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Das Verlegen eines Erdkabels über einen Fahrradweg begründet eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle, deren fehlende Absicherung eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Verlegenden bedeutet.
Für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch seinen Verrichtungsgehilfen muss der Geschäftsherr nach § 831 BGB verschuldensunabhängig (und gesamtschuldnerisch neben seinem Verrichtungsgehilfen) einstehen, wenn er – wie hier – den Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht führen kann.
Ist ein über einen Fahrradweg verlegtes Erdkabel im Einzelfall weder schwer erkennbar noch überraschend, kann dem Fahrradfahrer ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO und damit ein haftungsbegründendes Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB – hier in Höhe von 50 % – vorgeworfen werden (anders – im Einzelfall – bei einem über einen Feldweg gespannten Stacheldraht BGH Urt. v. 23.4.2020 – III ZR 251/17, VersR 2020, 1062 Rn. 37 f. m. w. N.; BGH Urt. v. 23.4.2020 – III ZR 250/17, RdL 2020, 427 Rn. 38 f. m. w. N.).
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29.09.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Essen (Az.: 2 O 216/19) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte bleibt verurteilt, an die Klägerin 1.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.03.2020 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bereits entstandene und künftige materielle Schäden aus dem Unfall vom 13.04.2018 auf dem Radweg der A-Straße in B zu 50 % und ihren zukünftigen unfallbedingten, derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines klägerischen Eigenverschuldens von 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 79 % und der Beklagte zu 21 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 92 % und der Beklagte zu 8 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
2(abgekürzt gemäß §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)
3I.
4Die Berufung ist (nur) teilweise begründet.
5Sie hat Erfolg, soweit mit ihr die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten verfolgt wird, der Klägerin bereits entstandene und künftige materielle Schäden aus dem Unfall vom 13.04.2018 auf dem Radweg der A-Straße in B zu 50 % und ihren zukünftigen unfallbedingten, derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines klägerischen Eigenverschuldens von 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
6Sie ist hingegen unbegründet, soweit die Klägerin die Zuerkennung eines höheren Schmerzensgeldbetrages sowie den Ausgleich weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt.
7Im Einzelnen:
81.
9Der Beklagte haftet der Klägerin aus § 831 Abs. 1 BGB; denn er hat die Zeugen C und D als seine Beschäftigten zu einer Verrichtung, hier der Bergung des Erdkabels unter Einsatz eines Baggers, bestellt und diese haben in Ausführung dieser Verrichtung der Klägerin widerrechtlich Schaden zugefügt, ohne dass der Beklagte sich entlastet hat.
10a.
11Die erstinstanzlich als Zeugen vernommenen Mitarbeiter C und D wurden unzweifelhaft als Verrichtungsgehilfen in Ausübung der ihnen durch den Beklagten als Arbeitgeber übertragenen Aufgabe der Bergung des Erdkabels weisungsgebunden tätig. Hierbei haben sie eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dadurch geschaffen, dass der mit der Ausführung der Kabelbergung durch den Beklagten betraute Baggerführer und Zeuge C – wohl bedingt durch den Straßenverlauf – im Bereich der späteren Unfallstelle das Erdkabel statt wie zuvor praktiziert am Rand verlaufend nunmehr quer über den Rad- und Gehweg zog und der ihn unterstützende und zur Absicherung eingesetzte Kollege D gleichwohl untätig blieb und keine Sicherungsmaßnahmen, insbesondere keine Warnung für die auf dem Radweg gemäß dessen Bestimmung herannahenden Radfahrer(innen), einleitete. Da die Klägerin unstreitig im Bereich der Gefahrenstelle stürzte, spricht bereits der Anschein für eine Kausalität zwischen Gefahrenstelle und Sturz, durch den die Klägerin unstreitig verletzt wurde.
12aa.
13Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt (BGH, Urt. v. 19.01.2021 – VI ZR 194/18, VersR 2021, 460 Rn. 8; BGH, Urt. v. 02.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 = r+s 2013, 97 Rn. 6 m. w. N.).
14Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, Urt. v. 19.01.2021 – VI ZR 194/18, VersR 2021, 460 Rn. 8; BGH Urt. v. 02.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 = r+s 2013, 97 Rn. 7 m. w. N.).
15Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (BGH, Urt. v. 19.01.2021 – VI ZR 194/18, VersR 2021, 460 Rn. 9; BGH Urt. v. 02.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 = r+s 2013, 97 Rn. 8).
16bb.
17Hier war es der Zeuge C, der vor Ort die Baustelle verantwortlich geleitet hat. Er war es, der durch das eigentliche Bergen des Kabels unmittelbar die abhilfebedürftige Gefahrenstelle zum Entstehen gebracht hat, ohne allerdings pflichtgemäß entweder durch eigenes enges Überwachen der genauen Lage des gezogenen Kabels oder des herannahenden Radverkehrs oder unter Rückgriff auf seinen Kollegen D für eine Sicherstellung des seitlichen Kabelverlaufs oder für eine Warnung herannahenden Radverkehrs Sorge getragen zu haben. Ebenso unzureichend auf die erkennbare Gefahrenstelle reagiert hat der Zeuge D, der weder in den Kabelverlauf korrigierend eingegriffen noch die herannahende Klägerin gewarnt hat. Beiden Zeugen fällt damit zur Last, eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle geschaffen bzw. aufrechterhalten zu haben. Angesichts der abschüssigen und weitgehend gerade verlaufenden Strecke konnten und durften sie nicht – wie der streitgegenständliche Unfall belegt – schlicht darauf vertrauen, dass Radfahrer(innen) jeglichen vom dem losen und daher potentiell rollenden Kabel ausgehenden Gefahren selbst rechtzeitig begegnen konnten.
18b.
19Der Beklagte als Geschäftsherr handelte auch schuldhaft, da er den Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht geführt hat.
20Nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB werden sowohl das Verschulden des Geschäftsherrn als auch die Kausalität seines Sorgfaltsverstoßes für den Schadenseintritt widerleglich vermutet. Der Geschäftsherr muss sich mithin mit Blick auf sein Verschulden exkulpieren. Zu diesem Zweck hat er nachzuweisen, dass er die erforderliche Sorgfalt bei der Auswahl und – obgleich im Wortlaut nicht genannt – auch bei der Instruktion und Überwachung des Verrichtungsgehilfen eingehalten hat. Der Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach der Verkehrsanschauung sowie den konkreten Einzelfallumständen (vgl. z.B. HK-BGB/Ansgar Staudinger, 10. Aufl. 2019, BGB § 831 Rn. 10, 11, beck-online).
21Die Einzelumstände waren streitgegenständlich dadurch gekennzeichnet, dass das zu bergende Erdkabel parallel zum Rad- und Gehweg verlegt war, der Weg aber, da er zur Bergung genutzt werden musste, aus Sicht der Zeugen nicht vollständig gesperrt werden konnte. Insoweit drängte es sich auf, dass geeignete Maßnahmen zu ergreifen waren, um insbesondere Gefahrenstellen für Radfahrer(innen) abzusichern. Das wurde offenbar auch seitens des Beklagten im Vorfeld erkannt; denn er hat schriftsätzlich vortragen lassen, was der erstinstanzlich vernommene Zeuge D auch bestätigt hat, dass die Zeugen D und C darauf hingewiesen wurden, bei der Durchführung der Arbeiten darauf zu achten, Personen im öffentlichen Verkehrsraum nicht zu gefährden. Der Zeuge D bekundete konkret, es habe Anweisungen gegeben, die Baustelle abzusperren und keine Steine auf der Straße liegen zu lassen. Über den Fahrradweg sei allerdings nicht explizit gesprochen worden.
22Gerade dieser aber war es, der im besonderen Maße bei dem „Ziehen“ des Kabels in Anspruch genommen wurde, weil der Weg als Fahrstrecke für den das Kabel aus dem Erdreich ziehenden Bagger genutzt wurde und – wie die unstreitig geschaffene Gefahrenstelle belegt – ein stabiler Verlauf des gezogenen und damit losen Kabels unmittelbar neben dem und nicht quer über den Radweg gerade nicht gesichert war. Da weder vom Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich ist, inwieweit es zielführende Instruktionen zur Wegsicherung im Vorfeld gegeben hat, lässt sich schon eine den Beklagten entlastende sorgfältige Anleitung seiner Verrichtungsgehilfen nicht feststellen – abgesehen davon, dass auch eine zumindest stichprobenartige Überwachung der Tätigkeit der Zeugen C und D offenbar nicht stattgefunden hat. Die Kausalität dieser Sorgfaltspflichtverstöße des Beklagten für die eingetretene Schädigung wird im Rahmen des § 831 BGB wiederum vermutet, so dass die Haftung des Beklagten dem Grunde nach gegeben ist.
232.
24Allerdings muss sich die Klägerin ein Mitverschulden bei der Schadensentstehung (§ 254 Abs. 1 BGB) entgegenhalten lassen, das auch der Senat unter den Umständen des Falles mit 50 % bemisst.
25a.
26Im Rahmen der nach § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge können nur solche Umstände zu Lasten eines Beteiligten berücksichtigt werden, die unstreitig oder bewiesen sind und die sich ursächlich auf die Entstehung des Schadens ausgewirkt haben. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (OLG Hamm, Beschl. v. 02.01.2018 – 7 U 44/17, juris Rn. 37; OLG Hamm, Beschl. v. 10.04.2018 – 7 U 5/18, juris Rn. 28).
27b.
28Gestützt durch ihre eigenen Angaben im Rahmen ihrer Anhörung gem. § 141 ZPO im Senatstermin fällt der Klägerin ein Verstoß gegen das sog. Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO zur Last.
29aa.
30Das Sichtfahrgebot, das auch für Fahrradfahrer gilt, verlangt, dass der Fahrer vor einem Hindernis, das sich innerhalb der übersehbaren Strecke auf der Straße befindet, anhalten kann. Er muss beim Fahren auf Sicht dementsprechend prüfen, wie weit er sehen und ob er mit der gefahrenen Geschwindigkeit noch rechtzeitig anhalten kann, wenn im sich beim Fahren regelmäßig in Fahrtrichtung verschiebenden Sichtbereich – genauer am Ende der sich verschiebenden übersehbaren Strecke – ein Hindernis auf der Fahrbahn erscheint. Maßgeblich ist damit, dass der Fahrer innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann. Nur auf gegebenenfalls erst aus wenigen Metern erkennbare Objekte muss der Fahrer seine Geschwindigkeit – bei allerdings Anwendung eines strengen Maßstabs hinsichtlich der Erkennbarkeit – nicht einrichten. Insoweit wird das Sichtfahrgebot durch den Vertrauensgrundsatz für solche Hindernisse begrenzt, mit denen der Fahrer unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Dies betrifft etwa Hindernisse, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind oder deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist und auf die nichts hindeutet. Ein Radfahrer ist demnach nicht verpflichtet, lückenlos den unmittelbar vor seinem Rad liegenden Bereich noch gezielt im Auge zu behalten und auf Hindernisse zu überprüfen, die – bei an sich übersichtlicher Lage – aus größerer Entfernung noch nicht zu erkennen waren (so BGH, Urt. v. 23.04.2020 – III ZR 251/17, VersR 2020, 1062 Rn. 37 m. w. N.).
31bb.
32Das ca. 20m quer über den Radweg verlaufende 4 cm dicke Erdkabel war für die Klägerin weder schwer erkennbar noch überraschend. Vielmehr haben die von der Klägerin erkannten tatsächlichen Umstände deutlich Anlass geboten, den unmittelbar vor ihrem Rad liegenden Bereich gezielt im Auge zu behalten und auf Hindernisse zu überprüfen. So hatte die Klägerin ihren eigenen Angaben zufolge sowohl erkannt, dass sie einen Baustellenbereich durchfuhr, als auch konkret das lose Erdkabel am Rand des Radweges wahrgenommen. Sie ist eine Strecke von jedenfalls mehr als 10 Metern neben ihm hergefahren. Dabei hat sie offenbar schlicht darauf vertraut, das Kabel werde auch weiter neben dem Radweg verbleiben. Nur so lässt sich erklären, dass sie es gerade nicht im Blick behalten hat, mit unverminderter Geschwindigkeit weitergefahren ist und daher den Querverlauf zu spät erkannt hat, obwohl dieser mangels Sichtbehinderung und – wie die nach dem Unfall angefertigten und in Augenschein genommenen Lichtbilder (Bl. 8 f. BeiA) belegen – durch den Farbunterschied zwischen hellem Asphaltbelag und dunklem Kabel unproblematisch von weitem erkennbar war. Infolgedessen hat sie durch ihr nicht situationsangepasstes Verhalten maßgeblich zum Sturzgeschehen beigetragen.
33c.
34Bei wertender Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge stehen sich diese gleichwertig gegenüber. Es handelt sich jeweils um deutliche Verstöße, da sich sowohl der Beklagte als auch die Klägerin den zwanglos erkennbaren Gefahrensituationen verschlossen und naheliegende Vorkehrungen unterlassen haben.
35Folglich haftet der Beklagte der Klägerin nach einer Quote von 50 % bzw. ist bei der Schadensbemessung der Höhe nach ein Eigenverschulden der Klägerin im Umfang von 50 % zu berücksichtigen.
363.
37Nach dieser Maßgabe hat die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung eines weiteren über die erstinstanzlich ausgeurteilten 1.000,00 EUR hinausgehenden Schmerzensgeldes aus §§ 831 Abs. 1 Satz 1, 253 Abs. 2 BGB nebst Zinsen.
38a.
39Unter Zugrundelegung der erlittenen Verletzungen und ihrer Folgen sowie des Eigenverschuldens der Klägerin ist ein Schmerzensgeld von insgesamt 3.000,00 EUR angemessen, aber auch ausreichend.
40aa.
41Mit der gefestigten Rechtsprechung hängt die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten war oder für die Zukunft erkennbar und objektiv vorhersehbar ist (vgl. aktuell OLG Hamm, Urt. v. 05.03.2021 – 9 U 221/19, juris Rn. 7; OLG Hamm, Urt. v. 19.01.2016 – 7 U 52/15, juris Rn. 23; OLG Hamm, Urt. v. 21.12.2012 – 9 U 38/12, juris Rn. 34). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt, wobei etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen besonderes Gewicht zukommt (vgl. BGH, Beschl. v. 06.07.1955 – GSZ 1/55, wolterskluwer.online Rn. 16; OLG Hamm, Urt. v. 21.12.2012 – 9 U 38/12, juris Rn. 34). Im Sinne einer Objektivierung der Leiden wirken sich insbesondere die Art der Verletzungen, die Zahl der Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und das Ausmaß eines eingetretenen Dauerschadens bei der Bemessung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 05.03.2021 – 9 U 221/19 unter Hinweis auf OLG Hamm, Urt. v. 11.09.2020 – 9 U 96/20, NJW-Spezial 2020, 715, juris Rn. 3; OLG Celle, Urt. v. 04.11.2020 – 14 U 81/20, juris Rn. 12 und OLG Celle, Urt. v.19.02.2020 – 14 U 69/19, juris Rn. 53 f. m. w. N.).
