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I. Die Verfügungsklägerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gegen das am 8. Mai 2017 verkündete Urteil der 4c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
G r ü n d e :
2Der Senat ist nach Prüfung der Berufungsbegründung vom 11.07.2017 einstimmig davon überzeugt, dass dem zulässigen Rechtsmittel der Verfügungsklägerin offensichtlich keine Erfolgsaussicht beikommt. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung, weil die vom Landgericht getroffene Entscheidung sich aufgrund einer Anwendung gefestigter Rechtsprechungsregeln auf den Streitfall als gerechtfertigt erweist. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Senatsentscheidung und auch eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt hinreichend klar aus den Akten erschließt.
3Dem Unterlassungsbegehren der Verfügungsklägerin ist jedenfalls deshalb der Erfolg zu versagen, weil es an einem Verfügungsgrund fehlt.
4I.
51.
6Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes aus standardessentiellen Patenten (SEP), für die eine FRAND-Erklärung abgegeben ist, kommen keinesfalls unter leichteren Voraussetzungen in Betracht als sonstige Unterlassungsanordnungen in Patentsachen. Wie sonst auch muss sich deshalb der Benutzungstatbestand mit den beschränkten Mitteln des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 294 ZPO) hinreichend eindeutig feststellen lassen; darüber hinaus hat der Rechtsbestand des SEP ausreichend gesichert zu sein und muss die Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens in zeitlicher Hinsicht gegeben sein. Mit letzterem ist gemeint, dass sich der Antragsteller selbst in einer solchen Weise zügig um seine Angelegenheiten bemüht hat, dass er mit gutem Recht für sich reklamieren kann, sein Anliegen in einem gerichtlichen Eilverfahren behandelt zu wissen.
7SEP mit FRAND-Erklärung weisen hierbei die rechtliche Besonderheit auf, dass der Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung nur durchsetzbar ist, wenn der Patentinhaber die ihm nach der EuGH-Entscheidung „Z./H.“ (GRUR 2015, 764) obliegende Vorarbeit für das Zustandekommen eines FRAND-Lizenzvertrages über das Verfügungsschutzrecht geleistet hat. Sobald der Verletzte um die widerrechtliche Benutzung seines SEP weiß, gehört es deshalb nicht nur zu den Obliegenheiten einer zügigen Rechtsverfolgung, dass er den anspruchsbegründenden Sachverhalt im Tatsächlichen aufklärt und mit geeigneten Glaubhaftmachungsmitteln beweismäßig sichert, um alsdann zeitnah gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen; mit derselben Zielstrebigkeit sind darüber hinaus auch diejenigen Anstrengungen zu unternehmen, die mit Rücksicht auf die für das SEP abgegebene FRAND-Zusage erforderlich sind, um den aus der Rechtsverletzung folgenden Unterlassungsanspruch klagbar zu machen.
8Konkret bedeutet dies, dass im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der festgestellten Patentbenutzung eine Verletzungsanzeige zu erfolgen hat und dem Verletzer bei dessen erklärter Lizenzbereitschaft ein ausformuliertes Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten ist. Verspätete Aktivitäten bleiben allenfalls für denjenigen Zeitraum unschädlich, für den (z.B. wegen eines zunächst noch unzureichend gesicherten Rechtsbestandes) ohnehin kein Verfügungsverfahren mit Aussicht auf Erfolg betrieben werden kann. Letzteres heißt freilich nicht, dass bis zu einer streitigen Rechtsbestandsentscheidung die Bemühungen um einen FRAND-Lizenzvertrag zurückgestellt werden dürften; vielmehr sind sie – ggf. auch im Vorfeld der noch ausstehenden Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung – so zeitig in Angriff zu nehmen, dass die kartellrechtliche Sachlage in dem Moment, zu dem die dem Verletzer günstige Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung vorliegt, im Sinne einer Durchsetzbarkeit des Unterlassungsanspruchs zum Abschluss gebracht und geklärt ist. Anderweitige Verzögerungen, die darüber hinausgehen, wirken dringlichkeitsschädlich, und zwar nicht nur, wenn ein Lizenzangebot gänzlich fehlt, sondern in gleicher Weise, wenn das vorhandene Angebot rechtlich deshalb unbeachtlich ist, weil es – entgegen den FRAND-Anforderungen – sachlich unangemessen und/oder diskriminierend ist. In einem solchen Fall entlastet den Verletzten eine subjektive Fehleinschätzung in Bezug auf die (äußere und/oder inhaltliche) Zulänglichkeit seiner Offerte grundsätzlich nicht.
92.
10Typischerweise greift ein Unterlassungsgebot wegen Patentverletzung – auch und gerade ein solches, das auf ein SEP gestützt ist - massiv in den Geschäftsbetrieb des Antragsgegners ein. Im Streitfall gilt das in besonderem Maße, weil von der angestrebten Unterlassungsanordnung ein wesentlicher Teil der von der Beklagten angebotenen Telekommunikationsdienstleistungen einschließlich des Vertriebs geeigneter Hardwarekomponenten betroffen ist. Das relevante Schadenspotenzial findet seinen sichtbaren Ausdruck nicht zuletzt in der unangefochtenen Streitwertfestsetzung des Landgerichts auf 10.000.000,- €. Um das Risiko einer – wie gezeigt - folgenschweren Fehlentscheidung zu vermindern, kommt der Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung nach der Rechtsprechung grundsätzlich nur in Betracht, wenn sowohl der Bestand des Verfügungspatents als auch die Frage der Patentverletzung im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwaigen nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (Senat, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LCD-Fernseher). Je klarer beides zugunsten des Patentinhabers zu beurteilen ist, umso weniger ist es gerechtfertigt, mit Rücksicht auf irgendwelche Wettbewerbsinteressen des Antragsgegners gleichwohl von einem einstweiligen Rechtsschutz abzusehen. Bei eindeutiger Rechtsbestands- und Verletzungslage erübrigen sich deswegen in aller Regel weitere Erwägungen zur Interessenabwägung (Senat, Urteil vom 27.10.2011 – I-2 U 3/11; Urteil vom 10.11.2011 – I-2 U 41/11). Die Notwendigkeit einstweiligen Rechtsschutzes kann sich deshalb im Einzelfall auch aus der eindeutigen Rechtslage als solcher ergeben (Senat, Urteil vom 10.11.2011 – I-2 U 41/11). Je weniger eindeutig die Sach- und Rechtslage ist, umso weniger angebracht ist es – umgekehrt –, im einstweiligen Rechtsschutz Maßnahmen anzuordnen, die den Antragsgegner in seiner geschäftlichen Tätigkeit schwerwiegend oder gar existenziell treffen, und umso mehr kommt derartiges nur dann in Betracht, wenn ganz besondere Interessen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ausnahmsweise gebieten.
11Sobald das Verfügungspatent in seinem Rechtsbestand angegriffen ist, steht es dabei zur Darlegungslast des Antragstellers, der für sich den vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nimmt, das Verletzungsgericht davon zu überzeugen, dass die vorgebrachten Einwendungen unberechtigt sind und das Verfügungspatent mit Sicherheit das laufende Rechtsbestandsverfahren überstehen wird. Anders als im regulären Hauptsacheverfahren unter Geltung von § 148 ZPO geht es deswegen zu Lasten des Antragstellers, wenn sich die Erfolgsaussichten deshalb nicht abschließend klären lassen, weil die Technik des Verfügungspatents komplex und einer verlässlichen Beurteilung durch das Verletzungsgericht nicht zugänglich ist (Senat, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset). Grundsätzlich kann nur dann von einem hinreichenden Rechtsbestand ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein kontradiktorisches erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (Senat, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz). Das Erfordernis eines streitig durchgeführten Verfahrens ist kein Selbstzweck. Mit Rücksicht darauf, dass Rechtsbestandsangriffe typischerweise von Wettbewerbern des Schutzrechtsinhabers auf dem betreffenden Markt unternommen werden, die den einschlägigen Stand der Technik aufgrund ihrer eigenen Geschäfts- und Anmeldetätigkeit überblicken und darüber hinaus hinreichende Recherchemöglichkeiten besitzen und nutzen, stellt das Erfordernis einer kontradiktorischen Entscheidung sicher, dass das dem Patentinhaber günstige Einspruchs- oder Nichtigkeitserkenntnis allen in Betracht kommenden Einspruchs- bzw Nichtigkeitsgründen Rechnung trägt und vor dem Hintergrund des gesamten einschlägigen Standes der Technik (einschließlich für das Patentamt nicht ohne weiteres auffindbarer Firmenschriften und Fachveröffentlichungen) ergangen ist. Es soll also das bei einem bloß einseitigen (z.B. Prüfungs-) Verfahren bestehende Recherchedefizit ausgeglichen werden, welches sich einerseits darin äußern kann, dass bestimmte Entgegenhaltungen im Verfahren versehentlich keine Berücksichtigung finden oder bestimmte Einwendungen (z.B. mangelnde Offenbarung oder unzulässige Erweiterung) nicht unter sämtlichen in Betracht kommenden Blickwinkeln beurteilt werden. Die Beteiligung Dritter an der Aufbereitung und Würdigung des Entscheidungssachverhaltes erhöht insofern die Verlässlichkeit der getroffenen Entscheidung (Senat, Urteil vom 19.02.2016 – I-2 U 54/15). Unerheblich ist, ob der kontradiktorische Rechtsbestandsstreit zwischen den am Verfügungsverfahren beteiligten Personen geführt wurde oder zwischen Dritten (z.B. dem vormaligen Inhaber des Verfügungspatents und/oder einem anderen Wettbewerber).
12Von dem Erfordernis einer dem Antragsteller günstigen streitigen Rechtsbestandsentscheidung – nicht von der Notwendigkeit, das mit dem Verfügungsbegehren befasste Verletzungsgericht von dem Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts zu überzeugen (Senat, Urteil vom 10.12.2015 – I-2 U 35/15) – kann nur in Sonderfällen abgesehen werden, z.B. dann, wenn
13– sich der Antragsgegner oder ein sonstiger kompetenter Wettbewerber bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt hat, so dass die Patenterteilung sachlich der Entscheidung in einem zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht;
14– ein Rechtsbestandsverfahren deshalb nicht durchgeführt worden ist, weil das Verfügungspatent allgemein als schutzfähig anerkannt wird (was sich in dem Vorhandensein namhafter Lizenznehmer oder darin ausdrücken kann, dass gegen wehrhafte Wettbewerber Verletzungsurteile erstritten worden sind, ohne dass die verurteilten Beklagten einen Rechtsbestandsangriff gegen das Verfügungspatent unternommen haben);
15– sich die gegen den Rechtsbestand vorgebrachten Einwendungen schon bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung als haltlos erweisen;
16– »außergewöhnliche Umstände« gegeben sind, die es für den Antragsteller wegen der ihm aus einer Fortsetzung der Verletzungshandlungen drohenden Nachteile unzumutbar machen, den Ausgang eines Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten (Senat, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset).
17Ein solcher Sachverhalt liegt regelmäßig bei Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen vor (Senat, GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat). Während der von ihnen angerichtete Schaden im Falle einer späteren Aufrechterhaltung des Patents vielfach enorm und (mit Rücksicht auf den durch eine entsprechende Festsetzung von Festbeträgen verursachten Preisverfall) nicht wiedergutzumachen ist, hat eine (wegen späterer Vernichtung des Patents) unberechtigte Verfügung lediglich zur Folge, dass das Generikaunternehmen vorübergehend zu Unrecht vom Markt ferngehalten wird, was durch entsprechende Schadenersatzansprüche gegen den Patentinhaber vollständig ausgeglichen werden kann. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass das Generikaunternehmen für seine Marktpräsenz im Allgemeinen keine eigenen wirtschaftlichen Risiken eingeht (weil das Präparat dank des Patentinhabers medizinisch hinreichend erprobt und am Markt etabliert ist). »Außergewöhnliche Umstände« können sich weiterhin daraus ergeben, dass der Ablauf des Verfügungspatents bevorsteht, so dass eine Hauptsacheklage aus Zeitgründen nicht mehr zum Erfolg führen kann. Wenn der Verweis des Antragstellers auf eine erstinstanzliche Entscheidung im laufenden Rechtsbestandsverfahren dazu führen würde, dass vor Ende der Schutzdauer überhaupt kein Rechtsschutz gegen die behaupteten Verletzungshandlungen mehr gewährt würde, hat sich das Verletzungsgericht selbst mit dem Rechtsbestandsangriff zu befassen und die beantragte Verfügung zu erlassen, wenn es die Schutzfähigkeit des Patents (weil ein Widerrufs- oder Nichtigkeitsgrund nicht feststellbar ist) bejaht (Senat, BeckRS 2014, 04902 – Desogestrel).
18II.
19Bei Anwendung der vorstehend dargestellten, in der Senatsrechtsprechung gesicherten Regeln steht der Verfügungsklägerin das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Streitfall nicht zur Verfügung.
201.
21Eine erstinstanzliche, das Verfügungspatent bestätigende Rechtsbestandsentscheidung liegt derzeit nicht vor. Die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes, in dem das Erfordernis eines kontradiktorischen Erkenntnisses entbehrlich ist, sind gleichfalls nicht gegeben. Weder steht das Verfügungspatent kurz vor seinem Ablauf noch lässt die Tatsache zweier vereinzelter Portfoliolizenznahmen am Verfügungspatent, wie sie von der Verfügungsklägerin behauptet wird, dessen Bestand als über einen vernünftigen Zweifel erhaben erscheinen. Denn die Tatsache der Lizenznahme belegt nur, dass die Lizenznehmer das Portfolio insgesamt als lizenzenzierungswürdig beurteilt haben, aber nicht, dass für diese Einschätzung maßgeblich das Verfügungspatent verantwortlich gewesen ist. Angesichts der Komplexität der technischen Materie, die es im Nichtigkeitsverfahren zu bewältigen gilt, kann auch keine Rede davon sein, dass sich die Rechtsbestandsangriffe für das mit technischen Laien besetzte Verletzungsgericht schon bei einer bloß summarischen Prüfung als haltlos erweisen. Der Diskussionsstand der Parteien erfordert vielmehr eine ins Einzelne gehende Aufarbeitung des technischen Umfeldes, die nicht Sache der Verletzungsgerichte in einem einstweiligen Verfügungsverfahren ist.
222.
23Erleichterungen zugunsten der Verfügungsklägerin ergeben sich – anders als das Landgericht meint – nicht aus der Rechtsprechung, dass dann kein Anlass für einen durch eine streitige Entscheidung besonders gesicherten Rechtsbestand des Patents besteht, wenn das einstweilige Verfügungsverfahren vom unterlegenen Antragsgegner praktisch wie ein Hauptsacheverfahren geführt wird, indem er erst Monate nach Zustellung der vollstreckbaren Beschlussverfügung Widerspruch einlegt, so dass bis zum Verhandlungstermin über den Widerspruch geraume Zeit vergangen ist, innerhalb derer ausreichend Gelegenheit für Recherchen nach Entgegenhaltungen bestanden hat. In einem solchen Fall ist die Beschlussverfügung zwar schon dann zu bestätigen, wenn der präsentierte Stand der Technik keinen Anlass zur Aussetzung eines erstinstanzlichen Hauptsacheprozesses gegeben hätte (LG Düsseldorf, InstGE 5, 231 – Druckbogenstabilisierer, bestätigt vom OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.03.2006 – 2 U 55/05; LG Düsseldorf, InstGE 9, 110 – Dosierinhalator; LG Düsseldorf, Mitt 2014, 559 – Anforderungen an den Rechtsbestand des Verfügungspatents). Der maßgebliche Grund hierfür besteht allerdings darin, dass der von der Eilmaßnahme betroffene Antragsgegner durch sein eigenes dilatorisches Prozessverhalten zur Rechtsverteidigung unmissverständlich deutlich gemacht hat, dass er in seiner geschäftlichen Betätigung offenbar nicht sonderlich beeinträchtigt ist, weswegen sein zunächst vermutetes Schutzbedürfnis, das Anlass für die erläuterte Zurückhaltung beim Erlass vorläufiger Unterlassungsanordnungen ist, abweichend von der Regel als tatsächlich gering zu veranschlagen ist. Mit der diskutierten Konstellation eines signifikant verzögerten Widerspruchs gegen eine in Kraft befindliche Unterlassungsbeschlussverfügung ist die – im Streitfall gegebene – Situation nicht vergleichbar, dass in einem parallel geführten, ausschließlich auf Rechnungslegung und Schadenersatzfeststellung gerichteten und seit geraumer Zeit laufenden Hauptsacheverfahren Rechtsbestandsargumente ausgetauscht werden und danach eine einstweilige Unterlassungsverfügung beantragt wird. Die Sachlage ist schon deshalb nicht ähnlich, weil der Beklagte des Hauptsacheverfahrens – anders als der Adressat einer vollstreckbaren Beschlussverfügung – gerade keinem ihn unmittelbar belastenden Unterlassungsgebot ausgesetzt ist, so dass es an jeglichem Verhalten des Antragsgegners fehlt, das Rückschlüsse auf ein mangelndes Schutzbedürfnis gegenüber einer Unterlassungsanordnung zulassen könnte.
243.
25Unter den gegebenen Umständen besteht – mangels dilatorischen Verhaltens der Verfügungsbeklagten bei ihrer Rechtsverteidigung – aber nicht nur kein Anlass, die Verfügungsklägerin von einer positiven Rechtsbestandsentscheidung zum Verfügungspatent zu entbinden, was allein schon einem Erfolg des Rechtsmittels der Verfügungsklägerin entgegensteht. Im Gegenteil muss sich – umgekehrt – sogar die Verfügungsklägerin eine nachlässig zögerliche Rechtsverfolgung entgegenhalten lassen, die es ebenfalls ausschließt, ihr die Vorteile eines gerichtlichen Eilverfahrens zukommen zu lassen.
26a)
27Nachdem das Landgericht unangegriffen festgestellt hat, dass sich die Verfügungsklägerin seit November 2012 um eine Lizenznahme durch die Verfügungsbeklagte und deren Konzern bemüht, ist die Verfügungsklägerin seit vielen Jahren im Bilde über die streitgegenständlichen Verletzungshandlungen, was auch mit Rücksicht darauf plausibel ist, dass sich die Benutzung des Verfügungspatents ihrem eigenen Vorbringen zufolge aus der Einhaltung der technischen Standards ADSL2+ und VDSL2 ergibt. Seit der EuGH-Entscheidung „Z./H.“ vom 16.07.2015 besteht in der Fachwelt und folglich auch für die Verfügungsklägerin zudem grundsätzliche Klarheit darüber, welche Vorarbeit der Inhaber eines SEP mit FRAND-Erklärung zu leisten hat, um seinen patentrechtlichen Unterlassungsanspruch gerichtlich durchsetzbar zu machen. Wenn die Benutzungshandlungen der Verfügungsbeklagten für die Verfügungsklägerin so belastend gewesen sind, dass ihr deren weitere Begehung nicht mehr zumutbar ist, wie es der jetzige auf eine kurzfristige Unterbindung der betreffenden Geschäftstätigkeit der Verfügungsbeklagten gerichtete Verfügungsantrag suggeriert, so hätte es der Verfügungsklägerin oblegen, alsbald nach dem Bekanntwerden der EuGH-Entscheidung zügig diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die ihr eine diesbezügliche Rechtsverfolgung ermöglicht hätten. Schon vor Erhebung der Hauptsacheklage auf Rechnungslegung und Schadenersatz am 27.01.2016, mithin vollständig im vorgerichtlichen Raum, hätte hinreichend Gelegenheit bestanden, kurzfristig eine Verletzungsanzeige anzubringen (sofern dies überhaupt noch nötig gewesen sein sollte) und alsdann ein FRAND-Angebot auszuarbeiten und der Verfügungsbeklagten zu unterbreiten. Dass die Verfügungsbeklagte an einer Lizenzerteilung interessiert war, konnte seinerzeit nicht ernstlich zweifelhaft sein. Abgesehen davon, dass die Verfügungsklägerin selbst seit Ende 2012 Lizenzierungsbemühungen unternommen hat, was ein prinzipielles Lizenzinteresse der Verfügungsbeklagten voraussetzt, sind die in der Folgezeit von der Verfügungsklägerin initiierten Angebote vom 25.03.2016 und 13.03.2017 ganz offensichtlich vor dem Hintergrund einer auch von der Verfügungsklägerin so eingeschätzten grundsätzlichen Lizenznahmebereitschaft der Verfügungsbeklagten erfolgt. Es ist nichts dafür ersichtlich, weshalb der Verfügungsklägerin ein FRAND-Angebot, wie sie es beispielsweise im März 2016 offeriert hat, nicht schon nach dem 16.07.2015, jedenfalls vor Erhebung der Hauptsacheklage, möglich gewesen sein sollte. Die in Bezug genommenen Vergleichs-Lizenzverträge datieren vom 03.12.2015 und 14.05.2016. Das Lizenzangebot der Verfügungsklägerin vom 25.03.2016 belegt insoweit, dass ihr zur Bestimmung der FRAND-Lizenzgebühr offenbar schon der frühere der beiden Vergleichsverträge ausgereicht hat. Er hätte es der Verfügungsklägerin daher auch ermöglicht, schon vorgerichtlich entsprechend tätig zu werden. Die Erkenntnislage der Verfügungsklägerin im Hinblick auf die Ermittlung einer FRAND-Lizenzgebühr hat sich daher zwischenzeitlich nicht nennenswert verändert.
28b)
29Unter der Voraussetzung, dass die angebotenen Konditionen – wie es die rechtliche Pflicht der Verfügungsklägerin war – FRAND gewesen wären und die Verfügungsbeklagte sich auf sie zu Unrecht nicht eingelassen haben sollte, wie die Verfügungsklägerin vorliegend geltend macht, hätte der Unterlassungsanspruch schon im Hauptsacheverfahren mit geltend gemacht werden können. Eine sinnvolle Beschränkung des Klagebegehrens hätte es der Verfügungsklägerin hierbei erspart, den materiellrechtlichen Erwerb des Verfügungspatents zur Überzeugung des Gerichts im Detail nachweisen zu müssen, so dass die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs nicht wegen der Geltung des Teilurteilverbots hinausgezögert worden wäre. Dass die Verfügungsklägerin in diesem Fall Rechnungslegung und Schadenersatz ggf. nicht in vollem Umfang in dem nämlichen Klageverfahren hätte verfolgen können, steht der Zumutbarkeit eines limitierten Klagebegehrens nicht entgegen. Denn derjenige, der für sich eine schadensträchtige Unterlassungsverfügung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes reklamiert, wie sie im Streitfall im Raum steht, dem muss auch umgekehrt abverlangt werden, bei einer möglichen Rechtsverfolgung im Hauptsacheverfahren hinnehmbare Abstriche (im Hinblick auf die Durchsetzung von Rechnungslegung und Schadenersatzfeststellung für bestimmte Zeiträume) zu machen, wenn dadurch eine beschleunigte Durchsetzung des vordringlichen Unterlassungsanspruchs im Prozesswege möglich wird.
30c)
31Soweit sich die Verfügungsklägerin darauf beruft, die Verfügungsbeklagte verweigere unberechtigt den Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung, den sie – die Verfügungsklägerin - zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse im Zusammenhang mit der Rechtfertigung ihrer Lizenzangebote verlangen könne, folgt daraus ebensowenig eine Dringlichkeit wie aus dem Umstand, dass die Verfügungsbeklagte die ihr unterbreiteten Lizenzkonditionen zu Unrecht als nicht FRAND anzweifele und deswegen sogar ein Feststellungsverfahren in Irland eingeleitet habe.
32Es ist das gute Recht der Verfügungsbeklagten, Rechtsschutz für ihre Interessen in Anspruch zu nehmen, genauso wie es das - in Anspruch genommene - Recht der Verfügungsklägerin ist, derartiges zur Durchsetzung ihrer Belange zu tun.
33Zugunsten der Verfügungsklägerin mag unterstellt werden, dass ihre Lizenzangebote FRAND-Kriterien genügen und dass die Verfügungsklägerin sich bei der Herleitung der in Ansatz gebrachten Lizenzregelungen auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen berufen kann. Selbst wenn die Verfügungsbeklagte angesichts dessen unberechtigt den Abschluss einer Geheimhaltungsvereinbarung verweigert haben sollte, wäre Folge davon keinesfalls, dass die Verfügungsklägerin ihrer (somit auch gerichtlich nicht weiter verifizierbaren) Pflicht enthoben wäre, der Verfügungsbeklagten ein FRAND-Lizenzangebot zu unterbreiten und dessen sachliche Berechtigung („Art und Weise der Lizenzberechnung“) zu erläutern. Eine zu Unrecht verweigerte Vertraulichkeitszusage des Lizenzsuchers hätte allenfalls zur Konsequenz, dass der Verfügungsklägerin nähere, ihre Lizenzkonditionen rechtfertigende Erläuterungen gegenüber der Verfügungsbeklagten in dem Umfang (aber nicht darüber hinaus!) erlassen wären, wie dies zur Wahrung ihrer berechtigten Geheimhaltungsinteressen erforderlich ist. Statt detaillierter Informationen sind daher ggf. bloß andeutende Bemerkungen zu machen. Eine aus Gründen des Geheimnisschutzes lückenhafte Argumentationskette müsste die Verfügungsbeklagte demnach als ausreichende Erläuterung einer FRAND-Gemäßheit des gegnerischen Lizenzangebotes gegen sich gelten lassen. Angenommen, die Lizenzkonditionen der Verfügungsklägerin wären inhaltlich tatsächlich FRAND, so wäre deshalb die Beklagte (sofern im Übrigen von einer Patentverletzung auszugehen sein sollte, was genauso im Verfügungsverfahren wie in einem frühzeitig eingeleiteten Klageverfahren gerichtlich zu prüfen gewesen wäre) zur Unterlassung zu verurteilen, denn sie hätte weder das FRAND-Angebot der Verfügungsklägerin angenommen noch dieser unverzüglich ein FRAND-Gegenangebot unterbreitet. Die notwendige Prüfung auf FRAND-Gemäßheit wäre in gleicher Weise, wie sie sich nunmehr im einstweiligen Verfügungsverfahren stellt, in einem von vornherein auf Unterlassung gerichteten Hauptsacheverfahren durchzuführen gewesen. Hätte die Verfügungsklägerin daher im Anschluss an das EuGH-Urteil, wie es ihre zur Bejahung einer Dringlichkeit erforderliche Obliegenheit gewesen wäre, zügig ihre Rechte verfolgt, wäre sie gleichermaßen zu ihrem Recht gekommen, und zwar auf sogar noch leichtere Weise, weil sich die Frage des Rechtsbestandes lediglich im Rahmen der Aussetzungsentscheidung nach § 148 ZPO gestellt hätte.
34Angesichts dessen könnte die Verfügungsklägerin nur dann zu einer Rechtsverfolgung im einstweiligen Rechtsschutz berechtigt sein, wenn sich seit Juli 2015 die Verhältnisse, unter denen die Rechtsverfolgung stattzufinden hat, für sie dahingehend verändert hätten, dass erstmals durch sie eine aussichtsreiche Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs möglich geworden wäre. Derartiges ist nicht zu erkennen. Im Rechtsbestandsverfahren ist noch keine Entscheidung ergangen; die Verfügungsklägerin kann sich deswegen nicht auf den Grundsatz berufen, dass der Schutzrechtsinhaber vorsichtig agieren darf und kein unnötiges Prozessririko eingehen muss, weshalb ihm im Rahmen der Dringlichkeit nicht entgegen gehalten werden kann, er habe den nach Klärung des Rechtsbestandes im vorläufigen Rechtsschutzverfahren verfolgten Unterlassungsanspruch schon vorher im Hauptsacheprozess geltend machen können (vgl. nur OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.06.2017 - I-15 U 4/17). Denn die Verfügungsklägerin hat trotz Fehlens einer wenigstens erstinstanzlichen Nichtigkeitsentscheidung den Unterlassungsanspruch gerichtlich anhängig gemacht und damit zu erkennen gegeben, dass ihr das mit dem Rechtsbestandsangriff verbundene Prozessrisiko gleichgültig ist. In ihm kann deswegen kein Umstand gesehen werden, der eine späte Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes rechtfertigen kann. Auch sonst sind keine nachträglichen Umstände erkennbar, die die Rechtsposition der Verfügungsklägerin nachhaltig in dem Sinne verbessert hätten, dass bislang zweifelhafte Erfolgsaussichten für eine Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs im Hauptsacheprozess durchgreifend günstiger zu beurteilen wären.
35d)
36Der Einwand, den Unterlassungsanspruch nicht frühzeitig bereits im Hauptsacheprozess geltend gemacht zu haben, trifft die Verfügungsklägerin erst Recht, wenn sie – wie sie behauptet – mangels marktbeherrschender Stellung überhaupt keinen kartellrechtlichen Lizenzierungspflichten unterliegen würde.
37Dr. K. F. R. T.