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Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte trägt die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Der 1982 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an. Nach eigenen Angaben lebte er bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in Karabagh in der Provinz Ghazni. Gemäß seinem Herkommen war er schiitischer Moslem; im September 2005 wurde er jedoch in der evangelischen Kirchengemeinde D. -S. /I. getauft.
3Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland beantragte er im November 2001 die Gewährung politischen Asyls. Er gab an, Afghanistan verlassen zu haben, weil die Taliban ihn hätten verhaften wollen. Man habe ihm vorgeworfen, er besitze Waffen. Erstmals im Juli/August 2001 habe man nach ihm gesucht. Danach seien die Taliban einmal wöchentlich gekommen. Er habe sich in der Zeit versteckt gehalten. Die Taliban hätten immer nur nach einem Grund gesucht, die Hazara festzunehmen und zu belästigen.
4Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 15. Dezember 2003 ab, stellte fest, dass ein Abschiebungsverbot und Abschiebungshindernisse nicht vorliegen, und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise auf.
5Der Kläger hat dagegen Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat er sein Klagebegehren auf die Verpflichtung der Beklagten begrenzt, festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen.
6Zur Begründung dieses Klagebegehrens hat der Kläger u.a. unter Vorlage zweier handschriftlich verfasster Erklärungen, die er im Jahre 2004 seinem Prozessbevollmächtigten übersandt hatte, im Wesentlichen vorgetragen: In Afghanistan seien die Taliban wieder verstärkt aktiv. Er habe keinerlei familiären Kontakte nach Afghanistan. Er sei alleinstehend, seine Verwandten (Mutter und Geschwister) lebten in Teheran. Er habe sich vom muslimischen Glauben ab- und dem christlichen Glauben zugewandt. Er sei Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde D. -S. /I. und habe regelmäßig Kontakt zu dem betreuenden Pfarrer E. . Auch deshalb habe er in Afghanistan mit massiven Beeinträchtigungen bis hin zur Tötung zu rechnen. Ursächlich für seine Abwendung vom Islam seien die Gräueltaten moslemischer Extremisten u. a. gegen Angehörige des Hazara- Volkes. Diese hätten zu seiner Überzeugung geführt, dass die moslemische Religion nicht mehr die seine sein könne. Durch Fernsehen und Medien habe er das Christentum näher kennen gelernt, insbesondere durch die Sendungen "Stimme der Bibel" und "Bibel-TV". In Afghanistan habe er nicht die Freiheit gehabt, sich mit derartigen Gedanken zu beschäftigen. Etwa sechs oder sieben Monate nach seiner Einreise habe er sich erstmals mit Fragen der Religion und des Christentums beschäftigt. Ersten Kontakt mit dem Pfarrer der Gemeinde D. -S. /I. , Herrn E. , habe er durch Vermittlung seines Prozessbevollmächtigten bekommen. Er habe das Christentum als seine Religion angenommen, weil es für den Frieden eintrete und armen und schwachen Menschen helfe. Die zehn Gebote seien für ihn die wichtigsten Stellen in der Bibel.
7Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht antragsgemäß die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 2. bis 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 15. Dezember 2003 verpflichtet festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen, und das Verfahren eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Kläger ernsthaft zum Christentum konvertiert sei. Im Falle seiner Rückkehr müsse er angesichts der gerade auch in jüngster Zeit zunehmenden Islamisierung der afghanischen Gesellschaft mit einer Bestrafung bis hin zur Todesstrafe rechnen. Eine private und diskrete Ausübung des christlichen Glaubens im häuslich-privaten Bereich sowie die Teilnahme an Gottesdiensten abseits der Öffentlichkeit sei in der ausgeprägten Stammesmentalität in Afghanistan für den Einzelfall nicht möglich.
8Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung des Beteiligten führt dieser im Wesentlichen aus: Entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts drohe Konvertiten bei Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Ihnen sei eine private und diskrete Ausübung des christlichen Glaubens im häuslich-privaten Bereich möglich. Das Auskunftsmaterial biete keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für eine andere tragfähige Verfolgungsprognose. Der neue Glaube sei bei Rückkehr in das familiäre bzw. frühere Umfeld in Afghanistan zwar schwerlich zu verbergen, sodass durchaus mit Schwierigkeiten seitens der Angehörigen oder der früheren Umgebung zu rechnen sei. Letztlich hänge die Situation von Konvertiten aber nach der Auskunftslage davon ab, wo und unter welchen Umständen diese in Afghanistan lebten. Repressionen in städtischen Gebieten seien wegen der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften. Zwar sei eine ungehinderte Ausübung der Religion für Konvertiten in Afghanistan kaum möglich. In diesem Kontext komme es aber nicht auf die "offene Religionsausübung", sondern nur darauf an, dass das sog. "forum internum" gewahrt bleibe. Im Übrigen sei eine ernsthafte, aus einem inneren Bedürfnis heraus erfolgte und weittragende Gewissensentscheidung des Klägers nicht glaubhaft. Die dezidiert geäußerten Zweifel an der muslimischen Religion und die erste Annäherung an christliche Glaubensinhalte stünden in zeitlicher Nähe zur Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuches durch Beschluss vom 1. März 2004. In den handschriftlichen Ausführungen, die seinen Prozessbevollmächtigten veranlasst haben sollen, den Kontakt zur christlichen Gemeinde herzustellen, sei allein ausgeführt, dass er, der Kläger, keine religiös geprägte, sondern eine freie Person sein wolle, frei vom islamischen Recht. Weder in der englischen noch in der deutschen Darstellung sei von einem Interesse an einer anderen Religion die Rede. In dieses Bild füge sich ein, dass die erste Kontaktaufnahme mit einer christlichen Kirchengemeinde kaum vor Ende 2004 gelegen haben könne.
9Der Beteiligte beantragt,
10das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte beantragt,
12das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung schließt sie sich den Ausführungen des Beteiligten an. Ergänzend führt sie aus: Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung im November 2001 habe der Kläger Schwierigkeiten mit den Taliban behauptet. Es sei nur schwerlich nachvollziehbar, dass er nicht schon diese angeblich höchst persönlich erlittenen Maßnahmen zum Anlass für das vermeintliche Umdenken in Glaubensdingen genommen habe.
14Der Kläger beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Er verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt, ernsthaft zum christlichen Glauben übergetreten zu sein.
17Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen der Erklärungen des Klägers im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde der Stadt D. -S. und auf die in das Verfahren eingeführten Auskünfte verwiesen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung von Ziffern 2. bis 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 15. Dezember 2003 verpflichtet, festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Der Senat sieht im Ergebnis im Einklang mit dem Verwaltungsgericht die nach dieser Vorschrift maßgeblichen Anforderungen an die Feststellung einer begründeten Furcht vor Verfolgung mit Blick darauf als erfüllt an, dass der Kläger ernsthaft zum Christentum konvertiert ist und nicht zu erwarten steht, dass ihm auch nur eine private und diskrete Ausübung des christlichen Glaubens im häuslich-privaten Bereich ungefährdet möglich sein wird.
21Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Liegt eine solche Bedrohung vor, wird dem Ausländer nach Satz 6 der Vorschrift die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Anders als bei der Anerkennung als Asylberechtigter muss die Bedrohung hier nicht vom Staat oder einer staatsähnlichen Organisation ausgehen; Verfolgung ist vielmehr auch gegeben, wenn sie - unter näher bezeichneten Voraussetzungen - von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG. Gemäß dem nachfolgenden Satz 5 ist für die Feststellung des Vorliegens einer Verfolgung ergänzend auf die einschlägigen Regelungen der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004) zurückzugreifen.
22Da die Anerkennung als Flüchtling auf einer Vorstellung von der Zumutbarkeit der Rückkehr ins und des Aufenthalts im Heimatland beruht, ist maßgeblich einzustellen, ob der Betreffende seine Heimat verfolgt oder unverfolgt verlassen hat. Im ersten Fall gilt der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Flüchtlingsanerkennung rechtfertigt sich schon dann, wenn sich für den Betreffenden eine hinreichende Sicherheit vor erneuter, vergleichbarer Verfolgung nicht feststellen lässt. Andernfalls setzt die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass im Falle einer Rückkehr eine relevante Gefährdung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, d.h. wenn bei einer qualifizierten Betrachtungsweise die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist dabei eine wertende Betrachtungsweise, die auch die Schwere des befürchteten Verfolgungseingriffes berücksichtigt. Je schwerwiegender die mögliche Rechtsverletzung ist, desto weniger kann es dem Betroffenen zugemutet werden, sich einer Verfolgungsgefahr auszusetzen.
23Vgl. zu den Prognosemaßstäben: BVerwG, Urteile vom 1. November 2005 - 1 C 21.04 -, BVerwGE 124, 276, und vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243.
24Das zugrunde gelegt hat der Kläger Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 AuslG. Allerdings hat er Verfolgungshandlungen der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Art nicht schon wegen Umständen zu befürchten, die vor der Flucht zu einer Verfolgung geführt hatten. Wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt hat, bietet das Auskunftsmaterial insbesondere keine greifbaren Hinweise darauf, dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausreise relevante Übergriffe auf Leib, Leben und Freiheit schon allein in Anknüpfung an seine Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Hazara konkret zu befürchten hatte. Die geschilderte individuelle Nachsuche, wenn sie denn in der geschilderten Form erfolgt sein sollte, dürfte in der Suche nach Waffen begründet gewesen sein. Für eine ethnisch motivierte Schikane spricht nichts.
