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Der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2011 über die Festsetzung und Erhebung eines Ausgleichsbetrags wird aufgehoben, soweit der darin festgesetzte Ausgleichsbetrag den Betrag von 2.750 Euro übersteigt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 22 Prozent und die Beklagte zu 78 Prozent.
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Ausgleichsbetrag nach § 154 Abs. 1 des Baugesetzbuches (BauGB). Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
3Seit dem Jahre 1970 betrieb die Beklagte die Sanierung ihrer Stadtmitte. In seiner Sitzung vom 23. Dezember 1970 beschloss der Rat der Beklagten u.a. die Durchführung der Sanierung für das Gebiet des damaligen Bebauungsplans Nr. 10 "Stadtmitte". In der für die Sitzung erstellten Verwaltungsvorlage werden als Ziele der Sanierung genannt: Ordnung der Verkehrsverhältnisse, Schaffung eines Einkaufszentrums, Verbesserung der Wohnverhältnisse, Erhaltung und Pflege des historischen Baubestandes "Am Markt" sowie der Bau eines Bürgerhauses. In seiner Sitzung vom 26. April 1972 beschloss der Rat auf der Grundlage von § 5 des damaligen Gesetzes über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden (Städtbauförderungsgesetz - StBauFG -) die Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes der Stadt I1. "Stadtmitte". Am 17. Juli 1972 erteilte der Regierungspräsident B. die nach § 5 Abs. 2 StBauFG erforderliche Genehmigung, wobei er einige Auflagen formulierte, denen die Beklagte im Wege der Dringlichkeitsentscheidung vom 21. Juli 1972 beitrat. Die Dringlichkeit beruhte darauf, dass die Beklagte auf der Grundlage der Überleitungsvorschrift des § 93 Abs. 1 StBauFG die Sanierung ohne die nach § 4 StBauFG erforderlichen vorbereitenden Untersuchungen durchzuführen beabsichtigte. Am 26. Juli 1972 wurde die Satzung veröffentlicht; in seiner Sitzung vom 30. August 1972 genehmigte der Rat der Beklagten den Dringlichkeitsentscheid.
4Das Sanierungsgebiet umfasste einen Bereich, der sich auf einer Länge von etwa 500 m nordwestlich der Gleise der Bahnstrecke Siegen-Kreuztal-Erndtebrück erstreckte und in Richtung Nordwesten eine Ausdehnung von zum Teil mehr als 400 m hatte. In diesem Gebiet befinden sich insbesondere die ev. Kirche sowie ostwärts hiervon der I1 Markt. Dieser war seinerzeit Teil der Bundesstraße 508, die von Südwesten her über die C.----straße auf den Markt zulief und anschließend über die E.---straße eine östliche Richtung einschlug. Von Norden mündete über die heutige H.-----gasse die Landesstraße 728 in die Bundesstraße ein. Die Landesstraße setzte sich etwa 100 m nördlich des Marktes nach Westen über die S. Straße fort. Unmittelbar nördlich des Sanierungsgebiets befanden sich ausgedehnte Anlagen der "I1 Lederwerke und Pelzveredlung AG". Der Konkurs dieses Unternehmens im Jahre 1989 veranlasste den Rat der Beklagten, das Sanierungsgebiet "Stadtmitte" nach Norden zu erweitern. Die am 28. November 1990 beschlossene Satzung umfasst das Gelände zwischen der T2.-------straße im Westen und der Straße Im Unteren N1. im Osten; die Ausdehnung dieses Bereichs von Süden nach Norden beträgt etwa 350 m. Seither werden das im Jahre 1972 beschlossene Gebiet als Sanierungsgebiet I (SG I) und die Erweiterung als Sanierungsgebiet II (SG II) bezeichnet. Wegen der Umgrenzung des Sanierungsgebiets wird ergänzend auf die hier eingedruckte Karte Bezug genommen:
5(Quelle: Bezirksregierung Köln Abt. Geobasis NRW; Einzeichnung der Grenze des Gebiets durch das Gericht)
6Im Zuge der Sanierung wurden insbesondere die Bundesstraße 508 und die Landesstraße 728 verlegt. Die Bundesstraße verläuft nunmehr am südostwärtigen Rand des Sanierungsgebiets und im Wesentlichen parallel zur Bahnstrecke; die S. Straße (L 728) wurde nach Osten verlängert; etwa 300 m östlich der Kreuzung mit der T2.-------straße /H.-----gasse biegt sie nach Süden ab und mündet in die Bundesstraße ein. Nachdem zunächst beabsichtigt war, insbesondere den Markt und die E.---straße in Fußgängerzonen umzuwandeln, wurden diese Flächen später als verkehrsberuhigte Bereiche ausgebaut. Am Nordostrand des Marktes wurde ein neues Rathaus errichtet. Auf dem Gelände der ehemaligen Lederfabrik entstanden ein Einkaufszentrum (Gerberpark) sowie nördlich hiervon ein Altenheim. Von ursprünglich 67 zum Abriss vorgesehenen Gebäuden waren am Schluss 43 Objekte beseitigt. Erhaltenswerte Gebäude, darunter das dem erkennenden Gericht aus einem denkmalrechtlichen Verfahren (14 K 3438/10) bekannte Baudenkmal "Wilhelmsburg", wurden modernisiert. Es wurden mehrere öffentliche Parkplätze sowie fußläufige Verbindungen zwischen einigen Straßen hergestellt.
7Mit Vorlage Nr. 389 vom 27. Oktober 2006 berichtete der Bürgermeister der Beklagten dem Rat im Einzelnen die seit 1971 durchgeführten Sanierungsmaßnahmen. Mit einer weiteren Vorlage vom 22. Dezember 2006 empfahl der Bürgermeister dem Rat, die Sanierungssatzung aus dem Jahr 1972 in der im Jahre 1991 geänderten Fassung aufzuheben und Ausgleichsbeträge nach § 154 BauGB zu erheben. In seiner Sitzung vom 31. Januar 2007 fasste der Rat der Beklagten die entsprechenden Beschlüsse und er entschied zugleich, den Gutachterausschuss für Grundstückswerte beim Kreis Siegen-Wittgenstein mit der Feststellung der Anfangs- und Endwerte für die Erhebung der Ausgleichsbeträge zu beauftragen. Die Aufhebung der Sanierungssatzung wurde im Amtsblatt der Beklagten vom 19. Februar 2007 bekannt gemacht. Am 19. Mai 2009 beschloss der Gutachterausschuss in Erledigung des ihm von der Beklagten erteilten Auftrags das Gutachten Nr. 1379/2008 "Basiswerte als besondere Bodenrichtwerte". In seiner Ausarbeitung stellte der Gutachterausschuss zunächst fest, in dem hier interessierenden Sanierungsgebiet sei die Anwendung des Vergleichswertverfahrens nach § 13 Abs. 1 der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Wertermittlungsverordnung - WertV) nicht möglich, weil es an einer ausreichenden Zahl von Vergleichspreisen fehle. Deshalb wende er das Bodenrichtwertverfahren an, welches in § 13 Abs. 2 WertV genannt werde. Er werde so genannte "Basiswerte" ermitteln, die sich dadurch von den üblichen Bodenrichtwerten unterschieden, dass nicht die Werte für bestimmte lagemäßig beschriebene Grundstücke ausgewiesen würden, sondern Bodenwerte für bestimmte Zustandsmerkmale der Grundstücke im Sanierungsgebiet. Auf der Grundlage dieser Basiswerte seien in den Einzelgutachten die Anfangs- und die Endwerte für die jeweiligen Grundstücke zu ermitteln. In seinen weiteren Ausführungen zur Definition der Grundstückszustände differenzierte der Gutachterausschuss zunächst zwischen der Wohnnutzung und der Mischnutzung. Bei der Wohnnutzung unterschied er zum einen die Wohnlage und zum anderen das Wohnumfeld. Zur Wohnlage rechnete er die Merkmale Wohnruhe, Besonnung/Belichtung, Bausubstanz, Stellplatzangebot, Ausbauzustand der öffentlichen Verkehrs- und Grünflächen; mit dem Begriff Wohnumfeld wurden ausschließlich Verkehrslärmbelastungen sowie sonstige Störfaktoren, z.B. Gewerbeemissionen, erfasst. Sowohl hinsichtlich der Wohnlage als auch des Wohnumfelds bildete der Gutachterausschuss drei Qualitätsstufen, nämlich "gut = 1", "mittel = 2" und "schlecht = 3". Bei der Mischnutzung erörterte der Gutachterausschuss zum einen die Geschäftslage und zum anderen Wohnlage und Wohnumfeld. Die Zusammenfassung der Merkmale Wohnlage