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Der Steuerbescheid vom 31. Mai 2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. September 2017 wird aufgehoben, soweit noch für 1.395,20 MWh Stromsteuer festgesetzt worden ist.
Der Beklagte wird verurteilt, den sich aus der von der Klägerin beantragten Steuerfestsetzung für das Jahr 2015 ergebenden Erstattungsanspruch in Höhe von 28.601,60 € mit einem Zinssatz von 0,5 % monatlich seit dem 10. Oktober 2016 bis zum 1. November 2017 zu verzinsen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist unter anderem die öffentliche Versorgung mit Strom, Gas, Wärme und Wasser in der Stadt Z. Das beklagte Hauptzollamt erteilte ihr mit Bescheid vom 29. Juni 2010 die Erlaubnis, Strom als Versorgerin leisten zu dürfen.
3Die Klägerin betreibt ein Blockheizkraftwerk (BHKW), mit dem sie aus Biogas Strom und Wärme für ein Hallenschwimmbad erzeugte. Das BHKW verfügt über eine elektrische Nennleistung von 0,38 MW. Das BHKW befindet sich im Ortsteil Y. Der in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugte Strom wurde in das Mittelspannungsnetz der A GmbH eingespeist. Die Klägerin erhielt dafür eine Einspeisevergütung nach dem Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG) vom 21. Juli 2014 (BGBl. I, 1066), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2014 (BGBl. I, 2406).
4Die Klägerin leistete den in dem BHKW erzeugten Strom auch an Abnehmer im Ortsteil Y. Das gesamte Gebiet des Ortsteils befindet sich in einem Umkreis von 4,5 km von dem BHKW.
5In ihrer am 31. Mai 2016 abgegebenen Steueranmeldung für das Kalenderjahr 2015 gab die Klägerin eine Menge von 25.044,473 MWh Strom zum Regelsteuersatz von 20,50 €/MWh an. In einem Begleitschreiben vom 27. Mai 2016 sowie in Anlagen zu der Steueranmeldung teilte sie mit, dass sie 1.843,98 MWh Strom aus dem BHKW an Abnehmer im Ortsteil Y geleistet habe. Dieser Strom sei gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b des Stromsteuergesetzes (StromStG) vom 24. März 1999 (BGBl. I, 378), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 1. März 2011 (BGBl. I, 282), steuerfrei.
6Das beklagte Hauptzollamt folgte dem nicht und setzte mit Bescheid vom 3. Juni 2016 abweichend von der Steueranmeldung 551.213,29 € Stromsteuer für 26.888,453 MWh fest. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG seien nicht erfüllt. Die A GmbH sei gemäß § 56 Nr. 1 EEG verpflichtet gewesen, den Strom unverzüglich an den vorgelagerten Übertragungsnetzbetreiber weiterzugeben. Deshalb sei ein Rückerwerb des eingespeisten und nach dem EEG vergüteten Stroms ausgeschlossen gewesen. Bei dem an die Verbraucher geleisteten Strom habe es sich daher nicht um den mit dem BHKW erzeugten Strom gehandelt.
7Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus: Die rein bilanzielle Veräußerung des Stroms im Rahmen des EEG sei für die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG und § 12b Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (StromStV) vom 31. Mai 2000 (BGBl. I, 794), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 24. Juli 2013 (BGBl. I, 2763), unschädlich. Ein Rückerwerb des Stroms von dem Netzbetreiber sei nicht möglich und könne deshalb auch keine Voraussetzung für die Anerkennung der Steuerbefreiung sein.
8Die Klägerin übersandte mit ihrem Einspruch eine monatliche Aufteilung der zeitgleichen Liefermengen des mit dem BHKW erzeugten Stroms an Letztverbraucher für das Kalenderjahr 2015 (Bl. 5 der Einspruchsakte). Sie gab am 24. Mai 2017 eine korrigierte Steueranmeldung für das Kalenderjahr 2015 ab, in der sie eine Menge von 25.036,433 MWh Strom zum Regelsteuersatz angab. Das beklagte Hauptzollamt setzte daraufhin die Stromsteuer mit Bescheid vom 31. Mai 2017 für 26.880,413 MWh auf 551.048,47 € neu fest.
