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1. Grundvoraussetzung dafür, dass eine zu überstellende Person i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO 604/2013 flüchtig ist, ist, dass sie sich für einen nicht unerheblichen Zeitraum aus von ihr zu vertretenden Gründen an einem Ort aufhält, der den zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats nicht bekannt ist.
2. Wird eine zu überstellende Person anlässlich eines Überstellungsversuchs zu einer Zeit nicht in ihrer Unterkunft angetroffen, zu der nach der allgemeinen Lebenserfahrung damit zu rechnen ist, dass sie sich dort aufhält (im konkreten Fall: 4:30 Uhr), ist dies ein starkes Indiz dafür, dass sie flüchtig ist. In einem solchen Fall hat die betreffende Person im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 15 AsylG plausibel darzulegen, dass sie nicht flüchtig war, indem sie konkret darlegt, wann sie sich wo zu welchem Zweck aufgehalten hat, und ihre Angaben ggf. unter Beweis zu stellen.
3. Eine zu überstellende Person ist unabhängig davon flüchtig, ob der zuständigen Behörde zum Zeitpunkt der Information des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nicht bekannt ist, wo sie sich aufhält (entgegen VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris, Rn. 20).
4. Hält sich eine zu überstellende Person ohne Mitteilung an die Ausländerbehörde für einen Zeitraum von mehreren Tagen (im konkreten Fall: sieben) nicht in ihrer Unterkunft auf, nimmt sie unabhängig davon, ob ihr ein konkreter Abschiebungstermin bekannt war, zumindest billigend in Kauf, dass eine für diesen Zeitraum vorgesehene Abschiebung nicht durchgeführt werden kann.
5. Asylbewerber, die in Italien noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, laufen im Falle ihrer Überstellung nach Italien keine Gefahr, dort aufgrund von systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingun-gen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GrCh ausgesetzt zu werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass ihnen im Falle der Gewährung von Flüchtlings- oder subsidiärem Schutz durch die italienischen Behörden in Italien möglicherweise die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GrCh droht.
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsteller.
G r ü n d e :
21. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt D. , L. , ist abzulehnen, weil der Antragsteller trotz Aufforderung des Gerichts mit Verfügung vom 1. März 2018 keine aktuelle Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 117 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 ZPO) vorgelegt hat. Die vorliegende Erklärung vom 6. Juli 2017 ist nicht mehr aktuell, zudem waren ihr keine Einkommensnachweise beigefügt.
32. Der Antrag,
4den Beschluss des Gerichts vom 2. August 2017 - 8 L 1449/17.A - abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 anzuordnen,
5hat keinen Erfolg.
6a) § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO bestimmt, dass das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben kann. Ergänzend sieht § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vor, dass jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines solchen Beschlusses wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen kann. Stellt ein Beteiligter einen Abänderungsantrag und liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO nicht vor, ist das Gericht nicht gehindert, von Amts wegen von seiner Aufhebungs- bzw. Änderungsbefugnis Gebrauch zu machen.
7b) Es besteht indes kein Anlass, den Beschluss vom 2. August 2017 - 8 L 1449/17.A - abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren 10 K 6479/17.A gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen. Eine erneute Überprüfung dieser Abschiebungsanordnung ergibt, dass diese weiterhin rechtmäßig ist (aa), so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers weiterhin überwiegt (bb).
8aa) Eine erneute Überprüfung der Abschiebungsanordnung ergibt, dass diese weiterhin rechtmäßig ist. Die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG für eine Anordnung der Abschiebung des Antragstellers nach Italien liegen weiterhin vor. Diese Norm bestimmt, dass dann, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat oder - wie hier - in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Italien ist nach den Zuständigkeitskriterien der hier anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 31, sog. Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig (1). Diese Zuständigkeit ist zwischenzeitlich nicht auf die Antragsgegnerin übergegangen (2). Die Zuständigkeit Italiens entfällt auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013 (3). Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote oder sonstige tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stehen der Abschiebung des Antragstellers nach Italien ebenfalls nicht entgegen (4).
