Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Der Kläger ist Insolvenzverwalter der A GmbH i.L. (vormals A Versand AG). Die A GmbH i.L. wird als Gesamtrechtsnachfolgerin der B GmbH durch Haftungsbescheid vom 24.9.2010 gestützt auf §§ 191, 73 der Abgabenordnung (AO) für Umsatzsteuer 2003 der C AG i.L. (vormals D AG), soweit durch Leistungsbeziehungen der B GmbH verursacht, in Höhe von 114,97 Euro in Anspruch genommen. Dagegen richtet sich die Klage.
3Die beteiligten Gesellschaften gingen von einer umsatzsteuerlichen organschaftlichen Verbundenheit zwischen der D AG (später: C AG i.L) als Organträgerin, der D Versand GmbH (später: E GmbH) als Tochtergesellschaft und der A Versand AG (später: A GmbH i.L.) als Enkelgesellschaft sowie der B GmbH (Urenkelgesellschaft) aus. Infolgedessen wurden die Umsätze der B GmbH unwidersprochen in den Umsatzsteuererklärungen der D AG erfasst und die Jahresabschlüsse der Gesellschaften entsprechend testiert. Die A GmbH i.L. wurde durch Verschmelzung zum 1.1.2007 Gesamtrechtsnachfolgerin der B GmbH (Vertrag vom 21.8.2007).
4Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass auch die Enkel- bzw. Urenkelgesellschaft innerhalb der umsatzsteuerlichen Organschaft für die von der Muttergesellschaft geschuldete Umsatzsteuer (mit-) haftet, jedoch dem Umfang nach begrenzt auf die durch die Organgesellschaft nachweislich höchstens veranlasste Steuer. Infolgedessen hafte die A GmbH i.L. als Rechtsnachfolgerin der B GmbH für die durch die B GmbH verursachte Umsatzsteuer. Der Haftungsbetrag resultiert aus der Differenz zwischen bei der B GmbH verbuchter und insoweit angemeldeter Vorsteuer.
5Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 14.1.2015) hat der Kläger hiergegen Klage erhoben.
6Der Kläger beruft sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 31.5.2017 I R 54/15, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 2017, 1647, der, gestützt auf den Wortlaut des § 73 AO, entschieden hat, dass bei einer körperschaftsteuerlichen Organschaft (§ 14 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG --) bei mehrstufigen Organschaften die Haftung der Organgesellschaft auf solche gegen die jeweiligen Organträgerin gerichteten Steueransprüche beschränkt bleibt, die aus dem konkreten direkten Organschaftsverhältnis resultieren. Der Kläger ist der Ansicht, dass dies auch für die umsatzsteuerliche Organschaft zu gelten habe. Anders sei es nur bei einer sog. mittelbaren Organschaft oder einer Klammerorganschaft, bei der u.a. kennzeichnend sei, dass eine mittelbare Beherrschung einher geht mit einem direkten Ergebnisabführungsvertrag.
7Der Kläger wendet darüber hinaus ein, dass es dem Haftungsbescheid an der Bestimmtheit fehle. Der Bescheid lasse die Grundlage der Haftung nicht erkennen. Es sei dem Bescheid nicht zu entnehmen, aus welchem konkreten Lebenssachverhalt die Haftungsschuld stamme. Außerdem habe der Beklagte mit einem anderweitigen Steuerguthaben der C AG i.L. aufrechnen können. Er habe daher sein Entschließungsermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
8Wegen weiterer Einzelheiten des Klägervortrages wird auf den Schriftwechsel im Klageverfahren Bezug genommen.
9Der Kläger beantragt,
10den Haftungsbescheid vom 24.9.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.1.2015 ersatzlos aufzuheben;
11hilfsweise: die Revision zuzulassen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen;
14hilfsweise: die Revision zuzulassen.
15Er hält an seiner Auffassung fest, dass es sich auf Grund der unterschiedlichen Voraussetzungen für eine körperschaft- bzw. eine umsatzsteuerliche Organschaft verbiete, die Gedankenführung des BFH in der o.g. Entscheidung auf den Streitfall zu übertragen. Umsatzsteuerlich würden durch die Organschaft alle unternehmerischen Aktivitäten zu einem einzigen Unternehmen zusammengefasst. Die Organgesellschaften stünden daher im Verhältnis zu dem Organträger auf einer Stufe. Wegen weiterer Einzelheiten des Beklagtenvortrages wird auf die Klageakte, insbesondere auf den Schriftsatz vom 8.2.2018, Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17Die Klage ist unbegründet.