9Mit Bescheid vom 12. September 2017 erstattete das beklagte Hauptzollamt der Klägerin aus Vertrauensschutzgründen 9.199,99 € Stromsteuer für eine Menge von 448,780 MWh Strom, der in dem Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2015 mit dem BHKW erzeugt und im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage entnommen worden war.
10Den Einspruch der Klägerin wies das beklagte Hauptzollamt mit Entscheidung vom 28. September 2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Ein kaufmännisch-bilanzieller Rückerwerb des Stroms von der A GmbH habe nicht stattgefunden. Dies sei jedoch Voraussetzung für die Steuerbefreiung gewesen. Der Gesetzgeber habe eine Doppelförderung vermeiden wollen. Strom könne nicht gleichzeitig an einen Netzbetreiber und an einen Letztverbraucher geleistet werden.
11Die Klägerin hat am 2. November 2017 Klage erhoben, mit der sie vorträgt: Eine Identität der an den Leistungsbeziehungen beteiligten Personen sei für die Steuerbefreiung nicht erforderlich und auf Grund des Ausgleichsmechanismus nach dem EEG auch nicht möglich. Eine Änderung der Rechtslage sei erst mit der Einführung des Kumulationsverbots zum 1. Januar 2016 und durch die Einführung eines Anrechnungsgebots im EEG eingetreten.
12Die Klägerin ist mit Verfügung des Berichterstatters vom 15. Februar 2022 gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert worden, bis zum 29. März 2022 durch die Übersendung von Unterlagen darzulegen, dass sie den Abnehmern des Stroms im Ortsteil Y gegenüber vertraglich zur Leistung des Stroms verpflichtet war und welche Strommengen diese Abnehmer auf Grund der Stromleistungsverträge im räumlichen Zusammenhang mit dem BHKW entnommen haben. Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 29. März 2022 als Anlage K 9 eine Aufstellung aller Kunden übersandt, die im Jahr 2015 im Umkreis von 4,5 km von dem BHKW Straße 01 mit Strom beliefert worden sind. Ferner hat sie als Anlage K 10 eine Darstellung der Strommengen übersandt, die in dem Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 2015 im räumlichen Zusammenhang mit dem BHKW zeitgleich geleistet bzw. durch ihre Kunden aus dem Versorgungsnetz entnommen worden sind. Mit sämtlichen Kunden habe in dem fraglichen Zeitraum eine vertragliche Lieferverpflichtung entweder auf Grund eines abgeschlossenen Stromliefervertrags oder durch ein gesetzlich begründetes Vertragsverhältnis nach § 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung – StromGVV –) bestanden.
