal irgendwo festgehalten. Ich hab da Fahrkarten gekauft. Obwohl da in dem Ding da bin ich eigentlich nie gewesen. Da bin ich ein-, zweimal durch, das ist fürn Arsch gewesen dieser Abgang da hinten. Da saßen immer die ganzen Junkies, die ich aus dem Parkhaus getrieben habe und haben da gefixt. Also von daher … ich bin ja in keiner Weise schuldig. Und stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln, wie ich handelte. Hat wer gesagt …?“
338Der Angeklagte befragt seine Gesprächspartnerin sodann nach Art einer Prüfung, wer Urheber dieses von Rudolf Heß stammenden Ausspruchs ist und sagt, ohne die Antwort abzuwarten:
339„Ich will nicht wie er enden, aber ich finde, er ist ein tapferer Mann gewesen.“
340Der Staatsanwaltschaft ist zuzugeben, dass dieser Äußerung des Angeklagten ein Hinweis darauf entnommen werden könnte, er ziehe einen auf seine Person hindeutenden „Treffer“ bei der erneuten Untersuchung der am Tatort erhobenen Spuren ernstlich in Betracht. Indes relativiert der Angeklagte diese Möglichkeit sofort wieder durch den Hinweis, dass er sich jedenfalls nicht häufig am Tatort („in dem Ding“) aufgehalten habe. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Präsentation des Zitats von Rudolf Heß („Und stünde ich wieder am Anfang, …“), die dahingehend interpretiert werden könnte, als halte der Angeklagte ein eigenes strafbares Verhalten für billigenswert.
341Indes handelt es sich nach Dafürhalten der Kammer nur um eine Interpretationsmöglichkeit. Gleichwohl entnimmt die Kammer dem Telefonat ein den Angeklagten belastendes Beweisanzeichen.
342q) Belastet wird der Angeklagte dadurch, dass er – indes nicht feststellbar in welchem Zeitraum und mit welcher Häufigkeit – die Zeitung „Marktplatz“ bezog, was die Kammer aufgrund der im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben der Zeugin T6 feststellt. Eine Ausgabe dieser in E4 nur in relativ geringer Stückzahl (etwa 500, möglicherweise auch nur 168 Exemplare in E4, etwa acht Exemplare im Umkreis von 1000 Metern von der damaligen Wohnung des Angeklagten entfernt, etwa 22.000 Exemplare insgesamt bei einem Hauptverbreitungsgebiet „Mayen – Aachen – E4 – Siegen“) vertriebenen Zeitung befand sich in der Plastiktüte, in der der Sprengsatz verborgen war.
343Zu den Angaben der Zeugin T6 betreffend den Bezug dieser Zeitung durch den Angeklagten war es in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 16. Juni 2015 ausweislich der Niederschrift wie folgt gekommen:
344„T6: Aber er ging auch immer in den Kiosk an der Gerresheimer Ecke T8straße und kaufte dort ein. Ich meine das wären auch Ausländer gewesen. Dort hat er auch regelmäßig ein Anzeigenblatt gekauft.
345Frage: Hieß das Anzeigenblatt Marktkauf? Oder so ähnlich?
346Antwort: Nein, das hieß Marktplatz. Eine blaue Zeitung meine ich. Ich muss mich verbessern, diese Zeitung hat er nicht dort gekauft, sondern dort hat er die AVIS gekauft. Die Zeitung Marktplatz hat er irgendwo anders gekauft. Wo, weiß ich aber nicht. Ob er diese Zeitung Marktplatz regelmäßig gekauft hat, weiß ich nicht, ich weiß aber, dass ich sie bei ihm gesehen habe.“
347In der Hauptverhandlung äußerte die Zeugin T6, der Angeklagte habe das Anzeigenblatt „Avis“ bezogen. Es könne auch „gut möglich“ sein, dass der Angeklagte die Zeitung „Marktplatz“ bezogen habe. Auf die Frage, ob diese Zeitschrift „blau“ gewesen sei, wies die Zeugin T6 darauf hin, dass die Zeitschrift „Avis“ blau gewesen sei („Das war die Avis oder Avus oder wie die hieß. Die war blau.“). Die Nachfrage, ob sie mit der Polizei über diese Zeitung gesprochen habe, bejahte die Zeugin und nannte auch den Bedeutungskontext („Ja. Weil die Bombe da wohl eingewickelt war oder die Zeitung mit in der Tüte war. Danach haben die mich dann gefragt.“). Im Gegensatz hierzu hat der Zeuge KHK O1 (Vernehmungsbeamter) unter Bezugnahme auf die Vernehmungsniederschrift angegeben, mit der Zeugin T6 sei ein Zusammenhang zwischen der Zeitung „Marktplatz“ und dem Sprengsatz nicht erörtert worden.
