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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechtigt war, einen Einkommensteuerbescheid für 2014 zu erlassen bzw. ob aufgrund eines Verlustes gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes – EStG – die Einkommensteuer auf 0 € herabzusetzen ist.
3Der spätere Insolvenzschuldner B war als Alleingesellschafter über die B Beteiligungen GmbH zu 100% an der operativ tätigen C & D GmbH beteiligt. Er war in beiden Gesellschaften Alleingeschäftsführer.
4Den Erwerb der C & D GmbH durch die B Beteiligungen GmbH hatte der Insolvenzschuldner über persönlich aufgenommene, zweckgebundene Darlehen bei der E Bank finanziert (Bl. 50 ff. der Gerichtsakte – GA –). Schriftliche Darlehensverträge zwischen ihm und der B Beteiligungen GmbH zur Weiterreichung der Darlehensvaluta liegen nicht vor. Der Erwerb der C & D GmbH wurde ferner durch eine stille Beteiligung der F Beteiligungsgesellschaft mbH an der B Beteiligungen GmbH finanziert; für die Rückzahlung der Einlage hatte sich der Insolvenzschuldner gemeinsam mit der C & D GmbH zu einer Garantie verpflichtet (Bl. 65, 75 ff. der GA).
5Die C & D GmbH war in der Entwicklung, Herstellung, dem Vertrieb und dem Handel mit verschiedenen Maschinen zur Oberflächenbearbeitung tätig. Sie musste am 9.12.2014 insbesondere aufgrund des Verlustes eines Großkunden Insolvenz anmelden. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft wurde am 30.1.2015 eröffnet.
6Die B Beteiligungen GmbH war selbst nur an der C & D GmbH beteiligt. Aus den Beteiligungserträgen an der C & D GmbH sollten die Verbindlichkeiten gegenüber der E Bank getilgt werden sowie die Forderungen des atypisch still Beteiligten, der F Beteiligungsgesellschaft mbH, bedient werden. Aufgrund dessen beantragte der Insolvenzschuldner durch Schreiben vom 19.12.2014 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die B Beteiligungen GmbH, den das Amtsgericht durch Beschluss vom 6.2.2015 mangels Masse ablehnte.
7Die E Bank nahm den Kläger durch Schreiben vom 29.12.2014 für ausgefallene Darlehen i.H.v. 1.148.485 € in Anspruch. Über das Vermögen des Insolvenzschuldners wurde daher aufgrund eines Eigenantrags vom 30.1.2015 am 1.4.2015 ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt. Durch Schreiben vom 5.5.2015 folgte die Inanspruchnahme des Insolvenzschuldners durch die F Beteiligungsgesellschaft mbH i.H.v. 274.239,58 € aufgrund der abgegebenen Garantieerklärung.
8Die am 6.7.2015 elektronisch an den Beklagten übermittelte Einkommensteuererklärung für den Insolvenzschuldner und dessen Ehefrau wurde am 7.8.2015 ausgedruckt und mit den Unterschriften der Eheleute und des Klägers beim Beklagten eingereicht.
9Die Beklagte führte die Veranlagung durch Bescheid für 2014 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 23.12.2015 erklärungsgemäß durch. Er setzte eine Einkommenssteuer i.H.v. 28.942 € und Solidaritätszuschlag i.H.v. 1.591,81 € fest und rechnete hierauf einbehaltene Lohnsteuer des Steuerpflichtigen und Kapitalertragsteuer i.H.v. 31.393 € sowie hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag an, so dass sich insgesamt eine Einkommensteuererstattung i.H.v. 2.454 € und eine Erstattung von Solidaritätszuschlag i.H.v. 132,57 € ergab.
10Mit Schreiben vom 18.1.2016 wandte sich der Bevollmächtigte des Klägers an den Beklagten und wies darauf hin, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich keine Bescheide mehr erlassen werden dürften, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt würden, die die Höhe der zur Insolvenztabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten. Dies gelte auch für Erstattungsansprüche. Steuerbescheide, die nach Insolvenzeröffnung für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung ergingen, seien nichtig. Man verzichte vorerst aus Vereinfachungsgründen auf die Aufhebung des Bescheids, wobei mit diesem Schreiben aktenkundig gemacht werde, dass die „Steuerfestsetzung“ nicht bestandskräftig sei. Im Zweifel gelte dieses Schreiben als Einspruch.
