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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Besteuerung von Kapitaleinkünften des Klägers.
3Der Kläger ist verheiratet und wurde im Streitjahr 2015 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Neben anderen Einkünften erzielte er (…) Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Zum 00.00.2015 wurde sein Arbeitsverhältnis beendet und der Kläger erhielt eine Abfindung i.H.v. ca. 8,8 Mio. EUR.
4Nachdem der Kläger sich von der Kanzlei R. steuerlich hatte beraten lassen, erwarb er am 15.12.2015 81.320 Anteile einer Indexanleihe der N. AG (WKN N01, ISIN N02) zu einem Gesamtpreis von 9.961.911,43 EUR (Kaufpreis i.H.v. 9.954.036,40 EUR und Bankgebühren i.H.v. 7.875,03 EUR). Die Verzinsung der Anleihe, deren Nennbetrag 129,12 EUR pro Teilschuldverschreibung betrug, belief sich auf 15,74 % p.a. Erster Valutierungstag war der 26.11.2015. Rückzahlungstermin und Fälligkeitszeitpunkt für die Zinsen war der 28.12.2015.
5Der Kläger zahlte beim Erwerb seiner Anteile Stückzinsen i.H.v. 95.087,20 EUR.
6Die Abwicklung und Verwahrung der Teilschuldverschreibung erfolgte über die Bank 1 unter der Depotnummer N03. Ausweislich einer Aufstellung der Bank 1 über die Abrechnungsdetails (vgl. Anlage K5, Bl. 39 GA) erfolgte der Kauf ohne eine Anlageberatung. Zudem ist auf der Aufstellung vermerkt, dass es sich um eine Order auf Kundenwunsch bei mangelnder Erfahrung gehandelt habe.
7Nach den Emissionsbedingungen der Indexanleihe, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (vgl. Anlage K3, Bl. 26 ff. GA), waren die Rückzahlungsverpflichtung und die Rückzahlungsart abhängig vom Stand der Indizes DAX und TecDAX am 18.12.2015. In den Emissionsbedingungen wurde unter § 3 („Tilgung“) hierzu Folgendes geregelt (Zitat):
8(1) a) Der Emittent ist verpflichtet, die Tilgung der Wertpapiere (…) am Rückzahlungstermin (wie in Absatz (5) definiert) durch Zahlung des Rückzahlungsbetrags (der "Rückzahlungsbetrag") gemäß Absatz (2) und / oder durch Lieferung gemäß Absatz (2) der festgelegten Anzahl des Liefergegenstands je Wertpapier vorzunehmen.
9b) Im Sinne dieser Emissionsbedingungen sind:
10"Basiswert“ |
Ein Korb, der der Summe der Indexpunkte von DAX® und TecDAX® entspricht (…) |
(…) |
(…) |
"Referenzpreis" |
Der Referenzpreis des Basiswerts entspricht der Summe aus a) dem (…) am Bewertungstag (…) festgestellter Kurs des DAX® - Performanceindex und b) dem (…) am Bewertungstag (…) festgestellter Kurs des TecDAX® - Performanceindex. |
"Basispreis": |
12.912,0000 Indexpunkte (…) |
"BezugsverhäItnis" |
0,0100 |
"Liefergegenstand": |
1 Open End-Partizipationszertifikat auf den TecDAX® |
"Emittent Liefergegenstand": |
N. |
"ISIN Liefergegenstand": |
ISIN N04 |
(…) |
(…) |
(2) a) Sofern der Referenzpreis des Basiswerts 85,00 % des Basispreises unterschreitet, erfolgt die Rückzahlung durch Zahlung eines RückzahIungsbetrags in Höhe von 85,00% des Nennbetrags.
12b) Sofern der Referenzpreis des Basiswerts dem Basispreis entspricht oder diesen überschreitet, entspricht der wirtschaftliche Gegenwert der Rückzahlung 100,00 % des Nennbetrags. Die Rückzahlung erfolgt in diesem Fall durch Übertragung des Liefergegenstandes sowie Zahlung einer Gegenleistung in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags (der "Rückzahlungsbetrag"). Der Rückzahlungsbetrag im Sinne dieses Absatzes entspricht der Differenz aus (i) dem Nennbetrag und (ii) dem mit dem Bezugsverhältnis multiplizierten (…) am Bewertungstag festgestellten Schlusskurs des TecDAX®, wobei 1,00 Indexpunkt EUR 1,00 entspricht.