348Trotz der an anderer Stelle bereits erörterten hohen Suggestibilität der Zeugin T6 und ihrer auf Rückschlüsse hindeutenden Angaben zu den Vernehmungsinhalten, geht die Kammer in Abweichung von den Angaben des Angeklagten davon aus, dass die Zeugin die Zeitung „Marktplatz“ bei dem Angeklagten gesehen hat, ohne dass damit indes feststellbar wäre, wann und wie häufig dies der Fall war.
349r) Nicht verdachtsbegründend ist hingegen, dass der Angeklagte möglicherweise eine Verbindung zu anderen Gegenständen hatte, die sich in der Tüte befanden (Mayonnaise, Fruchtsäfte und Cola). Denn diese Gegenstände sind derart alltagsgebräuchlich, dass sie keinen Rückschluss auf bestimmte Personen zulassen.
350s) Die Kammer konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte den Tatort vor der Tat zielgerichtet beobachtet hat, um für die Tatdurchführung erforderliche Informationen über das Verhalten der Sprachschüler zu erheben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Angaben der Zeugin S7, wonach diese den Angeklagten mindestens ein- oder zweimal wöchentlich an der Bushaltestelle gegenüber dem Tatort gesehen habe. Der Angeklagte habe dort – so die Zeugin – „rumgestanden“; einen Bus habe er nicht benutzt. Konkretere Angaben konnte die Zeugin nicht machen. Sie schlussfolgerte lediglich anhand ihrer damaligen Arbeitszeiten, dass sie die Bushaltestelle vor 9:00 Uhr und nach 15:00 Uhr passiert habe, konnte indes den Zeitraum ihrer Beobachtungen nicht angeben. Ebensowenig konnte die Zeugin die tatsächliche Grundlage für die Schilderung angeben, der Angeklagte habe dort nicht auf den Bus gewartet bzw. habe den Bus nicht „genommen“. Soweit sie in diesem Zusammenhang – indes erst 15 Jahre nach ihrer ersten Vernehmung zu diesem Thema – eine weitere Schlussfolgerung anstellte, wonach sie die Bushaltestelle nur nachmittags mehrmals passiert habe und deshalb zu der Erkenntnis gekommen sein müsse, der Angeklagte warte dort nicht auf den Bus, erscheint der Kammer die Tatsachengrundlage zu unsicher, um hierauf die von der Staatsanwaltschaft nahegelegte Schlussfolgerung zu stützen, der Angeklagte habe den Tatort regelmäßig donnerstags – bei dem Tattag handelte es sich um einen Donnerstag – gegen 15:00 Uhr beobachtet. Soweit sich aus den Angaben der Zeugin S7 ergibt, dass sich der Angeklagte mehrfach in der unmittelbaren Nähe des späteren Tatortes aufhielt, fällt dies aus Sicht der Kammer für sich genommen nicht belastend ins Gewicht, da der Angeklagte in der Nähe des Tatortes wohnte und arbeitete und dafür bekannt war regelmäßig mit seinem Hund durch das Viertel zu gehen. Belastend – indes mit geringem indiziellen Gewicht – ist lediglich, dass der Angeklagte aufgrund eines gelegentlichen Aufenthaltes in der Nähe des Tatorts und seiner Ortskenntnis die Möglichkeit hatte, diesen auszukundschaften.
351t) Die Kammer hat als verdachtsbegründend berücksichtigt, dass sich der Angeklagte – nach den insoweit glaubhaften Angaben der Zeugin L14 – nach dem Anschlag wiederholt und längere Zeit – auch nachts – an der Absperrung des Tatortes aufhielt und auch Kontakt zu den dort arbeitenden Polizeibeamten suchte. Dieses grundsätzlich als tätertypisch zu bewertende Verhalten unterliegt jedoch wiederum aufgrund der aufgezeigten Persönlichkeit des Angeklagten (Neigung zur Selbstinszenierung, Aufspielen als Ordnungshüter) einer nur eingeschränkten Aussagekraft.