25Vgl. zur Lage der Hazara bezogen auf das Jahr 1999, insbesondere zum Zusammenhang zwischen den in den Jahren zuvor an Hazara begangenen Menschenrechtsverletzungen und den von allen Bürgerkriegsparteien rücksichtslos und massenhaft verübten Gewalttaten sowie die starke Beteiligung der Hesb-e-Wahdat am Widerstand gegen die Taliban: OVG NRW, Urteil vom 3. März 1999 - 20 A 2612/97.A -, juris, Rdn. 31.
26Im Übrigen bewegt sich die Gefahr, dass der Kläger in Anknüpfung an die konkret geschilderten Vorkommnisse vor der Flucht heute erneut vergleichbar behelligt wird, in Ansehung der in Afghanistan inzwischen erfolgten Veränderungen in den herrschenden Strukturen nicht einmal im Bereich der theoretischen Möglichkeit. Es deutet weiterhin nichts auf eine ethnisch begründete Verfolgung der Harzara als Gruppe hin. Seit dem Ende der Talibanherrschaft hat sich die Situation der ethnischen Minderheiten besonders für die traditionell diskriminierten Hazara insgesamt verbessert, auch wenn die hergebrachten Spannungen zwischen den Ethnien in lokal unterschiedlicher Intensität fortbestehen und auch immer wieder aufleben. Für gezielte Benachteilungen und Übergriffe gibt es keine Anknüpfungspunkte (Auswärtiges Amt Lagebericht - im Weiteren: AA - 07.03.2008).
27Dem entspricht es, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung befragt, welche Gefahren er bei einer Rückkehr nach Afghanistan für sich sieht, nicht etwa die Vorkommnisse vor seiner Flucht benannt und eine andauernde Gefahrenlage geltend gemacht hat. Vielmehr befürchtet er für seine Person relevante Übergriffe auf Leib oder Leben in Folge und in Anknüpfung an die nach seiner Flucht gewonnene religiöse Überzeugung und an die darin begründete christliche Taufe in der evangelischen Kirchengemeinde D. -S. /I. . Diese Furcht ist mit der mangels vergleichbarer, relevanter Vorverfolgung also zu fordernden beachtlichen Wahrscheinlichkeit begründet.
28Der bloße Umstand der erfolgten Konversion zum Christentum reicht für die Annahme einer Verfolgungswahrscheinlichkeit allerdings nicht aus. Denn zum einen kann nicht zugrunde gelegt werden, dass solcherart Geschehnisse, insbesondere der Akt einer Taufe, im Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bekannt werden. Zum anderen müssten sich in tatsächlicher Hinsicht für Afghanistan Fälle feststellen lassen, in denen es zu erheblichen Beeinträchtigungen kam, nachdem zwar eine Taufe und die Aufnahme in eine christliche Religionsgemeinschaft im Ausland stattgefunden hatten, der Glaube im Heimatland indes nicht weiter praktiziert wurde. Insofern liegt aber die Annahme nahe, dass gläubige Moslems in dem Verhalten im Ausland nur eine für die dortigen Verhältnisse vorteilhafte Taktik sehen. Für Gefahren in diesen Fällen gibt auch das Auskunftsmaterial nichts her. Dieses bezieht sich vielmehr nur auf eine Gefährdung von zum Christentum konvertierten Moslems, die ihren neuen Glauben im Heimatland leben und dort praktizieren. Sie haben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schwerste Übergriffe auf ihre Person im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie bis hin zum Tode schon dann zu gewärtigen, wenn ihr Abfall vom islamischen Glauben und der Übertritt zum christlichen Glauben im Familienverbund oder in der Nachbarschaft bekannt wird (1.).
29Vgl. ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris; Sächsisches OVG, Urteil vom 21. Oktober 2003 - A 1 B 114/00 - zur Gefährdungslage nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AsylVfG.
30Zur Vermeidung ihrer Gefährdung sind sie regelmäßig darauf verwiesen, dass sie ihre Religionszugehörigkeit selbst in diesem Lebensbereich leugnen und effektiv zu verstecken suchen. Stellt sich die Glaubensüberzeugung als identitätsprägend dar, was voraussetzt, dass der Glaubensübertritt auf einer aus einem inneren Bedürfnis heraus erfolgten Gewissensentscheidung beruht, ist mit dem Druck zu einem solchen Verhalten der menschenrechtlich geforderte Mindestbestand der Religionsfreiheit, zu der auch die Freiheit gehört, seinen Glauben zu wechseln, betroffen.
31Vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1994 - 2 BvR 1426/91 -, DVBl. 1995, 559; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9.03 -, BVerwGE 120, 16.
32Solchen Personen ist eine Rückkehr in die für sie bestehende besondere Gefahrenlage regelmäßig nicht zumutbar. Davon ist auch im Falle des Klägers auszugehen (2.).
331. In Auswertung des vorliegenden Auskunftsmaterials misst der Senat bei der für die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefährdung eines ernsthaften Konvertiten vom Islam zu Christentum gebotenen Gewichtung und Abwägung aller in diesem Zusammenhang maßgebenden Umstände den für eine relevante Verfolgung sprechenden Umständen ein größeres Gewicht bei als den dagegen sprechenden.
34Im Einzelnen gilt: Eine nennenswerte christliche Minderheit gab und gibt es in Afghanistan nicht. Möglichkeiten zur öffentlichen Ausübung der christlichen Religion in Gemeinschaft bestehen nicht. Die Zahl der Konvertiten ist seit jeher gering. Deren tatsächliche Situation ist weithin unbekannt. Sie versuchen ihr Bekenntnis aus Angst vor Übergriffen der Staatsorgane oder des sozialen Umfeldes, geheim zu halten. Selbst zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen Organisationen regelmäßig abgehalten werden, erscheinen sie aus Angst aufzufallen nicht (AA 07.03.2008, 22.12.2004). Diese Furcht ist angesichts der gegebenen gesellschaftlichen und politischen Strukturen objektiv begründbar. Die Sicherheitslage ist landesweit weiterhin sehr angespannt. Die Gesellschaftsstrukturen sind trotz der Verabschiedung einer vom Westen stark beeinflussten Verfassung nach wie vor islamistisch geprägt. Dabei herrscht eine ausgeprägte Gruppen- und Stammesmentalität. Die Menschenrechtssituation in Afghanistan verbessert sich nur langsam (AA 07.03.2008). Allerorten ist eine besondere Sensibilität festzustellen, was eine von außen herangetragene abweichende Prägung der Gesellschaft, vor allem was vermeintliche Angriffe gegen den Islam angeht. Die Notwendigkeit, sich dessen zu erwehren, wird praktisch nicht in Frage gestellt. Das Recht der Scharia beansprucht im Grunde in allen Landesteilen und Lebensbereichen Geltung. Die Apostasie wird demgemäß weiterhin als eines der schwersten Verbrechen empfunden, das den Tod verdient. Schwierigkeiten bei diesbezüglichen Auffälligkeiten ergeben sich nicht nur in der eigenen Familie, sondern auch in der weiteren Umgebung (Danesch 13.05.2004). Darüber hinaus stehen zugleich Maßnahmen durch Behörden bzw. Gerichte der erst im Aufbau befindlichen afghanischen Staatsorganisation zu befürchten; staatlicher Schutz gegen mit Apostasie begründete Übergriffe ist jedenfalls nicht zu erlangen. Denn der Islam ist Staatsreligion. Die in Art. 2 Absatz 2 der am 26. Januar 2004 von Staatspräsident Karsai unterzeichneten afghanischen Verfassung bestimmte Religionsfreiheit schützt Angehörige anderer Religionen; sie gilt nicht für Muslime (AA 07.03.2008). Des weiteren enthält die Verfassung den Vorbehalt, dass Gesetze nicht dem Glauben und den Bestimmungen des Islam zuwiderlaufen dürfen (Art. 3). Im Lichte dieses Vorbehaltes ist die in Art. 7 vorgeschriebene Gültigkeit der ratifizierten internationalen Verträge, auch die der Allgemeinen Menschrechtserklärung" zu sehen. Der Vorbehalt wird von den meisten afghanischen Juristen als Erfordernis der Konformität mit der Scharia ausgelegt (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht vom 03.01.2008). Dafür, dass sich die Verfassungswirklichkeit anders ausgestaltet, spricht nichts. Viele in der Justiz Tätige sind Imame oder Kleriker. Auch sonst sind Grund- und Menschenrechte unter praktizierenden Richtern weitgehend unbekannt und werden schon deshalb nicht angemessen berücksichtigt (Max-Planck-Institut a.a.O.). Die besondere Gefahrenlage, die sich im Falle der Apostasie ergeben kann, verdeutlichen einzelne Vorfälle, die zwar allein nach ihrer Zahl - zumal jeweils Besonderheiten einzustellen sein dürften - trotz der als klein anzunehmenden, jedoch nicht verlässlich zu ermittelnden Größe des Kreises möglicherweise Betroffener noch nicht zwingend auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit schließen lassen, aber unter gebotener Berücksichtigung der gesellschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten sowie des Gewichtes drohender Maßnahmen zu einer solchen Folgerung führen.
