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1. Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste, wenn unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit noch jedenfalls 30 Minuten Zeit verbleiben, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Das gilt jedenfalls dann, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkommt - im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67% der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.. 2. Liegt arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handelt es sich um Ruhezeit im Sinne von § 5 ArbZG. Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folgt hier dem arbeitsschutzrechtlichen, so dass - soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelangt - keine Vergütungspflicht besteht. Ausgenommen hiervon sind die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind. 3. Auch das Mindestlohngesetz knüpft an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit ist weder arbeitsschutz-noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
I.Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 16.11.2023 - Az.: 3 Ca 1133/23 - wird zurückgewiesen.
II.Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.Die Revision wird nicht zugelassen.
T A T B E S T A N D:
2Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über Vergütungsansprüche des Klägers in Höhe von 25.979,- € brutto abzüglich erhaltener 500,- € netto für zehn "Notdienstwochen", die der Kläger für vergütungspflichtige Bereitschaftsdienste hält, während die Beklagte sie als Rufbereitschaften betrachtet.
3Der Kläger war vom 01.10.2021 bis zum 31.03.2023 bei der Beklagten auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 24.08.2021 (Blatt 8 f. der erstinstanzlichen Akte) beschäftigt. Dort war seine Tätigkeit als Projektleiter, Sachbearbeiter und Kundendiensttechniker ausgewiesen. Tatsächlich eingesetzt war er als Elektroniker bzw. Kundendiensttechniker, wobei zwischen den Parteien streitig ist, aus welchen Gründen der Einsatz als Projektleiter unterblieb. Als Vergütung erhielt der Kläger einen Stundenlohn von 20,75 € brutto.
4Während seiner Beschäftigung bei der Beklagten übernahm der Kläger insgesamt 10 Notdienstwochen, in welchen ihm außerhalb der regulären Arbeitszeit, zu der er sich wie üblich zuhause aufhalten konnte, ein Telefon überlassen wurde, um erreichbar zu sein und im Falle eines Anrufs seine Arbeit aufzunehmen, wobei die nähere Ausgestaltung insbesondere zu einem bestimmten Zeitkorridor für das Tätigwerden im Falle eines Anrufs zwischen den Parteien streitig ist. Während dieser 10 Notdienstwochen wurde der Kläger im Umfang von insgesamt 8,5 Stunden zur Arbeit herangezogen. Die Arbeitszeiten wurden mit der vertraglich vereinbarten Vergütung entlohnt. Darüber hinaus erhielt er pro Notdienstwoche eine Pauschale von 50,00 € netto.
5Mit seiner am 12.06.2023 bei dem Arbeitsgericht Mönchengladbach eingegangenen und der Beklagten am 15.06.2023 zugestellten Klage hat der Kläger - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - die Zahlung einer Vergütung für 126 Stunden je Notdienstwoche abzüglich der bereits vergüteten Einsatzstunden im Notdienst, somit nach seiner Berechnung für insgesamt 1.252 Stunden mit dem vereinbarten Stundenentgelt von 20,75 € brutto abzüglich der gezahlten 500,00 € netto gerichtlich geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, dass es sich bei diesen Notdiensten um Bereitschaftsdienste gehandelt habe. Diese seien zu vergüten. Eine Abrede, wonach eine Pauschale von 50,00 € netto je Bereitschaftsdienst vereinbart worden sei, hat er bestritten und behauptet, kurz vor Ablauf der Probezeit habe der Alleingesellschafter der Beklagten ihm erklärt, für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sei es notwendig, dass er Bereitschaftsdienste gegen eine Pauschale von 50,00 € netto leiste. Um seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren, habe er ab diesem Zeitpunkt Bereitschaftsdienste geleistet. Während dieser Dienste sei er verpflichtet gewesen, sich arbeitsfähig, also nüchtern zu halten. Er habe sicherstellen müssen, dass er innerhalb einer Stunde an jedem möglichen Einsatzort in Mönchengladbach seine Tätigkeit aufnehmen könne. Aufgrund seines Wohnsitzes in Geilenkirchen habe er die Stunde bereits beinahe für die Fahrt zum Einsatzort aufbringen müssen. Der normale Fahrtweg bis ins Zentrum von Mönchengladbach dauere 40 bis 45 Minuten. Hierdurch sei er in seiner Freizeitgestaltung sehr eingeschränkt gewesen. Die von der Beklagten diktierte Vergütungsregelung von 50,00 € netto je Bereitschaftsdienst sei treuwidrig und daher unwirksam. In Ermangelung einer wirksamen Absprache sei die übliche Vergütung, in diesem Fall die vertraglich vereinbarte Vergütung von 20,75 € brutto je Stunde geschuldet. Jedenfalls seien die Regelungen des Mindestlohngesetztes zu berücksichtigen.
6Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.979,- € brutto abzüglich gezahlter 500,- € netto sowie weitere 650,- € netto zu zahlen.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hat die Ansicht vertreten, die Notdienste seien Rufbereitschaften gewesen. Ein Vergütungsanspruch über die gezahlten Beträge hinaus stehe dem Kläger hierfür nicht zu. Hierzu hat sie behauptet, mit dem Kläger sei im Rahmen des Einstellungsgesprächs auch das Thema der Rufbereitschaft besprochen worden. Er habe sich freiwillig bereiterklärt, diese zu den vorgeschlagenen Konditionen und somit insbesondere der Pauschale von 50,- € netto zu leisten. Hierbei sei er nicht verpflichtet gewesen, binnen einer Stunde am Einsatzort zu erscheinen. Er habe lediglich telefonisch erreichbar sein müssen und möglichst zeitnah beim Kunden sein müssen. Die Fahrt vom Wohnsitz des Klägers dauere ca. 30 Minuten. Auf Nachfrage habe der Kläger mitgeteilt, dass dies für ihn kein Problem darstelle. Die vereinbarte pauschale Vergütung von 50,- € netto sei im Hinblick auf die geringe Belastung durch die entstandenen tatsächlichen Einsätze angemessen.
11Das Arbeitsgericht Mönchengladbach hat die Klage - mit Ausnahme des in der Berufung nicht mehr streitgegenständlichen Anspruchsteils von 650,- € netto - abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Vergütung der aus Sicht des Gerichts hier gegebenen Rufbereitschaftsstunden mit dem Stundensatz von 20,75 € brutto zustehe. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus einer diesbezüglichen Vereinbarung der Parteien, denn der Kläger habe eine solche nicht behauptet. Ein Anspruch ergebe sich darüber hinaus nicht aus § 612 BGB. Es könne dahinstehen, ob die Parteien, wie die Beklagte meine, eine Pauschale für die Erbringung von Rufbereitschaften vereinbart hätten oder ob diese, wie der Kläger meine, von der Beklagten einseitig diktiert worden sei. Allerdings dürfte die Erbringung der Rufbereitschaften durch den Kläger jedenfalls eine konkludente Annahme des entsprechenden Angebots der Beklagten darstellen. Soweit die Vereinbarung getroffen worden sei, müsse der Kläger ihre Unwirksamkeit begründen. Selbst wenn ihm dies gelänge, müsse er weiter begründen, aufgrund welcher Umstände die von ihm geltend gemachte Vergütung von 20,75 € brutto je Stunde üblich sei. Auch soweit es an einer Vereinbarung insgesamt mangele, müsse der Kläger, um einen Anspruch gemäß § 612 Abs. 2 BGB zu begründen, Umstände vortragen, aus denen auf eine Üblichkeit der geltend gemachten Vergütung geschlossen werden könne. Der Kläger habe aber nicht dargelegt, dass die von ihm geltend gemachte Vergütung von Rufbereitschaftszeiten mit 20,75 € brutto je Stunde üblich sei. Zur Üblichkeit einer entsprechenden Vergütung fehle jeder Vortrag des Klägers. Eine Vergütungspflicht in der geltend gemachten Höhe folge auch nicht daraus, dass die streitgegenständlichen Zeiten als Bereitschaftsdienste und nicht als Rufbereitschaften einzustufen wären. Diese Begriffe stellten bereits keine rechtlich verbindlichen Kategorien dar, die allein aufgrund ihrer Feststellung bestimmte vergütungsrechtliche Folgen auslösen würden. Entgegen der Auffassung des Klägers handele es sich bei den streitgegenständlichen Zeiten aber auch nicht um Bereitschaftsdienste, in deren Rahmen er verpflichtet gewesen wäre, sich an einem bestimmten vom Arbeitgeber vorgegebenen Ort aufzuhalten. Entscheidend für die Frage, ob vergütungsrechtlich Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft vorliege, sei der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkungen. Eine ausdrückliche Bestimmung seines Aufenthaltsortes durch die Beklagte während der Rufbereitschaftszeiten habe der Kläger nicht vorgetragen. Solche Aufenthaltsbeschränkungen könnten zwar auch konkludent erfolgen. Das sei beispielsweise anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränke, dass er die Zeit zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme genau vorgebe und die Zeitspanne dabei so kurz bemesse, dass sie einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkomme. Wann die (mittelbaren) Einschränkungen hinsichtlich der freien Wahl des Aufenthaltsortes so stark seien, dass sie faktisch einer Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Arbeitgeber gleichkämen und damit eine Anordnung von Bereitschaftsdienst darstellten, sei letztlich eine Frage des Einzelfalls. Der Kläger trage selbst vor, dass er binnen einer Stunde am Einsatzort habe erscheinen müssen. Weitere Umstände, welche derartige Einschränkungen mit sich brächten, dass auch bei einer Zeitvorgabe von einer Stunde eine faktische Bestimmung des Aufenthaltsortes gegeben wäre, habe er aber nicht vorgetragen. Die "zusätzliche" Einschränkung dadurch, dass er von seinem Wohnort zum möglichen Einsatzgebiet ebenfalls eine Fahrtzeit aufzubringen habe, könne entgegen der Auffassung des Klägers insoweit keine Berücksichtigung finden. Ob sich der Arbeitnehmer abweichend von den Vorgaben des Arbeitgebers selbst in der Wahl seines Aufenthaltsortes beschränke, sei insoweit unerheblich. Die Wahl des privaten Aufenthaltsortes durch den Arbeitnehmer könne insoweit nicht ausschlaggebend sein. Er könne sich nicht so weit vom Einsatzgebiet entfernen, dass er die - ansonsten hinreichend bemessene - zeitliche Vorgabe nur durch einen sofortigen Aufbruch erfüllen könne. Anderenfalls stünde es dem Arbeitnehmer frei, die Einstufung der Zeit als Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst in diesem Sinne durch einen privaten Umzug bzw. schon durch die Wahl eines anderen Aufenthaltsortes zu ändern und damit Vergütungspflichten auszulösen bzw. zu beeinflussen. Der Kläger habe darüber hinaus nicht vorgetragen, dass die geltend gemachte Vergütung für den Fall der Annahme eines Bereitschaftsdienstes üblich wäre. Schließlich ergebe sich ein Anspruch des Klägers auch nicht aus § 1 MiLoG. Denn Zeiten der Rufbereitschaft stellten keine Arbeitszeit im Sinne der Mindestlohnvorschriften dar. Vielmehr stehe es den Arbeitsvertragsparteien frei, für unterschiedlich beanspruchende Leistungen auch Vergütungen in unterschiedlicher Höhe zu vereinbaren; die Vergütung der bloßen Rufbereitschaftszeit könne daher auch geringer ausfallen. Möglich sei auch eine Pauschalierungsvereinbarung für den Rufbereitschaftsdienst nach dem voraussichtlichen Grad der Heranziehung zu Vollarbeit. Dass die Regelung der pauschalen Abgeltung der Einschränkungen durch die Rufbereitschaften, etwa aufgrund eines auffälligen Missverhältnisses der Leistungen, unwirksam wäre, ergebe sich aus den vom Kläger vorgetragenen Tatsachen nicht.
