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Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen zahlreich abgemahnt muss er unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die letzte Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung besonders eindringlich gestalten, damit der Arbeitnehmer die in der Abmahnung enthaltene Drohung noch ernst nehmen kann.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02.08.2012 – 8 Ca 8727/11 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten zuletzt noch um die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung sowie Zahlungsansprüche.
3Der Kläger ist seit dem April 2000 bei der beklagten Bäckerei als Fahrer beschäftigt.
4Die Beklagte mahnte den Kläger mehrfach schriftlich wie folgt ab:
5Am 16.07.2007 wegen des Nichterscheinens zur Arbeit an diesem Tag. Für den Wiederholungfall drohte die Beklagte mit einer Kündigung, im Falle fortgesetzter Arbeitsverweigerung mit einer fristlosen Kündigung (Bl. 74 d. A.). Trotz dieser Abmahnung erschien der Kläger am Folgetag nicht zur Arbeit und wurde von der Beklagten erneut in der Weise abgemahnt, wie dies bereits mit der Abmahnung vom 16.07.2007 geschehen war (Bl. 75 d. A.). Am 27.04.2009 erfolgte die Abmahnung wegen unentschuldigtem Fehlen am selbigen Tag unter Hinweis auf die unverzügliche Meldepflicht im Krankheitsfall und Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen, bis hin zur fristlosen Kündigung (Bl. 49 f. d. A.). Mit Schreiben vom 19.05.2009 erteilte die Beklagte eine Abmahnung wegen unentschuldigtem Fernbleiben am 16.05.2009 und 18.05.2009 (Bl. 51 d. A.). Am 02.11.2010 erging eine Abmahnung wegen unentschuldigtem Fehlen an diesem Tag unter Hinweis auf die unverzügliche Meldepflicht im Krankheitsfall und Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen, bis hin zur fristlosen Kündigung (Bl. 47 f. d. A.). Mit Schreiben vom 09.01.2012 erfolgte die Abmahnung wegen des unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit am selbigen Tag unter Hinweis auf die unverzügliche Meldepflicht im Krankheitsfall und Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen, bis hin zur fristlosen Kündigung (Bl. 41 f. d. A.). Am 10.01.2012 mahnte die Beklagte den Kläger wegen unentschuldigtem Fehlen an diesem Tag unter Hinweis auf die unverzügliche Meldepflicht im Krankheitsfall und Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen, bis hin zur fristlosen Kündigung (Bl. 39 f. d. A.), ab.
6Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger die Beklagte am 26.02.2012 über seine Arbeitsunfähigkeit informiert hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.02.2012 zum 30.06.2012. Gegen diese Kündigung richtet sich die Kündigungsschutzklage. Weiterhin sind zwischen den Parteien die Vergütung für vier Tage im September 2011 und ein Lohnabzug auf der Septemberabrechnung 2011 unter der Rubrik „Rauchpausen-Abz-Üstd.“ streitig.
7Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 02.08.2012 die Kündigung für unwirksam erachtet, da die Beklagte die Einlassung des Klägers zur Krankmeldung am 26.02.2012 nicht hinreichend bestritten habe. Zur Lohnforderung für die vier Tage im September 2011 habe sich die Beklagte überhaupt nicht eingelassen, den Lohnabzug nicht begründet. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe, wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
8Gegen das ihr am 22.08.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.09.2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 22.11.2012 begründet.
9Die Beklagte meint, die Kündigung sei wirksam, weil der Kläger trotz wiederholter Abmahnung die Beklagte am 26.02.2012 nicht von seiner Arbeitsunfähigkeit informiert habe. Jedenfalls sei der Mitarbeiter Zander nicht zur Entgegennahme der Krankmeldung befugt. Der Kläger müsse seine Lohnforderungen darlegen und beweisen.
10Die Beklagte beantragt,
11das Urteil des Arbeitsgerichtes Köln vom 02.08.2012 zum Az. 8 Ca 8727/11, zugestellt am 22.08.2012, aufzuheben.
12Der Kläger beantragt,
13die Berufung zurückzuweisen.
14Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Darüber hinaus habe die Beklagte derart viele Abmahnungen ausgesprochen, dass die Warnfunktion entfallen sei. Die betriebliche Organisation der Krankmeldung in der Backstube sei mangelhaft.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze vom 22.11.2012, 05.12.2012, 07.01.2013, 30.01.2013, 13.02.2013 und 27.02.2013 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist nach § 62 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
18II. Der Berufungsantrag war dahin gehend auszulegen, dass die Beklagte die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und die umfassende Abweisung der Klage begehrt.
19III. Die Berufung ist unbegründet, denn das Arbeitsgericht hat sowohl der Kündigungsschutzklage als auch dem Zahlungsbegehren zu Recht entsprochen.
201. Die Kündigung vom 29.02.2012 ist rechtsunwirksam, §§ 1 Abs. 1, 1 Abs. 2 KSchG.
21a) Die Anwendungsvoraussetzungen des KSchG nach den §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG sind unstreitig gegeben. Die Kündigungsschutzklage wurde fristgemäß nach § 4 KSchG erhoben.
22b) Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt. Es liegen keine hinreichenden Gründe im Verhalten des Klägers vor, die die Kündigung sozial rechtfertigen.
23aa) Ein Verstoß gegen die Nebenpflicht zur rechtzeitigen Mitteilung einer Arbeitsunfähigkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist nach einschlägiger Abmahnung grundsätzlich geeignet, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen (BAG, Urt. v. 16.08.1991 – 2 AZR 604/90 -; LAG Köln, Urt. v. 07.01.2008 – 14 Sa 1311/07 – m.w.N.). Jedoch können zahlreiche Abmahnungen wegen gleichartiger Pflichtverletzungen, denen keine weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen folgen, die Warnfunktion der Abmahnungen abschwächen. Der Arbeitnehmer muss die in der Abmahnung enthaltene Drohung noch ernst nehmen können. Es darf nicht der Eindruck einer „leeren Drohung“ erzeugt werden. Der Arbeitgeber muss dann die letzte Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung besonders eindringlich gestalten (BAG, Urt. v. 15.11.2001 – 2 AZR 609/00 -; BAG, Urt. v. v. 16.09.2004 – 2 AZR 406/03 -; BAG, Urt. v. 27.09.2012 – 2 AZR 955/11 -).
24bb) Vorliegend musste der Kläger nicht damit rechnen, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis kündigt, wenn er sie am 26.02.2012 nicht unverzüglich über den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit informiert. Es kann daher dahin stehen, ob eine rechtzeitige Unterrichtung im Streitfall erfolgt ist.
25Die Beklagte hat in den etwas mehr als viereinhalb Jahren vor Ausspruch der Kündigung den Kläger sieben Mal abgemahnt, weil er aus ihrer Sicht unentschuldigt gefehlt hat, in sechs Fällen war die Abmahnung auch mit der Androhung einer fristlosen Kündigung im Wiederholungsfall verknüpft. Mit vier Abmahnungen hat sie die Rüge des unentschuldigten Fehlens mit einem detaillierten Hinweis auf die unverzügliche Meldepflicht im Krankheitsfall verbunden, so auch die letzten drei vor Ausspruch der Kündigung erteilten Abmahnungen. Trotz Wiederholung der Vertragsverstöße in einem relativ kurzen Zeitraum hat sie keinerlei arbeitsrechtlichen Konsequenzen gezogen. Sie hat die Warnfunktion ihrer Abmahnungen durch inkonsequentes Verhalten selbst entwertet. Die Abmahnungen seit dem 02.11.2010 weisen auch keinen gesteigerten Grad der Intensität aus, sondern wiederholen stereotyp Rüge und Androhung. Ein Abmahnungsgespräch haben die Parteien nicht geführt. Eine besondere textliche Hervorhebung, wie z.B. die Verwendung des Begriffs „letztmalige Abmahnung“, vor Ausspruch der Kündigung ist unterblieben. Vor diesem Hintergrund der jahrelangen bloßen Androhung der fristlosen Kündigung durfte der Kläger die Ernsthaftigkeit der Bedrohung des Bestands des Arbeitsverhältnisses in Frage stellen.
262. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus § 611 Abs. 1 BGB auch einen Anspruch auf Lohnzahlung für den 18.09.2011, 19.09.2011, 21.09.2011 und 22.09.2011 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 336,-- € brutto sowie auf Zahlung des in der Abrechnung September 2011 ausgewiesenen Minusbetrages von 354,38 € brutto.
27a) Unter Bezugnahme auf das Schreiben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten vom 25.10.2011 (Bl. 12 f. d. A.) hat der Kläger bereits erstinstanzlich im Einzelnen schlüssig dargetan, dass er am 18.09.2011, 19.09.2011, 21.09.2011 und 22.09.2011 seine Arbeit vollschichtig erbracht hat und diese Zeiten nur deshalb nicht in der Zeiterfassung registriert wurden, weil der Arbeitsbeginn nach 0:00 Uhr lag. Die Beklagte hat sich weder substantiiert zu dem Arbeitseinsatz an den genannten Tagen noch zur Funktionsweise des Zeiterfassungssystems eingelassen. Wieso es sich um „Vergütungsansprüche über die Normalarbeitszeit“ handeln soll, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Das Vorbringen des Klägers gilt daher als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.
28b) Die Lohnkürzung „Rauchpausen-Abz-Üstd.“ in der Abrechnung vom 30.09.2011 (Bl. 5 d. A.) hat die Beklagte überhaupt nicht begründet. Eine Rechtfertigung für ihre Vorgehensweise ist nicht erkennbar. Auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Begründetheit des Zahlungsanspruchs wird Bezug genommen.
29IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
30V. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht gegeben sind.
31RECHTSMITTELBELEHRUNG
32Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
33Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.