und Wohnumfeld rechtfertigte er mit der Überlegung, bei einem gemischt genutzten Objekt habe die Wohnsituation einen geringeren Einfluss auf den Bodenwert als bei einer reinen Wohnnutzung. In der Bewertung der Geschäftslage arbeitete der Gutachterausschuss erneut mit drei Qualitätsstufen ("gut = 1", "mittel = 2" und "schlecht = 3"), wobei er die Einordnung in diese Stufen an den Kriterien Kundenfrequenz, weitere benachbarte Geschäfte und Einrichtungen mit Kundenfrequenz sowie das Angebot an öffentlichen und privaten Stellplätzen vornahm. Neben diesen Merkmalen untersuchte der Gutachterausschuss zudem den Entwicklungszustand (§ 4 WertV) sowie den beitrags- und abgabenrechtlichen Zustand (§ 5 Abs. 3 WertV, §§ 127 Abs. 2, 128 Abs. 2 BauGB). Als Wertermittlungsstichtag (§ 27 Abs. 1 WertV) nahm der Gutachterausschuss den 5. Februar 2007 an. Um Kaufpreise aus davorliegenden Zeiträumen berücksichtigen zu können, stellte er aus vier bereits vorhandenen Bodenrichtwertreihen eine Bodenpreisindexreihe auf, beginnend am 1. Januar 1990 und endend am 1. Januar 2007. Der Gutachterausschuss wertete 52 Kaufpreise für unbebaute Grundstücke in I1. außerhalb der Sanierungsgebiete aus, die zwischen 1997 und 2006 gezahlt worden waren. Diese gliederte er hinsichtlich der Zustandsmerkmale "Wohnlage" und "Wohnumfeld" in vier unterschiedliche Qualitätsgruppen. Die Zwischenwerte für die übrigen Zustandsmerkmale errechnete der Gutachterausschuss mittels einer Regressionsanalyse und gelangte schließlich für die Wohnnutzung zu folgenden Bodenwerten (Quelle: Seite 51 des Gutachtens):
8Zur Ermittlung der Bodenwerte für Mischnutzungen konnte der Gutachterausschuss nicht ausschließlich auf den Bodenmarkt in I1. zurückgreifen, weil ihm aus dem Kernbereich lediglich zwei Kauffälle vorlagen. Deshalb untersuchte er den Grundstücksmarkt für Zentrumslagen und Mischnutzungen auch in C1. , G. und O. . Hierbei stellte er den durchschnittlichen Wert eines in guter bis mittlerer Geschäftslage und in mittlerer bis schlechter Wohnlage angesiedelten Grundstücks mit 125 EUR je Quadratmeter fest. Ausgehend hiervon berechnete der Gutachterausschuss die Bodenwerte für die weiteren Grundstückszustände, differenziert nach Geschäftslage und Wohnlage/Wohnumfeld, sowohl anhand der Roherträge als auch nach dem Mietsäulenverfahren. Auf diese Weise gelangte er im Ergebnis für die Mischnutzung zu folgenden Bodenwerten (Quelle: Seite 52 des Gutachtens):
9Bezüglich des beitrags- und abgabenrechtlichen Zustands stellte der Gutachterausschuss fest, bei zahlreichen im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücken sei eine Wertsteigerung durch die Verbesserung oder die Erweiterung der vorhandenen Erschließungsstraßen eingetreten. Diese Wertsteigerung ermittelte er anhand der "Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 des Kommunalabgabenge- setzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW) für straßenbauliche Maßnahmen der Stadt I1. " vom 24. März 2004 (im folgenden: SBS) und berücksichtigte die sich daraus ergebenden "fiktiven" Beiträge bei der Bestimmung der Anfangswerte der zur Zahlung eines Ausgleichsbetrags heranzuziehenden Grund- stücke. Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung I1. Flur Flurstück . Dieses 1.100 qm große Grundstück erstreckt sich südlich der S. Straße, die wenige Meter weiter ostwärts nach Süden abbiegt und in die Bundesstraße 508 einmündet. Im Süden grenzt das Grundstück an die E.---straße , die hier in einem Wendeplatz endet. Zwischen diesem Platz und der S. Straße verläuft südostwärts des Grundstücks E.---straße ein Fußweg. Das Flurstück ist mit dem Fachwerkhaus E.---straße bebaut, das als Wohnhaus genutzt wird. Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks, das früher als K.---straße 1/3, danach als G1.-------straße 1/3 bezeichnet wurde, befand sich zu Beginn der Sanierung ein Nebengebäude, das nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 10 Teilplan C "E.---straße " der Beklagten zu beseitigen war. In diesem Objekt war ein Handwerksbetrieb untergebracht, der im Zuge der Herstellung der S. Straße beseitigt wurde. Gleichzeitig wurde ein kleines Ladenlokal (Ausstellungsraum) entfernt. Der heutige Fußweg war seinerzeit Bestandteil der G1.-------straße , die von der damals noch durchgehend befahrbaren E.---straße (B 508) nach Nordosten abzweigte.
10In seiner Sitzung vom 12. Juli 2011 beschloss der Gutachterausschuss das Gutachten Nr. 1472/2011 für das Grundstück der Klägerin. Bei der Ermittlung des Anfangswertes stufte er die Grundstücksnutzung als Mischnutzung ein. Im Sinne der Definitionen aus dem Basiswertgutachten bewertete er die Wohnlage als "schlecht", das Wohnumfeld als "mittel - schlecht" und die Geschäftslage als "mittel", so dass sich nach der Tabelle "Basiswerte Mischnutzung" ein Anfangswert von 117,50 EUR/m² ergab. Diesen Betrag verminderte er um 1,25 EUR/m², weil die Tabelle keine Unterteilung von Wohnlage und Wohnumfeld treffe, die Differenz zwischen den Stufen "mittel bis schlecht" und "schlecht" 2,50 EUR/m² betrage, so dass sich bei gleicher Gewichtung der Wohnlage und des Wohnumfeldes eine Abweichung in Höhe der Hälfte dieses Betrages ergebe. Vom Anfangswert zog er zudem "fiktive Erschließungsbeiträge" (gemeint sind Straßenbaubeiträge im Sinne der Satzung vom 24. März 2004) in Höhe von 9,95 EUR/m² ab. Zur Ermittlung dieses Betrages erhöhte der Gutachterausschuss auf der Grundlage von § 4 Abs. 4 SBS die Fläche des Grundstücks (1.100 m²) angesichts des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung (2 Vollgeschosse) um den Faktor 1,25 und gelangte auf diese Weise zu einer "anrechenbaren Fläche" von 1.375 m². Diese multiplizierte er mit dem für die E.---straße maßgeblichen fiktiven Straßenbaubeitrag von 7,96 EUR/m². Das Produkt in Höhe von 10.945 EUR dividierte er durch die "bereinigte Grundstücksfläche" und stellte auf diese Weise einen fiktiven Erschließungsbeitrag in Höhe von 9,95 EUR/m² fest. Dadurch ergab sich ein Anfangswert von 106,30 EUR/m². Bei der Erfassung des Endwerts bewertete er die Wohnlage als "mittel", das Wohnumfeld als "schlecht" und die Geschäftslage als "mittel". Daraus ergab sich nach der Tabelle ein Endwert von 120,00 EUR/m². Diesen verminderte der Gutachterausschuss um 2,50 EUR/m², weil die Tabelle keine Unterteilung von Wohnlage und Wohnumfeld treffe, die Differenz zwischen den Stufen "mittel" und "schlecht" jedoch 5,00 EUR/m² betrage, so dass bei gleicher Gewichtung von Wohnlage und Wohnumfeld eine entsprechende Abweichung vorgenommen werde. Die Differenz aus Endwert und Anfangswert (11,20 EUR/m²) multiplizierte er mit der Fläche des Grundstücks, so dass sich eine sanierungsbedingte Bodenwerterhöhung von 12.320,00 EUR ergab. Mit Schreiben vom 30. September 2011 leitete die Beklagte der Klägerin das Wertgutachten zu und teilte Folgendes mit: Das Grundstück Gemarkung I1. Flur Flurstück liege im Bereich des ehemals förmlich festgelegten Sanierungsgebiets "Stadtmitte I1. ". Nach § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB habe der Eigentümer eines im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks zur Finanzierung der Sanierung einen Ausgleichsbetrag zu entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts entspreche. Ausgleichsbetragspflichtig sei derjenige, der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Sanierung Eigentümer des Grundstücks gewesen sei. Die