12Das Urteil ist dem Kläger über seine Prozessbevollmächtigten am 04.12.2023 zugestellt worden. Er hat mit am 04.01.2024 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Die Beklagte hat kein Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt.
13Der Kläger verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Klageziel hinsichtlich des abgewiesenen Klageantrags weiter. Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht hätte die Frage einer Vereinbarung zur Zahlung der Pauschale für die - aus seiner Sicht - Bereitschaftsdienste (und nicht Rufbereitschaften) nicht offen lassen dürfen. Jedenfalls habe er - wie bereits erstinstanzlich unter Beweisantritt vorgetragen - das entsprechende Angebot der Beklagten nicht, auch nicht konkludent angenommen. Unabhängig hiervon liege ein offensichtlicher Verstoß gegen das Mindestlohngesetz mit einer solchen Vereinbarung vor. Zur geschuldeten Vergütung sei vielmehr nach § 612 Abs. 2 BGB auf die vertraglich vereinbarte von 20,75 € brutto abzustellen. Diese sei üblich, was sich bereits aus den vertraglichen Vereinbarungen ergebe. Die Parteien hätten diesen Stundenlohn vereinbart, gerade weil sie ihn als üblich angesehen hätten. Darüber hinaus habe der Kläger unter Beweisantritt vorgetragen, dass er nach einer Stunde am jeweiligen Einsatzort habe erscheinen müssen. Der Beklagten sei bewusst gewesen, dass er in Geilenkirchen wohne. Das sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits so gewesen und habe sich nicht geändert. Dennoch habe die Beklagte eine solche Zeitvorgabe gemacht. Diese habe für den Kläger die erkennbare Relevanz gehabt, dass ihm eine Zeitvorgabe von 10 bis maximal 20 Minuten gemacht worden sei, denn die übrige Zeit habe er für die Anfahrt verwenden müssen. Die Beklagte habe die Bereitschaftsdienste angeordnet. Sie hätte das nicht tun müssen, nachdem sie es aber getan habe, müsse sie sie auch bezahlen.
14Der Kläger beantragt,
15das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 16.11.2023 - 3 Ca 1133/23 - teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 25.979,- € brutto abzüglich gezahlter 500,- € netto nebst Jahreszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2023 zu zahlen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hält die Berufung für nicht begründet. Sie behauptet weiterhin, dass die Leistung der - aus ihrer Sicht hier vorliegenden - Rufbereitschaften letztlich einvernehmlich und mit dem jedenfalls konkludenten Einverständnis des Klägers erfolgt sei. Denn selbst wenn der Kläger erklärt hätte, keine Notdienste leisten zu wollen, was sie bestreite, könne aus der dann tatsächlichen gleichwohl erfolgten Ableistung nur geschlossen werden, dass er das Angebot der Beklagten eben doch angenommen habe. Er habe die Notdienste auch noch nach Ablauf der Probezeit geleistet, so dass seine Argumentation, sie aus Angst vor einer Kündigung in der Probezeit nicht geleistet zu haben, widerlegt sei. Die Üblichkeit von 20,75 € / Stunde für Bereitschaftsdienste bestreitet die Beklagte. Vertraglich sei dieser Lohn für tatsächlich geleistete Arbeit vereinbart worden, das sei von Bereitschaftszeiten zu unterscheiden und miteinander nicht vergleichbar. Der Zeitaufwand für die Anfahrt vom Wohn- zum Einsatzort in Mönchengladbach betrage schließlich ca. 30 Minuten, nicht mehr.
19Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze beider Parteien nebst Anlagen in erster und zweiter Instanz sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
20E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
21I.
22Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) ArbGG. Ferner ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
23II.
24Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Zahlungsklage des Klägers ist nicht begründet. Der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Vergütung der Notdienstzeiten ohne aktive Tätigkeit - diese ist ja unstreitig vergütet worden - und mithin im Umfang von 1.252 Stunden für 10 Notdienstwochen besteht nicht. Entgegen seiner Ansicht handelt es sich bei diesen Notdiensten um Rufbereitschaft und nicht um einen Bereitschaftsdienst. Die Rufbereitschaften unterliegen keiner über die gezahlte Pauschale hinausgehenden Vergütungspflicht.
