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Der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2023 – VI ZR 97/22 (GRUR-RS 2023, 30210) gibt dem Senat keine Veranlassung zur Aufgabe seiner Rechtsauffassung (OLG Hamm Urteil vom 15.08.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505), dass im Rahmen eines Anspruchs aus Art. 82 DSGVO ein mit einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung als negative Folge einhergehender Kontrollverlust als solcher die Annahme eines immateriellen Schadens nicht trägt. Es besteht auch kein Anlass, das Verfahren auszusetzen und / oder dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen oder die Revision zuzulassen.
Die Aussetzungsanträge des Klägers werden zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten werden das am 02.05.2023 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn (2 O 406/22) teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Der Streitwert für das landgerichtliche Verfahren wird unter Abänderung der landgerichtlichen Streitwertfestsetzung im Beschluss vom 11.05.2023 (Bl. 1606 der erstinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte) auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
2(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)
3I.
4Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
5Dem Kläger stehen die mit seiner Klage begehrten Ansprüche nicht zu und zwar aus den Gründen der in der Terminsverfügung des Senats vom 29.09.2023 unter 2. b) erteilten Hinweise (Bl. 164 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-164 ff.). Die klägerischen Einwendungen im Rahmen der Berufungserwiderung vom 07.11.2023 (eGA II-184 ff.) geben keinerlei Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. Die rechtlichen Ausführungen in der Berufungserwiderung erschöpfen sich vollständig in der Wiedergabe der durchgängig von der jeweiligen Klägerseite in den Parallelverfahren geäußerten Rechtsansichten, mit denen sich der Senat aber bereits ausführlich in seinem Urteil vom 15.08.2023 – I-7 U 19/23 (veröffentlicht bei Beck-Online unter GRUR-RS 2023, 22505, Juris und NRWE.de), auf welches mehrfach in den Hinweisen des Senats vom 29.09.2023 hingewiesen wurde, auseinandergesetzt hat. Der hier zu entscheidende Einzelfall gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung.
6II.
7Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
8Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1, § 713 ZPO i. V. m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
9III.
10Veranlassung zu näheren Ausführungen bieten lediglich die mit der Berufungserwiderung vom 07.11.2023 gestellten Vorlage- und Aussetzungsanträge des Klägers (eGA II-187 ff.).
11Eine Vorlagepflicht des Senats besteht jedoch nicht (dazu unter 1.), weshalb die Aussetzungsanträge des Klägers zurückzuweisen sind (dazu unter 2.). Aus denselben Gründen ist auch die Revision nicht zuzulassen (dazu unter 3.).
121.
13Die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zur Klärung einer der geprüften und festgestellten Gesichtspunkte ist nicht geboten. Jedenfalls soweit entscheidungserheblich, ist die Auslegung der maßgeblichen unionsrechtlichen Begriffe durch die – insbesondere jüngste – Rechtsprechung des Gerichtshofs eindeutig geklärt, „acte éclairé“, oder von vornherein eindeutig, „acte clair“ (vgl. EuGH Urt. v. 6.10.1982 – C-283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG Beschl. v. 28.8.2014 – 2 BvR 2639/09, NVwZ 2015, 52 Rn. 35).
14a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss ein nationales letztinstanzliches Gericht – wie hier der Senat – seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war (acte éclairé) oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair). Davon darf das innerstaatliche Gericht aber nur ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof der Europäischen Union die gleiche Gewissheit bestünde. Nur dann darf das Gericht von einer Vorlage absehen und die Frage in eigener Verantwortung lösen (BVerfG Beschl. v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005, Rn. 10 m. w. N.).
15Die Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV zur Klärung der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften wird in verfassungswidriger Weise gehandhabt, wenn ein letztinstanzliches Gericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hat, sog. grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht (BVerfG Beschl. v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005, Rn. 12 m. w. N.).
16Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Gericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt, sog. bewusstes Abweichen von der Rechtsprechung des Gerichtshofs ohne Vorlagebereitschaft (BVerfG Beschl. v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005, Rn. 13 m. w. N.).
17Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch nicht vor oder hat er die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind. Jedenfalls bei willkürlicher Annahme eines "acte clair" oder eines "acte éclairé" durch die Fachgerichte ist der Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten (BVerfG Beschl. v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005, Rn. 14 m. w. N.).
18Das letztinstanzliche Hauptsachegericht muss sich hinsichtlich des Unionsrechts ausreichend kundig gemacht haben. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren. Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig ("acte clair") oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé"). Hat es dies nicht getan, verkennt es regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht. Zudem hat das Fachgericht Gründe anzugeben, die dem Bundesverfassungsgericht eine Kontrolle am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ermöglichen.
19b) Gemessen daran besteht vorliegend keine Vorlagepflicht, die der Senat verkannt hätte.
20Der Senat hat hier wie in seinem grundlegenden Urteil vom 15.08.2023, auf das hier konkret Bezug genommen wird (Senat Urt. v. 15.8.2023 – I-7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505, ebenfalls veröffentlicht bei Juris und nrwe.de), nicht nur erkannt, dass hier wie da Fragen des Unionsrechts betroffen sind, sondern sich auch ausdrücklich mit der Vorlagepflicht auseinandergesetzt (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 – I-7 U 19/23, juris Rn. 268).