13Die Klägerin beantragt,
141. den Steuerbescheid vom 31. Mai 2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. September 2017 aufzuheben, soweit noch für 1.395,20 MWh Stromsteuer festgesetzt worden ist;
2. das beklagte Hauptzollamt zu verurteilen, den sich aus der beantragten Steuerfestsetzung für das Jahr 2015 ergebenden Erstattungsanspruch in Höhe von 28.601,60 € mit einem Zinssatz von 0,5 % monatlich seit dem 10. Oktober 2016 bis zum 1. November 2017 zu verzinsen.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung trägt es vor: Die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG setze eine geeignete zeitgleiche Zuordnung der von der Klägerin erzeugten und von ihren Kunden entnommenen Strommengen voraus. Grundlage der Leistungsbeziehung zwischen der Klägerin und ihren Kunden müsse ein Stromlieferungsvertrag sein. Dem müsse ein Netznutzungsvertrag im Sinne des § 24 der Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen – Stromnetzzugangsverordnung – (StromNZV) zugrunde liegen, in dem unter anderem der Vertragsgegenstand, die Art der Messung und Angaben zur Abrechnung enthalten sein müssten. Die Feststellung der von den Letztverbrauchern entnommenen Strommengen müsse über Messeinrichtungen (§§ 18 ff. StromNZV) und in der Regel auf der Grundlage des Lastprofilverfahrens (§ 12 StromNZV) erfolgt sein. Die Klägerin habe nachzuweisen, dass der an Letztverbraucher geleistete Strom, der auf der Grundlage des abgeschlossenen Stromleistungsvertrags verschafft worden sei, der Strom aus der Anlage sei, für den die Steuerbefreiung nach§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG in Anspruch genommen werden solle. Dabei habe sie auch die Zeitgleichheit zwischen der Erzeugung und der Entnahme der Strommengen durch die Letztverbraucher nachzuweisen. Die Klägerin habe zusätzlich die für die Steueranmeldung für das Veranlagungsjahr 2015 zu führenden Aufzeichnungen vorzulegen, aus denen sich die auf Grund der Stromlieferungsverträge von den jeweiligen Verbrauchern entnommenen steuerfreien Strommengen im Einzelnen ergäben. Die Aufzeichnungen müssten den Erfordernissen des § 4 Abs. 2 und 3 StromStV genügen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Die Klage ist begründet. Der Steuerbescheid vom 31. Mai 2017, der gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) Gegenstand des Einspruchsverfahrens und damit auch des Klageverfahrens geworden ist, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. September 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit noch für 1.395,20 MWh Stromsteuer festgesetzt worden ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
22Nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG ist Strom von der Steuer befreit, der in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei Megawatt erzeugt wird und von demjenigen, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, an Letztverbraucher geleistet wird, die den Strom im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage entnehmen.
23Im Streitfall ist eine Menge von 1.395,20 MWh Strom, den die Klägerin in dem Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 2015 mit dem fraglichen BHKW erzeugt hat, gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG von der Steuer befreit. Dieser Strom wurde zwar nicht von Letztverbrauchern im räumlichen Zusammenhang zu dem BHKW entnommen. Vielmehr hat die Netzbetreiberin den mit dem BHKW erzeugten Strom unstreitig an den vorgelagerten Übertragungsnetzbetreiber weitergeleistet (§ 56 Nr. 1 EEG). Dies steht der Steuerbefreiung jedoch nicht entgegen.
24Die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG setzt voraus, dass der erzeugte Strom von demjenigen, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, an Letztverbraucher geleistet wird. Es muss deshalb zwischen dem Anlagenbetreiber oder demjenigen, der die Anlage betreiben lässt, und dem Letztverbraucher eine Leistungsbeziehung bestehen. Eine Leistungsbeziehung beruht auf der vertraglichen Verpflichtung, jemandem Strom zu verschaffen. Ob der Strom in Erfüllung dieser Leistungsverpflichtung tatsächlich oder kaufmännisch-bilanziell geleistet wird, ist für die Leistungsbeziehung unerheblich (Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36).
25Ergänzende Regelungen zum Leistungsbegriff enthält § 12b Abs. 4 StromStV, nach dem eine Leistung von Strom an Letztverbraucher durch denjenigen, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, nur dann vorliegt, wenn an den Leistungsbeziehungen über den in der Anlage erzeugten Strom keine weiteren als die in § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG genannten Personen beteiligt sind. Wird der erzeugte Strom zunächst an einen Netzbetreiber geleistet und sogleich zurückerworben, ist dies für die Steuerbefreiung unschädlich, soweit die Leistung an den Netzbetreiber ausschließlich erfolgt, um entweder die Einspeisevergütung nach dem EEG oder den Zuschlag nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vom 19. März 2002 (BGBl I, 1092) zu erhalten.