251. Eine Anspruchsgrundlage für den von dem Kläger geltend gemachten Vergütungsanspruch ergibt sich zunächst nicht aus einer vertraglichen Vereinbarung.
26a. Eine gesonderte Vereinbarung zu den Notdiensteinsätzen, gleichgültig, ob man sie nun als Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft qualifiziert, bestreitet der Kläger nachdrücklich. Da er darlegungs- und beweisbelastet für die seinen Anspruch begründende Anspruchsgrundlage ist, kann seinem Vorbringen eine gesonderte vertragliche Anspruchsgrundlage mithin schlüssig nicht entnommen werden.
27b. Der Arbeitsvertrag als solcher verhält sich zur Vergütung für Notdienstzeiten nicht, so dass er unmittelbar nicht als Anspruchsgrundlage für die hier geltend gemachten Ansprüche herangezogen werden kann. Nach dem Arbeitsvertrag wird die geleistete Arbeit mit dem vertraglichen Stundenlohn von 20,75 € brutto vergütet. Das ergibt sich klar aus Wortlaut und Kontext der Ziffern 3 und 4 des Arbeitsvertrages vom 24.08.2021. Denn danach wird zum einen in Ziffer 3 die Arbeitszeit des Klägers festgelegt. Festgelegt wird weiter eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 37 Stunden bei Verteilung auf die Wochentage Montag bis Freitag. Die Überstundenregelung sieht ein Zeitkonto vor. Der Stundenlohn wird dann hierauf bezogen in Ziffer 4 mit 20,75 € geregelt. Er bezieht sich im Kontext und nach dem erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung auf die zuvor geregelte Arbeitszeit und mithin Arbeitstätigkeit. Für andere Zeiten als Arbeitszeiten ist nach dem Arbeitsvertrag somit erkennbar keine Vergütungsregelung getroffen worden.
28Das sieht offenbar auch der Kläger - zu Recht - nicht anders, denn auch er vertritt die Ansicht, dass Bereitschaftszeiten vergütungspflichtig seien und Rufbereitschaft nicht (siehe Schriftsatz vom 25.07.2023, Seite 2 unten).
29aa. Entscheidend ist mithin die Einordnung der Notdienste des Klägers als Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft. Denn Bereitschaftsdienst ist nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, sondern auch vergütungspflichtige Arbeit im Sinne von § 611a Abs. 2 BGB (BAG vom 29.06.2016 - 5 AZR 716/15, juris, Rz. 28) und damit auch solche im Sinne des Arbeitsvertrags der Parteien. Denn dazu zählt auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause noch Freizeit hat. Diese Voraussetzung ist bei der Bereitschaftszeit gegeben. Der Arbeitnehmer muss sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen (BAG vom 29.06.2016 - 5 AZR 716/15, juris, Rz. 28; BAG vom 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12, juris, Rz. 16).
30bb. Hingegen ist Rufbereitschaft - in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst - dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer nicht gezwungen ist, sich am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, sondern - unter freier Wahl des Aufenthaltsorts - lediglich jederzeit erreichbar sein muss, um auf Abruf des Arbeitgebers die Arbeit alsbald aufnehmen zu können (BAG vom 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12, juris, Rz. 18). Rufbereitschaft erlaubt dem Arbeitnehmer grundsätzlich die Gestaltung seiner an sich arbeitsfreien Zeit. Er kann sich während der Rufbereitschaft um persönliche und familiäre Angelegenheiten kümmern, an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilnehmen, sich mit Freunden zu treffen etc. (BAG vom 27.07.2021 - 9 AZR 448/20, juris, Rz. 46; BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 13; BAG vom 31.01.2002 - 6 AZR 214/00, juris, Rz. 22). Während der Rufbereitschaft darf der Arbeitnehmer deshalb seinen Aufenthaltsort grundsätzlich selbst bestimmen. Völlig frei ist er hingegen auch bei der Rufbereitschaft nicht. Der Zweck der Rufbereitschaft besteht gerade darin, dass der Arbeitnehmer in der Lage sein muss, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können. Kennzeichnend für Rufbereitschaft ist daher, dass zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme nur eine solche Zeitspanne liegen darf, deren Dauer den Einsatz nicht gefährdet und die Arbeitsaufnahme im Bedarfsfall gewährleistet. Der Arbeitnehmer darf sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die dem Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft. Mithin stehen mittelbare Einschränkungen des Aufenthaltsorts dem Vorliegen von Rufbereitschaft nicht zwangsläufig entgegen. Die Eingrenzung der freien Wahl des Aufenthaltsorts und damit einhergehend der Möglichkeiten zur Gestaltung der Zeit der Rufbereitschaft ist vielmehr ein Wesensmerkmal dieses Dienstes (BAG vom 27.07.2021 - 9 AZR 448/20, juris, Rz. 46; BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 14).
31Arbeitsschutzrechtlich ist zu unterscheiden zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit. Beide Begriffe schließen einander aus. Ruhezeit ist in unionsrechtskonformer Auslegung der nationalen Arbeitsschutz- und Arbeitszeitvorschriften als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit zu verstehen (EuGH vom 09.03.2021 - C-344/19, juris, Rz. 28; BAG vom 27.07.2021 - 9 AZR 448/20, juris, Rz. 47).