11Der Beklagte behandelte diese Eingabe des Klägers als Einspruch und wies diesen durch Einspruchsentscheidung vom 30.5.2016 als unbegründet zurück.
12Der Kläger hat durch Schreiben vom 29.6.2016 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass der Beklagte sich zu Unrecht auf das BFH Urteil vom 13.5.2009 (XI R 63/07, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2009, 1644) berufe. Der BFH habe in diesem Urteil den Erlass eines Steuerbescheids nach Insolvenzeröffnung nur für zulässig gehalten, da es um die Festsetzung einer negativen Umsatzsteuer gegangen sei. Es habe in diesem Fall an der abstrakten Eignung gefehlt, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken, da es sich bei der festgesetzten Umsatzsteuer um einen negativen Betrag gehandelt habe. Dadurch werde die bisherige Rechtsprechung des BFH zu positiv festgesetzten Steuern nicht angetastet. Sobald eine festgesetzte Steuer vorliege, sei eine Steuerfestsetzung unzulässig. Auf eine etwaige Erstattung nach Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen komme es nicht an (BFH Urteil vom 10.12.2008 I R 41/07).
13In der Praxis sei daher auch in Erstattungsfällen eine formlose Berechnung der Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen zu fertigen.
14Des Weiteren hat der Kläger im Klageverfahren erstmals einen Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG für das Streitjahr 2014 geltend gemacht. Dieser Verlust sei entgegen der Auffassung des Beklagten auch bereits im Jahr 2014 realisiert worden. Es habe festgestanden, dass Kapitalrückflüsse von der insolventen B Beteiligungen GmbH nicht mehr erfolgen würden. Auch die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten durch Inanspruchnahme der E Bank und der F Beteiligungsgesellschaft habe bereits im Jahr 2014 hinreichend sicher festgestanden. Die E Bank habe bereits im Jahr 2014 ihre Ansprüche geltend gemacht. Die F Beteiligungsgesellschaft mbH gehöre zur Förderbank und sei damit letztlich eine Staatstochter, so dass eine Nichtinanspruchnahme des Insolvenzschuldners nicht in Betracht gekommen sei. Die Tatsache, dass schriftliche Darlehensverträge des Insolvenzschuldners mit der B Beteiligungen GmbH nicht vorlägen, sei unerheblich, da sich die Gewährung dieser Darlehen aus den Bilanzen der vergangenen Jahre ergebe. Die Frage einer späteren Restschuldbefreiung habe mit der Realisierung eines Verlustes aus § 17 EStG nichts zu tun.
15Der Kläger beantragt,
16den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 23.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.05.2016 für nichtig zu erklären,
17hilfsweise,
18den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 23.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.05.2016 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird,
19hilfsweise,
20die Revision zuzulassen.
21Der Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen,
23hilfsweise, die Revision zuzulassen.
24Zur Begründung trägt er vor, dass der Erlass eines Einkommensteuerbescheids 2014 gegenüber dem Insolvenzverwalter zulässig war, da durch diesen Bescheid keine Insolvenzforderungen begründet würden. Aus dem Bescheid ergebe sich keine Auswirkung auf die zur Insolvenztabelle anzumeldende Forderung, sondern ein Erstattungsanspruch. In diesen Fällen sei der Erlass von Steuerbescheiden zulässig und führe nicht zur Nichtigkeit entsprechender Verwaltungsakte (Anwendungserlass zur Abgabenordnung – AEAO – zu § 251 der Abgabenordnung – AO – Z. 4.3.1.).
