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Die Berufung des angeschuldigten Rechtsanwalts wird mit der Maßgabe verworfen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt im Zeitraum von Februar bis September 2019 gegen die Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen, verstoßen hat, indem er in zwei Fällen gegen seine Pflicht zur Mitwirkung an ordnungsgemäßen Zustellungen und unverzüglichen Erteilung von Empfangsbekenntnissen sowie zur Auskunftserteilung gegenüber der Rechtsanwaltskammer und gegen das Gebot der Sachlichkeit verstieß.
Gegen ihn wird deshalb (allein) die Maßnahme einer Geldbuße in Höhe von 1.500,00 € verhängt.
Der angeschuldigte Rechtsanwalt trägt 75% der Kosten des Verfahrens. 25% der Kosten des Verfahren und der notwendigen Auslagen des Rechtsanwalts werden der Rechtsanwaltskammer Köln auferlegt.
Angewendete Vorschriften:
§§ 43, 43a III, 56 I, 113, 114 I BRAO, 14 BORA.
Gründe:
2I.
3Mit Urteil des Anwaltsgerichts Köln vom 15. Mai 2023 (1 AnwG 47/21 – 10 EV 125/20) ist der angeschuldigte Rechtsanwalt aufgrund der Hauptverhandlung vom selben Tag (Protokoll: Bl. 154-156R) eines – so wörtlich - „Standesverstoßes“ schuldig gesprochen worden, aufgrund dessen gegen ihn die Maßnahme eines Verweises in Verbindung mit einer Geldbuße in Höhe von 2.000,00 € verhängt worden ist.
4Mit Schriftsatz vom 15.5.2023, eingegangen bei Gericht per beA am selben Tag, hat der Angeschuldigte dagegen Berufung eingelegt. Die Zustellung des schriftlichen Urteils an den Rechtsanwalt sowie an dessen Verteidiger erfolgte jeweils am 5.7.2023 (Bl. 172-178; 179-184). Das Rechtsmittel ist gemäß § 143 I BRAO als Berufung statthaft. Die Berufung ist form– und gem. § 143 II S. 1 BRAO fristgerecht eingelegt worden.
5Die Berufung ist, wie der angeschuldigte Rechtsanwalt vor dem Senat in der Berufungshauptverhandlung explizit erklärt hat, unbeschränkt eingelegt worden. Zur Begründung seines Rechtsmittels hat er im Wesentlichen angeführt, dass die Abgabe der Empfangsbekenntnisse seines Erachtens, nachdem ihm die Entscheidungen jeweils gegen Postzustellungsurkunde zugestellt gewesen seien, entbehrlich gewesen sei. Ihm habe sich angesichts dessen der Eindruck aufgedrängt, dass er schikaniert werden solle. Eine Sanktionierung seiner Bezeichnung der Richterin am Landgericht J. als „türkische Richterin“ sei bereits formal unzulässig, weil dies nicht zur durch die Anschuldigungsschrift bezeichneten prozessualen Tat gehöre.
6II.
71.
8Hinsichtlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Berufspflichtverletzungen stehen aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats folgende Sachverhalte fest:
9a)
10Im selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht Bonn, Az. 13 OH 20/16, vertrat der Angeschuldigte die als Antragstellerin auftretende Z., O. und V. B. GbR. Das Mandat hatte er aufgrund einer persönlichen Bekanntschaft mit Z. B. ohne Vergütung übernommen.
11Mit Beschluss vom 28.12.2018 wurde der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens zurückgewiesen. Mit der mittels der EDV-Anwendung „Textsystem Justiz“ (TSJ) erstellten Verfügung vom selben Tag wurde die Zustellung von Abschriften des Beschlusses an die jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis angeordnet. Unter dem 3.1.2019 vermerkte die Geschäftsstelle die Erledigung der Verfügung. Nachdem seitens des Angeschuldigten bis zum 21.1.2019 kein Empfangsbekenntnis erteilt war, forderte die Geschäftsstelle es am gleichen Tag per Fax an die Nr. 02289148201 zurück. Dabei handelt es sich um die von dem Angeschuldigten auf seinem Briefkopf angegebene Telefaxnummer, wobei offen ist, ob das Schreiben den Rechtsanwalt erreichte. Mit weiterem an dieselbe Nr. versandtem Fax vom 5.2.2019 erinnerte das Gericht, weil wiederum keine Reaktion erfolgt war, nochmals an die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses. Der Rechtsanwalt wandte sich daraufhin an die Geschäftsstelle und erbat telefonisch die Übersendung eines Empfangsbekenntnisformulars, das er nicht erhielt.
12Nachdem weiterhin vom angeschuldigten Rechtsanwalt kein Empfangsbekenntnis erteilt worden war, erfolgte eine erneute Zustellung des Beschlusses vom 28.12.2018 per Zustellungsurkunde am 16.2.2019. Auch auf eine erneute Aufforderung namens des Präsidenten des Landgerichts mit Schreiben vom 15.2.2019, unterzeichnet durch die Richterin am Landgericht J. und übermittelt per Telefax am 25.2.2019, nunmehr binnen drei Tagen entweder das Empfangsbekenntnis oder eine anwaltliche Versicherung des Zeitpunkts des Erhalts der Sendung vorzulegen, erfolgte keine Reaktion des Rechtsanwalts, welcher dies wegen der zwischenzeitlich vollzogenen Zustellung gegen Zustellungsurkunde für entbehrlich hielt.