26Aus § 12b Abs. 4 StromStV und der Intention des Verordnungsgebers ergibt sich, dass dieser die Möglichkeit einer Förderung des in kleinen Anlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG erzeugten Stroms nach dem EEG und somit die Möglichkeit einer sog. „Doppelförderung" erkannt hat (vgl. BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36). Der Gesetzgeber hat darüber hinaus erkannt (vgl. Bundestags-Drucksache 14/40, S. 10), dass bei der Leistung von Strom eine Nämlichkeitssicherung nicht möglich ist. Demnach kann der Rückerwerb einer konkreten Strommenge nicht im Sinne einer nämlichen Menge Strom erfolgen, weil dies auf Grund der physikalischen Besonderheiten der Ware Strom ausgeschlossen ist (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36).
27Die zwingende Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG ist daher von den Vorgaben des EEG unabhängig und wird nicht allein durch die Inanspruchnahme einer Einspeisevergütung nach dem EEG ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt sind. Der sog. Wälzungsmechanismus nach § 56 Nr. 1 EEG steht der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG nicht entgegen, auch wenn er dazu führt, dass § 12b Abs. 4 StromStV praktisch keinen Anwendungsbereich hat (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36). Auf Grund dieses sog. Wälzungsmechanismus und auf Grund der physikalischen Besonderheiten der Ware Strom können eingespeiste Strommengen nicht im Sinne einer nämlichen Strommenge, sondern nur rein rechnerisch bzw. kaufmännisch-bilanziell zurückerworben werden. Der sog. Wälzungsmechanismus führt zudem dazu, dass praktisch immer mindestens ein weiterer Netzbetreiber an den Leistungsbeziehungen über den in den kleinen Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG erzeugten Strom beteiligt ist und ein Rückerwerb von dem Netzbetreiber, in dessen Netz der Strom zum Erhalt der Einspeisevergütung nach dem EEG eingespeist wurde, normalerweise ausscheidet (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36).
28Anders als der Vertreter der Generalzolldirektion in der mündlichen Verhandlung gemeint hat, steht ein etwaiger Verstoß gegen das Beihilferecht (Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) der Gewährung der Steuerbefreiung nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat es vielmehr hingenommen, dass es auf Grund der im Kalenderjahr 2015 anzuwendenden Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG und einer gleichzeitigen Inanspruchnahme der finanziellen Förderung nach dem EEG zu einer nach Auffassung des Vertreters der Generalzolldirektion beihilferechtlich unzulässigen Überförderung von Strom aus erneuerbaren Energien kommen konnte (vgl. BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36 Randnr. 33 ff.).
29Der fragliche Strom ist von den Letztverbrauchern auch im räumlichen Zusammenhang zu dem BHKW entnommen worden (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG). Gemäß § 12b Abs. 2 Satz 2 StromStV liegt eine Entnahme von Strom im räumlichen Zusammenhang zu einer Anlage im Sinne des Satzes 1 nur vor, soweit der in den einzelnen Stromerzeugungseinheiten der Anlage erzeugte Strom im räumlichen Zusammenhang zu der Stromerzeugungseinheit entnommen wird, in der der Strom erzeugt worden ist. Der Begriff „räumlich" ist gebietsbezogen zu verstehen. Eine Begünstigung ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil der Strom in ein öffentliches Leitungsnetz eingespeist wird (BFH, Urteile vom 20. April 2004 VII R 57/03, BFH/NV 2005, 578; vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36).
30Die Klägerin hat den Strom an Abnehmer im Ortsteil Y geleistet. Das gesamte Gebiet des Ortsteils befindet sich in einem Umkreis von 4,5 km von dem BHKW. Dies stellt einen räumlichen Zusammenhang zu den Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG dar (vgl. BFH, Urteil vom 20. April 2004 VII R 44/03, BFHE 205, 566).
31Die Stromsteuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG besteht allerdings nur insoweit, als derjenige, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, im Ergebnis nicht mehr Strom an Letztverbraucher leistet, als er erzeugt hat. Eine darüber hinausgehende Strommenge kann nicht in die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG einbezogen werden, weil diese Strommenge nicht in den kleinen Anlagen erzeugt worden sein kann und der bloße Zukauf von Strom steuerlich nicht begünstigt ist (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36).