25Der geltend gemachte Verlust gemäß § 17 EStG sei nicht im Streitjahr zu berücksichtigen. Dies setze zunächst die zivilrechtliche Auflösung der Kapitalgesellschaft voraus und zusätzlich in Insolvenzfällen, dass der Verlust der Höhe nach feststehe, also insbesondere die als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen hinreichend erkennbar seien. Die zivilrechtliche Auflösung einer GmbH, die unabdingbare Voraussetzung für das Entstehen eines Auflösungsverlustes sei, erfolge gemäß § 60 Abs. 1 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz) unter anderem durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder mit Bestandskraft des Beschlusses, durch den eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt werde. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der B Beteiligungen GmbH sei zwar noch im Jahr 2014 gestellt worden, die Ablehnung der Verfahrenseröffnung sei aber erst durch Beschluss vom 6.2.2015 erfolgt. Auch der Höhe nach seien die als nachträgliche Anschaffungskosten geltend gemachten Aufwendungen zum Teil erst in 2015 konkretisiert worden, da beispielsweise die F Beteiligungsgesellschaft mbH ihre Ansprüche von über 270.000 € erst mit Schreiben vom 5.5.2015 gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend gemacht habe. Die E Bank habe ihre Ansprüche zwar schon mit Schreiben vom 29.12.2014 geltend gemacht, es sei aber nicht ersichtlich, ob diese Ansprüche in vollem Umfang aufrechterhalten worden seien oder ob gegebenenfalls durch nachfolgende Verhandlungen eine Herabsetzung erreicht worden sei oder durch die Verwertung der in den Darlehensverträgen genannten Sicherheiten noch eine Minderung der Ansprüche erfolgt sei. Die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten habe daher frühestens im Jahr 2015 hinreichend festgestanden. Überdies sei auch zu berücksichtigen, dass dem Steuerpflichtigen bereits die Restschuldbefreiung angekündigt worden sei, es stehe daher nicht fest, in welcher Höhe dieser durch die Inanspruchnahme der E Bank und der F Beteiligungsgesellschaft mbH tatsächlich wirtschaftlich belastet sei.
26Für weitere Einzelheiten zum Sach- und Streitstand nimmt der Senat auf die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze vom 11.8.2016, 25.11.2016, 21.2.2017, 18.4.2017, 21.6.2017, 14.8.2018, 28.9.2018 und 8.10.2018, das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 4.10.2018, den beigezogenen Verwaltungsvorgang und die Insolvenzakten des Insolvenzschuldners, der B Beteiligungen GmbH und der C & D GmbH Bezug.
27Entscheidungsgründe:
28A) Das Gericht sieht aufgrund des Schriftsatzes vom 8.10.2018 keinen Anlass, gem. § 93 Abs. 3 S. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu beschließen. Der Prozessbevollmächtigte hat in diesem Schriftsatz seine Ausführungen aus der mündlichen Verhandlung vom 4.10.2018 lediglich zusammengefasst.
29B) Die Klage ist sowohl im Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet.
30I. Der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 23.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.5.2016 ist nicht nichtig.
31Gemäß § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein derartig schwerwiegender Fehler liegt insbesondere vor, wenn die Finanzverwaltung nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Steuerbescheide erlässt, anstatt ihre Forderungen zur Tabelle anzumelden. § 251 Abs. 2 S. 1 AO bestimmt, dass die Vorschriften der Insolvenzordnung von der Abgabenordnung unberührt bleiben. Gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Aus der Zweckbestimmung dieser Vorschrift folgt unstreitig nicht, dass nach Verfahrenseröffnung jedweder Steuerbescheid zu unterlassen wäre. Einkommensteuerbescheide, die eine Steuer i.H.v. 0 Euro festsetzen, bleiben möglich, da hierdurch Interessen der Insolvenzgläubiger nicht beeinträchtigt werden können.
32Der Erlass von Steuerbescheiden bleibt auch zulässig, wenn sich unter Berücksichtigung von Vorauszahlungen oder Anrechnungsbeträgen insgesamt keine Zahllast ergibt. Derartige Steuerfestsetzungen laufen dem Zweck des Insolvenzverfahrens, die Befriedigung der Insolvenzgläubiger möglichst zu gewährleisten, nicht entgegen. Eine Erstattung erfolgt zu Gunsten der Insolvenzmasse. Soweit der Insolvenzverwalter der Auffassung ist, dass die Erstattung noch zu gering ausgefallen ist, bleibt ihm die Möglichkeit, die Steuerfestsetzung mit dem Einspruch anzufechten (Neumann in Gosch AO/FGO § 251 AO Rn. 51; Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO § 251 AO Rn. 171; BFH Urteil vom 13.5.2009 XI R 63/07, BStBl. II 2010, 11; BFH Urteil vom 11.12.2013 XI R 22/11, BStBl. II 2014, 332).
