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Bei der Mitwirkung Privater an der Erstellung von Verwaltungsakten kann es sich um eine grundsätzlich zulässige Verwaltungshilfe handeln.
Wird ein "Bescheid" von einem Privaten, wenngleich ggf. auch auf Anweisung und im Namen der Behörde, erlassen und tritt dieser Private nach außen als Entscheidungsträger in Erscheinung, liegt ein Scheinverwaltungsakt vor.
Gemäß § 77 Abs. 1 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 VO VwVG NRW wird die Zahlungspflicht zum Ersatz von Auslagen, die der Behörde im Rahmen der Ersatzvornahme oder Sicherstellung entstanden sind, bereits mit ihrer Entstehung, d.h. mit der Vornahme des Abschleppvorgangs fällig.
Zahlt ein Betroffener auf eine noch nicht fällige Gebührenforderung an die Behörde, so steht § 813 Abs. 2 BGB seinem Rückforderungsanspruch jedenfalls dann entgegen, wenn die Behörde die Herausgabe des abgeschleppten Fahrzeuges von der Leistung einer Sicherheit bis zur Höhe der voraussichtlich festzusetzenden Kosten (Auslagen und Gebühren) abhängig machen kann
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. April 2019 geändert.
Es wird festgestellt, dass der „Leistungs- und Gebührenbescheid“ vom 30. Juli 2018 kein Verwaltungsakt ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Kosten einer Abschleppmaßnahme.
3Mitarbeiterinnen der Beklagten beauftragten am 29. Juli 2018 um 11:53 Uhr ein Abschleppunternehmen mit dem Abschleppen des von der Klägerin gehaltenen Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen N. . Zu diesem Zeitpunkt war das Fahrzeug an der V.---------straße in E. auf dem Sonderweg für Radfahrer und Fußgänger (Verkehrszeichen 241) geparkt. In dem Abschleppbericht wurde vermerkt, dass eine Behinderung des Sonderwegs vorgelegen und eine Restbreite von 1,30 m bestanden habe. Das Abschleppunternehmen führte die Maßnahmen durch und verbrachte das Fahrzeug auf sein Betriebsgelände.
4Am 30. Juli 2018 holte ein Mitarbeiter der Klägerin das Fahrzeug bei dem Abschleppunternehmer ab. Dieser händigte einen Leistungs- und Gebührenbescheid selben Datums aus, der den Briefkopf der Beklagten und im Unterschriftsfeld einen Stempel des Abschleppunternehmens sowie die Signatur eines Mitarbeiters des letzteren trug und einen Gesamtbetrag in Höhe von 264,78 EUR auswies. Dieser Betrag setzte sich aus Abschleppkosten in Höhe von 177,61 EUR – bestehend aus 143,25 EUR für die vollzogene Abschleppmaßnahme an Sonn- und Feiertagen sowie 6,00 EUR Standgeld für insgesamt zwei Kalendertage zuzüglich Mehrwertsteuer - und einer reduzierten Verwaltungsgebühr in Höhe von 87,17 EUR zusammen. Die Klägerin zahlte den Betrag. Zugleich erstellte das Abschleppunternehmen eine an die Klägerin adressierte Rechnung in Höhe von 177,61 EUR.
5Die Klägerin hat am 27. August 2018 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Der Bescheid verstoße gegen das Bestimmtheitserfordernis, da die erlassende Behörde nicht eindeutig zu erkennen sei. Ausweislich des Briefkopfes solle als Behörde die Beklagte gehandelt haben. Nicht ersichtlich sei jedoch, welche Funktion der Abschleppunternehmer wahrnehme. Auch sei das Verkehrszeichen 241 „Getrennter Rad- und Gehweg“ rechtswidrig, da keine Abgrenzung zwischen den Verkehrsflächen zu erkennen sei. Durch den Parkvorgang sei auch keine Behinderung des Fußgänger- und Radverkehrs eingetreten, da noch 2 m Platz bis zur Straße verblieben seien. Schließlich werde an dieser Stelle häufig so geparkt, ohne dass die Beklagte einschreite.
6Die Klägerin hat beantragt,
7den Leistungs- und Gebührenbescheid der Beklagten vom 30. Juli 2018 aufzuheben.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Der Abschleppunternehmer sei als Verwaltungshelfer tätig geworden. Die konkrete Höhe der zu stellenden Forderung sei vorab in einem Preisblatt (8.1 der Vergabeunterlagen zur Sicherstellung und Verwahrung verbotswidrig geparkter Fahrzeuge im StadtgebietE. ) sowie in einer gesonderten Aufstellung betreffend die Verwaltungsgebühren bei Abschleppmaßnahmen durch die Beklagte festgelegt worden. Das Befahren, Halten und Parken auf dem Sonderweg sei für Kraftfahrzeuge ausdrücklich verboten. Aufgrund der konkreten Parkweise des Fahrzeugs der Klägerin sei lediglich eine Restbreite von 1,30 m verblieben, so dass ein gleichzeitiges Passieren des Fahrzeugs durch Fußgänger und Radfahrer nicht möglich gewesen sei. Aufgrund der unmittelbaren Nähe eines Waldstücks sei auch mit Passanten zu rechnen gewesen. Schließlich habe sie im streitgegenständlichen Bereich seit Januar 2016 Fahrzeugsicherstellungen angeordnet.
11Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. April 2019 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Leistungs- und Gebührenbescheid vom 30. Juli 2018 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Abschleppmaßnahme sei nicht zu beanstanden. Insbesondere sei das Verkehrszeichen wirksam und die Abschleppmaßnahme verhältnismäßig gewesen, da das Fahrzeug der Klägerin zum einen derart auf dem Sonderweg geparkt habe, dass lediglich eine Restbreite von 1,30 m verblieben sei, und zum anderen hiervon eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgegangen sei. Gegen die Belastung der Klägerin mit den Kosten der Maßnahme bestünden auch im Hinblick auf die Eintragung der einzelnen Beträge (Abschleppkosten und Verwaltungsgebühren) durch Mitarbeiter des Abschleppunternehmers keine rechtlichen Bedenken. Die Ausfertigung des Bescheids sei als reine Hilfstätigkeit zu qualifizieren, der Abschleppunternehmer mithin lediglich als Verwaltungshelfer der Beklagten anzusehen. Die Beklagte habe dem Abschleppunternehmer im Voraus vorgegeben, welche Beträge und Gebühren im Einzelfall nach Weisung einzutragen seien, woran der Abschleppunternehmer sich ohne eigene Entscheidungskompetenz zu halten habe. Die alleinige Entscheidungskompetenz sei insoweit bei der Beklagten verblieben, als alle wesentlichen Voraussetzungen für den Erlass des Bescheids durch Mitarbeiter der Beklagten geprüft und im Abschlepp-Protokoll festgehalten worden seien. Dies habe auch hinsichtlich der Abschleppmaßnahme als solcher gegolten, da allein Mitarbeiter der Beklagten den Rechtsverstoß festgestellt und das Ermessen, ob das Fahrzeug der Klägerin abgeschleppt werden sollte, ausgeübt hätten.
12Zur Begründung ihrer durch den Senat mit Beschluss vom 11. März 2020 zugelassenen Berufung trägt die Klägerin vor: In dem von ihr zwischenzeitlich eingesehenen Vertrag zwischen der Beklagten und dem Abschleppunternehmer sei in § 1 Ziffer 1 vorgesehen, dass Fahrzeuge nur auf amtliche Anordnung der Beklagten abgeschleppt werden dürften, welche ausweislich des Akteninhalts nicht erfolgt sei. Der Abschleppunternehmer habe weiter einen Leistungs- und Gebührenbescheid nicht erlassen dürfen, da er insoweit ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hoheitliche Aufgaben nach außen hin wahrgenommen habe. Er habe den Bescheid ausgefüllt und unterschrieben an die Klägerin ausgehändigt habe. Weder für sie noch für das Verwaltungsgericht sei erkennbar gewesen, dass der Abschleppunternehmer konkret nach Weisungen gehandelt habe. Das Verwaltungsgericht habe den entsprechenden Tatsachenvortrag der Beklagten nicht überprüft. Ein Handeln ausschließlich nach Weisungen durch die Beklagte sei schon deshalb zweifelhaft, weil der Abschleppunternehmer auf Grundlage des Vertrages mit der Beklagten ein nicht näher vorab festgesetztes Standgeld selbständig anpassen und in Rechnung stellen dürfe, wobei die Richtigkeit der Höhe des Standgeldes für den Rechnungsadressaten nicht näher überprüfbar sei. Eine Überprüfung durch die Beklagte finde überdies nicht statt, da Unterzeichnung und Bekanntgabe des Bescheids ausschließlich durch den Abschleppunternehmer erfolgten. Jedenfalls liege in dieser Vorgehensweise ein Verstoß gegen § 37 Abs. 3 VwVfG NRW, da der Bescheid von dem Abschleppunternehmer entweder als Nichtberechtigtem oder aber ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage unterzeichnet werde. Überdies sei der angefochtene Bescheid auch materiell rechtswidrig. Mangels erkennbarer Abgrenzung zwischen den Verkehrsflächen sei das Verkehrszeichen gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW nichtig. Unabhängig davon habe das Verwaltungsgericht ohne nähere Beweisaufnahme eine Restbreite von 1,30 m auf dem Sonderweg angenommen und insoweit ohne nähere Ermittlung den widersprechenden Tatsachenvortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen.