sanierungsbedingte Erhöhung des Bodenwerts bestehe gemäß § 154 Abs. 2 BauGB aus dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre (Anfangswert), und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des Sanierungsgebiets ergebe (Endwert). Der Ausgleichsbetrag sei nach Abschluss der Sanierung zu entrichten; maßgeblicher Zeitpunkt für die Wertermittlung sei die rechtsverbindliche Aufhebung der Sanierungssatzung. Die Satzung vom 5. Februar 2007 über die Aufhebung der Sanierung sei am 19. Februar 2007 in Kraft getreten. Damit sei für das genannte Grundstück die Pflicht zur Leistung des Ausgleichsbetrags entstanden. Nach dem Wertgutachten betrage dieser 12.320,00 Euro. Vor der Festsetzung des Ausgleichsbetrags gebe sie - die Beklagte - gemäß § 154 Abs. 4 Satz 2 BauGB bis zum 4. November 2011 Gelegenheit zur Stellungnahme und Erörterung der für die Wertermittlung maßgeblichen Verhältnisse. Nach Ablauf der Frist sei beabsichtigt, den Ausgleichsbetrag festzusetzen. Daraufhin äußerte sich die Klägerin mit Schreiben vom 26. Oktober 2011. Sie setzte sich mit zahlreichen Punkten des Gutachtens auseinander und machte insbesondere geltend: Ihr Grundstück profitiere nicht von der neuen S. Straße. Vielmehr hätten sich durch die geänderte Verkehrsführung die Verkehrs-, Schmutz- und Lärmverhältnisse drastisch verschlechtert. Ihr Grundstück könne auch nicht der Mischnutzung zugeordnet werden, sondern es diene ausschließlich Wohnzwecken. Die gewerbliche Nutzung sei kurz nach der Festlegung des Sanierungsgebiets mit dem Tode ihres Vaters eingestellt worden. Seitdem finde reine Wohnnutzung statt. Der Wendeplatz vor dem Grundstück werde als Parkfläche missbraucht. Dadurch sei die Grundstückseinfahrt zur E.---straße seit vielen Jahren täglich blockiert. Aufgrund der Sanierung ergebe sich ein Mehraufwand an Pflege, weil durch die neue Verkehrsführung ein enormer Anstieg an Müll, Unrat und Hundekot festzustellen sei.
11Aufgrund des Schreibens der Klägerin beteiligte die Beklagte erneut den Gutachterausschuss, der unter dem 10. November 2011 eine Alternativberechnung vorlegte, wonach bei einer reinen Wohnnutzung der Ausgleichsbetrag sogar 22,45 EUR/m² betrüge. Auch in dem anschließenden Schriftwechsel blieben die unterschiedlichen Auffassungen der Parteien betreffend die sanierungsbedingte Werterhöhung des Grundbesitzes der Klägerin bestehen. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2011 setzte die Beklagte für das Grundstück der Klägerin einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 12.320,00 EUR fest. Sie bezog sich auf das Gutachten des Gutachterausschusses vom 12. Juli 2011, dessen Zahlenwerk sie übernahm. Im Übrigen verwies sie auf ihr Anhörungsschreiben vom 30. September 2011 und den anschließenden Schriftverkehr.
12Am 17. Januar 2012 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor: Bereits nach den eigenen Definitionen des Gutachterausschusses sei ihr Grundstück ausschließlich der Wohnnutzung zuzuordnen. Das heute vorhandene Objekt habe stets als Wohnhaus gedient; ein früheres Schreinereigebäude mit Ausstellungsraum sei bereits in den siebziger Jahren abgerissen worden. Weil eine Mischnutzung nicht zugrunde gelegt werden könne, sei der Bescheid bereits wegen der unzutreffenden Grundlage rechtswidrig. Durch die Neutrassierung der S. Straße habe sich die Wohnlage deutlich verschlechtert. Früher habe ihr Haus nicht einmal unmittelbar an der E.---straße gelegen, sondern an der abzweigenden Straße Richtung Nordosten, die verhältnismäßig wenig befahren gewesen sei. Auf der gegenüberliegenden Seite des Grundstücks hätten sich umfassende Grün- und Parkanlagen befunden, so dass man ohne Übertreibung von einer idyllischen Lage reden könne. Mittlerweile habe sich die Wohnlage wesentlich verschlechtert, auch durch den Wendeplatz am Ende der E.---straße . Auf der Grundlage der Tabellen des Gutachterausschusses seien Wohnlage und Wohnumfeld zum Anfangswert als gut und zum Endwert als schlecht einzustufen. Durch diese Verschlechterung sei eine Anrechnung etwaiger fiktiver Erschließungsbeiträge mehr als aufgehoben, die im Übrigen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in der hier geschehenen Weise formelhaft übernommen werden dürften. Angesichts der tatsächlichen Situation und der Neutrassierung der Landesstraße um ihr Grundstück herum seien die Ausführungen im Gutachten betreffend die Erschließungskosten geradezu lebensfremd. Zu der starken Verkehrsbelastung durch die Landesstraße komme eine weitere Belastung durch eine direkt angrenzende Parkfläche mit mehr als 50 Stellplätzen sowie Sonderparkplätze für Wohnmobile. Insgesamt sei festzustellen, dass ihr Grundstück zu den schwer benachteiligten Grundstücken gehöre und sogar an Wert verloren habe. Bezeichnend sei in diesem Zusammenhang, dass die unmittelbar jenseits der (neuen) S. Straße gelegenen Grundstücke nach Auffassung des Gutachterausschusses keine Werterhöhung erfahren hätten. Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2011 betreffend die Festsetzung und Erhebung eines Ausgleichsbetrags in Höhe von 12.320 Euro aufzuheben.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie schildert eingehend den Ablauf der Sanierung, die hauptsächlichen Sanierungsmaßnahmen und die darauf - ihrer Ansicht nach - beruhende Wertsteigerung der im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke einschließlich des Grundstücks der Klägerin.
17Am 16. April 2012 hat der Berichterstatter im ehemaligen Sanierungsgebiet "Stadtmitte" der Beklagten einen Erörterungstermin durchgeführt und die örtlichen Verhältnisse in Augenschein genommen. Wegen der dabei getroffenen Feststellungen wird auf den Inhalt der Niederschrift (Bl. 19 bis 28 der Gerichtsakte) verwiesen. Das Gericht hat ferner ergänzende Ausführungen des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Kreis T3. -X3. eingeholt. Ihm liegen zudem Stellungnahmen der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte im F. -S1. -Kreis, im I2. , im Märkischen Kreises und im Kreis T4. vor. Sämtliche Unterlagen sind den Parteien des vorliegenden Verfahrens bekannt.
18Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akten 8 K 1668/11, 8 K 2174/11, 8 K 2390/11, 8 K 2397/11, 8 K 2429/11, 8 K 3264/11, 8 K 36/12, 8 K 247/12, 8 K 248/12, 8 K 278/12 und 8 K 433/12 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
20Die nach § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache zum Teil Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, soweit der darin ausgeworfene Ausgleichsbetrag den im Tenor dieses Urteils genannten Betrag übersteigt; in diesem Umfang ist der Bescheid aufzuheben. Die Befugnis, eine behördliche Entscheidung teilweise aufzuheben, ergibt sich unmittelbar aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift wird der mit der Anfechtungsklage angegriffene Verwaltungsakt vom Gericht aufgehoben, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Eine nur teilweise Aufhebung eines Verwaltungsakts setzt allerdings voraus, dass der infrage stehende (aufzuhebende) Teil nicht mit den übrigen Teilen in einem untrennbaren inneren Zusammenhang steht, vielmehr die übrigen Teile auch selbstständig bestehen können und durch die Teilaufhebung nicht eine andere Bedeutung erlangen würden, als ihnen im Zusammenhang des ursprünglichen Verwaltungsakts zukam,
21vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage (2007) § 113 Rdnr. 16.
22Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Bescheid ohne Weiteres teilbar in diesem Sinne. Zwar wird dort nur ein Ausgleichsbetrag genannt, bestehend aus der Differenz zwischen dem Endwert und dem Anfangswert. Das für das Grundstück erstellte Einzelgutachten lässt allerdings erkennen, auf welchem Wege diese Werte zustande gekommen sind. Das Gericht ist in der Lage, die Feststellungen des Gutachterausschusses und die darauf beruhenden Wertungen zu prüfen, sie gegebenenfalls ganz oder teilweise zu verwerfen und sodann den streitgegenständlichen Ausgleichsbetrag entsprechend zu ändern.
23Der mit der vorliegenden Klage angegriffene Bescheid der Beklagten stellt sich als belastender Verwaltungsakt dar, der einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Insoweit kommt allein § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB in Betracht. Nach dieser Vorschrift muss der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks entspricht. Der Tatbestand der Vorschrift setzt also zunächst voraus, dass das fragliche Grundstück in einem Sanierungsgebiet liegt. Dieses Merkmal ist hier erfüllt. Nach § 5 Abs. 1 StBauFG, der nach dem Inkrafttreten des Baugesetzbuches durch dessen § 142 Abs. 1 BauGB ersetzt worden ist, beschloss die Gemeinde, die eine Sanierung beabsichtigte, die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets durch eine gemeindliche Satzung, die das Sanierungsgebiet genau bezeichnen und die betroffenen Grundstücke einzeln aufführen musste; nach § 5 Abs. 2 StBauFG bedurfte die Satzung der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Von dieser Ermächtigung hatte der Rat der Beklagten Gebrauch gemacht und die im Tatbestand dieses Urteils bezeichneten Satzungen erlassen. Weil die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens nicht geltend machen, die damaligen Entscheidungen des Rates seien unwirksam, besteht für die Kammer keine Veranlassung, deren ordnungsgemäßes Zustandekommen zu prüfen. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Verwaltungsgerichts, gleichsam ungefragt in eine Suche nach Fehlern in der Vorgeschichte und Entstehungsgeschichte eines Bebauungsplans oder auch einer Sanierungssatzung einzutreten,
24vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 7. September 1979 - IV C 7.77 -, Baurechtssammlung (BRS) Bd. 35 Nr. 15 = Baurecht (BauR) 1980 Seite 40 ff; Beschluss vom 4. Oktober 2006 - 4 BN 26.06 - BRS Bd. 70 Nr. 66 = BauR 2007 Seite 335 f.
25Offenkundige Fehler in dem Verfahren zur Aufstellung der Satzungen, die das erkennende Gericht von Amts wegen berücksichtigen müsste, lassen sich nicht feststellen.
26Die Erhebung eines Ausgleichsbetrags setzt nach § 154 Abs. 3 BauGB sodann voraus, dass die Sanierung nach Maßgabe der §§ 162, 163 BauGB abgeschlossen ist. Der Abschluss der Sanierung erfolgt regelmäßig durch Aufhebung der Sanierungssatzung auf der Grundlage von § 162 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, nachdem die Sanierung durchgeführt ist. Im vorliegenden Fall ist der Rat der Beklagten entsprechend verfahren und hat am 31. Januar 2007 die Aufhebung der Satzung beschlossen; aufgrund der Bekanntmachungsanordnung des Bürgermeisters der Beklagten vom 5. Februar 2007 wurde sie in Übereinstimmung mit § 15 Abs. 1 der Hauptsatzung des Beklagten im amtlichen Bekanntmachungsblatt vom 19. Februar 2007 veröffentlicht. Soweit einige Sanierungsbetroffene geltend machen, die Sanierungssatzung sei schon früher funktionslos geworden, weil die Beklagte sie nicht alsbald nach dem Abschluss der Sanierung (2002) aufgehoben habe, so dass sich die Frage stelle, ob die Erhebung von Ausgleichsbeträgen nicht schon wegen Verjährung unzulässig sei, trifft diese Auffassung nicht zu. Zutreffend verweist die Beklagte auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
27vgl. aus jüngerer Zeit den Beschluss vom 12. April 2011 - 4 B 52.10 -, BauR 2011 Seite 1308 ff,
28wonach weder der Zeitablauf noch eine unzureichend zügige Förderung der Sanierung die zugrunde liegende Sanierungssatzung automatisch außer Kraft treten lassen.
29Wenngleich danach die Voraussetzungen vorlagen, um auf der Grundlage von § 154 Abs. 4 BauGB für den Grundbesitz der Klägerin einen Ausgleichsbetrag zu fordern, erweist sich der angefochtene Bescheid in dem aus dem Tenor dieses Urteils ersichtlichen Umfang als rechtswidrig. Nach § 154 Abs. 1 BauGB wird mit dem Ausgleichsbetrag die durch die Sanierung bedingte Erhöhung des Bodenwerts eines Grundstücks abgeschöpft. Die Werterhöhung besteht nach § 154 Abs. 2 BauGB aus dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre (sogenannter Anfangswert), und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung ergibt (Endwert). Nach § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB werden im Sanierungsgebiet Beiträge für Erschließungsanlagen nicht erhoben; dies gilt nicht nur für Erschließungsbeiträge nach §§ 127 ff. BauGB, sondern auch für Ausbaubeiträge nach landesrechtlichen Vorschriften,
30vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1983 - 8 C 40.83 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) Bd. 68 Seite 130 ff.
31Im vorliegenden Fall hat die Beklagte - dem Gutachterausschuss folgend - angenommen, das Grundstück der Klägerin habe dadurch eine Werterhöhung erfahren, dass sie aufgrund der Sanierung "fiktive Erschließungsbeiträge" (gemeint sind Ausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz und der Satzung vom 24. März 2004 über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 dieses Gesetzes, vgl. den Schriftsatz der Beklagten vom 20. September 2012) in Höhe von 9,95 Euro je Quadratmeter nicht zu zahlen braucht, die andernfalls, nämlich ohne die Sanierung, an die Beklagte hätten entrichtet werden müssen. Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend.
32Bereits in seinem Urteil vom 15. November 2004 - 14 K 104/03 - hat das (seinerzeit noch als 14. Kammer bezeichnete) erkennende Gericht Folgendes ausgeführt:
33"Allerdings ist es nicht fraglich, dass, wenn in einem Sanierungsgebiet Straßen und ähnliche Erschließungsanlagen hergestellt oder vorhandene Anlagen erweitert oder verbessert werden, diese Maßnahmen den Bodenwert der von ihnen betroffenen Grundstücke beeinflussen können. Dieser Gesichtspunkt ist bei der Festsetzung von Ausgleichsbeträgen nach § 154 BauGB zu berücksichtigen. Wird ein Grundstück im Zuge einer Sanierung erstmals erschlossen, tritt die Wertsteigerung offen zutage: Ein nicht erschlossenes Grundstück kann weder baulich (§§ 30, 34, 35 BauGB) noch auf sonstige Weise wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden. Aber auch ein bereits erschlossenes Grundstück kann durch eine zusätzliche Erschließung eine Bodenwerterhöhung erfahren, etwa wenn es aufgrund der weiteren Anbindung an das Verkehrsnetz wirtschaftlich besser genutzt werden kann,
34vgl. hierzu etwa Kleiber in Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrs- ermittlung von Grundstücken, 4. Auflage (2002) § 14 WertV Rdnr. 134.
35Gleichwohl ist es der Gemeinde verwehrt, auf der Grundlage des § 154 BauGB die Kosten der Erschließungsmaßnahmen nach Maßgabe der Vorschriften des Erschließungsbeitragsrechts bzw. des Kommunalabgabenrechts und des gemeindlichen Satzungsrechts auf die Eigentümer umzulegen. Ein solches Vorgehen wird durch § 154 Abs. 1 Satz 2 BauGB ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung sind, wenn und soweit im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB (Straßen, Wege. Plätze usw.) hergestellt, erweitert oder verbessert werden, die Vorschriften über die Erhebung von Beiträgen für diese Maßnahmen nicht anzuwenden. Dies gilt übrigens nicht nur für das bundesrechtliche Erschließungsbeitragsrecht, sondern auch für landesrechtliche Straßenbaubeiträge nach den Bestimmungen der Kommunalabgabengesetze. Es soll eine Doppelbelastung der Eigentümer von Grundstücken im Sanierungsgebiet vermieden werden, die nicht einerseits die Ausgleichsbeträge nach § 154 BauGB und zusätzlich Beiträge für den Straßenbau leisten sollen. Mit dieser Intention des Gesetzes ist indessen eine Bodenwertermittlung unvereinbar, die einen "fiktiven Erschließungsbeitrag" feststellt, der ohne die Sanierung von den Eigentümern zu entrichten wäre, und sodann diesen Betrag ohne Rücksicht auf die konkrete Grundstückssituation in die Bestimmung des Anfangs- oder des Endwertes einfließen lässt.
