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Der im Sinne eines sogenannten Schleppnetzantrags neben dem Antrag nach § 4 S. 1 KSchG angekündigte allgemeine Feststellungsantrag gem. § 256 Abs. 1 ZPO geht nach §§ 39 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1 GKG wertmäßig im Ansatz des Vierteljahresverdienstes auf, wenn mit diesem kein weiterer Beendigungstatbestand angesprochen wird.
Soweit neben dem Antrag nach § 4 S. 1 KSchG hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Bestandsschutzbegehren ein Abfindungsanspruch auf tarifvertraglicher Grundlage verfolgt wird, kommt ein Wertansatz wegen des Hilfsantrags gem. § 45 Abs. 1 S. 2 GKG regelmäßig nur dann in Betracht, wenn über diesen Antrag gerichtlich entschieden wird.
Gelangt ein solcher Hilfsantrag wegen des Obsiegens mit dem Hauptantrag hingegen nicht zur Entscheidung, ist der Hilfsantrag auch dann nicht gem. § 45 Abs. 1 S. 3 GKG bei der Bildung des Gesamtwerts zu berücksichtigen, wenn dessen Einzelwert den Wert des beschiedenen Hauptantrags übersteigt.
Soweit bei der Bemessung des für die Gerichtsgebühren nach §§ 63 Abs. 2, 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 S. 2 GKG festzusetzenden Gesamtwerts ein unbeschiedener Hilfsantrag außer Ansatz zu bleiben hat, ist dieser Wert wegen des in § 32 Abs. 1 RVG begründeten Abhängigkeitsgrundsatzes regelmäßig auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgeblich. Für die abweichende Festsetzung eines den Einzelwert des Hilfsantrags einschließenden höheren Wertes auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 RVG verbleibt dann kein Raum.
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 31. März 2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 22. März 2022 – 1 Ca 11/21 – wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
2Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für ein durch Urteil erledigtes Bestandsschutzverfahren erster Instanz.
3I.
4Die Klägerin war seit dem 1. April 1997 bei der Beklagten als Mitarbeiterin in der Personalverwaltung beschäftigt. Unter Einschluss einer Leistungszulage betrug ihre monatliche Bruttovergütung zuletzt 3.986,48 €. Mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 eröffnete das Amtsgericht Paderborn das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten und ordnete die Eigenverwaltung an. Auf der Grundlage eines mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleichs mit Namensliste nebst begleitenden Sozialplan kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 unter Anwendung der nach § 113 S. 2 InsO abgekürzten Kündigungsfristen zum 31. März 2021.
5Gegen diese Kündigung wandte sich die Klägerin, anwaltlich vertreten durch den Beschwerdeführer, mit ihrer Kündigungsschutzklage vom 5. Januar 2021, die neben einem punktuellen Feststellungsantrag nach § 4 S. 1 KSchG und einem allgemeinen Feststellungsantrag als sog. Schleppnetzantrag auch einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung umfasste. Mit bestimmendem Schriftsatz vom 14. Juni 2021 erweiterte die Klägerin die Klage um einen später zurückgenommenen Antrag wegen Ansprüchen aus betrieblicher Altersversorgung sowie – insoweit ausdrücklich hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit ihrem Bestandsschutzbegehren – um Anträge wegen einer nach ihrer Auffassung nach einer tarifvertraglichen Bestimmung zu zahlenden Abfindung in Höhe von 52.969,68 € sowie weiteren 14.442,39 € als Schadensersatz wegen der abgekürzten Kündigungsfrist (Verfrühungsschaden).
6Mit Urteil vom 26. August 2021 erkannte das Arbeitsgericht auf die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung und verurteilte die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin in der Personalverwaltung, womit die beiden Hilfsanträge nicht zur Entscheidung anfielen. Unter Hinweis darauf setzte das Arbeitsgericht den Gebührenstreitwert mit Beschluss vom 22. März 2022 ohne wertmäßige Berücksichtigung der Hilfsanträge auf insgesamt vier Monatseinkommen fest.
7Gegen diese Wertbemessung wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem am 31. März 2022 aus eigenem Recht aufgerufenem Behelf.