32Rufbereitschaftszeiten, bei denen der Arbeitnehmer nicht an seinem Arbeitsplatz bleiben muss, sind insgesamt als Arbeitszeit einzustufen, wenn dem Arbeitnehmer Einschränkungen auferlegt werden, die ihn bei objektiver Betrachtung ganz erheblich darin beeinträchtigen, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen in Anspruch genommen werden können, frei gestalten und sich eigenen Interessen widmen zu können. Erreichen dagegen die dem Arbeitnehmer während einer bestimmten Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen nicht diesen Intensitätsgrad und erlauben sie es ihm, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, stellen nur die Zeiten tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung Arbeitszeit dar und im Übrigen liegt dann Ruhezeit vor (EuGH vom 09.03.2021 - C-344/19, juris, Rz. 36 ff.; BAG vom 27.07.2021 - 9 AZR 448/20, juris, Rz. 47).
33cc. Liegt Rufbereitschaft im arbeitsschutzrechtlichen Sinne vor und mithin - außerhalb der Zeiträume einer Heranziehung, die dann voll zu vergüten sind und hier auch unstreitig voll vergütet wurden - Ruhezeit im Sinne von § 5 ArbZG, handelt es sich auch vergütungsrechtlich nicht um im Synallagma stehende und somit vergütungspflichtige Arbeitszeit (BAG vom 12.02.1969 - 4 AZR 308/68, juris, Rz. 38; zum vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff ebenso unterscheidend BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 15; im Übrigen ebenso die h.L., vgl. MünchArbR/Krause, 5. Auflage, § 60 Rn. 13 m.w.N.; Freh in Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, 1. Auflage, § 4 Rn. 4.40; Schaub/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 20. Auflage, § 45 Rn. 53; Bayreuther, Rufbereitschaft als Arbeitszeit?, NZA 2018, 348, 350). Rufbereitschaft kann gesondert aufgrund einer tarifvertraglichen, betrieblichen oder Individualvereinbarung der Parteien vergütet werden, muss es aber nicht (BAG vom 12.02.1969 - 4 AZR 308/68, juris, Rz. 38; MünchArbR/Krause, 5. Auflage, § 60 Rn. 13; Freh in Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, 1. Auflage, § 4 Rn. 4.40).
34Dieses Verständnis der nicht arbeitsvertraglich geregelten Vergütungspflicht von Ruhezeiten und mithin (echter) Rufbereitschaft liegt auch dem Arbeitsvertrag der Parteien zugrunde. Das folgt aus dem oben bereits dargelegten Wortlaut und Kontext der Regelungen unter Ziffer 3 und 4 des Vertrages und ist gemeinsames Verständnis beider Parteien. Denn sowohl die Beklagte als auch der Kläger sind der Ansicht, dass Rufbereitschaft - im Unterschied zu Bereitschaftsdienst - arbeitsvertraglich nicht vergütungspflichtig ist, wie Seite 2 unten des Schriftsatzes des Klägers vom 25.07.2023 und Seite 4 unten des Schriftsatzes der Beklagten vom 16.08.2023 zeigen. Ein übereinstimmender Wille und ein übereinstimmendes Verständnis beider Vertragsparteien zum Inhalt der von ihnen vereinbarten Regelungen ist bei der Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB maßgeblich zu berücksichtigen (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Auflage, § 133 Rn. 8; Erman/Armbrüster, BGB, 17. Auflage, § 157 Rn. 5, jeweils m.w.N.). Getreu dem Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn" hätte eine hiervon abweichende Regelung, mit der der vereinbarte Stundenlohn von 20,75 € brutto nicht nur als Gegenleistung für erbrachte Arbeitstätigkeit, wie sie in Ziffer 3 des Arbeitsvertrages geregelt ist, geschuldet sein sollte, sondern auch für bestimmte Kategorien von Ruhezeit, zu denen die Rufbereitschaft zählt, entweder ausdrücklich getroffen werden müssen oder jedenfalls deutlicher Anhaltspunkte für einen entsprechenden beiderseitigen Regelungswillen bedurft. Beides ist hier nicht der Fall.
35dd. Die Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst hat mangels anderweitiger Anhaltspunkte insbesondere in vertraglichen Absprachen der Parteien oder einer bestimmten, berücksichtigungsfähigen Vertragspraxis, zu denen der - da er einen Vergütungsanspruch geltend macht und daher nach den allgemeinen Regeln die Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage darzulegen und ggfs. zu beweisen hat - darlegungspflichtige Kläger nichts vorgetragen hat, nach den allgemeinen Regeln zu erfolgen, wie sie insbesondere im Arbeitsschutzrecht entwickelt worden sind. In diesem Sinne grenzt auch das Bundesarbeitsgericht vergütungsrechtlich Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft voneinander ab (vgl. BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 15; vgl. zudem Bayreuther, Rufbereitschaft als Arbeitszeit?, NZA 2018, 348, 350).