13Die Klägerin beantragt sinngemäß,
14das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. April 2019 zu ändern,
15den Leistungs- und Gebührenbescheid der Beklagten vom 30. Juli 2018 aufzuheben und
16die Beklagte zu verurteilen, die auf Grundlage des Leistungs- und Gebührenbescheids vom 30. Juli 2018 erhobenen Kosten in Höhe von 264,78 EUR zurückzuerstatten.
17Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Die Berufung sei bereits unzulässig, da keine dem § 124a Abs. 6 VwGO genügende Berufungsbegründung vorliege. Im Übrigen nehme sie auf das angegriffene Urteil Bezug. Ergänzend trägt sie vor, der Abschleppunternehmer sei lediglich als Verwaltungshelfer tätig geworden. Sie habe die Gebühren für typische Fallgestaltungen unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Verwaltungsaufwands nach pflichtgemäßem Ermessen im Voraus festgelegt. § 5 des Abschleppvertrages zwischen ihr und dem Abschleppunternehmer sehe zudem vor, dass die Kostenabrechnung und die Vereinnahmung von Verwaltungsgebühren nach ihren Weisungen erfolgten. Überdies sei der angefochtene Bescheid formell rechtmäßig. Insbesondere seien die Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 VwVfG NRW gewahrt, da sie als Ausstellerin des Bescheids aus dem Briefkopf zu erkennen gewesen sei und die Unterschrift von dem Abschleppunternehmer als dem von der Behörde Beauftragten gestammt habe. Im Übrigen wäre ein Verstoß hiergegen gemäß § 46 VwVfG NRW als unbeachtlich anzusehen, da sie ansonsten ohne Verletzung der Formvorschrift des § 37 Abs. 3 VwVfG NRW einen identischen Gebührenbescheid erlassen hätte. Die Abschleppmaßnahme sei auch materiell rechtmäßig. Das Verkehrszeichen sei nicht nichtig, da weder ein besonders schwerwiegender Fehler vorliege noch dieser bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich sei. Die Restbreite von 1,30 m sei dem Abschleppbericht zu entnehmen. Dies sei jedoch insoweit unerheblich, als der Sonderweg hier mit Blick auf die erhöhte Geschwindigkeit von Radfahrern und die damit verbundenen Gefahren durch das Abstellen des klägerischen Fahrzeugs mehr als nur unwesentlich eingeengt worden sei. Darüber hinaus sei der Klageantrag zu 2. unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der Abschleppkosten und der Verwaltungsgebühr, da unabhängig von der Wirksamkeit des angefochtenen Bescheids die Forderung der Beklagten zum Zeitpunkt der Erfüllung auch ohne Bekanntgabe eines Kostenbescheids fällig gewesen sei. Hinsichtlich der Abschleppkosten bestehe überdies ein Zurückbehaltungsrecht bis zu deren vollständiger Bezahlung. Schließlich stehe einer Rückforderung der Klägerin wegen des Fehlens eines Bescheids auch die Regelung des § 813 Abs. 2 BGB entgegen.
20Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
23Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben, § 125 Abs. 1 Satz1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO.
24Die Berufung ist zulässig (I.), aber nur teilweise begründet (II.).
25I. Die Berufungsbegründung genügt dem Erfordernis des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Danach ist es erforderlich, dass der Berufungsführer nach Zulassung durch das Oberverwaltungsgericht die Gründe vorträgt, aus denen der Berufung stattzugeben sein soll. Dabei ist in dem Berufungsbegründungsschriftsatz eine konkrete Bezugnahme auf die Begründung eines Zulassungsantrages zulässig und ausreichend, wenn diese ihrerseits den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung genügt.
26Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Juni 1998– 9 C 6/98 –, juris, Rn. 10, vom 23. April 2001– 1 C 33/00 –, juris, Rn. 9, und vom 8. März 2004 – 4 C 6/03 –, juris, Rn. 18.
27Das ist hier durch den Schriftsatz des Klägers vom 19. Mai 2020 geschehen. Dieser Schriftsatz genügt mit seiner Bezugnahme auf das Vorbringen zur Berufungszulassung vom 29. Mai 2019 den Anforderungen des § 124a Abs. 6 VwGO, da hierin ausgeführt wurde, weshalb das angefochtene Urteil fehlerhaft gewesen und zu ändern sei.
28II. Die Berufung ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit sie sich gegen den Leistungs- und Gebührenbescheid richtet. Der streitgegenständliche „Leistungs- und Gebührenbescheid“ ist kein Verwaltungsakt (unter 1.b.). Diese Feststellung kann durch die Klägerin begehrt werden (unter 1.a.). Der mit der Anfechtungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO verbundene Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch auf Rückzahlung des geleisteten Betrags hat dagegen keinen Erfolg. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Erstattungsanspruch hinsichtlich der gezahlten Abschleppkosten (unter 2.).
