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Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 01.07.2003 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal (1 O 143/03) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, es ab dem 01.01.2005 zu unterlassen, den über den Grundbesitz K... ... – ... in ... W... verlaufenden Schmutzwasserkanal ... – vom M... kommend – so benutzen zu las-sen oder zu betreiben, dass es zu Überschwemmungen des Grund-
besitzes der Klägerin K... ... – ... in ... W..., im Grundbuch von K..., Blatt ..., Flurstück ..., ..., ..., ..., ... und ... kommt.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz einschließlich der Kosten des Beweissicherungsverfahrens 2 OH 8/02 LG Wuppertal tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 EUR und hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreites gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der beizutreibenden Kosten des Rechtsstreites ebenfalls in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e
2I.
3Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstückes in W..., in dessen Erdreich zwei Schmutzwasserkanäle verlegt sind, die im Eigentum der Stadt W... stehen. Die Stadt W... hat der Beklagten, den Stadtwerken, "die Betriebsführung für die Abwasserbeseitigung übertragen, die auch die Unterhaltung bestehender Anlagen beinhaltet". Die Verlegung der Kanäle über das Grundstück der Klägerin sind nicht dinglich abgesichert. Nach stärkeren Regenfällen steht der vorliegend streitige Schmutzwasserkanal ... (Nord-Nordwest-Richtung vom M... kommend über das Grundstück der Klägerin verlaufend) regelmäßig stark unter Druck; teilweise wird dann das Schmutzwasser einschließlich Fäkalien aus einem im nördlichen Teil des Grundstücks der Klägerin befindlichen Revisionsschacht mit großem Druck herausgepresst und das Grundstück überflutet. Der Revisionsschacht ist ausweislich des eingeholten Beweisverfahrens 2 OH 8/02 LG Wuppertal zwischenzeitlich bereits beschädigt worden. Die Überflutung beruht darauf, dass offensichtlich nicht genehmigte Niederschlagsabwässer in den Kanal entsorgt werden. Die Beklagte hat die unberechtigte Einleitungsstelle bisher nicht gefunden; im November 2003 wurde das Grundstück zuletzt überflutet.
4Die Klägerin hat mit ihrer Klage zunächst Beseitigung dieses Schmutzwasserkanals verlangt und später ihr Begehren auf Unterlassung der Benutzung bzw. des
5Betreibens des Schmutzwasserkanals in der Weise verlangt, dass es zu Überschwemmungen auf ihrem Grundstück kommt. Dem hat das Landgericht Wuppertal mit Urteil vom 01.07.2003 – auf das wegen der weiteren tatbestandlichen Feststellungen Bezug genommen wird – mit der Maßgabe entsprochen, dass die Beklagte ein entsprechendes Benutzen bzw. Betreiben erst es ab dem 01.01.2004 zu unterlassen habe. Die Beklagte hat inzwischen mit der Verlegung eines neuen Kanals im Oktober 2003 begonnen.
6Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, das auf Unterlassen gerichtete Klagebegehren der Klägerin sei auf eine rechtlich und tatsächlich unmögliche Leistung gerichtet. Sie selbst benutze den Kanal nicht. Die Vorstellung des Landgerichts, sie
7müsse sich als Störerin eventuell unbefugtes Zuleiten von Oberflächenwasser durch Dritte zurechnen lassen, sei unzutreffend. Der Schmutzwasserkanal stehe den Bewohnern der angeschlossenen Grundstücke zur Verfügung. Ihr könne nicht vorgehalten werden, sie habe nicht mit der nötigen Intensität nach den Verursachern der Fehleinleitung geforscht. Bereits seit Februar 2001 würden umfangreiche Überprüfungen im Einzugsgebiet vorgenommen. Sie könne mangels personeller Ressourcen nicht jeden Anschluss überprüfen. Sie könne den Betrieb auch nicht unterlassen; über die Schließung des Kanals oder einzelner Zuleitungen müsse ausschließlich von der Stadt W... als Eigentümerin entschieden werden. Die einzige Möglichkeit, das auftretende Problem zu lösen, bestehe daher darin, den vorhandenen Schmutzwasserkanal zu verlegen. Dieses Verfahren sei umfangreich. Es seien viele Genehmigungsverfahren zu durchlaufen. Eine Inbetriebnahme des neuen Kanals sei nicht vor Ende 2004 zu erwarten. Auf die Genehmigungsplanung und die Bauzeit habe sie keinen Einfluss. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Feststellungen des Gutachtens des selbständigen Beweisverfahrens zu anderen Abhilfemöglichkeiten, auf die das Landgericht im Urteil verweise. Der Sachverständige habe nämlich übersehen, dass ihr die Beseitigung von Fremdwasserzuflüssen gerade nicht möglich sei. Soweit der Sachverständige Rückhaltemaßnahmen erwähne, wisse sie nicht, was der Sachverständige damit meine. Sie könne nicht einfach ein Rückhaltebecken für Fäkalien bauen, welches im gesamten Stadtgebiet von W... kein Vorbild habe. Die Stadt habe sich schließlich für die Verlegung der Abwasserleitung entschieden, was Ziff. 3. des Vorschlages des Gutachters entspreche. Im übrigen könne der auf dem Grundstück der Klägerin befindliche Schacht nicht derart verschlossen werden, dass der Austritt des Abwassers verhindert werden könne. Der Druck sei bei starken Regenfällen zu hoch. Sie habe der Klägerin einen Vergleichsvorschlag gemacht, weil sie die ungünstigen Witterungsverhältnisse derzeit noch nicht verhindern könne. Auf die Entscheidung BGH NJW 2003, 2377 nehme sie Bezug.