13b)
14Im Rechtsstreit 111 C 103/06 beim Amtsgericht Bonn vertrat der Angeschuldigte die Beklagte Y.. Die von ihm für seine Mandantin gegen das der Klage stattgebende Urteil eingelegte Berufung wurde im Berufungsverfahren 8 S 56/18 durch das Landgericht Bonn mit am 15.1.2019 verkündetem Urteil zurückgewiesen. Mit TSJ-Verfügung vom 14.1.2019 war die Zustellung von Abschriften des Urteils an die Prozessbevollmächtigten der Parteien gegen Empfangsbekenntnis angeordnet worden, und die Geschäftsstelle vermerkte insofern die Erledigung am 17.1.2019. Ob das Urteil die Kanzlei des angeschuldigten Rechtsanwalts erreichte, kann nicht festgestellt werden. Eine an ihn gerichtete Aufforderung zur Rücksendung des Empfangsbekenntnisses vom 4.2.2019, deren Zugang unklar ist, blieb ohne Reaktion. Der Prozessbevollmächtigte der Klagepartei, an den am selben Tag eine gleichlautende Aufforderung gerichtet worden war, teilte mit, das Urteil nicht erhalten zu haben. Daraufhin wurde die erneute Versendung der Urteilsabschriften am 14.2.2019 – wiederum gegen Empfangsbekenntnisse – veranlasst.
15Der Prozessbevollmächtigte der Klagepartei erteilte daraufhin das Empfangsbekenntnis unter dem 15.2.2019, während ein Empfangsbekenntnis des Angeschuldigten beim Landgericht Bonn nicht einging. Nachdem auch auf eine Aufforderung zur Rücksendung des Empfangsbekenntnisses vom 5.3.2019, die in der Kanzlei des Angeschuldigten zwar einging, aber nach seiner unwiderlegten Angabe einer falschen Akte zugeordnet wurde, keine Reaktion des Rechtsanwalts erfolgt war, wurde die Zustellung des Urteils per Zustellungsurkunde veranlasst, die am 19.3.2019 vollzogen wurde. Zuvor war schon am Freitag, den 15.3.2019, das mit einem Empfangsbekenntnisformular versandte Urteil eingegangen. Der Rechtsanwalt hielt sich zu dem Zeitpunkt allerdings nicht in den Kanzleiräumen auf. Infolge der Zustellung des Urteils gegen Zustellungsurkunde hielt der Rechtsanwalt auch in diesem Fall die Erteilung des Empfangsbekenntnisses für nicht erforderlich.
16c)
17Wegen dieser Vorgänge reichte der Präsident des Landgerichts Bonn Beschwerden vom 11.3. und 18.3.2019 bei der Rechtsanwaltskammer (RAK) Köln ein. Diese Beschwerden wurden dem Rechtsanwalt mit zwei Stellungnahmeersuchen der RAK Köln vom 30.3.2019 übermittelt, in denen er jeweils aufgefordert wurde, zu den Eingaben binnen drei Wochen Stellung zu nehmen. Daraufhin beantragte der Angeschuldigte mit Schreiben 25.4.2019 jeweils, die Stellungnahmefrist bis zum 9.5.2019 zu verlängern, gab aber bis zu diesem Zeitpunkt keine Stellungnahmen ab. Auf eine telefonische Erinnerung durch den Zeugen S. hin erklärte er am 3.7.2019, seine Stellungnahme in der kommenden Woche derart abzugeben, dass bis zum 15.7.2019 alles vorliege. Das geschah indes nicht, so dass eine förmliche Fristsetzung von 2 Wochen durch den Vorstand der RAK, verbunden mit der Ankündigung einer Abgabe an die Staatsanwaltschaft, erfolgte, die per Zustellungsurkunde am 23.7.2019 zugestellt wurde. Mit zwei Schreiben vom 8.8.2019 nahm daraufhin der Rechtsanwalt in der Sache Stellung.
18d)
19In seinen Schreiben vom 8.8.2019 führte der Angeschuldigte u.a. aus, „die türkische Richterin“ (gemeint war Richterin am Landgericht J.) habe ihn schikanieren wollen und im Verfahren 13 OH 20/16 das die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses erbittende Schreiben, welches erst am 25.2.2019 verschickt wurde, auf den 15.2.2019 zurückdatiert bzw. in dem Berufungsverfahren 8 S 56/18 schon am 14.2.2019 die Versendung des erst am 15.2.2019 verkündeten Urteils verfügt. Es lägen demnach Verstöße gegen die Aktenwahrheit vor, die strafrechtliche Bedeutung hätten. In diesem Zusammenhang erklärte er anlässlich seiner Stellungnahme im Verfahren ER IV/36/2019 betreffend das selbständige Beweisverfahren, er habe den Vorgang der Staatsanwaltschaft (StA) vorgelegt, obwohl eine Eingabe an die StA tatsächlich nicht erfolgt war. In der Aufsichtssache ER IV/37/2019 kündigte der Rechtsanwalt eine Befassung der StA mit der Sache an, ohne dass eine solche danach veranlasst wurde. Auf die schriftliche Bitte der RAK um Mitteilung von Aktenzeichen der StA erfolgte keine Reaktion des Rechtsanwalts.