32Im Streitfall steht nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) fest, dass die Klägerin im Kalenderjahr 2015 nicht mehr Strom an Letztverbraucher geleistet hat, als sie mit dem fraglichen BHKW erzeugt hat. Die Frage der Feststellungslast (vgl. BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36 Randnr. 46 f.) stellt sich daher hier nicht. Ausweislich der von der Klägerin im Einspruchsverfahren übersandten monatlichen Aufteilung der zeitgleichen Liefermengen des mit dem BHKW erzeugten Stroms an Letztverbraucher für das Kalenderjahr 2015 (Bl. 5 der Einspruchsakte) hat sie insgesamt 1.959,221 MWh Strom, der mit dem BHKW erzeugt worden ist, in das Mittelspannungsnetz der A GmbH eingespeist und abzüglich der Leitungsverluste insgesamt 1.843,980 MWh Strom an Letztverbraucher geleistet. In keinem der Monate des Kalenderjahres 2015 hat die Klägerin nach dieser Aufteilung mehr Strom an Letztverbraucher geleistet, als sie erzeugt hat. Entsprechendes gilt nach der von der Klägerin als Anlage K 10 übersandten monatlichen Aufteilung der zeitgleichen Liefermengen für den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 2015 (Bl. 143 GA). Das beklagte Hauptzollamt ist diesen Aufstellungen der Klägerin nicht inhaltlich entgegengetreten. Im Gegenteil hat das beklagte Hauptzollamt auf der Grundlage der im Einspruchsverfahren übersandten Aufteilung der Klägerin mit dem Bescheid vom 12. September 2017 Stromsteuer von 9.199,99 € für eine Menge von 448,780 MWh Strom erstattet, der in dem Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2015 mit dem BHKW erzeugt und im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage entnommen worden war.
33Die Klägerin hat mit ihrer Steueranmeldung vom 31. Mai 2016 die Strommengen angemeldet, die steuerfrei nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG entnommen worden sind, wie dies § 4 Abs. 6 StromStV erforderte. In den Anlagen zu ihrer Steueranmeldung vom 31. Mai 2016 hat sie die Menge an Strom, den sie an Letztverbraucher geleistet hat und den diese im räumlichen Zusammenhang zu dem BHKW entnommen haben, mit 1.843,98 MWh angegeben. Da nach Überzeugung des Senats feststeht, dass die Klägerin im Kalenderjahr 2015 nicht mehr Strom an Letztverbraucher geleistet hat, als sie erzeugt hat, bedarf es für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG nicht noch zusätzlich der Vorlage der von ihr gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 StromStV zu führenden Aufzeichnungen. § 12b StromStV verweist – anders als § 13a Abs. 3 Satz 2 StromStV – nicht auf § 4 Abs. 2 und 3 StromStV. Die Vorlage entsprechender Aufzeichnungen der Klägerin ist daher keine weitere zusätzliche Voraussetzung für die zwingend nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG zu gewährende Steuerbefreiung. Entscheidend ist insoweit lediglich, dass derjenige, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, im Ergebnis nicht mehr Strom an Letztverbraucher leistet, als er erzeugt hat (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36 Randnr. 30, 47). Es würde unter diesen Umständen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, gleichwohl von der Klägerin noch zusätzlich die Vorlage der von ihr nach § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 StromStV zu führenden Aufzeichnungen zu verlangen (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 7. November 2019 Rs. C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933 Randnr. 59).
