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Der Bescheid vom 13. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2013 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 19. August 2013 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld.
3Die Klägerin wurde seit 2002 an der B-Schule, einer Ganztagsschule, als Betreuungskraft eingesetzt. Sie erhielt jeweils auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge von Tochtergesellschaften der Arbeiterwohlfahrt (Beigeladene zu 2), seit 2006 von der Tochtergesellschaft H (Beigeladene zu 1). Der Arbeitsvertrag für die Zeit von August 2011 bis Juli 2012 lief über 18 Stunden pro Woche. Die Einsatzzeit lag zwischen 7.00 Uhr und 17.00 Uhr. Als Tätigkeit der Klägerin wurde die Betreuung von Schülern an der offenen Ganztagsschule B-Schule festgelegt. Der Stundenlohn betrug 9,50 EUR brutto.
4Für die Zeit ab August 2012 bis Juli 2013 erhielt die Klägerin von der Beigeladenen zu 1) einen gleichlautenden Arbeitsvertrag, allerdings nur noch über 8 Stunden pro Woche. Ab Januar 2013 wurden 10 Stunden pro Woche vereinbart. Ferner erhielt die Klägerin von der Beigeladenen zu 2) einen Vertrag ab August 2012 bis Juli 2013 über den Einsatz in der Sprachförderung und bei Leseübungen an der B-Schule in der Zeit zwischen 8.00 Uhr und 16.00 Uhr. Die Vereinbarung sah vor, daß der Umfang der Betreuungstätigkeit vor Ort in der Schule geregelt werde. Analog der Regelungen und Richtlinien für Übungsleiter werde dafür eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 154,00 EUR monatlich gezahlt.
5Beide Verträge wurden ab 01. August 2013 nicht verlängert. Die Klägerin meldete sich am 19. August 2013 arbeitsuchend und arbeitslos. Die Beigeladene zu 2) füllte die Arbeitgeber-Bescheinigung aus und gab an, die Klägerin sei nur bis zum 31. Juli 2012 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Mit Bescheid vom 13. September 2013 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Klägerin weise in den letzten zwei Jahren vor dem 19. August 2013 weniger als 12 Monate versicherungspflichtige Zeiten auf und habe deswegen die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2013 zurückgewiesen.
6Daraufhin hat die Klägerin am 15. November 2013 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie habe auch von August 2012 bis Juli 2013 versicherungspflichtig gearbeitet, auch wenn sie von den Arbeitgebern nicht so behandelt worden sei. Ab 01. August 2012 habe sie einen Arbeitsvertrag von der Beigeladenen zu 1), erst über 8, dann über 10 Stunden, erhalten und dazu den Vertrag mit der Beigeladenen zu 2). Die Art ihrer Tätigkeit an der Grundschule sei aber ab August 2012 gegenüber der Zeit davor unverändert geblieben. Die Beigeladene zu 2) verstehe sich selbst als alleinige Arbeitgeberin. Dies ergebe sich auch aus dem von der Beigeladenen zu 2) verfassten Arbeitszeugnis. Die Entlohnung durch die beiden Beigeladenen sei zusammenzurechnen. Demnach habe sie ab August 2012 monatlich 316,67 EUR plus 154,00 EUR, also 470,67 EUR, und ab Januar 2013 monatlich 416,67 EUR plus 154,00 EUR, also 570,70 EUR verdient.
7Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 13. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 19. August 2013 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
8Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
9Die Beklagte und die Beigeladenen tragen im Wesentlichen vor, im vorliegenden Fall läge eine Versicherungspflicht der beiden Beschäftigungsverhältnisse durch eine Addition der beiden Arbeitsentgelte nur dann vor, wenn beide Einnahmen ungeschmälert zusammen gerechnet werden könnten. Dies sei aber unzulässig, weil hierbei die Übungsleiterpauschale unberücksichtigt bliebe. Die von der Beigeladenen zu 2) gezahlte Übungsleiterpauschale sei nach § 1 Abs. 1 Nr. 16 der Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV) i.V.m. § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz (EstG) nicht als Arbeitsentgelt anzusehen.