36Der Beklagte kann seine gegenteilige Auffassung nicht auf die namentlich in der mündlichen Verhandlung erörterte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stützen. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht,
37vgl. das Urteil vom 21. Oktober 1983 - 8 C 40.83 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) Bd. 68 S. 130,
38ausgeführt, die beitragsrechtliche Bevorzugung von Eigentümern in Sanierungsgebieten, die im Vergleich mit anderen Grundeigentümern keine Beiträge zahlen müssten, bedürfe mit Rücksicht auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) eines sie rechtfertigenden Grundes, der durch das Städtebauförderungsgesetz (bzw. heute das Baugesetzbuch) bewirkt werde, indem nur die Eigentümer in Sanierungsgebieten mit Ausgleichsbeträgen belastet würden; der Freistellung von zukünftigen Erschließungs- und Ausbaubeitragspflichten stehe gleichsam als Äquivalent die zukünftige Belastung mit anteiligen Ausgleichsbeträgen gegenüber. Soweit der Beklagte nun meint, jene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertige die von ihm geübte Praxis bzw. verlange diese gar, folgt die Kammer dem aber nicht.
39Zunächst nötigt der Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts auf Art. 3 GG nicht zu der Annahme, das Bundesverwaltungsgericht erachte es zur Wahrung der Gleichheit vor dem Gesetz für geboten, der durch § 154 Abs. 1 Satz 2 BauGB heutiger Fassung bewirkten Ersparnis einen um genau diesen Ersparnisbetrag erhöhten Ausgleichsbetrag gegenüber zu stellen. Bekanntlich verlangt der grundrechtliche Gleichheitssatz, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; keineswegs verbietet er sachlich begründete Differenzierungen. Die Eigentümer von Grundstücken in einem Sanierungsgebiet sind jedoch für die Dauer der Sanierung mannigfaltigen Einschränkungen unterworfen, denen die übrigen Grundeigentümer gerade nicht ausgesetzt sind. So bedarf etwa jedwede Baumaßnahme im Sanierungsgebiet nicht nur der Genehmigung durch die zuständige Bauordnungsbehörde, sondern auch der von der Gemeinde zu erteilenden Sanierungsgenehmigung nach §§ 144, 145 BauGB. Der Sanierungsvermerk im Grundbuch sowie das Erfordernis, zu Rechtsgeschäften in Ansehung von Grundstücken und sonstigen grundstücksbezogenen Vorgängen Genehmigungen einzuholen (vgl. § 144 Abs. 2 BauGB), mögen als weitere Beispiele genügen. Wenn indessen die Eigentümer von Grundstücken in Sanierungsgebieten durch § 154 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht nur eine Entlastung erfahren, sondern in anderer Hinsicht eine deutliche Schlechterstellung im Vergleich mit anderen Grundstückseigentümern, gebietet es der Gleichheitssatz nicht, hinsichtlich der Erschließungs- und Straßenbaubeiträge eine Gleichheit zu 100 Prozent herzustellen.
40Gegen die Annahme des Beklagten spricht im Übrigen der Wortlaut des § 154 Abs. 2 BauGB, der ausschließlich auf Bodenwerte abstellt und namentlich den Anfangswert abschließend definiert. Bei der Ermittlung des Anfangswerts sind jedoch alle wertbildenden Faktoren auszuschließen, welche durch die beabsichtigte Sanierung ausgelöst werden. Bereits deshalb ist es bedenklich, Erwägungen betreffend ersparte Erschließungskosten bei der Bildung des Anfangswerts anzusiedeln, weil ja die im Zuge der Sanierung hergestellten Erschließungsanlagen eine sanierungsbedingte Werterhöhung bewirken, so dass sie - wenn überhaupt - beim Endwert zu berücksichtigen wären. Im Übrigen sind die Überlegungen des Beklagten auch deshalb fehlerhaft, weil sie an den wirtschaftlichen Realitäten vorbei gehen. Der Käufer eines bislang nicht erschlossenen Grundstücks, der dieses baulich nutzen möchte, ist sich bewusst, dass er zuvor die Erschließung finanzieren muss. Denn ein nicht erschlossenes Grundstück kann unabhängig davon, welche planungsrechtlichen Vorschriften einschlägig sind (§§ 30, 34, 35 BauGB), nicht bebaut werden. Die voraussichtlichen Kosten einer erstmaligen Erschließung sind mithin ohne Weiteres ein wertbildender Faktor, der in voller Höhe in die Wertermittlung eingestellt werden mag. Für eine weitere Erschließung stellt sich die wirtschaftliche Situation indessen vollkommen anders dar. So ist etwa ein gewerblich nutzbares Grundstück, welches an seiner Vorderseite und im rückwärtigen Bereich erschlossen ist, tendenziell mehr wert als ein lediglich einseitig erschlossenes Grundstück, zumal für viele gewerbliche Nutzungen die sogenannte rückwärtige Andienung deutliche Vorteile mit sich bringt. Die Annahme des Beklagten, die Werterhöhung des Grundstücks gerade durch eine zusätzliche Erschließung entspreche betragsmäßig der Höhe der Beiträge, die der Eigentümer hierfür hätte zahlen müssen, ist jedoch eine unzulässige Fiktion. Es mag gewerbliche Nutzungen, z. B. Einzelhandel, geben, für welche eine rückwärtige Andienung unverzichtbar ist, damit auch während der Anlieferungszeiten im vorderen Bereich, dem Ladenlokal, der Geschäftsbetrieb unbehindert fortgesetzt werden kann. Für etliche andere Nutzungen, namentlich etwa auch für Wohnnutzungen, ist eine zweite Erschließung möglicherweise zwar angenehm, ohne dass der Nutzer indessen bereit wäre, für diese Annehmlichkeit einen Mehrwert zu zahlen, der betragsmäßig den Erschließungsbeiträgen entspricht, die für die betreffende Anlage erhoben werden. Würde der Veräußerer versuchen, die von ihm bereits entrichteten Kosten für die Zweiterschließung in vollem Umfang an einen Käufer weiterzugeben, würden sich zahlreiche potenzielle Erwerber, die angesichts der von ihnen beabsichtigten Nutzung des Grundstücks mit einer "einfachen" Erschließung vollauf zufrieden sind, im Zweifel nach einem preisgünstigeren und auf Dauer nur einfach er- schlossenen Grundstück umsehen."
41An dieser Auffassung hält die Kammer auch unter Berücksichtigung der eingehenden Ausführungen des Gutachterausschusses auf den Seiten 9 bis 21 seines Gutachtens 1379/2008 und der dort zitierten Rechtsprechung namentlich des Bundesverwaltungsgerichts fest. Insbesondere ist die Ansicht des Gutachterausschusses unzutreffend, das Bundesverwaltungsgericht habe die Verwendung (fiktiver) Erschließungsbeiträge (oder Ausbaubeiträge) bei der Ermittlung der durch Straßenbaumaßnahmen bewirkten Bodenwerterhöhungen ausdrücklich "bestätigt" (Seite 21 Absatz 2 des Gutachtens 1379/2008).