9(1) Italien ist nach den Zuständigkeitskriterien der Art. 8 ff. VO 604/2013 für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig. Dies ergibt sich mangels vorrangiger Kriterien aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO 604/2013. Danach ist der Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Aufgrund der insoweit glaubhaften Angaben des Antragstellers und des für ihn erzielten Eurodac-Treffers, aus dem sich ergibt, dass ihm am 5. Februar 2017 in Italien Fingerabdrücke abgenommen wurden, ist das Gericht davon überzeugt, dass er Anfang Februar 2017 von Libyen aus über das Mittelmeer nach Italien eingereist ist. Dieser Grenzübertritt erfolgte illegal; der Antragsteller hat selbst angegeben, nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels oder Visums gewesen zu sein. Der Antragsteller hat auch entsprechend den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013
10- zur Auslegung dieser Norm vgl. OVG NRW, Urteile vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, AuAS 2014, 118 (juris Rn. 46 ff.) zu der im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 VO 343/2003, sowie vom 19. Mai 2017 - 11 A 52/17.A -, Abdruck S. 6; Filzwieser/Sprung, Kommentar zur Dublin III-Verordnung, 1. Auflage 2014, Art. 13 Rn. K13 -
11innerhalb von zwölf Monaten nach seinem illegalen Grenzübertritt, nämlich spätestens am 3. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat (hier: Deutschland) gestellt.
12(2) Die Zuständigkeit Italiens ist zwischenzeitlich weder gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO 604/2013 aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist noch gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. Dezember 2003 (ABl. L 222, S. 3) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (ABl. L 39, S. 1) wegen des Ablaufs der Mitteilungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen.
13(a) Die Zuständigkeit Italiens ist zwischenzeitlich nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO 604/2013 aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Norm erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald sie praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Abs. 3 VO 604/2013 aufschiebende Wirkung haben (Alt. 2).
14(aa) Die Überstellungsfrist begann gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 VO 604/2013 mit der Annahme des Aufnahmegesuchs zu laufen. Im vorliegenden Fall gilt die Annahme des Aufnahmegesuchs gemäß Art. 22 Abs. 7 VO 604/2013 als am 27. Juni 2017 erteilt, weil die italienischen Behörden das Aufnahmegesuch des Bundesamts ausweislich des im Verwaltungsvorgang befindlichen Empfangsbekenntnisses am 26. April 2017 erhalten und es nicht innerhalb von zwei Monaten beantwortet haben. Dementsprechend endete die Überstellungsfrist zunächst am 27. Dezember 2017. Jedoch wurde diese Frist durch den am 6. Juli 2017 beim Gericht eingegangenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Folge unterbrochen, dass mit Bekanntgabe des Beschlusses vom 2. August 2017 - 8 L 1449/17.A - eine neue sechsmonatige Frist zu laufen begann.
15Vgl. BVerwG, Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 -, Asylmagazin 2016, 266, Rn. 22; OVG NRW, Urteil vom 7. Juli 2016 - 13 A 2238/15.A -, juris Rn. 24 ff. .
16Diese Frist wäre am 2. Februar 2018 verstrichen. Die italienischen Behörden wurden ausweislich der DUAO-Mappe mit Nachricht vom 16. August 2017 entsprechend den Vorgaben des Art. 9 Abs. 1 VO 1560/2003 über die Stellung des Eilantrags informiert. Darüber hinaus hat das Bundesamt den italienischen Behörden am 18. August 2017 auch den Wegfall der aufschiebenden Wirkung des Eilantrags sowie die Verlängerung der Überstellungsfrist bis zum 2. Februar 2018 mitgeteilt.
17(bb) Die Überstellungsfrist hat sich jedoch gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 VO 604/2013 bis zum 2. Februar 2019 verlängert, weil der Antragsteller zwischenzeitlich flüchtig gewesen ist und dies den italienischen Behörden vor dem 2. Februar 2018 mitgeteilt wurde.
18Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO 604/2003 bestimmt, dass die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden kann, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Der Begriff "flüchtig" wird in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anders als der Begriff "Fluchtgefahr" [vgl. Art. 2 lit. n)] nicht definiert. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO 604/2013 dient ebenso wie die Inhaftnahme bei Fluchtgefahr gemäß Art. 28 Abs. 2 ("zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren") i.V.m. Art. 2 lit. n) VO 604/2013 der für das Funktionieren des Dublin-Systems unerlässlichen Durchsetzung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat.