202.
21Im Übrigen hat der Senat aufgrund der Hauptverhandlung folgende ergänzende Feststellungen getroffen:
22a)
23Der angeschuldigte Rechtsanwalt C. W. wurde am 9.9.1961 in A. geboren. Erstmals als Rechtsanwalt zugelassen wurde er am 11.3.1999, so dass seine Zulassung seit ca. 25 Jahren besteht. Er betreibt seine Kanzlei in angemieteten Räumlichkeiten unter der Anschrift P.-straße # in I. allein. Aus seiner anwaltlichen Tätigkeit erzielt der verheiratete Rechtsanwalt Gewinne in Höhe von ca. 1.500,00 € bis 2.000,00 € netto monatlich.
24b)
25Berufsrechtlich ist der Angeschuldigte bislang ausschließlich derart vorbelastet, dass ihm durch die Rechtsanwaltskammer Köln am 15.3.2019 eine Rüge wegen unsachlichen Verhaltens erteilt wurde.
26Eine weiteres unter dem Az. 10 EV 176/20 gegen ihn geführtes Verfahren wurde seitens der GStA Köln unter dem 18.8.2021 entsprechend § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf das hiesige Verfahren vorläufig eingestellt (Bl. 21, 26 Beiakte 10 EV 176/20).
27Eine anwaltsgerichtliche Maßnahme ist gegen den angeschuldigten Rechtsanwalt W. bislang nicht verhängt worden.
28III.
29Die aufgrund der verlesenen Zeugenaussagen und Urkunden in Verbindung mit der Einlassung des Angeschuldigten getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung durch das Anwaltsgericht Köln mit Urteil vom 15.5.2023 (1 AnwG 47/21 – 10 EV 125/20) im Schuldspruch.
30Der angeschuldigte Rechtsanwalt W. hat gegen das Gebot, gem. § 43 BRAO seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich dabei der Achtung und des Vertrauens, das dem anwaltlichen Berufsstand entgegengebracht wird, würdig zu erweisen, schuldhaft verstoßen, indem er Empfangsbekenntnisse nicht unverzüglich mit Datum versehen erteilte bzw. eine fehlgeschlagene Zustellung nicht unverzüglich mitteilte, der Rechtsanwaltskammer hinsichtlich der ihm übermittelten Eingaben des Präsidenten des Landgerichts Bonn nicht pflichtgemäß Auskunft erteilte und gegen das Gebot der Sachlichkeit verstieß. Das festgestellte Verhalten des Angeschuldigten begründet Verletzungen seiner Berufspflichten aus §§ 43, 43a Abs. 3, 56 Abs. 1 BRAO, 14 S. 1 BORA.
311.
32Die vom Präsidenten des Landgerichts Bonn gerügten Verhaltensweisen des Rechtsanwalts in den Verfahren 13 OH 20/16 sowie 8 S 56/18 stellten Verletzungen gegen die Berufspflicht aus § 14 S. 1 BORA dar. Danach trifft zunächst den Rechtsanwalt eine Pflicht zur Entgegennahme ordnungsgemäßer Zustellungen (Weyland/Nöker, BRAO, 11. Aufl., BORA § 14 Rn. 1). Seine Mitwirkungspflicht umfasst die unverzügliche Erteilung des Empfangsbekenntnisses (Prütting in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., BRAO § 14 Rn. 4-5). Die Pflicht zur Mitwirkung bei ordnungsgemäßen Zustellungen dient der Förderung der Rechtspflege (Henssler/Prütting, a.a.O. Rn. 2). Die Form des Empfangsbekenntnisses, insbesondere die Beifügung eines vorgefertigten Empfangsbekenntnisses, schreibt das Gesetz nicht vor. Der Empfang kann beispielsweise auch in einem Schriftsatz, in welchem auf das übermittelte Dokument Bezug genommen wird, oder durch schriftliche Empfangsmitteilung auf die Nachfrage nach dem Empfangsbekenntnis bestätigt werden (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 174 Rn. 6; Weyland/Nöker, a.a.O. Rn. 4a; Prütting in Henssler/Prütting, a.a.O. Rn. 6). Will der Rechtsanwalt bei einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung seine Mitwirkung verweigern, darf er nicht einfach untätig bleiben. Er darf dann zwar seine Mitwirkung in Form von Unterzeichnung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses verweigern, muss das aber dem Absender unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 BGB mitteilen, damit dieser eine andere Form der Zustellung wählen kann (Weyland/Nöker, a.a.O. Rn. 8).