42Mit seinem Beschluss vom 21. Januar 2005 - 4 B 1 05 -, BRS Bd. 69 Nr. 208 = BauR 2005 Seite 1142
43hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der in der Vorinstanz unterlegenen Gemeinde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
44Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. September 2004 - 6 A 10530/04 - veröffentlicht bei "Juris"
45zurückgewiesen. Zum richtigen Verständnis des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts bedarf es also einer Befassung mit diesem Urteil. Das Oberverwaltungsgericht ist sich der Tatsache bewusst, dass Erschließungs- oder Ausbaumaßnahmen den Grundstücken, die an den betreffenden Straßen liegen, Vorteile verschaffen, die eine Wertsteigerung bewirken; dieser Wertzuwachs ist bei der Bemessung des Ausgleichsbetrags zu berücksichtigen. Das Gericht beanstandet jedoch ausdrücklich die Praxis, eine Wertsteigerung in Höhe der fiktiven Beiträge anzunehmen, weil der gesetzliche Ausschluss der Beitragspflicht (damals: § 154 Abs. 1 Satz 2, jetzt Satz 3 BauGB) jeder rechtlichen Konstruktion entgegen steht, mit der die durch Erschließungsmaßnahmen bewirkte Wertsteigerung in Analogie zum Beitragsrecht geltend gemacht wird. Es betont die "rechtssystematischen Vorgaben", welche die Gemeinde beachten müsse. Im Übrigen sei es eine Angelegenheit des gemeindlichen Wertermittlungsermessens, die geeignete Methode zur Ermittlung der Wertsteigerung in Folge von Erschließungsverbesserung zu bestimmen (vgl. Rdnr. 53 der bei "Juris" veröffentlichten Fassung des Urteils). Diese Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts haben die beklagte Gemeinde veranlasst, dem Bundesverwaltungsgericht die Frage vorzulegen, ob bei der Ermittlung der Bodenwertsteigerung fiktiv ermittelte Ausbaubeiträge für die Verbesserung des Ausbauzustandes von Erschließungsanlagen angesetzt werden dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen, weil sich die aufgeworfene Frage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lasse (vgl. Rdnr. 10 der bei "Juris" veröffentlichten Fassung des Beschlusses vom 21. Januar 2005). Die Antwort auf die von der Gemeinde aufgeworfene Frage liefert das Bundesverwaltungsgericht sodann in den nächsten beiden Absätzen der Beschlussbegründung, indem es zunächst (Rdnr. 11) das Wesen der Ausgleichsbeträge erörtert, denen es die Erschließungs- und Ausbaubeiträge gegenüber stellt. Auf welche Weise die durch Herstellung, Erweiterung oder Verbesserung von Erschließungsanlagen bedingte Erhöhung des Bodenwertes zu ermitteln sei, schreibe das Gesetz nicht vor. Jedenfalls gehe es nicht um die Erfassung und Umlegung konkreter Kosten, sondern um die Wertsteigerung durch die Sanierung. Die anschließenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (Rdnr. 12) sind eindeutig: Danach ist es gerade nicht statthaft, fiktiv ermittelte Ausbaubeiträge ohne Weiteres zur Bemessung der Bodenwertsteigerung anzusetzen. Je nach den Umständen des Einzelfalls können diese fiktiven Beiträge allerdings als Anhaltspunkte bei der Ermittlung einer Bodenwerterhöhung mit herangezogen werden; unter Umständen kann (sogar) die Annahme gerechtfertigt sein, dass ersparte Aufwendungen zu einer Wertsteigerung des Grundstücks in entsprechender Höhe führen.
46Im vorliegenden Fall hat der Gutachterausschuss die Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts, die durchaus als Handlungsanweisungen zu verstehen sind, unzutreffend interpretiert. Er hat nämlich, was nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts gerade nicht zulässig ist, "ohne Weiteres" die fiktiven Ausbaubeiträge in seine Wertgutachten einfließen lassen. Die Anlage 5.1 zum Gutachten 1379/2008, die sich mit gleichlautenden Beträgen als Anlage 11.3 in den Einzelgutachten wiederfindet, weist in vier verschiedenen Zeilen für die sechs betroffenen Straßen "anrechenbare Kosten" aus. Bei den dort ausgeworfenen Beträgen handelt es sich - wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 20. September 2012 erläutert hat -, um den dem Grunde nach beitragsfähigen Aufwand im Sinne von § 2 SBS. Diesen hat der Gutachterausschuss um einen "Anteil Stadt" vermindert und dabei augenscheinlich § 3 SBS im Blick gehabt, der sich über den Anteil der Stadt und der Beitragspflichtigen am Aufwand verhält und in seinem Abs. 3 nach Straßenarten und einzelnen Baumaßnahmen differenziert. Die Summen der "Umlage" hat er sodann in der Zeile d) als umlagefähigen Aufwand bezeichnet und auf das Abrechnungsgebiet verteilt. Auf diese Weise hat er einen Straßenbaubeitrag in der Gestalt eines Euro-Betrags je Quadratmeter ausgewiesen. In den Einzelgutachten hat er anschließend unter Nr. 9.1.4 die Vorschriften des § 4 SBS umgesetzt, die sich unter anderem über die Tiefenbegrenzung (§ 4 Abs. 3 SBS) und über die Berücksichtigung des unterschiedlichen Maßes der baulichen Nutzung (§ 4 Abs. 4 SBS) verhalten. Der abschließend in Nr. 9.1.4 ausgeworfene "fiktive Beitrag" ist also identisch mit dem Betrag, den die Grundstückseigentümer auf der Grundlage von § 8 KAG NRW in Verbindung mit den jeweils im Zeitpunkt der Herstellung der betreffenden Straße (vgl. § 9 SBS) geltenden Satzungen der Beklagten hätten entrichten müssen, falls keine Sanierung durchgeführt worden wäre. Der Gutachterausschuss hat die fiktiven Beiträge in voller Höhe als bodenwertsteigernd berücksichtigt, ohne die tatsächlichen Umstände, die diesen Rückschluss tragen sollen, konkret und nachvollziehbar dargelegt zu haben, wie es das Bundesverwaltungsgericht verlangt. Insbesondere die unter Nr. 2.4.6 des Gutachtens 1379/2008 bezeichneten "Bedingungen" werden den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Denn dort ist durchgehend von Erschließungsbeiträgen, Erschließungsvorteilen sowie von Ersterschließungen und Zweit- oder Mehrfacherschließungen die Rede. Im hier interessierenden Gebiet hat jedoch überhaupt keine Erschließung stattgefunden im Sinne der §§ 127 ff. BauGB. Sämtliche Straßen, die in der Anlage 5.1 zum Gutachten 1379/2008 aufgelistet sind, waren ausweislich des zur Sanierungssatzung 1972 gehörenden Bestandsplans bereits damals vorhanden. Von einer erstmaligen Erschließung, bei der auch die Kammer annimmt, dass die voraussichtlichen Kosten in voller Höhe in die Wertermittlung eingestellt werden können (vgl. oben den Auszug aus dem Urteil vom 15. November 2004), kann hier ebenso wenig die Rede sein wie von einer sogenannten Zweiterschließung. Die vorhandenen Straßen sind nicht einmal verbreitert worden, wie ein Vergleich des Bestandsplans 1972 mit der aktuellen Flurkarte ohne Weiteres erkennen lässt. Die Beklagte hat jene Straßen möglicherweise erneuert, unter Umständen verbessert, jedenfalls aber verändert. Außerhalb eines Sanierungsgebiets könnte sie hierfür Beiträge nach § 8 KAG erheben. Wenn diese Beiträge innerhalb eines Sanierungsgebiets nicht gezahlt werden müssen, können sie nicht als so genannte "fiktive Beiträge" ungeprüft bei der Berechnung der Bodenwerterhöhung berücksichtigt werden. Die seitens des Gerichts eingeholten Auskünfte einiger anderer Gutachterausschüsse unterscheiden sich zwar in Einzelheiten, sind aber im Ergebnis übereinstimmend und eindeutig. Danach lässt sich auf dem Grundstücksmarkt nicht beobachten, dass potenziell zu entrichtende Beiträge nach § 8 KAG gleichsam automatisch in die Kaufpreisbildung einfließen. Die an einem Grundstücksgeschäft beteiligten Personen können in der Regel nicht einmal ansatzweise abschätzen, wann und in welcher Höhe das Kaufobjekt zu Ausbaubeiträgen herangezogen werden könnte. In Einzelfällen mag es sich anders verhalten, wenn etwa eine vorhandene Straße derart abgängig ist, dass gleichsam jederzeit mit ihrer Erneuerung gerechnet werden muss, oder wenn auf der Grundlage eines von der Gemeinde beschlossenen Straßenausbauprogramms konkret absehbar ist, dass in näherer Zukunft eine Straßenbaumaßnahme stattfinden wird und welchen Umfang diese Maßnahme voraussichtlich haben wird. Welchen Zustand die sechs in Rede stehenden Straßen zu Beginn der Sanierung oder im Zeitpunkt ihrer Umgestaltung durch die Beklagte aufwiesen, ist dem Gericht nicht bekannt. Der mit durchaus beeindruckenden Fotos ausgestattete Vorher/Nachher - Vergleich "Stadtsanierung I1. " jedenfalls lässt Straßen erkennen, die offensichtlich noch funktionstüchtig waren. Möglicherweise wäre es ohne die Sanierung überhaupt nicht zu Maßnahmen im Sinne von § 8 KAG gekommen, so dass nicht angenommen werden kann, bei einem Rechtsgeschäft über eines an diesen Straßen gelegenen Grundstücks hätten die Parteien mit Sicherheit den Kaufpreis um die künftig zu erwartenden Beiträge gemindert.