36Danach gilt: Keine Rufbereitschaft mehr, sondern Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränkt, dass er die Zeit zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme genau vorgibt und die Zeitspanne dabei so kurz bemisst, dass sie einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkommt (BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 15). In einem solchen Fall ersetzt der Arbeitgeber die örtlichen Beschränkungen lediglich durch den Faktor Zeit und ordnet dadurch konkludent Bereitschaftsdienst an (BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 15). Wann die (mittelbaren) Einschränkungen hinsichtlich der freien Wahl des Aufenthaltsortes so stark sind, dass sie faktisch einer Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Arbeitgeber gleichkommen und damit eine Anordnung von Bereitschaftsdienst darstellen, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls (bei einer Zeitvorgabe von 10 bzw. 20 Minuten bis zur Arbeitsaufnahme bejaht durch BAG vom 19.12.1991 - 6 AZR 592/89, juris, Rz. 21 ff; BAG vom 31.01.2002 - 6 AZR 214/00, juris, Rz. 22; bei einer Zeitvorgabe von 25 bis 30 Minuten verneint durch BAG vom 31.01.2002 - 6 AZR 214/00, Rz. 22; diese Abgrenzungen insgesamt zitierend und nicht infrage stellend BAG vom 27.07.2021 - 9 AZR 448/20, juris, Rz. 49 zum Arbeitsschutzrecht und BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 15 zum Vergütungsrecht).
37Mit dem streitigen Vorbringen des Klägers, welches insoweit als zutreffend unterstellt werden kann, war ihm arbeitgeberseitig eine Zeitspanne von einer Stunde vorgegeben, um den Einsatzort zu erreichen. Soweit er allerdings behauptet, für den Weg ins Zentrum von Mönchengladbach in der Regel 40-45 Minuten zu benötigen, fehlt zum einen jeder Beweisantritt, zum anderen ist diese Behauptung unschlüssig. Jedenfalls die Entfernung vom Wohnort des Klägers zum Betriebssitz in Mönchengladbach beträgt - wie über allgemein zugängliche Routenplaner einfach zu berechnen und mithin gerichtsbekannt ist - 35,94 km, die Fahrtzeit beträgt 27 Minuten über die Autobahn. Ohne Autobahnnutzung beträgt die Entfernung 31,62 km und die Fahrtzeit 33 Minuten. Das entspricht im Durchschnitt exakt der Angabe der Beklagten von ca. 30 Minuten Fahrtzeit. Selbst unter Zugrundelegung einer - streitigen - Zeitvorgabe von einer Stunde bei Aktivierung im Notdienst verblieben dem Kläger mithin ca. 30 Minuten Zeit, bis er sich auf den Weg zur Arbeitsstätte machen musste. Mangels anderer möglicher Erkenntnisse ist hier auch der in Mönchengladbach befindliche Betrieb als Ziel zugrunde zu legen, denn ein anderer zugrunde zu legender Zielort wird von den Parteien nicht benannt, insbesondere nicht von dem Kläger. Dann ist der Betrieb aber der reguläre Arbeitsort.
38Unabhängig hiervon trägt der Kläger auch sonst nichts zu der von ihm genannten Zeitangabe von 40-45 Minuten Fahrtzeit vor. Da er - zwar nur, aber insoweit auch immerhin - im Umfang von 8,5 Stunden im Rahmen der von 2021 bis 2023 geleisteten Notdienstwochen zur Arbeit herangezogen wurde, wäre es ihm möglich und damit auch im vorliegenden Verfahren notwendig gewesen, jedenfalls bei diesem Einsatz oder diesen Einsätzen anzugeben, wohin er sich zu begeben hatte und welche Fahrtzeit hierfür angefallen ist. Solcher Vortrag des Klägers fehlt jedoch. Damit bleibt es dabei, dass die von der Beklagten angegebene Zeit zugrunde zu legen ist.
39Mit dieser verblieb dem Kläger eine Zeitspanne von 27 bis 33 Minuten bis zum Arbeitsantritt, wenn man - was ebenfalls zugunsten des Klägers hier getan wird, aus Sicht der Berufungskammer aber auch angezeigt ist, da die Fahrt im Notdiensteinsatz bereits zur Aktivierung und damit Arbeitszeit zählt - den Fahrtantritt als Arbeitsbeginn zugrunde legt und nicht als Wegezeit ausblendet. Soweit er in der mündlichen Berufungsverhandlung noch auf die Zeit zum Anziehen z.B. der Schuhe und Ähnliches verwiesen hat, sind solche "Ankleidezeiten" nun allerdings keine Arbeitszeit. Das sind sie weder im Übrigen im vorliegenden Arbeitsverhältnis noch im Notdienstfall. Es dürfte auch nicht davon auszugehen sein, dass das Anziehen einer Jacke und der Schuhe mehr als zwei Minuten in Anspruch nimmt, jedenfalls trägt der Kläger nichts hierzu vor. Damit bewegt sich der Fall hier immer noch klar im Rahmen von 25-30 Minuten Zeit bis zum Arbeitsantritt.
40Zuzugeben ist dem Kläger sicherlich, dass das keine außerordentlich großzügig bemessene Zeitvorgabe ist. Jedoch ist die Grenze irgendwo zu ziehen und gerade wenn man dem Grenzbereich wie hier sehr nahe kommt, kann dies verständlicherweise bei der nachteilig hiervon betroffenen Partei Unmut auslösen. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Grenze nunmal aber so gezogen und die erkennende Berufungskammer wüsste keine überzeugendere Abgrenzung zur Anwendung zu bringen. Auch der Kläger zeigt im Übrigen keine auf, er möchte lediglich im Ergebnis seine Notdienste als Bereitschaftsdienste verstanden wissen. Das allein reicht nicht, um eine jahrelange höchstrichterliche Rechtsprechung in Frage zu stellen.
41Hinzu kommt, dass arbeitsschutzrechtlich im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch der durchschnittliche Umfang der Heranziehung zur Arbeitsleistung zu berücksichtigen ist. Denn ein Arbeitnehmer, der während einer Bereitschaft im Durchschnitt zahlreiche Einsätze zu leisten hat, verfügt über einen nur geringen Spielraum, um seine Zeit während der Perioden der Inaktivität frei zu gestalten, weil diese häufig unterbrochen werden. Dies gilt umso mehr, wenn die Dienste von erheblicher Dauer sind (vgl. EuGH vom 09.03.2021 - C-344/19, juris, Rz. 51 f.; BAG vom 27.07.2021 - 9 AZR 448/20, juris, Rz. 50). Auch dies kann auf die vergütungsrechtliche Arbeitszeitabgrenzung übertragen werden (in diesem Sinne auch BAG vom 25.03.2021 - 6 AZR 264/20, juris, Rz. 23, 33; Bayreuther, Rufbereitschaft als Arbeitszeit?, NZA 2018, 348, 350). Letztlich kann diese Rechtsfrage aber sogar dahinstehen, denn auch unter Berücksichtigung dieses Kriteriums einer Gesamtwürdigung bestätigte sich das bereits vorstehend begründete Ergebnis des Vorliegens von Rufbereitschaft. Unstreitig hat der Kläger nämlich im Rahmen von 10 Notdienstwochen und mithin 1260 Stunden Bereitschaft nur im Umfang von 8,5 Stunden Arbeit leisten müssen. Das sind 0,67% und fällt mithin so verschwindend gering aus, dass von einer so erheblichen Einschränkung der Freizeitgestaltung des Klägers, dass er nur noch geringen Spielraum zur freien Gestaltung gehabt hätte, nicht gesprochen werden kann. Erst recht kann hierfür nun nicht eine vergütungspflichtige Arbeitszeit mit dem von dem Kläger begehrten Vergütungsanspruch von 25.979,- € brutto angenommen werden. Es bleibt vielmehr bei der zutreffenden Annahme von Rufbereitschaft, damit Ruhezeit und dementsprechend nicht nach Maßgabe der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zu vergütender Arbeitzeit.
422. Der von dem Kläger geltend gemachte Vergütungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 612 BGB. Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist. Ist die Höhe der Vergütung dann nicht bestimmt und auch einer Taxe - im Arbeitsrecht insbesondere einer einschlägigen tarifvertraglichen Vorgabe - nicht zu entnehmen, gilt die übliche Vergütung als vereinbart, § 612 Abs. 2 BGB.
43Die nach § 612 Abs. 1 BGB zunächst festzustellende Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme (BAG vom 17.08.2011 - 5 AZR 406/10, juris, Rz. 20; ErfK/Preis/Greiner, 24. Auflage, § 612 BGB Rn. 11). Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen. Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen einer Vergütungserwartung ist nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der eine Vergütung begehrt (BAG vom 17.08.2011 - 5 AZR 406/10, juris, Rz. 20).
44Auch hier ist zu konstatieren, dass der darlegungspflichtige Kläger weder einschlägige Tarifverträge oder sonstige als "Taxe" heranzuziehende Regelungen benennt, die im einschlägigen Wirtschaftsbereich der betroffenen Region eine Vergütungserwartung für Rufbereitschaftszeiten objektiv begründeten. Auch sonst lässt sich eine Vergütungserwartung für Rufbereitschaft hier objektiv nicht begründen. Grundsätzlich handelt es sich dabei - wie zuvor bereits ausgeführt - um arbeitszeitrechtliche Ruhezeit und auch in der Handhabung im vorliegenden Fall ist keine Heranziehung zu konstatieren, die zu einer so starken Beschränkung des Klägers in seiner Freizeitgestaltung geführt hätte, dass eine Vergütungserwartung objektiv berechtigt wäre. Dies dürfte sie auch hier nur sein, wenn die Grenze zum Bereitschaftsdienst überschritten wäre und damit Arbeitszeit vorläge, was wie festgestellt nicht der Fall ist. Aus welchem anderen Grunde abweichend von der bereits festgestellten arbeitsvertraglichen, vergütungsrechtlichen Bewertung hier keine nicht vergütungspflichtige Rufbereitschaft, sondern eine vergütungspflichtige Zeit vorgelegen haben soll, trägt der darlegungspflichtige Kläger nicht vor. Damit liegt hier zwar eine subjektive Vergütungserwartung des Klägers für die Rufbereitschaftszeiten vor - die er allerdings bedauerlicherweise nie im laufenden Arbeitsverhältnis kommunizierte, sondern erst nach dessen Ende -, objektiv begründen lässt sie sich jedoch nicht.
453. Der Anspruch des Klägers folgt auch nicht - dann in geringerer Höhe - aus dem Mindestlohngesetz.
46Nach deutschem Mindestlohnrecht schuldet der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Der Mindestlohn ist für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit erbringt, zu zahlen (BAG vom 24.06.2021 - 5 AZR 505/20, juris, Rz. 34; BAG vom 29.06.2016 - 5 AZR 716/15, juris, Rz. 24). Mit dem Mindestlohn zu vergütende Arbeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Bereitschaft (BAG vom 24.06.2021 - 5 AZR 505/20, juris, Rz. 35; BAG vom 11.10.2017 - 5 AZR 591/16, juris, Rz. 13; BAG vom 29.06.2016 - 5 AZR 716/15, juris, Rz. 27 ff.). Zu "Bereitschaft" in diesem Sinne zählt das Bundesarbeitsgericht aber explizit nur die Arbeitsbereitschaft und den Bereitschaftsdienst (BAG vom 24.06.2021 - 5 AZR 505/20, juris, Rz. 35; BAG vom 11.10.2017 - 5 AZR 591/16, juris, Rz. 13; BAG vom 29.06.2016 - 5 AZR 716/15, juris, Rz. 27 ff.). Begründet wird das damit, dass der Arbeitnehmer während des Bereitschaftsdienstes nicht frei über die Nutzung dieses Zeitraums bestimmen kann, sondern sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten muss, um im Bedarfsfalle die Arbeit von sich aus (Arbeitsbereitschaft) oder "auf Anforderung" (Bereitschaftsdienst) aufzunehmen. Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind daher nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, sondern nach inländischem Recht vergütungspflichtige und damit mindestlohnpflichtige Arbeit (BAG vom 24.06.2021 - 5 AZR 505/20, juris, Rz. 35; BAG vom 29.06.2016 - 5 AZR 716/15, juris, Rz. 28).
47Der gesetzliche Mindestlohn ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG "je Zeitstunde" festgelegt. Damit knüpft die Norm an die "vergütungspflichtige Arbeitszeit" an (BAG vom 24.06.2021 - 5 AZR 505/20, juris, Rz. 36; BAG vom 24.06.2020 - 5 AZR 93/19, juris, Rz. 31 m.w.N.), ohne diese abweichend von dem von der Rechtsprechung entwickelten Verständnis dieses Begriffs zu definieren.
48Die vergütungspflichtige Arbeitszeit in dem vorstehend beschriebenen Sinne ist keine andere als die oben bereits näher erläuterte vergütungsrechtliche Arbeitszeit. Diese ist zu unterscheiden von der (arbeitsschutzrechtlichen) Ruhezeit, zu der die Rufbereitschaft zählt. Diese ist keine vergütungsrechtliche Arbeitszeit und mithin auch keine vergütungspflichtige Arbeitszeit im Sinne des Mindestlohngesetzes (ebenso explizit Hess. LAG vom 21.11.2016 - 16 Sa 1257/15, juris, Rz. 23 und die h.L.: ErfK/Franzen, 24. Auflage, § 1 MiLoG Rn. 4; HWK/Sittard, 11. Auflage, § 1 MiLoG Rn. 7; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, 2. Auflage, § 1 Rn. 68 m.w.N.; Schaub/Vogelsang, Arbeitsrechtshandbuch, 20. Auflage, § 66 Rn. 23; Däubler, Der gesetzliche Mindestlohn - doch eine unendliche Geschichte?, NJW 2014, 1924, 1926).
494. Andere Anspruchsgrundlagen hat der Kläger weder geltend gemacht noch wären solche hier ersichtlich.
505. Der Kläger hat sich den Vortrag der Beklagten zu einer Vergütungsvereinbarung in Höhe von pauschal 50,- € netto je Notdienstwoche nicht, auch nicht hilfsweise zu eigen gemacht. Daher muss auf diese nicht mehr näher eingegangen werden. Hierzu gleichwohl folgendes:
51Die Pauschale wirkt auf den ersten Blick nicht besonders verlockend, und das ist sie auch nicht. Da wie aufgezeigt die Rufbereitschaft im vorliegenden Fall jedoch nicht vergütungspflichtig war, begegnet die Pauschale jedenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Auf einen Bruttobetrag hochgerechnet machte sie im Übrigen, wie sich aus den von der Beklagten vorgelegten Abrechnungen für Juni 2022 und Februar 2023 entnehmen lässt, um die 95,- € brutto aus. Mit dem Stundenlohn des Klägers verknüpft entspricht das einer Vergütung von ca. 4 ½ Arbeitsstunden. Da in einer Notdienstwoche 126 Stunden Rufbereitschaft anfielen, entspricht das einer Vergütung der Rufbereitschaft im Umfang von 3,57% bezogen auf die reine Bereitschaftszeit - ohne diese arbeitszeit- oder vergütungsrechtlich hier erneut einzuordnen. Das ist fürwahr wenig, jedoch betrug die Heranziehungsquote des Klägers wie bereits festgestellt lediglich 0,67%. Vor diesem Hintergrund kann die Pauschale nicht als gänzlich unangemessen betrachtet werden.
52III.
53Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Kläger die Kosten des von ihm ohne Erfolg betriebenen Rechtsmittelverfahrens zu tragen.
54IV.
55Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1 ArbGG. Ein Zulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegt nicht vor, insbesondere betrifft die Entscheidung weder entscheidungsrelevante Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG noch liegt eine Divergenz im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vor. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung, die keine grundsätzlichen Rechtsfragen aufwirft.
56RECHTSMITTELBELEHRUNG
57Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
58Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
59Klein Hinterberg Christian Schöne