10Die Klägerin ist in einem Erörterungstermin und im Verhandlungstermin angehört worden. Sie hat im Wesentlichen angegeben, ihre Arbeit habe sich ab August 2012, abgesehen davon, daß sich ihre Einsatzzeit zunächst von 18 Stunden auf 14 Stunden verringert habe, nicht geändert, auch wenn sie dann zwei Verträge gehabt habe. Beide Verträge habe sie in der Geschäftsstelle der Beigeladenen zu 2) unterschrieben. Der Vertragsinhalt sei ihr vorher von einer Mitarbeiterin der Beigeladenen zu 2) mitgeteilt worden. Sie sei gar nicht begeistert davon gewesen, dass ihre Arbeit auf zwei Verträge aufgeteilt worden sei, aber ihr sie mitgeteilt worden, dass dies so gemacht werden müsse. Eine spezielle Sprachförderung oder Leseübungen seien an der Schule nicht durchgeführt worden. Sie habe in der Schülerbetreuung einzelne Schüler lesen lassen, wenn dies ihre Hausaufgabe gewesen sei. Eine spezielle Förderung sei von den Betreuungskräften nicht durchgeführt worden. Wenn eine spezielle Förderung von Kindern erforderlich gewesen sei, sei dies von der Integrationslehrerin durchgeführt worden. Der Einsatz der Betreuungskräfte sei vor Ort durch die pädagogische Fachkraft der Schule geregelt worden.
11Ferner ist eine Kollegin der Klägerin als Zeugin vernommen worden. Diese hat im Wesentlichen bekundet, die Tätigkeit und der Tätigkeitsbereich der Klägerin hätten sich ab 2012 nicht geändert. Die Tätigkeit in der Schule sei für alle Betreuerinnen im Grunde genommen gleich gewesen. Sie hätten Hausaufgaben betreut und beim Mittagessen aufgepasst. Ansonsten hätten sie auch verschiedene Angebote der Förderung gemacht, z.B. für Kreativität, Sport oder Feinmotorik. Die Klägerin sei auch im Bereich Sport eingesetzt gewesen. Ihr Einsatz und ihr Aufgabengebiet hätten sich aber während der Zeit, in der sie zusammen in der Betreuung gewesen seien, nicht geändert.
12Ferner ist die damalige Geschäftsführerin der Beigeladenen zu 1) als Zeugin vernommen worden. Sie hat im Wesentlichen bekundet, die Beigeladene zu 1) sei eine hundertprozentige Tochter der Beigeladenen zu 2). Sie habe damals den Vertrag mit der Klägerin unterschrieben. Zu Weiterem könne sie aber nichts sagen, weil sie nur der Form halber die Verträge als Geschäftsführerin unterschrieben habe. Inhaltliche Sachen, warum die Klägerin z.B. einen Vertrag mit der Beigeladenen zu 2) gehabt habe, könne sie nicht beantworten. Dies müßten die Betriebsleiter der Beigeladenen zu 2) wissen.
13Ferner ist ein früherer Betriebsleiter der Beigeladenen zu 2), Herr C, vernommen worden. Er hat im Wesentlichen bekundet, die Schulförderung habe die Beigeladene zu 2) durch ihre Tochtergesellschaft, die Beigeladene zu 1), durchführen lassen. Wenn es Kinder mit höherem Förderbedarf gegeben habe, habe dann die Beigeladene zu 2) zusätzliche Förderung finanziert und den eingesetzten Personen eine Übungsleiterpauschale gezahlt.
14Schließlich ist der 2012 zuständige Betriebsleiter der Beigeladenen zu 2) vernommen worden. Er hat im Wesentlichen bekundet, er könne nicht genau sagen, warum die Klägerin ab Sommer 2012 zwei Verträge erhalten habe. Er denke, dass es damit zusammenhinge, dass die Pauschale von der Beigeladenen zu 2) bezahlt worden sei, weil diese gemeinnützig sei.
15Beide Betriebsleiter haben im Übrigen bekundet, dass die Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) jeweils davon Kenntnis hatten, welche Personen auch von der anderen eingesetzt worden seien.
16Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Streitakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
17Entscheidungsgründe:
18Die form- und fristgerecht ist zulässig und begründet.
19Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Zu Unrecht hat die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld abgelehnt.
20Gemäß § 137 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) hat eine Versicherte Anspruch auf Arbeitslosengeld, die arbeitslos ist, sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Bis auf die Anwartschaftszeit sind die Voraussetzungen für Arbeitslosengeld bei der Klägerin unzweifelhaft erfüllt.
21Die Anwartschaftszeit hat gemäß § 142 SGB III erfüllt, wer in der Rahmenfrist (§ 143 SGB III) mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist läuft bei der Klägerin vom 19. August 2011 bis zum 18. August 2013, dem Tag vor ihrer Arbeitslosmeldung. In dieser Zeit hat sie nicht nur bis zum 31. Juli 2012, sondern auch danach versicherungspflichtig gearbeitet, so dass die Anwartschaftszeit erfüllt ist.
22Versicherungspflichtig sind nach §§ 24, 25 SGB III Beschäftigte, soweit sie nicht nach § 27 Abs. 2 SGB III wegen geringfügiger Beschäftigung versicherungsfrei sind. Die Klägerin war Beschäftigte und ging nicht nur einer geringfügigen Beschäftigung nach.
23Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung regelmäßig im Monat 400,00 EUR (ab 2013 450,00 EUR) nicht übersteigt. Dabei sind gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB IV mehrere geringfügige Beschäftigungen nach Nr. 1 zusammenzurechnen. Die Vergütungen der Klägerin von beiden Beigeladenen zusammen überstiegen 2012 den Betrag von 400,00 EUR und den ab 2013 geltenden Betrag von 450,00 EUR.
24Die Zahlung der Beigeladenen zu 2) kann dabei nicht außer Betracht bleiben. Zwar bestimmen § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV und § 1 Abs. 1 Nr. 16 SvEV, dass steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr. 26 EstG nicht als Arbeitsentgelt gelten. Nach § 3 Nr. 26 EStG sind Einnahmen aus nebenberuflicher Tätigkeit bis zu einer bestimmten Höhe steuerfrei. § 3 Nr. 26 EstG ist jedoch nicht auf die Zahlung der Beigeladenen zu 2) anzuwenden. Denn die Klägerin war nicht nur nebenberuflich tätig.
25Eine nebenberufliche Tätigkeit liegt nur dann vor, wenn der Zeitaufwand nicht mehr als ein 1/3 bei einer Haupttätigkeit, also 13 1/3 Stunden pro Woche beträgt (Urteil des Bundesfinanzhofs VI R 188/87 in BFHE 160, 486, Knospe in Hauck/Haines, Kommentar zum SGB IV § 14 Rdnr. 56, Werner in juris Praxiskommentar § 14 SGB IV Rdnr. 264, Blümich Kommentar zum EStG § 3 Nr. 26 Rdnr. 11). Der Zeitaufwand der Klägerin für ihre Tätigkeiten bei der Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2) ist dabei zusammenzurechnen, auch wenn pro forma zwei verschiedene Arbeitgeber aufgetreten sind (vgl. oben angegebenes Urteil des Bundesfinanzhofs, Knospe a.a.O. § 14 Rdnr. 56, Blümich a.a.O. § 3 Nr. 26 Rdnr. 12, Werner a.a.O. Rdnr. 266). Denn die Klägerin verrichtete eine einheitliche Tätigkeit an einem Arbeitsort. Auch das Direktionsrecht wurde gegenüber der Klägerin einheitlich ausgeübt.
26Die Versicherungspflicht der Klägerin ist auch nicht durch § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV ausgeschlossen. Danach tritt die Versicherungspflicht zwar erst mit dem Tag ein, an dem die Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht bekannt gegeben wird, wenn beim Zusammenrechnen mehrerer Beschäftigungen festgestellt wird, dass die Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung nicht mehr vorliegen. Dadurch sollen Arbeitgeber bei Unverschulden vor Beitragsnachzahlungen geschützt werden (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar § 8 Rdnr. 53f). Diese Privilegierung kommt hier den Beigeladenen nicht zugute. Denn nach § 8 Abs. 2 Satz 4 SGB IV gilt Satz 3 nicht, wenn die Arbeitgeber es vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt haben, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung der Beschäftigung aufzuklären. Hier lag aber kein den Beigeladenen unbekannter oder aufzuklärender Sachverhalt vor. Vielmehr war beiden Beigeladenen bekannt, dass die Klägerin auch durch die jeweils andere Beigeladene beschäftigt und bezahlt wurde. Die Tatsachen, die zur Versicherungspflicht führen, waren ihnen also bekannt. Das Verschulden der Arbeitgeber ist hier weiterreichender als bei einer Versäumung der Aufklärung einer Mehrfachbeschäftigung. Im vorliegenden Fall tritt die Versicherungspflicht damit erst recht rückwirkend ein.
27Nach alledem steht der Klägerin ab 19. August 2013 Arbeitslosengeld zu. Es mag sein, dass die Beklagte bei der Bewilligung des Arbeitslosengeldes noch eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung nach § 38 SGB III feststellt. Eine solche Sperrzeit wäre jedoch bereits vor dem 19. August 2013 abgelaufen. Da die Klägerin sich spätestens drei Monate vor dem Auslaufen ihres Vertrages am 31. Juli 2013 hätte arbeitsuchend melden müssen, wäre bereits am 30. April 2013 das sperrzeitbegründende Ereignis eingetreten. Die Sperrzeit würde also am 01. Mai 2013 beginnen und nach einer Woche ablaufen (vgl. Rechtsprechung der erkennenden Kammer sowie der 22. Kammer des Sozialgerichts Dortmund, z.B. Urteile S 31 AL 573/12 und S 22 AL 1146/10).
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.