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Die Berufung des Beklagten gegen das am 20.05.2014 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist, ebenso wie das angefochtene Urteil des Landgerichts, vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung aus diesem Urteil gegen Sicherheitsleistung von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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3Gründe:
4I.
5Die Rechtsvorgängerinnen der Klägerin (nachfolgend einheitlich „Klägerin“ genannt) belieferten den Beklagten an dessen Privatanschrift mit Strom und Gas. Hierfür beansprucht die Klägerin im vorliegenden Verfahren eine Kaufpreiszahlung.
6Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat insbesondere die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten, die Höhe der von der Klägerin abgerechneten Preise beanstandet, die Verjährungseinrede erhoben und die Aufrechnung mit angeblichen eigenen Gegenforderungen erklärt. Außerdem hat der Beklagte hilfsweise mit angeblich an ihn abgetretenen, vermeintlichen Rückerstattungsansprüchen eines anderen früheren Kunden der Klägerin (Herr Pircher) aufgerechnet. Die zuletzt genannten Ansprüche hat der Beklagte außerdem mit einer Hilfswiderklage geltend gemacht. Hinsichtlich weiterer Anträge der Klägerin betreffend die Absperrung von Strom und Gas haben die Parteien den Rechtsstreit in der I. Instanz übereinstimmend für erledigt erklärt.
7Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben, die Widerklage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits insgesamt dem Beklagten auferlegt. Wegen des genauen Tenors, der Feststellungen des Landgerichts, seiner Entscheidungsgründe und der in der ersten Instanz gestellten Anträge wird auf das am 20.05.2014 verkündete Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
8Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sich weiterhin gegen die Klageforderung wendet und die Hilfswiderklage weiterverfolgt.
9Der Beklagte beantragt,
101. unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bielefeld zurückzuverweisen,
2. im Falle einer Sachentscheidung des Berufungsgerichts, das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,
3. hilfsweise widerklagend,
die Klägerin zu verurteilen, an ihn 7.786,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Hilfswiderklage zu zahlen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.
18Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
19II.
20Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
21A) Hauptforderung der Klägerin
22Der Klägerin steht die vom Landgericht ausgeurteilte Kaufpreisforderung in Höhe von 26.686,39 € brutto für die Lieferung von Gas und Strom aus § 433 II BGB zu.
23Soweit das Landgericht die Aktivlegitimation der Klägerin festgestellt hat, gibt es keinen Berufungsangriff.
24Die Höhe des jeweils abgerechneten Verbrauchs ist ebenfalls unstreitig.
25Auf die streitgegenständlichen Rechnungen der Klägerin, die der Klageforderung zugrunde liegen, hat der Beklagte unstreitig keine Zahlungen geleistet.
26Streitig ist in der II. Instanz im Wesentlichen noch, welche Preise die Klägerin abrechnen durfte.
27I. Kaufpreisanspruch für Gaslieferungen
28Streitgegenständlich ist insoweit der Abrechnungszeitraum vom 07.06.08 – 31.07.13.
29Hierüber verhalten sich die Jahresrechnungen der Klägerin vom 07.07.09 (Bl. 50 d.A.), 01.07.10 (Bl. 55 d.A.), 05.07.11 (Bl. 60 d.A.), 04.07.12 (Bl. 65 d.A.) und die Schlussrechnung vom 20.08.13 (Bl. 523 ff. d.A.). In diesen Rechnungen hat die Klägerin den Tarif „S Erdgas klassik“ bzw. „S Klassik Erdgas“ abgerechnet. Hierbei handelte es sich um einen Grundversorgungstarif, was sich aus dem Preisblatt per 01.11.07 (Bl. 43 d.A.) und aus den Preisblättern für die nachfolgenden Zeiträume (Anlagenkonvolut K 20) ergibt.
30Dabei legt die Klägerin der Klageforderung aber nicht die vollen Rechnungsbeträge zugrunde, sondern sie rechnet im Prozess auf der Grundlage des geringeren Preises ab, der am 01.12.2007 galt, weil dies nach Auffassung der Klägerin der vertraglich vereinbarte Ausgangspreis war.