33Der angegriffene Einkommensteuerbescheid 2014 ist deshalb wirksam. Aus § 87 InsO lässt sich nur ableiten, dass der Beklagte Insolvenzforderungen nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geltend zu machen hat. Eine solche wird er nicht zur Tabelle anmelden, wenn sich – etwa nach der eingereichten Steuererklärung – ein Erstattungsanspruch ergibt. Anders als bei Insolvenzforderungen ist bei Forderungen des Insolvenzschuldners gegen die Finanzverwaltung kein besonderes Anmelde- und Prüfungsverfahren in der Insolvenzordnung vorgesehen (Leipold in DStZ 2012, 103, 109). Deshalb bleiben die Vorschriften zur Steuerfestsetzung nach der Abgabenordnung anwendbar.
34Auch der Einwand, dass sich bei einem späteren Streit über die Höhe der Anrechnung eine unzulässig durch Steuerbescheid titulierte Insolvenzforderung ergeben könnte (so BFH Urteil vom 10.12.2008 I R 41/07, BFH/NV 2009, 719 in einem obiter dictum unter Verweis auf Welzel DStZ 1999, 559; FG Köln Urteil vom 28.6.2016 8 K 92/13, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2016, 1676, die Revision ist beim BFH unter dem Az. VIII R 21/16 anhängig), verfängt nicht. Die im Steuerbescheid mit der Steuerfestsetzung verbundene Anrechnungsverfügung stellt nach der Rechtsprechung des BFH ebenfalls einen der Bestandskraft fähigen Verwaltungsakt dar (Rüsken in Klein AO § 218 AO Rn. 26 ff. mit weiteren Nachweisen). Sollte die Finanzverwaltung aufgrund der einschlägigen Änderungsvorschriften (§§ 129-131 AO) die Anrechnungsverfügung ändern, könnte sich tatsächlich nachträglich eine Insolvenzforderung ergeben. Das nachträgliche Entstehen einer Insolvenzforderung wäre ebenfalls denkbar, wenn der Insolvenzverwalter geleistete Vorauszahlungen aufgrund einer Insolvenzanfechtung gem. § 143 Abs. 1 InsO geltend macht.
35Dem Kläger ist zuzugeben, dass in einer solchen Konstellation eine Steuerfestsetzung durch Steuerbescheid zur Wahrung des Vorrangs des Insolvenzrechts keinen Bestand haben darf. Dies führt aber nicht dazu, dass eine Steuerfestsetzung die zunächst zu einem Erstattungsanspruch führt, nicht mehr ergehen könnte. Sollte sich tatsächlich aufgrund einer Änderung der Anrechnungsverfügung oder einer Insolvenzanfechtung ergeben, dass die Steuerfestsetzung nicht zu einem Erstattungsanspruch, sondern einer anzumeldenden Insolvenzforderung führt, muss vielmehr die Bestandskraft der Steuerfestsetzung durchbrochen oder beseitigt werden. Der Senat kann in diesem Zusammenhang offenlassen, ob in einem solchen Fall in Bezug auf die Steuerfestsetzung ein rückwirkendes Ereignis gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO eingetreten ist, welches zu einer Aufhebung der Steuerfestsetzung führen müsste, oder ob sich nach Wegfall des Erstattungsanspruches die Steuerfestsetzung gemäß § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise erledigt. In beiden Fällen wäre gewährleistet, dass die Finanzverwaltung gezwungen bleibt, eine Insolvenzforderung nur nach den vorrangigen Vorschriften der Insolvenzordnung geltend zu machen.
36Der Senat vermag auch dem Argument des Klägers, dass in der Praxis auch bei Erstattungsfällen formlose Berechnungen zur Einkommensteuer unter Berücksichtigung von abgeführter Lohnsteuer zu ergehen hätten, nicht zu folgen. Die Lohnsteueranmeldung bildet einen Rechtsgrund für die geleisteten Lohnsteuerzahlungen durch den Arbeitgeber. Ergeht später gegenüber dem Arbeitnehmer ein Einkommensteuerbescheid, löst dieser die Lohnsteueranmeldungen als Rechtsgrund der Zahlung ab. Diese haben sich im Sinne von § 124 Abs. 2 AO „auf andere Weise erledigt“ (BFH Urteil vom 23.5.2000 VII R 3/00, BStBl. II 2000, 581; gleiches gilt für Einkommensteuervorauszahlungsbescheide vgl. Loschelder in Schmidt EStG § 37 EStG Rn. 17). Ist nach den Lohnsteueranmeldungen und dem Abführen der Lohnsteuer das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitnehmers eröffnet worden, bleiben die Lohnsteueranmeldungen als Rechtsgrund der Zahlung bestehen. Will der Insolvenzverwalter dann einen Erstattungsanspruch zugunsten der Masse geltend machen, bedarf es entweder einer – im Streitfall nicht vorgenommenen – Insolvenzanfechtung gemäß § 143 Abs. 1 InsO oder des Erlasses eines Einkommensteuerbescheides, der an die Stelle der Lohnsteueranmeldungen tritt und seinerseits in Verbindung mit einer Anrechnungsverfügung zu einer Erstattung führt. Nur über diese Möglichkeiten lässt sich nach Auffassung des Senats erreichen, dass vor Insolvenzeröffnung eingereichte Lohnsteueranmeldungen als Rechtsgrund für ein Behaltendürfen abgeführter Lohnsteuern im Ergebnis keinen Bestand haben. Will der Insolvenzverwalter eine höhere Erstattung geltend machen, da er die festgesetzte Einkommensteuer für überhöht hält, bleibt ihm der Einspruch und ggf. die finanzgerichtliche Klage gegen den Einkommensteuerbescheid.
37II. 1. Der Hilfsantrag ist zulässig. Insbesondere ist auch die hilfsweise erhobene Anfechtungsklage nach Abschluss des Vorverfahrens fristgerecht gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 FGO erhoben worden, da das mit dem Hauptantrag verfolgte Begehren, den Bescheid für nichtig zu erklären, bereits das Anfechtungsbegehren umfasst (Grube in DStZ 2011, 913, 917).
382. Der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 23.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.5.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.
39Die Beklagte hat es zu Recht unterlassen, den geltend gemachten Verlust gemäß § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 EStG im Streitjahr 2014 zu berücksichtigen.
40Ein Auflösungsverlust aus einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG entsteht gem. § 17 Abs. 4 S. 1 EStG, „wenn“ die Kapitalgesellschaft aufgelöst ist. Dazu bedarf es grundsätzlich einer gesellschaftsrechtlichen Auflösung der Gesellschaft und des Abschlusses der Liquidation. Eine Verlustrealisation entsteht daher regelmäßig erst, wenn ein Insolvenzverfahren abgeschlossen oder dessen Eröffnung mangels Masse abgelehnt wurde. Eine frühere Verlustberücksichtigung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn mit Rückzahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen nicht mehr zu rechnen ist und die Höhe der (nachträglichen) Anschaffungskosten bereits feststeht (Weber-Grellet in Schmidt EStG § 17 EStG Rn. 222). (BFH Urteil vom 2.12.2014 IX R 9/14)
41Danach kommt die Berücksichtigung des geltend gemachten Auflösungsverlustes im Streitjahr nicht in Betracht. Die Liquidation der B Beteiligungen GmbH war im Jahr 2014 nicht abgeschlossen; die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse erfolgte erst durch Beschluss des Amtsgerichts vom 6.2.2015.
42Umstände, nach denen der geltend gemachte Verlust ausnahmsweise vor Abschluss der Liquidation geltend gemacht werden könnte, liegen nicht vor. Es mag zutreffen, dass die B Beteiligungen GmbH bereits Ende des Jahres 2014 vermögenslos war, so dass tatsächlich nicht mehr mit Rückzahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu rechnen war, die Höhe der zu berücksichtigenden nachträglichen Anschaffungskosten war Ende des Jahres 2014 jedoch nicht absehbar.
43Anschaffungskosten im Sinne von § 17 Abs. 2 EStG sind in Analogie zu § 255 Abs. 1 S. 1 des Handelsgesetzbuches Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Nach der Rechtsprechung des BFH, welcher sich der Senat anschließt, sind in Verfahren, in denen der Gesellschafter eine Finanzierungshilfe bis zum 27.9.2017 gewährt hatte, die Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts zur Begründung nachträglicher Anschaffungskosten weiter anzuwenden (BFH Urteil vom 11.7.2017 IX R 36/15, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 258, 427). Nachträgliche Anschaffungskosten können sich danach auch daraus ergeben, dass ein wesentlich beteiligter Gesellschafter aufgrund einer gewährten Finanzierungshilfe in Anspruch genommen wird. In diesem Zusammenhang sind Anschaffungskosten erst entstanden, wenn auch die Höhe der Inanspruchnahme feststeht (BFH Urteil vom 2.12.2014 IX R 9/14, BFH/NV 2015, 666). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Gesellschafter im Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme wegen Zahlungsunfähigkeit nicht in der Lage ist, Zahlungen auf diese Finanzierungshilfen zu leisten (BFH Urteil vom 25.3.2003 VIII R 24/02, BFH/NV 2003, 1305; BFH Urteil vom 8.4.1998 VIII R 21/94, BStBl. II 1998, 660).
44Soweit der Kläger hieraus – wie in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragen – (hilfsweise) ableiten will, dass nachträgliche Anschaffungskosten aus der Inanspruchnahme durch die F Beteiligungsgesellschaft mbH gar nicht entstehen konnten, folgt der Senat dem nicht. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass bereits Ende des Jahres 2014 festgestanden hätte, dass der Insolvenzschuldner aufgrund seiner Vermögenssituation nicht in der Lage sein würde, die Forderung der F Beteiligungsgesellschaft mbH (zumindest teilweise) zu erfüllen. Seine Privatinsolvenz hat er jedenfalls erst im Jahr 2015 angemeldet. Sollte es dem Insolvenzschuldner als gelerntem Maschinenbauingenieur während seines Privatinsolvenzverfahrens gelingen, erneut erfolgreich geschäftlich tätig zu werden, wären überdies Zahlungen zugunsten der Insolvenzmasse möglich.
45Ob dem Insolvenzschuldner aufgrund der Weiterleitung der ihm persönlich gewährten zweckgebundenen Darlehen von Seiten der E Bank nachträgliche Anschaffungskosten entstanden sind, kann offen bleiben. Soweit man den Kläger wegen der Zweckbindung dieser Darlehen als bloße Zahlstelle ansieht, erscheint die für Anschaffungskosten erforderliche wirtschaftliche Belastung zweifelhaft (vgl. BFH Urteil vom 11.4.2017 IX R 4/16, BFH/NV 2018, 721).
46Soweit der Insolvenzschuldner nunmehr durch die E Bank persönlich auf Rückzahlung dieser Darlehen in Anspruch genommen wurde, ist für den Senat ebenfalls nicht ersichtlich, dass deren Höhe allein aufgrund der Inanspruchnahme durch Schreiben vom 29.12.2014 hinreichend festgestanden hätte. Die bloße Forderung des Darlehensrestbetrages gegenüber dem Insolvenzschuldner führt nach Auffassung des Senats noch nicht zu einer hinreichend konkretisierten wirtschaftlichen Belastung, die im Jahr 2014 berücksichtigungsfähig wäre.
47B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
48Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zugelassen. Eine Entscheidung des BFH zu der Frage, ob Steuerfestsetzungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich sind, wenn sich bei geleisteten Vorauszahlungen nach Anrechnung insgesamt ein Erstattungsanspruch ergibt, liegt bisher nicht vor.