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Bei einer Aussetzung der Strafe nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gem. § 57 Abs. II Nr. 2 StGB sind auch Gesichtspunkte der Schuldschwere, der Generalprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. In der Tat zum Ausdruck kommende grobe Verletzungen der ärztlichen Berufspflichten, durch die Leib und Leben von Patienten (leichtfertig) aufs Spiel gesetzt werden, können einer vorzeitigen Entlassung um Halbstrafenzeitpunkt entgegenstehen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts M. vom 28.03.2011 nach Verbüßung der Hälfte der Strafe wird abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der ihm darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Verurteilte.
G r ü n d e :
2I.
3Der Verurteilte verbüßt seit dem 06.06.2011 im offenen Vollzug eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, zu der ihn das Landgericht M. am 28.03.2011 wegen Körperverletzung mit Todesfolge in zwei Fällen, wegen schwerer Körperverletzung, fahrlässiger Tötung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in 13 Fällen verurteilt hat. Der Verurteilte – der ab Anfang 2006 als Geschäftsführer, Verwaltungsdirektor und Chefarzt der chirurgischen Abteilung des von ihm erworbenen Krankenhauses in W. tätig war – beging die Taten nach den Urteilsfeststellungen im Verlauf des Jahres 2006 unter grober Verletzung seiner ärztlichen Berufspflichten, weswegen ihm neben der Strafe ein Berufsverbot von vier Jahren auferlegt wurde. Geschädigte waren überwiegend ältere weibliche Patienten, bei denen der Verurteilte teilweise medizinisch nicht indizierte Eingriffe vornahm, wobei er in einigen Fällen die erforderliche Aufklärung unterließ bzw. die Eingriffe von der erteilten Einwilligung nicht gedeckt waren. In anderen Fällen unterliefen ihm Operations- und sonstige Behandlungsfehler, die bei vier Patientinnen ursächlich für deren Versterben waren. In einigen Fällen hatte der Verurteilte ohne Wissen der Patientinnen zur Säuberung von Operationswunden und Geschwüren frisch gepressten Zitronensaft verwendet, wobei es sich nach den Urteilsfeststellungen um eine unerprobte, auf Nebenwirkungen und Verträglichkeit wissenschaftlich nicht untersuchte Außenseitermethode handelt. In einem Fall unternahm der Verurteilte ohne spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet der Handchirurgie den erfolglos gebliebenen Versuch, mittels einer ungeeigneten Operationsmethode einem 33 Jahre alten Mann einen bei einem Arbeitsunfall teilweise abgetrennten Daumen wieder anzunähen.
4Nach dem auf Absprache beruhenden Urteil gelten von der Strafe elf Monate wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt.
5Die Hälfte der Strafe war - unter Anrechnung von Untersuchungshaft in der Zeit vom 19.03.2008 bis zum 22.10.2008 - am 27.12.2011 verbüßt, zwei Drittel der Strafe werden am 28.08.2012 vollstreckt sein; das Strafende ist auf den 28.12.2013 vorgemerkt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer nach Einholung einer Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt E. und mündlicher Anhörung des Verurteilten auf dessen Antrag vom 01.09.2011 hin nach Verbüßung der Hälfte der Strafe die Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt.
6Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft M. mit der sofortigen Beschwerde vom 23.02.2012, die unter dem 28.02.2012 seitens der Staatsanwaltschaft und unter dem 09.03.2012 seitens der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf ergänzend begründet worden ist. Der Verurteilte hat zu dem Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 23.03.2012 Stellung genommen.
7II.
8Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht (§ 311 Abs.2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
9Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrestes bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gem. § 57 Abs.2 Nr.2 StGB liegen nicht vor.
10Besondere Umstände im Sinne der Vorschrift sind nur solche, die im Vergleich zu gewöhnlichen Milderungsgründen von besonderem Gewicht sind und eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts – und Schuldgehalts der Tat, wie sich dieser in der Höhe der Strafe widerspiegelt, als nicht unangebracht und den strafrechtlichen geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen.
11(vgl. BGH NStZ 87, 21; Senat 08.06.2001 – 2 Ws 242/01 - ;13.06.2001 – 2 Ws 236/01 – ; 24.07.2001 – 2 Ws 332/01 –; 30.03.2004 – 2 Ws 140/04 -; 01.08.2006 -2 Ws 343/06 -; 20.07.2009 – 2 Ws 315/09 -; 30.11.2010 – 2 Ws 785/10-; Stree in Schönke–Schröder, StGB, 27. Aufl., § 57 Rdn. 23 b i. V. m. § 56 Rdn. 27 ff.).
12Anders als bei einer Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs.1 Satz 1 StGB) fließen in die Bewertung auch Gesichtspunkte der Schuldschwere (vgl. Gribbohm in: LK, 11.Aufl., § 57 Rdn.54; Lackner, StGB, 22.Aufl., § 57 Rdn.20), der Generalprävention (BGHR StGB § 57 Abs.2 „Versagung“ 1; Tröndle/Fischer, StGB, 53.A., § 57, Rdn.29 a ) und der Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. OLG München NStZ 1987,74) ein.
13Gemessen an diesen Grundsätzen kann die Vollstreckung der Halbstrafe hier nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Die nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB gebotene Gesamtwürdigung rechtfertigt nicht eine Entlassung schon nach der Verbüßung der Hälfte der Strafe.
14Die von der Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten gestellte, vom Senat geteilte günstige Sozialprognose geht über die für eine Strafaussetzung ohnehin erforderliche günstige Prognose nicht in einem Maße hinaus, dass eine Halbstrafenaussetzung gerechtfertigt wäre. Den von der Strafvollstreckungskammer für maßgeblich gehaltenen Gesichtspunkten :
15– das in vollem Umfang eingeräumte Tatgeschehen habe den Verurteilten aus der Bahn geworfen, er habe stets in heilender Absicht gehandelt und umstrittene Behandlungsmethoden nicht aus wirtschaftlichen Gründen angewendet, er habe aus der von ihm akzeptierten Verurteilung für sein Leben tiefgreifende Konsequenzen gezogen und werde sich nicht mehr als Arzt beruflich betätigen, sondern sehe seine Zukunft in seiner Tätigkeit als Ingenieur im familieneigenen Betrieb
16- die günstige Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt E.
17ist in Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen im wesentlichen folgendes entgegenzuhalten :
18Die beanstandungsfreie Führung im offenen Vollzug ist angesichts des sozialen Status, der Herkunft und des Bildungsstandes des Beschwerdeführers erwartbar und fällt im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht maßgeblich ins Gewicht. Zu der Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt E. vom 06.10.2011 ist überdies kritisch anzumerken, dass sie Gesichtspunkte aus dem Urteil aufgreift (nämlich die in allen Fällen gegebene heilende Absicht), die über die gebotenen Ausführungen zum Vollzugsverhalten sowie zum sozialen Empfangsraum hinausgehen.
19Was die im Urteil zugunsten des Beschwerdeführers angenommene „heilende Absicht“ angeht, reicht dieser Umstand nicht ansatzweise an Rechtfertigungs- oder Schuldmilderungsgründe heran, die bei der Abwägung eine Rolle spielen können. Der Beschwerdeführer hat in einer Mischung aus Selbstüberschätzung, Überforderung und Blindheit gegenüber den Belangen seiner Patienten gehandelt. Die auch im Strafmaß zum Ausdruck kommende Schwere der Schuld kann mit „heilender Absicht“ nicht relativiert werden.
20Das hat das Landgericht an anderer Stelle im Urteil auch mit aller Deutlichkeit damit ausgedrückt, dass der Angeklagte bei allen Taten unter grober Verletzung seiner ärztlichen Berufspflichten gehandelt habe. Soweit die Verteidigung im Schriftsatz vom 23.03.2012 meint, darauf hinzuweisen zu müssen, dass „in der Mehrheit eine Verurteilung zu Körperverletzungsdelikten“ erfolgt sei, stimmt diese Sichtweise angesichts der strafrechtlichen Verantwortung des Beschwerdeführers für den Tod von vier Menschen bedenklich.