34Im Übrigen hat der Vertreter der Generalzolldirektion in der mündlichen Verhandlung nur unsubstantiiert bestritten, dass die Klägerin die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2 StromStV erforderlichen Aufzeichnungen geführt hat. Aus dem Bericht über die die Kalenderjahre 2012 und 2013 betreffende Außenprüfung vom 4. September 2014 ergibt sich indes, dass die Klägerin für diese Veranlagungszeiträume die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2 StromStV erforderlichen Aufzeichnungen geführt hat (Randnr. 3.3.1.5 und 3.3.2.5 des Prüfungsberichts) (Bl. 27, 32 der Steuerakte).
35Die Klägerin hat nach Überzeugung des Senats auch nachgewiesen, gegenüber den Letztverbrauchern vertraglich zur Leistung von Strom verpflichtet gewesen zu sein. Sie hat insoweit mit Schriftsatz vom 29. März 2022 als Anlage K 9 eine Aufstellung aller Kunden übersandt, die im Jahr 2015 in einem Umkreis von 4,5 km um das BHKW mit Strom beliefert worden sind (Bl. 113 ff. GA). Ferner hat sie vorgetragen, mit sämtlichen Kunden habe in dem fraglichen Zeitraum eine vertragliche Lieferverpflichtung entweder auf Grund eines abgeschlossenen Stromliefervertrags oder durch ein gesetzlich begründetes Vertragsverhältnis nach § 2 StromGVV bestanden. Die Klägerin hat zwar nicht entsprechende Stromlieferungsverträge übersandt. Es liegt jedoch nicht nur nahe (vgl. BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36), sondern ist offensichtlich, dass die Klägerin gegenüber den in der Anlage K 9 aufgeführten Kunden vertraglich zur Leistung von Strom verpflichtet war. Zu den jeweiligen Namen und Anschriften der Kunden sind in dieser Aufstellung insbesondere die jeweiligen Kundennummern genannt worden. Es ist nicht vorstellbar, dass diesen Leistungsbeziehungen keine vertraglichen Verpflichtungen der Klägerin zugrunde lagen.
36Anders als das beklagte Hauptzollamt meint, muss die Klägerin nicht zusätzlich nachweisen, dass den Leistungsbeziehungen zu ihren Kunden auf Grund von Stromlieferungsverträgen ein Netznutzungsvertrag im Sinne des § 24 StromNZV zugrunde lag. Insbesondere hat die Klägerin für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG nicht noch nachzuweisen, dass die von den Letztverbrauchern entnommenen Strommengen über Messeinrichtungen (§§ 18 ff. StromNZV) und auf der Grundlage des Lastprofilverfahrens (§ 12 StromNZV) ermittelt worden sind. Eine Leistungsbeziehung im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG setzt lediglich voraus, dass der Versorger vertraglich zur Stromlieferung an den Letztverbraucher verpflichtet ist (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36 Randnr. 44). Die Einhaltung der Bestimmungen der StromNZV ist insoweit nicht erforderlich. Diese Verordnung regelt nur die Bedingungen für Einspeisungen von elektrischer Energie in Einspeisestellen der Elektrizitätsversorgungsnetze und die damit verbundene zeitgleiche Entnahme von elektrischer Energie an räumlich davon entfernt liegende Entnahmestellen der Elektrizitätsversorgungsnetze (§ 1 Satz 1 StromNZV). Stromsteuerrechtliche Vorschriften enthält die StromNZV nicht. Zudem verweist weder § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG noch § 12b StromStG auf Bestimmungen der StromNZV.
37Entgegen der vom beklagten Hauptzollamt vertretenen Auffassung hat die Klägerin auch nicht nachzuweisen, dass der an Letztverbraucher geleistete Strom, für den die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG in Anspruch genommen wird, der Strom ist, der in dem BHKW erzeugt worden ist. Ein Nämlichkeitsnachweis ist insoweit gerade nicht erforderlich. Vielmehr können auf Grund des sog. Wälzungsmechanismus (§ 56 Nr. 1 EEG) und auf Grund der physikalischen Besonderheiten der Ware Strom eingespeiste Strommengen in jedem Fall nicht im Sinne einer nämlichen Strommenge, sondern nur rein rechnerisch bzw. kaufmännisch-bilanziell zurückerworben werden (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36 Randnr. 28).
38Die Klägerin hat nicht auch nochmals die Zeitgleichheit zwischen der Erzeugung und der Entnahme der Strommengen durch die Letztverbraucher nachzuweisen. § 11a StromStV ist durch Art. 4 Nr. 13 des Gesetzes vom 22. Juni 2019 (BGBl. I, 856) erst mit Wirkung ab dem 1. Juli 2019 eingefügt worden (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes). Unbeschadet dessen hat die Klägerin bereits im Einspruchsverfahren eine monatliche Aufteilung der zeitgleichen Liefermengen des mit dem BHKW erzeugten Stroms an Letztverbraucher für das Kalenderjahr 2015 (Bl. 5 der Einspruchsakte) übersandt.
39Der Klageantrag zu 2. ist nach § 100 Abs. 4 FGO zulässig. Danach ist in dem vorliegenden Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig, soweit die Anfechtungsklage zur Aufhebung des Steuerbescheids vom 31. Mai 2017 führt. Das gilt unbeschadet dessen, dass hinsichtlich der Festsetzung der Zinsen (§§ 239 Abs. 1 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 1 AO) noch kein Verwaltungsakt des beklagten Hauptzollamts ergangen ist und kein Vorverfahren stattgefunden hat (vgl. BFH, Urteile vom 29. Juni 1971 VII K 31/67, BFHE 103, 28; vom 29. Oktober 1981 I R 89/80, BFHE 134, 245).
40Da die Klägerin eine Verzinsung nur noch für den Zeitraum von der Entrichtung der Steuer am 10. Oktober 2016 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit am 2. November 2017 begehrt, liegt auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. Insoweit fehlt es – anders als bei einem auf die Zahlung von Prozesszinsen (§ 236 AO) gerichteten Leistungsbegehren (vgl. BFH, Urteil vom 19. März 2013 VII R 15/11, juris) – an einer gesetzlichen Grundlage für einen Zinsanspruch (§ 233 Satz 1 AO). Es ist gerichtsbekannt, dass die Zollverwaltung eine Verzinsung auf Grund des unionsrechtlichen Erstattungsanspruchs bislang ablehnt (vgl. BFH, Beschluss vom 21. Januar 2021 VII B 121/20, BFH/NV 2021, 682 sowie das bei Gericht anhängige Klageverfahren 4 K 2429/21 AO).
41Der Klageantrag zu 2. ist hinsichtlich des Zeitraums von der Zahlung der festgesetzten Stromsteuer am 10. Oktober 2016 an bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit (§ 66 Satz 1 FGO) auch begründet. Das Unionsrecht begründet einen Anspruch auf die Verzinsung eines Erstattungsbetrags der Stromsteuer, die zu Unrecht erhoben wurde, auch in den Fällen, in denen eine einzelstaatliche Vorschrift fehlerhaft angewendet worden ist, die auf der Grundlage einer von der Richtlinie (EG) 2003/96 des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Richtlinie 2003/96) vorgesehenen fakultativen Steuerbefreiung erlassen worden ist (Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 9. September 2021 Rs. C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716 Randnr. 33, 36). § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG beruht auf der fakultativen Steuerbefreiung des Art. 21 Abs. 5 Unterabs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2003/96 (BFH, Urteil vom 30. Juni 2021 VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36 Randnr. 26). Der BFH hat in seinem vorgenannten Urteil den Verstoß der Verwaltung gegen § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG und damit gegen das Unionsrecht (Art. 21 Abs. 5 Unterabs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2003/96) festgestellt. Daher hat die Klägerin unbeschadet der vom Vertreter der Generalzolldirektion in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten beihilferechtlichen Bedenken, die der BFH für unbeachtlich erachtet hat, nicht nur einen Erstattungsanspruch, sondern auch einen Verzinsungsanspruch.
42Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.