47Dass die von dem Gutachterausschuss angenommene Abhängigkeit zwischen Erschließungs- oder Straßenbaubeiträgen, die im Sanierungsgebiet nicht erhoben werden, und einer Werterhöhung des Grundstücks in Höhe eines fiktiven Beitrags nicht zutreffen kann, zeigt die Situation am südlichen Rand des Sanierungsgebiets I. Dort befand sich zu Beginn der Sanierung westlich der T5. Straße auf dem damaligen Flurstück 144 eine Fabrikhalle, die den gesamten Bereich zwischen den Bahngleisen im Süden und der nördlichen Parzellengrenze ausfüllte. An diese Baulichkeit schloss sich nach Westen ein weiträumig unbebautes Gelände von etwa 150 m Ausdehnung an, das angesichts der Riegelwirkung des Fabrikgebäudes von der T5. Straße aus nicht erreicht werden konnte. Im Westen grenzte der Bereich an den Mühlenweg. Allerdings war der Mühlenweg offensichtlich nicht geeignet, das sich in Richtung Osten erstreckende Freigelände insgesamt zu erschließen: Angesichts der - vom Mühlenweg aus betrachtet - beträchtlichen Grundstückstiefe hätte sich eine Bebauung des Hintergeländes nach der zu überbauenden Grundstücksfläche nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB "eingefügt"; sie wäre auch nicht "unbedenklich" gewesen im Sinne von § 34 des zum Zeitpunkt der Einleitung des Sanierungsverfahrens geltenden Bundesbaugesetzes. Eine sinnvolle Nutzung namentlich der Flächen unmittelbar westlich des Fabrikgebäudes, wurde erst möglich durch die Neuordnung der Verhältnisse, insbesondere durch die von der Bundesstraße aus nach Süden abgehenden Verkehrsflächen. Für den durch die Erschließung vermittelten Teilwert eines Grundstücks ist es allerdings gleichgültig, ob die Erschließungsanlage eine Bundesstraße, eine Landesstraße oder eine Gemeindestraße ist. Deshalb kann der Wertzuwachs etwa des Fabrikgrundstücks (heute: Flurstück ) - gleich in welcher Höhe man ihn für den konkreten Fall annimmt - nicht mit der Erwägung verneint werden, die zusätzliche Erschließung von der Bundesstraße sei "nicht beitragsfähig", wie es allerdings in dem Beschluss des Gutachterausschusses vom 18. Oktober 2012 unter Nummer 3. ausdrücklich heißt.
48Die fehlende Eignung fiktiver Straßenausbaubeiträge als Berechnungsgrundlage für eine erschließungsbedingte Bodenwerterhöhung lässt sich auch am Beispiel des Grundstücks der Klägerin darstellen. Dieses Grundstück war zu Beginn der Sanierung durch die entlang der Südostgrenze verlaufenden Straßenzüge (E.---straße , K.---straße /G1.-------straße ) erschlossen. Durch die sanierungsbedingte Verlängerung der S. Straße nach Osten hat es eine weitere (rückwärtige) Erschließung erfahren, die seinen Wert - worauf noch einzugehen ist - gesteigert hat. Zutreffend bemerkt der Gutachterausschusses unter Nr. 8.1.2 des Gutachtens 1472/2011 vom 12. Juli 2011, das Grundstück "profitiere" von der S. Straße. In der für das Grundstück der Klägerin angenommenen sanierungsbedingten Bodenwerterhöhung von insgesamt 11,20 EUR/m² sind allerdings schon 9,95 EUR/m² fiktive Erschließungsbeiträge für die E.---straße enthalten. Der verbleibende Betrag von 1,25 EUR/m² entspricht nun offenkundig nicht dem Gewinn ("Profit"), den das Grundstück durch die neue Straße erfahren hat, von sonstigen sanierungsbedingten Werterhöhungen einmal ganz abgesehen.
49Die Grundannahme des Gutachterausschusses, der Anfangswert der sanierungsbetroffenen Grundstücke sei um die Höhe der fiktiven Ausbaubeiträge zu mindern, ist nach alledem nicht zutreffend. Dass es auch andere Möglichkeiten gibt, die Wertsteigerung von Grundstücken aufgrund einer Straßenbaumaßnahme in einem Geldbetrag auszudrücken, war dem Gutachterausschuss durchaus gegenwärtig (vgl. S. 20 unter 5. des Gutachtens 1379/2008). Er hat sie nicht genutzt, weil er - wie in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde - gerade nicht pauschalieren, sondern die Situation jedes einzelnen Grundstücks berücksichtigen wollte. Dieses Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit verdient zwar Anerkennung. Es ändert indessen nichts daran, dass die für § 154 Abs. 1 BauGB maßgebliche Bodenwerterhöhung jedenfalls in der vorliegenden Konstellation (bereits zu Sanierungsbeginn vollständig erschlossene Grundstücke) nicht anhand fiktiver Straßenbaubeiträge beziffert werden kann.
50Allerdings hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 20. September 2012 dem Sinne nach ausgeführt, man sei den Grundstückseigentümern bereits entgegengekommen, indem man etwa mehrere Straßen ohne vorherige Detailprüfung als Hauptgeschäftsstraßen eingestuft habe, so dass lediglich 40 % des beitragsfähigen Aufwandes umgelegt worden seien (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 4 SBS). Dieser Gesichtspunkt sowie die weiteren in dem betreffenden Schreiben aufgezeigten Überlegungen der Beklagten lassen jedoch die Erkenntnis unberührt, dass der Gutachterausschuss einen grundsätzlich unzutreffenden Ansatz gewählt hat. Dies zeigt nicht zuletzt die abschließende Bemerkung der Beklagten im Schriftsatz vom 20. September 2012, wonach die in den jeweiligen Ausgleichsbeträgen enthaltenen fiktiven Straßenbaubeitragsanteile in Bezug auf die Vorteile äquivalent seien. Genau darum, nämlich um eine Äquivalenz zwischen Beitrag und Vorteil (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG) geht es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht. Im Anwendungsbereich des § 154 BauGB interessiert allein eine mögliche Werterhöhung von Grundstücken aufgrund einer gemeindlichen Straßenbaumaßnahme, die nicht identisch ist mit einem wie auch immer ermittelten "fiktiven" Beitrag.