33a)
34Dementsprechend hätte der Angeschuldigte in dem selbständigen Beweisverfahren den Erhalt des ihm zugestellten Beschlusses durch aktives Erklären unzweifelhaft bestätigen müssen. Den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil entsprechend ist bereits nicht ohne weiteres glaubhaft, dass die per Telefax an die in seinem Briefkopf angegebene Faxnummer versandte erste Erinnerung vom 21.1.2019 dort nicht eingegangen sein soll, während die weitere Erinnerung per Telefax vom 5.2.2019, die an dieselbe Nummer geschickt wurde, ihn erreicht haben soll. Jedenfalls hätte er spätestens auf das Faxschreiben vom 5.2.2019 reagieren müssen, indem er den Zeitpunkt des Erhalts des Beschlusses unverzüglich mitteilte. Seinen eigenen Angaben nach sah der Rechtsanwalt die Zustellung als ordnungsgemäß an und war grundsätzlich zu einer entsprechenden Erklärung bereit. Ein Formular benötigte er dafür nicht, ohne dass er seitens des Gerichts darauf hätte hingewiesen werden müssen, denn seine anwaltlichen Berufspflichten müssen ihm selbst bekannt sein.
35Die Mitwirkung wurde auch nicht durch die Zustellung gegen Zustellungsurkunde entbehrlich, weil tatsächlich die Zustellung bereits zu einem früheren Zeitpunkt wirksam erfolgt war und die Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde aus § 569 Abs. 1 ZPO in Lauf gesetzt hatte. Der Prozessbevollmächtigte handelt aus diesem Grund auch dann fehlerhaft, wenn er ein ihm zugesandtes zweites Empfangsbekenntnis zur Bestätigung des Empfangs des Urteils unterzeichnet und an das Gericht zurücksendet, anstatt dem Gericht mitzuteilen, dass er den Empfang des Urteils bereits auf einem ersten Empfangsbekenntnis bestätigt hat (BGH, Beschluss v. 26.4.2004, II ZB 6/03, BeckRS 2004, 4977). Dementsprechend hätte der Rechtsanwalt jedenfalls auch auf das Anschreiben vom 15.2.2019, welches er am 25.2.2019 erhielt, reagieren und den Zeitpunkt angeben müssen, zu dem er den Beschluss erstmals erhielt, weil dieser Zeitpunkt für den Fristbeginn maßgebend war.
36b)
37In dem Berufungsverfahren 8 S 56/18 steht aufgrund der Einlassung des Angeschuldigten fest, dass in seiner Kanzlei das am 15.1.2019 verkündete Urteil schon vor der am 19.3.2019 vollzogenen Zustellung gegen Zustellungsurkunde eingegangen war. Zwar war die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis erst zu dem Zeitpunkt vollzogen, als der Rechtsanwalt von dem Urteil bewusst Kenntnis nahm, auch insofern war er jedoch aus den o.g. Gründen zur Mitwirkung an der ordnungsgemäßen Zustellung verpflichtet und musste das Empfangsbekenntnis erteilen, um Unklarheiten hinsichtlich der in Lauf gesetzten Rechtsmittelfrist nach Kräften auszuschließen. Wäre er am Freitag, den 15.3.2019, oder am Montag, den 18.3.2019, in der Kanzlei anwesend gewesen und hätte Kenntnis von dem Urteil erlangt, hätte sich aus der Zustellungsurkunde nämlich ein für den Beginn der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist nicht bestimmendes Datum ergeben.
38Aufgrund der in seiner Kanzlei zugegangenen Erinnerung vom 5.3.2019 wäre er zudem zur unverzüglichen Mitwirkung derart verpflichtet gewesen, dass er die unterbliebene Zustellung hätte anzeigen müssen. Daran ändert auch eine fehlerhafte Aktenablage nichts, denn er hätte im Rahmen seiner Büroorganisation dafür sorgen müssen, dass ihm das Schreiben vorgelegt wird, und er hätte von dessen Inhalt Kenntnis nehmen müssen. Denn darin wurde die Rücksendung eines Empfangsbekenntnisses gefordert, was zu seiner Berufspflicht gem. § 14 BORA gehört. Dabei ist auch zu würdigen, dass ihm der Verkündungstermin vom 15.1.2019 bekannt war, dessen Ergebnis ihm mithin seit mehr als 6 Wochen unbekannt blieb.
39Dass die Zustellung des Urteils bereits am 14.1.2019 verfügt worden war, lässt nicht auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten im gerichtlichen Ablauf schließen, denn ein durch einen kollegialen Spruchkörper zu fällendes Urteil wird regelmäßig vom Berichterstatter in einem TSJ-Formular im Vorfeld des Verkündungstermins im schriftlichen Entwurf erstellt, damit es von allen Mitgliedern des Spruchkörpers gelesen, beraten und unterschrieben werden kann. Dies muss notwendigerweise vor dem zur Verkündung des fertigen Urteils bestimmten Termin geschehen.
402.
