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Steht im Herkunftsland eines homosexuellen Ausländers Homosexualität unter Strafe, so ist nur dann von einer Verfolgung auszugehen, wenn die Strafe praktisch auch verhängt wird; dies ist vom Gericht positiv festzustellen (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 7.11.2013 - C-199/12 und unter Aufgabe der bisherigen Kammerrechtsprechung - 13 K 1217/12)
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsbürger der Republik Guinea. Ebenfalls nach eigenen Angaben ist er am Morgen des 27. September 2012 mit Hilfe eines Schleppers an einem ihm unbekannten Flughafen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Dort stellte er am 17. Oktober 2012 einen Asylantrag.
3Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 26. Februar 2013 gab er im Wesentlichen an:
4Bei einem Abendessen an einer privaten Universität habe er Herrn N. kennengelernt. Dieser habe am Ende des Abends sein Interesse an ihm gezeigt. Danach seien sie in Kontakt geblieben. Er habe damals nicht gewusst, dass Herr N. homosexuell sei. Er selbst sei es seinerzeit auch noch nicht gewesen. Bei einem Treffen am 18. Februar 2012 habe Herr N. ihm gesagt, dass er ihn gern zum Freund hätte. Auch da habe er noch nichts von seiner Homosexualität gesagt. Sie seien danach in Kontakt geblieben und hätten sich verabredet, gemeinsam eine Diskothek zu besuchen. Der Kläger habe zu dieser Verabredung seine Freundin mitgebracht. Während des Abends habe Herr N. ihm gesagt, dass er ihn liebe und dass er ihn nicht mit einem Mädchen zusammen sehen möchte. Nach dem Abend seien sie in Kontakt geblieben. Eines Abends seien sie bei Herrn N. zu Hause verabredet gewesen. Dort habe Herr N. ihm gesagt, dass er homosexuell sei; er habe ihm auch einen Film gezeigt, in dem es um eine Schwulenhochzeit gegangen sei. Herr N. habe ihn gebeten, seine Homosexualität geheim zu halten. Nach diesem Tag habe Herr N. ihn mehrfach täglich angerufen. Bei einem weiteren Besuch bei ihm zu Hause habe Herr N ihn überraschend geküsst. Das sei an einem Donnerstag, Ende März 2012 gewesen. An dem darauffolgenden Wochenende seien sie gemeinsam nach D. gefahren. Dort hätten sie das erste Mal Sex miteinander gehabt. Im Anschluss an das Wochenende habe er seine Freundin angerufen und gebeten, die Beziehung erst einmal ruhen zu lassen. Fortan sei er ein Paar mit Herrn N. gewesen. An einem Sonntag sei seine, des Klägers, komplette Familie auf einer Hochzeit eingeladen gewesen. Da sei Herr N. zu ihm gekommen und sie hätten Sex in seinem Zimmer gehabt. Plötzlich sei seine Zwillingsschwester, die früher von der Hochzeit zurückgekehrt sei, in das Zimmer gekommen und sei sehr erschrocken. Sie habe sehr geschrien. Daraufhin seien alle Nachbarn in sein Haus gekommen. Einige hätten sofort den nächsten Gendarmerieposten verständigt. Herr N. sei durch das Fenster geflüchtet. Er selbst sei von der Gendarmerie nur mit der Unterhose bekleidet festgenommen und zu Fuß abgeführt worden. Hinter ihnen sei eine große Gruppe Leute gelaufen, die ihn beschimpft und mit Steinen beworfen hätte. Nach drei Tagen Haft hätte er gestanden, mit Herrn N. Sex gehabt zu haben. Dann sei er in das große Verlies, die Suritée, gebracht worden. Dort habe er zwei Monate verbracht. Dort sei er eines nachts von einem Mann in Militäruniform befreit worden. Er betrachte sich bis heute als homosexuell. Immer wenn er mit seiner Freundin Sex gehabt habe, habe er Schmerzen gehabt. Den Vornamen von Herrn N. kenne er nicht. Er habe ihn einmal nach seinem kompletten Namen gefragt, aber dieser habe geantwortet, er solle ihn einfach N. nennen. Er wisse nicht, ob dies ein Vor- oder Nachname sei.
