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1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 33.795,51 Euro festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
TATBESTAND
2Die Parteien streiten über eine Kündigung vom 14.02.2023 sowie über Weiterbeschäftigung.
3Die am 1964 geborene Klägerin ist eine bekannte Politikwissenschaftlerin und Autorin. Ihr Publikationsverzeichnis umfasst eine Vielzahl verschiedener Werke. Darunter befinden sich auch folgende Publikationen: „Titel 1“ (zunächst erschienen im M. Verlag, 2016; inzwischen in der 4. Aufl. im F. Verlag, 2023; die im Zusammenhang mit diesem Urteil zumeist relevante Version ist die 3. Auflage, 2017), „Titel 2 “ (K. Verlag, 2017) sowie „Titel 3“ (B. Verlag, 5. Aufl. 2022).
4Die Klägerin wurde am 01.02.2016 zur Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Universität A. ernannt. Die Universität erkannte die Publikationen der Klägerin kumulativ als einer der Habilitation gleichwertige Leistung an. Dabei teilte sie nicht mit, welche Werke sie berücksichtigte. Ende Januar 2016 wies die Klägerin im Rahmen eines Gespräches mit dem Rektor der Universität, Herrn V., darauf hin, dass ihr Werk „Titel 1 “ im Erscheinen sei. Der Rektor äußerte darauf hin, dass man dieses Werk dann bei der kumulativen Habilitation noch berücksichtigen könne.
5Die Beklagte schrieb am 01.10.2020 eine „Professur (W2) für Politik in Europa unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Französischen Beziehungen“ aus. In dieser Ausschreibung heißt es auszugsweise wie folgt:
6…
7Die Ausschreibung richtet sich an Persönlichkeiten mit internationalem Profil, die durch politikwissenschaftliche Forschungsleistungen, sowohl im Bereich der europäischen Integration als auch im thematischen Spezialbereich der Deutsch-Französischen Beziehungen, ausgewiesen sind und mehrere Jahre im europäischen, vorzugsweise französischsprachigen, Ausland tätig waren. Darüber hinaus sollten Erfahrungen in interdisziplinärer Arbeit, vorzugsweise mit Fächern der kulturwissenschaftlichen Frankreichforschung, vorliegen. Erfahrungen bei der Einwerbung von Drittmitteln werden vorausgesetzt.
8…
9Einstellungsvoraussetzungen (gemäß § 36 HG NRW) sind eine Promotion sowie eine Habilitation oder habilitationsadäquate Leistungen in Politikwissenschaft.
10…
11Die Bewerbungsfrist lief bis zum 31.10.2020. Wegen der weiteren Einzelheiten wird die Ausschreibung in Bezug genommen (Bl. 763 der Akte). Die Klägerin bewarb sich fristgerecht auf diese Ausschreibung mit umfangreichen Bewerbungsunterlagen. In ihrem tabellarischen Lebenslauf ist im Bereich „Akademische Ausbildung“ unter anderem Folgendes aufgeführt:
122016 Ernennung zur Professorin durch Anerkennung der kumulierten Publikationen als eine der Habilitation gleichwertigen Leistung durch die Universität A.
13Unter Ziffer 3 der Bewerbungsunterlagen ist ein „Dossier: Vollständige Publikationsliste, Übersicht über Forschungsprojekte & Lehre, sowie über Konferenzen, Medienaktivitäten & Transdiziplinarität“ enthalten. Dort sind unter Z. 1.1.1 Publikationen – Bücher und selbstständige Veröffentlichungen – Bücher als Autorin neben einer Reihe weiterer Werke auch die beiden oben genannten in 2016 und 2017 erschienen Veröffentlichungen genannt. Wegen der weiteren Einzelheiten werden die Bewerbungsunterlagen der Klägerin in Bezug genommen (Bl. 568 ff. der Akten).
14Am 04.11.2020 fand die erste Sitzung der Berufungskommission statt. Dabei wurden sämtliche Bewerbungen verschiedenen Kategorien (A bis C) zugeordnet. Die Klägerin wurde neben fünf weiteren Bewerbern der Kategorie A zugeordnet. Diese sollten aufgefordert werden, insgesamt fünf Schriften (Dissertation, Habilitation bzw. Manuskript der Habilitationsschrift plus drei weitere auf die Ausschreibung passende) einzureichen. Außerdem sollten diese Bewerber zu einem Probevortrag eingeladen werden. Wegen der Einzelheiten wird das Protokoll der Sitzung in Bezug genommen (Bl. 1056 der Akte).
15Mit Schreiben vom 05.11.2020 richtete der Dekan der philosophischen Fakultät der Beklagten eine Aufforderung u.a. an die Klägerin, in welcher es auszugsweise wie folgt heißt:
16…
17im Zusammenhang mit Ihrer Bewerbung auf die W 2-Professur für Politik in Europa unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Französischen Beziehungen an der Philosophischen Fakultät der Universität B möchte ich Sie bitten, der Berufungskommission insgesamt fünf Schriften (Dissertation, Habilitations-bzw. Manuskript der Habilitationsschrift, bzw. zweite Monographie, plus drei weitere auf die Ausschreibung passende Schriften) bald möglichst, spätestens aber bis zum 13. November 2020 in digitaler Form zuzusenden.
18…
19Wegen der weiteren Einzelheiten wird das Schreiben in Bezug genommen (Bl. 1026 der Akte). Die Klägerin antwortete hierauf mit E-Mail vom 12.11.2020 an die im Schreiben vom 05.11.2020 angegebene E-Mail-Adresse. Dort heißt es auszugsweise wie folgt:
20Sehr geehrte Frau E,
21fristgerecht zum 13. November übersende ich Ihnen hiermit fünf meiner Publikationen elektronisch. Herrn Dekan K setze ich in cc.
22Habilitation
Titel 1: M. Verlag, 2016.
25Das Buch wurde 2016 - zusammen mit meiner Publikationsliste (siehe eingereichtes Dossier) - trotz seiner populärwissenschaftlichen Sprache von der Universität A. als eine einer Habilitation gleichwertige Leistung·anerkannt. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt und inkl. Taschenbuch und e-Book inzwischen mehr als 50.000 mal verkauft.
26Zweite Monographie
…
29– 5. …
…
32Da die PDFs - vor allem die Monographien - ein beachtliches MB-Volumen haben und Zip-Dateien beim Öffnen manchmal Probleme verursachen, füge ich dieser E-Mail lediglich die Habilitation (Nummer 1 der obigen Liste) bei und schicke Ihnen ferner jeweils ohne weitere Kommentare die Schriften Nummer zwei bis vier in getrennten E-Mails.
33…
34Wegen der weiteren Einzelheiten wird die E-Mail der Klägerin in Bezug genommen (Bl. 153 ff. der Akte).
35Die Berufungskommission ließ zu der Bewerbung der Klägerin drei Stellungnahmen externer Wissenschaftler (Professor S., Professor I. und Professor M) einholen. Im Januar 2021 schrieb Professor S. an den Dekan der philosophischen Fakultät auf einer ca. zweieinhalbseitigen Stellungnahme auszugsweise wie folgt über die Klägerin:
36…
37Eine nähere Durchsicht ausgewählter Veröffentlichungen lässt dazu erkennen, dass Frau H. eher den Stil von breit angelegten Essays mit einer starken Ausrichtung auf reflektierte Plädoyers als Ansätze von theoriebasierten, methodengeleiteten Analysen pflegt. Überraschenderweise greift sich kaum auf die vielfältigen und kontroversen Debatten einschlägiger akademischer Netzwerke und Veröffentlichungen zurück. Ihre Argumentation zu den Begriffen „Nation“ und „Europa als Republik“ bietet anregende Ausgangspunkte, die aber wissenschaftlich vertieft werden könnten.
38…
39Die beiden weiteren Stellungnahmen zur Klägerin fielen sehr positiv aus. Wegen der weiteren Einzelheiten werden die drei Stellungnahmen zur Bewerbung der Klägerin in Bezug genommen (Bl. 329 ff. der Akten).
40Am 18.01.2021 fand die dritte Sitzung der Berufungskommission statt. In dieser Sitzung wurden die Gutachten über die Klägerin, insbesondere auch das von Herrn Professor S. erörtert. Die Kommission entschied sich in dieser Sitzung einstimmig für die Klägerin als einzigen Berufungsvorschlag. Der Dekan der philosophischen Fakultät übermittelte am 18.01.2021 eine Begründung zum Beschluss der Berufungskommission an den Rektor der Beklagten, Herrn Z. In der Begründung der heißt es auszugsweise wie folgt:
41„ H. hat ein Oevre von insgesamt 13 Büchern, davon 9 selbstverfasste Monografien und 4 in Ko-Herausgeberschaft publizierte Sammelbände, sowie über 220 Artikel in Fachzeitschriften und Sammelbänden vorzuweisen, darunter viele Veröffentlichungen auf Französisch und Englisch: … Frau H 2016 erschienenes Buch „Titel 1“ erreichte, inklusive mehrerer Übersetzungen, hohe Verkaufsauflagen und wurde weit über die Fachgemeinschaft hinaus in ganz Europa öffentlich rezipiert. Laut Gutachter I. (S. 1) gilt dies „… particulary in France where her work is widely read and discussed.”
42Über ihre wissenschaftlich-akademische Qualifikation hinaus erfüllt Frau Professor H. die erweiterten Ausschreibungskriterien in beeindruckender Weise: …
43Wegen der weiteren Einzelheiten wird die Begründung ergänzend in Bezug genommen (Bl. 1037 f. d. A.). Daraufhin tagte am 20.01.2021 der Fakultätsrat, dem ein begründeter Besetzungsvorschlag vorgelegt wurde und diesem einstimmig folgte. In einem Schreiben vom 21.01.2021 berichtete der Dekan dem Rektor über den Ausgang und den Ablauf des Berufungsverfahrens und teilte den Besetzungsvorschlag mit.
44Mit Dienstvertrag vom 23.04./16.05.2021 wurde die Klägerin bei der Beklagten als Universitätsprofessoren der Besoldungsgruppe W2 angestellt. Danach sollte sie berechtigt und verpflichtet sein, für die Beklagte die Aufgaben in Forschung und Lehre in dem von der Klägerin vertretenen Fach „Politik in Europa unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Französisch Beziehungen“ selbstständig wahrzunehmen. Auf das Dienstverhältnis sollte der Tv-L Anwendung finden. Die Dienstaufgaben sollten sich im Übrigen nach § 35 HG i.V.m. § 3 HG bestimmen. Nebst einer Vergütung in Anlehnung an die Besoldungsgruppe W2 erhielt die Klägerin einen unbefristeten Berufungleistungsbezug i.H.v. € brutto monatlich. Insgesamt erhielt die Klägerin damit eine monatliche Vergütung i.H.v. € brutto.
45Seit dem 12.02.2021 besteht bei der Beklagten eine „Ordnung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der Universität B“ (im Folgenden auch: GWP-O). Darin sind im ersten Abschnitt Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis beschrieben. In § 7 – wissenschaftliches Fehlverhalten – heißt es auszugsweise wie folgt:
46(1) Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt bei einer Person insbesondere vor, wenn diese in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang vorsätzlich oder grob fahrlässig
47falsche Angaben macht,
sich fremde wissenschaftliche Leistungen unberechtigt zu eigen gemacht oder
die Forschungstätigkeit anderer beeinträchtigt.
Als wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne von Satz 1 gelten insbesondere:
52…
unberechtigtes Zu-eigen-machen fremder wissenschaftlicher Leistungen durch:
a) Die ungekennzeichnete Übernahme von Inhalten Dritter ohne die gebotene Quellenangabe („Plagiat“),
56b) …
57(2) …
58Im zweiten Abschnitt wird das „Verfahren bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten“ beschrieben. Die GWP-O wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 141 ff. der Akten).
59Die Beklagte richtete daraufhin eine Ombudsstelle für wissenschaftliches Fehlverhalten ein. Zur Ombudsperson wurde Herr Professor G bestellt. Zu Mitgliedern der ständigen Untersuchungskommission im Sinne von § 11 GWP-O waren im streitgegenständlichen Zeitraum der Jurist, Herr Professor HA, Direktor des Instituts , als Vorsitzender, sowie Herr Professor R., S Institute der Beklagten und Herr Professor W. der Medizinischen Fakultät der Beklagten ernannt. Herr W. war gleichzeitig Direktor der Klinik für N des Universitätsklinikums sowie Direktor für Klinische Forschung des D, mit welchem die Beklagte sowie das Universitätsklinikum B auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages vom 10.12.2009 zusammenarbeitet. Dieser Vertrag wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 1027 ff. der Akten).
60Anfang Juni 2022, kurz nach Veröffentlichung ihres Buches „Titel 4“ (B. Verlag, 2022), erhob ein Politikwissenschaftler sowie ein Journalist in mehreren Beiträgen für die Zeitung Q. den Vorwurf, dass die Klägerin in den drei streitgegenständlichen Werken plagiiert habe.
61Der Rektor der Beklagten bat im Verlauf des Juni 2022 daher die Ombudsperson für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens mit der Durchführung eines Vorermittlungsverfahren bezüglich der Werke „Titel 1 “ und „Titel 3 “. Im Rahmen dieses Verfahrens erhielt die Klägerin die Gelegenheit zur Stellungnahme, von welcher sie Gebrauch machte, ohne inhaltlich auf die Vorwürfe von Plagiaten einzugehen.
62Mit Schreiben vom 03.09.2022 an die Untersuchungskommission für wissenschaftliches Fehlverhalten beantragte die Ombudsperson die Durchführung eines förmlichen Verfahrens nach der GWP-O und unterrichtete den Rektor vom Ergebnis der Vorermittlungen. In seiner Begründung führte der Ombudsmann unter anderem aus, dass „bei der gebotenen summarischen Prüfung die beanstandeten Arbeiten mit (teils schwerwiegenden) Plagiaten behaftet“ seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird die Stellungnahme der Ombudsperson in Bezug genommen (Bl. 1405 ff. der Akten). Mit Schreiben vom 06.09.2022 teilte die Ombudsperson der Klägerin das Ergebnis ihres Vorermittlungsverfahren mit.
63Die Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens beriet in ihrer Sitzung vom 23.09.2022 über den Bericht des Ombudsmanns, wobei Einigkeit bestand, dass die Kommission angesichts des Ergebnisses der Vorermittlungen tätig werden und ein Untersuchungsverfahren einleiten müsse. Die Kommission erweiterte ihre Prüfung auf das Werk „Titel 2 “, um die Schwere eines etwaigen Verstoßes einordnen bzw. die Täuschung im Berufungsverfahren feststellen zu können. Sie prüfte die mögliche Befangenheit ihrer Mitglieder mit dem Ergebnis, dass keines ausgeschlossen war. Die Kommission unterrichtete den Rektor am 30.09.2023 über die Aufnahme der Untersuchungen, die beabsichtigte Vorgehensweise sowie die ergebnislose Überprüfung der Kommissionsmitglieder über eine mögliche Befangenheit.
64Ab dem 07.10.2022 erkrankte die Klägerin längerfristig arbeitsunfähig. Sie zog sich in ihre Wohnung nach X. zurück.
65Am 31.10.2022 veröffentlichte die Beklagte eine Stellungnahme auf ihrer Internetpräsenz in der es auszugsweise wie folgt heißt:
66Ein Mitglied der Philosophischen Fakultät der Universität B ist wiederholt mit öffentlichen Äußerungen zu unterschiedlichen Themen in die Kritik geraten. Hierzu äußert sich die Universitätsleitung wie folgt:
671. Die Universität B und ihre Philosophische Fakultät haben den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bereits kurz nach Beginn des Krieges auf das Schärfste verurteilt und bekennen sich solidarisch mit den Menschen in der Ukraine. Sie stehen an der Seite des ukrainischen Volkes und beteiligen sich an den von den deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen vereinbarten Sanktionen. Sie unterstützen geflüchtete Studierende und Forschende.
682. Die Äußerungen einzelner Wissenschaftler*innen stellen grundsätzlich keine Positionen der Universität B dar. Wissenschaftler*innen genießen neben der grundrechtlich verbrieften Meinungsfreiheit auch Wissenschaftsfreiheit. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist ein Privileg, das jedoch auch mit großer Verantwortung einhergeht, dem Ansehen und dem Vertrauen gerecht zu werden, die der Wissenschaft entgegengebracht werden. Dazu gehört es, allgemeine Standards guter wissenschaftlicher Praxis zu wahren und namentlich spekulative, nicht wissenschaftlich belegbare Behauptungen zu unterlassen. Verdachtsfälle auf Fehlverhalten werden im Einzelfall von den zuständigen Stellen geprüft und gegebenenfalls sanktioniert.
69Ende November 2022 gab die Klägerin der Zeitung N ein dreieinhalbstündiges Interview.
70Unter Zuhilfenahme der Computer Software „turn it in“ der Philosophischen Fakultät der Beklagten und einer anschließenden individuellen Kontrolle der von der Software gefundenen Fundstellen erstellte die Kommission eine synoptische Übersicht in Tabellenform über die fraglichen Stellen in den drei untersuchten Werken. Auf dieser Grundlage stellte die Kommission in ihrer zweiten Sitzung am 01.12.2022 den Verdacht eines erheblichen Fehlverhaltens fest und beschloss, der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
71Mit Schreiben vom 01.12.2022 wandte sich die Kommission unter dem Betreff: „Untersuchungsverfahren wegen des dringenden Verdachts wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ an die Klägerin. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise wie folgt:
72…
73Ihnen wird vorgeworfen, in Ihrer Schrift „Titel 3 “ (4. Aufl. 2022) an den aus der nachfolgenden Übersicht ersichtlichen Stellen (wörtliche Übernahmen rot unterlegt) vorsätzlich plagiiert und damit die allgemein anerkannten Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis verletzt und unter Verstoß gegen § 4 Abs. 4 S. 1 u. 2 Hochschulgesetz NRW ein wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 u. S. 2 Nr. 2 lit. a) der Ordnung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der Universität B vom 12. Februar 2021 (Amt. Bek. 51 [2021] Nr. 13, 19. Februar 2021) begangen zu haben.
74Es folgte die synoptische Gegenüberstellung in Tabellenform. Das Schreiben enthielt in gleicher Form eine Gegenüberstellung zu den Schriften „Titel 1 “ und „Titel 2 “. Abschließend heißt es in dem Schreiben wie folgt:
75Gemäß § 12 Abs. 4 S. 2 der Ordnung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der Universität B gibt die Untersuchungskommission Ihnen die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme bis spätestens 16.01.2023 oder zu einer mündlichen Äußerung. Letztere kann entweder am 09.01.2023 oder am 16.01.2023, jeweils 18 Uhr, im Institut erfolgen.
76Ich darf Sie bitten, mir bis zum 15.12.2022 mitzuteilen, ob Sie von der einen oder anderen Möglichkeit Gebrauch machen wollen.
77Das Schreiben der Kommission wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 457 ff. der Akten). Das Schreiben konnte der Klägerin an der der Beklagten bekannten Adresse der Klägerin in B nicht zugestellt werden, sodass der Vorsitzende der Kommission das Schreiben am 14.12.2022 mit der Bitte um Rückmeldung bis zum 02.01.2023, ob die Klägerin von der Gelegenheit zur Stellungnahme Gebrauch machen wolle, per E-Mail an die Klägerin weiterleitete.
78Am 07.12.2022 führte die Klägerin ein ca. einstündiges Live-Interview mit der freien Autorin D., welches auf der Videoplattform „YouTube“ eingestellt wurde.
79Mit E-Mail ihres damaligen anwaltlichen Vertreters, Herrn Dr. E., vom 15.12.2022 wies die Klägerin darauf hin, dass sie krankgeschrieben sei. Es sei ihr nicht möglich gegenüber der Untersuchungskommission schriftlich Stellung zu nehmen oder zu einem Anhörungstermin persönlich zu erscheinen. Daher bat sie um Aussetzung der Stellungnahmefrist und Verlegung der Anhörungstermine auf einen späteren Zeitpunkt nach Beendigung ihrer Arbeitsunfähigkeit. Sie übersandte ein ärztliches Attest einer Fachärztin für Allgemeinmedizin aus B, in welchem es auszugsweise wie folgt heißt:
80Die o.g. Patientin ist zur Zeit krankgeschrieben und kann daher bis auf Weiteres keinerlei berufsbezogenen Tätigkeiten nachgehen oder anderweitige universität-bezogene Stellungnahmen, Schriften und Arbeiten verfassen/tätigen.
81Das Attest vom 15.12.2022 wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 498 der Akte). Die Untersuchungskommission lehnte mit E-Mail vom 16.12.2022 die Aussetzung der Stellungnahmefrist und eine Verlegung der Anhörungstermine ab. Eine der Fristwahrung entgegenstehende oder diese zumindest unzumutbar machende Erkrankung sei nicht dargetan. Das Attest vom 15.12.2022 gebe keine Befundtatsachen an, die einen Rückschluss auf die Unzumutbarkeit zuließen. Mit E-Mail vom 17.12.2022 übersandte Herr Dr. E. ein weiteres Attest der Ärztin aus B, in welchem es auszugsweise wie folgt heißt:
82Die o.g. Patientin ist im Rahmen ihrer Krankmeldung seit dem 07.10.2022 zu eigenem Handeln in Bezug auf die Untersuchung der Plagiatskommission unfähig und auch außerstande einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfang zu informieren. Es ist bis auf weiteres nicht absehbar, wann die Patientin hierzu in der Lage ist.
83Das Attest vom 16.12.2022 wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 499 der Akte). Die Untersuchungskommission teilte mit E-Mail vom 17.12.2022 mit, dass auch das neue ärztliche Attest keine Befundtatsachen enthielte und es daher bei den ursprünglichen Stellungnahmefristen verbliebe. Die E-Mail-Korrespondenz wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 494 ff. der Akten).
84Am 17.12.2022 war die Klägerin in einem Beitrag mit einer Länge von 42 Minuten Studiogast des Senders tv.. mit dem Titel „Die Causa H.“.
85Am 14.01.2023 richtete die Klägerin ein Schreiben an die Untersuchungskommission. In diesem heißt es auszugsweise wie folgt:
86…
87Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass dieser Brief keine „offizielle Stellungnahme“ ist, die einzureichen ich aufgrund meiner Krankschreibung nicht in der Lage bin, zumal mein Krankheitsbild unmittelbar mit dem Verhalten verschiedener Institutionen der Universität B in den letzten Monaten zusammenhängend, … jeder Kontakt mit der Universität für mich also immer noch schwierig ist. Ich bitte daher für diese Briefform um Verständnis und darf an dieser Stelle auch meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass sie, Herr Professor HA, meiner Krankschreibung in unserer E-Mail-Korrespondenz von Ende Dezember 2022 als „angeblich“ bezeichnet haben, sie also offensichtlich nicht respektieren, was einerseits juristisch problematisch, andererseits für Kollegen eher unüblich ist und mein Vertrauen in die Unbefangenheit der Kommission nicht gerade befördert, wie sie sicherlich verstehen können. …
88Dieser Brief ist als Hilfestellung gedacht, damit die Kommission schnell und umfassend ihre Arbeit aufnehmen und zügig über die monierten Verdachtsfälle entscheiden kann, denn eine Aufklärung – und hoffentlich Entlastung von den Vorwürfen – ist, wie sie sich denken können, natürlich in meinem allergrößten Interesse! Eine detaillierte Stellungnahme zu den zwölf Seiten des Vorabgutachtens abzugeben ist aber schon deswegen schwierig, weil die zeitliche Distanz zu 2016 geschriebenen Textseiten es kaum ermöglicht, genau nachzuzeichnen, warum man auf dieser oder jener Seite welchen Fehler gemacht hat.
89Darum möchte ich im folgenden Hintergrundinformationen anbieten, wie die Fehler in meinen Texten entstanden sein könnten; …
90Der Artikel vom 8. Juni 2022 beschäftigt sich mit meinem Buch „Titel 1 “. …
91Für die Beratungen der Kommission müsste es zunächst zentral sein, dass das Buch kein wissenschaftliches Buch ist und schon gar keine wissenschaftliche Qualifikationsschrift. … Es ist nicht plausibel für ein nicht wissenschaftliches Buch von 2016 die wissenschaftlichen zitierten Standards der Universität B von 2021 anzulegen, zumal ich 2016 noch keine Mitarbeiterin der Universität B war. Wenn die Universität B das Buch im Laufe meines Bewerbungsverfahren 2020/2021 als eine einer Habilitation gleichwertige Leistung anerkannt hat, dann hätte die Universität B im Vorfeld eine Prüfung meiner Schriften durchführen können, um festzustellen, ob sie den Standards der Universität B entsprechen und meine Bewerbung im Zweifelsfall ablehnen können. …
92Unabhängig davon sind folgende Informationen mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Buches für sie bzw. die Kommission hoffentlich hilfreich: Das Buch „Titel 1 “ von 2016 ist mein erstes größeres Buch, eine Monographie, nach zahlreichen Artikeln, Buchbeiträgen oder auch Herausgeberschaften. … Dieses Buch ist unter etwas ungewöhnlichen Umständen zustande gekommen, die vielleicht erklären, warum es heute noch in der x-ten Auflage voller (Tipp-)Fehler ist. Geplant war ein EU-Europa-Buch für die D 2015. D aber wollte meine Republik- bzw. Utopie-Idee nicht annehmen. Erst nach meinem Auftritt auf der sehr bekannten R- Konferenz im Februar 2015 in X., der ein großer Erfolg war, kam die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) auf mich zu und überzeugte mich, aus der Rede ein Manuskript bzw. Buch zu machen….
93Die Manuskriptabgabe war zunächst für Ende Februar 2016 geplant. Da ich dann aber plötzlich auf das „Blaue Sofa“ der Buchmesse L im März 2016 eingeladen wurde und das Buch auf einmal noch rechtzeitig zur Buchmesse produziert werden sollte, musste ich – Hals über Kopf – das Manuskript schon Mitte Februar abgeben, also rund zwei Wochen früher als geplant. … Es gab keine Zeit mehr für eine – oder mehrere – ruhigere Durchsichten des Manuskriptes. Ich erinnere mich, dass ich recht panisch war und zu diesem Zeitpunkt noch einen Ausdruck des Manuskriptes mit vielen Spickzetteln und Post-It‘s hatte, die Stellen markierten, an denen ich noch Korrekturen bzw. Änderungen anbringen wollte. Mir wurde zugesichert, dass für die Buchmesse nur ein „Dummy“ produziert werden würde und ich hinterher in Ruhe Korrekturen würde vornehmen können. Dem war aber nicht so. Das Buch ging direkt in den Druck, mitsamt zahlreicher Tipp- und sonstiger Fehler, die zu korrigieren ich nicht mehr die Gelegenheit hatte. … Die Frage ist nun, ob ich dafür alleine verantwortlich zeichne? Der Taschenbuchverlag F., die übersetzenden Verlage, die bpb: Es hätte bei so vielen Beteiligten und Verantwortlichen mehrere Gelegenheiten gegeben, das Buch in eine grundsätzliche Überarbeitung zu geben. Aber das ist nicht passiert und ich möchte die Kommission mithin bitten zu prüfen, ob dies allein meiner Verantwortung oblag, zumal ich zu diesem Zeitpunkt, wie oben erwähnt, eine noch unerfahrene Buchautorin war.
94…
95Das Schreiben der Klägerin wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 156 ff. der Akten).
96In einer Sitzung vom 18.01.2023 beriet die Untersuchungskommission die Ermittlungsergebnisse unter Einbeziehung der Rückmeldung der Klägerin und gelangte auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen zu dem Beschluss, dass die Klägerin in den drei untersuchten Werken in erheblichem Umfang vorsätzlich plagiiert habe. Die Kommission beriet außerdem die Möglichkeiten des Weiteren Vorgehens insbesondere über die möglichen Folgen. Sie fasste ihre Ergebnisse in einem Abschlussbericht vom 18.01.2023 zusammen, welchen sie am 19.01.2023 dem Rektor der Beklagten übermittelte. Der Bericht der Kommission wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 973 ff. der Akten).
97Auf einer Sitzung des Rektorats vom 07.02.2023 gelangte dieses nach eingehender Diskussion und Beratung zu der Entscheidung, das Dienstverhältnis und die Berufungszusage der Klägerin aufgrund des festgestellten, schwerwiegenden wissenschaftlichen Fehlverhaltens zum 31.03.2023 im Wege einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung zu beenden. Das Protokoll der Sitzung wird ergänzend in Bezug genommen (Bl. 1059 der Akte).
98Mit Schreiben vom 14.02.2023 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31.03.2023. Die Klägerin wurde gleichzeitig über die Entscheidung des Rektorats informiert.
99Mit Klage vom 03.03.2023, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 14.02.2023. Sie ist der Auffassung, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet habe.
100Es liege schon kein wissenschaftliches Fehlverhalten ihrerseits vor. Bei den streitgegenständlichen Werken handele es sich nicht um wissenschaftliche Werke, für welche der Maßstab der guten wissenschaftlichen Praxis Geltung habe. Dieser gelte nur für „streng wissenschaftliche“ Werke. Bei ihren Werken handele es sich jedoch um populärwissenschaftliche Schriften bzw. um Essays. Dies gelte auch für das Buch „Titel 1 “. Dieses sei, insoweit unstreitig, 2016 veröffentlicht worden. Der Charakter des Buches habe sich nicht durch die Vorlage innerhalb ihrer Bewerbung verändern können.
101Die von der Beklagten monierten Textstellen seien auch keine Plagiate. Vielmehr handele es sich um bloße Zitierfehler, jedenfalls nicht um vorsätzliches Verhalten. Sie habe, insoweit unstreitig, die monierten Stellen in Form der Synopse der Beklagten den Historikerinnen Frau T. und Frau Dr. S vorgelegt. Diese kämen zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um wissenschaftliches Fehlverhalten handele. Insoweit verweist die Klägerin auf deren Anmerkungen zur Synopse der Beklagten. Diese werden in Bezug genommen (Bl. 193 ff. der Akten).
102Die Zitierfehler in den Werken seien auch qualitativ und insbesondere quantitativ unerheblich. Sie machten jeweils nur einen sehr kleinen Teil des Gesamtwerkes, jeweils unter 2 %, aus.
103Den Werken und damit etwaigem Fehlverhalten bei diesen Werken fehle auch ein erforderlicher Bezug zum Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Die Werke „Titel 2 “ sowie „Titel 1 “ seien lang vor ihrer Anstellung bei der Beklagten veröffentlicht worden. Das Werk „Titel 3 “ sei zwar während des bestehenden Arbeitsverhältnis veröffentlicht worden, sei jedoch in der Freizeit der Klägerin unabhängig von ihrem Anstellungsverhältnis entstanden und veröffentlicht worden. Mit der Vorlage des Werkes „Titel 1 “ habe die Klägerin auch nicht erklärt, dass es sich bei diesem Werk um eine wissenschaftliche Leistung handle. Erst recht habe sie nicht erklärt, dass sie die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis eingehalten habe. Der Beklagten habe es freigestanden, eine eigene Bewertung dieses Werkes vorzunehmen. Wenn die Beklagte dies unterlassen habe, könne dies nicht zu ihren Lasten gehen. Auch die drei externen Gutachter, die von der Beklagten eingesetzt worden seien, hätten kein wissenschaftliches Fehlverhalten der Klägerin moniert. Die der Klägerin fehlende wissenschaftliche Tiefe sei der Beklagten bekannt gewesen, da Professor S. hierauf ausdrücklich hingewiesen habe.
104Im Hinblick auf das Buch „Titel 1“ habe sie sich auch sowohl bei Herrn Y. als auch bei Herrn L entschuldigt. Bei Herrn Y. sei dies bei einer Vorstellung des Buches im Sommer 2021 öffentlich erfolgt. Herrn L habe sie persönlich angerufen. Beide Autoren hätten keine Einwendungen gegen die weitere Verwendung ihres Werkes gehabt.
105Die Kündigung sei auch aus formellen Gründen unwirksam. Die Beklagte habe sich durch die GWP-O an das dort bestimmte Verfahren und die dort bestimmten Reaktionsmöglichkeiten bei wissenschaftlichem Fehlverhalten gebunden. Dies führe dazu, dass Fehlverhalten, welches nicht unter die GWP-O falle, keine Kündigung rechtfertigen könne. Außerdem führten Verfahrensfehler zur Unwirksamkeit der Kündigung. Aus der GWP-O ergebe sich, dass ein wissenschaftliches Fehlverhalten im Form eines Plagiats nur dann vorliege, wenn man sich fremde wissenschaftliche Leistung zu eigen mache. Die Klägerin habe sich allenfalls fremde nichtwissenschaftliche Leistungen zu eigen gemacht.
106Daneben leide das Verfahren zur Ermittlung des wissenschaftlichen Fehlverhaltens unter zahlreichen Mängeln. So sei die Untersuchungskommission in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft besetzt gewesen. Bei Herrn Professor W. handele es sich nicht um ein hauptberufliches Mitglied der Universität. Die Untersuchungskommission sei zudem nicht geschlechtergerecht zusammengesetzt, sie bestehe, insoweit unstreitig, nur aus Männern. Der Rektor habe die mögliche Befangenheit der Mitglieder der Untersuchungskommission selbst prüfen müssen. Außerdem sei die Beteiligung der Klägerin im Verfahren fehlerhaft gewesen. Die Untersuchungskommission habe ihr schon nicht kumulativ die Möglichkeit eingeräumt, sowohl schriftlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und bei einer mündlichen Anhörung zu erscheinen. Daneben sei ihr die Stellungnahmemöglichkeit durch die Untersuchungskommission genommen worden, obwohl sie arbeitsunfähig erkrankt gewesen und ihr eine Stellungnahme unzumutbar gewesen sei.
107Jedenfalls sei vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen.
108Die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung, insoweit unstreitig, auch den Personalrat nicht beteiligt.
109Die Klägerin beantragt nach Klageerweiterung und teilweiser Rücknahme der Klage zuletzt,
1101. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten durch die ordentliche Kündigung vom 14.02.2023 nicht aufgelöst worden ist und
3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen in B als Universitätsprofessoren in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis entsprechend dem im Dienstvertrag vom 23.03.2021/16.05.2021 unter § 2 vorgesehenen sachlichen Tätigkeitsbereich weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
115die Klage abzuweisen.
116Sie ist der Auffassung, dass die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin aus verhaltensbedingten Gründen beendet habe.
117Die Klägerin habe in den drei streitgegenständlichen Werken vorsätzlich plagiiert. Im Werk „Titel 1 “ habe die Klägerin an insgesamt zehn Textstellen, teilweise über mehrere Seiten hinweg, Gedanken anderer Autoren wörtlich oder sinngemäß übernommen, ohne dies entsprechend zu kennzeichnen. Die diesbezügliche tabellarische Synopse der Beklagten, welche die Einzelheiten enthält, wird in Bezug genommen (Bl. 103 ff. der Akten). Im Werk „Titel 2 “ habe die Klägerin an insgesamt sieben Stellen Gedanken anderer Autoren wörtlich oder sinngemäß übernommen, ohne dies hinreichend zu kennzeichnen. Die diesbezügliche tabellarische Synopse der Beklagten wird in Bezug genommen (Bl. 115 ff. der Akten). Im Werk „Titel 3 “ habe die Klägerin an insgesamt zehn Stellen Gedanken anderer Autoren wörtlich oder sinngemäß übernommen, ohne dies hinreichend zu kennzeichnen. Die diesbezügliche tabellarische Synopse der Beklagten wird in Bezug genommen (Bl. 95 ff. der Akten).
118Bei den monierten Stellen handele es sich um Plagiate im wissenschaftlichen Sinne. Aufgrund der Häufigkeit, der Erfahrung der Klägerin und den einzelnen konkreten Anmerkungen der Klägerin in den Fuß-/Endnoten müsse der Rückschluss gezogen werden, dass die Klägerin die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis bewusst außer Acht ließ oder dies zumindest billigend in Kauf nahm.
119Die Werke seien auch nach den Grundsätzen der guten wissenschaftlichen Praxis zu beurteilen. Insbesondere seien auch populärwissenschaftliche Schriften wissenschaftliche Schriften und müssten sich dem gleichen Maßstab stellen, wie klassische wissenschaftliche Arbeiten. Populärwissenschaftliche Werke richteten sich lediglich an einen breiteren Personenkreis und seien daher in einfacherer Sprache verfasst, folgten gegebenenfalls keiner strengen wissenschaftlichen Methodik und einer nicht so tiefen wissenschaftlichen Argumentation. Dies habe jedoch keine Auswirkungen auf die geltenden Zitierregeln. Dies gelte insbesondere in Disziplinen, in denen die Übergänge zwischen wissenschaftlichem Arbeiten und bloßer Publizistik fließend seien. Wissenschaftsfreiheit beinhalte gerade auch die Kommunikation der wissenschaftlichen Ergebnisse. Die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis reichten soweit, wie auch die Wissenschaftsfreiheit selbst reiche. Wissenschaftliche Redlichkeit sei die Kehrseite der Wissenschaftsfreiheit.
120Anders als bei der Aberkennung eines akademischen Grades käme es für die Feststellung einer Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis auch nicht darauf an, wie umfangreich die Plagiate im Verhältnis zum Werk seien. Insbesondere sei nicht relevant, ob (noch) von einer eigenen wissenschaftlichen Leistung auszugehen sei. Die Plagiate der Klägerin befänden sich jedoch auch an zentralen Passagen der Gedankenführung und sein daher qualitativ von großer Bedeutung für das jeweilige Werk.
121Die streitgegenständlichen Werke seien auch für das Arbeitsverhältnis relevant gewesen. Bei dem Werk „Titel 3 “ ergebe sich dies bereits daraus, dass es während des laufenden Arbeitsverhältnis der Parteien veröffentlicht worden sei. Die Klägerin sei jedenfalls während der Dauer des Arbeitsverhältnisses schon aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen an die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis gebunden gewesen.
122Das Werk „Titel 1 “ sei zentraler Gegenstand der Bewerbung der Klägerin auf die ausgeschriebene W2-Professur gewesen. Die Klägerin habe das Werk selbst an prominenter Stelle in das Bewerbungsverfahren eingeführt. Sie habe die Berufungskommission darüber getäuscht, dass sie in diesem Werk die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis eingehalten habe. Dies habe sie nicht ausdrücklich erklären müssen, da dies ein allgemein geltender Grundsatz sei und die Klägerin über überlegenes Wissen zu ihren Werken verfügt habe. Die Beklagte habe der Klägerin gegenüber jedenfalls nicht schon im Bewerbungsverfahren Misstrauen entgegenbringen und ihre Werke auf wissenschaftliche Redlichkeit untersuchen müssen. Der Umfang der Prüfung im Berufungsverfahren beziehe sich lediglich darauf, ob der Bewerber hinreichende wissenschaftliche Leistungen erbracht habe, die seine Berufung rechtfertigen können.
123Die Beklagte habe im Rahmen der Ermittlungen auch die GWP-O eingehalten. Insbesondere sei der Klägerin ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Hiervon habe sie letztlich auch Gebrauch gemacht. Die dort von der Klägerin vorgebrachten Interessen und Einlassungen deckten sich mit denen, welche sie auch im vorliegenden Rechtsstreit einbringe. Insoweit sei nicht ersichtlich, dass die etwaige fehlerhafte Anhörung der Klägerin kausal für die Kündigung geworden sein könnte. Ohnehin sei es nach der GWP-O die alleinige Zuständigkeit des Rektorates, über die Folgen eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu entscheiden, etwa eine Kündigung auszusprechen. Schließlich führe ein Verstoß gegen die GWP-O ohnehin nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung. Etwaige Verfahrensfehler, insbesondere eine etwaig fehlerhafte Anhörung der Klägerin, wären durch den vorliegenden Rechtsstreit geheilt worden.
124Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung wurden, nebst deren Anlagen, sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
125ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
126I.
127Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten vom 14.02.2023 hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist am 31.03.2023 beendet. Der Weiterbeschäftigungsantrag fiel als unechter Hilfsantrag nicht zur Entscheidung an.
128a) Die Kündigung gilt zunächst nicht nach §§ 4, S. 1, 7 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine der Beklagten am 07.03.2023 demnächst i. S. v. § 167 ZPO zugestellte Klage am 03.03.2023 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 16.02.2023 erhoben.
130b) Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Kündigung ist jedoch aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Sie ist nicht unverhältnismäßig und eine Interessenabwägung geht zulasten der Klägerin aus.
131aa) Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht seit 2021 und damit ohne Unterbrechung länger als sechs Monate im Sinne von § 1 Abs. 1 KSchG
132bb) Die Kündigung ist als verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Danach ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegen stehen, bedingt ist.
133Die Beklagte beruft sich zur Rechtfertigung ihrer Kündigung auf Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen. Solche verhaltensbedingten Gründe konnte die Beklagte darlegen. Die Klägerin hat die Beklagte im Berufungsverfahren getäuscht und sich damit rechtswidrig einen erheblichen Vorteil im Bewerbungsverfahren verschafft.
134(1) Eine Kündigung ist im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit sozial gerechtfertigt, wenn dieser seiner vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen. (BAG, Urteil vom 15.12.2016 – 2 AZR 42/16 – juris Rn. 11 m. w. I.). Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Nach § 1 Abs. 1 S. 4 KSchG trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Pflichtverletzungen. Die Pflichtverletzungen sind dabei konkret im Einzelnen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.
135Auch eine (arglistige) Täuschung vor, aber im Zusammenhang mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages kann eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers darstellen, die zu einer Kündigung berechtigt. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt allerdings nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht besteht. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände entweder dem Bewerber die Erfüllung seiner vorgesehenen arbeitsvertraglichen Leistungspflicht von vornherein unmöglich machen oder doch für die Eignung für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind. Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen und deshalb oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Arbeitgeber entstehen oder aufrechterhalten werden. Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber. Dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG, Urteil vom 20.03.2014 – 2 AZR 1071/12 – juris Rdn. 30 f. m.w.N.). Die Pflicht des Arbeitnehmers zur Offenbarung ergibt sich in diesen Fällen aus § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Danach entsteht ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch durch die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut.
136Eine etwaig neben einer Pflichtverletzung bestehende Anfechtungsmöglichkeit, insbesondere eine solche nach § 123 Abs. 1 BGB schließt eine Kündigung nicht aus. Es obliegt dem Arbeitgeber zu entscheiden, welche Rechte er ausübt, insbesondere auf welche Weise er das Arbeitsverhältnis zu beenden gedenkt (vgl. BAG, Urteil vom 06.09.2012 – 2 AZR 270/11 – juris Rdn. 46). Eine erklärte Anfechtung kann vorrangig sein, wenn diese das Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt beendet, in welchem die Kündigung das Arbeitsverhältnis (noch) nicht beenden könnte. Vorliegend hat sich die Beklagte jedoch auf den Ausspruch einer Kündigung beschränkt.
137(2) Die Klägerin hat die Beklagte im Berufungsverfahren durch die Vorlage des Werkes „Titel 1 “ getäuscht. Sie legte im Berufungsverfahren ein Werk vor, welches nicht den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis entsprach, wobei sich das Werk an diesen Grundsätzen messen lassen muss.
138(i) Die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis finden auf die Veröffentlichung der Klägerin „Titel 1 “ Anwendung. Dies gilt jedenfalls im Verhältnis zur Beklagten. Bei dem Werk der Klägerin handelt es sich um Wissenschaft.
139a. Bei dem Werk „Titel 1 “ handelt es sich um eine wissenschaftliche Publikation.
Ausgangspunkt für die Bewertung ist die durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Wissenschaftsfreiheit. Denn die Reichweichte der Wissenschaftsfreiheit bestimmt, welche Veröffentlichungen von ihr geschützt sind. Von der Wissenschaftsfreiheit geschützte Werke sind damit wissenschaftliche Publikationen.
142Die Freiheitsgarantie erstreckt sich auf jede wissenschaftliche Tätigkeit, d. h. auf alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. Dies folgt unmittelbar aus der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeglichen wissenschaftlichen Bemühens. Diese in Art. 5 Abs. 3 GG enthaltene Wertentscheidung beruht auf der Schlüsselfunktion, die einer freien Wissenschaft sowohl für die Selbstverwirklichung des einzelnen als auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zukommt (BVerfG, Beschluss vom 01.03.1978 – 1 BvR 333/75 – juris Rdn. 151 unter Verweis auf den Beschluss vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – juris Rdn. 92). Der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit ist demnach weit zu fassen. Dabei ist auch schlechte Wissenschaft geschützt, soweit diese nicht gleichzeitig unter einem Mangel an wissenschaftlicher Redlichkeit leidet. Die Eröffnung des grundrechtlichen Schutzbereichs ist kein staatlich verbrieftes „Gütesiegel“, sondern eröffnet lediglich Freiheitsschutz, indem staatlichen Organen Rechtfertigungslasten für Eingriffe auferlegt werden. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG hat daher von vornherein nicht die Funktion, Organe öffentlicher Gewalt zu ermächtigen, Wissenschaft qualitativ zu bewerten. Innerhalb der geschützten Wissenschaft kann nach wissenschaftlichen Kriterien die Qualität von Forschung und Lehre angemessen bewertet werden (Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 103. EL, 2014, Art. 5 Abs. 3 Rdn. 88; s.a. BVerfG, Beschluss vom 11.01.1994 – 1 BvR 434/87 – juris Rdn. 47). Umgekehrt liegt Wissenschaft (erst) dann nicht (mehr) vor, wenn das Handeln nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet ist, sondern vorgefassten Meinungen oder Ergebnissen lediglich den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit verleiht. Dafür kann die systematische Ausblendung von Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnissen, die die Auffassung des Autors in Frage stellen, ein Indiz sein. Dagegen genügt es nicht, dass einem Werk in innerwissenschaftlichen Kontroversen zwischen verschiedenen inhaltlichen oder methodischen Richtungen die Wissenschaftlichkeit bestritten wird (BVerfG, Beschluss vom 11.01.1994 – 1 BvR 434/87 – juris Rdn. 49).
143Unzweifelhaft fällt auch das Recht, seine Erkenntnisse in selbst gewählter Sprache und Form sowie auf einem selbst gewählten Weg der Öffentlichkeit oder der Fachwelt zugänglich zu machen, unter die geschützte Freiheit (Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 103. EL, 2014, Art. 5 Abs. 3, Rdn. 111 f.). Dies beinhaltet konsequenterweise das Recht, wissenschaftliche Ergebnisse zu popularisieren, sich also an einen anderen, breiteren Adressatenkreis außerhalb der akademischen Fachwelt zu wenden (Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 103. EL, 2014, Art. 5 Abs. 3, Rdn. 114). Damit kann aufgrund der Wahl eines anderen Formates einhergehen, dass das Werk sich nicht an die hergebrachte wissenschaftliche Methodik hält und/oder eine geringere Argumentationstiefe aufweist und/oder eine einfachere Sprache verwendet.
144Je weniger eine Disziplin über „harte“ Kriterien der Verifikation bzw. Falsifikation von Forschung verfügt, die dann in der Regel auch eine Abgrenzung von Nichtwissenschaft bzw. Fehlverhalten erleichtern, desto breiter wird das Spektrum noch vertretbarer Wissenschaft ausfallen, deren Qualität und Überzeugungskraft sich im fachlichen Diskurs beweisen muss (Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 103. EL, 2014, Art. 5 Abs. 3 Rdn. 89). Dies kann etwa für die Politikwissenschaften gelten.
145Auf dieser Grundlage lässt sich „Titel 1 “ sicher als eine wissenschaftliche Publikation einordnen. Das Buch basiert auf logischen Denkansätzen und führt bestehende, oftmals wissenschaftliche, Gedanken weiter und ergänzt diese durch neue Aspekte oder setzt sich mit diesen kritisch auseinander. Das Werk verfolgt auch wissenschaftliche Erkenntnisziele, indem dargelegt wird, weshalb das gegenwärtige Europa an strukturellen Mängeln leidet und auf welche Weise diese durch eine Republik, also einem klassischen staatstheoretischen System ersetzt werden sollte.
146Der Aufbau der Argumentation lässt eine klare logische Methodik erkennen. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass die Klägerin ihre Methodik und Vorgehensweise im Teil I „Vorab: Ein schneller Ritt durchs Buch“ (S. 31 ff. der 4. Aufl., 2023) selbst beschreibt. Zusammengefasst geht es im ersten Teil „darum nachzuzeichnen, warum die EU, so wie sie konzipiert ist, fundamentalen Ansprüchen nicht genügt, warum sie deshalb nicht funktionieren kann und nie funktionieren wird“. Die politischen Phänomene Populismus und Nationalismus seien den im einzelnen beschriebenen Strukturproblemen geschuldet (S. 32 f.). Die Klägerin betreibt also eine systematische Analyse des Istzustandes. Im zweiten Teil werde eine radikale Utopie gezeichnet. Die Neuordnung des europäischen Kontinents müsse notwendigerweise eine politische und eine demokratische sein. Sie müsse daher dem allgemeinen Grundsatz der politischen Gleichheit aller europäischen Bürger und dem Prinzip der Gewaltenteilung genügen. Diese Utopie sei ein Angebot, Europa als Republik zu konzipieren, wobei der Begriff der Republik facettenreich und organisch sei. Der Begriff der Republik werde hergeleitet und vorgestellt (S. 33 f.). Dass eine Europäische Republik „konzipiert“ wird, ein oder der zentrale Begriff (Republik) hergeleitet und in diesen eingeführt wird, zeigt auch in diesem Teil das planvolle und systematische Vorgehen. Im dritten Teil werde die „Ausgestaltung der Europäischen Republik in drei Kapiteln skizziert“. Es wird die Frage aufgeworfen, wie ein europäisches Projekt beschaffen sein müsse, um die (zuvor genannten) gesellschaftlichen Megatrends aufzugreifen. Zunächst werde ein kurzer Blick in die Kunstgeschichte geworfen und herausgearbeitet, warum die Erkenntnis, dass die mythologische Europa eine Frau war, als kulturelle Reminiszenz für das künftige europäische Projekt wichtig sei. Danach werde aufgezeigt, dass die europäische Jugend längst dabei sei, ein radikaldemokratisches Europa „von unten“ zu bauen. Abschließend stellt die Klägerin die (weitere) Vision dar, weshalb die von ihr dargestellte Europäische Republik als Avantgarde für eine zukünftige Ausgestaltung einer Weltbürgerunion gelten könnte (S. 34 f.). Die Klägerin beschäftigt sich demnach mit verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen und legt dar, wie sich diese in ihr Konzept integrieren lassen, bezieht kunstgeschichtliche Überlegungen ein und legt dar, dass ihre „Utopie“ bereits im Entstehen sei. Insoweit zeigt sich erneut ein planvolles Vorgehen, der zu einem Erkenntnisgewinn führen soll. Erkenntnissen, die sich aus Sicht der Klägerin über Europa hinaus und damit über ihr eigenes Konzept anwenden ließen.
147Dabei handelt es sich um eine Veröffentlichung der Klägerin im Kernbereich ihrer wissenschaftlichen Expertise, nämlich der Europapolitik: der Weiterentwicklung der europäischen Idee; und der Demokratieforschung: u.a. dem Aufzeigen von demokratischen Schwächen des gegenwärtigen Systems. Die Klägerin setzt sich immer wieder mit wissenschaftlichen Aussagen und Theorien kritisch auseinander. Beispielhaft wird der aus ihrer Sicht „einseitig überdehnte[n] Begriff des Liberalismus“ kritisch bewertet. Sie plädiert dafür, diesen wieder an das Gemeinwohl zu binden (S. 33; im Einzelnen hierzu S. 67 ff. sowie 109 ff.). Dies belegt, dass die Klägerin keinen bloßen politischen Debattenbeitrag leisten will, sondern vielmehr ihre wissenschaftliche Sicht der Dinge und Expertise einem breiteren Publikum zugänglich machen möchte. Die Idee der Klägerin geht weit über einen Debattenbeitrag hinaus und beinhaltet den Entwurf eines völlig neuen politischen Systems in Europa. Es handelt sich zweifelsohne um eine Vision. Man mag dies – wie die Klägerin – Utopie nennen. Dies nimmt dem Werk jedoch nicht seinen wissenschaftlichen Charakter. Denn es ist auf einen planmäßigen Erkenntnisgewinn gerichtet, nämlich der Darstellung, weshalb das bisherige europäische System überwunden und durch eine anderes, das einer europäischen Republik, ersetzt werden muss. Sie setzt sich mit klassischen politikwissenschaftlichen Feldern auseinander. Es geht um das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen, wie dieses geregelt ist und geregelt werden kann und sollte. Dabei verharrt sie nicht auf bereits bestehenden politischen Meinungen, sondern setzt sich kritisch mit diesen auseinander, zieht Schlussfolgerungen hieraus und entwickelt sie weiter.
148Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Vorwort – worauf sie selbst abstellt – den Entwurf der Utopie als „gedankliche Skizzen“, die „im Abstrakten verbleiben“ bezeichnet. Die Klägerin „skizziere“ eine „postnationale Demokratie in Europa“. Es gehe darum, sich ein neues Konzept für Europa „auszudenken“. Der Wissenschaft ist immanent, im Abstrakten zu arbeiten und zu verbleiben. Weshalb Skizzen nicht wissenschaftlich sein sollen, erschließt sich der Kammer nicht. Entscheidend ist, ob diese Skizzen einem Erkenntnisgewinn dienen sollen. Dies streitet die Klägerin – jedenfalls nicht ausdrücklich – ab. Auch eine Skizze kann ein planvolles Vorgehen innewohnen.
149Der populärwissenschaftliche Charakter, der insbesondere in der Sprache seinen Ausdruck findet, spricht nicht gegen die Einordnung als Wissenschaft. Vielmehr steht es der Klägerin als Wissenschaftlerin frei, die Art und Weise der Kommunikation ihrer Erkenntnisse selbst zu wählen.
150Auch die Entstehung des Werkes, auf welche die Klägerin zur Einordnung verweist, spricht nicht gegen eine wissenschaftliche Publikation. Die nachträgliche Veröffentlichung eines Redebeitrages, der auf einem Kongress gehalten wurde, ist in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich und nimmt diesem nicht die Wissenschaftlichkeit. Dies gilt auch für einen Beitrag auf der r in X., bei der die Klägerin ihren Vortrag hielt. Der Veranstalter bezeichnet die r selbst als ein „Festival für die digitale Gesellschaft und damit die größte Konferenz ihrer Art in Europa. Die Teilnehmer*innen der r bilden einen Querschnitt unserer (digitalen) Gesellschaft. Zu ihnen gehörten Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik, Unternehmen, Hackerkulturen, NGOs, Medien und Marketing sowie Blogger*innen, Aktivist*innen, Künstler*innen und Social Media-Expert*innen“ (https://, zuletzt abgerufen am 08.05.2024). Neben vielen anderen Akteuren beteiligen sich demnach auch Wissenschaftler. Es ist also keineswegs ein Ausschlussgrund, dass der Vortrag nicht bei einem wissenschaftlichen Fachkongress gehalten wurde.
151Die von der Klägerin angesprochene – für wissenschaftliche Verhältnisse in der Tat kurze – Zeitspanne, in welcher das Werk entstand, vermag ihm ebenso wenig die Wissenschaftlichkeit zu nehmen. Etwaig fehlende wissenschaftliche Gründlichkeit mag eine Schrift zur „schlechten“ Wissenschaft machen, vermag ihr aber nicht den Grundrechtsschutz abzusprechen.
152Diese Einordnung als wissenschaftliches Werk wird durch seinen äußeren Anschein bestätigt. Die Klägerin als Autorin des Buches wird im Klappentext als „Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Universität A.“ vorgestellt. Sie nimmt also die wissenschaftliche Autorität einer Universitätsprofessorin für sich in Anspruch. Das Werk enthält zudem einen umfangreichen Endnotenapparat als weiteres deutliches Indiz. Die Klägerin arbeitet zur Veranschaulichung mit zahlreichen Abbildungen, was ebenfalls eine typische wissenschaftliche Vorgehensweise ist. Das Werk diente nach eigenem Bekunden der Klägerin als Grundlage für Abiturprüfungen und wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung aufgegriffen und verbreitet. Letztere nahm das Werk in ihre Schriftreihe auf. Dort werden – von der Klägerin unwidersprochen – wissenschaftliche Arbeiten aufgenommen, die vor der Aufnahme durch den wissenschaftlichen Beirat begutachtet werden.
153Aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit fallen nichtwissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Erkenntnisse heraus. Nichtwissenschaft verfolgt nach Intention oder Form keine wissenschaftlichen Erkenntnisziele. Pseudowissenschaft bedient sich lediglich der äußeren Form des Wissenschaftlichen, ohne inhaltliche Mindeststandards an die Rationalität der Begründung wissenschaftlicher Aussagen zu erfüllen (Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 103. EL, 2014, Art. 5 Abs. 3 Rdn. 59). Bei dem Werk der Klägerin handelt es sich nicht um Nichtwissenschaft oder Pseudowissenschaft. Dies behauptet auch die Klägerin nicht, die die drei streitgegenständlichen Werke wahlweise als populärwissenschaftlich, essayistisch oder „nicht streng-wissenschaftlich“ bezeichnet. Die Klägerin publiziert auch im Kernbereich ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, was deutlich für die Einordnung als Wissenschaft und gegen die Einordnung als Nichtwissenschaft spricht (vgl. Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 103. EL, 2014, Art. 5 Abs. 3 Rdn. 60)
154Letztlich ging auch die Klägerin bis zum Aufkommen der Plagiatsvorwürfe selbst davon aus, bei ihrem Buch handele es sich um ein wissenschaftliches Werk. Denn sie brachte dieses als eine der Habilitation gleichwertige Leistung in das Berufungsverfahren ein (hierzu sogleich unter b.)
155b. Im Verhältnis zur Beklagten war die Klägerin an die wissenschaftliche Redlichkeit gebunden.
Die Pflicht, die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis einzuhalten, bestehen nicht abstrakt gegenüber jedermann. Die wissenschaftliche Redlichkeit ist zunächst Kehrseite der Wissenschaftsfreiheit. Es handelt sich um eine wissenschaftliche Kernpflicht. Wer sich auf die Wissenschaftsfreiheit berufen will, muss sich an die wissenschaftliche Redlichkeit halten. Wissenschaft, die sich nicht an die wissenschaftliche Redlichkeit hält, ist nicht von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt (BVerwG, Urteil vom 31.07.2013 – 6 C 9/12 – juris Rdn. 26).
158Die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis können daneben auch zu einer vertraglichen oder dienstrechtlichen Pflicht erhoben werden. So sind etwa nach § 4 Abs. 4 HG NW alle an der Hochschule wissenschaftlich Tätigen sowie die Studierenden zu wissenschaftlicher Redlichkeit verpflichtet. Hierzu sind die allgemein anerkannten Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis einzuhalten.
159Zwar galt diese Verpflichtung für die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Bewerbung noch nicht unmittelbar. Sie war zu diesem Zeitpunkt noch keine an der Hochschule wissenschaftlich Tätige. Sie bewarb sich indes auf eine solche Tätigkeit und begab sich damit in ein Umfeld, in welchem die wissenschaftliche Redlichkeit – für die Klägerin klar erkennbar – eine besondere Bedeutung hat und für die angestrebte Tätigkeit ausdrücklich normiert ist. Auch legt § 36 Abs. 1 Nr. 4 HG NW als Einstellungsvoraussetzung für Hochschullehrer fest, dass neben einem abgeschlossenen Hochschulstudium, der pädagogischen Eignung, einer Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten, die in der Regel durch die Qualität einer Promotion nachgewiesen wird, darüber hinaus zusätzliche wissenschaftliche Leistungen belegt werden müssen. Dies meint regelmäßig eine Habilitationsschrift. Ähnliches ergibt sich aus der Ausschreibung der W2-Professur durch die Beklagte. Dort heißt es: „Die Ausschreibung richtet sich an Persönlichkeiten mit internationalem Profil, die durch politikwissenschaftliche Forschungsleistungen, sowohl im Bereich der europäischen Integration als auch im thematischen Spezialbereich der Deutsch-Französischen Beziehungen, ausgewiesen sind und mehrere Jahre im europäischen, vorzugsweise französischsprachigen, Ausland tätig waren. Einstellungsvoraussetzungen (gemäß § 36 HG NRW) sind, eine Promotion sowie eine Habilitation oder habilitationsadäquate Leistungen in Politikwissenschaft.“ Es müssen demnach als gesetzliche Einstellungs- sowie im Rahmen der von der Beklagten in eigener Organisationshoheit durch die Ausschreibung definierten Anforderungen wissenschaftliche Leistungen vorgelegt werden. Dies beinhaltet die Einhaltung der wissenschaftlichen Redlichkeit als deren Kehrseite. Denn sie stellt eine Kernpflicht der Wissenschaft dar.
160Dies gilt umso mehr, als die Klägerin ihre Publikation „Titel 1 “ selbst als eine der Habilitation gleichwertige Veröffentlichung in das Berufungsverfahren einbrachte, sie also selbst an deren wissenschaftlichen Charakter keine Zweifel hegte. So beinhalteten bereits die Bewerbungsunterlagen der Klägerin einen Verweis auf das Werk, wenn auch neben zahlreichen anderen Publikationen. Entscheidender ist daher, dass die Klägerin das Werk, nachdem sie durch den Dekan der Philosophischen Fakultät mit Schreiben vom 05.11.2020 in der zweiten Berufungsrunde dazu aufgefordert wurde, „insgesamt fünf Schriften (Dissertation, Habilitations-bzw. Manuskript der Habilitationsschrift, bzw. zweite Monographie, plus drei weitere auf die Ausschreibung passende Schriften)“ einzusenden, insbesondere „Titel 1 “ einreichte. Sie verwies hierauf auch nicht etwa an untergeordneter Stelle. Vielmehr platzierte sie dieses Werk in ihrer E-Mail vom 12.11.2020 unter der Position „1. Habilitation“ und bezeichnete dieses im weiteren Verlauf der E-Mail als Monographie, was jedenfalls im wissenschaftlichen Umfeld (nur) als größere wissenschaftliche Einzeldarstellung (Definition „Monographie“ unter https://www.duden.de/rechtschreibung/Monografie, zuletzt abgerufen am 07.05.2024) verstanden werden kann. Daraus, dass die Klägerin darauf verwies, das Werk verwende eine populärwissenschaftliche Sprache, folgt nichts Anderes. Denn die Klägerin formuliert, dass das Buch trotz einer populärwissenschaftlichen Sprache von der Universität A. als eine einer Habilitation gleichwertige Leistung anerkannt worden sei. Zudem nimmt – wie dargelegt – eine solche Sprache dem Werk nicht seine Wissenschaftlichkeit. Die Klägerin suggerierte mit diesem – in der Sache wohl unzutreffenden – Hinweis, eine andere Universität habe dieses Buch als eine ganz wesentliche wissenschaftliche Arbeit anerkannt. Das Werk habe in wissenschaftlicher Hinsicht ein solches Gewicht und eine solche Tiefe, dass es einer Habilitation gleichwertig sei. Etwas Anderes ergibt sich nicht aus dem Verweis, dass das Buch (nur) zusammen mit der Publikationsliste als eine einer Habilitation gleichwertige Leistung anerkannt worden sei. Denn die Klägerin wurde aufgefordert, fünf Schriften einzureichen und sie benannte an erster Stelle ihr Werk „Titel 1 “. Es oblag allein der Klägerin, eine Auswahl aus ihrem umfangreichen Schriftverzeichnis zu treffen. Letztlich muss auch die Klägerin davon ausgegangen sein, mit der Vorlage ihres Buches eine wissenschaftliche Leistung vorzulegen. Denn sie musste – in Ermangelung einer Habilitationsschrift – auf andere Weise belegen, dass sie eine einer Habilitation gleichwertige wissenschaftliche Leistung erbracht hat, um die formellen Einstellungsvoraussetzungen nach § 36 HG NW und den Anforderungen der Ausschreibung erfüllen zu können.
161c. Soweit die Klägerin zwischen „streng wissenschaftlichen“ Werken und sonstigen wissenschaftlichen Werken differenzieren will, ist dafür jedenfalls beim ihrem Werk „Titel 1 “ kein Raum. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Bildung einer solchen Unterkategorie möglich ist. Denn auch die Klägerin führt nicht aus, welche anderen Maßstäbe alternativ für nicht streng wissenschaftliche Werke gelten sollten. Sie selbst scheint zumindest „nicht streng-wissenschaftlichen“ Werke nicht deren Schutz durch die Wissenschaftsfreiheit absprechen zu wollen. Es wäre aber nicht nachvollziehbar, weshalb in einer nicht streng wissenschaftlichen bzw. populärwissenschaftlichen Publikation Abstriche beim Grad der wissenschaftlichen Redlichkeit gemacht werden sollten. Die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis sind nicht formatabhängig und die Kehrseite der Wissenschaftsfreiheit. Gerade bei einer reichweitgenstarken Publikation mag besonderes Interesse an einer wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit bestehen. Auch in der Rechtsprechung oder der einschlägigen Literatur wird eine wie auch immer geartete Abstufung zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Kategorien – soweit ersichtlich und vorgetragen – nicht diskutiert.
162Für die Kammer ist allerdings daneben entscheidend, dass die Klägerin ihr Werk selbst gegenüber der Beklagten in das Berufungsverfahren als ihre maßgebliche wissenschaftliche Arbeit eingebrachte, sodass es sich selbst unter Anlegung des Maßstabes der Klägerin um ein „streng wissenschaftliches“ Werk handelte. Wenn die Klägerin einwendet, der Charakter des Buches habe sich durch die Einbringung in den Bewerbungsprozess nicht verändert, trifft dies zu. Aufgrund der Verwendung des Werkes im Bewerbungsverfahren erlangt allerdings die Einhaltung der wissenschaftlichen Redlichkeit in diesem Buch im Verhältnis zur Beklagten besondere Bedeutung.
163(ii) Das Werk enthält an den von der Beklagten monierten insgesamt zehn Stellen wissenschaftliches Fehlverhalten in Form von Plagiaten im wissenschaftlichen Sinn.
164a. Was unter einem wissenschaftlichen Fehlverhalten und Plagiat im wissenschaftlichen Sinne zu verstehen ist, ergibt sich für das Verhältnis der Parteien nicht unmittelbar aus der (nicht abschließenden) Definition in § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 Nr. 2 GWP-O. Die GWP-O ist erst seit dem 13.02.2021 und damit nach dem Abschluss des Dienstvertrages in Kraft getreten (§ 14 Abs. 2 GWP-O). Danach liegt wissenschaftliches Fehlverhalten insbesondere vor, wenn sich vorsätzlich oder grob fahrlässig fremde wissenschaftliche Leistungen unberechtigt zu eigen gemacht werden; ein Plagiat, wenn dieses Zu-eigen-machen durch die ungekennzeichnete Übernahme von Inhalten Dritter ohne die gebotene Quellenangabe geschieht. Diese Definition entspricht der Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) e.V. (abrufbar unter: https://www.dfg.de/resource/blob/168578/caf3d827f4a743b6d23d14b79c90bfc6/dfg-80-01-v0819-de-data.pdf, zuletzt abgerufen am 08.05.2024).
In der Rechtsprechung der (Verwaltungs-)Gerichte ist allerdings in ähnlicher Weise anerkannt, dass ein wissenschaftliches Fehlverhalten in Form eines Plagiates vorliegt, wenn der Autor vorsätzlich Texte aus Arbeiten anderer ohne Angabe der richtigen Quellen übernimmt (siehe etwa: BVerwG, Urteil vom 21.06.2017 – 6 C 3/16 – juris Rdn. 44; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.12.2017 – 2 LA 1/17 – juris Rdn. 7; VGH BaWü, Urteil vom 07.07.2020 – 9 S 2809/19 – juris Rdn. 25). Der Autor erzeugt beim Leser einen Irrtum über die Eigenständigkeit seiner erbrachten wissenschaftlichen Leistung, indem er in erheblichem Umfang fremde Textpassagen ohne Quellenangabe aus dem Werk eines anderen Autors wörtlich oder sinngemäß übernimmt, obwohl ihm deren Herkunft vom Fremdautor bewusst ist (OVG NW, Urteil vom 10.2.2016 – 19 A 991/12 – juris Rdn. 59). Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob es sich bei den übernommenen Texten um wissenschaftliche Ausführungen handelt oder nicht. Denn gerade, wenn nicht wissenschaftliche Passagen übernommen werden, besteht für den Leser ein gesteigertes Interesse an der Überprüfbarkeit der Quelle.
167Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen. (OVG NRW, Urteil vom 20.12.1991 – 15 A 77/89 – juris Rdn. 11).
168Eine Täuschung über die Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Leistung liegt auch in den Fällen vor, in denen der Verfasser auf den Ursprung der von ihm wortgleich oder mit wenigen Umformulierungen bzw. Umgruppierungen entnommenen Fremdtexte zwar vereinzelt im Fließtext verweist, er jedoch nicht deutlich macht, dass es sich dabei um (nahezu) wortlautgetreue Übernahmen handelt. Ein solches Vorgehen stellt nicht nur einen Verstoß gegen die Regeln ordnungsgemäßen Zitierens dar, sondern ist zugleich geeignet, bei den Lesern eine Fehlvorstellung über die Urheberschaft der betroffenen Textstellen zu erreichen. Wenn der Autor einen Fremdtext wortlautgetreu in seine Arbeit übernimmt, erweckt er damit zwangsläufig den Eindruck, dass die verwendeten Formulierungen und die Art und Weise der Darstellung von ihm selbst herrühren und das Ergebnis seiner eigenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema sind. Dieser Eindruck wird durch die vereinzelte Verwendung von Fußnoten, die auf die Dritttexte verweisen, nicht entkräftet. Ohne klare Kenntlichmachung, dass es sich bei der Entnahme um eine solche dem Wortlaut nach handelt, erweckt der Verfasser mit der Nennung des fremden Werkes und des fremden Wortlauts lediglich in einer Fußnote den Eindruck, er habe die Aussagen in diesem Werk lediglich als Teil der eigenen Argumentation verarbeitet, anstatt deutlich zu machen, dass es sich um die bloße Wiedergabe der erbrachten gedanklichen Leistung eines anderen handelt (VG Freiburg, Urteil vom 23.05.2012 – 1 K 58/12 – juris Rdn. 39)
169Ein Zitat darf bei dem Leser keine Fehlvorstellungen darüber hervorrufen, welchen Textumfang in der vorgelegten Arbeit es „abdeckt“. Durch entsprechende Anordnung der Zitatstelle und/oder der Einleitung des Zitats kann in der Regel ohne Weiteres verdeutlicht werden, ob sie sich auf eine Idee, ein Wort, einen Satz oder einen Absatz bezieht. Zitate für größeren Textumfang werden regelmäßig nicht verwendet, anderenfalls aber jedenfalls üblicherweise mit einer entsprechenden Bemerkung eingeleitet („Zum Ganzen:“ o.ä.). Zu unterscheiden hiervon ist, wie die Zitatstelle die zitierte Quelle ihrerseits in Bezug nimmt. Das kann ebenfalls „punktgenau“ geschehen, etwa durch Angabe einer Seitenzahl oder einer Randziffer, oder großräumiger etwa durch Angabe eines Seitenbereichs oder eines Gliederungspunktes. Wird in letzterem Sinne ein größerer Textbereich in Bezug genommen, lässt dies jedoch nicht den Rückschluss darauf zu, dass mit diesem Zitat eine vergleichbare Textmenge in der vorgelegten Arbeit „abgedeckt“ werden soll; das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Vor diesem Hintergrund ist der Abschluss größerer Textmengen mit einem Zitat, das selbst keinen Aufschluss darüber gibt, auf welchen Textabschnitte der vorgelegten Arbeit es sich beziehen soll, kein für wissenschaftliche Arbeiten geeignetes Instrument, weil diese Handhabung dem Leser nicht ermöglicht, die eigene geistige Leistung des Autors von derjenigen des Zitierten ohne eigene Zusatzaufwände zuverlässig abzugrenzen (OVG Niedersachsen, Urteil vom 15.07.2015 – 2 LB 363/13 – juris Rdn. 109)
170Jedenfalls dann, wenn mehr als nur einzelne Sätze dem Wortlaut nach aus Fremdtexten entnommen werden, ist daher zu fordern, dass die wortlautgetreue Übernahme – etwa durch das Setzen in Anführungszeichen oder einen ausdrücklichen Hinweis auf die wortlautgetreue Fremdentnahme in der Fußnote – als solche kenntlich gemacht wird, um den Plagiatsvorwurf zu entkräften (VG Köln, Urt. v. 22.03.2012 – 6 K 6097/11 – jursi Rdn. 39)
171Zusammenfassend ist jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht (VG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2014 – 15 K 2271/13 juris Rdn. 108).
172Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der Klägerin in ihrem Werk „Titel 1 “ zumindest an den zehn von der Beklagten monierten Textstellen wissenschaftliches Fehlverhalten vorzuwerfen.
173b. Die Beklagte wirft der Klägerin vor, an insgesamt zehn Textstellen, welche sie in einer tabellarischen Synopse darstellt (Bl. 103 ff. der Akten) die Übernahme fremder Gedanken nicht oder nicht hinreichend gekennzeichnet zu haben. Dem schließt sich die Kammer im Ergebnis und Begründung an. Die Klägerin macht sich die Kommentare der beiden Historikerinnen T./S zu eigen, die daher als Vortrag der Klägerin bewertet werden. Die Klägerin nahm ebenfalls tabellarisch zu dieser Synopse Stellung, sodass das Gericht der Übersicht wegen die Nummerierung der einzelnen Textstellen aus der Synopse übernimmt und sich die Seitenzahlen auf die 3. Aufl. 2019 beziehen.
In der Textstelle Nr. 1 übernimmt die Klägerin über ca. 1,5 Buch-Seiten maßgebliche Gedanken in großen Teilen wörtlich aus der Publikation von L EU in Auflösung?, Die Rückkehr der Grenzen und die populistische Gefahr, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2015, S. 45 ff. Mehrere Passagen, darunter wesentliche Aussagen des Textabschnittes sind entweder leicht paraphrasiert oder wortlautidentisch. Ein Hinweis auf das Werk von L enthalten die Endnoten der Klägerin indes nicht. Soweit die Klägerin (spätestens) ab der 3. Aufl. in der Endnote 34 zu Teil I ausführt, dass die nachfolgenden zwei Seiten bis Mitte Seite 50 „maßgeblich inspiriert“ von dem Artikel von L seien, ist dieser Hinweis in mehrerlei Hinsicht unzureichend und irreführend. So befindet sich der Hinweis deutlich vor den wörtlichen Übernahmen, die ca. eine Seite später beginnen. Der Hinweis auf die Seitenzahl ist zudem unzutreffend, die nicht gekennzeichneten Gedankenübernahmen befinden sich auf den Seiten 65-67. Schließlich bedeutet „maßgeblich inspiriert“ gerade, dass die Klägerin zum Ausdruck bringt, aus den Gedanken von Herrn L eigene Gedanken entwickelt zu haben. Nach der Definition des Dudens bedeutet „Inspiration“: schöpferischer Einfall, Gedanke; plötzliche Erkenntnis; erhellende Idee, die jemanden, besonders bei einer geistigen Tätigkeit, weiterführt; Erleuchtung, Eingebung (https://www.duden.de/rechtschreibung/Inspiration, zuletzt abgerufen am 14.05.2024). Hinzu tritt, dass die von Herrn L übernommenen Formulierungen immer wieder durch andere Endnoten, die auf andere Autoren verweisen, unterbrochen werden. Der pauschale einmalige Hinweis, dass sich auf den folgenden zwei Seiten (auch) Gedanken von Herrn L befinden, ist demnach nicht ausreichend. Der Leser kann nicht überprüfen, wer in welchem Satz oder in welcher Sinneinheit zu ihm spricht. Der Umfang der übernommenen Gedanken bleibt völlig unklar. Die Klägerin rechtfertigt die ungenaue Zitierung damit, dass es sich um Paraphrasierungen handele und sie daher eine „summarische Quellenangabe“ mache. Wie oben dargestellt, sind gerade Textstellen, in denen paraphrasiert wird, ausdrücklich als Übernahme fremder Gedanken zu kennzeichnen. Denn gerade bei einer solchen Übernahme besteht die Gefahr, dass der Leser nicht überprüfen kann, ob ein fremder Gedanke bloß mit anderen Worten wiedergegeben wird oder ob es sich um einen eigenen Gedanken handelt.
176In der Textstelle Nr. 2 auf Seite 134 übernimmt die Klägerin unstreitig einen Gedanken von C: Die Europäische Union als Republik, EuR, Beiheft 1/2013, S. 131-151 (143), ohne dies zu kennzeichnen. Soweit die Klägerin darauf verweist, in Endnote 41 Teil II (auch) auf C zu verweisen, kann dieser Hinweis nicht ausreichend sein. Denn in dieser Endnote zitiert die Klägerin die Primärquelle von John Locke als wörtliches Zitat. Der Verweis auf C ist mit einem Semikolon abgetrennt und eingeleitet mit „dazu ausf.“. Er bezieht sich also auf das Zitat und die Ausführungen von Locke. Dies kann dem Leser keinen Hinweis darauf geben, dass die Klägerin nach dem Satz mit dieser Endnote wesentliche Formulierungen und paraphrasierte Gedanken übernimmt.
177In Textstelle Nr. 3 auf Seite 139 übernimmt die Klägerin nahezu wörtlich mit leichter Paraphrasierung einen durchaus komplexen Gedanken von N: Gesellschaftsentwurf Europa, Göttingen 2012, S. 55 f. Ein Verweis auf das Werk N fehlt vollständig. Dabei übernimmt die Klägerin sogar Wortschöpfungen von N (z.B. „Schwarzmarktphantasien“ oder „demokratische Legitimationsstrukturen“). Die Klägerin verweist darauf, dass N „zwei Anmerkungen weiter vorn genannt“ sei. Dieser Hinweis ist wenig nachvollziehbar. Denn N ist weder in den Endnoten vor der Textstelle noch in den Endnote nach der Textstelle genannt.
178Auch in den Textstellen Nr. 4 auf Seite 140 und 148 sind wörtliche, zum Teil leicht paraphrasierte Übernahmen nicht gekennzeichnet. Es fehlt ein Hinweis auf Y.: Die Arbeit im Anthropozän, Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht, 01.05.2021. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass der Hinweis auf dieses Werk auf Seite 234 ff. in der Endnote 165 zu Teil II kein hinreichendes Zitat darstellen kann. Die Übernahme fremde Werke ist nicht ein irdendeiner Stelle in der Publikation, sondern bei dessen konkreter Verwendung anzubringen. Dem tritt auch die Klägerin nicht entgegen.
179Ähnliches gilt für Textstelle Nr. 5 auf Seite 213. Dort ist eine eindeutige Paraphrasierung von A: Die Globalisierung Europas und die Konflikte der Moderne – Dynamiken und Widersprüche in der Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen in der frühen Neuzeit, in: Sven Externbrink (Hrsg.), Der Siebenjährige Krieg (1756–1763), Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung, S. 27 ff. (36) durch die Klägerin nicht gekennzeichnet worden. Die Klägerin verteidigt sich damit, dass es sich um eine Aussage handle, die in ihrer Allgemeinheit so oder ähnlich schon oft formuliert worden sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn es sich dem Inhalt nach in Fachkreisen um sicheres Wissen handeln sollte, übernimmt die Klägerin hier eine fremde Formulierung. Dies gilt umso mehr, als sie eine plakative Aufzählung abschreibt.
180Bei den Textstellen Nr. 6 auf Seite 214 übernimmt die Klägerin erneut zum Teil wörtlich, zum Teil mit leichten Paraphrasierungen A (Hrsg.): Der moderne Staat und »le doux commerce«. Politik, Ökonomie und internationale Beziehungen im politischen Denken der Aufklärung, Nomos, Baden Baden 2014. Hierauf verweist die Klägerin zwar in ihrer Endnote 112 Teil II und führt hierzu aus: „Ich schulde die Passagen und Literaturhinweise zum doux commerce ganz wesentlich dem großartigen Buch von A […]“. Dies ist jedoch kein hinreichender Verweis auf die wörtliche Übernahme eines fremden Gedankens. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die Textstellen Nr. 6 nach der Endnote 112 und nach einer neuen Zwischenüberschrift stehen. Demnach wird für den Leser nicht klar, auf welche „Passagen“ sie sich in ihrer Endnote 112 bezieht. Soweit die Klägerin hierzu ausführt, die Zitierweise sei der Textform des Essays geschuldet und durchaus legitim, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, dass sich das Werk an wissenschaftlichen Maßstäben messen lassen muss. Ein Erfordernis der Einschränkung von Maßstäben der wissenschaftlichen Redlichkeit ist nicht ersichtlich und auch nicht dargelegt.
181In Textstelle Nr. 7 auf Seiten 334 ff. übernimmt die Klägerin über viele Sätze hinweg größtenteils wörtlich, teils mit leichten Paraphrasierungen aus Y.: Die Arbeit im Anthropozän, Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht. Hierzu führt die Klägerin in Endnote 165 Teil II wie folgt aus: „Auf den folgenden drei Seiten (S. 193 - 196) habe ich große und teilweise über mehrere Sätze wörtliche Anleihen genommen aus dem brillanten Essay von Y., Die Arbeit im Anthropozän, Essay & Diskurs, Deutschlandfunk, 3. 1. 2016, die nicht im Einzelnen markiert sind, da ich sie jeweils geringfügig modifiziert oder anders in meinem eigenen Text zusammengestellt habe. Ich danke dem Autor Y. und hoffe, er entschuldigt diese Form der nicht akkurat wissenschaftlichen Wiedergabe und hoffe gleichzeitig, durch die Verwendung dieser so großartigen Textbausteine viele Leser anzuregen, sich diesen vorzüglichen Essay im Podcast des DLF anzuhören. Auch dieser Hinweis kann nicht ausreichend sein. Denn die Klägerin übernimmt, wie sie selbst formuliert, „Textbausteine“ von Y., also über mehrere Seiten hinweg (nahezu) wörtliche Passagen, spricht jedoch gleichzeitig von „wörtliche[n] Anleihen“. Sie habe diese nicht im Einzelnen markiert, da sie sie jeweils geringfügig modifiziert oder anders im eigenen Text zusammengestellt habe. Dabei handelt es sich um eine Verschleierung. Denn die Eigenleistung der Klägerin ist in dieser Passage marginal. Zudem wird dem Leser durch diese Art des Hinweises gerade nicht klar, welche Gedanken und bis zu welcher Textstelle Gedanken übernommen wurden und wo nicht. Der Leser kann daher nicht wissen und überprüfen, wer zu ihm spricht. Die Klägerin räumt selbst ein, dass es sich hierbei um eine „wenig korrekte wissenschaftliche Arbeitsweise“ handele. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass es sich bei dem Werk um einen Essay handele, kann erneut auf die obigen Ausführungen zur Wissenschaftlichkeit des Werkes verwiesen werden.
182Bei den Textstellen Nr. 8 auf den Seiten 262 und 270 handelt es sich um eine (nahezu) wörtliche Übernahme aus A K: Warum sitzt Europa auf dem Stier? Matriarchale Grundlagen von Europa, in: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Frauen verändern EUROPA verändert Frauen, Düsseldorf 2008, S. 191-200, ohne dass die Klägerin diese Übernahme gekennzeichnet hätte. Soweit die Klägerin in Endnote 17 Teil III auf dieses Werk verweist, erfolgt dieser auf Seite 268 und damit zu anderen Gedanken und an anderer Stelle. Soweit die Klägerin selbst anmerkt, die Textstelle auf Seite 262 stamme primär aus der Wikipedia, so stellt sie zutreffend fest, dass auch hierzu eine Quellenangabe fehlt. Sie zitiert nach den eigenen Ausführungen zudem eine Sekundärquelle, was wiederum selbst einen wissenschaftlichen Fehler darstellt.
183In der Textstelle Nr. 9 auf Seite 268 übernimmt die Klägerin wörtlich Ausführungen aus dem Wikipedia-Artikel „Europa (Tochter des Agenor)“, Version vom 18.3.2016, ohne dies zu kennzeichnen. Dies gesteht auch die Klägerin zu. Soweit sie zudem darauf verweist, dass einzelne Sätze im Wikipedia-Artikel mit der Originalquelle von AK übereinstimmten, so kann dies die Klägerin nicht entlasten. Vielmehr wäre sie wissenschaftlich gehalten gewesen, die Primärquelle zu zitieren.
184Ähnliches gilt für Textstelle Nr. 10 auf Seite 271. Hier übernimmt die Klägerin wörtlich (kürzere) Ausführungen aus dem Wikipedia-Artikel „Phrygische Mütze“, Version vom 29.07.2015, ohne dies zu kennzeichnen. Dies gesteht die Klägerin zu.
185c. Bei den oben genannten Fehlern handelt es sich nicht um bloße (fahrlässige) Flüchtigkeitsfehler. Der Vorsatz der Klägerin ist vielmehr indiziert. Die Klägerin ist dem nicht substantiiert entgegengetreten.
Vorsatz als subjektive Tatsache lässt sich nur über äußere Indizien nachweisen; es gilt der Grundsatz des Anscheinsbeweises. Jeder Zitierfehler ist zwar ein Indikator für schlechte Wissenschaft, aber nicht unbedingt auch für ein vorsätzliches Plagiat. Lediglich schlechte Wissenschaft – und hierzu gehören auch Ungenauigkeiten beim Zitieren – ist noch kein Fehlverhalten. Bei bloßen Ungenauigkeiten, Nachlässigkeiten und Flüchtigkeitsfehler handelt es sich um keine Täuschung. Vorsätzliche Plagiate zeichnen sich dagegen durch die Häufung und die Systematik im Vorgehen aus. Gerade die Umarbeitung des übernommenen Textes kann Vorsatz indizieren, wenn z.B. einzelne Wörter substituiert, Sätze umgestellt oder Textelemente zwischen Haupttext und Fußnoten verschoben werden. Wer etwa eine Primärquelle mehrmals an verschiedenen Stellen übernimmt, ohne einen Nachweis anzufügen, wird dies nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht aus Flüchtigkeit tun, sondern Vorsatz haben. Gleiches wird man annehmen müssen, wenn ganze Absätze aus fremden Texten ohne Anführungszeichen und Nachweis wörtlich übernommen werden, und zwar erst recht, wenn jeweils die Ein- oder Überleitungssätze abgeändert werden, weil dies ein bewusstes und zielgerichtetes Vorgehen indiziert (VG München, Beschluss vom 19.01.2022 – M 3 E 21.5220 – juris Rdn. 31; s.a. OVG NRW, Beschluss vom 10.10.2017 – 6 A 1586/16 – juris, Rdn. 15).
188Die wörtliche oder sinngemäße Übernahme von zusammenhängenden Textpassagen aus fremden Werken ohne (ausreichendes) Zitat verstößt gegen grundlegende Maßstäbe des wissenschaftlichen Arbeitens und beinhaltet eine Täuschung über die Selbständigkeit der erbrachten wissenschaftlichen Leistung, insbesondere wenn die Übernahme fremden Gedankengutes nicht nur vereinzelt, sondern systematisch und planmäßig erfolgt, etwa wenn sich solche Plagiate an mehreren Stellen der Arbeit finden und Passagen von verschiedenen Fremdautoren betreffen. Dabei lässt die wörtliche Wiederholung von Vorlagentexten einschließlich ihrer sprachlichen Eigentümlichkeiten jedenfalls den Schluss zu, dass diese Passagen unmittelbar abgeschrieben wurden. Das gilt auch dann, wenn kleinere Änderungen – etwa in Form von Umgruppierungen wiederum fast wörtlich übernommener Passagen – vorgenommen werden. Denn auch insoweit ist die Gedankenführung nicht eigenständig entwickelt und es wird darüber getäuscht, dass die wissenschaftliche Leistung tatsächlich von einem Anderen und nicht vom Autor selbst stammt (VGH BaWü, Beschluss vom 09.02.2015 – 9 S 327/14 – juris Rdn. 7)
189Der Vorsatz der Klägerin ist schon deshalb indiziert, da die Klägerin an sämtlichen Textstellen – immerhin zehn (wobei mehrere Textstellen mehr als einen Zitierfehler enthalten) nahezu wörtliche Übernahmen (mit mehr oder weniger deutlichen Paraphrasierungen) nicht gekennzeichnet hat. Da die Klägerin dies zum Teil über längere Textpassagen durchführt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass eine solche Übernahme nicht versehentlich geschehen sein kann. Dabei deuten die leichten Abänderungen gerade darauf hin, dass die Klägerin nachlässig, sondern bewusst handelte. Hierfür sprechen auch diverse Hinweise der Klägerin in den Endnoten. Wenn die Klägerin etwa davon spricht, dass bestimmte Passagen maßgeblich „inspiriert“ seien, es sich jedoch um eine im wesentlichen wörtliche Übernahme handelt, liegt darin eine Verschleierung. Auch eine solche kann kaum mit einer Ungenauigkeit oder Nachlässigkeit erklärt werden, sondern sie indiziert bewusstes Verhalten. Ähnliches gilt für den Hinweis, dass die Klägerin „Anleihen“ von einem anderen Autor nahm, es sich jedoch um eine wörtliche Übernahme handelte. Die Klägerin übernimmt an einer Stelle zudem Wortschöpfungen eines anderen Autors, was ebenfalls deutlich für bewusstes Verhalten spricht. Gleiches gilt für die Übernahme einer plakativen Aufzählung. Schließlich stellt das Gericht in die Bewertung ein, dass die Klägerin wissenschaftlich erfahren war – sie wurde zur gleichen Zeit nach vielen Jahren u.a. in der Wissenschaft zur Professorin berufen –, also um die Bedeutung der wissenschaftlichen Redlichkeit wusste und auch deren Regeln kannte. Auch dies spricht deutlich gegen bloße Nachlässigkeit.
190Die Klägerin ist dem durch ihre Anmerkungen und auch sonst nicht entgegengetreten. Vielmehr konnte sie keine Erklärungen für die einzelnen monierten Textstellen liefern. Sie verwies im Wesentlichen darauf, dass es sich (nach ihrer Bewertung) trotz nicht gekennzeichneter Übernahmen nicht um Plagiate handele oder der übernommene Autor an anderen Stellen zitiert worden sei. Dies vermag das Verschulden der Klägerin jedoch nicht auszuräumen. Denn es ist keine Erklärung dafür, weshalb die Klägerin an der jeweils betroffenen Stelle die Zitierregeln nicht eingehalten hat.
191Soweit die Klägerin darauf verweist, dass das Werk unter enormem Zeitdruck entstanden sei, kann auch dies das Verschulden der Klägerin nicht abmildern. Zum einen nimmt die Klägerin mit ihrer Arbeitsweise, ein wissenschaftliches Buch binnen weniger Wochen zu verfassen, in Kauf, dass die wissenschaftlichen Zitierregeln nicht sauber eingehalten sein könnten. Denn dies setzt Gründlichkeit voraus. Auch die dargelegte Arbeitsweise, dass sich im letzten Manuskript noch zahlreiche Anmerkungen und Korrekturhinweise befanden, deutet für die Kammer eher daraufhin, dass die Klägerin zumindest billigte, dass Fehler enthalten sein könnten. Denn es entspricht der Lebenserfahrung, dass Zitate, die nicht bereits im Schreibprozess selbst gesetzt werden, nachträglich kaum noch eingefügt werden können. Der hierfür erforderliche Überblick bei einem umfangreichen Werk fehlt. Zum anderen gesteht die Klägerin mit dem Aufzeigen der Entstehungsgeschichte gerade zu, dass das Werk an (wissenschaftlichen) Mängeln litt. Gleichwohl sorgte sie nicht dafür, diese Mängel, und sei es in einer späteren Auflage, zu beseitigen. Dass sie hierzu die Möglichkeit hatte, zeigt schon das Einfügen von Endnote 34 Teil I (spätestens) ab der 3. Aufl.
192d. Die Bewertung als Plagiat im wissenschaftlichen Sinne scheidet – anders als die Klägerin meint – nicht dadurch aus, dass sie mit zwei der eigentlichen Urheber, namentlich Herrn Y. und Herrn L Kontakt aufgenommen und ihr „Einverständnis“ zur Übernahme deren Gedanken eingeholt habe. Denn die mögliche Verletzung fremden Urheberrechts ist nicht Gegenstand des wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die wissenschaftliche Redlichkeit schützt die Wissenschaft als solche, nicht (nur) die Urheber der nicht gekennzeichneten Gedanken. Über die Redlichkeit der Wissenschaft können die wahren Urheber nicht disponieren. Denn die zutreffende Zitierung soll (auch) dem Leser ermöglichen, die Quelle des niedergeschriebenen Gedankens ohne Zweifel und auf einem einfachen Weg in Erfahrung zu bringen. Nur dann kann eine wissenschaftliche Auseinandersetzung stattfinden. Es kann daher offenbleiben, ob und inwieweit die Klägerin das Einverständnis der Herren Y. und L eingeholt hat.
(3) Die Klägerin traf eine Offenbarungspflicht, da das Nichteinhalten der Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis die Eignung der Klägerin für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz als Universitätsprofessorin in Frage stellen und daher von ausschlaggebender Bedeutung sind.
195(i) Die Einreichung einer wissenschaftlichen Schrift als habilitationsadäquate Leistung im Rahmen eines Berufungsverfahrens zu einer Universitätsprofessorin ist schon von sich aus zwingend mit der konkludenten Erklärung verbunden, das vorgelegte Werk stelle in jeder Hinsicht eine eigene geistige Leistung dar, soweit nicht zulässig in Bezug genommene fremde geistige Hervorbringungen ausdrücklich als solche gekennzeichnet sind. Dies folgt schon daraus, dass es eine gesetzliche Einstellungsvoraussetzung ist (§ 36 Abs. 1 HG NW), eine wissenschaftliche Leistung erbracht zu haben, die über Hochschulabschluss und Promotion hinausgehen (regelmäßig Habilitation). Aus dem Begriff der „zusätzliche wissenschaftliche Leistungen“ folgt, dass fremde geistige Hervorbringungen, die zulässigerweise im Werk verwertet werden, als solche in einer Weise zu kennzeichnen sind, dass der Leser ohne eigenen Aufwand – etwa das Nachschlagen von Zitaten oder die Suche nach Abhandlungen ähnlichen Inhalts – in die Lage versetzt wird, fremde geistige Hervorbringungen im Werk zuverlässig von eigenen geistige Hervorbringungen des Verfassers zu unterscheiden (so zu den entsprechenden Handhabung in einer Dissertation: OVG Lüneburg, Urteil vom 15.07.2015 – 2 LB 363/13 – juris Rdn. 104).
196Anders als die Klägerin meint, ergibt sich nichts Anderes daraus, dass die Beklagte bei der Bewerbung nicht – analog einer abschließenden Erklärung bei einer Seminararbeit oder Dissertation – die Klägerin nicht ausdrücklich aufforderte, die Einhaltung der Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis zu bestätigen. Das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit erfordert es positiv, die wissenschaftlich-geistige Urheberschaft Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche übernommenen Gedanken aus fremden Quellen als solche offengelegt werden (Gärditz, Der Entzug von Doktorgrad oder Habilitation wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, WissR 2021, 150 (165) unter Verweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 20.3.2014 – 15 K 2271/13 juris Rdn. 69; VG Hamburg, Urteil vom 24.6.2016 – 2 K 2209/13 – juris Rdn. 124 ff.).
197(ii) Es oblag nicht der Beklagten, ohne konkreten Verdacht von sich aus die Werke der Klägerin auf mögliche Plagiate zu überprüfen. Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass es der Beklagten nicht versperrt gewesen wäre, im Rahmen des Bewerbungsverfahren, die eingereichten Werke zu prüfen. Eine Pflicht und ein Anlass dazu bestanden nicht. Denn die Beklagte muss den Bewerbern auf eine Ausschreibung als Hochschullehrer kein grundsätzliches Misstrauen entgegenbringen. Ein Berufungsverfahren ist darauf angelegt, längerfristig – im Falle einer Verbeamtung möglicherweise auf Lebenszeit – miteinander zusammenzuarbeiten. Dem widerspricht es, einen solchen Bewerber von vorneherein zu misstrauen und jegliche Arbeit auf ein mögliches Plagiat zu untersuchen. Dabei steht die Beklagte im Wettbewerb mit anderen Hochschulen um die besten akademischen Köpfe. Das Entgegenbringen von Misstrauen in einer solchen Situation birgt die konkrete Gefahr, dass Bewerber das Umfeld der Beklagten meiden. Dies gilt insbesondere auf höchstem akademischen Niveau, namentlich bei der Berufung von Universitätsprofessoren und der Frage, ob sich die Bewerber an die wissenschaftliche Redlichkeit halten. Da es ist um eine Kernpflicht eines Akademikers handeln, darf die Beklagte dies jedenfalls auf diesem Niveau ohne Weiteres voraussetzen. Der Verstoß gegen diese Grundsätze stellt insoweit die absolute Ausnahme nicht die Regel dar.
198(iii) Der Verstoß gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in einem zentralen Werk der Berufung ist im Berufungsverfahren von maßgeblicher Bedeutung. Die Einhaltung der Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis haben eine besondere Bedeutung im Rahmen von Rechtsverhältnissen in der Wissenschaft und können entscheidenden Einfluss auf die Auswahl der Bewerber haben.
199Die Beklagte ist als Trägerin des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit mit Selbstverwaltungsrechtsgarantie in besonderem Maße für die sich ebenfalls aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergebende Redlichkeit der Wissenschaft als Kehrseite der Wissenschaftsfreiheit verantwortlich. „Ohne sorgfältigen Umgang mit Quellen produziert die Wissenschaft keine belastbaren und nachvollziehbaren neuen Erkenntnisse. Nonchalanter Umgang mit Quellen erschwert den wissenschaftlichen Austausch, verringert die Chance, neue Wahrheiten zu erkennen oder zu entdecken, und vergrößert die Wahrscheinlichkeit, Unwahrheiten in Umlauf zu setzen. Besonders gefährlich sind Plagiate. Wer blind abschreibt, schaltet damit die Möglichkeit zur Falsifikation aus, die zentrale Voraussetzung für wissenschaftliche Erkenntnis ist. Plagiate verbreiten, verschlimmern und perpetuieren Irrtümer, die gute wissenschaftliche Praxis verhindert hätte. In der Medizin können Plagiate tödlich sein“ (so ausdrücklich Dannemann, Gute Wissenschaft braucht klare Regeln, Myops 41/2021, 62 (67); s.a. Gärditz, Der Entzug von Doktorgrad oder Habilitation wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, WissR 2021, 150 (162)).
200Die Bedeutung der Einhaltung der Standards guter wissenschaftlicher Praxis hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) e.V., in welchem auch die Beklagte Mitglied und damit gebunden ist, in ihren „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis – Kodex“ herausgestellt (abrufbar unter: https://www.dfg.de/resource/blob/173732/4166759430af8dc2256f0fa54e009f03/kodex-gwp-data.pdf, zuletzt abgerufen am 08.05.2024). In der Leitlinie 2 – Berufsethos heißt es: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tragen Verantwortung dafür, die grundlegenden Werte und Normen wissenschaftlichen Arbeitens in ihrem Handeln zu verwirklichen und für sie einzustehen. Die Vermittlung der Grundlagen guten wissenschaftlichen Arbeitens beginnt zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt in der akademischen Lehre und wissenschaftlichen Ausbildung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Karriereebenen aktualisieren regelmäßig ihren Wissensstand zu den Standards guter wissenschaftlicher Praxis und zum Stand der Forschung. Und in Leitlinie 4 – Verantwortung der Leitung von Arbeitseinheiten: Die Leitung einer wissenschaftlichen Arbeitseinheit trägt die Verantwortung für die gesamte Einheit. Das Zusammenwirken in wissenschaftlichen Arbeitseinheiten ist so beschaffen, dass die Gruppe als Ganze ihre Aufgaben erfüllen kann, dass die dafür nötige Zusammenarbeit und Koordination erfolgen und allen Mitgliedern ihre Rollen, Rechte und Pflichten bewusst sind. Zur Leitungsaufgabe gehören insbesondere auch die Gewährleistung der angemessenen individuellen – in das Gesamtkonzept der jeweiligen Einrichtung eingebetteten – Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Karriereförderung des wissenschaftlichen und wissenschaftsakzessorischen Personals.
201Daraus folgt für die Kammer, dass eine Bewerbung auf eine Hochschullehrerstelle an einer Universität schlechterdings nicht tragfähig sein könnte, wenn die Berufungskommission positive Kenntnis von Plagiaten im wissenschaftlichen Sinne in einem zentralen Werk der Bewerbung hätte. Selbst wenn die Bewerbung im Übrigen überzeugend wäre, müsste sich die Universität schon um der Gefahr, die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren und gegen die eigenen Regeln zu verstoßen, zu entgehen, gegen die Auswahl eines solchen Bewerbers entscheiden. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Amt eines Hochschullehrers um ein öffentliches Amt im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG handelt. Danach hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. Die Beklagte ist als staatliche Universität demnach gehalten, im Rahmen des Berufungsverfahrens nach der Bestenauslese vorzugehen. Dem widerspricht es, Bewerbern, die sich einen unlauteren Vorteil durch Einreichen einer für die Bewerbung wichtigen Schrift, die nicht den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis entspricht, den Vorzug zu geben.
202Anders als die Klägerin meint, hatte die Beklagte auch keine positive Kenntnis vom Mangel der wissenschaftlichen Redlichkeit durch die Stellungnahme von Professor S. aus dem Januar 2021 zur Bewerbung der Klägerin. Dieser merkte zwar u.a. an ihre Argumentation zu den Begriffen „Nation" und „Europa als Republik" biete anregende Ausgangspunkte, die aber wissenschaftlich vertieft werden könnten. Wissenschaftliche Tiefe meint jedoch nicht wissenschaftliches Fehlverhalten. Die Aussage kann nur dahin verstanden werden, dass Herr Professor S. der Auffassung war, die Argumentation der Klägerin sei (wissenschaftlich) oberflächlich. Daraus kann nicht abgeleitet werden, Professor S. habe die Arbeiten der Klägerin auf die Einhaltung der wissenschaftlichen Redlichkeit geprüft und Fehlverhalten festgestellt.
203(4) Die Täuschung löste bei der Beklagten, nämlich insbesondere bei der Berufungskommission und dieser folgend bei dem Fakultätsrat und dem für die Beklagte vertragsschließenden Rektor einen Irrtum aus.
204(i) Der Irrtum bezieht sich darauf, dass die Berufungskommission davon ausging, „Titel 1 “ sei unter Beachtung der wissenschaftlichen Redlichkeit entstanden. Denn die Berufungskommission hatte insbesondere auch die zusätzliche wissenschaftliche Leistung der Klägerin zu bewerten. Dabei berücksichtigte sie auch und vor allem das von der Klägerin eingebrachte Werk. Die Maßgeblichkeit ergibt sich schon daraus, dieses Werk als eine von wenigen Publikationen der Klägerin ausdrücklich in der Begründung für den Besetzungsvorschlag ausdrücklich genannt und dabei hervorgehoben wird. Die Erwähnung befindet sich im Abschnitt der Darstellung der wissenschaftlichen Publikationen der Klägerin, also dort, wo die Berufungskommission die schriftlichen Leistungen der Klägerin würdigt. Wie dargelegt, liegt eine wissenschaftliche Leistung jedoch nur dann vor, wenn die Grundsätze der wissenschaftlichen Redlichkeit eingehalten wurden.
205(ii) Der Irrtum entfällt nicht dadurch, dass die Beklagte hätte wissen können, dass die Klägerin die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis nicht eingehalten hat. Denn die Fehlvorstellung liegt auch dann vor, wenn sie erkennbar gewesen sein sollte.
206(iii) Der Irrtum der Berufungskommission setzte im Fakultätsrat bis zum vertragsschließenden Rektor fort.
207Der Fakultätsrat ist unwidersprochen der Begründung der Empfehlung der Berufungskommission gefolgt und hat mit Beschluss vom 20.01.2021 der Nominierung der Klägerin auf Listenplatz 1 einer Einserliste zustimmt.
208Auch der am Berufungsverfahren gemäß § 14 Abs. 7 der Grundordnung der Beklagten zu beteiligende Senat hat der Berufung der Klägerin in seiner Sitzung vom 04.02.2021 zugestimmt. Dabei stellte der damalige Dekan Herr Prof. Dr. K dem Senat unwidersprochen die Bewerbung der Klägerin und den Beschluss der Berufungskommission sowie des Fakultätsrats vor. Hierbei hat er keine Gesichtspunkte vorgetragen, die Rückschlüsse darauf erlaubt hätten, dass auf der Veröffentlichungsliste der Klägerin Monographien enthalten sind, die die Klägerin als „nicht-wissenschaftlich“ betrachten würde und/oder dass bei deren Anfertigung in erheblichem Umfang von der Klägerin plagiiert wurde und/oder es Zweifel geben würde, ob die Klägerin diese als Autorin eingereichte Arbeiten eigenständig anfertigte.
209Die Berufung der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer nach § 37 Abs. 1 HG NRW erfolgt letztlich durch den Rektor. Unwidersprochen war für den Rektor neben den gesetzlichen Bestimmungen inhaltlich der Vorschlag der Berufungskommission und des Fakultätsrats sowie die zustimmende Stellungnahme des Senats maßgeblich. Insbesondere habe ihm die „Laudatio“ (Anlage B 33, Bl. 1037 d. A.) vorgelegen und er habe sich diese, was nachvollziehbar ist, zu eigen gemacht.
210(5) Die Täuschung war auch vorsätzlich und damit arglistig. Insoweit ist eine bedingter Vorsatz ausreichend. Erforderlich ist nicht die Absicht, täuschen zu wollen. Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen und deshalb oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Getäuschten entstehen oder aufrechterhalten werden. Erforderlich ist, dass der Täuschende die Unrichtigkeit der für den Getäuschten bedeutsamen Umstände kennt. (LAG Hamm, Urteil vom 18.02.2014 – 14 Sa 806/13 – juris Rdn. 101 m.w.N.). Im Fall einer Offenbarungspflicht muss der Aufklärungspflichtige wissen oder zumindest damit rechnen und billigend in Kauf nehmen, dass der andere Teil von den verschwiegenen Umständen keine Kenntnis hat und bei Kenntnis den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (Wendtland, in: BeckOK, BGB, 69. Edition, Stand: 01.02.2024, § 123 Rdn. 17 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 15.04.2015 – VIII ZR 80/14 – juris Rdn. 16 m.w.N., s.a. LAG Hamm a.a.O.). Der Täuschungswille muss auf Irrtumserregung und Beeinflussung der Willensentschließung beim anderen Teil gerichtet sein. Das setzt die Kenntnis der Bedeutung des eigenen Verhaltens beim Täuschenden voraus. Objektiv unrichtige Angaben lassen zwar regelmäßig den Schluss auf einen Täuschungswillen zu, eine lediglich ungeschickte Formulierung, welche zur Irreführung geeignet ist, genügt aber nicht (LAG Hamm a.a.O., m.w.N.).
211Der Vorsatz der Klägerin bezog sich dabei sowohl auf die Tatsache, dass ihr Werk Plagiate enthielt als auch darauf, diesen Mangel im Berufungsverfahren nicht zu offenbaren. Damit nahm sie zumindest billigend in Kauf, dass die Berufungskommission dem oben gennannten Irrtum unterlag.
212(i) Wie bereits oben ausgeführt, ist hinsichtlich der Plagiatsstellen von zumindest bedingtem Vorsatz auszugehen. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.
213(ii) Auch die Erregung des Irrtums erfolgte mit zumindest bedingtem Vorsatz.
214Die Klägerin wusste zunächst, dass ihr Werk „Titel 1 “ an Mängeln im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis leidet. Dies gesteht sie auf mehrere Weise zu. So führt sie selbst in der Endnote 165 des Teil II ausdrücklich die „nicht akkurat wissenschaftlichen Wiedergabe“ von immerhin mehreren Textseiten an. Zudem gibt die Klägerin im Rahmen des Rechtsstreits sowie in ihrem Schreiben an die Untersuchungskommission vom 14.01.2023 die Umstände an, unter denen das Buch entstanden sei. Ihr habe ein Ausdruck des Manuskriptes mit vielen Spickzetteln und Post-It's vorgelegen, die Stellen markierten, an denen sie noch Korrekturen bzw. Änderungen anbringen wollte. Sie habe das Manuskript jedoch „Hals über Kopf“ abgeben müssen.
215Es erscheint schon wenig plausibel, dass die Klägerin trotz mehrerer Nachauflagen keine Möglichkeit mehr gehabt haben soll, Einfluss auf die Inhalte des Werkes zu nehmen und mögliche Fehler zu korrigieren. Das würde etwa bedeuten, dass sie zu keiner der Auflagen Druckfahnen erhalten hätte, die sie freigeben musste. Dieser Vortrag ist jedoch schon deshalb wiederlegt, da die Klägerin – unwidersprochen – die Endnote 34 im Teil I (spätestens) in der 3. Auflage tatsächlich nachträglich ergänzt hat, also auch die Möglichkeit hierzu bestanden haben muss.
216Hierauf kommt es aber letztlich nicht an, denn selbst wenn sie keinen Einfluss mehr gehabt haben sollte, so wusste sie gleichwohl, dass das Werk, auch in der für die Bewerbung bei der Beklagten maßgeblichen Auflage noch an Mängeln litt. Dies gesteht die Klägerin auch zu. Sie folgert lediglich aus dem Umstand, dass es bislang noch nicht zur Bemängelung durch andere Stellen gekommen sei, sie hierfür keine oder nicht die alleinige Verantwortung trage. Das Gegenteil ist allerdings zutreffend. Für die Einhaltung der Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis trägt allein die Klägerin die Pflicht. Nur sie ist überhaupt in der Lage, die von fremden Autoren übernommenen Textstellen zu kennzeichnen, nur sie weiß, wessen Gedanken sie niederschreibt und wie sie diese kennzeichnet. Es ist weder Aufgabe des Verlages noch sonst eines Dritten, zu prüfen, ob die Zitierregeln durch die Klägerin eingehalten wurden. Gerade in der Tatsache, dass der Kenntnis der Mängel und der Kenntnis, dass diese verschiedenen Personen und Institutionen in der Vergangenheit nicht aufgefallen waren, zeigt sich der bedingte Vorsatz der Klägerin. Sie nahm es in Kauf, dass auch weiteren Personen oder Institutionen – etwa der Berufungskommission der Beklagten – die Mängel schon nicht auffallen werden und nahm sich zu Unrecht aus der Pflicht. Sie war die einzige, die Kenntnis der Mängel hatte. Somit konnte auch nur sie etwas daran ändern oder – zumindest – dieses Werk aus dem Berufungsprozess fernhalten.
217Für die Klägerin war auch ohne Weiteres erkennbar, dass die Frage, dass bewerbungsrelevante Werke, Plagiate enthalten, entscheidenden Einfluss auf das Berufungsverfahren bei der Beklagten haben kann und würde. Immerhin ist die Klägerin erfahrene Wissenschaftlerin. Als solcher durfte die Kammer davon ausgehen, dass sie Kenntnis von der Bedeutung der wissenschaftlichen Redlichkeit für die Wissenschaft und damit für die Beklagte hat. Die gilt zumal sich die Klägerin auf eine Stelle als Universitätsprofessorin im Anwendungsbereich des HG NW bewarb, in welchem die Bedeutung in § 4 Abs. 4 herausgestellt wird.
218cc) Die Kündigung ist nicht unverhältnismäßig, insbesondere bedurfte es keiner vorherigen Abmahnung der Klägerin.
219(1) Nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Eine Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass sich eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 282/10 – juris).
220(2) Die Pflichtverletzung der Klägerin war so schwerwiegend, dass auch deren erstmalige Hinnahme erkennbar ausgeschlossen ist.
221(i) Die Bedeutung der Einhaltung der Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis für das Vertragsverhältnis der Parteien wurden bereits an anderer Stelle (insbesondere oben unter I. 1. b) bb) (3) (iii)) herausgestellt. Auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen. Zusammengefasst ergibt sich die Bedeutung daraus, dass die Beklagte für die Einhaltung der Grundsätze als Universität und Trägerin des Grundrechtes der Wissenschaftsfreiheit besondere Verantwortung trägt. Dabei stellt die wissenschaftliche Redlichkeit eine Funktionsvoraussetzung des Wissenschaftsbetriebs dar. Wissenschaft kann sich nur dann weiterentwickeln, wenn sich die an ihr Beteiligten an die Grundsätze halten.
222(ii) Dem steht nicht entgegen, dass die Anzahl der von der Beklagten monierten Plagiatsstellen in quantitativer Hinsicht nicht sonderlich hoch ist. Nach dem Vortrag der Klägerin machen die monierten Stellen im Werk „ Titel 1 “ weniger als 2% des Seitenumfangs aus.
223Der Klägerin kann zunächst nicht darin gefolgt werden, die Kündigung durch die Beklagte habe im gleichen Maße wie der Entzug einer Promotion Grundrechtsrelevanz. Sie stelle eine Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, sodass die Plagiate als Grund für eine Kündigung mindestens so schwerwiegend sein müssten, wie beim Entzug einer Promotion. Das BVerwG (Urteil vom 21.06.2017 – 6 C 3/16 – juris Rdn. 29 ff) folgert für den Entzug eines Doktorgrades zunächst aus der Grundrechtsrelevanz in Form eines Eingriffs in die Berufswahlfreiheit, dass die Entziehung eines Doktorgrades nur auf der Grundlage eines Parlamentsgesetzes erfolgen darf. Die Kündigung stellt indes schon keinen Eingriff die Berufswahlfreiheit der Klägerin, sondern allenfalls mittelbar einen Eingriff in eine Berufsausübungsregel dar. Hierzu besteht jedoch ohne Zweifel eine Rechtsgrundlage, nämlich das hier angewandte KSchG. Wenn das BVerwG daraus weiter folgert, der Doktorgrad könne nur aberkannt werden, wenn die Dissertation unter Berücksichtigung der Mängel keine eigenständige wissenschaftliche Leistung mehr darstellt, so führt auch dies vorliegend nicht weiter. Für die Promotion ist die Pflicht „schlechthin grundlegend“, das Gebot der Eigenständigkeit zu erfüllen (BVerwG a.a.O. juris Rdn. 43). Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses verfolgt eine grundlegend andere Perspektive: Zu prüfen ist, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, die ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Dies ist im Falle von Plagiaten nicht davon abhängig, ob das mangelhafte Werk (noch) eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt.
224Der Klägerin ist zuzugeben, dass die monierten Plagiate ihr Werk „Titel 1 “ nicht durchziehen und im Vergleich zu mancher in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geprüften Dissertation zahlenmäßig deutlich geringer ausfallen.
225Allerdings geht die Kammer mit der Beklagten davon aus, dass die Plagiatsstellen in qualitativer Hinsicht für das Werk nicht unbedeutend waren. So legte die Beklagte etwa konkret dar, dass die Ausführungen der Klägerin in Kapitel 3 „Die ‚Weimarisierung‘ Europas und das Problem der politischen Mitte“ auf den Seiten 56 bis 70 in wesentlichen Teilen auf dem Beitrag von L „EU in Auflösung? Die Rückkehr der Grenzen und die populistische Gefahr“ (Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2015, Seite 45 bis 54) beruhen und das Kapitel prägen. Dabei ist die Übernahme der wesentlichen Gedanken von L durch die Klägerin allenfalls unzureichend gekennzeichnet worden. Sowohl die Klägerin als auch L erörtern das Verhältnis der EU zu den Nationalstaaten, den rechten und anschließend den linken Populismus sowie die Situation in Griechenland im Zusammenhang mit der Euro-Krise und der Bedeutung. Dabei entspricht der Gedankengang der Klägerin ganz offensichtlich dem von L.
226Ähnliches gilt für das Unterkapitel „Allgemeiner Wille und politische Repräsentation“ im Kapitel 6 „Warum Europäische Republik?“, der maßgeblich auf den Gedanken C im Beitrag: Die Europäische Union als Republik, EuR, Beiheft 1/2013, S. 131-151, hier insbesondere auf dem Abschnitt „Die Prin-cipal-Agent Beziehung“ mit den Unterabschnitten „Staat und Republik“ und „Souveränität der Bürger gegen Macht des Staates?“ beruht, ohne dass die Klägerin dies kenntlich gemacht hätte. Dabei befindet sich das Unterkapitel ein einem zentralen Abschnitt für das gesamte Werk der Klägerin, nämlich im Kapitel, in welchem sie den Republikbegriff herleitet und aufzeigt, aus welchem Grund die Idee der Republik im europäischen Kontext angewendet werden sollte.
227Auch die Ausführungen, welche die Klägerin in Kapitel 9 im Unterkapitel „Der Besitz und das Anthropozän“ (Seite 234 – 238) im wesentlichen aus dem Beitrag von Y., Die Arbeit im Anthropozän, Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht, übernommen hat, ohne dies hinreichend zu kennzeichnen, sind für die Arbeit der Klägerin nicht unerheblich. So steht dieses Unterkapitel im Kapitel „Die wirtschaftliche Neuordnung Europas: Die digitale Manufaktur“, also in einem von drei Kapiteln, in welchem die Klägerin ihre Idee einer Europäischen Republik präsentiert. Die Bedeutung von Eigentum und Besitz nimmt dabei eine wichtige Rolle innerhalb des Kapitels ein. Ein wichtiger Aspekt ist für die Klägerin ist dabei wiederum, wie der Begriff des Besitzes bzw. der des Eigentums im Zeitalter des Menschen weitergedacht werden kann. Den diesbezüglichen Befund übernimmt sie von Y.
228Die Klägerin ist – trotz der umfangreichen jeweiligen Ausführungen der Beklagten hierzu –nicht darauf eingegangen, weshalb die monierten Stellen untergeordnete Bedeutung für ihr Werk haben sollten. Sie zog sich vielmehr darauf zurück, dass sie in quantitativer Hinsicht unbedeutend seien.
229(iii) Für das Gericht kam noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu: Bei der Klägerin handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Anfängerin. Sie bewarb sich als bereits ernannte Universitätsprofessorin um eine Stelle als Universitätsprofessorin bei der Beklagten. Die Klägerin befand sich also auf höchstem akademischen Niveau, weshalb gerade im Hinblick auf die Einhaltung der wissenschaftlichen Redlichkeit strenge Maßstäbe anzulegen sind. Denn Universitätsprofessoren haben zum einen nach Innen dafür Sorge zu tragen, dass die Studierenden sowie der wissenschaftliche Nachwuchs an die Bedeutung der Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis herangeführt werden. Dies setzt Glaubwürdigkeit und wissenschaftliche Autorität voraus, die jedoch verloren ist, wenn der sie betreuende Professor oder die sie betreuende Professorin – und sei es auch nur an wenigen Stellen – die Grundsätze selbst nicht ernst nimmt. Zu anderen vertreten Universitätsprofessoren die Beklagte als Wissenschaftsinstitution im Bereich der Forschung selbstständig nach außen (vgl. § 35 Abs. 1, 3 HG NW). Sie sind damit wichtige Repräsentanten der Beklagten im akademischen Umfeld und in der Fachwelt. Ihre Reputation ist mit der Reputation ihrer Wissenschaftler eng verknüpft. Ungeahndete Nachlässigkeiten in der wissenschaftlichen Redlichkeit eines Professors oder einer Professorin fallen damit aber auch unmittelbar auf die Reputation der Beklagten selbst zurück. Bereits mit einem ersten Verstoß haftet einem Universitätsprofessor damit ein Makel an, der die vorherige Aussprache einer bloßen Abmahnung nicht zumutbar erscheinen lässt. Diese könnte das verlorene – aber in der Wissenschaft zwingend erforderliche – Vertrauen nicht wiederherstellen.
230(iv) Die Bedeutung der Grundsätze der wissenschaftlichen Redlichkeit sowie eines Verstoßes hiergegen war für die Klägerin erkennbar. Die Grundsätze sind Kernelement eines akademischen Rechtsverhältnisses, was schon § 4 Abs. 4 HG NW zeigt. Aus diesem Grund gilt Gleiches dafür, dass die Beklagte Verstöße nicht hinnehmen wird und kann.
231(3) Die Kammer folgt der Klägerin auch nicht darin, dass die Kündigung im Vergleich zu den ergriffenen Sanktionen bei verbeamteten Professoren unverhältnismäßig erscheint. Dabei verweist die Klägerin auf einen Fall einer Darmstädter Professorin für Soziologie, die trotz festgestellter Plagiate nicht ihres Amtes enthoben worden sei, sondern „nur“ andere (unbekannte) Disziplinarmaßnahmen ergriffen wurden.
232Zunächst fehlen der Kammer schon hinreichende Informationen über den Fall aus Darmstadt, um die Möglichkeit zu haben, ihn mit dem der Klägerin zu vergleichen. Entscheidender ist für das Gericht indes, dass die Fälle sich selbst dann nicht vergleichen ließen, wenn diese Informationen vorlägen. Die Klägerin ist keine verbeamtete Professorin. Sie begründete mit der Beklagten ein Arbeitsverhältnis. Der Prüfungsmaßstab ist demnach nicht das beamtenrechtliche Disziplinarrecht, sondern das – schwächer ausgestaltete – Kündigungsschutzrecht.
233(4) Andere mildere Mittel, die vor Ausspruch einer Kündigung in Frage hätten kommen können, sind nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Insbesondere hat die Beklagte eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, sodass sich nicht die Frage stellt, ob die ordentliche Kündigung einer außerordentlichen Kündigung vorrangig gewesen wäre.
234dd) Die im Einzelfall durchzuführende Interessenabwägung geht zulasten der Klägerin aus.
235(1) Im Rahmen der Interessenabwägung ist das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes bis zu dem Zeitpunkt, in dem es ohne Ausspruch der Kündigung enden würde, dem Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber zu stellen. Zu ermitteln ist, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zugemutet werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 20.08.2009 – 2 AZR 499/08 – juris Rn. 35 m. w. I.). Bei der Abwägung sind insbesondere die Art, Schwere und Häufigkeit der vorgeworfenen Pflichtverletzungen, einschließlich des Grades des Verschuldens sowie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, insbesondere die Dauer des ungestörten Verlaufs, zu berücksichtigen. Zudem sind auch mit der Pflichtverletzung eventuell verbundene betriebliche Ablaufstörungen oder sonstiger Störungen einzubeziehen.
236(2) Das wesentliche Interesse der Klägerin ist darin zu sehen, dass sie sich – gemessen an den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes – mit im Kündigungszeitpunkt 59 Jahren in einem fortgeschrittenen Alter befand. Die Klägerin macht selbst keine Ausführungen dazu, wie ihre Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sein könnten. Immerhin verfügt sie jedoch offenbar über ein solides berufliches Netzwerk, sodass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, die Klägerin könne keine neue Anstellung finden. Immerhin ist sie auch nach Ausspruch der Kündigung in zahlreichen Talkshows zu Gast gewesen, gab Interviews und publizierte weiter erfolgreich Bücher.
237(3) Die Kammer konnte indes als Interesse der Klägerin nicht deren – sicherlich eingetretenen – Reputationsschaden berücksichtigen. Denn hierzu steht die Kündigung der Beklagten nicht in einem Kausalitätsverhältnis. Der Reputationsverlust hat seine Ursache im wissenschaftlichen Fehlverhalten der Klägerin. Die Kündigung der Beklagten war eine (weitere) Folge.
238(4) Auch aus der Betriebszugehörigkeit vermag die Klägerin kein gesteigertes Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes herleiten zu können. Denn das Arbeitsverhältnis wurde zum 01.09.2021 begründet und soll durch die Kündigung bereits nach 1,5 Jahren zum 31.03.2023 sein Ende finden. Es handelt sich also um eine kurze Betriebszugehörigkeit.
239(5) Die Beklagte kann sich hingegen im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung auf eine schuldhafte und schwerwiegende Pflichtverletzung der Klägerin berufen. Da die Klägerin ihre Pflichten durch eine Täuschung verletzt hat, kann die Beklagte die Unzumutbarkeit auch darauf stützen, dass die Klägerin das ihr entgegengebrachte Vertrauen enttäuscht hat. Die Täuschung spielte sich zudem in einem Kernbereich des zwischen den Parteien bestehenden akademischen Rechtsverhältnisses ab. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
240(6) Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist demnach für die Klägerin im Wesentlichen (nur) ihr Alter zu berücksichtigen, während sich die Beklagte auf eine schwerwiegende Pflichtverletzung stützen kann. Auch wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – auch gemessen daran, dass die Klägerin wohlmöglich keine akademische Stelle mehr wird besetzen können – überwiegen die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für die Kammer erscheint es auch wegen der herausgehobenen Position der Klägerin als Universitätsprofessorin nicht möglich und zumutbar weiter zu beschäftigen. Die Klägerin könnte als Professorin im Hinblick auf die Bedeutung der wissenschaftlichen Redlichkeit gegenüber ihren Studierenden und dem wissenschaftlichen Nachwuchs nicht mehr glaubwürdig auftreten. Dies ist jedoch eine der zentralen Aufgaben einer Professorin und damit Grundvoraussetzung für das Aufrechterhalten des Arbeitsverhältnisses.
241c) Die Kündigung der Klägerin ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte gegen die GWP-O verstoßen hätte. Das Verfahren nach der GWP-O enthält keine erheblichen Fehler. Etwaige Fehler hätten in Ermangelung einer Kausalität keine Auswirkungen auf die Kündigung.
242aa) Das von der Beklagten durchgeführte Verfahren zur Ermittlung des wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Klägerin enthält keine erheblichen Fehler. Insbesondere ist Herr Professor W. hauptberuflich für die Beklagte tätig. Die Besetzung der Untersuchungskommission mit drei Männern hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Beschlüsse der Untersuchungskommission und die Klägerin wurde hinreichend Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.
243(1) Die Klägerin moniert zunächst, dass die Untersuchungskommission dadurch fehlerhaft besetzt gewesen sei soll, dass Herr Professor W. kein hauptberufliches Mitglied der Beklagten sei. Zu Mitgliedern beruft das Rektorat gemäß § 11 S. 2 GWP-O jeweils für die Dauer von drei Jahren drei Professor*innen, die hauptberuflich Mitglieder der Universität sein müssen und verschiedenen Fakultäten angehören. Eine hauptberufliche Tätigkeit ist in § 9 Abs. 1 S. 2 HG NW definiert. Hauptberuflich ist die Tätigkeit danach, wenn die Arbeitszeit oder der Umfang der Dienstaufgaben mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit umfasst oder der Hälfte des durchschnittlichen Umfangs der Dienstaufgaben des entsprechenden vollbeschäftigten Personals entspricht.
244Herr Professor W. war im Zeitpunkt der Untersuchung hauptberuflicher Professor der Beklagten und Inhaber eines Lehrstuhls für N. Wie die Beklagte im Einzelnen darlegte, führt weder seine Stellung als Direktor für Klinische Forschung des D noch seine Tätigkeit als Leiter der Klinik für N am Universitätsklinikum B zu einer anderen Bewertung.
245Die Stellung als Direktor am D schließt eine hauptberufliche Tätigkeit bei der Beklagten nicht aus. Herr Professor W. hatte auch als Direktor am D seine vollen Dienstaufgaben im Sinne von § 9 Abs. 1 S. 2 HG NW für die Beklagte zu erbringen. Die Beklagte hat mit dem D einen Kooperationsvertrag für eine gemeinsame Forschung abgeschlossen. Für seine Tätigkeit als Direktor am D war Herr Professor W. von seiner Tätigkeit als hauptberuflicher Hochschullehrer bei der Beklagten nicht beurlaubt und nahm vielmehr seinen Forschungsauftrag im Rahmen des Kooperationsvertrages gemeinsam mit den Ressourcen des D wahr. Dem entsprechenden Vortrag der Beklagten ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
246Es handelt sich insoweit um eine sog. gemeinsame Berufung nach dem Berliner Modell. Die gemeinsam berufene Person übt dabei die Funktion in der Forschungseinrichtung im Rahmen ihrer von der Hochschule festgelegten Dienstaufgaben (Hauptamt) aus, erhält jedoch für die Übernahme der Forschungs- und Leitungsaufgaben an der Forschungseinrichtung eine weitgehende Deputatreduzierung. An der Hochschule übernimmt die gemeinsam berufene Person Lehr- und Prüfungsverpflichtungen und ist zur Übernahme von Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung in derselben Weise verpflichtet und berechtigt wie die anderen Professorinnen und Professoren ihres Fachbereichs (zum Berliner Modell und den weiteren Modellen einer gemeinsamen Berufung siehe „Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung“ der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz vom 04.02.2014, S. 6 ff., abrufbar unter https://www.gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Papers/GWK-Heft-37-Gemeinsame-Berufungen.pdf, zuletzt abgerufen am 12.05.2024).
247Herr Professor W. war als Leiter der Klinik für N am Universitätsklinikum B auch in der Krankenversorgung tätig. Dies gehört nach § 35 Abs. 1 S. 2 HG NW zu seinen hauptberuflichen Aufgaben. Danach gehört es auch zu hauptberuflichen Aufgaben von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern, an der Verwaltung der Hochschule mitzuwirken, Prüfungen abzunehmen und weitere Aufgaben ihrer Hochschule nach § 3 wahrzunehmen, im Bereich der Medizin auch durch Tätigkeiten in der Krankenversorgung. Universitätskliniken wirken gemäß 31a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 HG NW als eigenständige Anstalten öffentlichen Rechts mit dem Fachbereich Medizin der Universität zur Erfüllung ihrer Aufgaben in Forschung und Lehre zusammen. Sie sind in der Krankenversorgung einschließlich der Hochleistungsmedizin und im öffentlichen Gesundheitswesen tätig und gewährleisten die Verbindung der Krankenversorgung mit Forschung und Lehre. Sie stellen dabei sicher, dass die Mitglieder der Universität die ihnen durch Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes und durch das Hochschulgesetz verbürgten Rechte wahrnehmen können.
248(2) Die Besetzung der Untersuchungskommission mit Herrn Professor HA, Herrn R. und Herrn Professor W. und damit mit drei Männern hat keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der durch die Untersuchungskommission getroffenen Beschlüsse.
249Gemäß § 11b Abs. 1 S. 1 HG NW müssen die Gremien der Hochschule geschlechtsparitätisch besetzt werden, es sei denn, im Einzelfall liegt eine sachlich begründete Ausnahme vor. Die Untersuchungskommission war im Zeitpunkt der Untersuchung der Werke der Klägerin nicht geschlechtergerecht besetzt. Daraus folgt jedoch nicht, dass im Falle einer fehlerhaften Besetzung die vom fehlerhaft besetzten Gremium getroffenen Beschlüsse unwirksam wären. Nach Abs. 4 sind die Ausnahmegründe für ein Abweichen von den Bestimmungen zur Gremienbesetzung in dem einzelnen Abweichungsfall aktenkundig zu machen. Sind die Ausnahmegründe im Falle der Besetzung des Rektorats, des Senats, des Fachbereichsrats oder der Berufungskommission nicht aktenkundig gemacht worden, ist das jeweilige Gremium unverzüglich aufzulösen und neu zu bilden, es sei denn, die Gründe werden unverzüglich nachträglich aktenkundig gemacht.
250Es kann offen bleiben, ob Ausnahmegründe für ein Abweichen von dem Erfordernis der geschlechtsparitätischen Besetzung aktenkundig gemacht wurden und ob § 11b HG NW überhaupt auf die Untersuchungskommission Anwendung findet. Aus einem Fehlen der Ausnahmegründe würde entgegen der Auffassung der Klägerin nicht folgen, dass der Beschluss der Untersuchungskommission unwirksam wäre. Aus der fehlenden Dokumentation von Ausnahmegründen folgt nach § 11b Abs. 4 Satz 2 HG NRW allenfalls, dass die Untersuchungskommission unverzüglich hätte aufgelöst und neu gebildet werden müssen, falls die Gründe nicht unverzüglich nachträglich aktenkundig gemacht worden sein sollten. Dies gilt auch für den Fall, dass keine Gründe vorgelegen haben sollten (und daher auch nicht dokumentiert wurden). Die unter Verstoß gegen § 11b Abs. 1 Satz 1 HG NRW gefassten Beschlüsse bleiben mit Blick auf den § 13 Abs. 4 HG NRW zu entnehmenden Grundsatz der Stabilität gefasster Beschlüsse fehlerhaft besetzter Gremien gleichwohl wirksam (so für einen fehlerhaft besetzten Fakultätsrat ausdrücklich OVG NRW, Beschluss vom 17.10.2019 – 14 B 1325/19 – juris Rdn. 5).
251(3) Die Klägerin ist auch gemäß § 12 Abs. 4 GWP-O ordnungsgemäß beteiligt worden. Der*Dem Betroffenen sind danach die belastenden Tatsachen und ggf. Beweismittel zur Kenntnis zu geben. Sowohl der*dem Betroffenen als auch der*dem Hinweisgebenden ist Gelegenheit zur Stellungnahme und zur mündlichen Äußerung zu geben.
252(i) Zunächst ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Untersuchungskommission der Klägerin trotz der bestehenden Arbeitsunfähigkeit keine Verlängerung der Stellungnahmefrist (bzw. deren unbefristeter Aussetzung) gewährt hat und auch die Termine zur mündlichen Anhörung nicht verschoben hat.
253Die Untersuchungskommission hat der Klägerin mit Schreiben vom 01.12.2022, der Klägerin am 14.12.2022 per E-Mail zugegangen, der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Verspätung des Zugangs war von der Untersuchungskommission nicht verschuldet. Die Klägerin war an ihrer Adresse in B, die der Beklagten bekannt war, nicht erreichbar. In der Begleit-E-Mail des Vorsitzenden der Untersuchungskommission wurde die Rückmeldefrist wegen der zeitlichen Verzögerung des Zugangs angemessen verlängert. Die Untersuchungskommission legte dabei der Klägerin die belastenden Tatsachen in Form einer tabellarischen Synopse, welche derjenigen entspricht, welche die Parteien auch im Rahmen dieses Rechtsstreits verwendeten, dar. Sie warf der Klägerin vor, dass der dringende Verdacht eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Form von Plagiaten bestehe. Es ist nicht ersichtlich, dass die Untersuchungskommission damit die Vorgaben aus § 12 Abs. 4 S. 1 GWP-O nicht eingehalten hätte.
254Der Bitte der Klägerin vom 15.12.2022 und vom 17.12.2022, die Stellungnahmefrist auszusetzen und die Möglichkeit zur mündlichen Äußerung zu verschieben, bis die Klägerin wieder genesen sei, kam die Untersuchungskommission nicht nach. Dies war im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden. Die Untersuchungskommission forderte von der Klägerin auf deren Attest vom 15.12.2022, Befundtatsachen offen zu legen, anhand derer sie eine eventuelle Unzumutbarkeit der Einhaltung der Frist ggf. auch unter Zuhilfenahme eines Bevollmächtigten infolge ihrer Erkrankung prüfen könnte. Hierauf ist die Klägerin nicht eingegangen. Stattdessen übersandte sie am 17.12.2022 ein weiteres Attest ihrer Ärztin vom 16.12.2022. Dieses übernimmt wörtlich die von der Untersuchungskommission beabsichtigte Entscheidung und bestätigt der Klägerin eine entsprechende Unzumutbarkeit. Befundtatsachen legt es nicht offen, sodass der Grund der Unzumutbarkeit nicht erkennbar wird. Dies musste die Untersuchungskommission nicht akzeptieren.
255Der Untersuchungskommission war bei der Entscheidung über eine Fristverlängerung Ermessen eingeräumt. Zwar enthält die GWP-O keine eigenen Regelungen zu einer Fristverlängerung. Der 2. Abschnitt der GWP-O hat jedoch den Charakter eines Verwaltungsverfahrens, sodass zumindest die Rechtsgedanken aus dem Verwaltungsverfahrensrecht Anwendung finden können. Nach § 31 Abs. 7 S. 1 VwVfG NW können Fristen, die von einer Behörde gesetzt sind, verlängert werden.
256Die Entscheidung der Untersuchungskommission, die Frist nicht zu verlängern bzw. auszusetzen, war nicht ermessensfehlerhaft. Zwar hätte die Kommission das Attest der Klägerin vom 16.12.2022 akzeptieren können. Sie war aber rechtlich nicht dazu verpflichtet. Denn es gab nicht unerhebliche Gründe für die Kommission, das Attest und die Unzumutbarkeit für die Klägerin in Frage zu stellen und die Unzumutbarkeitsprüfung anhand von Befundtatsachen selbst durchführen zu wollen. Denn die Klägerin ist im gleichen Zeitraum, für welchen sie sich selbst als gesundheitlich so eingeschränkt ansah, dass sie nicht einmal einen Bevollmächtigten mit der Wahrung ihrer Interessen im Untersuchungsverfahren beauftragen konnte, verschiedentlich in der Öffentlichkeit aufgetreten. So war es ihr offenbar gesundheitlich möglich, der Zeitung N Ende November ein 3,5-stündiges Interview zu geben, am 07.12.2022 ein einstündiges Live-Gespräch mit Frau D. zu führen und am 17.12.2022 über 42 Minuten Studiogast bei tv. für einen Beitrag über ihre Person zu sein. Zudem weist die Beklagte darauf hin, dass die Atteste auch deshalb in Frage stehen, da sie von einer B…er Ärztin stammen, während sich die Klägerin unstreitig in X. aufhielt, die Atteste also per „Ferndiagnose“ erfolgt sein müssen. Schließlich durfte und musste die Untersuchungskommission in ihre Ermessenentscheidung einstellen, dass die Klägerin keine Perspektive angab oder angeben konnte, wann mit ihrer Stellungnahme zu rechnen wäre. Sie bat vielmehr um Aussetzung des Verfahrens. Die Untersuchungskommission war schon aufgrund von § 12 Abs. 7 GWP-O und nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Berichterstattung auch im Interesse der Klägerin gehalten, das Verfahren zu beschleunigen und nicht auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Die Klägerin bestätigte in ihrem Schreiben vom 14.01.2023 selbst, dass sie ein großes Interesse daran hatte, dass die Kommission „schnell und umfassend ihre Arbeit aufnehmen und zügig über die monierten Verdachtsfälle entscheiden kann“.
257(ii) Auch die Formulierung der Untersuchungskommission im Anhörungsschreiben, die Klägerin könne schriftlich Stellung nehmen oder sich mündlich äußern, stellt keinen erheblichen Verfahrensfehler dar. Es ist zwar zutreffend, dass § 12 Abs. 4 GWP-O ausdrücklich vorsieht, dass dem oder der Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme und zur mündlichen Äußerung zu geben ist. Nach der Bewertung der Kammer handelt es sich im Anhörungsschreiben der Untersuchungskommission jedoch um einen bloßen Formulierungsfehler. Es ist nicht ersichtlich, dass die Untersuchungskommission der Klägerin die Möglichkeit abschneiden wollte, sowohl von einer schriftlichen als auch von einer mündlichen Stellungnahme Gebrauch zu machen. Dies gilt zumal die Untersuchungskommission die Rechtsgrundlage in Bezug nahm und die anwaltlich vertretene Klägerin nicht etwa erfolglos forderte, von beiden Möglichkeiten Gebrauch machen zu dürfen, sondern insgesamt eine Aussetzung verlangte.
258(iii) Letztlich wären etwaige Fehler der Untersuchungskommission im Anhörungsverfahren jedoch schon deshalb nicht relevant, da sie keinen Einfluss auf die Entscheidung der Untersuchungskommission gehabt hätten. Denn die Klägerin machte mit Schreiben vom 14.01.2023 an die Untersuchungskommission von ihrem Stellungnahmerecht Gebrauch und ihr Schreiben wurde unstreitig von der Kommission in deren Entscheidung berücksichtigt. Auch wenn die Klägerin dieses Schreiben selbst nicht als „offizielle Stellungnahme“ verstanden wissen wollte, machte sie hierbei die für sie maßgeblichen Interessen deutlich. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die gleichen Gesichtspunkte, die auch im vorliegenden Rechtsstreit angeführt werden, nämlich, dass es sich bei den drei Werken nicht um wissenschaftliche Publikationen handle, der Umfang der monierten Stellen unwesentlich sei und der Umstand, wie die Werke – insbesondere „ Titel 1“ – entstanden seien. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren Interessen die Klägerin noch hätte einbringen wollen, die erheblichen Einfluss auf die Entscheidung der Untersuchungskommission gehabt hätten, (vgl. § 46 VwVfG NW zu Verwaltungsakten, die entgegen Form- und Verfahrensvorschriften erlassen wurden).
259(4) Sonstige Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich.
260Insbesondere hat Herr Professor G als Ombudsperson gemäß § 10 GWP-O ein Vorermittlungsverfahren durchgeführt, dabei der Klägerin die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben und aufgrund der Ergebnisse seiner Vorermittlungen die Eröffnung eines Untersuchungsverfahrens durch die Untersuchungskommission beantragt. Er hat hiervon und von dem Ergebnis seiner Vorermittlungen den Rektor der Beklagten und die Klägerin in Kenntnis gesetzt. Die Klägerin ist dem entsprechenden substantiierten Vortrag der Beklagten nicht entgegengetreten.
261Dass die mögliche Befangenheit der Kommissionsmitglieder durch den Rektor der Beklagten zu prüfen wäre, wie die Klägerin meint, ergibt sich § 12 Abs. 1 S. 2 GWP-O nicht. Dies obliegt vielmehr der Untersuchungskommission in eigener Zuständigkeit. Zwischen den Parteien blieb es unstreitig, dass die Untersuchungskommission die Befangenheit ihrer Mitglieder vorab geprüft und unabhängig davon den Rektor hierüber am 30.09.2023 per Videotelefonat in Kenntnis gesetzt hat. Anhaltspunkte, dass eine Befangenheit bestanden haben könnte, sind nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht dargelegt.
262Auch soweit die Klägerin zunächst bestritt, dass das Rektorat auf der Grundlage von Bericht und Empfehlung der Untersuchungskommission eine eigene Entscheidung getroffen hätte, hat die Beklagte daraufhin unter Vorlage der entsprechenden Protokolle den Entscheidungsweg des Rektorats im Einzelnen nachgezeichnet. Hierauf ist die Klägerin nicht mehr eingegangen, sodass der Vortrag als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO
263bb) Das Gericht sieht unabhängig davon in einem etwaig fehlerhaften Verfahren nach der GWP-O keinen Unwirksamkeitsgrund für die streitgegenständliche Kündigung.
264Der Klägerin ist zwar zunächst zuzugeben, dass die Untersuchungskommission nach § 12 Abs. 6 GWP-O im Falle der Feststellung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens, auch über die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens, insbesondere über mögliche Folgen zu beraten hat und hierbei neben der Veranlassung von arbeits- oder dienstrechtlichen Sanktionen auch die Einleitung akademischer, zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Konsequenzen in Betracht kommen. Auch soll der Untersuchungsbericht nach § 12 Abs. 7 S. 2 GWP-O einen Vorschlag für das weitere Vorgehen des Rektorats enthalten.
265Dies führt indes nicht dazu, dass ein fehlerhaftes Untersuchungsverfahren eine auf der Grundlage des Berichtes vorgenommene Kündigung unwirksam wäre. Denn nach § 13 Abs. 1 S. 2 GWP-O ist die Untersuchungskommission nicht das entscheidende Gremium. Vielmehr hat das Rektorat über die Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens sowie über die Folgen, etwa eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses, in eigener Zuständigkeit zu entscheiden. Das Untersuchungsverfahren und die Empfehlung der Untersuchungskommission sind für das Rektorat nicht verbindlich. Verfahrensfehler sind damit regelmäßig nicht kausal für die Entscheidung des Rektorates. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – (potentielle) Verfahrensfehler keine Auswirkungen auf die inhaltliche Entscheidung der Kommission hatten. Das Verfahren vor der Untersuchungskommission und die Entscheidung des Rektorates sind unabhängig. Die GWP-O enthält auch keine Regelung, dass Verfahrensfehler zur Unwirksamkeit einer etwaigen Kündigung führen würden. Insoweit liegt (jedenfalls) keine Selbstbindung der Beklagten vor.
266Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass die GWP-O ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB beinhalten würde. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Verbotsgesetz in diesem Sinne ist eine Rechtsnorm, die die Vornahme eines nach seiner allgemeinen Natur grundsätzlich rechtlich möglichen Rechtsgeschäfts wegen seines Inhalts bzw. des mit ihm bezweckten Erfolgs oder auf Grund besonderer Umstände seiner Vornahme untersagt (OLG Koblenz, Urteil vom 29.12.2020 – 3 U 383/20 – juris Rdn. 28 m.w.N.). Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Verfahrensvorschriften aus der GWP-O ein solches Verbot beinhalten würden. Es kann daher offen bleiben, ob die GWP-O ein Gesetz im Sinne von § 134 BGB darstellt.
267d) Die Beklagte musste ihren Personalrat (für das wissenschaftliche Personal) nicht beteiligen, sodass aus der fehlenden Anhörung keine Unwirksamkeit folgt.
268Das Personalvertretungsrecht findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Nach § 5 Abs. 4 lit. a) LPersVG NW gelten Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer nicht als Beschäftigte im Sinne des Gesetzes. Aufgrund dieser Fiktion findet das LPersVG NW für die Klägerin als Universitätsprofessorin keine Anwendung.
269a) Der Antrag ist als unechter Hilfsantrag zu verstehen. Hinsichtlich des Anspruchs auf vorläufige Weiterbeschäftigung bezieht sich die Klägerin ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (GS 1/84 - BAGE 48, 122). Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung während eines Kündigungsschutzverfahrens wird regelmäßig ein unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag sein. Das gilt auch dann, wenn die Formulierung des Antrags seinen Hilfscharakter nicht unmittelbar zu erkennen gibt. (BAG, Urteil vom 07.05.2020 – 2 AZR 692/19 – juris Rdn. 62 m.w.N.). Die Ausführungen der Klägerin im vorliegenden Fall geben keinen Anlass zu einem anderen Verständnis. Die Klägerin hat insbesondere nicht – entgegen ihres Kosteninteresses – erklärt, dass es sich nicht um einen Hilfsantrag handeln soll.
271b) Die Kammer hat den Kündigungsschutzantrag der Klägerin abgewiesen, sodass der unechte Hilfsantrag nicht zur Entscheidung anfiel.
272II.
273Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO Die Klägerin hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
274III.
275Mangels Vorliegens der Voraussetzungen war die Berufung nicht gesondert zuzulassen.
276Den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzenden Wert des Streitgegenstandes hat die Kammer auf 33.795,51 Euro festgesetzt. Grundlage hierfür sind § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 3 ff. ZPO Die Kammer hat für den Kündigungsschutzantrag eine Quartalsvergütung der Klägerin berücksichtigt.