352u) Belastet wird der Angeklagte durch sein – durch Telefonate und Zeugenaussagen belegtes – verbal aggressives Verhalten und seine Bereitschaft zum Einsatz körperlicher Gewalt. Die Neigung des Angeklagten zu übergriffigem und unbeherrschtem Verhalten gegenüber ehemaligen Lebensgefährtinnen bzw. Frauen, mit denen der Angeklagte zuvor eine intime Beziehung geführt hatte, wird belegt durch die Angaben der Zeuginnen T13, Q7, E6 und E3, welche übereinstimmend und glaubhaft von massiven Bedrohungen und Beleidigungen des Angeklagten ihnen gegenüber nach Beendigung der jeweiligen Beziehung bzw. im Rahmen von Streitigkeiten berichteten. Bei all diesen Zeuginnen kam es aufgrund des Verhaltens des Angeklagten zu einstweiligen Verfügungen bzw. zu Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz.
353Die Zeugin Q7 berichtete von einer – aus Sicht der Kammer dem Angeklagten jedenfalls zuzurechnenden – Bedrohungssituation im August 2000, in der sie – nachdem der Angeklagte erfahren hatte, dass die Zeugin nach dem Anschlag gegenüber der Polizei ihn belastende Angaben getätigt hatte – durch zwei Männer in ihrem Hausflur aufgesucht wurde und es zu (oberflächigen) Verletzungen mit einem Messer gekommen ist. Auch wenn die Kammer einen qualitativen Unterschied zwischen Tätlichkeiten im Rahmen einer oder aus Anlass der Beendigung einer Beziehung und der mit planerischem Vorlauf verbundenen Begehung eines Sprengstoffanschlages zum Nachteil einer Vielzahl von Personen sieht, ergibt sich aus den Schilderungen der Zeuginnen eine verdachtsbegründende Einstellung des Angeklagten zu Gewalt.
354v) Die Kammer hat im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung sämtliche für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte nochmals gewichtet und gegeneinander abgewogen. Nach dem Ergebnis dieser Würdigung verbleiben für die Kammer – ganz erhebliche – Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Der Angeklagte befand sich zwar zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes, hatte Ortskenntnis und hat auch widersprüchliche Angaben zu seinem Aufenthalt zur Tatzeit gemacht. Seine Angaben zu seinen vorherigen Aktivitäten (Treffen mit einer nicht identifizierten Kundin auf der X1 Straße) sind wenig nachvollziehbar und werfen die offen gebliebene Frage nach dem Grund für derartige Angaben auf. Der Angeklagte kommt aufgrund seiner ausgeprägten Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit und seiner – wenngleich bislang lediglich im Rahmen von Konflikten mit einzelnen Personen zutage getretenen – Bereitschaft zum Einsatz körperlicher Gewalt als Täter grundsätzlich in Betracht; zudem besteht hinsichtlich des Phänotyps und der Form und Farbe der Kopfbedeckung eine gewisse Ähnlichkeit mit der von der Zeugin U1 beschriebenen Person, bei der es sich nach Dafürhalten der Kammer um den Täter handelt. Auch stand dem Angeklagten mit der Wohnung im Hause H13 ein Ort zur Verfügung, in dem er tatvorbereitende Handlungen unbemerkt hätte vornehmen können, wenngleich die Kammer nicht feststellen konnte, dass er die hierzu nötige technische Kompetenz besaß. Seine Versuche, durch Einwirken auf Zeugen Einfluss auf das Ermittlungsverfahren zu nehmen belasten ihn ebenso wie seine Affinität zu Waffen sowie der Umstand, dass er im Besitz eines Werbeflyers für eine Sprengkapsel war und – wenngleich zeitlich nicht näher fixierbar – über die Zeitung „Marktplatz“ verfügte, von der ein Exemplar in der Plastiktüte lag, in der sich der Sprengsatz befand. Schließlich hat die Kammer auch das von dem Angeklagten im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf in dem Telefonat vom 7. Oktober 2015 verwendete Heß-Zitat sowie das ebenfalls in diesem Telefonat geäußerte Für-Möglich-Halten eines Spurentreffers am Tatort zu seinen Lasten berücksichtigt.