18Der auf § 191 AO i.V.m. § 73 AO gestützte, an die A GmbH i.L. als Gesamtrechtsnachfolgerin der B GmbH gerichtete Haftungsbescheid ist rechtmäßig. Der Beklagte hat sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht angenommen, dass der Haftungstatbestand erfüllt ist. Die Ermessenserwägungen, die der Beklagte im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung angestellt hat, halten der gerichtlichen Nachprüfung stand.
191. Zwischen den eingangs genannten Gesellschaften bestand eine umsatzsteuerliche Organschaft. Davon gehen die Beteiligten aus (vgl. Sitzungsprotokoll vom 22.2.2018) und dementsprechend wurden auch Steuererklärungen abgegeben und wurden die Abschlüsse der beteiligen Gesellschaften, insoweit unbeanstandet, testiert. Das Gericht hat unter diesen Umständen keinen Anlass, das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft in dem hier maßgeblichen Zeitraum in Zweifel zu ziehen.
202. Die Festsetzung der Haftungsschuld ist hinreichend bestimmt. Denn der Haftungsbescheid konkretisiert die eingeforderte Haftungsschuld eindeutig. Er enthält Ausführungen zur Haftung im Organkreis und verweist hinsichtlich der Höhe der Umsatzsteuerschuld auf Prüfungsberichte der Groß- und Konzernbetriebsprüfung () vom 30.9.2009 und vom 6.10.2009 sowie auf eine am 6.5.2010 der Konzernsteuerabteilung der D AG übermittelte Aufstellung. Da die fragliche Umsatzsteuerschuld letztlich aus dem Geschäftsbereich der B GmbH stammt, kann sich der Kläger als Insolvenzverwalter der A GmbH i.L. als Rechtsnachfolgerin der GmbH nicht darauf berufen, keine Kenntnis von den steuerbegründenden Tatsachen zu haben oder sich nicht anhand der vorerwähnten Verweise verschaffen zu können. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Vorsteuerdifferenz um einen singulären und damit überschaubaren Vorgang aus der Sphäre der B GmbH handelt, da der Betrag lediglich aus der Differenz zwischen verbuchter und angemeldeter Vorsteuer resultiert (vgl. Schreiben des Finanzamts F vom 11.1.2012). Substantiierte Einwendungen bezüglich der Umsatzsteuerschuld hat der Kläger gleichwohl nicht erhoben. Damit entspricht die Festsetzung der Haftungsschuld den Begründungserfordernissen des § 121 Abs. 1 AO, denn sie enthält, einschließlich der Verweisungen, alle Angaben tatsächlicher und rechtlicher Art, um dem Betroffenen die Überprüfung der Rechtmäßigkeit zu ermöglichen.
213. Der Beklagte hat, zuletzt in der Einspruchsentscheidung, umfangreiche Ausführungen zur Ausübung seines Ermessens bei der Haftungsinanspruchnahme gemacht. Ermessensfehler sind danach nicht ersichtlich. Insbesondere war die streitige Umsatzsteuersteuerschuld nicht vorrangig mit anderen Steuerguthaben zu verrechnen. Der Beklagte hat, wozu er berechtigt war, eine Verrechnung gem. § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 396 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit anderen Steuerschulden vorgenommen, wobei die zur Verrechnung zur Verfügung stehende Summe das Steuerguthaben bei weitem überstieg. Damit waren die Steuerguthaben verbraucht.
22Für eine weitergehende Beschränkung der Haftung sind substantiierte Gründe weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
234. Der Beklagte nimmt die B GmbH i.L. zu Recht für die streitgegenständliche Umsatzsteuerschuld in Anspruch. Nach § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt.
24Die Haftung der im Organkreis untergeordneten Organgesellschaft für Steuerschulden des die Organgesellschaft beherrschenden Organträgers soll die steuerlichen Risiken ausgleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen könnten (z.B. BFH Urteil vom 5.10.2004 VII R 76/03, BFHE 207, 18, BStBl II 2006, 3). Insoweit wurde in der Begründung des Gesetzentwurfs zur AO 1977 ausgeführt, die Haftungsvorschrift finde ihre Rechtfertigung darin, "dass bei steuerlicher Anerkennung einer Organschaft die vom Organträger zu zahlende Steuer auch die Beträge umfasst, die ohne diese Organschaft von der Organgesellschaft geschuldet worden wären" (BTDrucks VI/1982, S. 120). Im Übrigen heißt es, man habe sich der österreichischen Regelung, wonach die Haftung auf solche Steuern beschränkt wird, die auf den Betrieb des beherrschten Unternehmens entfallen, nicht angeschlossen. In diesem Zusammenhang wird auf die Notwendigkeit einer praktikablen Regelung verwiesen; darüber hinaus könne es "durchaus als sachgerecht angesehen werden, den Organkreis als einheitliches Ganzes zu betrachten" (BTDrucks, a.a.O.; dazu ausführlich FG Düsseldorf Urteil vom 19.2.2015 16 K 932/12 H (K), Gmbh-Rundschau ‑ GmbHR - 2015, 1116).
25Dem entspricht die Inanspruchnahme der B GmbH und ihrer Rechtsnachfolgerin in dem durch den Beklagten bestimmten Umfang.
26Anders als bei der körperschaftssteuerlichen Organschaft spricht auch der Wortlaut des § 73 Satz 1 AO nicht gegen eine Inanspruchnahme im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft. Denn die umsatzsteuerliche Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG --) unterscheidet sich von der körperschaftssteuerlichen Organschaft in ihren Voraussetzungen und in der Rechtsfolge. Sie setzt eine finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung voraus (zu mehrstufiger Organschaft Finanzgericht – FG -- Münster Urteil vom 13.6.2017 15 K 2617/13 U, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG -- 2017, 1300). Die Wirkungen der Organschaft sind auf die Binnenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG). Die Unternehmensteile sind als ein einheitliches Unternehmen zu behandeln (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG). Sämtliche Gesellschaften im Organkreis verlieren ihre Selbständigkeit und stehen fiskalisch betrachtet auf derselben Ebene. Leistungsbeziehungen mit außenstehenden Dritten werden für sämtliche Mitglieder einer Organschaft ausschließlich dem Unternehmen des Organträgers zugeordnet (vgl. BFH Urteil vom 29.10.2008, Xl R 74/07, BFHE 223, 498, BStBl II 2009, 256). Von der Organschaft werden, ungeachtet der weiterhin bestehenden zivilrechtlichen Selbständigkeit der Organgesellschaften, nur einheitliche Leistungen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne erbracht. Erfolgt ein Leistungsaustausch zwischen den Mitgliedern der Organschaft, so werden diese (Innen-)Umsätze von der Umsatzsteuer nicht erfasst.
27Demgegenüber wird ein körperschaftsteuerliches Organschaftsverhältnis (§ 14 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 3 KStG) immer nur zwischen zwei Körperschaftsteuersubjekten gebildet. In einem Mutter-Tochter-Enkel usw. Verhältnis liegen daher aus körperschaftsteuerlicher Sicht genau genommen mehrere Organschaftsverhältnisse vor. Das individuell zu ermittelnde steuerliche Ergebnis einer Organgesellschaft („Einkommen der Organgesellschaft“) wird für ertragsteuerliche Zwecke der jeweiligen unmittelbaren Obergesellschaft zugerechnet (konsolidiert), ohne dass sie ihre Selbständigkeit verliert. Die Rechtsfolge ist darauf beschränkt, dass das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger „zuzurechnen“ ist.
28Dieser Unterschied rechtfertigt es, die Organgesellschaft für die durch sie verursachten Umsatzsteuerschulden gemäß § 73 AO in Anspruch zu nehmen. Insofern erfährt die Inanspruchnahme bereits auf der Tatbestandsebene eine Einschränkung des Haftungsumfangs auf die Steuerschulden, „soweit“ die Organschaft zwischen ihnen von steuerlicher Bedeutung ist. Anders als der BFH zur Haftung der körperschaftsteuerlichen Organschaft entschieden hat (vgl. a.a.O. BFH/NV 2017, 1647), ist die umsatzsteuerliche Organschaft zwischen allen an der Organschaft beteiligten Gesellschaften von unmittelbarer steuerlicher Bedeutung, weil diese wie ein einheitliches Unternehmen behandelt werden. Dem Wortlaut des § 73 AO ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass unter Organgesellschaft in jedem Fall nur das „zweipersonale Organschaftsverhältnis“ zu verstehen ist. Der Wortlaut lässt zwanglos die Auslegung zu, dass eine organschaftliche Verbundenheit, jedenfalls vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG, auch über ein Tochter- und Enkelverhältnis die vom Gesetz vorausgesetzte steuerliche Bedeutung hat. Deshalb handelt es sich bei der Auslegung und Anwendung des § 73 Satz 1 AO jedenfalls im Hinblick auf die umsatzsteuerliche Organschaft nicht um eine „rechtspolitische Frage“ (vgl. BFH a.a.O. BFH/NV 2017, 1647), sondern um eine wortlautorientierte Auslegung der Norm unter Einbeziehung des Normzwecks.
295. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.
306. Die Revision wird zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung.