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§§ 130a, 130d ZPO
Die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs ist kraft Gesetzes am 01.01.2022 eingetreten, so dass eine Prozesserklärung bei Nichteinhaltung der gem. § 130d S. 1 ZPO vorgeschriebenen Übermittlungsform des § 130a ZPO nicht wirksam ist.
Die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften heilt den Verstoß gegen § 130d S. 1 ZPO nur dann, wenn entsprechend § 130d S. 2 und 3 ZPO dargelegt und glaubhaft gemacht wird, dass die Einreichung auf dem Weg des § 130a ZPO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist.
3. Es stellt keine vorübergehende technische Unmöglichkeit dar, wenn dem Rechtsanwalt (nur) die Übermittlung eines qualifiziert signierten elektronischen Dokuments iSd § 130a Abs. 3 1. Alt. iVm Abs. 4 ZPO nicht möglich ist, weil er nach Entwendung der beA-Karte zunächst als Ersatz nur eine solche ohne Signierfunktion erhalten hat, so dass er zusätzlich noch das zeitaufwändige Zertifizierungsverfahren für eine qualifizierte Signatur bei der Bundesnotarkammer durchführen lassen muss.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 24.11.2021 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach (6 O 96/21) wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.300 € festgesetzt.
I.
2Die Klägerin nimmt die Beklagte im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückerstattung von in anfechtbarer Weise geleisteten Zahlungen i.H.v. insges. 11.300 € nebst Zinsen in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 24.11.2021 stattgegeben.
3Gegen die Entscheidung, welche der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 1.12.2021 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit am 31.12.2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt. Auf den im Postwege – und vorab per Telefax - eingereichten Antrag der Beklagtenvertreterin vom 25.01.2022 ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 01.03.2022 verlängert worden. Im Fristverlängerungsantrag hatte die Beklagtenvertreterin zur gewählten Übermittlung ausgeführt, dass „zwischen den Tagen“ in ihre Kanzleiräume eingebrochen, ihr Schreibtisch aufgebrochen und das Kartenlesegerät sowie die beA-Karte, die sie bereits seit 2017 besessen habe, aus ihrem verschlossenen Schreibtisch gestohlen worden sei. Dies habe sie unverzüglich gegenüber der Bundesnotarkammer angezeigt und beantragt, die Karte sperren zu lassen und ihr eine neue Karte zuzusenden. Zur Glaubhaftmachung legte sie den Sperrauftrag vom 03.01.2022 sowie eine automatisch generierte Eingangsbestätigung der Internetwache der Polizei vom 04.01.2022 vor. Ergänzend hatte sie unter dem 25.01.2022 vorgetragen, sie habe die neue Karte zwar mittlerweile erhalten, könne diese jedoch noch nicht nutzen, weil auf dieser keine Signatur hinterlegt sei. Ihr signaturrechtlicher Antrag auf ein qeS-Zertifikat werde – wie die Bundesnotarkammer ihr mit der in Kopie vorgelegten Eingangsbestätigung vom 20.01.2022 mitgeteilt habe – geprüft, sobald sie sich bei einem Notar oder der Rechtsanwaltskammer identifiziert habe. Angesichts der Vielzahl der Anträge könne dies u.U. mehrere Wochen in Anspruch nehmen.
4Mit Schriftsatz vom 22.02.2022 übermittelte die Beklagtenvertreterin eine Berufungsbegründungsschrift vom 24.02.2022 per Boten und Telefax und führte dazu ergänzend aus, dass ihr die Bundesnotarkammer auf ihre Nachfrage hin mitgeteilt habe, dass derzeit die Anträge aus Januar 2022 bearbeitet würden, so dass ihr Antrag auf Erstellung einer neuen Signatur zeitnah bearbeitet sein dürfte.
5Daraufhin ist die Beklagte mit Verfügung der Vorsitzenden vom 01.03.2022 darauf hingewiesen worden, dass innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eine den Erfordernissen des § 130d Satz 1 ZPO entsprechende Berufungsbegründung nicht bei Gericht eingereicht sei und ihr Gelegenheit gegeben worden, die Voraussetzungen des § 130d Satz 2 ZPO ergänzend glaubhaft zu machen. Dabei ist sie weiter darauf hingewiesen worden, dass die Berufung bei einer unzureichenden Glaubhaftmachung als unzulässig zu verwerfen sei.
6Mit auf dem Postweg übermittelten Schriftsatz vom 14.03.2022 hat die Beklagtenvertreterin unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens ausgeführt, es sei ihr aus technischen Gründen immer noch nicht möglich, beA zum Versenden von Schriftstücken zu verwenden. Sie habe am 20.01.2022 Kontakt zu einem Notar aufgenommen, dieser habe ihren Antrag auf Ausstellung einer neuen Signaturkarte vom 21.01.2022 am 28.01.2022 auf elektronischem Weg – per beN - bei der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer eingereicht. Mitte und Ende Februar habe sie sich telefonisch nach dem Stand der Sache erkundigt, aber nur erfahren, dass derzeit Anträge aus Dezember bzw. Januar 2022 bearbeitet würden. Nach Erhalt der Verfügung vom 1.03.2022 habe sie jeden Tag bei der Bundesnotarkammer angerufen und sich am 09.03.2022 zudem schriftlich an diese gewandt, um mit Hilfe der Übersendungsmitteilung des Notars vom 28.01.2022 darauf hinzuweisen, dass die Übermittlung fehlerfrei erfolgt sei.
7II.
8Die Berufung der Beklagten ist unzulässig und daher gem. § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO zu verwerfen.
9Die Berufung ist nicht innerhalb der mit Verfügung vom 25.01.2022 bis zum 01.03.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO in der gesetzlichen Form des § 130d S. 2 ZPO begründet worden.
101. Seit Beginn des Jahres 2022 gilt § 130d ZPO (eingefügt durch Gesetz v. 10.10.2013, BGBl. I S. 3786), wonach „vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt […] eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Insoweit ergeben sich die Einzelheiten aus § 130a ZPO. Die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs ist kraft Gesetzes am 01.01.2022 an sämtlichen deutschen Gerichten eingetreten. Rechtsgrundlage für ihre Einführung sind § 130d ZPO, § 55d VwGO, § 65d SGG, § 52d FGO und § 46g ArbGG. Die kraft Prozessordnung eingeführte aktive Nutzungspflicht ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt ab sofort für sämtliche Verfahren, d.h. auch für solche, die - wie hier - bereits vor dem 01.01.2022 anhängig gemacht wurden. Die Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam. Auf die Einhaltung kann auch der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (vgl. nur BT-Drs. 17/12634, S. 27).
11Die - nur - per Boten und Telefax eingereichte Berufungsbegründungsschrift vom 24.02.2022 genügt diesem zwingenden Formerfordernis nicht. Auch nach Hinweis der Senatsvorsitzenden vom 01.03.2022 - übersandt noch am selben Tage per Telefax - ist bis zum Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eine dem Erfordernis des § 130d S. 1 ZPO genügende Berufungsbegründung nicht übermittelt worden.
122. Die Beklagte hat trotz entsprechendem Hinweis auch nicht die nach § 130d S. 2 und S. 3 ZPO zulässige Heilung bewirkt.
13Eine Ausnahme, wonach die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ist, besteht nach § 130d S. 2 ZPO allein für den Fall, dass die Einreichung auf dem Weg des § 130a ZPO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Danach kann weiterhin auf die nach den allgemeinen Vorschriften zulässigen Einreichungsformen - Übermittlung in Papierform oder Übermittlung durch einen Telefaxdienst gemäß § 130 Nr. 6 ZPO - ausgewichen werden, solange - etwa wegen eines Serverausfalls - die elektronische Übermittlung vorübergehend aus technischen Gründen nicht möglich ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Allerdings wird durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ nach dem Willen des Gesetzgebers klargestellt, dass professionelle Einreicher - wie Rechtsanwälte - hierdurch nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (BT-Drs. 17/12634, aaO; jurisPK-ERV/Günther, Stand 01.09.2020, § 130d ZPO Rn. 7; Schultzky, MDR 2022, 201, 202; Müller, RDi 2022, 39, 40; NJW 2021, 3281, 3282; zu § 55d VwGO: BeckOK VwGO/Schmitz, 60. Ed. 1.1.2022, § 55d Rn. 6). Nicht als nur vorübergehende technische Unmöglichkeit ist es daher zu werten, wenn der Absender die Voraussetzungen für einen elektronischen Versand noch gar nicht geschaffen hat, sondern sie erst demnächst schaffen will, denn dies würde zu einer nicht mit der Gesetzesintention zu vereinbarenden, gewillkürten Herausschiebung des Verpflichtungszeitpunkts führen (BeckOK IT-Recht/Loos, 5. Ed. 1.1.2022, ZPO § 130d Rn. 6). Daher rechtfertigen strukturelle Mängel der IT-Infrastruktur des Nutzungspflichtigen oder gar Nutzungsunwille den Rückgriff auf papierene Kommunikation nicht (BeckOK ZPO/von Selle, 43. Ed. 1.1.2022, § 130d Rn. 4). Eine Nachlässigkeit in der Kanzleiorganisation sichert § 130d S. 2-3 ZPO nicht ab.
14Nach Maßgabe dessen hat die Beklagte einen Ausnahmefall iSd § 130d S. 2 ZPO nicht dargelegt und entsprechend § 130d S. 3 ZPO glaubhaft gemacht. Die Übermittlung der Berufungsbegründung vom 24.02.2022 in Papierform sowie vorab per Telefax hat die Bevollmächtigte der Beklagten nur damit begründet, dass sie nach dem Diebstahl ihrer beA-Karte zum Jahreswechsel als Ersatz nur eine beA-Karte ohne Signierfunktion erhalten habe und das Zertifizierungsverfahren für eine qualifizierte Signatur bei der Bundesnotarkammer (sog. QES-Auflade- bzw. Nachladeverfahren) derzeit noch nicht abgeschlossen sei. Damit aber macht sie nur geltend, dass ihr die Übermittlung eines qualifiziert signierten elektronischen Dokuments iSd § 130a Abs. 3 1. Alt. iVm Abs. 4 ZPO nicht möglich war, weil sie die notwendige technische Einrichtung hierfür (nach wie vor) nicht vorhält. Dieser nunmehr nahezu drei Monate andauernde Zustand stellt indessen keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung iSd § 130d S. 2 ZPO dar, zumal auch nicht dargelegt und glaubhaft gemacht ist, dass die entwendete beA-Karte, die sie bereits seit 2017 besaß, über die Signierfunktion verfügte und sie von daher im Grundsatz die insoweit notwendige technische Einrichtung vorgehalten hatte. Unabhängig davon stand ihr daneben aber auch nach § 130a Abs. 3 2. Alt. iVm Abs. 4 ZPO die Möglichkeit der einfachen elektronischen Signatur des elektronischen Dokuments offen, die der qualifizierten elektronischen Signatur gleichsteht, wenn das Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Bundesrechtsanwaltskammer den Rechtsanwälten für den Fall eines Defekts - oder auch Verlusts - der beA-Karte Sorge zu tragen, um Schriftsätze fristwahrend einreichen zu können, indem ein weiteres Zugangsmittel (Softwarezertifikat oder beA-Karte) vorgehalten oder ein Vertreter berechtigt wird (von Seltmann, BRAK-Magazin, Heft 6/2021).
153. Für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gem. §§ 233 ff. ZPO ist kein Raum. Die Beklagte hat die versäumte Prozesshandlung – eine formgerechte Berufungsbegründung – trotz Hinweises auf die Möglichkeit der Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig nicht nachgeholt, so dass die Voraussetzung des § 236 Abs. 2 S. 2 ZPO für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen schon nicht vorliegt. Damit kommt es nicht weiter darauf an, dass auch weder dargelegt noch ersichtlich ist, dass die Bevollmächtigte der Beklagten, deren Verschulden sich die Beklagte gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, kein Verschulden an der nicht § 130d ZPO entsprechenden Übermittlung und damit der nicht ordnungsgemäßen Form der Berufungsbegründung trifft oder ein etwaiges Verschulden nicht ursächlich für die Versäumung war (vgl. dazu Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2020, 897, 902).
16III.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Eines Ausspruchs der Vollstreckbarkeit bedarf es nicht; der Verwerfungsbeschluss ist nach § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vollstreckbar (Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 522 Rn. 28).