31Dem ist das Landgericht gefolgt. Das Landgericht hat angenommen, dass zwischen den Parteien zuvor ein Tarifkundenvertrag bestanden habe, dass die Klägerin diesen Vertrag gem. § 32 I AVBGasV zum 30.11.2007 wirksam gekündigt habe und dass im Anschluss ab dem 01.12.2007 ein Grundversorgungsvertrag zustande gekommen sei, so dass die Klägerin jedenfalls den Anfangspreis per 01.12.2007 abrechnen dürfe.
32Die mit der Berufung hiergegen erhobenen Beanstandungen greifen im Ergebnis nicht durch.
33Die Berufung macht geltend, dass von Anfang an ein Sonderkundenvertrag bestanden habe, den die Klägerin nicht wirksam gekündigt habe. Da er – der Beklagte – zu dem Sondervertrag keine AGB erhalten habe, habe der Klägerin auch kein Preisanpassungsrecht zugestanden.
341) Der Einwand des Beklagten, dass der Vertrag, der im Zeitpunkt der von der Klägerin behaupteten Kündigung bestand, ein Sonderkundenvertrag gewesen sei, ist rechtlich unerheblich. Denn auch bei einem Sonderkundenvertrag ohne einbezogene AGB hätte der Klägerin das Recht zur ordentlichen Kündigung zugestanden.
35Unbefristete Dauerschuldverhältnisse sind auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung ordentlich kündbar, wenn – wie hier – das ordentliche Kündigungsrecht nicht vertraglich ausgeschlossen worden ist, wobei im Hinblick auf die langjährige Vertragsdauer (Versorgungsbeginn = 16.06.00) im vorliegenden Fall in entsprechender Anwendung des § 624 S. 2 BGB die Kündigungsfrist 6 Monate betragen hätte (vgl. OLG München NJW-RR 1996, 561; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 314, Rn. 13). Diese Frist wäre für den Beklagten auch ausreichend gewesen, um seine Gasversorgung anderweitig sicherzustellen bzw. sich alternativ auf eine weitere Versorgung im Rahmen der Grundversorgung einzustellen.
36Die Klägerin hat mit Schreiben vom 02.10.07 (Bl. 41 d.A.), das dem Beklagten am 11.10.07 zugegangen ist (dazu noch unten), den bestehenden Versorgungsvertrag zum 30.11.07, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin gekündigt. Wenn es sich bei dem bestehenden Vertrag – wie die Berufung geltend macht – um einen Sonderkundenvertrag gehandelt hätte, so wäre dieser durch die Kündigung zum 11.04.2008 (= 6 Monate ab Zugang der Kündigung) beendet worden. Auch in diesem Fall wäre der bisherige Versorgungsvertrag also jedenfalls vor dem streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum (= 07.06.08 – 31.07.13) beendet gewesen.
37Für den sich anschließenden Grundversorgungsvertrag (dazu noch unten) hätte dann per 12.04.08 ein vertraglicher Ausgangspreis von 5,52 Ct./kWh netto gegolten (vgl. das Preisblatt Stand 01.04.08 im Anlagenkonvolut K 20). Dies wäre höher gewesen als der von der Klägerin verlangte und vom Landgericht zugesprochene Preis von 5,02 Ct./kWh netto entsprechend dem Preisblatt Stand 01.11.07 (Bl. 43 d.A.). Insoweit ist der Beklagte also nicht beschwert.
382) Vergeblich wendet sich die Berufung auch gegen die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, dass dem Beklagten ein Kündigungsschreiben vom 02.10.07 mit dem Inhalt des von der Klägerin vorgelegten Musterkündigungsschreibens (Bl. 41 d.A.) am 11.10.07 zugegangen ist und dass dieses Schreiben von einem Bevollmächtigten der Klägerin unterschrieben war. Gegen diese Feststellungen bestehen keine konkreten Zweifel i.S.v. § 529 I Nr. 1 ZPO, so dass sie für den Senat bindend sind.