35So ist bereits Anfang 2003 die Bedrohung eines Kommandanten und seiner Frau bekannt geworden, die sich zum Christentum bekannt hatten. Die Bedrohung erfolgte durch Familienangehörige und Vertreter der konservativen Geistlichkeit (AA 21.06.2005). Im Jahre 2005 führte schon die Veröffentlichung eines Artikels des Chefredakteurs des monatlichen Magazins Huquq-e Zan", der u.a. zum Inhalt hatte, eine Abkehr vom Islam solle nicht als Verbrechen betrachtet werden, zu einer Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis wegen Blasphemie (AA 29.11.2005). Im März 2006 kam es zur Verhaftung eines im Flüchtlingslager in Pakistan zum christlichen Glauben übergetretenen Afghanen wegen Apostasie, der ein Angebot der Staatsanwaltschaft, die Anklage fallen zu lassen, wenn er wieder zum Islam zurückkehre, ablehnte. Die im Anschluss an seine Freilassung und Ausweisung erfolgte Parlamentsdebatte verdeutlicht, dass die Apostasie in weiten Teilen der Öffentlichkeit nicht nur religiös betrachtet, sondern zugleich als gesellschafts- und staatszersetzender Verrat gewertet wird, was die Dringlichkeit der Ahndung verstärkt (AA 07.03.2008). Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des afghanischen Parlamentes sprach von einer Verschwörung einer "ungläubigen Organisation", der einige fremde Staaten, eine Anzahl von Konvertiten und auch Parlamentsmitglieder angehören sollen. Der Stellenwert, den die Regierung Karzai der Einhaltung der Gebote des Islams einräumt, erschließt sich auch aus der im September 2003 erfolgten Genehmigung der Einsetzung eines zentralen islamischen religiösen Rates (Schura). Die Schura, in der Religionsgelehrte aller Provinzen vertreten sein sollen, umfasst rund 2.600 Mitglieder. Die Gelehrten sollen dafür Sorge tragen, dass die Gebote des Islam eingehalten werden. Des weiteren wurde eine Abteilung zur Überwachung der Einhaltung religiöser Vorschriften" mit fünf Unterabteilungen gegründet, die zwar nicht selbst über polizeiliche Befugnisse verfügt, aber doch u. a. die Unterrichtung der Bürger über die Rechte und Pflichten in der Gesellschaft auf der Grundlage des Islam gewährleisten soll (AA 07.03.2008). Drei weitere Fälle der Übergriffe wegen Apostasie sind dokumentiert. In zwei Fällen sollen sich die Betreffenden gezwungen gesehen haben, Afghanistan zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe 11.12.2006). Über den dritten Fall wird anlässlich einer Verhaftung unter dem Vorwurf eines Tötungsdeliktes berichtet; der Betreffende soll einen Mithäftling, von dessen christlichem Glauben er erfahren hatte, getötet haben (UNHCR Dezember 2007, 42). Im August 2006 ist es - was die Rigorosität in Glaubensangelegenheiten belegt - des Weiteren zur Ausweisung bzw. Zurückweisung einer großen Anzahl von Mitgliedern einer südkoreanischen christlichen Hilfsorganisation wegen - behaupteten - Missionierungsversuchen gekommen. Im Januar 2008 wurde ein Journalistikstudent vom örtlichen Gericht erster Instanz wegen Prophetenlästerung" zum Tode verurteilt. Dass hier noch abzuwarten bleibt, ob die Gerichte höhere Instanz das Urteil bestätigten werden und dass die afghanische Regierung auf entsprechende internationale Intervention signalisiert hat, sich der Bedeutung des Falles bewusst zu sein (AA 07.03.2008), ändert nichts daran, dass dieser Vorgang wie auch die anderen angeführten Vorfälle dokumentiert, in welch kritischer Sicherheitslage sich ein Moslem in Afghanistan sehen muss, der ernsthaft einen anderen Glauben angenommen hat. Dabei steigt die Gefahr zweifellos in dem Maße wie der Betreffende in seinem Bekenntnis bzw. mit seinen Ansichten mit Breitenwirkung auftritt und agiert. Dass selbst hierfür keine Fälle bekannt sind, in denen die Todesstrafe verhängt und anschließend auch vollstreckt worden wäre, rechtfertigt angesichts der geringen Zahl der Fälle und deren - nicht immer zu gewährleistender - Publizität mit politischen Reaktionen indes nicht der Schluss, dass allenfalls derjenige Verfolgungshandlungen der in § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Qualifikationsrichtlinie genannten Art ernsthaft zu befürchten hätte, der über die bloß private Religionsausübung hinaus missionarisch tätig wird. Angesichts der Schwere der im Ernstfall zu erwartenden Repressalien, der dargestellten vorherrschenden islamistischen Prägung sowie der besonderen Sensibilität weiter Teile der Bevölkerung und der herrschenden Strukturen betreffend Sachverhalte, bei denen Angriffe gegen den Islam vermutet werden, ist vielmehr auch denjenigen ernsthaften Konvertiten, die erwarten lassen, dass sie sich ohne volle Ausschöpfung des Schutzbereichs der Religion gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Qualifikationsrichtlinie darauf beschränken werden, ihrer neugewonnenen Religion gemäß geradlinig und ehrlich zu leben, praktisch nur für sich und im privaten Bereich auszuüben, nicht zuzumuten, sich der für sie gegebenen besonderen Gefahrenlage durch Rückkehr nach Afghanistan auszusetzen.