8Die Beklagte beantragt,
9unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
10Die Klägerin beantragt,
11die Berufung zurückzuweisen.
12Sie ist der Auffassung, die Unterlassungsverurteilung sei umsetzbar und nicht unmöglich. Die Beklagte müsse nichts anderes tun, als es zu unterbinden, dass in unzulässiger Weise Regenwasser in den Schmutzwasserkanal eingeleitet werde. Ob die Beklagte zahlreiche Straßenzüge bereits auf Fehleinleitungen überprüft habe, entziehe sich ihrer Kenntnis. Es sei auch unrichtig, dass die Prüfung jeden einzelnen Anschlusses weder personell noch innerhalb angemessener Zeit zu bewältigen sei. Dass für den Bau eines neuen Schmutzwasserkanals öffentlich-rechtliche Genehmigungen eingeholt werden müssten, sei nicht ihr Problem. Es würde auch schon helfen, wenn auf dem Grundstück der Klägerin die Revisionsschächte entfernt und eine durchgehende Leitung geschaffen würde.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gegenseitigen Schriftsätze, die zur Akte gereichten Urkunden sowie das selbständige Beweisverfahren 2 OH 8/02 LG Wuppertal Bezug genommen.
14II.
15Die Berufung hat teilweise Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten erst beginnend ab dem 01.01.2005 verlangen, dass diese gemäß § 1004 Abs. 1 BGB ein solches Betreiben und Benutzen des Schmutzwasserkanals ... unterlässt, das zur Überflutung des klägerischen Grundstücks mit Schmutzwasser und Fäkalien führt.
161. Grundsätzlich steht der Klägerin gegenüber der Beklagten ein Unterlassungsanspruch zu. Die Überschwemmung des klägerischen Grundstückes mit Abwässern inklusive Fäkalien ist grundsätzlich eine rechtswidrige Zuführung von Grobimmissionen. Weil Wiederholungsgefahr besteht, sind sie grundsätzlich vom Stö-
17rer zu unterlassen (vgl. dazu auch BGHZ 111, 158, 162; BGH NJW 2003, 2377, 2379). Die Überschwemmung ist auch nicht Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses (vgl. BGHZ 122, 283, 284), sondern, wie die Erörterung im Senatstermin ergeben hat, bedingt durch unrechtmäßige Zuleitung von Regenwasser und einer Unterdimensionierung der bisher vorhandenen Kanäle für diese Regenmengen, wobei das Zusammentreffen der Schmutzwasserkanäle ... und ... zulasten des zweiten Kanals zu einem Rückstau führt.
182. Die Beklagte ist Störerin. Zwar trifft es zu, dass die Beklagte nicht selbst unzulässigerweise Regenwasser in den Schmutzwasserkanal einspeist. Diese Fehlbenutzung des Abwasserkanals Dritter ist ihr jedoch zurechenbar. Im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB haften nämlich auch der mittelbare Handlungsstörer, der die Beeinträchtigung durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht. Ein adäquater Zusammenhang besteht dann, wenn eine Tatsache im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen (vgl. BGH NJW 2000, 2901, 2902). Diese Voraussetzungen sind durch den Betrieb des Schmutzwasserkanals ... durch die Beklagte erfüllt. Die Beklagte ist zwar nicht Eigentümerin des fraglichen Schmutzwasserkanals. Ihr sind aber alle Aufgaben, die üblicherweise dem Eigentümer zufallen, übertragen. Wie sich aus dem von der Beklagten nachgereichten Entsorgungsvertrag zwischen der Stadtgemeinde W... und der Beklagten ergibt, ist ihr für Alt- und Neuanlagen dauerhaft die Durchführung der Stadtentwässerung übertragen. Sie muss dabei auch die Hausanschlüsse betreuen. Damit obliegt ihr aber auch die Aufgabe, die ordnungsgemäße Einleitungen von Abwasser durch die Benutzer in das Abwassersystem sicherzustellen, um so zu verhindern, dass das Abwassersystem und dessen Dimensionierung beeinträchtigt, werden. Fehleinleitungen durch die Benutzer sind mit dem Betrieb des Abwasserkanalsystems verbunden. Die Beklagte trägt selbst vor, dass ihre Überprüfungen der einzelnen Hausanschlüsse bereits ergeben hat, dass es zu einer Vielzahl kleinerer Fehleinleitungen gekommen ist. Ähnlich wie der Lärm von Besuchern eines Clubs, der auf der Straße beim An- und Abfahren verursacht wird oder Beeinträchtigungen durch an einer Bushaltestelle wartende Fahrgäste, sind
19derartige Umstände mit dem Abwasserentsorgungssystem der Beklagten daher typischerweise verbunden und damit der Beklagten zuzurechnen. Die Überflutungen auf dem Grundstück der Klägerin, die auf diesen Fehleinleitungen beruhen, sind damit adäquate Folgen des Betriebs des Abwassersystems.