355Die belastenden Beweisanzeichen sind zwar zahlreich, aus Sicht der Kammer jedoch – auch in der Summe – von zu geringem Gewicht, um den Angeklagten zur Überzeugung der Kammer zu überführen. Angesichts des erheblichen Kontrastes zwischen den Anforderungen an die Vorbereitung und logistische Durchführung der Tat einerseits und der relativ einfachen intellektuellen Struktur des Angeklagten andererseits bleiben bei der Kammer – was die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungsentscheidung aus dem Jahr 2002 noch genauso bewertet hatte – bereits erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Auch die in seiner – aufgrund ihrer offensichtlichen Unzulänglichkeit selbstbelastenden – Einlassung zutage tretenden Defizite bei der Abwehr des Tatverdachts lassen den Angeklagten gerade nicht als jemanden erscheinen, der in planvoller – auch die spätere Verdachtsentlastung einschließender – Vorgehensweise einen solchen Anschlag vorbereitet und verübt, der – nach Dafürhalten sämtlicher hierzu gehörter sachverständiger Beweispersonen – in technischer und logistischer Hinsicht besonders anspruchsvoll ist. Hinzu kommt, dass der Angeklagte aus Sicht der Kammer nicht über die Selbstdisziplin verfügt, über einen – auch angesichts der Tatvorbereitung notwendigen – längeren Zeitraum davon abzusehen, seinem damaligen engen persönlichen Umfeld (Zeuginnen T6, I4, T13) von einem gegen die Opfergruppe aufgebauten Unmut zu berichten. Dass es überhaupt ein Ereignis gab, aufgrund dessen der Angeklagte Unmut über die Besucher der Sprachschüler entwickelte, hat die Hauptverhandlung nicht ergeben. Infolgedessen kann als in Betracht kommendes Tatmotiv allenfalls die allgemeine und undifferenzierte Abneigung des Angeklagten gegen Menschen ausländischer Herkunft sowie der Umstand herangezogen werden, dass sich die Sprachschule gegenüber dem seinerzeit von ihm betriebenen Ladenlokal befand. Aber auch insoweit gilt, dass keiner der hierzu befragten Zeugen davon berichtet hat, der Angeklagte habe die Sprachschule oder die Sprachschüler überhaupt einmal erwähnt. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der dem Angeklagten damals besonders nahestehenden Zeuginnen T6 und I4. Dafür dass diese Zeuginnen entsprechende Äußerungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung wahrheitswidrig verschwiegen hätten, ergeben sich aufgrund ihres sonstigen Aussageverhaltens für die Kammer keinerlei Anhaltspunkte.
356Gegen eine Täterschaft des Angeklagten spricht auch der äußerst knappe Zeitraum zwischen dem Anschlag und dem von dem Angeklagten um 15:07 Uhr getätigten Anruf bei dem Zeugen T14. Wäre es dem Angeklagten – im Falle der Täterschaft – tatsächlich gelungen, bis 15:07 Uhr in seine Wohnung zu gelangen, hätte er mit dem sodann unverzüglich getätigten Anruf bei dem ZeugenT14– selbst unter Berücksichtigung seiner Neigung zu irrationalem Verhalten – ein besonders untypisches Verhalten an den Tag gelegt, was aus Sicht der Kammer die Täterschaft auch eher unwahrscheinlich macht.
357Der Kammer ist bewusst, dass die – umfangreichen – polizeilichen Ermittlungen keinen zu einem hinreichenden Tatverdacht führenden Hinweis auf einen anderen Täter erbracht haben. Angesichts des Umstandes, dass die Tat im öffentlich zugänglichen Verkehrsraum begangen wurde und damit grundsätzlich auch Personen oder Personengruppen als Täter in Betracht kommen, die bislang überhaupt noch nicht in das Blickfeld der Ermittlungsbehörden gelangt sind, bleibt dieses – im Sinne einer Ausschlussmethode (vgl. dazu BGH Urteil vom 19. Januar 1999 – 1 StR 171/98 – NJW 1999, 1562) zu verstehende – Beweisanzeichen jedoch ohne maßgebliches Gewicht. Die These der Staatsanwaltschaft, die Tat sei ohne Beteiligung des Angeklagten nicht vorstellbar, teilt die Kammer vor diesem Hintergrund nicht.
358Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
359VI.
360Die Entscheidung über die dem Angeklagten zu gewährende Entschädigung beruht auf § 2 Abs. 1, Abs. 2, § 8 StrEG.