362. Davon ausgehend liegen für den Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vor. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der vom Kläger durch die Taufe vollzogene Glaubenswechsel vom Islam zum Christentum auf einer ernsthaften, aus einem inneren Bedürfnis heraus erfolgten Gewissensentscheidung beruht. Seine Überzeugungsbildung und Überzeugung sind dabei für ihn in einer Form identitätsprägend, dass ihn ein Verheimlichen oder Verleugnen oder die Aufgabe der neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung zu erwartender Repressalien in seiner sittlichen Person treffen würde, ihm deshalb nicht zugemutet werden kann und so auch im Sinne einer Prognose für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nicht von ihm zu erwarten ist.
37Der Kläger vermittelte dem Senat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck einer eher in sich gekehrten, ernsthaften Persönlichkeit. Er hat glaubhaft geschildert, wie er nach seiner Einreise im Bundesgebiet in sehr selbständiger Weise begonnen hat, sich mit Fragen der religiösen Grundlegung zu beschäftigen, sich erstmalig näher mit den Lehren des Islam sowie dessen Hintergründen und Wirkungen bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen in seinem Heimatland befasst sowie kritisch betrachtet hat und wie er sich dann den christlichen Lehren und Wertvorstellungen genähert und sie letztlich für sein Leben als maßstabbildend anerkannt hat. Nachvollziehbar und - zumal vor dem Hintergrund des Alters des Klägers bei der Ausreise - überzeugend hat er eingeräumt, dass ihn in Afghanistan im Grunde Fragen der Religion nicht bewegt hatten. Er ist im wesentlichen zur Moschee gegangen, weil man mitmachen musste. Seine Angehörigen waren religiös, aber die Religion und dadurch geprägtes Verhalten waren selbstverständlich und kein Thema zu Hause. Erste Zweifel kamen ihm zwar, als ihm bewusst wurde, dass in seiner Heimat Moslems gegen Moslems kämpften. Dass er angesichts der fundamentalistischen Verhältnisse in Afghanistan, seines Alters und seiner Umgebung dazu keine weiteren Fragen gestellt hat, lässt sich unmittelbar nachvollziehen. Anlass, in Deutschland angekommen sich unmittelbar mit dem Islam zu beschäftigen, hatte der Kläger ungeachtet der Notwendigkeit, sich in die fremde Situation einzufügen, und der dadurch bedingten Beanspruchung zunächst nicht; eine erste Distanzierung vom Islam und die fehlende Erwartung, in ihm Hilfe zu finden, zeigte sich allerdings darin, dass er entgegen der überwiegenden Anzahl der Moslems, die mit ihm im Asylbewerberheim sein Zimmer teilten, die religiös geforderten Gebete nicht weiter ausführte. Soweit der Kläger angibt, auf christliche TV-Programme gestoßen und darüber an Aspekte der christlichen Religion herangeführt worden zu sein, davon ausgehend selbstständig den Entschluss gefasst zu haben, eine christliche Kirche aufzusuchen, ist damit zwar ein eher ungewöhnlicher Weg beschrieben. Art und Inhalt seiner diesbezüglichen näheren Ausführungen lassen indes keine Zweifel daran aufkommen, dass er insoweit von etwas berichtet hat, was er selbst durchlebt und für sich selbst als wichtig erlebt hat. Das gilt vornehmlich mit Blick darauf, dass der Kläger insgesamt den Eindruck vermittelt hat, Dinge im Wesentlichen selbständig und mit sich selbst auszumachen. Zudem befand er sich nach seiner Flucht erklärtermaßen in einem Um- und Aufbruch. Das ist unmittelbar nachvollziehbar. Er wollte ein gänzlich neues Leben beginnen und war dabei - weil nach seinen glaubhaften Angaben ohne verwandtschaftliche Kontakte im Bundesgebiet - letztlich auf sich gestellt. Bezüge nach Afghanistan waren ebenfalls nicht mehr vorhanden. Dass über Satellit eine Bandbreite von Sendern zu empfangen ist, die - wie der von dem Kläger erwähnte Sender Bibel-TV" - mit einer durchaus missionarischen Zielsetzung und Aufmachung einherkommen, ist durch allgemein zugängliche Quellen, namentlich das Internet, belegt. Das gilt