291.a. Der von der Klägerin gestellte Antrag, der auf Aufhebung des Leistungs- und Gebührenbescheids gerichtet ist, enthält auch den zulässigen Antrag, festzustellen, dass es sich bei diesem Schreiben um einen Scheinverwaltungsakt handelt. Der Senat folgt insoweit der sowohl bei nichtigen Verwaltungsakten, wo dies schon aus § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO folgt, wie auch bei Nicht- bzw. Scheinverwaltungsakten ganz überwiegend vertretenen Auffassung, dass dem Adressaten eines solchen Akts grundsätzlich sowohl die Anfechtungs- als auch die Feststellungsklage als zulässige Klageart zur Verfügung steht. Schon aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ist es für den Bürger nicht zumutbar, die oftmals diffizilen Abgrenzungsfragen schon bei der Wahl der statthaften Klageart abschließend zu entscheiden.
30Allgemeine Auffassung, vgl. nur Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43, Rn. 67.
31Dies führt jedoch nicht dazu, dass das erkennende Gericht an die Fassung der Anträge gebunden wäre und einem formulierten Anfechtungsantrag zwingend mit einem Aufhebungstenor stattgeben müsste. Vielmehr ist, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich um einen Scheinverwaltungsakt handelt, diese Feststellung der zutreffende Tenor.
32So auch BVerwG, Urteil vom 21. November 1986 – 8 C 127.84 –, juris, Rn. 16; Pietzcker/Marsch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 39. Ergänzungslieferung 2020, § 42, Rn. 18; Möstl, in: Posser/Wolff, VwGO, 55. Edition 2020, § 43, Rn. 38; Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, VwGO, 55. Edition 2020, § 42, Rn. 22.
33Es nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Aufhebung eines Nichtakts verlangt werden können sollte. Dem Erfordernis effektiven Rechtsschutzes wird durch die zu bejahende Zulässigkeit der Anfechtungsklage Rechnung getragen. Die im Zivilrecht der Lehre von den Doppelwirkungen im Recht zugrundeliegenden Argumente für die Anfechtbarkeit eines nichtigen Rechtsgeschäfts – insbesondere Fragen der leichteren Beweisbarkeit eines Nichtigkeitsgrundes gegenüber einem zeitlich vorhergehenden Nichtigkeitsgrund bzw. die Vorteilhaftigkeit der Arglistanfechtung gegenüber anderen Nichtigkeitsgründen –,
34vgl. etwa Busche, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, § 142 Rn. 18,
35sind auf das Verwaltungsrecht nicht übertragbar.
36Für den Feststellungsantrag liegt auch das erforderliche Feststellungsinteresse vor, da der streitgegenständliche Leistungs- und Gebührenbescheid im Falle der Annahme der Verwaltungsaktqualität jedenfalls ein dem Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des gezahlten Geldes entgegenstehender Rechtsgrund ist.
37Für ein gemäß § 43 Abs.1 VwGO zu forderndes Feststellungsinteresse BVerwG, Urteil vom 21. November 1986 – 8 C 127.84 –, juris, Rn. 16.
381.b. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Der angefochtene Leistungs- und Gebührenbescheid, der im Briefkopf den Oberbürgermeister der Beklagten trägt und im Unterschriftsfeld einen Stempel des beauftragten Abschleppunternehmens und die Unterschrift eines Beschäftigten desselben ausweist, ist ein Scheinverwaltungsakt, da er nicht von einer Behörde im Sinne des § 35 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 VwVfG NRW erlassen worden ist. Behörde in diesem Sinne ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.
39Das Abschleppunternehmen hat hier nicht als Beliehener und damit als Behörde im Sinne der genannten Vorschriften gehandelt, mit der Folge, dass es selbst richtiger Klagegegner wäre. Weder das Abschleppunternehmen noch die Beklagte gingen ersichtlich davon aus, dass dem Abschleppunternehmen hoheitliche Aufgaben zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen waren. Eine solche Beleihung ist in Nordrhein-Westfalen gesetzlich nicht vorgesehen und wäre damit unzulässig.
40Vgl. allgemein nur BVerwG, Urteil vom 14. März 1969 – VII C 37.67 –, juris, Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 30. Juli 1980– 2 A 1824/79 –, juris, Rn 33; Kluth, in: Ehlers/ Fehling/Pünder, BesVerwR I, 4. Aufl. 2019, § 12 Rn. 33.
41Der Leistungs- und Gebührenbescheid ist auch nicht der Beklagten zurechenbar. Zwar kann es sich bei der Mitwirkung Privater an der Erstellung von Bescheiden – sofern diese Mitwirkung gewisse rechtliche Grenzen nicht überschreitet – um eine grundsätzlich zulässige Verwaltungshilfe handeln.