41Auch die Reaktionen des Angeschuldigten auf die Aufforderungen der RAK zur Stellungnahme auf die Beschwerden des Präsidenten des Landgerichts Bonn stellen sich als anwaltliche Pflichtverletzung hinsichtlich der Auskunftspflicht gem. § 56 I BRAO dar. Die Fragestellung des Kammervorstandes kann im Einzelfall auch durch die Bezugnahme auf die in Ablichtung oder Durchschrift beigefügte Beschwerde erfolgen, vorausgesetzt, dass die Beschwerde ausreichend deutlich den fraglichen Sachverhalt erkennen lässt (Weyland/Nöker, a.a.O. Rn. 18). Der Rechtsanwalt ist mit der Einschränkung, dass durch die Auskunft nicht eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verletzt werden darf, er auf sein Auskunftsverweigerungsrecht hingewiesen wurde und er nicht berechtigterweise ein Auskunftsverweigerungsrecht geltend macht, verpflichtet, die Fragen erschöpfend und wahrheitsgemäß zu beantworten (BGH, NJW 1979, 324, 325; Weyland/Nöker, a.a.O. Rn. 17; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 56 Rn. 22).
42Die Aufforderungen ließen klar erkennen, dass jeweils Stellungnahmen zu den Beschwerden des Präsidenten des Landgerichts Bonn gefordert wurden, und stammten vom zuständigen Vorstand der Rechtsanwaltskammer. Die Beschwerden enthielten konkrete Sachverhaltsschilderungen und die Schreiben der RAK enthielten jeweils den erforderlichen Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht des Rechtsanwalts. Sie wurden von diesem auch inhaltlich in keiner Weise beanstandet. Indem der Rechtsanwalt die geforderten Auskünfte nicht innerhalb der zunächst gesetzten Frist und auch nicht bis zum 9.5.2019, also dem Tag, bis zu dem er schriftlich jeweils Fristverlängerung beantragt hatte, erteilte, erschwerte er dem Kammervorstand die Wahrnehmung seiner Aufgaben, weil der tatsächliche Sachverhalt unaufgeklärt blieb. Danach erteilte der Angeschuldigte die erforderliche Auskunft auch weiterhin nicht, obwohl er durch den Zeugen S. daran telefonisch am 3.7.2019 erinnert worden war und selbst zugesagt hatte, bis spätestens 15.7.2019 seine Stellungnahme abzugeben. Bis zu den Schreiben des Rechtsanwalts vom 8.8.2019 war die mit Schreiben vom 30.3.2019 geforderte Auskunft demnach seit mehr als vier Monaten nicht erteilt worden, und auch die in den ihm am 23.7.2019 zugestellten Schreiben jeweils gesetzte Frist war bereits mit dem 6.8.2019 abgelaufen. Dabei entsprach dann die zum Az. ER IV/36/2019 abgegebene Stellungnahme jedenfalls insoweit nicht der Wahrheit, als dort erklärt wurde, dass der Vorgang der StA vorgelegt worden sei. Die darauf Bezug nehmende Anfrage des Kammervorstands vom 9.9.2019 nach dem Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft ließ der Angeschuldigt wiederum unbeantwortet, so dass im Rahmen einer gebotenen Gesamtwürdigung die in zulässiger Weise geforderte Auskunft verzögert, nicht erschöpfend und mindestens teilweise nicht wahrheitsgemäß erteilt worden ist. Diese Wertung trifft genauso für die Stellungnahme zum Az. ER IV/37/2019 zu, denn darin ließ der Rechtsanwalt unerwähnt, dass ihm das Urteil auch mit Empfangsbekenntnis zugegangen war.
43Zwar sieht die Norm keine Frist vor, innerhalb derer die geforderte Auskunft zu erteilen ist, jedoch muss insofern der Normzweck gewürdigt werden. Sinn der Regelung des § 56 BRAO ist es, dem Kammervorstand die Erfüllung seiner Aufgaben, vor allem aus §§ 73, 74 BRAO, wonach er unter anderem die Mitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten beraten und belehren sowie die Erfüllung der den Mitgliedern obliegenden Pflichten überwachen und das Recht der Rüge handhaben soll, zu ermöglichen. Um richtig entscheiden zu können, muss der Vorstand den ihm vorgetragenen Sachverhalt zunächst aufklären und die Wahrheit oder Unwahrheit der erhobenen Vorwürfe feststellen (Weyland/Nöker, BRAO, 11. Aufl., § 56 Rn. 1-2).
443.
45Schließlich liegen in den gegenüber der Rechtsanwaltskammer abgegebenen Stellungnahmen des Rechtsanwalts auch Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot gem. § 43a Abs. 3 BRAO. Das Gebot der Sachlichkeit gehört seit jeher zu den anwaltlichen Berufspflichten und ist als für die Rechtspflege unerlässliche Regelung als Berufspflicht im Gesetz normiert (Weyland/Bauckmann, BRAO, 11. Aufl., § 43a Rn. 31). Es umfasst im Kern das Verbot der Verbreitung von Unwahrheiten – auch in eigenen Sachen. Da der Anwalt aufgrund seiner Organstellung verpflichtet ist, an der Verwirklichung der Rechtspflege mitzuwirken, ist er bei seiner Berufsausübung insgesamt an das zentrale Verfahrensziel der Wahrheitsfindung gebunden. Das Verbot der bewussten Verbreitung von Unwahrheiten gilt gegenüber jedermann (Weyland/Bauckmann, a.a.O. Rn. 38). Eine Verletzung des Sachlichkeitsgebotes ist außerdem auch in herabsetzenden persönlichen Angriffen zu sehen, die mit dem Gegenstand des Verfahrens nichts zu tun haben, bei dem aber die Gelegenheit eines Verfahrens zur Abrechnung mit dem Kritisierten genutzt wird, ohne etwas zur Rechtsfindung oder Interessenwahrnehmung für den Mandanten beizutragen (Weyland/Bauckmann, BRAO, 11. Aufl., § 43a Rn. 31). Ein Rechtsanwalt handelt dementsprechend beispielsweise dann pflichtwidrig, wenn er bedenkenlos unhaltbare strafrechtliche Vorwürfe erhebt (Weyland/Bauckmann, a.a.O. Rn. 51).