51Nach alledem kann der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben, soweit darin ein "fiktiver Erschließungsbeitrag" von 9,95 EUR/m² enthalten ist. Weil die vom Gutachterausschuss angenommene Bodenwerterhöhung jedoch insgesamt nur 11,20 EUR/m² beträgt, würde sich ohne den "fiktiven Beitrag" eine Wertsteigerung um nur 1,25 EUR/m² ergeben. Ein derart niedriger Betrag wird allerdings den tatsächlichen Verhältnisse aus folgenden Gründen nicht gerecht:
52Die Sanierung eines Gebiets, das städtebauliche Missstände aufweist, ist grundsätzlich geeignet, den Bodenwert eines in dem betreffenden Gebiet gelegenen Grundstücks zu erhöhen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob (auch) auf dem fraglichen Grundstück selbst Sanierungsmaßnahmen stattgefunden haben. Bereits die positive Veränderung der Umgebung vermag den Verkehrswert eines Grundstücks anzuheben, wie umgekehrt negative Entwicklungen diesen Wert zu schmälern geeignet sind. Der potentielle Erwerber eines Wohnhauses etwa wird in den Verhandlungen über den Kaufpreis unter anderem Störungen der Wohnruhe durch einen Gewerbebetrieb zur Sprache bringen; der Veräußerer eines Geschäftshauses hingegen wird in diesem Zusammenhang auf die "gute Lage" der Immobilie inmitten nachweisbarer Kundenströme hinweisen. Auch im vorliegenden Fall ist die Kammer, ohne freilich genaue Kenntnis von den tatsächlichen Gegebenheiten zu Beginn der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben zu können, davon überzeugt, dass die Innenstadt Hilchenbachs im Zuge der Sanierung aufgewertet worden ist. Dass die Grundstücke im Sanierungsgebiet "Stadtmitte" dem Grunde nach einen Wertzuwachs erlebt haben, steht für die Kammer nicht zuletzt nach dem Eindruck, den der Berichterstatter im Zuge der eingehenden Besichtigung der örtlichen Verhältnisse am 16. April 2012 gewonnen und der Kammer vermittelt hat, außer Frage. Trefflich streiten lässt sich hier wie auch in sämtlichen anderen Sanierungsgebieten, mit denen die Kammer bislang befasst war, allerdings darüber, wie hoch der Zuwachs im Einzelfall, d.h. für jedes von der Sanierung betroffene Grundstück, ausgefallen ist; diese Wertermittlung ist das "Kernproblem", wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 21. September 2011 in der Sache 8 K 1668/11 (Seite 5 daselbst) zu Recht feststellt.
53Nach § 287 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) der über § 173 VwGO im Verwaltungsprozess entsprechend anzuwenden ist, entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wenn unter den Parteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe; nach § 287 Abs. 2 ZPO gilt dies auch, wenn kein Schaden im engeren Sinne, sondern die Höhe einer Forderung streitig ist. Von dieser Bestimmung macht die Kammer in Ansehung der Frage Gebrauch, ob das Grundstück der Klägerin hinsichtlich seiner Wohnlage und seines Wohnumfeldes im Sinne des Sprachgebrauchs des Gutachterausschusses einen sanierungsbedingten Wertzuwachs erfahren hat. Sie sieht insbesondere davon ab, Beweis zu der Frage zu erheben, ob etwa die Verlagerung der Bundesstraße, auch im Hinblick auf die neue Straßenführung der S. Straße, eine Werterhöhung des Grundstücks bewirkt hat. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es bei unterschiedlichen Auffassungen über die Höhe eines streitgegenständlichen Betrages Beweis erheben will. Es kann ohne Beweiserhebung schätzen, wenn es zum einen von der Entstehung des Schadens überzeugt ist und zum anderen nach Ermessen des Gerichts eine Beweisaufnahme keine (zusätzliche) Klärung bringen würde,
54vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 65. Auflage (2007) § 287 Rdnr. 30.
55Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es lässt sich mit vertretbarem Aufwand, der nicht zuletzt die Höhe der streitigen Beträge in den Blick nehmen muss, nicht feststellen, wie hoch die Wertsteigerung des Grundstücks der Klägerin durch die Sanierung ist. Bei seiner Schätzung legt das Gericht folgende Umstände zugrunde:
56Bei dem zu beurteilenden Grundstück handelt es sich um ein reines Wohngrundstück. Der abweichenden Auffassung des Gutachterausschusses schließt sich die Kammer nicht an. Zwar fand dort vor und während der Sanierung noch eine gewerbliche Nutzung statt (Nebengebäude mit Werkstatt). Allerdings hat jene gewerblich genutzte Teilfläche des Grundstücks im Sanierungsverfahren eine gesonderte Behandlung erfahren, indem insoweit ein Abbruchgebot seitens der Beklagten ergangen ist und Teilflächen des Grundstücks für die S. Straße in Anspruch genommen wurden. Angesichts dessen ist es erforderlich, auch bei der Einstufung des Grundbesitzes als Wohnnutzung oder Mischnutzung eine entsprechende Aufteilung vorzunehmen. Der letztlich verbliebene Teil des Flurstücks ist danach der Wohnnutzung zuzuordnen, mag eine nordwestlich gelegene Teilfläche möglicherweise früher auch gewerblich genutzt worden sein.
57Ausgehend von der Erkenntnis, dass das Grundstück der Klägerin ein Wohngrundstück ist, lassen sich die Überlegungen des Gutachterausschusses und - diesem folgend - der Beklagten nicht ohne weiteres halten. Die Kammer teilt vielmehr die Auffassung der Klägerin, wonach sich die Wohnnutzung grundsätzlich nicht verbessert hat. Die Belastung des Wohngrundstücks durch die neue Führung der S. Straße wiegt eine eventuelle Entlastung durch die Verlagerung der Bundesstraße und die Abbindung der E.---straße allemal auf. Der Berichterstatter hat sich in der Örtlichkeit davon überzeugen können, dass die S. Straße ein beträchtliches Verkehrsaufkommen hat, durch welches das Grundstück der Klägerin nachhaltig beeinträchtigt wird. Unabhängig davon, ob - wie es die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausdrücken - zuvor eine "idyllische Lage" bestand, ist der Wohnwert durch die unmittelbar benachbarte Straße und wohl auch durch die angrenzenden Stellplätze nennenswert beeinträchtigt. Die Verbesserung der E.---straße , die ihre Attraktivität für Geschäftsnutzungen möglicherweise gesteigert hat, bleibt für das Wohnhausgrundstück der Klägerin ohne Belang.
58Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die neue Verkehrsführung dem Grundstück der Klägerin auch einen Vorteil gebracht hat: Auf dem rückwärtigen Grundstücksteil befinden sich Kfz-Stellplätze, die an die S. Straße neu angeschlossen werden konnten. Hätte die Sanierung nicht stattgefunden, wäre jener Bereich nach § 51 Abs. 7 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen für eine Stellplatznutzung nicht geeignet gewesen, weil danach Stellplätze im Hintergelände in der Regel nicht zulässig sind. Allerdings ist der Wertzuwachs, den das Grundstück der Klägerin durch die zweite Erschließung und die damit verbundenen erhöhten Nutzungsmöglichkeiten erfahren hat, auch vor dem Hintergrund der durch die Zweiterschließung bewirkten Belastungen des Grundstücks nicht sonderlich überragend. Ausgehend von der im Tatbestand abgedruckten Tabelle, wonach die geringste Steigerungsstufe bei Wohngrundstücken 2,50 EUR/m² beträgt, übernimmt die Kammer diesen Wert für das vorliegende Verfahren. Bei einer Grundstücksgröße von 1.100 m² errechnet sich so der im Tenor dieses Urteils ausgeworfene Betrag.
59Die Kammer ist sich der beträchtlichen Problematik des vorliegenden Urteils und der weiteren Urteile vom heutigen Tage bewusst. Die Beklagte und der Gutachterausschuss haben sich redlich und mit größtem Aufwand darum bemüht, für die von der Sanierung betroffenen Grundstücke die sanierungsbedingte Werterhöhung fehlerfrei zu ermitteln und zutreffende Ausgleichsbeträge festzusetzen. Angesichts dessen werden sie schwerlich Verständnis für die vorliegende Entscheidung aufbringen können, mit der das Gericht ihren Überlegungen auf weiten Strecken nicht folgt. Die gerichtliche Korrektur der für das Grundstück der Klägerin und der weiteren streitbefangenen Grundstücke festgesetzten Ausgleichsbeträge wird zudem deutlichen Unmut auslösen bei denjenigen Grundstückseigentümern, die den Klageweg nicht beschritten haben. Dies ändert allerdings nichts an der - wie die Kammer meint: eingehend begründeten - Feststellung, dass der streitgegenständliche Bescheid keinen Bestand haben kann.
60Die Entscheidung über die Kosten ergeht auf der Grundlage von § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hiernach sind die Kosten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt und teils unterliegt. Die im Kostentenor ausgeworfene Quote berücksichtigt das Maß des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens.
61Das Gericht sieht von einer Zulassung der Berufung gegen das vorliegende Urteil ab. Denn die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Insbesondere ist durch den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Januar 2005 geklärt, dass die so genannten fiktiven Erschließungs- und Ausbaubeiträge grundsätzlich nicht ohne weiteres und in voller Höhe als bodenwerterhöhend angesehen werden können. Ob und unter welchen Umständen diese Beiträge bei der Ermittlung des zutreffenden Ausgleichsbetrags im Einzelfall berücksichtigt werden können, entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung.
62Das Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte ab.
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