3611. Im Einzelnen ist der Angeklagte – neben der Untersuchungshaft – für den Schaden, den er durch die folgenden Strafverfolgungsmaßnahmen erlitten hat, zu entschädigen:
362a) Durchsuchung der Person des Angeklagten am 31. Januar 2017;
363b) Durchsuchung der Garage auf der I8straße 10, S-Stadt am 31. Januar 2017;
364c) Beschlagnahme des PKW Opel Astra Caravan, amtliches Kennzeichen ME in der Zeit vom 31. Januar 2017 bis 3. März 2017;
365d) Durchsuchung des PKW Opel Astra Caravan, amtliches Kennzeichen ME- am 1. Februar 2017 und 2. März 2017;
366e) Beschlagnahme des VW-Bus T4, amtliches Kennzeichen ME in der Zeit vom 31. Januar 2017 bis 3. März 2017;
367f) Durchsuchung des VW-Bus T4, amtliches Kennzeichen ME- am 1. Februar 2017 und 2. März 2017;
368g) Beschlagnahme des Wohnwagens, amtliches Kennzeichen MS in der Zeit vom 31. Januar 2017 bis 3. März 2017;
369h) Durchsuchung des Wohnwagens, amtliches Kennzeichen MS am 1. Februar 2017 und 2. März 2017;
370i) Durchsuchung des Kleingartens des Angeklagten auf der I7straße in L15, am 1. Februar 2017;
371j) Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten, B-Weg47, S-Stadt nebst Keller und Garten in der Zeit vom 31. Januar 2017 bis 3. Februar 2017;
372k) Beschlagnahme der – aus der Auflistung unter VI2 ersichtlichen – Gegenstände aus der Wohnung des Angeklagten in der Zeit ab dem 31. Januar 2017 bis zur jeweiligen Rückgabe;
373l) Durchsuchung des Kleingartens des Angeklagten auf der O5Straße, in L15 am 30. März 2017.
3742. Im Einzelnen wurden folgende Gegenstände aus der Wohnung des Angeklagten beschlagnahmt:
375Asservat Nr. |
Bezeichnung |
weitere Bezeichnung in der Akte |
Beginn |
Rückgabe |
1.1.1.1 |
Fotos, Filme, etc. |
SA 63e, Bl. 1878 – 1880 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.2 |
Papiere mit Rucksack |
SA 63e, Bl. 1881 – 1882 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.3 |
Ordner mit Papieren |
SA 63e, Bl. 1883 – 1884 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.4 |
Sony Laptop |
SA 63e, Bl. 1885 – 1887 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.5 |
Papiere in Postkiste |
SA 63e, Bl. 1888 – 1889 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.6 |
Karton mit Papieren |
SA 63e, Bl. 1890 – 1892 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.7 |
2 Bestattungsbücher |
SA 63e, Bl. 1893 – 1894 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.8 |
Handgranate leer |
01.02.2017 |
||
1.1.1.9 |
4 Kennzeichen |
SA 63e, Bl. 1895 – 1896 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.10 |
Buchkalender 2016 |
SA 63e, Bl. 1897 – 1898 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.11 |
Papiere in Postkiste |
SA 63e, Bl. 1899 – 1900 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.12 |
PC Tower groß |
SA 63e, Bl. 1901 – 1904 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.13 |
PC Tower klein |
SA 63e, Bl. 1905 – 1908 |
01.02.2017 |
|
1.1.1.14 |
Ordner mit Papieren |
SA 63e, Bl. 1909 – 1910 |
02.02.2017 |
|
1.1.1.15 |
5 Kennzeichen |
SA 63e, Bl. 1911 – 1912 |
02.02.2017 |
|
1.1.1.16 |
Landkarte Lahn und Quittung |
SA 63e, Bl. 1913 – 1914 |
02.02.2017 |
|
1.1.1.17 |
Fahne schwarz/weiß/rot |
SA 63e, Bl. 1915 – 1916 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.1 |
Videokamera und zwei Kassetten |
SA 63e, Bl. 1917 – 1918 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.2 |
Schatzkarte |
SA 63e, Bl. 1919 – 1920 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.3 |
PC Tower klein |
SA 63e, Bl. 1921 – 1924 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.4 |