39Das Landgericht konnte sich auf die detaillierte, nachvollziehbare und glaubhafte Aussage des Zeugen T und auf den Ausdruck aus der Datenbank der Deutschen Post AG (Anlage K 25) stützen.
40Der von dem Beklagten mit der Berufungsbegründung gehaltene Vortrag, wie „üblicherweise“ die Zustellung eines Einwurfeinschreibens dokumentiert wird, ist nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen T zu begründen. Es handelt sich insoweit um neuen streitigen Vortrag in der II. Instanz, der mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 531 II ZPO bereits prozessual unbeachtlich ist. Die Vorlage einer „aktuellen“ Postbroschüre mit der Berufungsbegründung vom 26.08.14 ist kein Beleg für die Verfahrensweise Ende 2007. Abgesehen davon kommt es nicht darauf an, wie die Post „üblicherweise“ verfährt. Denn im vorliegenden Fall ging es um die Massenzustellung von rund 138.000 Schreiben, wofür die Klägerin laut der nachvollziehbaren Aussage des T mit der Deutschen Post AG eine Sonderabsprache getroffen hat.
41Dass dem Beklagten das Schreiben vom 02.10.07 am 11.10.07 zugestellt worden ist, ist durch die Anlage K 25 ausreichend dokumentiert. Die Zustellung ist auch durch den Zeugen T bestätigt worden (Bl. 584 unten d.A.). Soweit der Beklagte in der Berufungsbegründung erstmals bestreitet, dass die in der Anlage K 25 angegebenen Daten von der Deutschen Post AG stammen, ist dies als neues streitiges Vorbringen gem. § 531 II ZPO unbeachtlich. Abgesehen davon hat der Zeuge T bestätigt, dass die Deutsche Post AG die im Rahmen der Zustellungen gesammelten Daten an die Klägerin weitergeleitet hat (Bl. 584 Mitte d.A.) und dass sich daraus auch die erfolgte Zustellung an den Beklagten ergibt (Bl. 584 unten d.A.). Dass es sich bei der Anlage K 25 nicht um eine öffentliche Urkunde handelt, ändert nichts daran, dass sie vom Landgericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) mitberücksichtigt werden durfte.
42Soweit der Beklagte bestreitet, dass das an ihn gerichtete Kündigungsschreiben inhaltlich dem Musterkündigungsschreiben vom 02.10.07 (Bl. 41 d.A.) entsprochen habe, ist – auch im Hinblick auf die Aussage des Zeugen T – für eine solche Abweichung nichts ersichtlich, zumal der Beklagte das ihm zugegangene (s.o.) Schreiben nicht vorgelegt hat.
43Ebenfalls unerheblich sind der Einwand der Berufung, dass die Klägerin nicht dargelegt und bewiesen habe, wen sie (konkret) zur Kündigung bevollmächtigt habe, und die spekulativen Ausführungen zum Aussehen der Unterschrift. Denn aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen T ist davon auszugehen, dass alle Kündigungsschreiben von dazu bevollmächtigten Personen unterschrieben waren. Auf die Lesbarkeit der Namensunterschrift kommt es nicht an (Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 126, Rn. 10). Wenn es sich bei dem gekündigten Vertrag – wie der Beklagte meint – um einen Sondervertrag ohne einbezogene AGB gehandelt hätte, hätte die Kündigung ohnehin formfrei erfolgen können, weil dann § 32 VII AVBGasV nicht einschlägig gewesen wäre.
44Die von dem Beklagten zum Schluss des landgerichtlichen Termins vom 04.03.14, also erst 6 ½ Jahre nach Zugang des mit dem Zusatz „i.V.“ unterzeichneten Kündigungsschreibens, hilfsweise erhobene Vollmachtsrüge (Bl. 589 unten d.A.) war nicht unverzüglich i.S.d. § 174 S. 1 BGB. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass sich die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte im Termin vom 04.03.14 die für sie günstige Aussage des von ihr benannten Zeugen T zu eigen gemacht hat und spätestens hierdurch den Beklagten von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat, so dass gem. § 174 S. 2 BGB eine Vollmachtsrüge des Beklagten ausgeschlossen war.