42Vgl. hierzu VG Köln, Urteil vom 24. Mai 2011
43– 14 K 1092/10 –, Städte- und Gemeinderat 2011, Nr. 9, 34; zum Ganzen: Gruneberg/Pieck, Gebührenerhebung für Dritte – Aktuelle Entwicklungen am Beispiel Nordrhein-Westfalen, GemHH 2013, 11 m.w.N.
44Werden diese Grenzen überschritten, ist indes nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern unter Umständen auch die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts Zweifeln ausgesetzt. Weist die betreffende Maßnahme eine Behörde als Entscheidungsträger aus, hat sie intern aber – auf Veranlassung der Behörde – ein Privater getroffen, ohne dass das maßgebliche Landesrecht dies zulässt, soll der Bescheid zwar wirksam, aber rechtswidrig sein.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 2011– 9 C 2/11 –, juris, Rn. 9; OVG Thüringen, Urteil vom 14. Dezember 2009 – 4 KO 482/09 –, juris, Rn. 29.
46Wird ein "Bescheid" letztlich von dem Privaten, wenngleich ggf. auch auf Anweisung und im Namen der Behörde, erlassen und tritt dieser Private nach außen als Entscheidungsträger in Erscheinung, handelt es sich dagegen sogar um einen Scheinverwaltungsakt,
47vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2006– 10 B 38.06 –, juris, Rn. 6, VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2009– 1 S 3263/08 –, juris, Rn. 15,
48der nicht in Bestandskraft erwachsen und auch nicht Grundlage einer Verwaltungsvollstreckung sein kann.
49Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2013 – 9 E 1060/12 –, juris, Rn. 16 ff.
50Dabei ist für die Abgrenzung von Scheinverwaltungsakt und Verwaltungsakt – anders als bei jener zwischen nichtigem Verwaltungsakt und „nur“ rechtswidrigen Verwaltungsakt – nicht entscheidend, dass der in dem Bescheid liegende Rechtsverstoß diesem gewissermaßen „auf die Stirn geschrieben steht“. Maßgeblich ist vielmehr zunächst das Inerscheinungtreten des privaten Dritten nach außen als Entscheidungsträger, da damit das für das Vorliegen eines Verwaltungsakts konstitutive Merkmal des Handelns „einer Behörde“ entfällt.
51Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35, Rn. 62, ausführlich Münkler, Nichtakt, 2015, S. 174 ff.
52Nach der auch im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel der §§ 133, 157 BGB ist hierfür der objektive Erklärungswert, d.h. wie der Betroffene selbst die Erklärung nach den ihm bekannten oder erkennbaren Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte bzw. musste, maßgebend.
53Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 35 Rn. 54.
54Die Auslegung nach dem sog. objektiven Empfängerhorizont beschränkt sich dabei nicht auf das äußere Erscheinungsbild und formale Äußerlichkeiten wie etwa den Kopf des Bescheids; vielmehr ist grundsätzlich der gesamte Inhalt des Bescheids einschließlich seiner Begründung heranzuziehen, um im Wege der Auslegung die erlassende Behörde festzustellen
55Vgl. OVG Thüringen, Urteil vom 14. Dezember 2009 – 4 KO 482/09 –, juris, Rn. 29.
56Gemessen hieran handelt es sich vorliegend um einen Scheinverwaltungsakt. Zwar weist dieser im Kopf des Bescheids den Oberbürgermeister der Beklagten als erlassende Behörde aus. Zugleich befindet sich jedoch im Unterschriftsfeld des Bescheids der Stempel des handelnden Abschleppunternehmens und die Unterschrift eines Mitarbeiters desselben. Die in den Bescheid eingetragenen konkreten Beträge sind weiterhin in einer anderen Schriftart als der Rest des Schriftstücks verfasst. Damit wird nach außen deutlich erkennbar, dass die Letztverantwortung für den Inhalt des Bescheids nicht bei der Beklagten, die den formularmäßigen Text zur Verfügung gestellt haben mag, sondern bei dem Abschleppunternehmen lag. Hierin unterscheidet sich die zu entscheidende Konstellation auch von Fällen, in denen sich lediglich aus dem textlichen Inhalt des Bescheids die – nach dem oben Dargestellten grundsätzlich mögliche – Mitwirkung eines privaten Dritten ergibt. Demgegenüber tritt der oben genannte Briefkopf als bestimmendes Merkmal erkennbar zurück.
572. Soweit die Klägerin die Rückerstattung der von ihr auf den „Leistungs- und Gebührenbescheid“ gezahlten Abschleppkosten und Verwaltungsgebühren in Höhe von 264,78 EUR verlangt, ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
582.a. Der auf Rückerstattung des an den Abschleppunternehmer gezahlten Betrags gerichtete Klageantrag ist zulässig. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann mit der Anfechtungsklage zugleich die Entscheidung über die Aufhebung der Vollzugsfolgen begehrt werden. Angesichts des oben dargestellten Gleichlaufs von Anfechtungs- und Feststellungsklage bei Scheinverwaltungsakten ist die Vorschrift nach Auffassung des Senats analog auch auf die Feststellungsklage gegen einen Scheinverwaltungsakt anzuwenden. Dieser Anspruch kann auch gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weitere Voraussetzungen erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht werden.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2003– 6 C 5.02 –, juris, Rn. 19, zur Revisionsinstanz.
60Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, wie es sich auswirkt, dass das Verwaltungsgericht in dem Urteilstatbestand des angegriffenen, ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteils den schriftsätzlich geltend gemachten Erstattungsanspruch der Klägerin nicht erwähnt hat und ob insoweit ein Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 119 Abs. 1 VwGO in Betracht gekommen wäre.
612.b. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht ein Rückzahlungsanspruch weder aus § 77 Abs. 4 Satz 1 VwVG NRW i.V.m. § 21 Abs. 1 GebG NRW noch aus einem gewohnheitsrechtlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu. Der von der Klägerin gezahlte Betrag ist nicht im Sinne des § 21 GebG NRW „zu Unrecht erhoben“ bzw. „ohne Rechtsgrund geleistet“. Dies gilt sowohl für die von der Klägerin gezahlten Auslagen (aa.) als auch für die von ihr gezahlten Verwaltungsgebühren (bb.).
62aa. Der Klägerin steht kein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der geleisteten Auslagen in Höhe von 177,61 EUR zu. Diese wurden nicht im Sinne des § 21 Abs. 1 GebG NRW zu Unrecht erhoben. Die Forderung war im Zeitpunkt der Zahlung durch die Klägerin aufgrund der Rechtmäßigkeit der Abschleppvornahme entstanden (1) und auch fällig (2).
63(1) Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW werden für Amtshandlungen nach diesem Gesetz nach näherer Bestimmung einer Ausführungsverordnung von dem Vollstreckungsschuldner oder dem Pflichtigen Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben. Dies findet gemäß § 77 Abs. 1 VwVG NRW i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 7, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 VO VwVG NRW auch auf das Abschleppen eines Kraftfahrzeugs in Form der Ersatzvornahme (bzw. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 VO VwVG NRW für die Form der Sicherstellung) Anwendung. Voraussetzung hierfür ist, dass die Amtshandlung rechtmäßig war. Dass das Fahrzeug der Klägerin rechtmäßig abgeschleppt wurde, hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend festgestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst gemäß § 130b Satz 2 VwGO auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug, die durch das Berufungsvorbringen nicht erschüttert werden.
64Insbesondere ist das der Abschleppmaßnahme zugrundliegende Verkehrszeichen 241 entgegen der in der Berufung erstmalig geäußerten Ansicht der Klägerin nicht gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW nichtig. Die Vorschrift entspricht dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass niemand zu objektiv unmöglichen Leistungen verpflichtet ist oder werden kann. Eine objektiv tatsächliche Unmöglichkeit liegt folglich nur dann vor, wenn niemand nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft oder Technik den Verwaltungsakt ausführen könnte.
65Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 44 Rn. 39.
66Dies gilt auch für solche Verwaltungsakte, die auf eine Unterlassung gerichtet sind. Insoweit beinhaltet das Verkehrszeichen 241 (Getrennter Rad- und Gehweg) auch das Verbot der Benutzung des Weges durch andere Verkehrsteilnehmer (lfd.-Nr. 20 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO). Von daher stellte das Verkehrszeichen auch ohne erkennbare Trennung zwischen Rad- und Gehweg jedenfalls hinsichtlich des streitgegenständlichen Parkverstoßes durch die Klägerin eine vollziehbare Anordnung dar, die durch die Klägerin objektiv tatsächlich ausgeführt werden konnte.
67Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass das parkende Fahrzeug Fußgänger und Fahrradfahrer bei der Benutzung des Weges behinderte. Die Restbreite des Gehwegs neben dem Fahrzeug von 1,30 Meter ist auf dem Abschleppbericht vermerkt. Aus den im Verwaltungsvorgang befindlichen Fotographien ergibt sich auch, dass das Fahrzeug mit Abstand zu beiden Seiten des Wegs geparkt war. Das Argument der Klägerin, ihr Auto sei ca. 2 Meter breit, so dass auf dem insgesamt 4 Meter breiten Gehweg noch eine ausreichende, zwei Meter breite Passiermöglichkeit verblieben sei, geht insofern offenkundig fehl.
68Nach dem Akteninhalt und dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs ist entgegen der Ansicht der Klägerin überdies nicht festzustellen, dass eine amtliche Anordnung der Abschleppmaßnahme nicht erfolgte. Erforderlich ist hierbei grundsätzlich, dass die Anordnung der Abschleppmaßnahme nach dem Grundsatz der sog. Selbstorganschaft durch Mitarbeiter der handelnden Behörde erfolgen muss.
69Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 59.
70Erforderlich, aber auch ausreichend ist es insoweit, wenn der jeweilige Mitarbeiter des Abschleppunternehmens bei einem Mitarbeiter der zuständigen Behörde in der Art und Weise Rücksprache hält, dass die Anordnung des Abschleppens der Behörde zugerechnet werden kann. Ausweislich des Abschleppberichts wurde der Auftrag an das Abschleppunternehmen durch Mitarbeiterinnen der Beklagten erteilt und unterschrieben sowie der Abschleppvorgang in einer gesonderten Stellungnahme durch diese Mitarbeiterinnen hinreichend dokumentiert.
71(2) Die Forderung der Beklagten war bezüglich der Auslagen auch fällig. Gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 VwVG NRW i.V.m. § 17 GebG NRW werden Kosten der Verwaltungsvollstreckung zwar grundsätzlich erst mit der Bekanntgabe der Kostenentscheidung an den Kostenschuldner fällig. Abweichend hiervon gilt gemäß § 77 Abs. 1 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 VO VwVG NRW jedoch, dass die Pflicht zum Ersatz von Auslagen, die der Behörde im Rahmen der Ersatzvornahme oder Sicherstellung entstanden sind, bereits mit ihrer Entstehung fällig wird, hier also mit der Vornahme der Handlung. Abweichend von dem allgemeinen Grundsatz ist die Fälligkeit dieser Forderung von der vorherigen Festsetzung durch Leistungsbescheid unabhängig.
72bb. Der Klägerin steht auch in Höhe der auf die Gebührenforderung gezahlten Summe in Höhe von 87,17 EUR kein Rückzahlungsanspruch zu.
73Die Gebührenforderung ist zunächst gemäß § 77 Abs. 5 i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 2 GebG NRW mit Beendigung des Abschleppvorgangs entstanden. Sie ist jedoch bis heute nicht fällig geworden, weil der Leistungs- und Gebührenbescheid, wie oben festgestellt, ein Scheinverwaltungsakt ist und eine spätere Gebührenfestsetzung, die gemäß § 17 GebG NRW Voraussetzung für die Fälligkeit ist, nicht erfolgte. § 77 Abs. 1 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 VO VwVG NRW findet nach seinem eindeutigen Wortlaut auf Verwaltungsgebühren keine Anwendung.
74Dem Anspruch steht jedoch die auch im öffentlichen Recht grundsätzlich entsprechend anwendbare Regelung des § 813 Abs. 2 BGB entgegen. Danach ist die Rückforderung ausgeschlossen, wenn eine betagte Verbindlichkeit, also eine solche, die zwar schon entstanden, aber noch nicht fällig ist, vorzeitig erfüllt wird. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, ein sinnloses Hin- und Herbewegen der Leistung zu vermeiden, wenn auf eine bereits bestehende, aber noch nicht fällige Schuld vorzeitig gezahlt wird.
75Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2003– 5 A 4466/01 –, juris, Rn. 29, VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Januar 2010– 1 S 484/09 –, juris, Rn. 23.
76Insoweit ist zwar davon auszugehen, dass eine entsprechende Anwendung des § 813 Abs. 2 BGB den Besonderheiten des öffentlichen Rechts dann widerspricht, wenn die endgültige Konkretisierung des behördlichen Zahlungsanspruchs nicht von vornherein feststeht, sondern von einer noch zu treffenden hoheitlichen Ermessensbetätigung abhängt.
77Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2003– 5 A 4466/01 –, juris, Rn. 29.
78Dies kann anzunehmen sein, wenn wie hier eine Rahmengebühr normiert ist, für deren Ausfüllung die gebührenerhebende Stelle eine Ermessensentscheidung zu treffen hat.
79Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob an der Auffassung festzuhalten ist, dass § 813 Abs. 2 BGB auf Zahlungen von Rahmengebühren vor deren Festsetzung schon dann anwendbar ist, wenn die Behörde die Verwaltungsgebühr nicht jeweils im Einzelfall bestimmt, sondern sich an dem für bestimmte Fallgruppen gebildeten durchschnittlichen Verwaltungsaufwand, den die Behörde hier in einer gesonderten Aufstellung im Voraus bestimmt hat, orientiert.
80So OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2003– 5 A 4466/01 –, juris, Rn. 29.
81Die Anwendbarkeit von § 813 Abs. 2 BGB folgt vorliegend jedenfalls daraus, dass die Behörde gemäß § 77 Abs. 5 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 2 VO VwVG NRW die Herausgabe des abgeschleppten Fahrzeuges grundsätzlich von der Leistung einer Sicherheit bis zur Höhe der voraussichtlich festzusetzenden Kosten abhängig machen kann.