42Der Maßstab für eine billige Entschädigung im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB muss unter Berücksichtigung ihrer Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion für jeden einzelnen Fall durch Würdigung und Wägung aller ihn prägenden Umstände neu gewonnen werden. Bei der Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes unterliegt der Tatrichter von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen. Hierbei muss er aber im Hinblick auf den Gleichheitssatz das gewonnene Ergebnis anhand von in sog. Schmerzensgeldtabellen erfassten Vergleichsfällen überprüfen, wobei die dort ausgewiesenen Beträge schon wegen der meist nur begrenzt vergleichbaren Verletzungsbilder nicht schematisch übernommen werden dürfen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 22.01.2021 – 7 U 18/20, juris Rn. 26). Insoweit sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Schmerzensgeldentscheidungen anderer Gerichte zu benennen genügt allein nicht. Ausgangspunkt sind Art der Behandlung (Krankenhaus/Reha) und Dauer der Beeinträchtigung (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.2018 – 22 U 97/16, juris Rn. 62). Bei der Heranziehung von Vergleichsfällen ist zudem zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung bei der Bemessung von Schmerzensgeld nach gravierenden Verletzungen deutlich großzügiger verfährt als früher und zu Gunsten eines Geschädigten die zwischenzeitliche Geldentwertung zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 22.01.2021 – 7 U 18/20, juris Rn. 26; OLG München, Urt. v. 09.09.2020 – 10 U 1722/18, juris Rn. 24).
43Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß § 513 Abs. 1 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie zwar für vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es demnach nicht dabei belassen, zu prüfen, ob die Bemessung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinander gesetzt und eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl. BGH, Urt. v. 28.03.2006 – VI ZR 46/05, juris Rn. 30; OLG Hamm, Beschl. v. 22.01.2021 – 7 U 18/20, juris Rn. 12).
44bb.
45Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht der Klägerin bereits auf der Grundlage ihres – hier unterstellten – eigenen Vortrags kein höheres, also 3.000,00 EUR übersteigendes Schmerzensgeld zu.
46Der Schmerzensgeldbemessung zu Grunde liegen zunächst sämtliche von der Klägerin behaupteten Primärverletzungen mit insbesondere dem handgelenksnahen Speichenbruch links, den Prellungen im Bereich beider Knie, der traumatischen Einblutung in den Hoffa’schen Fettkörper am rechten Knie, der Verletzung am rechten Sprunggelenk, den trotz getragenen Helms erlittenen Prellungen am Kopf, dem HWS und der blutenden Nase.
47Die Einschränkungen in der Lebensführung machen sich auch für den Senat an der insbesondere im unmittelbaren Nachgang des schädigenden Ereignisses gegebenen Beeinträchtigung an immerhin drei Gliedmaßen (linkes Handgelenk und beide untere Extremitäten) fest, wobei allerdings die konservativ behandelte Bruchverletzung am linken Handgelenk die schwerwiegendste Primärverletzung darstellt. Weiter hat der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin zwar noch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Physiotherapie erhält, allerdings vorrangig wegen unfallunabhängiger Beschwerden; unfallabhängige Beschwerden stehen insoweit nicht im Vordergrund, sondern werden – soweit vorhanden, was zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden kann - lediglich mitbehandelt.
48Darüber hinaus hat der Senat auch die weitergehenden Verletzungsfolgen (sog. Sekundärschäden, vgl. etwa BGH, Urt. v. 29.01.2019 – VI ZR 113/17, juris Rn. 12 ff.) bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu Grunde gelegt. Danach ist durch den Unfall, wie in dem Arztbrief des Dr. med. E vom 07.06.2021 (Bl. 139 GA) beschrieben, eine Fehlstellung des distalen Radius zurückgeblieben, die zu einer Fehlbelastung des linken Handgelenks und in deren Folge zu einer posttraumatischen Arthrose geführt hat. Als praktische Auswirkung ist zu Grunde gelegt worden, dass das Handgelenk bei Benutzung wie etwa dem Radfahren zu schmerzen beginnt, worauf die Klägerin mit einem Ausschütteln der Hand reagiert. Berücksichtigt wurde zudem, dass die von der Klägerin beschriebenen Beschwerden am rechten Knie auch auf die unfallbedingte traumatische Einblutung in den Hoffa’schen Fettkörper zurückzuführen sind, und ihre Probleme, längere Strecken zu Fuß zu bewältigen, nicht allein oder überwiegend auf die bei der Klägerin am rechten Knie unfallunabhängig gegebene Varusgonarthrose zurückzuführen sind.
49Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens auf Antrag der Klägerin bedurfte es daher nicht, da der Senat die von der Klägerin beschriebenen Auswirkungen des Fahrradunfalls vollumfänglich zu Grunde legt und sie weder schriftsätzlich noch im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung weitere greifbare Anknüpfungstatsachen vorgetragen hat. Soweit gegenbeweislich angeboten bedarf es der Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens nicht, da mit dem vorliegenden Urteil kein weiteres, über den erstinstanzlich rechtskräftig zuerkannten Betrag hinausgehendes Schmerzensgeld zugesprochen wird.
50Das so ohne den Eigenverschuldensanteil im Ausgangspunkt auf einen Betrag von 6.000,00 EUR bemessene Schmerzensgeld steht im Einklang mit anderweitiger fallähnlicher obergerichtlicher Rechtsprechung und fügt sich in den Rahmen, der bei vergleichbaren Verletzungen zugesprochen wird.
51So hat das LG Leipzig (Urt. v. 16.09.2010 – 08 S 573/09, Hacks/Wellner/ Häcker/Offenloch, Schmerzensgeldbeträge 2021, 39. Aufl. 2021, lfd. Nr. 848) in einem Fall mit einer dreiwöchigen Behandlung mit Gipsverband nur für eine Handgelenksverletzung 4.000,00 EUR zugesprochen.
52Auf dieser Linie liegt auch die Entscheidung des OLG Karlsruhe (Urt. v. 28.03.2012 –7 U 104/11, Hacks/Wellner/Häcker/Offenloch, a. a. O. lfd. Nr. 888). Das Gericht hat in dem genannten Urteil ein Schmerzensgeld i. H. v. 5.000,00 EUR für eine Radiusfraktur aufgrund eines Sturzereignisses mit einem achttägigen Krankenhausaufenthalt sowie einer Ellenhakenfraktur zugesprochen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall ein stationärer Krankenhausaufenthalt nicht erforderlich war, neben der Radiusfraktur aber die vorbenannten weiteren Verletzungen sowie die zwischenzeitliche Geldentwertung in die Schmerzensgeldberechnung einzufließen haben.
53Die von der Klägerin begehrten 8.000,00 EUR sind demgegenüber deutlich übersetzt. Soweit in der Rechtsprechung Schmerzensgeld in einer solchen Höhe zugesprochen wurde, sind diese Fälle mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Deutlich wird dies bei Betrachtung der Entscheidung des LG Landau in der Pfalz (Urt. v. 28.7.2014 – 4 O 381/12). Im dortigen Fall wurden für eine unfallbedingte Jochbeinfraktur, eine Nasenbeinfraktur, ein Lidhämatom, eine LWS-Prellung, eine Ellenbogenprellung, tiefe Schürfwunden am linken Unterschenkel, eine Handgelenksdistorsion rechts, eine kausale Augenentzündung – also für in Quantität und Qualität deutlich intensivere Verletzungen als im vorliegenden Fall und unter zugleich schmerzensgelderhöhender Berücksichtigung eines zögerlichen Regulierungsverhalten der Haftpflichtversicherung 8.000,00 EUR zugesprochen (Hacks/Wellner/Häcker, a. a. O. lfd. Nr. 699). Dem ist der vorliegende Fall auch unter Berücksichtigung unfallursächlichen andauernder Beeinträchtigungen der Klägerin am linken Handgelenk und rechtem Knie nicht vergleichbar.