453) Die Klägerin hatte den Beklagten in dem Kündigungsschreiben vom 02.10.07 darauf hingewiesen, dass – wenn der Beklagte nichts unternehme – die weitere Gaslieferung nahtlos zu den Bedingungen der Grundversorgung erfolge (Bl. 42 oben d.A.). Dadurch dass der Beklagte nach der Beendigung des bisherigen Versorgungsvertrags weiterhin Gas bezogen hat, hat er das Angebot der Klägerin konkludent angenommen (vgl. BGH NJW 2014, 3150, zitiert nach juris, Rn. 12; BGH NJW 2016, 3713, zitiert nach juris, Rn. 20 – 22). Somit ist jedenfalls noch vor dem hier streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum (07.06.08 – 31.07.13) ein Grundversorgungsvertrag zustande gekommen.
46Der zu Beginn dieses neuen Vertrags geltende Preis ist damit zum vereinbarten Ausgangspreis geworden, der keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt (vgl. BGH NJW 2016, 3713, zitiert nach juris, Rn. 30). Auf ein Preiserhöhungsrecht der Klägerin kommt es nicht an.
47Die Klägerin konnte deshalb zumindest den Preis von 5,02 Ct./kWh netto entsprechend dem Preisblatt Stand 01.11.07 (Bl. 43 d.A.) abrechnen.
484) Das Landgericht hat danach die Kaufpreisforderung für die Gaslieferung im streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum rechnerisch zutreffend mit 19.031,62 € brutto berechnet.
495) Gegen diese aus dem Gas-Grundversorgungsverhältnis resultierende Forderung der Klägerin kann der Beklagte gem. § 17 III GasGVV nicht mit Gegenforderungen, die weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt sind, aufrechnen. Dies gilt sowohl für angebliche Gegenforderungen aus eigenem Recht als auch für angebliche Gegenforderungen aus abgetretenem Recht des Herrn Pircher.
50II. Kaufpreisanspruch für Stromlieferungen
51Streitgegenständlich ist insoweit der Abrechnungszeitraum vom 07.06.08 – 25.07.13.
52Hierüber verhalten sich die Jahresrechnungen der Klägerin vom 05.07.09 (Bl. 67 d.A.), 01.07.10 (Bl. 72 d.A.), 05.07.11 (Bl. 77 d.A.), 04.07.12 (Bl. 82 d.A.) und die Schlussrechnung vom 06.08.13 (Bl. 528 ff. d.A.).
53Dabei legt die Klägerin der Klageforderung aber nicht die vollen Rechnungsbeträge zugrunde, sondern sie rechnet im Prozess auf der Grundlage des geringeren Preises per 01.01.04 ab, weil der Beklagte der betreffenden Preiserhöhung nicht rechtzeitig widersprochen habe.
54Unstreitig ist, dass die Stromlieferung auf der Grundlage eines Sondervertragsverhältnisses erfolgte.
55Der Beklagte hat mit Schreiben vom 30.08.07 (Bl. 136 d.A.) einen Preiswiderspruch erhoben. Bis dahin hatte er die Rechnungen der Klägerin seit Beginn des Vertragsverhältnisses (= 02.01.00, vgl. Anlage B 26) vorbehaltlos bezahlt.
561) Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Klägerin den Preis per 01.01.04 abrechnen darf.
57Dieser Preis war bereits in der Jahresabrechnung vom 07.07.04 (Bl. 47 ff. d.A.) ausgewiesen. Abgerechnet wurde dort der Tarif „S private maxi“. In den AGB zu diesem Vertragstyp war in Ziffer 7. ein Preisanpassungsrecht der Klägerin vorgesehen (vgl. Anlage K 29). Dasselbe galt für den Nachfolgertarif „S Strom maxi“ (vgl. Ziffer 6.6 der betreffenden AGB, Anlage K 28) und für den Ursprungstarif „f Familien Mensch“ (vgl. den 3. Absatz der betreffenden AGB, Anlage K 47).