203. Durch die Verurteilung zur Unterlassung des Betreibens des Kanals in der Weise, dass es nicht mehr zu Überschwemmungen kommt, verlangt der Beklagten nichts Unmögliches ab. Es ist technisch möglich, den vorhandenen Kanal vor erreichen des Grundstücks der Klägerin stillzulegen.
214. Die uneingeschränkte Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs scheitert aber an dem an einer ordnungsgemäßen Abwasserentsorgung bestehenden Allgemeininteresse.
22Bei der Beklagten, auch wenn sie in einer privatrechtlichen Form betrieben wird, handelt es sich um einen gemeingewichtigen Betrieb, der unmittelbar im öffentlichen Interesse tätig wird. Das öffentliche Interesse liegt in der aus hygienischen Gründen erforderlichen ordnungsgemäßen Entsorgung von Abwässern zur Vermeidung von Krankheiten (vgl. etwa § 18 a Abs. 1 Satz 1 WHG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann ein Abwehranspruch, der die Einstellung eines solchen Betriebes oder einer seiner Anlagen zur Folge hätte, ausgeschlossen sein, wenn die störenden Einwirkungen der Erfüllung von Aufgaben dienen, die im Allgemeininteresse liegen (vgl. BGH NJW 2000, 2901, 2902 m.w.N.; siehe auch BGH NJW 1984, 1876 betreffend eine Kläranlage). Vorliegend würde das Stilllegen des Schmutzwasserkanals vor dem Grundstück der Klägerin dazu führen, dass ein Teil der Anlage geschlossen würde, mit der Folge, dass die Schmutzwässer dauerhaft – und nicht nur gelegentlich bei extremen Wetterlagen – bis zur Heranführung eines anderen Kanals ungeklärt in die Umwelt entsorgt würden. Die Beklagte könnte damit ihrer Aufgabe, die ihr von der von der Stadt W... übertragen wurden, nämlich für eine ordnungsgemäße Entsorgung der Abwässer zu sorgen, für einen Teil des Stadtgebietes W...-K... nicht mehr erfüllen. Das ist unzulässig.
23Die Beklagte kann daher nur zu solchen Maßnahmen verpflichtet werden, die ihr zumutbar sind. Die Beklagte hat insofern den Bau eines neuen Kanals über die H... Straße angeboten, dessen Inbetriebnahme realistischerweise aber nicht vor dem 01.01.2005 erwartet werden kann. Dies ergibt sich schon aus dem Umfang der Baumaßnahme, wie sie im Senatstermin vom 29.03.2004 erörtert wurden. Es geht nicht etwa darum, kurzfristig einen kleineren Teil eines Kanals außerhalb des Grundstücks der Klägerin zu verlegen. Vielmehr ist es erforderlich, großräumig einen Umgehungskanal für den gesamten Stadtteil zu errichten. Die Schaffung des neuen Kanals wird dann auch dazu führen, dass auch der Schmutzwasserkanal 1 in Zukunft keine Abwässer mehr über das Grundstück der Klägerin transportiert.
24Gegenüber der Ausdehnung der Frist zugunsten der Beklagten kann die Klägerin nicht vorbringen, dass es möglich sei, kurzfristig Milderungen auf ihrem eigenen Grundstück, etwa durch Verschließen des Revisionsschachtes, aus dem bisher bei den Überflutungen das Wasser dringt, zu erreichen. Die von der Klägerin angesprochene Maßnahme verspricht keine Milderung, da damit nicht gezielt nach heftigen Regenfällen eine Überflutung außerhalb des Grundstückes der Klägerin sichergestellt werden kann. Es steht vielmehr zu befürchten, dass sich das Wasser auf dem Grundstück der Klägerin an anderer Stelle erneut einen Weg an die Oberfläche suchen wird.
25Abgesehen davon ist die Klägerin nicht schutzlos gestellt, da ihr für die Folgen einer Überschwemmung Ersatz gemäß § 906 Abs. 2 Satz 3 BGB analog zu leisten hat, weil ihr eine Abwehr der Immissionen nicht möglich ist.
26III.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
28Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 ZPO).
29Streitwert: 15.000,00 EUR.
30Beschwer der Parteien: jeweils unter 20.000,00 EUR (Dies gilt auch für die Beklagte, da die Kanalarbeiten im Grundsatz nur vorgezogen wurden, aber nicht ausschließlich durch die Überflutungen auf dem Grundstück der Klägerin ausgelöst wurden).
31S... Dr. W... B...