zugleich für den vom Kläger als einen Einstieg geschilderten Umstand, dass christliche Sendungen gerade auch auf Farsi, einer dem Kläger von seinem Herkommen geläufigen Sprache, gebracht werden. Eine solche Überleitung von der Sprache auf Interesse am Inhalt ist nachvollziehbar. Als Bekräftigung für die Ernsthaftigkeit, mit der der Kläger der Frage nach seiner religiösen Identität nachgegangen ist, ist auch der Umstand zu bewerten, dass er selbständig nicht nur die Kirche an seinem Wohnort aufgesucht hat, sondern anlässlich eines Besuchs bei einem Freund in H. auch die dortige Altstadtkirche. Die diesbezüglichen Schilderungen des Klägers wirkten lebensnah und überzeugend; Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Besuche dieser Kirche, die er im Übrigen bereits in den Taufgesprächen gegenüber Pfarrer E. angegeben hatte, wie dieser schriftlich bestätigt hat, nur vorgeschoben hat, fehlen. Auch den vom Kläger im Verlaufe des Jahres 2004 verfassten bzw. veranlassten Schreiben an seinen Prozessbevollmächtigen sind Hinweise auf eine bloß vorgeschobene Auseinandersetzung mit dem Islam als der eigenen religiösen Wurzel nicht zu entnehmen. Dem Umstand, dass in den Schreiben noch nicht konkret christliches Gedankengut ausgesprochen ist, ist kein Gewicht beizumessen; der Kläger befand sich in jener Zeit - wie sich auch aus seinen sonstigen stimmigen Schilderungen erschließt - erkennbar noch auf dem Weg. Das hat offensichtlich auch sein Prozessbevollmächtigter so gesehen. Er hat nicht schon das erste Anschreiben zum Anlass genommen, Kontakt zu dem ihm bekannten Pfarrer der Kirchengemeinde D. -S. /I. herzustellen. Das hätte indes bei bloß asyltaktischen Überlegungen nahegelegen. Der vom Beteiligten hervorgehobene zeitliche Zusammenhang der Schreiben des Klägers mit der im März 2004 erfolgten Entscheidung des Verwaltungsgerichts über sein Prozesskostenhilfegesuch ist ohne Aussagewert. In welchem zeitlichen Abstand zum Beschluss des Verwaltungsgerichts die Schreiben an den Prozessbevollmächtigen gegangen sind, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Kontaktaufnahme mit Pfarrer E. jedenfalls erfolgte erst Ende 2004. Zudem betraf die Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs allein den Anspruch auf Asylanerkennung, im Übrigen, also bezogen auf die Frage nach dem Vorliegen eines Abschiebungsverbotes war dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt worden, mithin vom Verwaltungsgericht eine hinreichende Erfolgsaussicht anerkannt worden. Eine sichere und zeitnahe Aufenthaltsbeendigung stand also keinesfalls in Rede. Es ist auch ohne Weiteres nachzuvollziehen, dass die wöchentlichen Gespräche mit dem Pfarrer, die ab Januar 2005 bis zur Taufe des Klägers im September 2005 regelmäßig stattfanden, ihn weitergehend in seiner Überzeugung geprägt haben, und Pfarrer E. die Ernsthaftigkeit des Wunsches des Klägers, in die christliche Gemeinschaft durch Taufe aufgenommen zu werden, vermittelt haben. Andernfalls hätte die Taufe kaum stattgefunden. Nach seinen überzeugenden Ausführungen hält der Kläger auch weiterhin Kontakt zu seiner Gemeinde. Aus der Zeit der Taufvorbereitung hat er Freunde, vor allem ältere Menschen, die er auch in der Kirche noch trifft. Des Weiteren pflegt er Kontakt mit anderen Konvertiten aus Afghanistan, namentlich aus den USA, über das Internet. Er verweist auf entsprechende Internetseiten (afghanmedia.com, watandar.com) mit Kontakt in die USA (Cordova, Tennessee). Dass der Kläger mit den wesentlichen Inhalten der christlichen Lehre vertraut ist, hat er bereits durch seine Angaben in der mündlichen Verhandlung erster Instanz dargelegt. Wie nachhaltig seine Abkehr von seinem Herkommen ist, belegen schließlich auch sein im Berufungsverfahren eingereichtes Statement und seine diesbezüglichen weiteren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung. Anlass für die nachhaltige Distanzierung ist die von ihm gesehene vorherrschende Einstellung des Islam