58Es ist davon auszugehen, dass die Jahresabrechnung vom 07.07.04 dem Beklagten bei gewöhnlichem Postlauf am 09.07.04 – jedenfalls aber deutlich vor dem 30.08.04 - zugegangen ist. Dieser Preis ist maßgeblich, weil der Beklagte ihm nicht innerhalb von 3 Jahren widersprochen hat.
59Nach gefestigter BGH-Rechtsprechung kann sowohl im Grundversorgungsverhältnis als auch im Sondervertragsverhältnis ein Kunde nicht mehr die vermeintliche Unwirksamkeit einer Preiserhöhung geltend machen, wenn er die Preiserhöhung nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat; der danach maßgebliche Preis tritt endgültig an die Stelle des Anfangspreises und ist dementsprechend rechtlich wie ein zwischen den Parteien vereinbarter Preis zu behandeln, der nicht der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 05.10.16, VIII ZR 241/15, zitiert nach juris, Rn. 12, 13, 31).
60Der Beklagte macht insoweit geltend, dass er keine AGB erhalten habe, so dass eine Preisanpassungsklausel – anders als im Falle einer vertraglich vereinbarten, aber unwirksamen Preisanpassungsklausel – von vornherein nicht in den Vertrag einbezogen worden sei; deshalb sei keine Lücke im ursprünglichen Regelungsplan der Parteien eingetreten, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden müsse. Der BGH hat aber inzwischen klargestellt, dass es grundsätzlich unmaßgeblich ist, auf welchen Gründen die Unvollständigkeit des Energielieferungsvertrags beruht, und dass die 3-Jahresfrist-Rechtsprechung insbesondere auch in solchen Fällen Anwendung findet, in denen ein vertragstypisches formularmäßiges Preisanpassungsrecht mangels Einhaltung der Voraussetzungen des § 305 II BGB nicht in den Vertrag einbezogen worden ist (BGH, Urteil vom 03.12.14, VIII ZR 370/13, Anlage BB 2 zur Berufungserwiderung; BGH, Urteil vom 05.10.16, VIII ZR 241/15, zitiert nach juris, Rn. 13). Denn es besteht bei langfristigen Vertragsverhältnissen generell ein anerkennenswertes Bedürfnis der Parteien, das bei Vertragsschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu behalten, und diesem Bedürfnis liefe es zuwider, wenn bei einem Energieliefervertrag mit langer Laufzeit die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen rückwirkend ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden könnte (BGH, Urteil vom 03.12.14, VIII ZR 370/13, Anlage BB 2 zur Berufungserwiderung).
612) Die Höhe der Kaufpreisforderung für die Stromlieferung im streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum hat das Landgericht auf der Grundlage des Preises Stand 01.01.04 rechnerisch zutreffend mit 8.658,63 € brutto berechnet.
623) Gegen diese Kaufpreisforderung hat der Beklagte erstinstanzlich die Aufrechnung erklärt, und zwar mit einem vermeintlichen bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsanspruch wegen Überzahlung der Stromrechnungen vom 05.07.06 (Bl. 227 f. d.A.) und 05.07.07 (Bl. 229 f. d.A.) (vgl. Bl. 204 ff. d.A.). Das Landgericht hat die Aufrechnung in Höhe von 1.003,86 € durchgreifen lassen. Hiergegen gibt es keinen Berufungsangriff und auch keine Anschlussberufung der Klägerin, so dass es beim Abzug von 1.003,86 € bleibt.
634) Somit verbleibt eine Kaufpreisforderung der Klägerin für Stromlieferung in Höhe von 7.654,77 € brutto (= 8.658,63 € - 1.003,86 €).
64III. Somit errechnet sich eine Gesamtkaufpreisforderung der Klägerin in Höhe von 26.686,39 € brutto (= 19.031,62 € + 7.654,77 €).
65IV. Die von dem Beklagten erstinstanzlich erhobene Verjährungseinrede hat das Landgericht für nicht durchgreifend erachtet. Hiergegen gibt es keinen Berufungsangriff und hiergegen ist auch nichts zu erinnern. Insbesondere ist es zutreffend, dass zur Individualisierung des mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruchs auch auf dem Antragsgegner bereits vorliegende Schriftstücke Bezug genommen werden kann (BGH NJW 2011, 613, zitiert nach juris, Rn. 11).