5Mit Bescheid vom 27. März 2013 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. Zugleich forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung nach Guinea an.
6Der Kläger hat am 10. April 2013 Klage erhoben, zu deren Begründung er u. a. vorträgt, dass es nicht gegen die Glaubhaftigkeit seines Vortrags spreche, dass er das genaue Datum des ersten Kusses mit Herrn N. nicht wisse. Er wisse immerhin, dass es ein Donnerstag, Ende März 2012, gewesen sei. Dass Herr N. seinen Vornamen nicht genannt habe, sei auch nicht ungewöhnlich, weil Homosexualität in Guinea unter Strafe stehe. Er habe bei der Anhörung auch detailreich und lebensecht vorgetragen. Auch die Schilderung der Verhältnisse im Gefängnis sei glaubhaft.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. März 2013 zu verpflichten,
9den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG
10hilfsweise, subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
11hilfsweise, festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bestehen,
12Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (Beiakte 1 und 2) Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem ihm der Rechtsstreit gemäß § 76 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) durch Beschluss der Kammer vom 27. September 2013 zur Entscheidung übertragen worden ist.
18Die zulässige Klage ist unbegründet.
19Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 27. März 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 und Absatz 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
20Das Gericht entscheidet Asylstreitigkeiten nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Deshalb findet die seit dem 1. Dezember 2013 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) veränderte Rechtslage Anwendung. Der Kläger vermag auf dieser Grundlage mit Erfolg weder seine Anerkennung als Asylberechtigter noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG begehren, denn er ist nicht politisch Verfolgter im Sinne der asylrechtlichen Vorschriften.
21Politisch Verfolgter ist, wer in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an andere Merkmale, die für ihn unverfügbar sind und die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.
22Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 ‑ 2 BvR 502/86 u.a. –, BVerfGE 80, 315 (344).
23Nach § 3 Absatz 1 AsylVfG ist einem Ausländer weiter die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.
24Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei der Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist (§ 77 Absatz 1 AsylVfG). Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltes auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab),
25Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 ‑ 2 BvR 502/86 u.a. –, BVerfGE 80, 315 (344); Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Mai 1990 ‑ 9 C 17.89 ‑, BVerwGE 85, 139 (140); Urteil vom 20. November 1990 – 9 C 74.90 ‑, InfAuslR 1991, 145 (146).
26Das Gericht muss dabei von der Wahrheit – nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung gewinnen. Von dem Asylsuchenden muss jedenfalls gefordert werden, dass er eine zusammenhängende, in sich stimmige Schilderung seines persönlichen Verfolgungsschicksals abgibt, die nicht in wesentlicher Hinsicht in unauflösbarer Weise widersprüchlich ist. Der Art seiner Einlassung – z.B. ob sein Vorbringen gesteigert ist -, seiner Persönlichkeit, insbesondere seiner Glaubwürdigkeit, kommt insoweit entscheidende Bedeutung zu;
27Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. November 1985 ‑ 9 C 27.85 ‑, InfAuslR 1986, 79 (80), sowie Beschluss vom 21. Juli 1989 ‑ 9 B 239/89 ‑, NVwZ 1990, 171; Urteil vom 10. Mai 1994 – 9 C 434.93 -, InfAuslR 1994, 375 (376).
28Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es liegen weder die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter noch die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Guinea oder im Falle einer Rückkehr nach Guinea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
29Das Gericht geht zunächst davon aus, dass der Kläger nicht vorverfolgt sein Heimatland verlassen hat. Dabei kann offen bleiben, ob seine Darstellung betreffend seine Homosexualität und seine Beziehung zu Herrn N. glaubhaft ist. Jedenfalls ist die vom Kläger geschilderte, an seine behauptete Homosexualität und seine Beziehung zu Herrn N. anknüpfende Verfolgung, namentlich die Inhaftierung in der Suritée, dem Zentralgefängnis von Conakry, und die Umstände seiner Verhaftung nicht glaubhaft. Während der Kläger bei der Befragung zu seinem Verhältnis zu Herrn N. bereitwillig seine schon beim Bundesamt getätigte Aussage mit auffallender Übereinstimmung wiederholte und - zum Teil auf Nachfrage - vertiefte, ohne dass hierbei deutliche Widersprüche erkennbar geworden sind, war die Schilderung der Verhältnisse im Zentralgefängnis von Conakry (Suritée) nicht nur inhaltlich vage, sondern auch von seinem Aussageverhalten her ausweichend. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Bitte, das Gefängnis zu beschreiben zunächst ausweichend geantwortet und sich darauf berufen, dass es dort dunkel gewesen sei. Auch im Weiteren wurden ausweichende Erklärungen wie „Wie soll ich das erklären“ und „Es war dunkel. Ich glaube...“ verwendet. Wie seine spätere Schilderung, die jeweils nur auf konkrete Nachfrage erfolgte, zeigt, konnte er sich dann aber doch vermeintlich an einige Details erinnern. Warum er auf die Bitte, das Gefängnis zu beschreiben, nicht von vorneherein mit einer umfassenden Beschreibung all dessen reagiert hat, was ihm dann vom Gericht Stück für Stück entlockt werden musste, erschließt sich nicht und lässt deutliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage hervortreten. Auch traten immer wieder Schwierigkeiten bei der Beschreibung des Lochs in der Wand auf, auf dessen Existenz der Kläger hingewiesen hatte. Ohne dass es hier darauf ankommt, ob die schriftsätzliche Schilderung seines Prozessbevollmächtigten, durch dieses Loch sei Essen von Verwandten der Gefangenen in das Gefängnis gebracht worden, glaubhaft ist, so vom Kläger gemacht worden war oder ob diese Schilderung auf ein Verständigungsproblem zwischen dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten zurückzuführen ist, ist das Aussageverhalten des Klägers in dieser Frage nicht konsistent und nicht überzeugend. So hat er einerseits geschildert, das Loch sei „weit oben für Luft und Licht“ da, während er kurz zuvor noch behauptet hat, dass man durch dieses Loch „nach draußen gucken konnte“ (S. 7 des Protokolls zur mündlichen Verhandlung). Auch die Bitte um nähere Beschreibung dieses Lochs konnte erst nach mehrmaliger Frage und unter Vorgabe verschiedener möglicher Antworten mit „rund“ beantwortet werden.
30Nicht glaubhaft ist auch seine Angabe zu der geplanten Gerichtsverhandlung sowie zur angeblichen Anklageschrift. Auf beides ist der Kläger erst zu sprechen gekommen, nachdem er konkret danach gefragt worden ist. Angesichts der sonst doch eher detaillierten Schilderung seiner Beziehung zu Herrn N. sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung wäre es zu erwarten gewesen, dass er auf solche Aspekte, die in zentraler Hinsicht seine Verfolgung betreffen, freiwillig zu sprechen gekommen wäre. Auch seine Schilderung zu seiner Befreiung ist gänzlich vage und nebulös geblieben.
31Schließlich bleiben auch hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Aussage betreffend seine Inhaftierung deutliche Zweifel. So hat er auf die Frage, warum er nicht gemeinsam mit Herrn N. geflohen sei, geantwortet, dass Herr N. sein Gast gewesen sei und es ihm lieber gewesen sei, dass man ihm anstatt seinem Gast weh tue. Dies erklärt aber nicht, warum er nicht gemeinsam mit Herrn N. geflohen ist. Denn die Flucht von Herrn N. aus dem Fenster zeigt, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits Einiges befürchtet haben muss. Auch überzeugt es nicht, wenn er schildert, in der Unterhose abgeführt worden zu sein. Wenn es tatsächlich so ist, dass er zunächst von seiner Schwester überrascht wurde, diese dann die Nachbarn herbeirief und erst die Nachbarn in der Folge die Gendarmerie verständigten, während Herr N. derweil offenbar Zeit hatte aus dem Fenster zu fliehen, ist es nicht nachvollziehbar, dass der Kläger bei dem Eintreffen der Gendarmerie noch immer nur mit einer Unterhose bekleidet war und bis dahin auch keinen Anlass gesehen hatte, hieran etwas zu ändern.