Schuhkarton mit Briefen |
SA 63e, Bl. 1925 – 1926 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.5 |
Fotos |
SA 63e, Bl. 1927 – 1928 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.6 |
Papiere |
SA 63e, Bl. 1929 – 1930 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.7 |
Geschosshülsen |
SA 63e, Bl. 1931 – 1932 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.8 |
CD |
SA 63e, Bl. 1933 – 1934 |
02.02.2017 |
|
1.1.2.9 |
Fotos |
SA 63e, Bl. 1935 – 1936 |
03.02.2017 |
|
1.1.2.10 |
Ordner mit Papieren |
SA 63e, Bl. 1937 – 1938 |
03.02.2017 |
|
1.1.2.11 |
SD Sticks und Karten |
SA 63e, Bl. 1939 – 1942 |
03.02.2017 |
05.06.2018 (HA LG Bl. 303) |
1.1.3.1 |
Papiere, Fotos |
SA 63e, Bl. 1943 – 1944 |
01.02.2017 |
teilweise am 07.03.2017 (SA 63d Bl. 1715) |
1.1.3.2 |
7 CDs/DVDs |
SA 63e, Bl. 1945 – 1946 |
01.02.2017 |
|
1.1.3.3 |
Navigationsgerät |
SA 63e, Bl. 1947 – 1950 |
01.02.2017 |
19.06.2018 (HA LG Bl. 303) |
1.1.3.4 |
4 CDs |
SA 63e, Bl. 1951 – 1952 |
01.02.2017 |
|
1.1.3.5 |
3 Mobiltelefone |
SA 63e, Bl. 1953 – 1964 |
01.02.2017 |
05.06.2018 (HA LG Bl. 303) |
1.1.3.6 |
Tagebuch |
SA 63e, Bl. 1965 – 1966 |
01.02.2017 |
|
1.1.3.7 |
Schlüsselbund |
SA 63e, Bl. 1967 – 1968 |
03.02.2017 |
|
1.1.3.8 |
Handy |
01.02.2017 |
05.06.2018 (HA LG Bl. 303) |
|
1.1.3.9 |
Schlüsselbund |
SA 63e, Bl. 1969 – 1970 |
03.02.2017 |
|
1.1.3.10 |
1 Schlüssel |
SA 63e, Bl. 1971 – 1972 |
03.02.2017 |
|
1.1.5.1 |
Papiere, SIM-Karte, SD Karte |
SA 63e, Bl. 1973 – 1980 |
01.02.2017 |
|
1.1.5.2 |
1 D-Stick, 1 SD Karte |
SA 63e, Bl. 1981 – 1983 |
01.02.2017 |
|
1.1.5.3 |
Navigationsgerät |
SA 63e, Bl. 1984 – 1987 |
01.02.2017 |
19.06.2018 (HA LG Bl. 303) |
1.1.5.4 |
Papiere |
SA 63e, Bl. 1988 – 1989 |
01.02.2017 |
teilweise am 22.03.2017 (SA 63d Bl. 1739) |
1.2.4.1 |
Zeitung mit Telefonnummern |
SA 63e, Bl. 1990 – 1991 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.2 |
Blatt mit Telefonnummern |
SA 63e, Bl. 1992 – 1993 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.3 |
Abo Märchenzoo 2012 |
SA 63e, Bl. 1994 – 1995 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.4 |
Papiere |
SA 63e, Bl. 1996 – 1997 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.5 |
Munition |
SA 63e, Bl. 1998 – 1999 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.6 |
Fotos |
SA 63e, Bl. 2000 – 2001 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.7 |
Handy Samsung |
SA 63e, Bl. 2002 – 2006 |
03.02.2017 |
05.06.2018 (HA LG Bl. 303) |
1.2.4.8 |
Handy Motorola |
SA 63e, Bl. 2007 - 2009 |
03.02.2017 |
05.06.2018 (HA LG Bl. 303) |
1.2.4.9 |
DVD "Papa Kids" |
SA 63e, Bl. 2010 - 2011 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.10 |
Munition |
SA 63e, Bl. 2012 – 2013 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.11 |
Schlüsselbund |
SA 63e, Bl. 2014 – 2015 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.12 |
2 Landkarten Duisburg |
SA 63e, Bl. 2016 – 2017 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.13 |
Schlüsselbund |
SA 63e, Bl. 2018 – 2019 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.14 |
3 Landkarten |
SA 63e, Bl. 2020 – 2021 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.15 |
Papiere |
SA 63e, Bl. 2022 – 2023 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.16 |
Festplatte |
SA 63e, Bl. 2024 – 2026 |
03.02.2017 |
|
1.2.4.17 |
6 Videokassetten |
03.02.2017 |
||
1.1.0.1 |
Schlüsselbund |
SA 63e Bl. 1874 f. |
06.02.2017 |
07.03.2017 (SA 63d Bl. 1715) |
1.1.0.2 |
1 Schlüssel Garage |
SA 63e Bl. 1876 f. |
06.02.2017 |