54In Bezug auf Dauerschäden war zu berücksichtigen, dass eine unfallbedingt erforderliche Schmerzmitteleinnahme von der Klägerin im Termin vor dem Senat selbst verneint wurde.
55b.
56Steht der Klägerin danach unter Berücksichtigung ihres Eigenverschuldens von 50 % ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 EUR zu, ist dieses entweder bereits durch Zahlung erfüllt oder rechtskräftig zugesprochen.
57aa.
58Die Beklagte hat über ihren Haftpflichtversicherer vorgerichtlich bereits 1.500,00 EUR gezahlt (§ 362 Abs. 1 BGB).
59bb.
60Der Zeuge C hat ebenfalls vorgerichtlich zur Schadenswiedergutmachung, anzurechnen auf den Gesamtschmerzensgeldbetrag, einen weiteren Betrag von 500,00 EUR gezahlt. Der Zahlung kommt ebenfalls Erfüllungswirkung gem. §§ 840; 422 Abs. 1 S. 1; 362 Abs. 1 BGB zu.
61Der Beklagte und der Zeuge C haften nämlich als Gesamtschuldner, weil beide für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden nebeneinander verantwortlich sind, § 840 Abs. 1 BGB. Die Haftung des Beklagten beruht wie ausgeführt auf § 831 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB, die des Zeuge C auf § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB; denn die von der Klägerin erlittenen Einbußen an der Gesundheit resultieren auch aus der rechtswidrigen und unzweifelhaft (fahrlässig) schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung des Zeugen.
62cc.
63Weitere 1.000,00 EUR hat das Landgericht rechtskräftig zu erkannt. Damit sind sämtlich derzeitigen Schmerzensgeldansprüche der Klägerin erfüllt. Ihre Berufung bleibt folglich insoweit ohne Erfolg.
644.
65Die Berufung hat hingegen Erfolg, soweit mit ihr die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten verfolgt wird, der Klägerin bereits entstandene und künftige materielle Schäden aus dem Unfall vom 13.04.2018 auf dem Radweg der A-Straße in B zu 50 % und ihren zukünftigen unfallbedingten, derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines klägerischen Eigenverschuldens von 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
66Auf Basis der v.g. Haftungsverteilung war dem Feststellungsantrag der Klägerin stattzugeben.
67Das erforderliche Feststellungsinteresse, d. h. die Möglichkeit des zukünftigen Eintritts weiterer materieller und derzeit noch nicht konkret absehbarer immaterieller Schäden aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls, ist angesichts der unstreitig erlittenen Bruchverletzung im Bereich des linken Handgelenks der Klägerin zu bejahen. Infolgedessen besteht jedenfalls das gerichtsbekannte Risiko einer Arthrose, wie sie auch in dem Arztbrief des Dr. med. E vom 07.06.2021 (Bl. 139 d. A.) bereits beschrieben, ihr (weiterer) Verlauf aber im Einzelnen unklar und nicht vorhersehbar ist. Daraus wiederum resultiert die Möglichkeit weiterer unfallbedingter materieller und immaterieller Schäden, was für Zulässigkeit und Begründetheit des Feststellungsantrages ausreicht (vgl. hierzu aktuell BGH, Beschl. vom 08.06.2021 – VI ZR 1272/20, juris).
685.
69Soweit die Klägerin schließlich Ausgleich weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren i. H. v. 685,32 EUR verlangt, bleibt die Berufung ebenfalls erfolglos.
70Die Klägerin ist insoweit nämlich jedenfalls schon nicht mehr aktivlegitimiert, weil infolge vorgerichtlichen Ausgleichs durch den Rechtsschutzversicherer – wie im Senatstermin eingeräumt wurde – der Anspruch gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf diesen übergegangen ist.
71Eine Modifikation des entsprechenden Klageantrags oder eine Erklärung zu einer etwaigen Vorgehensweise der Klägerin im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft sind auf Nachfrage im Termin nicht erfolgt.
72II.
73Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
74Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
75III.
76Die Revision wird nicht zugelassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).