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Der Bescheid über Körperschaftsteuer für 2010 vom 10.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2019 sowie der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 vom 07.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.11.2019 werden mit der Maßgabe geändert, dass ein um ... Euro geminderter Gewinn aus Gewerbebetrieb und ein in gleicher Höhe geminderter Gewerbeertrag zugrunde gelegt werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig sind die Nichtberücksichtigung eines Verlustes im Streitjahr 2010 durch Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit höherrangigem Recht.
3Die Klägerin ist eine im Handel mit und der Durchführung von Dienstleistungen im Bereich des Facility- und Immobilienmanagements tätige GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland. Alleinige Gesellschafterin der Klägerin ist die in den USA ansässige A. Von Dezember 2008 bis zum 31.08.2015 war die Klägerin Alleingesellschafterin der B GmbH, mit der sie einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag vom 02.03.2009 abgeschlossen hatte und im Streitjahr als Organträgerin eine ertragsteuerliche Organschaft bildete. Die B GmbH war die einzige Organgesellschaft der Klägerin. Die Klägerin hatte ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr, das vom 01.10. bis zum 30.09. des Folgejahres lief.
4Für Zwecke der US-amerikanischen Besteuerung wurde die Klägerin im Streitjahr unter Anwendung des sog. „check-the-box-election"-Verfahrens als „disregarded entity" behandelt. Hiernach galt die Klägerin für US-Steuerzwecke nicht als eigenständiges Steuersubjekt, sondern als Betriebsstätte ihrer Alleingesellschafterin bzw. wiederum deren Gesellschaftern im ... -Konzern. Als Folge dieser Behandlung wurden sowohl positive als auch negative Einkünfte der Klägerin nach den Besteuerungsgrundsätzen der USA ermittelt und für die Besteuerung der Alleingesellschafterin und deren Gesellschaftern in den USA berücksichtigt.
5Mit Bescheid vom 06.02.2012 setzte das zum damaligen Zeitpunkt zuständige Finanzamt Z-Stadt die Körperschaftsteuer für 2010 für die Klägerin gemäß der am 27.12.2011 eingereichten Körperschaftsteuererklärung auf ... Euro unter Zugrundelegung eines nach Maßgabe deutscher Gewinnermittlungsvorschriften ermittelten Gesamtbetrags der Einkünfte i.H.v. ./. ... Euro fest; darin enthalten war das der Klägerin als Organträgerin zugerechnete Einkommen der B GmbH i.H.v. ./. ... Euro. Der gesondert festgestellte verbleibende Verlustabzug auf den 31.12.2010 betrug ... Euro (Bescheid vom 06.02.2012 über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010). In dem gemäß der Gewerbesteuerklärung vom 27.12.2011 ergangenen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 vom 06.02.2012 wurde der Gewerbeertrag vor Verlustabzug mit ./. ... Euro festgesetzt. Mit Bescheid vom 06.02.2012 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010 wurde der vortragsfähige Gewerbeverlust nach Berücksichtigung des Gewerbeverlustes des Jahres 2010 auf ... Euro festgestellt. Die Bescheide ergingen ebenso wie die zwischenzeitlich aus nicht den Streitfall betreffenden Gründen ergangenen Änderungsbescheide vom 05.12.2012 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
6Bei einer bei der Klägerin für die Jahre 2010 bis 2012 durchgeführten Außenprüfung im Jahr 2015 stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin nach Maßgabe der Gewinnermittlungsmethode US-GAAP gemäß US-amerikanischem Recht umgerechnet Ergebnisse in den Jahren 2010 bis 2012 wie folgt erzielt hatte (Bericht über die Betriebsprüfung vom 17.02.2017):
72010 |
2011 |
2012 |
./. ... Euro |
+ ... Euro |
+ ... Euro |
Der Prüfer stellte weiter und in Übereinstimmung mit der Klägerin fest, dass der in den USA für die Klägerin als „disregarded entity“ im Jahr 2010 ermittelte Verlust i.H.v. umgerechnet ... Euro bei der US-amerikanischen Besteuerung der ...-Unternehmensgruppe berücksichtigt wurde. Infolgedessen erachtete der Prüfer eine Korrektur nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG durch eine „Hinzurechnung negativer ausl. Einkünfte im Organkreis“ i.H.v. ... Euro zu dem bei der inländischen Besteuerung der Klägerin zugrunde zu legenden Gewinn für notwendig.
9Das Finanzamt Z-Stadt folgte den Feststellungen und erließ unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung einen vom 10.07.2017 stammenden geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 2010, in dem es unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG die von der Betriebsprüfung für das Streitjahr ermittelten negativen Einkünfte in Höhe von ... Euro bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte der Klägerin hinzurechnete. Die Körperschaftsteuer wurde unter Zugrundelegung eines Gesamtbetrags der Einkünfte i.H.v. ./. ... Euro unverändert auf ... Euro festgesetzt. Der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010 wurde mit Bescheid vom 10.07.2017 auf ... Euro gesondert festgestellt; der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben. In dem vom 07.07.2017 stammenden geänderten Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb unter Hinzurechnung von ... Euro laut Betriebsprüfung mit ./. ... Euro zugrunde gelegt; der Gewerbeertrag vor Verlustabzug betrug ... Euro. In dem geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010, ebenfalls vom 07.07.2017, berücksichtigte das Finanzamt Z-Stadt den geminderten Verlust und stellte einen vortragsfähigen Gewerbeverlust von ... Euro fest.
10Mit Schreiben vom 10.08.2017 legte die Klägerin Einspruch gegen die geänderten Bescheide über Körperschaftsteuer für 2010 vom 10.07.2017 und über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 vom 07.07.2017 ein, den sie im Wesentlichen mit einer nicht verfassungsgemäßen rückwirkenden Anwendung der Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG begründete. Das nunmehr zuständig gewordene Finanzamt Y-Stadt (im Folgenden: das Finanzamt –FA–) wies die Einsprüche als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidungen vom 20.03.2019 zu Körperschaftsteuer 2010 und vom 29.11.2019 zu Gewerbesteuer 2010). In dem Schreiben der Klägerin vom 10.08.2017 werden die geänderten Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010 vom 10.07.2017 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010 vom 07.07.2017 nicht genannt.