19Vgl. VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris Rn. 20.
20Durch die Fristverlängerung soll verhindert werden, dass zu überstellende Personen sich bis zum Ablauf der regulären Überstellungsfrist durch Flucht ihrer Überstellung entziehen. Dementsprechend ist Grundvoraussetzung dafür, dass eine zu überstellende Person flüchtig ist, dass sie sich für einen nicht unerheblichen Zeitraum aus von ihr zu vertretenden Gründen an einem anderen Ort als in ihrer Unterkunft aufhält und den zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats der aktuelle Aufenthaltsort nicht bekannt ist.
21Vgl. VG Greifswald, Urteil vom 15. November 2017 - 3 A 2051/16 As HGW -, juris Rn. 23; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Auflage 2014, Art. 29 Rn. K12; Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Band 2, Stand: April 2017, § 29 Rn. 251; Hruschka/Maiani, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Auflage 2016, Part D VI, Art. 29 Rn. 3.
22Wird eine zu überstellende Person anlässlich eines Überstellungsversuchs zu einer Zeit nicht in ihrer Unterkunft angetroffen, zu der nach der allgemeinen Lebenserfahrung damit zu rechnen ist, dass sie sich in ihrer Unterkunft aufhält, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass sie flüchtig ist. In einem solchen Fall hat die betreffende Person im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 15 AsylG plausibel darzulegen, dass sie nicht flüchtig war, indem sie konkret darlegt, wann sie sich wo zu welchem Zweck aufgehalten hat, und ihre Angaben ggf. unter Beweis zu stellen.
23Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Band 2, Stand: April 2017, § 29 Rn. 251.
24Ausgehend hiervon war der Antragsteller flüchtig: Er wurde ausweislich der beigezogenen Ausländerakte am 19. Januar 2018 morgens gegen 4:30 Uhr nicht in seiner Unterkunft angetroffen (Bl. 107 der Ausländerakte) und sprach ausweislich der telefonischen Auskunft eines Mitarbeiters der Ausländerbehörde der Stadt I1. erst am 26. Januar 2018 wieder bei der Ausländerbehörde vor (Bl. 14 der Gerichtsakte 10 L 258/18.A). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller die für die Durchführung der Überstellung zuständige Ausländerbehörde vorher über seinen Aufenthaltsort informiert hatte oder dass er sich zwischen dem 19. und 26. Januar 2018 in seiner Unterkunft aufgehalten hat, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Dagegen spricht schon, dass der Antragsteller sich ausweislich eines Anmeldungsformulars der Meldebehörde erst zum 29. Januar 2018 wieder unter seiner alten Wohnanschrift angemeldet hat (Bl. 116 der Ausländerakte). Dementsprechend hat sich der Antragsteller nach derzeitigem Sach- und Streitstand für einen Zeitraum von zehn Tagen nicht in seiner Unterkunft aufgehalten und war den zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats mindestens sieben Tage nicht bekannt, wo er sich aufhielt. Eine den zuständigen Behörden über einen Zeitraum von sieben Tagen nicht bekannte Abwesenheit ist als erheblich anzusehen, weil sie zeitlich weit über das hinausgeht, was für alltägliche Verrichtungen wie Einkäufe, Arzt- oder Schulbesuch, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder einen Besuch bei Bekannten erforderlich ist.
25Vgl. VG Minden, Beschluss vom 5. Februar 2018 - 12 L 117/18.A -, Abdruck S. 4 f. (sechs Tage); VG Ansbach, Beschluss vom 29. August 2017 - AN 14 E 17.50998 -, juris Rn. 3, 25 und 37 (sechs Tage).
26Nicht erforderlich ist, dass der zuständigen Behörde zum Zeitpunkt der Information des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nicht bekannt ist, wo sich die zu überstellende Person aufhält.
27A.A. VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris Rn. 20.