32Ohne dass es darauf noch ankommt, wird der Eindruck eines fehlenden Verfolgungsgeschehens auch dadurch bestätigt, dass der Kläger auf die Frage, was er bei seiner unterstellten Rückkehr nach Guinea zu befürchten habe, zunächst auf seine wirtschaftliche und familiäre Situation hinweist: „Es gibt nichts, wohin ich gehen könnte. Wir haben zur Miete gewohnt. Mein Vater ist inzwischen verstorben. Meine Mutter ist nach E. , das liegt bei M. , zurückgegangen.“ Erst als Ergänzung fügt er dann noch an, dass es auch noch die Staatsverfolgung gebe.
33Es ist auch nicht festzustellen, dass dem Kläger allein aufgrund seiner - unterstellten - Homosexualität landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung nach seiner Rückkehr in die Republik Guinea drohen wird.
34Dabei ist allerdings schon davon auszugehen, dass Homosexuelle in Guinea eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG darstellen. Nach § 3b Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 4 AsylVfG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und wenn weiter die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nach Halbsatz 2 dieser Vorschrift kann je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Zur sexuellen Ausrichtung eines Menschen gehört auch eine etwaige Homosexualität.
35Vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris Rn. 46 ff.; Urteil der Kammer vom 23. März 2012 - 13 K 1217/11.A -, juris Rn. 37.
36Dass Homosexuelle in Guinea eine Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität sind, ergibt sich auch daraus, dass homosexuelle Handlungen in Guinea strafbar sind. Nach den insoweit übereinstimmenden, im Verfahren 13 K 1217/11.A von der Kammer eingeholten Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 20. Januar 2012 und von amnesty international vom 3. Februar 2012 werden homosexuelle Handlungen („tout acte impudique ou contre nature commis avec un individu de son sexe“, übersetzt: „jede unzüchtige oder widernatürliche Handlung, die mit einem Menschen gleichen Geschlechts begangen worden ist“) nach Art. 325 des guineischen Strafgesetzbuches mit einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe zwischen 100.000 und 1.000.000 guineischen Francs geahndet.
37Es ist aufgrund der - unterstellten - Homosexualität des Klägers und der daraus abzuleitenden Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe jedoch nicht herzuleiten, dass der Kläger deswegen bei seiner unterstellten Rückkehr in die Republik Guinea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unter Verfolgung leiden wird. Eine Verfolgung droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wenn in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder statistischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
38Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143, (150 f) m.w.N.
39Davon ist allein aufgrund der Strafandrohung im guineischen Strafgesetzbuch nicht auszugehen. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylVfG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Hierzu gehört gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG auch die diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung. Eine solche wäre bei einer Strafverfolgung wegen Homosexualität anzunehmen.
40Urteil der Kammer vom 23. März 2012 - 13 K 1217/11.A -, juris Rn. 57 f.
41Von der demnach für die Annahme einer Verfolgungshandlung erforderlichen bestimmten Schwere einer Grundrechtsverletzung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht schon bei jeder Verletzung der Grundrechte eines homosexuellen Asylbewerbers auszugehen.
42EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris Rn. 53.
43Namentlich genügt danach nicht das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind. Vielmehr ist es insoweit erforderlich, dass diese Strafe auch tatsächlich in der Praxis verhängt wird.
44EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris Rn. 56 ff.
45Insoweit sind für die Annahme einer Verfolgungshandlung strengere Anforderungen zu erfüllen, als die Kammer dies in ihrer bisherigen Rechtsprechung angenommen hat. Danach genügte es für die Annahme einer Verfolgungshandlung, dass homosexuelle Handlungen im Verfolgerstaat unter Strafe standen und es darüber hinaus nicht feststellbar war, dass diese Strafandrohung in der Praxis nicht umgesetzt wurde.
46Urteil der Kammer vom 23. März 2012 - 13 K 1217/11.A -, juris Rn. 47 f., 52.
47Demgegenüber ist nach der zitierten Entscheidung des EuGH die positive Feststellung erforderlich, dass die Freiheitsstrafe auch tatsächlich in der Praxis verhängt wird. Dem schließt sich das Gericht aus Gründen der Rechtseinheit an. Solche positiven Feststellungen können indes nicht getroffen werden. Den im Verfahren 13 K 1217/11.A eingeholten, noch hinreichend aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 20. Januar 2012 und von amnesty international vom 3. Februar 2012 ist dabei zu entnehmen, dass positive Erkenntnisse über die praktische Verhängung der Freiheitsstrafe nicht bestehen, wobei das Auswärtige Amt dies auch darauf zurückgeführt hat, dass homosexuelle Handlungen vor dem Hintergrund ihrer starken gesellschaftlichen Ächtung in den seltensten Fällen in der breiten Öffentlichkeit vollzogen würden. Über die beiden Auskünfte hinaus bestehen zudem aktuelle Erkenntnisse aus dem
48Rapport de mission en République de Guinée (29 octobre - 19 novembre 2011) von März 2012 - Mission organisée conjointement par le CGRA (Belgique), l‘OFPRA (France) et l’ODM (Suisse), S. 20.