8Er ist der Auffassung, dass auch der – wenngleich in der Sache nicht näher begründete und nicht an einen gesonderten Beendigungstatbestand anknüpfende – allgemeine Feststellungsantrag neben dem Kündigungsschutzantrag mit einem eigenen Wertansatz in Höhe eines Monatseinkommens zu berücksichtigen sei. Hinzuzurechnen seien zudem die Nominalbeträge der beiden hilfsweise formulierten Zahlungsanträge, deren Berücksichtigung § 42 Abs. 2 S. 1 HS 2 GKG hier nicht entgegenstehe. Nach einem gebührenrechtlichen Hinweis der Beschwerdekammer vom 25. April 2022, der sich insbesondere auf § 45 Abs. 1 S. 2 GKG bezog, stützt sich der Beschwerdeführer nunmehr darauf, dass bei denselben Gegenstand betreffenden Ansprüchen oder Anträgen der Gesamtwert zumindest nach dem höheren Einzelwert – vorliegend nach dem Nominalbetrag der Zahlungsanträge – zu bemessen sei.
9Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen und wegen des weiteren Vorbringens des Beschwerdeführers wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
10II.
11Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, ausdrücklich aus eigenem Recht aufgerufene, rechtzeitig erhobene und im Übrigen zulässige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.
121. Der neben dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 S. 1 KSchG vorsorglich angekündigte allgemeine Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO führt hier für das Bestandsschutzbegehren nicht zu einem Wertansatz oberhalb des Vierteljahresverdienstes gem. § 42 Abs. 2 S. 1 HS 1 GKG. Denn diese Norm begrenzt den Gebührenstreitwert einer Bestandsstreitigkeit ausdrücklich und mit klar bestimmter sozialer Zielsetzung auf einen Höchstbetrag, der nicht überschritten ist, soweit und solange die Parteien wie vorliegend allein über einen zu einem bestimmten Termin greifenden Beendigungstatbestand streiten.
Fehlt es an einem über § 256 Abs. 1 ZPO erfassten weiteren Beendigungstatbestand oder – auf einen solchen mit Eintritt im Verlaufslauf folgend – an einer Punktualisierung des allgemeinen Feststellungsantrags, liegt schon kein weiterer Streitgegenstand im Sinne des § 39 Abs. 1 GKG vor. Denn der klagenden Partei geht es dann allein um die Abwehr bzw. Klärung eines Beendigungsgrundes, was die zitierte Begrenzungsvorschrift ihrem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck nach unmittelbar eingreifen lässt. Dieses Verständnis von und die daraus folgende Anwendung der einschlägigen Normen des Gebührenrechts entspricht der ständigen Spruchpraxis der Beschwerdekammer (vgl. etwa Beschluss vom 2. November 2018 – 8 Ta 333/18 – juris) ebenso, wie den Vorschlägen des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a.: NZA 2019, S. 495 ff), siehe dort I. Nr. 17.2, denen die Beschwerdekammer regelmäßig folgt.
152. Das Arbeitsgericht hat die beiden im Verhältnis zum primären Bestandsschutzbegehren ausdrücklich hilfsweise formulierten Zahlungsanträge bei der Wertbestimmung gem. §§ 63 Abs. 2, 39 ff GKG zu Recht außer Ansatz gelassen. Denn nach § 39 Abs. 1 GKG findet bei der Bemessung des Gebührenstreitwerts eine Zusammenrechnung der Einzelwerte bei einer Mehrheit von Streitgegenständen zwar regelmäßig, aber eben nur dann statt, wenn gebührenrechtlich nichts anderes bestimmt ist. Eine solche Bestimmung beinhaltet § 45 Abs. 1 S. 2 GKG für den oder die Hilfsanträge, die mangels Eintritt der von der Klägerseite formulierten Bedingung nicht zur Entscheidung gelangen. Dies ist für die beiden vorliegenden Zahlungsanträge, mit denen die Klägerin denknotwendig nur bei Scheitern ihres Bestandsschutzbegehrens durchdringen konnte, weshalb das gewählte Hilfsverhältnis kostenrechtlich sachgerecht und der aus Klägersicht gebotenen Risikobegrenzung dienlich war, der Fall. Gleichwohl einen Wertansatz für diese Anträge zu bilden, ginge folglich damit einher, das aus einem Streben nach Risikobegrenzung bewusst gewählte und im Dispositionsgrundsatz des Zivilprozesses wurzelte Konstrukt des Hilfsantrags zu ignorieren und solche Anträge, obwohl mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im Einklang und in § 45 Abs. 1 GKG sogar ausdrücklich verankert, ad absurdum führen. Denn bei einer gebührenrechtlichen Berücksichtigung unbeschiedener Hilfsanträge könnte die damit angestrebte Risikominderung letztlich gar nicht erreicht werden.
3. Soweit sich die Beschwerde darauf bezieht, den Gebührenstreitwert im Falle der Einführung dasselbe Interesse betreffender Haupt- und Hilfsanträgen gem. § 45 Abs. 1 S. 3 GKG stets nach dem Wert des höheren Anspruchs zu bemessen, geht dies am Wortlaut, an der Systematik sowie an Sinn und Zweck der Norm glatt vorbei. Denn die Frage einer Wertbestimmung nach dem ggf. höheren Einzelwert stellt sich bei Haupt- und Hilfsantrag nur, wenn über den Hilfsantrag überhaupt entschieden worden ist. Fehlt es daran, bleibt der Hilfsantrag nach dem insoweit klaren Normbefehl des § 45 Abs. 1 S. 2 GKG gänzlich unberücksichtigt. Dem trägt § 45 Abs. 1 S. 3 GKG mit seiner ausdrücklichen Anknüpfung an die beiden vorausgehenden Sätze Rechnung. Danach hat die Berücksichtigung des höheren Einzelwerts gerade nur dann zu erfolgen, wenn eine Entscheidung über den Haupt- und den Hilfsantrag ergeht. Erst unter dieser Voraussetzung und im Kontext des u. a. in dieser Norm verankerten kostenrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs ist eine zusammenfassende Festsetzung nach dem höheren Einzelwert dann geboten, wenn beide Anträge dasselbe Interesse betreffen. Der Normbefehl zielt folglich auf eine Begrenzung des Gebührenstreitwerts, nicht aber auf dessen Erhöhung im Fall unbeschiedener Hilfsanträge, für deren Handhabung bereits der vorangestellte § 45 Abs. 1 S. 2 GKG eine abschließende Regelung trifft. Wollte man dies anders sehen, so wäre erneut der Dispositionsgrundsatz verletzt. Denn danach steht es der Partei frei, einen ggf. auf das gleiche Interesse zielenden Antrag höheren Werts unmittelbar oder eben – aus Gründen der eigenen Priorisierung und/oder des Kosteninteresses – nur nachrangig zu verfolgen.
4. Ist für nicht beschiedene Hilfsanträge gem. § 32 Abs. 1 RVG i. V. m. §§ 63 Abs. 2, 39 ff GKG kein Wertansatz zu bilden, kann dieses auch nicht über eine Festsetzung eines abweichenden Gegenstandswerts anwaltlicher Tätigkeit nach § 33 Abs. 1 RVG bzw. ein insoweit geführtes Beschwerdeverfahren erreicht werden. Denn in den Fällen des unbeschiedenen Hilfsantrags greift nach § 32 Abs. 1 RVG die gesetzlich angelegte und den Regelfall bildende Abhängigkeit der Anwaltsvergütung von dem für das gerichtliche Verfahren maßgeblichen Gebührenstreitwert nach §§ 39 ff GKG ein (KG Berlin, Beschluss vom 11. Juni 2007 – 20 U 150/04 – juris; OLG Köln, Beschluss vom 23. Juli 2008 – 22 U 141/07 – juris). Eine abweichende Festsetzung bei Hilfsaufrechnung oder Hilfsantrag nach (heute) § 33 Abs. 1 RVG wäre demgegenüber mit einer Durchbrechung des in § 32 Abs. 1 RVG angelegten Abhängigkeitsgrundsatzes verbunden, die letztlich zu einer vom Gebührenstreitwert abgelösten Bemessung der Anwaltsvergütung nach Aufwand führen würde. Eine solche ist jedoch dem Vergütungsschema des RVG fremd, welches auf einer systembedingten Mischkalkulation beruht (OLG Hamm, Beschluss vom 2. Januar 2007 – 19 U 48/06 – MDR 2007, S. 618/619 m. w. N.).
5. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
24Gegen diese Entscheidung ist nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG kein Rechtsmittel statthaft.