21Soweit die Verteidigung auf Entschädigungsleistungen verweist, liegt darin ein besonderer Umstand schon deswegen nicht, weil nach den vorgelegten Unterlagen bisher lediglich ein einziger Fall durch die Haftpflichtversicherung reguliert worden ist und wegen Ansprüche weiterer Geschädigter noch Regulierungsverhandlungen laufen sollen. Ein berücksichtigungswürdiger persönlicher Beitrag des Beschwerdeführers ist dem nicht zu entnehmen.
22Die Entscheidung des Beschwerdeführers, auch nach Ablauf des Berufsverbots in den Arztberuf nicht zurückzukehren, vermag der Senat nicht ausschließlich als persönliche Läuterung zu werten. Bei realistischer Einschätzung ist dem Beschwerdeführer schon aufgrund seiner Verurteilung und der mit dem Verfahren verbundenen Berichterstattung in den Medien die Rückkehr in den Arztberuf faktisch verwehrt.
23Der Senat erkennt an, dass der Beschwerdeführer sich als Ingenieur im familieneigenen Betrieb mit Erfindungsreichtum und Tatkraft eine neue Lebensgrundlage schafft, worin auch die Verantwortung gegenüber seiner Familie zum Ausdruck kommt. Die neue Aufgabe hat er allerdings bereits aus dem offenen Vollzug heraus angehen können, wobei er die damit verbundenen Erschwernisse als Folge seiner Straftaten tragen muß. Für eine Halbstrafenaussetzung bietet der berufliche Neuanfang – auch in Verbindung mit den übrigen für ihn sprechenden Umständen – aber keine ausreichende Rechtfertigung.
24Die von der Verteidigung angeführte überlange Verfahrensdauer ist durch den Vollstreckungsabschlag von elf Monaten angemessen kompensiert worden, womit es sein Bewenden haben muß. Ähnliches gilt für die auf die Strafe anzurechnende Untersuchungshaft, auch wenn diese nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht gerechtfertigt war. Soweit der Beschwerdeführer die Haftbedingungen während der Untersuchungshaft kritisiert, ist nicht ersichtlich, dass er insoweit Abhilfe verlangt hat.
25Die mit dem Strafverfahren verbundene negative Berichterstattung in den Medien, die sicherlich auch die Familie des Beschwerdeführers beeinträchtigt hat, ist im Urteil – neben der verbüßten 6-monatigen Untersuchungshaft – als strafmildernd berücksichtigt worden. Ein besonderer Grund im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegt darin nicht. Der Beschwerdeführer hat sich das Medieninteresse mit allen nachteiligen Auswirkungen als Folge seines Fehlverhaltens letztlich auch selbst zuzuschreiben.
26Der Halbstrafenaussetzung stehen aus Sicht des Senats entscheidend die Gesichtspunkte der Generalprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung entgegen.
27Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Gegenstand des Strafverfahrens nicht lediglich ein einmaliges Versagen eines ansonsten zuverlässigen und untadeligen Arztes war, sondern es sich um eine Vielzahl innerhalb weniger Monate begangener Taten gehandelt hat, durch die in vier Fällen der Tod von Patienten verursacht worden ist, die sich dem Beschwerdeführer – einem Chefarzt in herausgehobener Position – anvertraut hatten. Dieser hat seine ärztlichen Berufspflichten in vielfacher Hinsicht grob verletzt. Sein Verhalten ist geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität des Arztberufes ernstlich zu beschädigen.
28Von der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Haft bereits nach der Hälfte der Strafverbüßung würde für die Allgemeinheit ein unverständliches Signal ausgehen. Die Vollstreckungsgerichte haben deutlich zu machen, dass grobe Verletzungen der ärztlichen Berufspflichten, durch die Leib und Leben von Patienten aufs Spiel gesetzt werden, von der Rechtsordnung mißbilligt werden.
29Der Senat hält daher eine Halbstrafenaussetzung nicht für vertretbar.
30Auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hin war die angefochtene Entscheidung mithin abzuändern und die Aussetzung der Vollstreckung nach hälftiger Strafverbüßung abzulehnen.