28Eine derartige Einschränkung lässt sich weder dem Wortlaut des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO 604/2013 entnehmen, noch lässt sie sich mit dessen Sinn und Zweck vereinbaren: Hat sich eine zu überstellende Person für einen nicht unerheblichen Zeitraum an einem der zuständigen Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats nicht bekannten Ort aufgehalten, ist sie flüchtig. Es widerspräche dem Sinn und Zweck des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO 604/2013, die Durchführung der Überstellung sicherzustellen, die Folgen dieses Verhaltens durch eine nachträgliche Meldung bei der zuständigen Behörde entfallen zu lassen. Dies gilt unabhängig davon, ob eine solche Meldung vor oder nach der Information des zuständigen Mitgliedstaats erfolgt.
29Ob ein Flüchtigsein darüber hinaus voraussetzt, dass die zu überstellende Person sich planvoll und zumindest bedingt vorsätzlich ihrer Überstellung entzieht
30- so VG Minden, Beschluss vom 5. Februar 2018 - 12 L 117/18.A -, Abdruck S. 3 f.; VG Aachen, Beschluss vom 21. November 2017 - 6 L 1601/17.A -, juris Rn. 9; VG Ansbach, Beschluss vom 29. August 2017 - AN 14 E 17.50998 -, juris Rn. 31; ablehnend VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris Rn. 20; offen gelassen von VG Würzburg, Urteil vom 29. Januar 2018 - W 1 K 17. 50166 - juris Rn. 19 -
31und ob durch deren Aufenthalt an einem der zuständigen Behörde unbekannten Ort ein geplanter Überstellungsversuch vereitelt wurde
32- so VG Aachen, Beschluss vom 21. November 2017 - 6 L 1601/17.A -, juris Rn. 9; VG Ansbach, Beschluss vom 29. August 2017 - AN 14 E 17.50998 -, juris Rn. 30; ablehnend: VG Greifswald, Urteil vom 15. November 2017 - 3 A 2051/16 As HGW -, juris Rn. 24 -,
33bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Vertiefung, da beide Punkte hier zu bejahen sind: Dem Antragsteller war aufgrund des Bescheids des Bundesamts vom 27. Juni 2017 bekannt, dass er nach Italien abgeschoben werden sollte. Trotzdem hat er sich ohne Mitteilung an die Ausländerbehörde für einen Zeitraum von sieben Tagen nicht in seiner Unterkunft, sondern an einem anderen Ort aufgehalten. Damit hat er unabhängig davon, ob ihm ein konkreter Abschiebungstermin bekannt war, zumindest billigend in Kauf genommen, dass eine für diesen Zeitraum vorgesehene Abschiebung nach Italien nicht durchgeführt werden konnte. Aufgrund seiner Abwesenheit konnte er nicht - wie ausweislich der Ausländerakte vorgesehen - am 19. Januar 2018 nach Italien abgeschoben werden.
34(b) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers ist auch nicht wegen des Ablaufs der Mitteilungsfrist gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 VO 1560/2003 auf die Antragsgegnerin übergegangen.
35Art. 9 Abs. 2 Satz 1 VO 1560/2003 bestimmt, dass der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013 zu unterrichten ist, wenn die Überstellung aus einem der in Art. 29 Abs. 2 VO 604/2013 genannten Gründe nicht innerhalb dieser Frist erfolgen kann. Erfolgt diese Mitteilung nicht oder nicht fristgemäß, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 VO 1560/2003 auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.
36Das Bundesamt hat die italienischen Behörden ausweislich der DUAO-Mappe am 31. Januar 2018 und damit vor Ablauf der am 2. Februar 2018 endenden Überstellungsfrist benachrichtigt, dass der Antragsteller flüchtig ist und dass sich die Überstellungsfrist aufgrund dessen bis zum 2. Februar 2019 verlängert hat. Einer ausdrücklichen Zustimmung der italienischen Behörden zur Fristverlängerung bedarf es nicht. Der Wortlaut des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 604/2013 lässt eine einseitige Verlängerung der Überstellungsfrist durch den ersuchenden Mitgliedstaat zu; dies entspricht auch der Konzeption des Art. 9 Abs. 2 VO 1560/2003. Zudem wäre eine einvernehmliche Verlängerung der Überstellungsfrist unpraktikabel und hätte dieser rechtliche Ansatz voraussehbar zur Folge, dass die für das Funktionieren des Dublin-Systems unabdingbaren Überstellungen in vielen Fällen nicht durchgeführt werden könnten, so dass der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts für das hier vertretene Normverständnis spricht.
37Vgl. VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris Rn. 23; VG Würzburg, Urteil vom 29. Januar 2018 - W 1 K 17. 50166 - juris Rn. 20.
38(3) Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013 steht der Überstellung des Antragstellers nach Italien nicht entgegen. Nach dieser Norm setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Art. 8 ff. VO 604/2013 vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechte-charta (GrCH) mit sich bringen.
39(a) Nach der Rechtsprechung der Kammer
40- vgl. Urteile vom 27. Januar 2016 - 10 K 535/15.A -, juris Rn. 43 ff., sowie vom 24. August 2016 - 10 K 2555/16.A - (nicht veröffentlicht) -
41und der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-West-falen
42- vgl. z.B. Urteil vom 21. Juni 2016 - 13 A 569/16.A -, juris Rn. 48 ff. -
43laufen Asylbewerber, die - wie der Antragsteller - in Italien noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, im Falle ihrer Überstellung nach Italien keine Gefahr, dort aufgrund von systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GrCh ausgesetzt zu werden. Dass der Antragsteller in Italien noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ergibt sich aus dem vom Bundesamt für ihn erzielten Eurodac-Treffer. Dieser besteht aus der Länderkennung IT für Italien und einer zusätzlichen Zahlen- oder Buchstabenfolge. Die Ziffer unmittelbar nach der Länderkennung - im vorliegenden Fall eine 2 - gibt den Grund für die Abnahme von Fingerabdrücken an, wobei eine 2 anzeigt, dass die betreffende Person in dem durch die Länderkennung bezeichneten Land keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, und eine 1 für die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz steht.
44Vgl. Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 und 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 1, sog. Eurodac-VO); Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 1/2012, S. 1.
45(b) Die Rechtsprechung der Kammer beruht maßgeblich auf dem Bericht der Associazione Studi Giuridici sull' Immigrazione (ASGI) vom März 2015. In diesem Bericht wird auf valider empirischer Grundlage festgestellt, dass Dublin-Rückkehrer, die in Italien noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben (sog. "take charge-cases"), noch am Flughafen, über den sie nach Italien zurückgeführt werden, einen solchen Antrag stellen können und anschließend in eine Unterkunft für Asylbewerber aufgenommen werden.
46ASGI, The Dublin System and Italy: A Wavering Balance, März 2015, S. 8 f. und 34 f.
47Den aktuellen Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sowie der Asylum Information Database lassen sich keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Verhältnisse entnehmen. Nach diesen Berichten haben Dublin-Rückkehrer, die vor ihrer Ausreise aus Italien noch nicht in einer Einrichtung für Asylbewerber untergebracht waren, nach ihrer Rückkehr nach Italien Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung und versuchen am Flughafen tätige Nichtregierungsorganisationen den Rückkehrern eine Unterkunft in einer dieser Einrichtungen zu organisieren.
48Schweizerische Flüchtlingshilfe (SF), Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 26 ff.; Asylum Information Database (aida), Country Report: Italy, Februar 2017, S. 64 f.
49(c) Dass dem Antragsteller im Falle der Gewährung von Flüchtlings- oder subsidiärem Schutz durch die italienischen Behörden in Italien möglicherweise die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GrCh droht, steht seiner Überstellung nach Italien nicht entgegen.
50A.A. möglicherweise VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris Rn. 25 f.