21Der Senat ist nicht bewusst oder auch nur unbewusst, was der Kläger auch nicht aufzeigt, von der Rechtsprechung des Gerichtshofs (ohne Vorlagebereitschaft) abgewichen, sondern hat sich – insbesondere hinsichtlich der Frage des kausalen Schadens – vollständig an der Rechtsprechung des Gerichtshofs orientiert (vgl. die einzelnen, dezidierten Nachweise: Senat Urt. v. 15.8.2023 – I-7 U 19/23, juris Rn. 152) und diese auf die jeweils vorliegenden – durch stereotypen Vortrag gleichartigen – Einzelfälle angewandt.
22Die herangezogene Rechtsprechung des Gerichtshofs ist auch nicht in einem entscheidungserheblichen Punkt unvollständig.
23Sie ist nicht unvollständig bezüglich der Frage, ob ein bloßer Kontrollverlust einen tatsächlichen und sicheren Schaden darstellt (vgl. hierzu schon Senat Urt. v. 15.8.2023 – I-7 U 19/23, juris Rn. 151 ff., 172 ff., wo das Urteil des EuGH v. 4.5.2023 – C-300/21, GRUR-RS 2023, 8972 insbesondere auch in den Kontext der zuvor ergangenen EuGH-Rechtsprechung zum „Schaden“ gestellt wird).
24Sie ist nicht unvollständig bezüglich der Frage, wen die Darlegungs- und Beweislast für den Schadenseintritt trifft (vgl. hierzu schon Senat Urt. v. 15.8.2023 – I-7 U 19/23, juris Rn. 155, 165, 181, 196). Insbesondere führt der Gerichtshof explizit aus, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, nicht vom Nachweis befreit ist, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 dieser Verordnung darstellen (EuGH Urt. v. 4.5.2023 – C-300/21, GRUR-RS 2023, 8972 Rn. 50).
25Auch die Erfüllung des Auskunftsanspruchs ist schon keine entscheidungserhebliche Frage des Unionsrechts. Denn, wie der Senat bereits in seinem grundlegenden Urteil ausgeführt hat, ist die begehrte und geschuldete Auskunft zur Identität der Scraper und zum konkreten Zeitpunkt des Scrapings – da wie hier – bereits dahingehend beantwortet, dass die Beklagte diese Frage wegen Datenlöschung nicht mehr beantworten kann (vgl. dazu Senat Urt. v. 15.8.2023 – I-7 U 19/23, juris Rn. 249 ff.). Allein deshalb ist es auch schon keine entscheidungserhebliche Frage des Unionsrechts, ob das Auskunftsbegehren exzessiv ist.
26c) Die Vorlagefrage 4 aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2023 (VI ZR 97/22) ändert hieran nichts, weil es vorliegend bereits an der Darlegung und dem Nachweis haftungsbegründend kausaler negativer Gefühle fehlt. Der Bundesgerichtshof verweist zudem ausweislich Rn. 32 seines Beschlusses auch darauf, dass negative Folgen – also hier der Kontrollverlust, der im Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gar nicht als schadensbegründender Umstand vorgetragen worden war (Rn. 5) – als solche nicht ausreichen, sondern diese Folgen zugleich einen immateriellen Schaden darstellen müssen (vgl. BGH Vorlagebeschl. v. 26.9.2023 – VI ZR 97/22, juris Rn. 5, 32). Der Qualifikation eines Kontrollverlustes als immaterieller Schaden infolge der Veröffentlichung im Darknet steht in diesem Einzelfall jedenfalls entgegen, dass der Kläger sich trotz der von der Beklagten erteilten Auskunft vom 18.07.2022 erst aufgrund des Anrufs seines Prozessbevollmächtigten spät im laufenden Verfahren veranlasst gesehen hat, die Suchbarkeitseinstellungen einschränkend zu verändern und sich bis heute nicht gehalten gesehen hat, seine Mobilfunktelefonnummer zu wechseln; denn damit wird jeglicher Indizwirkung der Boden entzogen.
272.
28Vor diesem Hintergrund sind auch die Aussetzungsanträge des Klägers vom 07.11.2023 zurückzuweisen.
29Es muss auch – entgegen des Ansatzes des Klägers – nicht der Ausgang der bereits beim Gerichtshof anhängigen Verfahren C-189/22, C-182/22, C-741/22, C-687/21, C-667/21, C-340/21 oder C-307/22 abgewartet werden. Sie betreffen teils ganz andere Fragen (Bemessung des Schmerzensgeldes, die hier gar nicht in Frage steht), sind bereits durch andere Rechtsprechung des Gerichtshofs (zwischenzeitlich) – wie im grundlegenden Urteil des Senats vom 15.08.2023 aufgezeigt – teilweise beantwortet oder im Übrigen für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.
303.
31Deshalb ist auch die Revision nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
32Aufgrund der – insbesondere jüngsten – Rechtsprechung des EuGH sowie der eindeutigen Rechtsprechung des BGH sowie fehlender abweichender Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte hat der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO); wegen dieser Rechtsprechung ist auch die Zulassung der Revision nicht zur Rechtsfortbildung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten (vgl. zu den ersten beiden Zulassungsgründen zuletzt etwa BGH Beschl. v. 31.5.2023 – IV ZR 299/22, BeckRS 2023, 17971 Rn. 12 f. m. w. N.).
33IV.
34Der Streitwert wird, worauf schon unter dem 29.09.2023 (eGA II-166 f.) hingewiesen worden ist, für das Berufungsverfahren auf 2.000,00 Euro und für das erstinstanzliche Verfahren unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im angefochtenen Urteil gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GKG auf insgesamt 3.000,00 Euro (§ 5 ZPO) festgesetzt (vgl. dazu Senat Urt. v. 15.8.2023 – I-7 U 19/23, juris Rn. 271 ff.).