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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Januar 2003 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die auf der Grundlage der Anordnung des Antragsgegners vom 22. Januar 2002 erfolgte Errichtung eines Sperrpfostens auf dem Beginn des Wirtschaftsweges "Reitweg" in F. -U. wird angeordnet.
Die Vollziehung der Anordnung des Antragsgegners wird aufgehoben.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Antragsverfahren auf 2.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
2Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Dem Antragsteller ist einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren.
3Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Bei der durch Aufstellung des Sperrpfostens bekannt gegebenen verkehrsregelnden Anordnung des Antragsgegners vom 22. Januar 2002 (§§ 45 Abs. 1, Abs. 3, 43 Abs. 1 S. 1 StVO) handelt es sich um eine Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG, die mit dem Widerspruch bzw. mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann.
4Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Januar 1996 - 25 A 2475/93 -, NZV 1996, 293, m.w.N.
5Die Anordnung zur Errichtung eines abschließbaren Sperrpfostens ist darauf gerichtet, eine konkrete örtliche Verkehrssituation zu regeln, indem sie gegenüber den Verkehrsteilnehmern die Benutzung des Wirtschaftsweges beschränkt bzw. verbietet. Die Bekanntgabe der verkehrsregelnden Anordnung erfolgt durch Aufstellung des Sperrpfostens (§ 41 Abs. 3 VwVfG). Ein Sperrpfosten ist eine Verkehrseinrichtung (§ 43 Abs. 1 StVO), deren Regelungen den allgemeinen Verkehrsregeln vorgehen (§ 43 Abs. 2 StVO); ihr kann ein ähnlicher Regelungsgehalt wie Verkehrszeichen zukommen (§ 45 Abs. 2 S. 4, Abs. 4, 1. Hs. StVO). Die hier mit Aufstellung eines abschließbaren Sperrpfostens getroffene Anordnung enthält entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine über das bereits mit dem Verkehrszeichen 260 mit Zusatzzeichen 1026-36 (landwirtschaftlicher Verkehr frei) angeordnete Verkehrsverbot hinausgehende Regelung, weil die Zufahrt zum Wirtschaftsweg auch für den landwirtschaftlichen Verkehr nur noch mit dem entsprechenden Schlüssel möglich ist. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Entscheidung des 23. Senats des erkennenden Gerichts zu einer Wegsperrung durch zwei Trennpfähle (OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 1999 - 23 B 2701/98 -) betraf eine Baumaßnahme im Rahmen der Straßenbaulast und ist auf den vorliegenden Fall einer straßenverkehrsrechtlichen Anordnung nicht übertragbar.
6Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers entfällt entsprechend § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Nach ständiger Rechtsprechung ist § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf verkehrsregelnde Anordnungen entsprechend anwendbar, weil sich die von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen ausgehenden Gebote oder Verbote prinzipiell nicht von unaufschiebbaren Anordnungen oder Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten unterscheiden, an deren Stelle sie gleichsam treten.
7Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1988 - 7 B 189/87 -, NJW 1988, 2814.
8Der Antragsteller ist auch antragsbefugt. Verkehrsteilnehmer und Anlieger können gegenüber dem Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung als eine Verletzung ihrer Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch sie treffende Verkehrsregelung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben oder ihre Belange seien ermessensfehlerhaft mit den für die Anordnung sprechenden öffentlichen oder privaten Interessen abgewogen worden.
9Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 - 11 C 35/92 -, BVerwGE 92, 32.
10Hiernach ist der Antragsteller antragsbefugt, weil sein Interesse an der unbeschränkten Nutzung des Wirtschaftswegs als Querverbindung zwischen den Ortsteilen F. und U. und an der Erschließung der von ihm bewirtschafteten Ackerparzellen vom Antragsgegner zu berücksichtigen ist und der Antragsteller geltend macht, diese Interessen seien nicht hinreichend beachtet worden.
11Der Antrag ist auch begründet. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug der angegriffenen Anordnung und dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung vorerst verschont zu bleiben, fällt zugunsten des Antragstellers aus, denn die angegriffene Verkehrsregelung ist erkennbar rechtswidrig.
12Rechtsgrundlage für die Aufstellung des Sperrpfostens ist § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO. Aus der Anordnung an die Gemeinde F. vom 22. Januar 2002 ergibt sich, dass nicht eine endgültige Regelung, sondern lediglich eine versuchsweise Sperrung des Wirtschaftsweges mit einem abschließbaren Sperrpfosten in einem Versuchszeitraum "bis mindestens ins Frühjahr hinein" beabsichtigt war. Mit den Schreiben vom 23. Mai 2002 und 12. Juli 2002 wies der Antragsgegner auf den Inhalt dieser Anordnung hin und forderte die Gemeinde F. auf, den zwischenzeitlich entfernten Sperrpfosten wieder aufzustellen. Eine Anordnung zur Aufhebung der Verkehrseinrichtung wurde nicht getroffen.
13Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. Die Vorschrift setzt, ebenso wie die straßenverkehrsrechtliche Generalklausel des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, voraus, dass eine konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt. Handelt es sich - wie es hier mit der Sperrung des Wirtschaftsweges durch einen abschließbaren Sperrpfosten der Fall ist - um eine Beschränkung des fließenden Verkehrs, muss aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage bestehen, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den Abs. 1 bis 8 genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO). Der Senat lässt offen, ob eine solche straßenverkehrsrechtliche Gefahr für die Anlieger des Reitwegs vorliegt, denn der Antragsgegner hat jedenfalls das ihm eröffnete Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil er von seinem Ermessen nicht bzw. nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 114 S. 1 VwGO).
14Die Ermächtigung für Verkehrsbeschränkungen zu Erprobungs- und Forschungszwecken ist für solche Fälle vorgesehen, in denen eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung vorliegt und noch geklärt werden muss, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind. Wenn eine Gefährdung für eines oder mehrere der in § 45 StVO bezeichneten Schutzgüter festgestellt worden ist, dann kann eine effektive Bewältigung der dadurch entstandenen Verkehrsprobleme regelmäßig nur auf der Grundlage einer möglichst exakten Ursachenforschung erfolgen. Ferner besteht oftmals behördlicher Ermittlungsbedarf auch hinsichtlich der Folgewirkungen, die die einzelnen zur Gefahrenabwehr in Betracht kommenden Maßnahmen auf das übrige Straßennetz und die dort unter Umständen betroffenen Anlieger haben werden.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Dezember 1995 - 25 B 2750/95 -, NVwZ 1996, 929.
16Aus dem Erprobungscharakter der auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO gestützten Maßnahmen folgt, dass diese grundsätzlich zeitlich beschränkt sind. Es kann dahinstehen, ob, wofür viel spricht, die Maßnahme von vorneherein zu befristen (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG) ist.
17Vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage, § 45 StVO Rn. 32; VG Koblenz, Urteil vom 19. April 1993 - 3 K 748/92.KO -, DAR 1993, 310, 312.
18Jedenfalls ist hier die zulässige Zeitdauer für eine Erprobungsmaßnahme überschritten. Welcher Zeitrahmen für die Erforschung oder Erprobung im Einzelfall zuzugestehen ist, hängt entscheidend von dem Ziel der Erforschung oder Erprobung ab. Selbst wenn im vorliegenden Fall die Testphase die jahreszeitlichen Veränderungen des landwirtschaftlichen Verkehrs vollständig einschließen sollte, kann jedenfalls nach Ablauf von jetzt 21 Monaten von einer Probemaßnahme im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO nicht mehr die Rede sein.
19Sofern der Antragsgegner mit seinen auf die Anordnung vom 21. Januar 2002 gestützten Aufforderungen an die Gemeinde F. vom 23. Mai 2002 und 12. Juli 2002, den Sperrpfosten wieder aufzustellen, eine endgültige Maßnahme nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO hat treffen wollen, wäre diese Anordnung ermessensfehlerhaft. Bei der Entscheidung über eine verkehrsregelnde Anordnung nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO hat die zuständige Straßenverkehrsbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessen sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen etwa betroffener Anlieger in Rechnung zu stellen. Die Anordnung des Antragsgegners lässt nicht erkennen, dass die Auswirkungen der Probesperrung auf den davon in erster Linie betroffenen landwirtschaftlichen Verkehr bei der Entscheidung berücksichtigt und mit den für die Errichtung eines abschließbaren Sperrpfosten sprechenden Belangen abgewogen wurden. In dem Schreiben des Antragsgegners vom 23. Mai 2002 an die Gemeinde F. wird einseitig auf die Bewertung der Anwohner und der Kreispolizeibehörde abgestellt.
20Da der Antragsgegner eine Abwägung ersichtlich nicht vorgenommen und insoweit sein Ermessen nicht betätigt hat, war eine Ergänzung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 114 Satz 2 VwGO nicht möglich. Die Vorschrift schafft die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass defizitäre Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen, dass das Ermessen erstmals ausgeübt oder die Gründe einer Ermessensausübung (komplett oder doch in ihrem Wesensgehalt) ausgewechselt werden.
21Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1999 - 6 B 133/98 -, NJW 1999, 2912.
22Für den Fall einer (erneuten) endgültigen Anordnung zur Errichtung des Sperrpfostens weist der Senat darauf hin, dass der Antragsgegner bei seinen Ermessenserwägungen nicht nur die Auswirkungen der Verkehrsregelung für die Landwirte zu berücksichtigen haben wird, die über einen Schlüssel für den Sperrpfosten verfügen, sondern die Interessen des gesamten betroffenen landwirtschaftlichen Verkehrs in Rechnung stellen muss. Für den übrigen - nach der Beschilderung grundsätzlich zulässigen - landwirtschaftlichen Verkehr wirkt der abschließbare Sperrpfosten nämlich wie ein Verbot der Benutzung des Wirtschaftsweges und zwingt zu einem Umweg.
23Die Aufhebung der Vollziehung der Anordnung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass effektiver Rechtsschutz sich im vorliegenden Fall nicht in der Anordnung der aufschiebenden Wirkung erschöpfen kann, sondern eine Beseitigung des Sperrpfostens erfordert.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
25Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.
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