11Die Klägerin hat gegen die geänderten Bescheide vom 10.07.2017 über Körperschaftsteuer 2010 und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010 am 05.04.2019 sowie gesondert gegen die geänderten Bescheide vom 10.07.2017 über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010 am 06.12.2019 Klage erhoben; die Klagen wurden mit Beschluss des Gerichts vom 19.12.2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit der Klage verfolgt die Klägerin die Rückgängigmachung einer Hinzurechnung von nicht berücksichtigten, inländischen negativen Einkünften in Höhe von ... Euro weiter. Sie hält die Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG i.V.m. § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des Gesetzes vom 20.02.2013 (Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts –UntStVereinfG–, Bundesgesetzblatt –BGBl.– I 2013, 285) aus mehreren Gründen für verfassungswidrig. Hierzu trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Neuregelung rückwirkend auf alle noch nicht bestandskräftig veranlagten Fälle anzuwenden sei und dies zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen echten Rückwirkung führe. Eine Rechtfertigung hierfür bestehe nicht. Soweit das FA die Verschärfung der eingeschränkten Verlustberücksichtigung als zulässige Folge der zugleich erfolgten Änderung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KStG ansehe, mit der der doppelte Inlandsbezug für Organgesellschaften aufgegeben worden sei, könne dem nicht gefolgt werden. Denn bei der Zulassung der doppelt ansässigen Organgesellschaft in Halbsatz 1 der Norm habe es sich lediglich um eine deklaratorische Klarstellung zur Umsetzung europarechtlicher Vorgaben gehandelt, während die Änderung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG konstitutiv verschärfend wirke. Bei der Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs für Organgesellschaften habe es sich bereits vor der Gesetzesänderung um geltendes Recht gehandelt, da § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KStG gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen habe, infolgedessen unionsrechtskonform auszulegen gewesen sei und der Gesetzgeber mit der Anpassung von Halbsatz 1 lediglich seiner Pflicht nachgekommen sei, das bereits geltende Recht hinsichtlich der Zulässigkeit doppelt ansässiger europäischer Organgesellschaften klarstellend niederzulegen. Dies gelte nicht für § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG, weil diese Norm nicht gegen Unionsrecht verstoßen habe.
12Überdies stelle die Norm aus verschiedenen Gründen einen Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) dar. Anders als „Stand alone“-Gesellschaften ohne Organschaftsbezug würden nur organschaftlich gebundene Gesellschaften benachteiligt, obwohl negative Verluste und eine doppelte Verlustnutzung im In- und Ausland auch bei organschaftlich nicht gebundenen Kapitalgesellschaften auftreten und vom Gesetzgeber akzeptiert würden. Ein Grund für diese Ungleichbehandlung bestehe nicht.
13Es liege überdies ein Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vor, weil die Norm lediglich auf die Nichtberücksichtigung negativer Einkünfte abziele, positive Einkünfte hingegen weiterhin doppelt erfasst würden.
14Ein Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ergebe sich auch dadurch, dass die von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG beschränkte Verlustanerkennung zu einem endgültigen Verlustuntergang führe, weil ein Vor- oder Rücktrag nicht berücksichtigter Verluste nicht vorgesehen sei. Dies begründe zugleich einen Verstoß gegen das Übermaßverbot, weil die angeordnete Rechtsfolge des Verlustuntergangs unverhältnismäßig sei.
15Auch gebiete das Leistungsfähigkeitsprinzip, dass Verluste im Staat ihrer wirtschaftlichen Entstehung berücksichtigt werden. Mit der Neuregelung werde dies verhindert. Ebenfalls verstoße die Norm gegen das objektive Nettoprinzip als konkrete gesetzliche Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzips. Dieses gebiete, dass ein Steuerpflichtiger die zur Erzielung von Einnahmen getragenen Aufwendungen von den Einnahmen abziehen könne. Als Ausfluss des objektiven Nettoprinzips seien Verluste dort steuerlich zu berücksichtigen, wo sie entstanden sind. In Fällen wie im Streitfall führe die Vorschrift aber zu einer Verlagerung der im Inland entstandenen Verluste in das Ausland unter Nichtberücksichtigung im Inland.
16Die Norm führe zudem zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung von Steuerpflichtigen, die der Anrechnungsmethode unterliegen, gegenüber jenen, die der Freistellungsmethode unterliegen.
17Die verfassungsrechtlichen Verstöße seien allesamt nicht gerechtfertigt. Weder könne eine Missbrauchsvermeidung wegen einer doppelten Verlustnutzung als Rechtfertigung herangezogen werden, weil eine solche Verlustnutzung auch bei nicht organschaftlich verbundenen Gesellschaften akzeptiert werde, noch könne die Verlustverrechnung aufgrund einer Organschaftszugehörigkeit als Missbrauchsvorwurf dienen, weil das Konstrukt der Organschaft gerade der Einkünftekonsolidierung mehrerer Steuersubjekte diene. Dass im Rahmen der Organschaftsbesteuerung das Verlustverrechnungspotential unter Umständen höher ist als bei einer einzelnen Gesellschaft, stelle keine Rechtfertigung dar. Der Gesetzgeber habe sowohl die Organschaftsbesteuerung als auch den Verlustabzug zugelassen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Kombination beider zugelassener steuerlicher Elemente zu einer beschränkenden Rechtsfolge führt. Es sei der Organschaftsbesteuerung vielmehr immanent, dass ein größeres Verlustnutzungspotential geschaffen werden kann. Der Mechanismus der Organschaft stelle eine langjährige Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers dar und deren Wirkungsweise stelle weder einen Gefährdungstatbestand noch einen Missbrauch dar.
18Die Klägerin ist des Weiteren der Ansicht, dass die Norm auch gegen „einfaches materielles nationales Recht“ verstoße. Es sei grundsätzlich ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, einen Verlustimport zu unterbinden. Allerdings diene die streitige Norm nicht der Sicherung des inländischen Steuersubstrats durch Verhinderung eines Verlustimports, sondern sanktioniere vielmehr die Berücksichtigung inländischer Verluste im Ausland. Es sei indes nicht nachvollziehbar, weshalb Deutschland aufgrund der Verlustberücksichtigung im Ausland einen Verlustabzug auch im Inland versage. Der Gesetzgeber könne im Übrigen keine ausländische Regelung über die Verlustberücksichtigung als Rechtfertigung für die Verstöße gegen Art. 3 GG heranziehen. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass sich die von der Norm bezweckte Erfassung doppelt ansässiger Gesellschaften nicht im Wortlaut widerspiegele. Dies führe dazu, dass auch Gesellschaften mit doppelten Inlandsbezug von der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG erfasst würden, die wie die Klägerin wegen des US-amerikanischen check-the-box-election-Systems als transparent betrachtet werden. Dies sei nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen, sodass die Vorschrift auch deshalb nur auf doppelt ansässige Gesellschaften und damit keine Anwendung im Streitfall fände.
19Zu der Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG für gewerbesteuerliche Zwecke ist die Klägerin der Ansicht, dass die Vorschrift ebenfalls nicht zu berücksichtigen sei.
20Eine Anwendung ergebe sich weder aus dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck noch der Stellung von § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) als Vorschrift zum gewerbesteuerlichen Steuergegenstand. Zwar verweise diese Norm in Gänze auf § 14 KStG, allerdings sei der Verweis – mangels einer eigenständigen Definition der Organgesellschaft im GewStG – auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Organgesellschaftseigenschaft in § 14 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 17 KStG beschränkt.
21Auch ergebe sich keine Anwendung über § 7 Satz 1 GewStG, weil hiernach der Gewinn aus Gewerbebetrieb nach Maßgabe des KStG zu ermitteln sei. Da es sich bei § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG aber nicht um eine Gewinnermittlungsvorschrift handele, wie das Gliederungsschema in R 7.1 Abs. 1 der Körperschaftsteuerrichtlinien (KStR 2015) zeige, weil die hiernach zu erfolgenden Anpassungen nach § 14 KStG erst nach der Gewinnermittlung gemäß Gliederungsziffern 1. bis 20. erfolgten, komme die Regelung für gewerbesteuerliche Zwecke nicht zur Anwendung. Dies zeige sich auch dadurch, dass die streitgegenständliche Norm auf „negative Einkünfte“ abstelle und damit erst an dem bereits ermittelten Gewinn bzw. der ermittelten Summe der Einkünfte ansetze. Da der Gewerbeertrag nach dem GewStG an den Gewinn und nicht an den Gesamtbetrag der Einkünfte anknüpfe, könne die an den Gesamtbetrag der Einkünfte anknüpfende Norm des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG keine Anwendung für gewerbesteuerliche Zwecke finden.
22Für dieses Verständnis spreche auch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12.10.2016 I R 93/12, wonach laut BFH für die Anwendung der Norm die konsolidierten Einkünfte des Organträgers maßgeblich seien und dies mit der Stellung der Regelung im Gesetz begründet worden sei. Hiernach sei die Regelung als Nr. 5 des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG eingefügt worden, also im Zusammenhang mit der Einkommenszurechnung als Folge der Organschaft. Da eine solche Einkommenszurechnung im Organschaftsfall für die Gewerbesteuer wegen der dort geltenden gebrochenen Einheitstheorie nicht vorgesehen sei, scheide die Anwendung der streitgegenständlichen Norm für gewerbesteuerliche Zwecke aus.
23Da die Norm zudem in § 14 KStG und nicht in § 15 KStG als der Vorschrift über die Gewinnermittlung im Rahmen der Organschaft verortet sei, spreche auch die systematische Stellung der Norm für eine Anwendung erst nach der Gewinnermittlung der jeweiligen Gesellschaft.
24Für eine Anwendung im Gewerbesteuerrecht fehle es darüber hinaus an einer insoweit ausdrücklichen Anwendungsregelung, wie sie über § 7 Satz 3 GewStG für § 5a Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestehe. Für § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG bestehe eine solche ausdrückliche Anwendungsregelung aber ebenso wenig wie für andere Verlustbeschränkungsregelungen in § 15 Abs. 4 EStG, § 15a EStG oder § 15b EStG. Da diese Normen von der Finanzverwaltung als für gewerbesteuerliche Zwecke nicht anwendbar angesehen werden, müsse dies auch für § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG gelten.
25Gegen die Anwendung spreche auch das Territorialitätsprinzip der Gewerbesteuer; es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb die Berücksichtigung von negativen Einkünften im Ausland zu einer beschränkten Abziehbarkeit negativer Einkünfte im Inland bei der Gewerbesteuer führen soll.
26Hinzu trete schließlich, dass es im Ausland keine der deutschen Gewerbesteuer vergleichbare Steuer gebe, bei der der inländische Verlust Berücksichtigung finden könne. Damit sei eine doppelte Berücksichtigung im In- und Ausland bereits faktisch ausgeschlossen und stehe einer Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG bei der Ermittlung des gewerbesteuerlichen Gewerbeertrags entgegen.
27Soweit mit der Klage auch die Änderung der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes angegriffen werden, zu denen keine Einspruchsentscheidungen ergangen sind, sei dies nach Auffassung der Klägerin verfahrensrechtlich wegen der analogen Anwendung von § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) geboten.
28Die Klägerin beantragt,
29die geänderten Bescheide über Körperschaftsteuer für 2010 und über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010, jeweils vom 10.07.2017, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2019 sowie die geänderten Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010, jeweils vom 07.07.2017, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.11.2019 mit der Maßgabe zu ändern, dass ein um ... Euro geminderter Gewinn aus Gewerbebetrieb und ein in gleicher Höhe geminderter Gewerbeertrag zugrunde gelegt wird;
30im Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
31Das FA beantragt,
32die Klage abzuweisen;
33im Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
34Es hält § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG für verfassungskonform. Die Regelung habe in der ursprünglichen Fassung ab 2003 verhindern sollen, dass sich bei doppelt ansässigen Organträgern Verluste im In- und Ausland doppelt oder entsprechend nationaler Regelungen ausländischer Staaten (etwa in den USA) stets zulasten Deutschlands auswirken. Die Neuregelung durch das UntStVereinfG im Jahr 2013 sei aufgrund der zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung notwendig geworden, weil es durch die Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs für die Organgesellschaft möglich geworden sei, dass diese sowohl in einen inländischen Organschaftskreis als auch in eine ausländische Gruppenbesteuerung eingebunden ist. Auf diese Weise sei es somit erstmals denkbar gewesen, dass auch Verluste der Organgesellschaft – jedenfalls mittelbar über die Hinzurechnung des Einkommens zum Organträger – sowohl im Inland als auch ein weiteres Mal im Ausland genutzt werden konnten. Eine zweifache Verlustnutzung zulasten Deutschlands sei daher zu verhindern gewesen und ein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgers habe nicht bestanden. Das Instrument der Organschaft könne dazu verwendet werden, länderüberschreitende Gewinnverschiebungen zu ermöglichen. Es sei ein berechtigtes Interesse des Gesetzgebers, dass hiermit keine Minderung der inländischen Bemessungsgrundlage einhergehe. Es stehe dem Gesetzgeber auch frei, dass wenn er dem Steuerpflichtigen den Vorteil einer Ergebniskonsolidierung mittels Organschaft gewähre, er diesen Vorteil auch wieder ganz oder teilweise rückgängig machen könne, wenn erkannt werde, dass hierdurch missbräuchliche Gestaltungen erfolgen. Aus diesem Grund stelle die Organschaft einen Rechtfertigungsgrund für den Verstoß sowohl gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz als auch gegen das objektive Nettoprinzip dar. Die Neuregelung erfasse ihrem Zweck nach auch Fälle ohne doppelten Inlandsbezug, wenn wie im Streitfall durch das check-the-box-Verfahren eine steuerliche Transparenz hergestellt wird; eine verfassungskonforme Auslegung, wonach die doppelte Ansässigkeit Tatbestandsmerkmal ist, scheide aus. Schließlich habe sich der BFH in den zwischenzeitlich ergangenen Urteilen (I R 92/12 und I R 93/12) bereits mit der Neufassung der Regelung befasst und keine verfassungsrechtlichen Zweifel geäußert.
35Die Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG für gewerbesteuerliche Zwecke sei zudem bereits durch die umfassende Bezugnahme in § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG geboten und folge auch aus dem Umstand, dass der für die Gewerbesteuer maßgebliche Gewinn zwar verfahrensrechtlich selbstständig ermittelt werde, inhaltlich aber denselben Regeln folge wie die Ermittlung des Gewinns für die Körperschaftsteuer. Unter Zugrundelegung des Einkommensermittlungsschemas in R 7.1 KStR 2015 und der dort verwendeten Begriffe müsse die streitige Norm bei der Ermittlung des Gewinns i.S.v. § 7 GewStG berücksichtigt werden, da hier auch andere nicht ausgleichsfähige Verluste oder negative Einkünfte hinzugerechnet würden. Unter Schritt 18 des Ermittlungsschemas würden Korrekturen bei Organschaft i.S.d. §§ 14 und 17 KStG ausdrücklich erwähnt.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Steuerakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
38Die Klage hat teilweise Erfolg.
39I. Soweit sich die Klage gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010 vom 10.07.2017 und gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010 vom 07.07.2017 richtet, ist sie mangels einer ganz oder teilweise erfolglosen Durchführung eines Vorverfahrens gemäß § 44 Abs. 1 FGO der Finanzgerichtsordnung (FGO) unzulässig. Ein Einspruchsverfahren wurde zu diesen Bescheiden nicht durchgeführt, weil sie zuvor nicht mit Einsprüchen angefochten worden sind. Von der Klägerin sind mit Schreiben vom 10.08.2017 lediglich Einsprüche gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2010 vom 10.07.2017 und gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 vom 07.07.2017 eingelegt worden. Dementsprechend hat das FA auch nur Einspruchsentscheidungen vom 20.03.2019 betreffend Körperschaftsteuer 2010 und vom 29.11.2019 betreffend „Gewerbesteuer 2010“ – gemeint ist der Gewerbesteuermessbetrag für 2010 – erlassen.
40Dass nunmehr der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010 vom 10.07.2017 und der Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010 vom 07.07.2017 erstmals durch die Klage mit einem Rechtsbehelf angefochten sind, führt auch nach Maßgabe von § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO zu keiner insoweit zulässigen Klage. Denn durch die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO wird lediglich die Durchführung eines Vorverfahrens entbehrlich. Die ansonsten bestehenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klage bleiben hiervon unberührt und sind im Streitfall deshalb nicht erfüllt, weil die einmonatige Frist für die Anfechtung der Bescheide gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO mit den Klageerhebungen am 05.04.2019 und am 06.12.2019 nicht eingehalten wurde.
41Die Zulässigkeit der insoweit unmittelbar erhobenen Klage ergibt sich auch nicht aus der analogen Anwendung von § 171 Abs. 10 AO. Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 171 Abs. 10 AO – wie von § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 2 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG) vorgesehen – sowie der zugleich angeordneten entsprechenden Anwendung von § 351 Abs. 2 AO und § 42 FGO, dass gerade keine Anfechtung eines Verlustfeststellungsbescheids in Betracht kommt, wenn nur die Höhe der bei der Feststellung zu berücksichtigenden Besteuerungsgrundlagen streitig ist. Denn dann ist zutreffender Anfechtungsgegenstand einzig der Bescheid, in dem die Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt worden sind und dem über die entsprechende Anwendung von § 171 Abs. 10 AO insoweit eine Bindungswirkung zugesprochen wird. Das ist regelmäßig – und so auch im Streitfall – der Bescheid, in dem die Steuer festgesetzt wird. Wegen § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG gilt dies auch für das Verhältnis zwischen einem Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag und dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes.
42Die mit dem Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) erfolgte Neuregelung des Verhältnisses zwischen Festsetzungsbescheid und Feststellungsbescheid in § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG findet im Streitfall auch Anwendung, weil nach der für die Neuregelung geltenden Anwendungsvorschrift in § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 die Neuregelung erstmals für Verluste anwendbar ist, für die nach dem 13.12.2010 – auch für zurückliegende Veranlagungszeiträume – eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wird (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des zeitlichen Anwendungsbereichs BFH-Urteile vom 10.02.2015 IX R 6/14, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2015, 812; vom 11.10.2017 IX R 15/17, BFH/NV 2018, 433). In den Fällen, in denen keine Feststellungserklärung abgegeben wird, ist auf die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung abzustellen, die den Verlust enthält (vgl. Hallerbach, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 309. Lieferung 02.2022, § 10d EStG Rn 4). Im Streitfall wurden die Körperschaftsteuererklärung für 2010 sowie die Gewerbesteuererklärung für 2010 am 27.12.2011 und damit nach dem maßgeblichen Datum laut der Anwendungsvorschrift in § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 abgegeben.
43II. Soweit sich die Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2010 vom 10.07.2017 und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 vom 07.07.2017 richtet, ist sie zulässig und begründet. Diese Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA durfte bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag die den Gewinn aus Gewerbebetrieb und den Gewerbeertrag mindernden negativen Einkünfte der Klägerin i.H.v. ... Euro nicht nach Maßgabe von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG unberücksichtigt lassen. Die Vorschrift findet auf die Klägerin im Streitjahr 2010 aufgrund einer verfassungsrechtlich gebotenen Reduktion der den zeitlichen Anwendungsbereich von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG regelnden Vorschrift des § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG keine Anwendung.
441. Die Klage ist trotz der Festsetzung einer Körperschaftsteuer und eines Gewerbesteuermessbetrags von jeweils ... Euro zulässig. Es fehlt hierdurch nicht an der erforderlichen Beschwer der Klägerin. Denn im Hinblick auf einen sog. ...bescheid ist eine Beschwer auch dann gegeben, wenn der Festsetzung Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt worden sind, die aufgrund ihrer Bindungswirkung (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 1 EStG und § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 GewStG) zu einem zu niedrigen verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer oder zu einem zu niedrigen vortragsfähigen Gewerbeverlust geführt haben (BFH-Urteile vom 28.11.2018 I R 41/18, BFH/NV 2019, 1109; vom 17.03.2021 IV R 7/20, BFH/NV 2021, 1206).
452. Die Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2010 ist auch begründet. Zwar unterfällt der Verlust i.H.v. ... Euro der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG (dazu unter a)). Allerdings findet diese Regelung entgegen dem Anwendungsbefehl in § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG keine Anwendung auf den Streitfall (dazu unter b)). Es bedarf insoweit keiner Erörterung, ob die Neuregelung mit dem Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
46a) Nach dem Wortlaut von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG ist der Verlust der Klägerin bei der Besteuerung im Streitzeitraum nicht zu berücksichtigen. Die Verluste wurden im Ausland bei der Besteuerung eines Dritten berücksichtigt.
47Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG sieht vor, dass negative Einkünfte eines Organträgers oder einer Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt bleiben, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden.
48Dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG folgend unterliegt im Streitfall ein Betrag i.H.v. ./. ... Euro der hiernach beschränkten Verlustberücksichtigung bei der inländischen Besteuerung der Klägerin zur Körperschaftsteuer. Denn in dieser Höhe wurde ein Verlust bei der Besteuerung der ...-Unternehmensgruppe in den USA – und damit einem Dritten i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG – berücksichtigt, weil die Klägerin nach US-Steuerrecht als „disregarded entity“ und damit letztlich als Betriebsstätte der Muttergesellschaft bzw. deren übergeordneter US-Konzerngesellschaften angesehen wurde. Die Verlustanerkennung bei einer anderen Konzerngesellschaft in den USA ist zwischen den Beteiligten dem Grunde und auch der Höhe nach unstreitig. Für das Gericht besteht keine Veranlassung, von diesem übereinstimmend von den Beteiligten mitgeteilten Sachverhalt abzuweichen.
49b) Ob eine diesem Ergebnis entgegenstehende einschränkende Auslegung der Voraussetzungen von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG geboten ist, kann im Streitfall dahinstehen, weil die Regelung im Streitjahr 2010 jedenfalls keine Anwendung auf die Klägerin fand. Zwar ordnet die Anwendungsbestimmung des § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung die Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf alle noch nicht bestandskräftig veranlagten Fälle an (dazu unter aa)). Damit wäre jedoch im Streitfall eine unzulässige echte Rückwirkung zulasten der Klägerin verbunden (dazu unter bb)). Es ist daher eine verfassungskonforme Auslegung dieser Anwendungsregelung in dem Sinne geboten, dass sie im Streitfall keine Anwendung findet (dazu unter cc)).
50aa) § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG in der im Streitjahr und bis heute geltenden Fassung wurde durch Art. 2 Nr. 2 Buchst. a) Doppelbuchst. dd) des UntStVereinfG mit Wirkung zum 26.02.2013 geändert. Nach der bis dahin geltenden Fassung der Norm (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG a.F.) blieb ein negatives Einkommen des Organträgers bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit es in einem ausländischen Staat im Rahmen einer der deutschen Besteuerung des Organträgers entsprechenden Besteuerung berücksichtigt wird.
51Neben der Änderung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG wurde mit dem UntStVereinfG auch § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG dahingehend geändert, dass der bis dahin geltende sog. doppelte Inlandsbezug für Organgesellschaften aufgehoben wurde (Art. 2 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa) UntStVereinfG). Es reicht seitdem aus, dass sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens zur Gewinnabführung verpflichtet, um als Organgesellschaft anerkannt zu werden. Die Abkehr von dem bis dahin bestehenden Erfordernis, dass eine Organgesellschaft zwingend Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland haben musste (sog. doppelter Inlandsbezug), erfolgte in Anbetracht eines durch die Europäische Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens (Nr. 2008/4909) gegen die Bundesrepublik Deutschland, mit dem die Kommission das Erfordernis des doppelten Inlandsbezugs der Organgesellschaft als mit der Niederlassungsfreiheit nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) für unvereinbar hielt (so Drucksache des Deutschen Bundestages –BT-Drs.– 17/10774, S. 10). In der Gesetzesbegründung des UntStVereinfG heißt es hierzu weiter, dass zwar durch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28.03.2011 die in einem EU/EWR-Staat gegründeten Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung in Deutschland bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der §§ 14 ff. KStG als Organgesellschaften anzuerkennen seien, die Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs für Organgesellschaften, die ihren Satzungssitz innerhalb der Europäischen Union (in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union) oder in einem EWR-Staat haben, jedoch nunmehr in das Gesetz übernommen würde (BT-Drs. 17/10774, S. 18).
52Die Streichung des doppelten Inlandsbezugs für Organgesellschaften in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG nahm der Gesetzgeber zum Anlass, eine Folgeanpassung der Verlustbeschränkung in der Norm des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG vorzunehmen. Diese Einschränkung der Verlustberücksichtigung war im Jahr 2002 durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz – UntStFG) ebenfalls als Folgeanpassung zur Streichung des doppelten Inlandsbezugs für Organträger eingefügt worden und bezog sich daher zunächst nur auf ein negatives Einkommen des Organträgers. Der Gesetzgeber des UntStVereinfG sah wegen der Streichung des doppelten Inlandsbezugs für Organgesellschaften nunmehr auch Handlungsbedarf bei der Regelung zur Verlustnutzung. In der Gesetzesbegründung des UntStVereinfG zu der Änderung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG heißt es hierzu, dass mit der bisherigen Fassung eine mehrfache Anerkennung von Verlusten des Organträgers ausgeschlossen wurde, beispielsweise weil der Organträger in verschiedenen Ländern in eine Gruppenbesteuerung einbezogen ist. Da als Folge der Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs für Organgesellschaften nun auch auf der Ebene der Organgesellschaft eine doppelte Verlustnutzung denkbar sei, werde die Regelung auf Organgesellschaften ausgedehnt. Ein Fall im Sinne der Neuregelung liege insbesondere dann vor, wenn die negativen Einkünfte einer doppelt ansässigen Organgesellschaft im Rahmen der Besteuerung im ausländischen Staat mit positiven Einkünften eines Gruppenträgers ausgeglichen oder abgezogen werden (BT-Drs. 17/10774, S. 20). Eine darüber hinausgehende Begründung erfolgte nicht.
53§ 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG erklärte die Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG – ebenso wie auch die Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG – auf alle noch nicht bestandskräftig veranlagten Fälle für anwendbar.
54bb) Die Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG und ihre in § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG angeordnete zeitliche Anwendung führen zu einer Schlechterstellung der Klägerin, die eine unzulässige echte Rückwirkung darstellt.
55(1) Eine Rechtsnorm entfaltet Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 14.05.1986 2 BvL 2/83, Bundessteuerblatt –BStBl.– II 1986, 628). Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm bestimmt dabei, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung eintreten sollen. Grundsätzlich erlaubt die Verfassung nur ein belastendes Gesetz, dessen Rechtsfolgen für einen frühestens mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, sog. echte Rückwirkung), ist grundsätzlich unzulässig. Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird (BVerfG-Beschluss vom 14.05.1986 2 BvL 2/83, BStBl. II 1986, 628). Dieser Schutz des Vertrauens in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage findet seinen verfassungsrechtlichen Grund vorrangig in den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung (sog. unechte Rückwirkung) nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten dabei erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzt" worden sind (BVerfG-Beschluss vom 03.12.1997 2 BvR 882/97, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts –BVerfGE– 97, 67).
56Da die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen das Entstehen der Steuerschuld ist, ist bei der Frage einer Rückwirkung von Gesetzen für den Bereich des Steuerrechts auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld abzustellen. Bezogen auf das Einkommensteuerrecht liegt eine echte Rückwirkung demnach nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Hingegen ist eine Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen (BVerfG-Beschlüsse vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, BVerfGE 127, 1; 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31; 2 BvR 748/05, BVerfGE 127, 61). Da es sich bei der Körperschaftsteuer gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 KStG ebenso wie bei der Einkommensteuer gemäß § 2 Abs. 7 Satz 1 EStG um eine Jahressteuer handelt, die mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (§ 30 Nr. 3 KStG und § 36 Abs. 1 EStG) entsteht, gelten die verfassungsrechtlichen Vorgaben insoweit auch für den Bereich des Körperschaftsteuerrechts (vgl. Werning, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 160. Ergänzungslieferung Dezember 2021, § 34 KStG Rn 21).
57(2) Diese Maßgaben zugrunde gelegt kann die gesetzliche Anordnung des § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG, wonach die Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf sämtliche der in dieser Vorschrift näher beschriebenen negativen Einkünfte anzuwenden ist, die nicht Gegenstand einer schon bestandskräftig abgeschlossenen Steuerveranlagungen sind, eine echte gesetzliche Rückwirkung entfalten. Denn mit dieser Anordnung kann durch ein erst im Jahr 2013 in Kraft getretenes Gesetz ein nachträglicher Eingriff in eine Steuerschuld erfolgen, die wegen eines bereits abgeschlossenen Sachverhalts in einem Veranlagungszeitraum der Vergangenheit – vor dem Jahr 2013 – entstanden ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem Inkrafttreten des UntStVereinfG, das gemäß dessen Art. 6 am Tag der Verkündung, dem 25.02.2013, in Kraft getreten ist, und zum anderen aus den Vorgaben in § 38 AO i.V.m. § 30 Nr. 3 KStG. Hiernach entsteht die Körperschaftsteuer vorbehaltlich der § 30 Nrn. 1 und 2 KStG grundsätzlich mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Kalenderjahres (BVerfG-Beschlüsse vom 07.07.2010 2 BvR 748/05, BVerfGE 127, 61; vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 2021, 922; vom 25.03.2021 2 BvL 1/11, HFR 2021, 712; vom 03.12.1997 2 BvR 882/97, HFR 1998, 398). In der Folge kann § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG die in der Vorschrift näher bezeichneten negativen Einkünfte in noch nicht bestandskräftig veranlagten Fällen selbst dann erfassen, wenn sie bei einer bereits entstandenen Körperschaftsteuer für einen Veranlagungszeitraum vor dem Jahr 2013 eingeflossen sind. Der sachlich erweiterte Anwendungsbereich gilt damit auch zeitlich rückwirkend.
58(3) Bezogen auf den Streitfall hätte die wortlautgetreue Befolgung der Anwendungsregelung in § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG auch eine konkrete rückwirkende Schlechterstellung der Klägerin zur Folge. Dies ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Besteuerungsfolgen unter Geltung der Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG und der bis zum UntStVereinfG geltenden Rechtslage.
59Bei Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG in der Fassung vor dem UntStVereinfG wäre der Verlust i.H.v. ... Euro bei der inländischen Besteuerung der Klägerin im Streitjahr zu berücksichtigen gewesen, weil die Voraussetzungen der Norm nicht vorgelegen haben. Denn nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG a.F. war Voraussetzung für die eingeschränkte Verlustberücksichtigung, dass das negative Einkommen des Organträgers in einem ausländischen Staat im Rahmen einer der deutschen Besteuerung des Organträgers entsprechenden Besteuerung berücksichtigt wird. Die dieser Regelung zugrunde liegende Annahme, dass der Organträger im Ausland einer Besteuerung unterliegt, die der deutschen Besteuerung vergleichbar ist, setzt indes wiederum voraus, dass der Organträger auch im Ausland unbeschränkt steuerpflichtig (Pache, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Lfg. 222 Mai 2006, § 14 KStG Rn 275) und als Körperschaftsteuersubjekt anerkannt ist (Neumann, in: Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rn 481). Beides trifft auf die Klägerin nicht zu. Sie hatte im Streitjahr ihren Sitz und ihren Ort der Geschäftsleitung ausschließlich im Inland und war deshalb im Ausland weder unbeschränkt steuerpflichtig, noch unterlag sie anderweitig einer der deutschen Besteuerung vergleichbaren Besteuerung im Ausland. Durch die Qualifizierung der Klägerin als „disregarded entity“ wurde sie in den USA gerade nicht als Steuersubjekt erfasst, sondern lediglich als Betriebsstätte ihrer Alleingesellschafterin angesehen.
60Demgegenüber würde durch den Ausschluss der Verlustberücksichtigung bei Anwendung der Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG (hierzu bereits oben unter II. 2. a)) die für die Klägerin im Veranlagungszeitraum 2010 mit Ablauf des Kalenderjahres 2010 bereits gemäß § 38 AO i.V.m. § 30 Nr. 3 KStG entstandene Körperschaftsteuer allein deshalb erhöht, weil dem im Streitjahr 2010 erzielten Verlust durch das erst im Jahr 2013 in Kraft getretene UntStVereinfG nachträglich die Berücksichtigungsfähigkeit genommen würde. Diese Schlechterstellung träfe die Klägerin trotz ihres ununterbrochen vorhandenen und auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des UntStVereinfG bestehenden doppelten Inlandsbezugs, obwohl gerade die Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG der Anlass für den Gesetzgeber zu der Änderung der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG war, durch die sich nunmehr die Schlechterstellung der Klägerin ergeben würde. Die Klägerin wäre durch die rückwirkende Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG im Jahr 2013 ohne eigenes Zutun belastet, ohne zugleich von der korrespondierenden Begünstigung in der geänderten Fassung von § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG zu profitieren.
61Von der Rechtsfolge der Neufassung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG wäre die Kläger auch nach Maßgabe von § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG betroffen, weil das Veranlagungsverfahren zur Körperschaftsteuer für 2010 für die Klägerin noch nicht bestandskräftig abgeschlossen ist. Der Bescheid über Körperschaftsteuer für 2010 vom 06.02.2012 stand ebenso wie der Änderungsbescheid vom 05.12.2012 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, der erst mit dem angefochtenen Bescheid über Körperschaftsteuer für 2010 vom 10.07.2017 aufgehoben wurde.
62cc) Im Hinblick auf diese vom Gesetzgeber kaum gewollte Situation ist in dem Regelungsgefüge der § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG eine verdeckte Regelungslücke zu erblicken. Denn es muss angenommen werden, dass der Gesetzgeber – wären ihm die aufgezeigten Zusammenhänge mit der Folge einer verfassungsrechtlich unzulässigen gesetzlichen Rückwirkung bewusst gewesen – für eine verfassungsgemäße Übergangsbestimmung gesorgt hätte.