49Danach ist die entsprechende Strafvorschrift nach einhelliger Auffassung der von den Autoren des Berichts befragten Rechtsanwälte - Mitglieder von Anwälte ohne Grenzen und ein guineischer Rechtsanwalt im November 2011 - noch nie angewandt und keine Verfolgung durchgeführt worden. Zu anderen, für den Kläger günstigeren Erkenntnissen führen auch nicht die von seinem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumente. Aus dem Bericht des Youssouf Keita vom 29. Februar 2012 ergibt sich allenfalls eine gesellschaftliche Ächtung der Homosexualität, keinesfalls aber ein Hinweis auf die strafrechtliche Verfolgung. Der Bericht führt sogar aus, dass sich gelebte Homosexualität jedenfalls im Verborgenen ausbreite, wobei der Autor die Namen einiger gastronomischer Etablissements und Hotels nennt. Der vorgelegte Bericht der Organisation Accord enthält unterschiedliche Angaben zu der Frage, ob Homosexualität in Guinea überhaupt strafbar ist. Mit der Frage der praktischen Verfolgung und Verhängung einer Strafe befasst er sich nicht. Das vorgelegte
50Urteil des VG Köln vom 15. September 2011 - 18 K 6103/10.A -
51betrifft schließlich einen Einzelfall der Verfolgung eines Homosexuellen durch Familienmitglieder, nicht aber die Frage der Strafbarkeit oder der tatsächlichen Verhängung von Strafen.
52Die allgemeine gesellschaftliche Ächtung der Homosexualität in der Republik Guinea erreicht ebenfalls nicht die von § 3a AsylVfG beschriebene Schwere, sodass im Übrigen der Frage nicht nachzugehen ist, ob die Voraussetzungen der durch § 3c Nr. 3 AsylVfG geregelten nichtstaatlichen Verfolgung vorliegen. In diesem Zusammenhang ist zwar zu betonen, dass der Kläger nicht darauf verwiesen werden kann, sich in Guinea in Zukunft entgegen seiner Veranlagung homosexueller Betätigung zu enthalten oder sich nur im engsten privaten Umfeld zu betätigen. Kommt der sexuellen Ausrichtung eines Menschen in dem o.g. Sinne ein identitätsprägender Charakter zu, stellt sie einen konstitutiven Bestandteil seiner Persönlichkeit dar. Wird der Betroffene gezwungen, diesen wesentlichen Bestandteil seiner Persönlichkeit grundsätzlich zu negieren oder jedenfalls weitgehend zu verheimlichen, beeinträchtigt ihn dies in seiner durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde.
53Vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris Rn. 70 f.; Urteil der Kammer vom 23. März 2012 - 13 K 1217/11.A -, juris Rn. 53 f.
54Allerdings lassen die allgemeinen Erkenntnisse über die in der Republik Guinea weit verbreitete Ächtung der Homosexualität noch nicht den Schluss zu, dass das oben beschriebene Maß des § 3a AsylVfG erreicht ist; auch der Kläger beruft sich nicht hierauf.
55Der Kläger genießt auch keinen subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylVfG. Ein Ausländer ist nach Satz 1 dieser Vorschrift subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Ein solcher ernsthafter Schaden ist mit Blick auf den Kläger aber weder ersichtlich noch von ihm behauptet worden.
56Schließlich liegen aufgrund vergleichbarer Erwägungen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vor. Entsprechendes ist auch nicht durch den Kläger geltend gemacht worden.
57Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes zugleich verfügte Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist stützen sich auf §§ 34 Absatz 1, 38 Absatz 1 AsylVfG und § 59 AufenthG.
58Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.