zur Gewalt, zum Krieg und zur Stellung der Frau, die er so im Christentum, wie er es kennen gelernt hat, nicht sieht. Seine Einwände betreffen weiter die Integrität der Person des Religionsgründers Mohammed. Seine Ausführungen sind dabei weniger durch eine tiefere, intellektuelle Durchdringung religiöser Fragen und Einsichten gekennzeichnet, als von einer eher wenig distanzierten, sondern emotional bestimmten Empörung getragen. Stellt man Bildungsstand und Herkunft des Klägers sowie seine keineswegs oberflächliche, doch schlichte Denkungsweise ein, die ihm nach dem Eindruck, den er in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, eigen ist, dann ist das indes nicht weiter nachteilig. Durchgreifende Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner im Grunde erstmals und in eigener Entschließung gewonnenen religiösen Einstellung und deren Identitätsprägung lassen sich daraus nicht ableiten. Der Senat ist vom Gegenteil überzeugt.
38Davon ausgehend ist der Senat ferner überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan versucht sein wird, seinen christlichen Glauben dort zu leben und jedenfalls im Privaten zu praktizieren. Dies wird ihn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Störer oder Gegner der Strukturen prägen und hervorheben und -- wie sich aus den Ausführungen zu 1. ergibt - zu Verfolgungshandlungen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 9 Qualifikationsrichtlinie führen. Eine Rückkehrsituation, welche die Gefahrenlage für den Kläger deutlich relativieren könnte, ist nicht festzustellen. Das gilt unabhängig davon, dass für ihn das Risiko, schon im familiär-häuslichen Bereich als Störer oder Gegner der Strukturen zu erscheinen, letztlich mangels Bezugspersonen ausfällt und ihm die Möglichkeit bleibt, nicht in seinen Herkunftsort zurückzukehren, sondern die Anonymität der Großstadt Kabul zu suchen, in der Repressionen gegen Konvertiten weniger zu befürchten sein dürften als in Dorfgemeinschaften. Denn auch dort bleibt die Sicherheitslage für überzeugte Konvertiten wie den Kläger prekär. Es ist nicht zu sehen, dass es dem Kläger gelingen könnte, ohne im Kern seiner Persönlichkeit betroffen zu werden, in seinem näheren Umfeld seinen Glaubenswechsel auf Dauer zu verheimlichen. Sein Herkommen als schiitischer Moslem erschließt sich für seine soziale Umgebung aus seiner augenfälligen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Die christliche Lebensführung auf Gebete und Gottesdienste zu beschränken, für die Heimlichkeit in Betracht kommt, greift zu kurz. Es geht um die Respektierung bestimmter Werte und daraus folgendes Verhalten - etwa Frauen gegenüber - und allgemein um den Umgang mit anderen Menschen. Erster Anstoß für ein Auffallen seiner Abkehr vom Islam wird sein, dass es dem Kläger schwerlich möglich und zumutbar ist, sich an den islamischen Gebeten und sonstigen religiösen oder religiös geprägten Gepflogenheiten zu beteiligen. Dies führt regelmäßig allein zwar nicht zu schwerwiegenden Konsequenzen, die einer Verfolgungsmaßnahme nahe kommen könnten. Indes können sich daraus jederzeit gerade auch im nachbarschaftlichen Verhältnis Nachfragen ergeben, wie auch aus anderen sozialen Kontakten heraus. Es ist dem Kläger - zumal mit Blick auf die erkennbar gewordene einfache Persönlichkeitsstruktur - nicht zuzutrauen, einschlägigen Nachfragen so zu begegnen, dass er nicht zugleich seine Abkehr vom Islam und Elemente des christlichen Glaubens verrät. Konstante und konsequente Verstellung und Lügerei wäre ihm auch nicht zumutbar, weil ihn das, wie dargelegt, im Kern seiner Persönlichkeit treffen würde.
39Nach alledem rechtfertigt sich die im angegriffenen Urteil ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen. Die Berufung des Beteiligten ist zurückzuweisen.
40Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gründe, die Revision zuzulassen, § 132 Abs. 2 VwGO, liegen nicht vor.
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