46a)
47Unter Anwendung dieser Maßstäbe stellen sich die Ausführungen des Angeschuldigten in dessen Schreiben vom 8.8.2019 zum Az. ER IV/36/2019 als unsachlich dar, denn er wirft darin der Richterin am Landgericht J. vor, mit der Absicht, ihn unter Missbrauch ihrer Stellung zu schikanieren, ein gerichtliches Schreiben rückdatiert zu haben, ohne dass er dies überhaupt auch nur näher verifiziert oder konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt hätte. Er äußerte insofern eine reine Mutmaßung aufgrund der zeitlichen Diskrepanz von 10 Tagen zur Versendung des Schreibens, die indes bei gerichtlichen Abläufen nicht ungewöhnlich erscheint und z.B. durch urlaubs- oder krankheitsbedingte Abwesenheiten verursacht worden sein kann. Dabei erklärte er sogar ausdrücklich, den Vorgang „der Staatsanwaltschaft vorgelegt“ zu haben, was impliziert, dass er dem von ihm vermuteten Hergang eine strafrechtliche Relevanz zumessen wollte. Diese Erklärung war, wie der Angeschuldigte wusste, hinsichtlich einer tatsächlichen Befassung der StA mit dem Vorgang objektiv unwahr.
48b)
49Dasselbe gilt für die Stellungnahme zum Az. ER IV/37/2019, denn auch darin erhebt der Rechtsanwalt den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens gegenüber der Richterin, wobei er im Rahmen der gewählten Formulierung – wie in dem anderen Schreiben – deren vermeintliche türkische Nationalität betont und jedenfalls eine Befassung der StA als veranlasst bezeichnet. Dafür gab es objektiv aufgrund der bereits zuvor dargestellten notwendigen Abläufe beim Absetzen, Beraten, Beschließen und Verkünden eines Kammerurteils keinen triftigen Grund, so dass sich auch diesbezüglich der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens als haltlos darstellt.
50Mit Blick auf das Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit für die Ernennung als Richter in § 9 Nr. 1 DRiG lässt der inhaltliche Zusammenhang auch eine irgendwie sachbezogene Veranlassung der Bezeichnung als „türkische“ Richterin für einen objektiven Empfänger nicht ansatzweise erkennen.
51c)
52Das beschriebene Verhalten ist uneingeschränkt unter dem Gesichtspunkt der zum Gegenstand der Anschuldigungsschrift gemachten Verletzung des Sachlichkeitsgebots zu würdigen. Die vom Rechtsanwalt insoweit im Hinblick auf § 264 StPO gehegten Bedenken sind unbegründet. Der Begriff der Tat im Sinne von Art. 103 III GG, § 264 I StPO bestimmt sich nach dem von der zugelassenen Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie erstreckt sich auf das gesamte Verhalten des Täters, das nach natürlicher Auffassung ein mit diesem geschichtlichen Vorgang einheitliches Geschehen bildet (BGH NStZ 2023, 252 [Rz. 5]). Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet (BGH NStZ 2023, 441 [Rz. 9]). Der Inhalt der an die RAK gerichteten Schreibens des Rechtsanwalts – insbesondere die von ihm gewählte Bezeichnung als „türkische Richterin“ – mit den seinerseits erhobenen Vorwürfen der Schikane bzw. strafbaren Verhaltens ist in der Anschuldigungsschrift vom 3.11.2021 wiedergegeben. Damit ist er Gegenstand des geschichtlichen Vorgangs geworden, auf dem die Anschuldigung einer Verletzung von § 43a III BRAO beruht.
53Die genannten Erklärungen stellen auch unter Berücksichtigung der Grundrechte aus Artt. 5 und 12 GG Verletzungen der sich aus § 43a III BRAO ergebenden Pflicht dar, denn maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat, wobei erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen vom Schutz des Art. 5 I GG ohnehin nicht umfasst sind (BVerfG NJW 2013, 217, 218). Das berufsrechtliche Verbot unsachlichen Verhaltens bezieht sich nur auf die Berufsausübung. Denn im Rahmen der Tätigkeit als Organ der Rechtspflege sind erhöhte Anforderungen an die Art und Weise auch der Meinungsäußerung – unter Berücksichtigung der im „Kampf ums Recht“ gebotenen Freiheit in der Wahl der Mittel - gerechtfertigt.
54IV.
55Die anwaltsgerichtliche Beurteilung der festzustellenden Pflichtenverstöße gem. §§ 43, 43a Abs. 3, 56 Abs. 1 BRAO, 14 BORA erfolgt nach Maßgabe der §§ 113 Abs. 1, 114 BRAO, denn diese Normen bilden die Rechtsgrundlage für die Ahndung anwaltlicher Pflichtverletzungen.