63Zur Schließung dieser verdeckten Regelungslücke und zur Wahrung des ansonsten verletzten Rechtsstaatsprinzips ist § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG im Wege einer den Normtext verfassungskonform einschränkenden Auslegung daher dahin zu verstehen, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG jedenfalls dann keine Anwendung findet, wenn noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Veranlagungen für Veranlagungszeiträume vor 2013 solcher Steuerpflichtigen betroffen sind, die ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland hatten und deshalb gerade nicht aufgrund der Änderung in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG erstmals als Organgesellschaft anerkennungsfähig geworden sind.
64(1) Diesem einschränkenden Verständnis steht nicht bereits von vornherein entgegen, dass es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ausgeschlossen ist, ein Gesetz gegen seinen ausdrücklichen Wortlaut und gegen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verfassungskonform auszulegen. Hiervon abzugrenzen sind Sachverhalte mit zu weit geratenen – und damit verdeckt lückenhaften – Überleitungsbestimmungen, die auch Sachverhaltskonstellationen erfassen, für die der Gesetzgeber – hätte er sie bedacht – zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung eine besondere Anwendungsregelung getroffen hätte. Eine solche verdeckte Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die verfassungsrechtlich erforderlichen Einschränkungen dem Gesetzeswortlaut hinzuzufügen sind (BFH-Urteil vom 27.03.2012 I R 62/08, BStBl. II 2012, 745; Beschluss vom 15.02.2012 I B 7/11, BStBl. II 2012, 751; vgl. auch Vorlagebeschlüsse vom 27.11.2013 I R 36/13, BStBl. II 2014, 651 und vom 06.06.2013 I R 38/11, BStBl. II 2014, 398 sowie Urteile vom 14.12.2006 III R 27/03, BStBl. II 2007, 332; vom 12.12.2000 VIII R 10/99, BStBl. II 2001, 282; vom 19.10.2005 I R 34/04, BFH/NV 2006, 1099).
65(2) Durch das so gefundene Normverständnis wird vermieden, dass zulasten von Steuerpflichtigen mit einem ununterbrochen doppelten Inlandsbezug in deren verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf eine einmal entstandene Körperschaftsteuerschuld rückwirkend eingegriffen wird, obwohl sie von der Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG – als dem Grund für die Änderung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG und den damit einhergehenden Eingriff in die entstandene Steuerschuld – nicht betroffen sind und daher keinen zum nachträglich belastenden Eingriff durch die beschränkte Verlustberücksichtigung korrespondierenden Vorteil durch Herabsetzung der Voraussetzungen für die Anerkennung als Organgesellschaft genießen. Das Vertrauensschutzinteresse dieser Steuerpflichtigen bedarf auch deshalb eines besonderen Schutzes, weil in ihre Rechte durch eine rückwirkende Anwendung der Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG in besonders hohem Maße eingegriffen würde. Zu der jeder Rückwirkung innewohnenden Belastung, dass ein in der Vergangenheit liegender Sachverhalt nachträglich anders gewürdigt wird, obwohl die Dispositionen des Steuerpflichtigen in der Vergangenheit nicht mehr änderbar sind, träte hinzu, dass der Steuerpflichtige von einer ihn belastenden gesetzlichen Regelung betroffen wäre, die nach der Vorstellung des Gesetzgebers gerade andere Sachverhalte erfassen soll. Denn dem Gesetzgeber des UntStVereinfG ging es gerade um die Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung in Fällen doppelt ansässiger Organgesellschaften. Die nicht doppelt ansässigen Steuerpflichtigen würden insoweit nachträglich einer belastenden gesetzgeberischen Maßnahme nur beiläufig unterfallen, obwohl nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber für die Besteuerung solcher Steuerpflichtigen mit doppelten Inlandsbezug einen rückwirkenden Regelungsbedarf gesehen hat.
66Dabei ist nach der Gesetzeshistorie des UntStVereinfG offenbar, dass der Gesetzgeber die Änderung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG ausschließlich als Folgeänderung zu der Änderung in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG und der damit erfolgten Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs für Organgesellschaften ansah. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, wonach der Gesetzgeber als Folge der Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs für Organgesellschaften das Risiko sah, dass nun auch auf der Ebene der Organgesellschaft eine doppelte Verlustnutzung denkbar sei und deshalb die Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nunmehr auf Organgesellschaften ausgedehnt werden sollte (BT-Drs. 17/10774, S. 20). Dem entspricht es, dass in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ein Sachverhalt als Regelanwendungsfall der Neuregelung angeführt wird, in dem „negative Einkünfte einer doppelt ansässigen Organgesellschaft“ im Rahmen der Besteuerung im ausländischen Staat mit positiven Einkünften eines Gruppenträgers ausgeglichen oder abgezogen werden (BT-Drs. 17/10774, S. 20).
67Für das gefundene Normverständnis spricht auch, dass im Gesetzgebungsverfahren die hieran beteiligten Organe zu keinem Zeitpunkt die Notwendigkeit sahen, die zeitliche Anwendungsbestimmung in § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des UntStVereinfG einer Überprüfung auf die Vereinbarkeit mit höherrangige Recht zu unterziehen. Die Gesetzesmaterialien verhalten sich hierzu nicht. Auch insoweit muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber sich dieses Problems überhaupt nicht bewusst war, weil andernfalls eine gesetzgeberische Rechtfertigung in den Gesetzesmaterialien zu erwarten gewesen wäre.
68Ob das gesetzgeberische Regelungsanliegen – die rückwirkende Einschränkung der Verlustnutzung – eine tragfähige Rechtfertigung darin findet, dass der Gesetzgeber zugleich das Erfordernis des doppelten Inlandsbezugs in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG rückwirkend aufgegeben hat, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Denn jedenfalls in Sachverhalten, in denen ein Organschaftsbeteiligter sowohl seinen Sitz als auch seinen Ort der Geschäftsleitung in Inland hat und bereits aufgrund dieses doppelten Inlandsbezugs nicht von der rückwirkenden Änderung in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG erfasst ist, wäre eine solche Rechtfertigung offensichtlich nicht alleine tragfähig.
69(3) Der vorzunehmenden verfassungskonformen Einschränkung steht die Gesetzeshistorie des UntStVereinfG auch insoweit nicht entgegen, als im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die ausdrückliche Beschränkung des Anwendungsbereichs der Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf doppelt ansässige Gesellschaften vorgeschlagen, dieser Vorschlag jedoch nicht in den endgültigen Gesetzestext übernommen wurde.
70So wurde durch den Finanzausschuss des Bundestages ein vom ursprünglichen Gesetzesentwurf abweichender Wortlaut von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG vorgeschlagen, wonach negative Einkünfte eines unbeschränkt steuerpflichtigen Organträgers oder einer unbeschränkt steuerpflichtigen Organgesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz sich nicht im Inland befindet, bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt bleiben sollten, soweit sie im ausländischen Staat, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums ist, im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden (Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drs. 17/11180, S. 15). In dem Bericht des Finanzausschusses heißt es zu der Gesetzesänderung zunächst allgemein, dass die ertragsteuerliche Organschaft an Vorgaben der Europäischen Kommission und die Rechtsprechung des BFH angepasst und die bereits bestehende Praxis, wonach auch EU/EWR-Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland Organgesellschaft sein können, gesetzlich umgesetzt werde (BT-Drs. 17/11217, S. 2). Zu dem Textvorschlag des Finanzausschusses für § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG heißt es weiter, dass mit der Einschränkung des Anwendungsbereichs auf Verluste, die in Drittstaaten (nicht EU- oder EWR-Staaten) berücksichtigt werden, die möglicherweise bestehenden europarechtlichen Risiken im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 06.09.2012 in der Rechtssache C-18/11 (Philips Electronics) vermieden werden und dass zudem die Anwendung auf doppelt ansässige Gesellschaften beschränkt werde (BT-Drs. 17/11217, S. 8).
71Das so durch den Bundestag verabschiedete Gesetz fand keine Zustimmung im Bundesrat (Drucksache des Deutschen Bundesrates –BR-Drs.– 633/12 (Beschluss) sowie Bundesrat-Plenarprotokoll 903, S. 513). Auch fand der zuvor gestellte Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hamburg auf Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel, die ursprüngliche Formulierung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG in der Fassung des Gesetzesentwurfs wiederherzustellen (BR-Drs. 633/2/12), keine Mehrheit im Bundesrat (Bundesrat-Plenarprotokoll 903, S. 513). Der im Anschluss an die verweigerte Zustimmung des Bundesrates auf Verlangen der Bundesregierung einberufene Vermittlungsausschuss (Unterrichtungen durch die Bundesregierung in BR-Drs. 734/12 und BT-Drs. 17/11694) schlug vor, die ursprüngliche Fassung des Gesetzesentwurfes zu beschließen (Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses in BT-Drs. 17/11841). Die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses wurde sodann von Bundestag (Bundestag-Plenarprotokoll 17/217, S. 26796C) und Bundesrat (Bundesrat-Plenarprotokoll 906, S. 18D) angenommen.
72Dass in dem Gesetzgebungsverfahren der von dem Finanzausschuss formulierte Gesetzestext, mit dem ausdrücklich „die Anwendung auf doppelt ansässige Gesellschaften beschränkt“ werden sollte, keine Zustimmung im Bundesrat fand und sich auch in der von dem Vermittlungsausschuss empfohlenen Textfassung – dem letztlichen Gesetzestext – keine solche Beschränkung wiederfindet, spricht nicht gegen die notwendig vorzunehmende verfassungskonforme Einschränkung des Gesetzeswortlauts. Denn die Verweigerung der Zustimmung des Bundesrates erfolgte nicht, weil eine möglichst weite Formulierung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG ohne Beschränkung auf doppelt ansässige Körperschaftsteuersubjekte angestrebt war, die zudem rückwirkend gelten sollte. Vielmehr zeigt der Mehr-Länder-Antrag (BR-Drs. 633/2/12) die Befürchtung im Bundesrat, dass durch die von dem Bundestag beschlossene Fassung „künftig bei Organträgern und Organgesellschaften mit Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat eine doppelte Verlustnutzung im In- und Ausland eröffnet“ sei und dies „unkalkulierbare Steuermindereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden zur Folge“ habe (BR-Drs. 633/2/12, S. 2). Mit dieser von dem Mehr-Länder-Antrag für das Ziel, den ursprünglichen Entwurfswortlaut wiederherzustellen, gegebenen Begründung wird erkennbar, dass es letztlich auch dem Bundesrat nur darum ging, die Verlustberücksichtigung mit der Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nur bei doppelt ansässigen (Organ-)Gesellschaften einzuschränken.
73Daneben wurde in dem Mehr-Länder-Antrag zur Begründung der verlangten Wiederherstellung des Entwurfswortlauts vorgebracht, dass die „Eröffnung einer solchen doppelten Verlustnutzung auch nicht auf das von den Koalitionsfraktionen zur Begründung herangezogene EuGH-Urteil vom 06.09.2012 (C-18/11 – Philips Electronics) gestützt werden“ könne und dass dieses Urteil „keine Auswirkungen auf die in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG im ursprünglichen Gesetzentwurf vom 25.09.2012 vorgesehene Regelung“ habe (BR-Drs. 633/2/12, S. 2). Durch diese Begründung wird ebenfalls erkennbar, dass die von dem Finanzausschuss des Bundestages vorgeschlagene Fassung nicht deshalb nicht übernommen wurde, weil sie eine Einschränkung auf doppelt ansässige Gesellschaften enthielt. Vielmehr zeigt sich, dass lediglich die vom Finanzausschuss zur Begründung seines Vorschlags vorgebrachten europarechtlichen Bedenken nicht geteilt wurden und deshalb dieser Vorschlag keine Zustimmung fand. Die letztlich getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, die Änderung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG gemäß dem ursprünglichen Entwurfswortlaut zu verabschieden, trifft keine Aussage darüber, dass hierdurch auch zugleich der von dem Finanzausschuss bevorzugten ausdrücklichen Beschränkung auf doppelt ansässige Gesellschaften nicht gefolgt werden sollte.
743. Die Klage gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 hat aus den gleichen Gründen Erfolg. Denn da für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags der Erhebungszeitraum nach § 14 Abs. 1 Satz 2 GewStG ebenso wie für die Körperschaftsteuer der Veranlagungszeitraum durch das Kalenderjahr bestimmt wird, wäre ein nur von dem Wortlaut von § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. der UntStVereinfG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG ausgehendes Verständnis mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar und führte zu einer verfassungswidrigen echten Rückwirkung des Gesetzes bei der Ermittlung des Gewerbeertrags. Infolgedessen war auch insoweit ein den Normtext einschränkendes Verständnis angezeigt mit der Folge, dass jedenfalls für den Erhebungszeitraum 2010 die Neuregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nicht für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Gewerbesteuermessbetrag eines nicht doppelt ansässigen Gewerbesteuerpflichtigen – wie im Streitfall der Klägerin – anzuwenden ist. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, ob § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags überhaupt anzuwenden ist.
75III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Soweit die Klage hinsichtlich der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010 ohne Erfolg bleibt, handelt es sich um ein Unterliegen zu einem geringen Teil. Denn ersichtlich bestand das Interesse der Klägerin ausschließlich in einer höheren Verlustanerkennung, die nur durch die Anfechtung der Festsetzungsbescheide und gerade nicht der Feststellungsbescheide erreichbar war.
76IV. Die Revision wird nach Maßgabe von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen