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1. Im Rahmen des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist eine sachliche Rechtfertigung für die Bildung unterschiedlicher Arbeitnehmergruppen grundsätzlich bezogen auf alle mit einer Leistung verfolgten Zwecke zu prüfen.
2. Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit können aus Gleichbehandlungsgründen die Zahlung einer den aktiven Mitarbeitern geleisteten Inflationsausgleichsprämie verlangen.
3. Es kann eine mittelbare Altersdiskriminierung bedeuten, wenn Altersteilzeitler in der Freistellungphase von der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie ausgenommen werden.
4. Es kann eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bedeuten, wenn diesen die Inflationsausgleichsprämie nur anteilig im Verhältnis ihrer Arbeitszeit zur Vollzeit-Arbeitszeit gezahlt wird.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.500,00 EUR seit dem 01.02.2023 und aus weiteren 1.500,00 EUR seit dem 01.08.2023 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert beträgt 3.000,00 EUR.
4. Die Berufung wird gesondert zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie.
3Der Kläger ist seit dem 01.10.1990 bei der Beklagten beschäftigt. Mit schriftlicher Abrede vom 01.02.2016 vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis ab dem 01.12.2016 bis zum 31.05.2026 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit einer Arbeitszeit von 50% eines Vollzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell fortgeführt werden solle. Der Altersteilzeitarbeitsvertrag nimmt in Ziffer 12.2. unter anderem auf die Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit (BV ATZ) in ihrer jeweils gültigen Fassung Bezug. Diese enthält in Ziffer 7.2. unter anderem folgende Regelungen:
4„7.2 Arbeitsentgelt während der Altersteilzeit Das Arbeitsentgelt während der Altersteilzeit richtet sich nach den tariflichen, betrieblichen und arbeitsvertraglichen Bedingungen und beträgt - ohne den Aufstockungsbetrag - für die Arbeits-sowie Freistellungsphase zunächst jeweils 50% des Vollzeitarbeitsentgeltes.
5Variable Entgeltbestandteile wie Boni oder Einmalzahlungen werden während der Arbeitsphase in voller Höhe ausbezahlt. Sie entfallen während der Freistellungsphase.
6Übrige variable Entgeltbestandteile wie übertarifliches Weihnachts-bzw. Urlaubsgeld, etc. sowie das letzte Monatsentgelt werden in der Freistellungsphase termingerecht entsprechend der letzten Zahlung in der Arbeitsphase gezahlt.
7[…]“
8Nach Ziffer 3 der Änderung der Betriebsvereinbarung vom 01.11.2022 wird das monatliche Nettoentgelt von der Beklagten so aufgestockt, dass es mindestens 90% des entsprechenden, gewöhnlichen Nettoentgelts einer Vollzeitstelle entspricht (Bl. 21 d.A.). Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Altersteilzeitvertrag (Bl. 7 ff. d.A.) und die Betriebsvereinbarung sowie ihre nachfolgende Änderung Bezug genommen (Bl. 11 ff. d.A.). Zum 01.09.2021 trat der Kläger in die Freistellungsphase der Altersteilzeit ein.
9Am 13.10.2022 informierte die Beklagte ihre Arbeitnehmer auf einer Betriebsversammlung über eine bevorstehende freiwillige Zahlung einer Inflationsausgleichs-Sonderzahlung.
10Am 06.01.2023 veröffentlichte die Beklagte im Intranet folgendes Mitarbeiterschreiben:
11„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
12ein besonderes Jahr liegt hinter uns, das uns nicht nur beruflich beansprucht hat, sondern auch stark steigende Kosten in vielen Bereichen des täglichen Lebens brachte.
13Wir möchten 2023 deshalb mit einer guten Neuigkeit beginnen und Euch mit einer Sonderprämie eine finanzielle Entlastung ermöglichen.
14Einmalig und zusätzlich zu Eurem bestehenden Arbeitslohn erhaltet Ihr mit der Januar-Abrechnung eine Inflationsausgleichsprämie* in folgender Höhe:
15T MitarbeiterInnen |
Trainees |
PraktikantInnen |
1.500,00 € |
750,00 € |
375,00 € |
* Details zu den Modalitäten siehe unten.
17Das Schöne daran:
18Die Bundesregierung hat dafür einen Rahmen geschaffen, der diese Prämie steuer- und sozialabgabenfrei macht. Sie kommt Euch also in voller Höhe zugute.
19Mit dieser Unterstützung verbinden wir unseren Dank für Euren besonderen Einsatz und freuen uns auf ein gemeinsam erfolgreiches 2023.
20Beste Grüße Euer TD Management Team
21*Details: Auszahlungsmodalitäten der Inflationsausgleichsprämie:
22Berechtigte: Unbefristete und befristete T MitarbeiterInnen, sowie Trainees, PraktikantInnen, MitarbeiterInnen in der ATZ-Arbeitsphase und von TD Entsandte (Expats), Status Januar 2023.
23Ausgenommen von der Zahlung sind MitarbeiterInnen in der ATZ-Freiphase, Arbeitnehmerüberlassungen, Contractors und zu TD Entsandte (Impats).
24Bei reduzierter Arbeitszeit wird die Prämie anteilig gezahlt.
25Hinweis: Es handelt sich um eine einmalige, freiwillige Zahlung, die ohne Rechtsanspruch erfolgt und auch keinen Anspruch für die Zukunft begründet. Die Prämie ist eine Nettozahlung, von der keine Sozialversicherungsbeiträge oder Lohnsteuer abgeführt werden.“
26Der Aushang war nur aktiven Arbeitnehmern, nicht dagegen Arbeitnehmern in der Freistellungsphase der Altersteilzeit zugänglich.
27Im Anschluss daran zahlte die Beklagte noch im Januar die angekündigte Prämie aus, wobei zwischen den Parteien im Einzelnen streitig ist, an welche Arbeitnehmergruppen die Prämie gezahlt wurde.
28Unter dem 23.03.2023 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Regelungsabrede, mit der die Modalitäten der Inflationsausgleichsprämie weiter konkretisiert werden sollten (vgl. Anlage B 2 zum S v. 22.12.2023, Bl. 70 ff. d.A.). In der Regelungsabrede wurden dieselben Arbeitnehmergruppen als anspruchsberechtigt bezeichnet wie im Aushang vom 06.01.2023. Zudem wurden dieselben Arbeitnehmergruppen aufgezählt, die von einer Zahlung ausgenommen bleiben sollten. Als „Sachgründe“ führte die Beklagte an, dass alle in den Monaten Januar 2023 und März 2023 im Betrieb beschäftigten und für die Beklagte eine Arbeitsleistung erbringenden Arbeitnehmer iSv. § 5 BetrVG berechtigt sein sollten. Die Prämie solle einen Ausgleich für die Belastungen durch die Inflation bewirken. Der erste Teil der Prämie sollte – wie bereits geschehen – im Januar 2023 ausgezahlt werden, der zweite Teil im Juli 2023, was in der Folge auch geschah. Nachdem der nicht bei der Auszahlung berücksichtigte Kläger gegenüber der Beklagten die Inflationsausgleichsprämie erfolglos geltend machte, verfolgt er den Anspruch mit der Klage weiter.
29Er behauptet, die Beklagte habe bereits auf der Betriebsversammlung vom 13.10.2022 den Arbeitnehmern die Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000,00 EUR, zahlbar in zwei Tranchen zugesagt. Die Beklagte habe außerdem die Inflationsausgleichsprämie an andere Beschäftigungsgruppen geleistet, die ebenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt keine Arbeitsleistung erbracht hätten. Dazu hätten zwei Arbeitnehmerinnen in Mutterschutz gezählt – was unstreitig ist – sowie langzeiterkrankte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer in Elternzeit.
30Der Kläger ist der Ansicht, die Ausklammerung der Beschäftigten in der Freistellungsphase der Altersteilzeit aus dem Berechtigtenkreis der Inflationsausgleichsprämie sei unwirksam. Auch dieser Arbeitnehmergruppe stehe die volle Einmalzahlung in Höhe von 3.000,00 EUR als „übriges Entgelt“ im Sinne von Ziffer 7.2 BV ATZ zu. Die Herausnahme verstoße gegen den arbeitsrechtlichen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Es erkläre sich auch nicht, warum er nur 50% der Prämie erhalten solle.
31Der Kläger beantragt,
32die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 3.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.500,00 EUR seit dem 01.02.2023 und aus weiteren 1.500,00 EUR seit dem 01.08.2023 zu zahlen.
33Die Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Die Beklagte behauptet, auf der Personalversammlung am 13.10.2022 seien die Möglichkeiten einer Inflationsausgleichsprämie erörtert worden. Es sei von Arbeitgeberseite aber darauf hingewiesen worden, dass die Höhe und der Berechtigtenkreis noch mit dem Betriebsrat abgestimmt werden müssten. Zwei Arbeitnehmerinnen im Mutterschutz hätten die Prämie erhalten, weil sie - die Beklagte - sich aus Rechtsgründen dazu verpflichtet gesehen habe. An Arbeitnehmer in Elternzeit und an langzeiterkrankte Arbeitnehmer sei sie dagegen nicht gezahlt worden. Zweck der Leistung sei es gewesen, inflationsbedingte Nachteile auszugleichen und die Arbeitsbelastung und Leistung der Mitarbeiter im zurückliegenden Jahr zu belohnen. Dementsprechend hätten nur „aktive Mitarbeiter“ begünstigt werden sollen, also unter Herausnahme von Mitarbeitern, die sich zu den beiden Stichtagen etwa in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befunden hätten. Maßgeblich habe der Status im Januar beziehungsweise März 2023 sein sollen.
36Die Beklagte ist der Ansicht, die Herausnahme der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit von der Zahlung sei bereits aufgrund der Besonderheiten der Altersteilzeit im Blockmodell gerechtfertigt. Da diesen nur noch das in der Arbeitsphase erarbeitete Arbeitsentgelt ausbezahlt würde, dürften sie in der Freistellungsphase von Sonderleistungen ausgeschlossen werden, die nicht an die zuvor erbrachte Arbeitsleistung anknüpften. Auch seien diese Arbeitnehmer nicht mehr betriebszugehörig im Sinne des Betriebsverfassungsrechts, was ihre Herausnahme aus dem Berechtigtenkreis rechtfertige. Bei typisierender Betrachtungsweise würden Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit schließlich in geringerem Maße durch die Inflation belastet als Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz regelmäßig aufsuchten. Letztere hätten höhere Aufwendungen durch die Fahrt zum Arbeitsplatz, die Inanspruchnahme von Dienstleistungen und die auswärtige Verpflegung. Zudem sei die Altersversorgung der Altersteilzeitler meist bereits ausfinanziert. Etwaige Kinder seien nicht mehr unterhaltsberechtigt.
37Jedenfalls habe der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung der vollen Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000,00 EUR, weil sein Arbeitsentgelt während der Altersteilzeit nur noch 50% des Vollzeitarbeitsentgelts betrage. Für leistungsberechtigte Teilzeitarbeitnehmer sei nur eine anteilige Zahlung vorgesehen.
38Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie der Terminsprotokolle Bezug genommen.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
40I. Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 611 a Abs. 2 BGB iVm. Ziffer 4 des Altersteilzeitvertrags, ihrer Gesamtzusage zur Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000,00 EUR nebst Zinsen verlangen. Unabhängig davon, ob die Beklagte sich bereits im Oktober 2022 gegenüber der zur Personalversammlung eingeladenen (aktiven) Belegschaft gebunden oder eine verbindliche Gesamtzusage erst in Januar und März 2023 geleistet hat, folgt ein Anspruch des Klägers nur im Zusammenhang mit seinem grundsätzlichen Entgeltanspruch und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, so dass von einem einheitlichen Streitgegenstand auszugehen war.
411. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt (vgl. nur BAG, Urteil vom 26. April 2023 – 10 AZR 137/22 –, Rn. 22, juris).
42Liegen der Leistung bestimmte, vom Arbeitgeber formulierte Voraussetzungen zugrunde, muss die vom Arbeitgeber damit selbst geschaffene Gruppenbildung gemessen am Zweck der Leistung sachlich gerechtfertigt sein. Dies ist der Fall, wenn die Differenzierungsgründe unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Leistung auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen und nicht gegen verfassungsrechtliche Wertentscheidungen oder gesetzliche Verbote verstoßen. Lässt sich die mit der arbeitgeberseitigen Festlegung der Anspruchsvoraussetzungen bei der „Normaufstellung“ verbundene Ausgrenzung anderer Arbeitnehmer, die diese Anforderungen nicht erfüllen, gemessen am Zweck der Leistung dagegen nicht sachlich rechtfertigen, ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt (BAG, Urteil vom 14. August 2018 – 1 AZR 287/17 –, BAGE 163, 219-233, Rn. 25; Urteil vom 21. Mai 2014 – 4 AZR 50/13 –, BAGE 148, 139-157, Rn. 22).
43Verfolgt der Arbeitgeber mit einer Sonderzahlung mehrere Zwecke, muss die Ausge-staltung der Anspruchsvoraussetzungen mit Blick auf jeden der Zwecke sachlich gerechtfertigt sein (vgl. BAG, Urteil vom 5. August 2009 – 10 AZR 666/08 –, Rn. 15, juris; MüKoBGB/Spinner, 9. Aufl. 2023, BGB § 611a Rn. 1052).
44Arbeitnehmer, die ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt wurden, können die Leistung, von der sie nach der Regelbildung des Arbeitgebers wegen Nichterfüllung des gleichbehandlungswidrigen Tatbestandsmerkmals ausgeschlossen wurden, von diesem verlangen, wenn es keine weiteren Voraussetzungen gibt oder wenn etwaige weitere Voraussetzungen von ihnen erfüllt werden (BAG, Urteil vom 14. August 2018 – 1 AZR 287/17 –, BAGE 163, 219-233, Rn. 25).
452. Die Ausnahme der Altersteilzeitler in der Freistellungsphase und damit des Klägers von der den „aktiven Arbeitnehmern“ zugesagten und geleisteten Inflationsausgleichsprämie ist – gemessen an ihren Zwecken - nicht sachlich gerechtfertigt. Aufgrund des damit gegebenen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz kann der Kläger Zahlung der vollen Inflationsausgleichsprämie verlangen.
46a) Die Beklagte hat mit dem Versprechen und der Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie nach ihrem Vortrag einerseits den begünstigten Arbeitnehmern eine Entlastung in Hinblick auf die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten bieten (insoweit anders als im Sachverhalt zu ArbG Mannheim, Urteil vom 15. Februar 2024 – 8 Ca 181/23 –, Rn. 89, juris) und andererseits die Arbeitsbelastung und Leistung der Mitarbeiter im zurückliegenden Jahr belohnen wollen (zutreffend zur [arbeitsrechtlichen] Zulässigkeit mehrerer Zwecksetzungen: ArbG Stuttgart, Urteil vom 14. November 2023 – 3 Ca 2713/23 –, Rn. 28, juris; Uffmann, NZA 2023, 65, 72). Jedenfalls in Hinblick auf den Zweck des Teuerungsausgleichs sind auch die Altersteilzeitler in der Freistellungsphase – unabhängig ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerstellung - den aktiven Arbeitnehmern vergleichbar, da auch sie von dem Kaufkraftverlust betroffen sind.
47b) Es kann dahinstehen, ob die Beklagte diese Zwecke in konsistenter Weise umgesetzt hat. Hieran bestehen mit Blick auf den Vergütungszweck deshalb Zweifel, weil sie ausweislich der selbst gesetzten Anspruchsvoraussetzungen nicht auf eine Arbeitsleistung in den (jeweils) vergangenen zwölf Monaten oder dem vergangenen Kalenderjahr, sondern darauf abgestellt hat, ob zu den „Stichzeiträumen“ Januar und März 2023 ein „aktives Arbeitsverhältnis“ bestanden hat. Aus diesem Umstand ergibt sich indes nicht, dass der jeweilige Arbeitnehmer im letzten Jahr Arbeitsleistungen erbracht und besondere Arbeitsbelastungen erduldet hat.
48c) Jedenfalls ist die Ausnahme der Arbeitnehmer in der Altersteilzeit-Freistellungsphase von der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie nicht sachlich gerechtfertigt [Zum Verstoß gegen gesetzliche Verbote – vgl. unter e) und f)].
49Zwar wäre es möglicherweise in Hinblick auf den verfolgen Vergütungszweck gerechtfertigt gewesen, sie im geringeren Umfang als die aktiven Arbeitnehmer zu bedenken. Mit Blick auf den (auch) verfolgten Sozialzweck (Teuerungsausgleich) ist jedoch kein Sachgrund dafür ersichtlich, die Altersteilzeitler in der Freistellung vollkommen von der Leistung auszunehmen (vgl. die Wertung bei: BAG, Urteil vom 17. Mai 1978 – 5 AZR 132/77 –, Rn. 25, juris). Da für die steuerliche Privilegierung nach § 3 Nr. 11c EStG nur der Bestand des Arbeitsverhältnisses ausschlaggebend ist (vgl. etwa Uffmann, NZA 2023, 65, 67), rechtfertigt sich ihre Ausnahme von der Leistung auch nicht mit Blick auf die Absicht zur Ausnutzung dieses Steuerprivilegs. Angesichts der erheblichen Höhe der hierdurch ersparten Abgaben kann der Sozialzweck auch nicht als in der arbeitsrechtlichen Betrachtung zu vernachlässigend angesehen werden.
50Dass die Altersteilzeitler in der Freistellung von der Teuerung gar nicht betroffen sind, hat die Beklagte nicht behauptet. Es kann dahinstehen, ob die Inflation bzw. die gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise (vgl. BT-Drs. 20/3763, S. 6) sie in einem geringeren Umfang treffen als „aktive“ Arbeitnehmer. Betroffen vom Kaufkraftverlust ist jedenfalls immer 100% des vorhandenen Vermögens und Einkommens. Auch mit Blick auf die Betroffenheit in absoluten Beträgen ergibt sich nicht schlüssig eine – zudem wesentlich – geringere Belastung inaktiver Arbeitnehmer. Das gilt umso mehr, wenn sich die Betrachtung auf einzelne „Stichmonate“ beschränkt, in denen auch bei den aktiven Arbeitnehmern nicht notwendigerweise arbeitsbedingte Aufwände entstanden sind. Die Kammer geht allerdings davon aus, dass der inflationsbedingte Kaufkraftverlust umso eher zu einer Beeinträchtigung in der Erfüllung jedenfalls der „Grundbedürfnisse des Lebens“ führt, je geringer das Einkommen und Vermögen des jeweiligen Arbeitnehmers ist (vgl. BAG, Urteil vom 17. Mai 1978 – 5 AZR 132/77 –, Rn. 23 - 27, juris: „unteren Einkommensschichten […] besonders zu leiden haben“; vgl. auch Uffmann, NZA 2023, 65, 72).
51Die von der Beklagten vorgebrachten Argumente, um eine geringere Betroffenheit der Altersteilzeitler in Freistellung zu begründen, vermögen jedenfalls eine vollkommene Ausnahme vom Teuerungsausgleich nicht zu rechtfertigen. Nicht nur, dass sie wenig logisch erscheinen: Aufwendungen freigestellter Arbeitnehmer mögen für andere Zwecke – aber nicht notwendig in geringerer Höhe - entstehen als für arbeitende Mitarbeiter. Zudem leiden Arbeitnehmer mit bereits ausfinanzierter Altersversorgung möglicherweise deshalb besonders unter dem Kaufkraftverlust, weil ihnen keine oder nur noch eingeschränkte Möglichkeiten offen stehen, diesen durch einen veränderten Einsatz ihrer Arbeitskraft auszugleichen. Es kann auch dahinstehen, ob die Beklagte die von ihr angenommene unterschiedliche Belastung verschiedener Arbeitnehmergruppen konsistent in den Anspruchsvoraussetzungen widergespiegelt hat (hierzu: ArbG Dortmund, Urteil vom 2. November 2023 – 6 Ca 2854/23 –, Rn. 38 ff., juris). Jedenfalls aber sind diese Arbeitnehmer nicht derart gering von der allgemeinen Teuerung betroffen, dass ihr vollständiger Ausschluss von der Ausgleichsleistung gerechtfertigt werden könnte. Ob etwas anderes im Rahmen der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) für Regelung der Tarifparteien gelten kann, ist hier nicht zu entscheiden (hierzu: ArbG Essen, Urteil vom 23. Oktober 2023 – 6 Ca 1687/23 –, Rn. 43 ff., juris).
52Anders als die Beklagte im Kammertermin vortragen hat, kann bei objektiver Betrachtung auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Altersteilzeitler durch die – durchaus attraktiven - Leistungszugsagen der Beklagten im Rahmen der Ausgestaltung der Altersteilzeit (Aufstockung auf 90% des Vollzeit-Nettoentgelts, Gehalts-Anpassung auch in der Freistellungsphase, zusätzliche Beiträge zur Rentenversicherung) mit Blick auf die später eingetretene Teuerung bereits ausreichend kompensiert sind, der Sozialzweck der Inflationsausgleichsprämie also gleichsam „vorab“ erfüllt wurde. Denn es ist nicht ersichtlich, dass und in welchem Umfang die seinerzeit zugesagten Leistungen nicht bereits Teil des vertraglichen Äquivalenz- und Austauschverhältnisses des Altersteilzeitvertrages waren und dass und in welchem Umfang sie darüber hinaus dem Ausgleich einer – bereits vorhergesehenen Inflation – dienen sollten.
53d) Folge des Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ist die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung derjenigen Leistung, die ein aktiver Vollzeitarbeitnehmer erhalten hat (vgl. ArbG Dortmund, Urteil vom 2. November 2023 – 6 Ca 2854/23 –, Rn. 24, juris). Der in der Zusage der Beklagten vorgesehene Differenzierung nach dem Umfang der geschuldeten Arbeitszeit fehlt es mit Blick auf den verfolgen Sozialzweck ebenfalls an einer sachlichen Rechtfertigung. Es ist angesichts der getroffenen Zwecksetzungen nicht gerechtfertigt, Arbeitnehmer mit einer nur hälftigen Arbeitsverpflichtung und entsprechend hälftiger Arbeitsvergütung nur zur Hälfte am Teuerungsausgleich teilhaben zulassen. Ebenso wenig wie bei dauerhaft freigestellten Arbeitnehmern kann davon ausgegangen werden, dass diese Arbeitnehmer nur in einem dem Ausmaß ihrer Arbeitszeitreduzierung entsprechendem Maß von der Teuerung betroffen sind. Damit führt die Reduzierung der Inflationsausgleichsprämie auf das anteilige Maß ihres Arbeitszeitanteils zu einer Unterkompensierung in Hinblick auf den beabsichtigten Teuerungsausgleich. Wie auch die auf einen Höchstbetrag festgeschriebene gesetzliche Regelung nahelegt, besteht die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer Inflationsausgleichszahlung nicht proportional zur Einkommenshöhe.
54e) Der vollständige Ausschluss der Altersteilzeitler in der Freistellungsphase von der Inflationsausgleichsprämie in der entsprechenden Gesamtzusage der Beklagten ist zudem nach § 7 Abs. 2 AGG rechtsunwirksam. Die Beschränkung wirkt mittelbar benachteiligend (§ 3 Abs. 2 AGG) aufgrund des Alters, weil von ihr in besonderer Weise Arbeitnehmer höheren Alters – nämlich ab Vollendung des 59. Lebensjahres (vgl. Ziffer 1 der 3. Änderung der BV ATZ vom 01.11.2022, Anlage K3) – betroffen sind. Eine sachliche Rechtfertigung im Sinne von § 3 Abs. 2 Halbsatz 2 AGG ist nicht ersichtlich. Denn mit Blick auf den verfolgten Zweck des Teuerungsausgleichs ist es nach dem Vorhergesagten nicht angemessen und erforderlich, die Altersteilzeitler vollständig von der Leistung auszunehmen. Die Vorteile, welche die Altersteilzeitler aus der früheren Beendigung ihrer „aktiven Beschäftigung“ ziehen, können aus Sicht der Kammer nicht zur Rechtfertigung ihrer Ausnahme von der Sozialleistung herangezogen werden (aA: ArbG Essen, Urteil vom 23. Oktober 2023 – 6 Ca 1687/23 –, Rn. 58, juris), weil nicht ersichtlich ist, dass und inwieweit sie im Äquivalenzverhältnis der vereinbarten Altersteilzeit die eingegangenen Nachteile überkompensiert haben. Die Kammer geht davon aus, dass die Beklagte die Altersteilzeitvereinbarungen nicht uneigennützig eingegangen ist.
55Folge eines Verstoßes gegen § 7 AGG ist nach aktueller Rechtsprechung grundsätzlich die Anpassung „nach oben“ (vgl. BeckOGK/Benecke, 1.12.2023, AGG § 7 Rn. 46).
56f) Ebenso ist die anteilige Reduzierung der Prämie im Umfang der Arbeitszeitreduzierung der Teilzeitler – und damit des Klägers - wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG nach § 134 BGB rechtsunwirksam. Denn mit Blick wiederum auf den mit der Leistung verfolgten Sozialzweck erweist sich der anteilige Ausschluss vom Teuerungsausgleich der grundsätzlich vergleichbaren Teilzeitler als nicht angemessen (zur zweckbezogenen Betrachtung: Boecken/Joussen, TzBfG § 4 Rn. 35; zur Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung: EuArbRK/Kietaibl, 5. Aufl. 2024, RL 97/81/EG § 4 Rn. 16). Dies gilt für die Altersteilzeitler schon deshalb, weil die Beklagte hier die beiden Gruppen „in Arbeitsphase“ und „in Freistellung“ nicht gleich behandelt und also das Prinzip einer aliquoten Berücksichtigung je nach vertraglichem Arbeitszeitvolumen (bei beiden Gruppen 50%) nicht konsistent durchgeführt hat.
57Der Aliquotierungsgrundsatz des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG kann zudem dort keine Anwendung finden, wo die in Frage stehende Leistung nicht - vollständig oder jedenfalls ganz überwiegend – der Vergütung der (reduzierten) Arbeitsleistung dient. Vielmehr muss die unterschiedliche Behandlung Teilzeitangestellter mit Blick auf sämtliche mit der Leistung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sein (vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2023 – C-660/20 –, Rn. 58 ff., juris). Dies gilt jedenfalls, wenn es sich – wie hier – nicht um untergeordnete Zielsetzungen handelt. Der anteilige Ausschluss der Teilzeitbeschäftigten von der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie im Umfang ihrer Arbeitszeitreduzierung ist jedoch nicht geeignet und erforderlich zur Erreichung des Ziels Teuerungsausgleich.
58Obwohl § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG wie auch die zugrunde liegende Regelung in § 4 Nr. 2 der am 06.06.1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung) eine anteilige Berücksichtigung von Teilzeitlern allgemein bei geldwerten Leistungen als gerechtfertigt ansehen, kann die bloß zeitanteilige Berücksichtigung von Teilzeitarbeitnehmern dann in sachlich nicht gerechtfertigter Weise benachteiligen, wenn die Leistung nicht beziehungsweise nicht nur als im Rahmen des Arbeitsverhältnisses gezahltes Entgelt – im weiteren Sinne - zu qualifizieren ist. So verhielte es sich etwa bei nur anteilig gezahlten Entschädigungen für Aufwände, die betroffenen Teilzeitlern in gleicher Höhe entstehen wie Vollzeitmitarbeitern (vgl. hierzu das Beispiel bei EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin vom 13.02.2014, C-476/12, Celex-Nr. 62012CC0476, Ziff. 25). Eine Aliquotierung erwiese sich dann im Sinne der unionsrechtlichen Regelung als nicht angemessen (Schlussanträge der Generalanwältin, aaO, Ziff. 25 ff.; aA EuArbRK/Kietaibl, 5. Aufl. 2024, RL 97/81/EG § 4 Rn. 26 unter Berufung auf die nachfolgende EuGH-Entscheidung). Ein – aus dem Verbot der (mittelbaren) Geschlechtsdiskriminierung hergeleitetes - Aliquotierungsgebot (vgl. EuArbRK/Kietaibl, 5. Aufl. 2024, RL 97/81/EG § 4 Rn. 29) steht im Falle der Altersteilzeitler nicht im Raum, weil nicht erkennbar ist, dass hiervon ein Geschlecht stärker betroffen wäre als das andere.
59Anders als in dem durch den Europäischen Gerichtshof (im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin) entschiedenen Fall, kann bei der durch die Beklagte ausgezahlten Inflationsausgleichsprämie nicht davon ausgegangen werden, dass sie – als Teil eines Vergütungsgesamtpakets (Schlussanträge der Generalanwältin, aaO, Ziff. 40) – trotz des „sozialen Anstrichs“ insgesamt Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung darstellt. Damit bleibt es bei der Notwendigkeit einer nachvollziehbaren sachlichen Rechtfertigung für die aliquote Reduzierung des Teuerungsausgleichs bei reduzierter Arbeitszeit. Die Beklagte ist ihrer insoweit bestehenden Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie hat nicht erläutert, warum die den Teilzeitlern gewährte Leistung auf das anteilige Maß ihrer Arbeitszeit einerseits ohne Benachteiligung gegenüber Vollzeitkräften den Vergütungszweck der Leistung vollumfänglich erfüllt und andererseits geeignet war, zusätzlich in angemessener Weise die teuerungsbedingten Nachteile für diese Arbeitnehmergruppe auszugleichen.
602. Die Zinsansprüche folgen aus §§ 286, 288 BGB.
61II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG iVm § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
62III. Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 S. 1 ArbGG im Urteil anzugeben und ist mit dem Wert des Zahlungsantrags bemessen.
63IV. Gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG war die Berufung aufgrund grundsätzlicher Bedeutung gesondert zuzulassen. Inwiefern Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit Inflationsausgleichsprämien im Sinne der (bis zum 31.12.2024 geltenden) Regelung des § 3 Nr. 11c EStG aus Gleichbehandlungsgründen beanspruchen können, wird von den bislang damit befassten Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt und ist nicht höchstrichterlich geklärt.