56Danach war gegen den angeschuldigten Rechtsanwalt wegen der Verstöße gegen seine anwaltlichen Berufspflichten aus §§ 43, 43a III, 56 I BRAO in Verbindung mit § 14 BORA die Maßnahme einer Geldbuße zu verhängen, § 114 I Nr. 3 BRAO. Diese Maßnahme ist erforderlich, aber auch ausreichend, um die rechtssuchende Bevölkerung vor ähnlichen Pflichtverletzungen in der Zukunft wirksam zu schützen sowie um dem Rechtsanwalt das Unrecht seiner Pflichtverletzung deutlich vor Augen zu führen.
57Hierbei hat der Senat sich von folgenden Erwägungen leiten lassen:
581.
59Es ist im Rahmen einer Gesamtbeurteilung des Fehlverhaltens auf eine bestimmte Maßnahme gem. § 114 BRAO zu erkennen. Gem. § 113 Abs. 1 BRAO ist aufgrund einer einheitlichen Entscheidung mit einer einheitlichen Würdigung des Gesamtverhaltens des Rechtsanwalts dieser mit einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme nach § 114 BRAO zu belegen, auch wenn er sich mehrerer Pflichtverletzungen schuldig gemacht hat, die in keinem Zusammenhang stehen (BGH NJW 2012, 3251, 3252; NJW 2009, 534, 536; NJW 1961, 2219, 2220; Schulz, a.a.O., S. 207, 209). Mehrere Pflichtverletzungen, die gleichzeitig anwaltsgerichtlich geahndet werden, sind mit nur einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme zu belegen (Senat, NJOZ 2023, 825, 828 Rn. 35; Weyland/Reelsen, a.a.O., § 113 Rn. 57). Die in § 114 BRAO vorgesehenen Maßnahmen steigern sich ihrer Bedeutung nach. Die Geldbuße umfasst die mit einem Verweis verbundenen nachteiligen Rechtswirkungen und erweitert diese um die Zahlungsverpflichtung (vgl. Weyland/Reelsen, BRAO, 11. Aufl., § 114 Rn. 9).
602.
61Dabei ist es Aufgabe des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des betroffenen Rechtsanwalts gewonnen hat, die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Der Schuldgehalt der Tat hat dabei im berufsrechtlichen Verfahren eine geringere Bedeutung als im allgemeinen Strafrecht (BGH Urteil v. 26.11.2012, Az. AnwSt (R) 6/12, BeckRS 2013, 00679; Senat, NJOZ 2023, 825, 828 Rn. 36). Bei den Zumessungserwägungen im Rahmen des § 114 BRAO ist auch zu berücksichtigen, in welchem Maße durch die Pflichtverletzung das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Anwaltsstandes betroffen ist und dadurch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft geschädigt wurde. Im Anschluss daran ist zu fragen, welche Maßnahme erforderlich ist, um zu erreichen, dass der Rechtsanwalt künftig seinen beruflichen Pflichten nachkommen wird und von ihm keine weiteren Gefahren für das rechtssuchende Publikum und die Rechtspflege mehr ausgehen (Senat, Urteil v. 2.3.2012, Az. 2 AGH 21/11, BeckRS 2013, 01051; Henssler/Prütting, BRAO § 114, Rn. 5; Weyland/Reelsen, a.a.O., § 114 Rn. 67).
62a)
63Unter Anwendung dieser Grundsätze ist hier zunächst bedeutsam, dass es sich ausschließlich um konkret berufsbezogene Pflichtverletzungen handelt, die im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit begangen wurden und keine strafrechtliche Ahndung oder sonstige Sanktionierung erfahren haben. Dementsprechend ist die Verhängung einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme angezeigt, um den Rechtsanwalt nachhaltig dazu anzuhalten, sich seine Berufspflichten bewusst zu machen und diese einzuhalten. Ausgangspunkt sind Schwierigkeiten in der – für die anwaltliche Tätigkeit essentiellen - Zusammenarbeit mit dem Gericht, wobei das zur Rüge durch die RAK vom 15.3.2019 führende Verfahren augenscheinlich keinen positiven Einfluss auf das Verhalten des Rechtsanwalts hatte.
64Andererseits ist allerdings auch in die Abwägung einzustellen, dass alle Pflichtverletzungen in einem tatsächlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, wobei der angeschuldigte Rechtsanwalt erstmals im Lauf einer ca. 25-jährigen Berufstätigkeit anwaltsgerichtlich in Erscheinung tritt, und dass es seit der letzten hier maßgeblichen Tathandlung über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren hinweg zu keinen weiteren, hier bekannten Beanstandungen seines beruflichen Verhaltens gekommen ist. Denn für die Zumessung ist das bisherige berufliche Verhalten des Rechtsanwalts von erheblicher Bedeutung (Dittmann in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 114 Rn. 5).
65Ein Kriterium für die Bemessung der geeigneten anwaltsgerichtlichen Maßnahme ist schließlich auch das Prozessverhalten des Angeschuldigten, der sich hier weitgehend uneinsichtig gezeigt hat. Die Eingaben an die RAK vom 8.8.2019 erfolgten nicht als spontaner Ausdruck einer emotionalen Erregung über die gegen ihn erhobenen Beschwerden, sondern mehr als vier Monate, nachdem sie ihm bekannt gegeben worden waren. Den darin zum Ausdruck gebrachten Verdacht, dass die Richterin am Landgericht J. ihn habe schikanieren wollen, hat er bis zuletzt aufrechterhalten und auch vor dem Senat in der Berufungshauptverhandlung wiederholt.
66b)
67Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Anwaltsgericht verhängte Maßnahme im Verhältnis zum Gewicht der Taten und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Rechtsanwalts nicht in vollem Umfang angemessen.
68aa)
69Der Verweis ist bereits eine erhebliche Disziplinarstrafe und in der Stufenfolge der Maßnahmen die niedrigste, der im Gesetz bestimmte weitere Wirkungen beigemessen sind. Der mit einem Verweis belegte Rechtsanwalt kann fünf Jahre lang nicht zum Mitglied des Vorstandes der RAK sowie der Satzungsverssammlung gewählt und für dieselbe Zeit nicht Mitglied eines Spruchkörpers im anwaltsgerichtlichen Instanzenzug sein (Weyland/Reelsen, a.a.O. Rn. 12; Dittmann in Henssler/Prütting, a.a.O. Rn. 8). Dieselben Folgen zeitigt gem. §§ 66 Nr. 4, 94 Abs. 3, 103 Abs. 2, 108 Abs. 1 BRAO auch die Verhängung einer Geldbuße, die für schon schwerere Pflichtverletzungen, wie u.a. der Nichtrücksendung von Empfangsbekenntnissen, Verstößen gegen berufliche Auskunftspflichten oder wiederholter Beleidigung von Kollegen in Betracht kommt (Weyland/Reelsen, a.a.O. Rn. 14, 16; Dittmann in Henssler/Prütting, a.a.O. Rn. 9). Demgegenüber dient die Verbindung von Verweis und Geldbuße als der eindringliche Hinweis des Gerichts, dass bei erneuten gravierenden Pflichtverletzungen die schwersten Maßnahmen des begrenzten Vertretungsverbots bzw. der Ausschließung aus der Anwaltschaft drohen (Weyland/Reelsen, a.a.O. Rn. 17).
70Ein solcher Hinweis erscheint hier nicht geboten. Auch erneute Pflichtverletzungen derselben Art würden derart schwere Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 12 GG, wie sie ein Vertretungsverbot oder gar eine Ausschließung aus der Anwaltschaft darstellen würden, nicht rechtfertigen können. Mandanten erlitten durch die inkriminierten Handlungen keine Nachteile, und das Ansehen der Anwaltschaft hat angesichts des klar begrenzten Personenkreises derjenigen, die davon erfahren haben, keinen nennenswerten Schaden genommen.
71bb)
72Die Taten liegen bereits mehrere Jahre zurück, ohne dass es nach Kenntnis des Senats zur Einleitung weiterer anwaltsgerichtlicher Verfahren gekommen wäre. Allerdings hat der angeschuldigte Rechtsanwalt selbst berichtet, dass ihm von der RAK wegen einer von ihm gegenüber einem Richter ausgebrachten Streitverkündung ein Vorwurf gemacht werde. Das deutet darauf hin, dass die Schwierigkeiten des Rechtsanwalts im Umgang und der sachlichen Auseinandersetzung mit dem Gericht jedenfalls im Grundsatz fortbestehen. Angesichts des Gewichts der hier zu beurteilenden Pflichtverletzungen und ihrer Kumulation sowie der uneinsichtigen Haltung des Angeschuldigten ist ein Verweis allein zur Ahndung und Sicherstellung zukünftiger Beachtung der Berufspflichten nicht ausreichend. Deshalb ist eine spürbare Geldbuße zu verhängen, mit der alle nachteiligen Folgen des Verweises ebenfalls einhergehen.
73Unter Berücksichtigung der vom angeschuldigten Rechtsanwalt in der Berufungshauptverhandlung gemachten glaubhaften Angaben zu seinen Einnahmen und Kosten, hat sich eine Reduzierung der Geldbuße auf 1.500,00 € als sachgerecht erwiesen, weil anlässlich der hier erstmalig vorzunehmenden anwaltsgerichtlichen Ahndung von Pflichtverletzungen, die nicht unmittelbar Mandanten betrafen, eine Geldbuße in Höhe eines vollen Monatseinkommens nicht mehr angemessen gewesen wäre. Dafür, dass die Höhe von 1.500,00 € angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeschuldigten ausreichend ist, spricht auch, dass er jedenfalls für seine anwaltliche Tätigkeit in dem selbständigen Beweisverfahren 13 OH 20/16 keine Vergütung erhielt, von der er ggf. einen Teil der Geldbuße aufbringen könnte.
74V.
75Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 IV StPO, 116 I S. 2 BRAO.
76Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Fall des § 145 II BRAO nicht vorliegt. Es war nicht über Rechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufspflichten von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden.