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Zur Strafrestaussetzung zur Bewährung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft wird abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.
G r ü n d e
2I.
3Das Landgericht Kleve – Schwurgericht – verhängte gegen den Verurteilten am 6. Mai 2010 wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Das Urteil ist seit dem 15. Oktober 2010 rechtskräftig. Der Verurteilte verbüßt die Strafe seit dem 1. Februar 2011 in der JVA Bielefeld-Senne. Unter Berücksichtigung anzurechnender Untersuchungshaft ist die Hälfte der Freiheitsstrafe seit dem 27. März 2012 verbüßt, zwei Drittel der Strafe werden am 26. September 2012 verbüßt sein, das Strafende ist auf den 27. September 2013 notiert.
4Mit dem angefochtenen Beschluss vom 17. April 2012 setzte die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung aus. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.
5II.
6Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, deren Gründe im Wesentlichen aus der wörtlichen Wiedergabe
7eines Führungsberichtes der Justizvollzugsanstalt (sogar einschließlich des abschließenden Namenszuges des Berichtsverfassers sowie des Beglaubigungsvermerkes der Geschäftsstelle der JVA) bestehen, hat Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe liegen nicht vor. Es fehlt jedenfalls an besonderen Umständen im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB.
81. Eine Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zwei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bereits nach Verbüßung der Hälfte kommt nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nur in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen. Neben einer positiven Sozialprognose müssen für den Verurteilten sprechende Umstände vorliegen, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen ein besonderes
9Gewicht aufweisen und eine Strafrestaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (OLG Köln, NStZ 2008, 641; OLG München, NStZ 1987, 74).
102. Gemessen an diesen Maßstäben, liegen in der vorliegenden Sache keine besonderen Umstände vor, die eine Strafrestaussetzung schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe rechtfertigen können.
11Die von dem Verurteilten begangene Tat weist einen erheblichen Unrechts- und Schuldgehalt auf. Nach den Feststellungen des Landgerichts Kleve verschaffte sich der Verurteilte zusammen mit einem Mittäter mittels eines Schlüssels, den die beiden zu diesem Zwecke von der Ehefrau des Opfers erhalten hatten, in der Nacht vom 31. Dezember 2009 auf den 1. Januar 2010 Zutritt zu der Wohnung des Geschädigten. Mit einem 51 cm langen Axtstiel mit einem Durchmesser von 4-5 cm, den der Verurteilte zuvor aus dem Schlafzimmer seiner eigenen Wohnung geholt hatte, führte der Mittäter des Verurteilten im Einverständnis mit diesem mit großer Wucht zumindest drei Schläge gegen den Kopf des Geschädigten aus. Der Geschädigte erlitt hierdurch u.a. ein offenes Schädel-Hirn-Trauma, welches quer über den Hinterkopf verlief und mit Lufteinschlüssen innerhalb der Hirnkapsel sowie einem subduralen Hämatom verbunden war, sowie eine Gehirnerschütterung und musste auf der Intensivstation eines Krankenhauses behandelt werden. Nach den Vorstellungen des Verurteilten und seines Mittäters – beide waren zum Tatzeitpunkt alkoholisiert – sollte es sich bei der Tat um einen „Denkzettel“ handeln, weil es auf einer Feier am vorangegangenen Silvesterabend zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und dem Mittäter des Verurteilten gekommen war und der Geschädigte später seiner Ehefrau eine Ohrfeige versetzt hatte.
12Die im Rahmen der nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzustellenden Abwägung für den Verurteilten sprechenden Gesichtspunkte sind weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit geeignet, diesen erheblichen Unrechts- und Schuldgehalt aufzuwiegen. Dies gilt zunächst für das von dem Verurteilten im Erkenntnisverfahren frühzeitig abgelegte Geständnis, seine Mithilfe beim Auffinden der Tatwaffe, den Umstand, dass er die Tat unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol begangen hat, sowie seine besondere Haftempfindlichkeit aufgrund seiner schwerbehinderten Tochter. Dass diese Gesichtspunkte bereits Eingang in die Strafzumessung im Urteil des Landgerichts Kleve gefunden haben, steht ihrer Berücksichtigung bei der Abwägung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zwar grundsätzlich nicht entgegen (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1997, 323); eine besondere Bedeutung kommt ihnen indes hier nicht mehr zu, da sie bereits maßgeblich zu der angesichts der Tatschwere noch als vergleichsweise milde anzusehenden Bestrafung geführt haben. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Verurteilte zu seiner Tochter nur noch einen eingeschränkten Kontakt hat, da seine Ehefrau die Scheidung der Ehe beantragt hat und mit der gemeinsamen Tochter nach M verzogen ist. Keinen besonderen Umstand stellt schließlich auch sein von der Strafvollstreckungskammer zu seinen Gunsten angeführtes beanstandungsfreies Vollzugsverhalten dar. Zum einen entspricht sein Verhalten lediglich den „Normalansprüchen“ des Strafvollzuges. Zum anderen ist es auch nicht Ausdruck einer besonderen Persönlichkeitsnachreifung des Verurteilten im Vollzug, da er vor seiner Inhaftierung in geordneten und sozial angepassten Verhältnissen lebte und eine Einordnung in die Strukturen des Strafvollzuges, zumal unter Berücksichtigung der ihm in der Justizvollzugsanstalt gewährten Lockerungen, für ihn daher einfacher war als für Strafgefangene mit einem problematischeren sozialen Hintergrund.
13III.
14Die Kostenentscheidung erfolgt in entsprechender Anwendung des § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.
15IV.
16Für die weitere Strafvollstreckung weist der Senat aus gegebenem Anlass auf Folgendes hin:
17Sofern die Strafvollstreckungskammer erwägt, die Vollstreckung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zur Bewährung auszusetzen, wird sie nach § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten einzuholen haben. Von der Einholung eines Gutachtens kann nach der genannten Vorschrift nur abgesehen werden, wenn auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen. Dies dürfte hier – auch unter Berücksichtigung des Fehlens einschlägiger strafrechtlicher Vorbelastungen – insbesondere angesichts der Schwere der von dem Verurteilten begangenen Tat sowie angesichts des Umstandes, dass er sich aus
18einem nichtigen Anlass an der Tat beteiligt hat, nicht der Fall sein. Für eine mangelnde innere Distanz des Verurteilten gegenüber gewalttätigen Handlungsweisen kann auch der Umstand sprechen, dass er zur Tatzeit offenbar einen als Schlagwerkzeug geeigneten Axtstiel in seinem Schlafzimmer aufbewahrte, den er dann zur Tatausführung mitbrachte.