51Zwar sprechen aufgrund der Unterlagen, die dem Gericht zur Situation von Personen, denen in Italien internationaler Schutz, d.h. Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) gewährt wurde, vorliegen
52- insbesondere Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Leitfaden Italien, Oktober 2014; ASGI, The Dublin System and Italy: A Wavering Balance, März 2015; Médecins sans Frontières (MSF), Out of Sight, Asylum Seekers and Refugees in Italy: Informal Settlements and Social Marginalization, März 2016; SF, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016; aida, Country Report: Italy, Februar 2017; Europarat, Report of the fact-finding mission to Italy, 2. März 2017; United States Department of State, Italy 2016 Human Rights Report, 3. März 2017; Bundesamt für Asylwesen der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt Italien, Stand 16. März 2017 -,
53und trotz der jüngsten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, wonach sich die Lebensverhältnisse von Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, in Italien nicht als allgemein unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen
54- vgl. z.B. Urteile vom 19. Mai 2016 - 13 A 1490/13.A -, Asylmagazin 2016, 312 (juris Rn. 88 ff.), sowie vom 24. August 2016- 13 A 63/13.A -, juris Rn. 51 ff. -,
55nach Ansicht des erkennenden Gerichts
56- vgl. Urteil vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -, juris -
57weiterhin erhebliche Gründe dafür, dass Personen, denen in Italien bereits internationaler Schutz gewährt wurde und die vollständig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, im Falle ihrer Überstellung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, aufgrund der dortigen Lebensbedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. des wortgleichen Art. 4 GrCh ausgesetzt zu werden, weil ihnen dort über einen längeren Zeitraum von nicht absehbarer Dauer Obdachlosigkeit und einhergehend damit kein gesicherter Zugang zu weiteren die menschliche Existenz sichernden Leistungen, insbesondere Nahrung, droht und die italienischen Behörden es unterlassen, Abhilfe zu schaffen, obwohl sie die Notlage hätten erkennen müssen und zur Abhilfe in der Lage wären.
58Vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris Rn. 25 f.
59Jedoch wurde dem Antragsteller, der in Italien - wie bereits dargelegt - noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, dort bisher weder Flüchtlings- noch subsidiärer Schutz gewährt. Damit lässt sich derzeit nicht feststellen, dass ihm in Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Ob dem Antragsteller in Italien Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz gewährt wird und ob er zu diesem Zeitpunkt auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, ist derzeit völlig offen.
60Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2017 - 11 A 52/17.A -, Abdruck S. 20 f.
61(4) Anhaltspunkte dafür, dass der Abschiebung des Antragstellers nach Italien über Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013 hinausgehende zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (§ 31 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG) entgegenstehen, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Dasselbe gilt in Bezug auf bei Erlass einer Abschiebungsanordnung vom Bundesamt zu prüfende
62- vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, 310 (juris Rn. 4) -
63tatsächliche oder rechtliche inlandsbezogene Abschiebungshindernisse i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Insbesondere hat der Antragsteller anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, gesund zu sein und in Deutschland nicht über Verwandte zu verfügen.
64bb) Angesichts dessen, dass der angefochtene Bescheid sich bei erneuter Überprüfung weiterhin als rechtmäßig erweist, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse weiterhin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Dem steht nicht entgegen, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris, mehrere für das vorliegende Verfahren relevante Fragen zur Entscheidung vorgelegt hat. Dies betrifft zum einen die Frage, ob die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig ist, wenn er für den Fall der Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine Behandlung i.S.d. Art. 4 GrCh zu erfahren, und zum anderen Fragen zum Verständnis des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO 604/2013. Diese Fragen stellen sich auch im vorliegenden Verfahren, so dass sich derzeit nicht feststellen lässt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist.
65Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, NVwZ 2017, 470, Rn. 18, sowie vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - juris Rn. 18.
66Jedoch fällt bei der gebotenen Interessenabwägung im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 die Wertung des europäischen Rechts ins Gewicht, dass grundsätzlich in jedem Mitgliedstaat angemessene, durch das Unionsrecht vereinheitlichte Aufnahmebedingungen herrschen, die Mindeststandards festlegen und die Grundlage für das Prinzip gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem bilden. Ein Überwiegen des Suspensivinteresses wird bei einer unionsrechtlich nicht geklärten Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht im Eilverfahren vorläufig zu Lasten des Asylbewerbers entscheidet, deshalb nur dann zu bejahen sein, wenn besondere, in der Person des Asylbewerbers oder im Asyl- und Aufnahmesystem des für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaats liegende Gründe die Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat mit der Folge, dass das Hauptsacheverfahren in Deutschland von dort aus betrieben werden muss, unzumutbar erscheinen lassen.
67Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, NVwZ 2017, 470, Rn. 19, sowie vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - juris Rn. 19.
68Derartige Umstände hat der Antragsteller nicht substantiiert vorgetragen. Dementsprechend ist im vorliegenden Fall maßgeblich, dass der Antragsteller nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen in Italien zumindest bis zur Entscheidung über seinen Asylantrag ausreichend mit Obdach und weiteren die menschliche Existenz sichernden Leistungen, insbesondere Nahrung, versorgt werden wird.
69Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.