66V. Die vom Beklagten bereits erstinstanzlich erklärte Hilfsaufrechnung mit angeblichen bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsansprüchen aus abgetretenem Recht des Herrn Q greift im Ergebnis nicht durch.
67Da diese angeblichen Gegenforderungen streitig und nicht rechtskräftig festgestellt sind, ist eine Aufrechnung gegen die Kaufpreisforderung der Klägerin für die Gaslieferungen aus dem Gas-Grundversorgungsvertrag gem. § 17 III GasGVV von vornherein ausgeschlossen. Die Hilfsaufrechnung könnte daher allenfalls gegenüber der Kaufpreisforderung der Klägerin für die Stromlieferung aus dem Sonderkundenvertragsverhältnis greifen.
68Zum Nachweis der erfolgten Abtretung hat der Beklagte eine schriftliche Abtretungsbestätigung vom 27.02.14 in Kopie vorgelegt (Bl. 579 f. d.A.), in der eine im Januar 2013 erfolgte Abtretung bestätigt wird. Anhaltspunkte für eine Fälschung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
69Der Schriftsatz des Beklagten vom 09.07.13 (Bl. 187 ff. d.A.), den die Klägerseite am selben Tag im landgerichtlichen Termin überreicht bekam (vgl. Bl. 183 d.A.) und in dem der Beklagte die Hilfsaufrechnung erklärt hat (Bl. 209 ff. d.A.), kann zugleich als Preiswiderspruch gewertet werden bezüglich der an Herrn Q gerichteten Rechnungen, die von dem Beklagten als zu hoch beanstandet wurden. Frühere Preiswidersprüche des Herrn Pircher hat es nicht gegeben.
701) Gaslieferung an Herrn Q
71Insoweit macht der Beklagte einen vermeintlichen bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsanspruch wegen Überzahlung der Jahresrechnung vom 04.07.10 (Bl. 232 f. d.A.) und der Schlussrechnung vom 10.01.11 (Bl. 234 f. d.A.) geltend, weil die Klägerin einen zu hohen Preis abgerechnet habe.
72Das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und Herrn Q bestand seit dem 01.07.01 (vgl. Bl. 231 d.A.). Seit dem 01.11.07 bestand der Sondervertrag „S Erdgas SHV“. Dieser Tarif ist auch in den vorgenannten streitgegenständlichen Rechnungen abgerechnet worden.
73Der Sondervertrag „S Erdgas SHV“ sah unter Ziffer 4. des Vertragsformulars ein Preisanpassungsrecht der Klägerin vor (vgl. Anlage K 49). Diese Klausel verwies jedoch auf den europarechtswidrigen § 5 II GasGVV a.F. und war daher gem. § 307 I BGB unwirksam (vgl. BGH NJW 2017, 325, zitiert nach juris, Rn. 13, 17).
74Wie bereits oben dargelegt, kann aber ein Kunde nicht mehr die vermeintliche Unwirksamkeit einer Preiserhöhung geltend machen, wenn er die Preiserhöhung nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat; der danach maßgebliche Preis tritt endgültig an die Stelle des Anfangspreises und ist dementsprechend rechtlich wie ein zwischen den Parteien vereinbarter Preis zu behandeln, der nicht der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 05.10.16, VIII ZR 241/15, zitiert nach juris, Rn. 12, 13, 31).
75Auch wenn man davon ausgeht, dass der Preiswiderspruch vom 09.07.13 zeitlich die streitgegenständlichen Rechnungen vom 04.07.10 und 10.01.11 erfasste, so erfasste er aber jedenfalls nicht mehr die Jahresrechnung vom 05.07.09 (Anlage BB 3 zur Berufungserwiderung). Es ist davon auszugehen, dass diese bezahlte Jahresrechnung Herrn Q bei normalem Postlauf am 08.07.09 – jedenfalls aber deutlich vor dem 09.07.10 – zugegangen ist.
76Die Jahresrechnung vom 05.07.09 wies einen Grundpreis von 300 € netto pro Jahr und einen Verbrauchspreis von zuletzt 5,36 Ct./kWh netto aus. Mangels rechtzeitigen Widerspruchs sind diese Preise verbindlich geworden.
77Danach hat es bis zum Vertragsende keine Preiserhöhung zu Lasten des Herrn Q gegeben. Der Grundpreis ist in den streitgegenständlichen Rechnungen vom 04.07.10 und 10.01.11 konstant geblieben und der Verbrauchspreis ist ab dem 01.07.09 auf 4,61 Ct./kWh netto gesenkt worden (vgl. Bl. 233, 235 d.A.).
78Der Preiswiderspruch vom 09.07.13 ging deshalb ins Leere. Herr Q hat daher keine Zuvielzahlung auf die streitgegenständlichen Rechnungen vom 04.07.10 und 10.01.11 geleistet. Dementsprechend bestand insoweit auch kein bereicherungsrechtlicher Rückerstattungsanspruch, den Herr Q an den Beklagten hätte abtreten können.
792) Stromlieferung an Herrn Q
80Insoweit macht der Beklagte einen vermeintlichen bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsanspruch wegen Überzahlung der Jahresrechnung vom 04.07.10 (Bl. 237 f. d.A.) und der Schlussrechnung vom 10.01.11 (Anlage K 52) geltend, weil die Klägerin einen zu hohen Preis abgerechnet habe.
81Das Stromlieferverhältnis zwischen der Klägerin und Herrn Q bestand ab dem 01.07.01 (vgl. Bl. 236 d.A.). Es hat sich – soweit aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich - wie folgt entwickelt:
82- Ursprünglich galt der Tarif „F Mein-eigener-Chef“ (vgl. Bl. 236 d.A.), der in dem dazugehörigen Preisblatt (Anlage K 50a) als „Allgemeiner Tarif“ bezeichnet worden ist.
83- Ausweislich der Rechnungen vom 23.05.06 (Anlage K 51) und 05.07.06 (ebenfalls Anlage K 51) ist sodann der Tarif „c classic gemäß § 10 EnWG nach Allgemeinem Tarif“ abgerechnet worden, bei dem es sich der Bezeichnung nach eindeutig um einen Allgemeinen Tarif handelte.
84- Zuletzt ist in der Jahresrechnung vom 05.07.09 (Anlage BB 4 zur Berufungserwiderung) und in den beiden streitgegenständlichen Rechnungen vom 04.07.10 (Bl. 237 f. d.A.) und 10.01.11 (Anlage K 52) der Tarif „S Strom business maxi mit Schwachlastregelung“ abgerechnet worden.
85Die Klägerin hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, dass der Tarif „S Strom business maxi mit Schwachlastregelung“ in Sonderverträgen zur Abrechnung gekommen sei; warum dieser Tarif im vorliegenden Fall abgerechnet worden sei, lasse sich nicht mehr aufklären (Bl. 858 unten d.A.).
86Insoweit vertritt die Klägerin die Auffassung, dass sich durch die Abrechnung dieses Sondertarifs nichts an der Einordnung des Vertrags als Grundversorgungsvertrag geändert habe. Letzteres ist nicht nachvollziehbar, zumal Herr Q, der eine Gaststätte betrieb, kein Haushaltskunde i.S.v. § 3 Nr. 22 EnWG i.V.m. § 1 I StromGVV war, sondern ein gewerblicher Abnehmer, für den die Jahresrechnungen vom 05.07.09 und 04.07.10 einen Jahresverbrauch von mehr als 10.000 kWh ausweisen. Somit ist davon auszugehen, dass zuletzt und auch im streitgegenständlichen Zeitraum ein Sonderkundenvertrag mit dem Tarif „S Strom business maxi mit Schwachlastregelung“ bestand.
87Die Klägerin hat insoweit eingeräumt, dass es keine „AGB-rechtlich wirksame Vereinbarung einer Preisänderungsklausel“ gab.
88Wie bereits oben dargelegt, ist es aber grundsätzlich unmaßgeblich, auf welchen Gründen die Unvollständigkeit des Energielieferungsvertrags beruht, und besteht bei langfristigen Vertragsverhältnissen generell ein anerkennenswertes Bedürfnis der Parteien, das bei Vertragsschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu behalten, und liefe es diesem Bedürfnis zuwider, wenn bei einem Energieliefervertrag mit langer Laufzeit die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen rückwirkend ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden könnte (BGH, Urteil vom 03.12.14, VIII ZR 370/13, Anlage BB 2 zur Berufungserwiderung). Daher gilt auch hier der allgemeine Grundsatz, dass ein Kunde nicht mehr die vermeintliche Unwirksamkeit einer Preiserhöhung geltend machen, wenn er die Preiserhöhung nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat. Es ist hier nicht davon auszugehen, dass der Sondervertrag etwa die Abrede eines bestimmten Festpreises enthielt, da hierfür keine Anhaltspunkte bestehen.
89Auch wenn man davon ausgeht, dass der Preiswiderspruch vom 09.07.13 zeitlich die streitgegenständlichen Rechnungen vom 04.07.10 und 10.01.11 erfasste, so erfasste er aber jedenfalls nicht mehr die Jahresrechnung vom 05.07.09 (Anlage BB 4 zur Berufungserwiderung). Es ist davon auszugehen, dass diese bezahlte Jahresrechnung Herrn Q bei normalem Postlauf am 08.07.09 – jedenfalls aber deutlich vor dem 09.07.10 – zugegangen ist.
90Die Jahresrechnung vom 05.07.09 wies einen Verbrauchspreis HT von zuletzt 19,29 Ct./kWh netto und einen Verbrauchspreis NT von zuletzt 15,26 Ct./kWh netto aus. Mangels rechtzeitigen Widerspruchs sind diese Preise verbindlich geworden.
91Danach hat es bis zum Vertragsende und somit auch in dem streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum keine Preiserhöhung zu Lasten des Herrn Q gegeben. Der Verbrauchspreis HT und der Verbrauchspreis NT sind vielmehr konstant geblieben (vgl. Bl. 238 d.A. und Anlage K 52).
92Der Preiswiderspruch vom 09.07.13 ging deshalb ins Leere. Herr Q hat daher keine Zuvielzahlung auf die streitgegenständlichen Rechnungen vom 04.07.10 und 10.01.11 geleistet. Dementsprechend bestand insoweit auch kein bereicherungsrechtlicher Rückerstattungsanspruch, den Herr Q an den Beklagten hätte abtreten können.
93VI. Im Ergebnis steht der Klägerin somit die vom Landgericht ausgeurteilte Hauptforderung in Höhe von 26.686,39 € brutto zu.
94B) Gegen die vom Landgericht der Klägerin zugesprochenen Nebenforderungen (Zinsen) gibt es keinen gesonderten Berufungsangriff.
95C) Hilfswiderklage des Beklagten
96Da nach dem oben Gesagten keine bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsansprüche des Herrn Q bestehen, ist auch die Hilfswiderklage unbegründet.
97D) Hinsichtlich der in der I. Instanz übereinstimmend für erledigt erklärten Anträge der Klägerin betreffend die Absperrung von Strom und Gas hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91a ZPO dem Beklagten auferlegt, was entgegen der Ansicht der Berufung nicht zu beanstanden ist. Denn der Beklagte wäre ohne das erledigende Ereignis (Vertragsbeendigung) auch insoweit unterlegen. Der Beklagte hatte seit seinen Widerspruchsschreiben vom 30.08.07 keine Zahlungen mehr geleistet und – wie oben dargelegt - hohe Zahlungsrückstände auflaufen lassen. Die Klägerin hatte daher ein Recht zur Unterbrechung der Versorgung aus § 19 II GasGVV (Gas) und aus § 320 BGB (Strom).
98E) Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
99Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
100Die von dem Beklagten beantragte Aussetzung des Verfahrens kam nicht in Betracht, weil die hier relevanten Rechtsfragen inzwischen durch eine gefestigte BGH-Rechtsprechung höchstrichterlich geklärt sind.