82Der Begriff der „Kosten“ umfasst hierbei – abweichend von Begriffsbestimmungen in anderen Materien (vgl. etwa § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – entsprechend der Legaldefinition in § 77 Abs. 2 VwVG NRW auch die Verwaltungsgebühren. Zwar ordnet § 20 Abs. 4 Satz 1 VO VwVG NRW lediglich die sofortige Fälligkeit der Auslagenforderung an. Auch erfolgt die Normierung der Pflicht zur Sicherheitsleistung in § 20 Abs. 4 Satz 2 VO VwVG NRW und mithin in der Vorschrift über die Auslagen. Diese systematische Verortung führt jedoch nicht dazu, den Begriff der Kosten in § 20 Abs. 4 Satz 2 VO VwVG NRW entgegen der Legaldefinition teleologisch zu reduzieren. Es entsprach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, auch die Gebührenforderung in Abschleppfällen vom Zurückbehaltungsrecht zu erfassen. Der Landesgesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung zu § 77 Abs. 5 VwVG NRW aus:
83„dass auch bereits vor dem Zugang eines Kostenbescheides an den Verantwortlichen, die Herausgabe der Sache von einem angemessenen Vorschuss oder eine angemessene Sicherheitsleistung bis zur voraussichtlichen Höhe der noch festzusetzenden Kosten abhängig gemacht werden kann. Dieser Kostenbetrag wird in der Regel die bereits tatsächlich angefallenen Abschleppkosten und die Gebühr für die Verwaltungstätigkeit der Polizei umfassen“ (vgl. LT-Drs. 13/3192 S. 73 f.).
84Mit dieser Vorschrift bezweckt der Gesetzgeber explizit auch die Absicherung der Gebührenforderung in sogenannten Abschleppfällen. Er führt aus.
85„Da in einer hohen Zahl von Fällen gegen den späteren Kostenbescheid Widerspruch eingelegt wird und in vielen Fällen eine spätere Vollstreckung auch erfolglos bleibt, muss die öffentliche Hand für die Kosten aus unerlaubter Handlung oft über Jahre hinaus in Vorlage treten und in den Fällen der erfolglosen Vollstreckung wegen Vermögenlosigkeit des Schuldners sogar endgültig die Kosten tragen, obwohl der PKW als Pfandobjekt zur Verfügung gestanden hätte" (vgl. LT-Drs. 13/3192 S. 73 f.).
86§ 77 Abs. 5 VwVG NRW ist dabei auch nicht dahin zu verstehen, dass der Verordnungsgeber dazu verpflichtet wäre, die Pflicht zur Sicherheitsleistung und die Fälligkeit der entsprechenden Forderungen zwingend gemeinsam zu normieren. Vielmehr entspricht es dem Wesen einer Rahmengebühr, deren konkrete Höhe vor der behördlichen Festsetzung nicht abschließend feststeht, insoweit lediglich eine Pflicht zur Sicherheitsleistung anzuordnen. Hieran anknüpfend hat der Verordnungsgeber in § 20 Abs. 4 Satz 2 VO VwVG NRW für die Gebührenforderung eine Pflicht zur Sicherheitsleistung normiert, wobei sich die Höhe der Forderung in dieser Situation mangels verbindlicher Festsetzung durch die zuständige Behörde regelmäßig an der zu erwartenden Gebühr orientieren kann. Davon ausgehend sind neben den Auslagen auch die Gebühren von § 77 Abs. 5 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 2 VO VwVG NRW umfasst. Der Anspruch auf Zahlung einer Sicherheitsleistung nach § 77 Abs. 5 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 2 VO VwVG NRW knüpft dabei nicht an die rechtmäßige Festsetzung der Kosten, sondern an die Durchführung der Maßnahme an.
87War die Klägerin mithin verpflichtet, vor der Herausgabe des Fahrzeugs eine Sicherheit in entsprechender Höhe zu leisten, so kann sie – entsprechend der Wertung des § 813 Abs. 2 BGB – nicht allein, weil die Behörde (noch) keinen Gebührenbescheid erlassen hat, die gezahlte Summe wieder herausverlangen. Denn mit den Vorschriften des § 77 Abs. 5 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 2 VO VwVG NRW bringen Gesetz- und Verordnungsgeber deutlich zum Ausdruck, dass die Festsetzung der Gebührenhöhe, die im Zeitpunkt der Abholung des Fahrzeugs regelmäßig noch aussteht, nicht Voraussetzung dafür ist, dass von dem Betroffenen überhaupt eine Zahlung verlangt werden kann. Dieser ist zunächst, um spätere Beitreibungsprobleme zu vermeiden, verpflichtet, die Zahlung zu leisten. Im Anschluss steht es ihm offen, eine Abrechnung gegenüber der Behörde zu verlangen, in deren Rahmen sodann eine endgültige Gebührenfestsetzung zwingend erforderlich ist.
88Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
89Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.