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1.Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung ‑ auch über die Kosten der Revision ‑ an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
2.Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
2Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten (Sprung-)Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
3Das Rechtsmittel hat nach Maßgabe des Beschlusstenors zumindest einen vorläufigen Teilerfolg.
41.
5Soweit der Schuldspruch betroffen ist, ist die Revision unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
62.Indes begegnet der Rechtsfolgenausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7a)Das Amtsgericht ist bei der Strafrahmenwahl zunächst von dem in § 224 Abs. 1 StGB vorgesehenen Regelstrafrahmen, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht, ausgegangen. Die Urteilsgründe weisen als zu Gunsten des Angeklagten bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu berücksichtigende Umstände dessen im Wesentlichen geständige Einlassung, die nicht unerhebliche Alkoholisierung sowie den Gesichtspunkt der Selbstverteidigung aus. Der Angeklagte ist strafrechtlich nicht vorbelastet. Nachfolgend hat das Amtsgericht die Voraussetzungen für einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ zutreffend erkannt und eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1 StGB, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen; danach ergab sich gemäß §§ 49 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB ein rechtsfehlerfrei bestimmter Strafrahmen mit einem gesetzlichen Mindestmaß von einem Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) und einem reduzierten Höchstmaß von sieben Jahren und sechs Monaten. Das Vorliegen eines minder schweren Falles der gefährlichen Körperverletzung mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren (§ 224 Abs. 1 2.Hs StGB) hat das Amtsgericht erkennbar nicht geprüft. Eine eingehende Erörterung war ungeachtet der Strafrahmenverschiebung auf Grund des vertypten Milderungsgrundes (§ 46a StGB) nicht entbehrlich (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46a Rn. 6).
8Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Dem Tatrichter obliegt es, im Rahmen einer Gesamtwürdigung alle maßgeblichen Umstände, die - sei es, dass sie dem Tatgeschehen vorausgehen, ihm innewohnen, es begleiten oder ihm nachfolgen - in objektiver und subjektiver Hinsicht die Tat und die Person des Täters kennzeichnen, nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen.
9Sieht das Gesetz einen minder schweren Fall vor und ist im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 StGB gegeben, so stehen grundsätzlich zwei verschiedene Strafrahmen zur Verfügung. Es ist daher zunächst zu entscheiden, welcher Strafrahmen zur Anwendung gelangt. Dabei ist vorrangig zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Ist dies der Fall, ist sodann zu prüfen, ob dessen Strafrahmen ohne Verletzung des § 50 StGB nochmals gemildert werden kann. Schon das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes für sich allein kann zur Annahme eines minder schweren Falles führen. Zu prüfen sind daher zunächst die nicht vertypten Milderungsgründe. Begründen sie allein schon einen minder schweren Fall, so ist ein ggf. gegebener vertypter Milderungsgrund nicht verbraucht und kann eine weitere Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB rechtfertigen. Begründen die nicht vertypten Milderungsgründe einen minder schweren Fall nicht, sind ggf. vertypte Milderungsgründe heranzuziehen. Nur wenn ein minder schwerer Fall erst bei kumulativer Berücksichtigung allgemeiner und vertypter Milderungsgründe gegeben ist, sind die letzteren für eine weitere Strafrahmenverschiebung „verbraucht“ (st. Rspr; Fischer a.a.O. § 46 Rn. 85; § 50 Rdn. 3ff m.w.N.). DieUrteilsgründe lassen nicht erkennen, dass das Amtsgericht diese Grundsätze beachtet hat.
10b)
11Zudem hält die Strafzumessung im engeren Sinne rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe von drei Monaten „als tat- und schuldangemessen“ und „zur Einwirkung auf den Angeklagten (als) erforderlich“ erachtet. Im Hinblick auf die Verletzungsfolgen wäre insbesondere die „Verhängung einer Geldstrafe nicht mehr angemessen“ gewesen. Diese Begründung ist nach Maßgabe der insoweit eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungskompetenz nicht tragfähig.
12Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat regelmäßig nur Bestand, wenn sie sich auf Grund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unerlässlich erweist und dies in den Urteilsgründen dargestellt wird; dass eine kurze Freiheitsstrafe „geboten“ oder „erforderlich“ ist, reicht nicht aus (BGH StraFo 2010, 500; BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 6; OLG Stuttgart StraFo 2009, 118, 119). § 47 Abs. 2 StGB enthält eine Strafrahmenerweiterung. Im Gegensatz zu Absatz 1 greift die Vorschrift ein, wenn der Straftatbestand keine Geldstrafe vorsieht und eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht kommt. Auch in solchen Fällen ist in der Regel eine Geldstrafe zu verhängen, es sei denn, nach den Kriterien des Absatzes 1 ist die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich (LK‑Theune, StGB, 12. Aufl. § 47 Rn. 6). Diese Begründungsanforderungen sind nicht erfüllt. Die Urteilsausführungen lassen vielmehr besorgen, dass das Amtsgericht bei der Beurteilung, ob besondere Umstände im Sinne des § 47 StGB vorgelegen haben, von einem rechtlich unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
13c)Die aufgezeigten Rechtsfehler, die sich sowohl bei der Bestimmung des Strafrahmens als auch bei der Strafzumessung im eigentlichen Sinne ausgewirkt haben können, führen zu einer Aufhebung des Rechtsfolgenausspruches und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen werden von dem Erörterungsmangel nicht berührt und können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind zulässig.