13c) Sofern der Referenzpreis des Basiswerts den Basispreis unterschreitet und auf bzw. über 85,00 % des Basispreises liegt, entspricht der wirtschaftliche Gegenwert der Rückzahlung dem mit dem Bezugsverhältnis multiplizierten Referenzpreis des Basiswerts, wobei 1,00 Indexpunkt EUR 1,00 entspricht. Die Rückzahlung erfolgt in diesem Fall durch Übertragung des Liefergegenstandes sowie Zahlung einer Gegenleistung in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags (der "Rückzahlungsbetrag"). Der Rückzahlungsbetrag im Sinne dieses Absatzes entspricht der Differenz aus (i) dem Nennbetrag und (ii) dem mit dem Bezugsverhältnis multiplizierten (…) am Bewertungstag festgestellten Schlusskurs des TecDAX®, wobei 1,00 Indexpunkt EUR 1,00 entspricht.
14(3) Die Feststellung des Referenzpreises erfolgt (…) am 18. Dezember 2015 (der "Bewertungstag"). (…)
15(4) (…)
16(5) Die Laufzeit der Wertpapiere endet (…) am 28. Dezember 2015 (der "Rückzahlungstermin"). (…)
17(6) (…)
18(7) Im Fall der Lieferung des Liefergegenstands durch den Emittenten gilt die Leistung der Wertpapierinhaber als Vorauserfüllung auf den Bezug des zu liefernden Liefergegenstands.
19Am 18.12.2015 wurde anhand der Stände des DAX und des TecDAX ein Referenzpreis von 12.407,96 Indexpunkten ermittelt. Ausgehend von dem Basiswert von 12.912 Indexpunkten belief sich der Referenzpreis des Basiswerts auf ca. 96 % des Basispreises.
20Am 28.12.2015, dem Fälligkeitstag der Indexanleihe, wurden dem Kläger Zinsen i.H.v. 144.894,83 EUR ausgezahlt. Weiterhin erhielt er vom Emittenten entsprechend § 3 Abs. 2 Buchst. c der Emissionsbedingungen 81.320 Open End-Partizipationszertifikate auf den TecDAX der N., A-Stadt, WKN N05, ISIN N04 (im Folgenden: Zertifikate), deren Kurswert zu diesem Zeitpunkt 18,0832 EUR betrug, sowie eine Geldzahlung i.H.v. 8.619.627,26 EUR (81.320 x 105,9964 EUR).
21Am 29.12.2015 betrug der Kurswert der Zertifikate 18,22 EUR.
22Mit Kaufvertrag vom 29.12.2015, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Anlage K7, Bl. 41 ff. GA), veräußerte der Kläger seine 81.320 Zertifikate an die U. GmbH (im Folgenden GmbH). Alleingesellschafter dieser im Jahr xx gegründeten GmbH war der Kläger. Als Kaufpreis vereinbarten die Vertragsparteien einen Preis von 18,22 EUR pro Zertifikat, also einen Gesamtpreis von 1.481.650,40 EUR. Die Veräußerungskosten hatte die GmbH zu tragen.
23Der Kaufpreis wurde dem Konto des Klägers am 29.12.2015 gutgeschrieben. Die Zertifikate wurden am 29.12.2015 an die GmbH übertragen.
24Die Bank 1 bescheinigte dem Kläger für das Jahr 2015 Kapitalerträge i.H.v. insgesamt 172.096,66 EUR. Diesen Betrag ermittelte die Bank 1 wie folgt:
25Inländische Zinserträge (Zinsgutschrift 144.894,83 EUR ./. gezahlte Stückzinsen 95.087,20 EUR) |
49.807,63 EUR |
Veräußerungen und Einlösungen in- und ausländischer Anleihen |
./. 8.497.338,23 EUR |
Sonstige Veräußerungen und Einlösungen |
8.619.627,26 EUR |
Summe |
172.096,66 EUR |
In seiner im März 2017 beim Beklagten eingereichten Steuererklärung erklärte der Kläger, dass die von der Bank 1 bescheinigten Kapitalerträge i.H.v. 172.096,66 EUR auf 189.173 EUR zu korrigieren seien. Denn der Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate habe nicht 8.497.338,23 EUR, sondern 8.480.261,03 EUR betragen. Der Verlust ermittele sich wie folgt:
27Veräußerungspreis |
1.481.650,40 EUR |
Anschaffungskosten |
./. 9.961.911,43 EUR |
Ergebnis |
./. 8.480.261,03 EUR |
Der Steuererklärung war ein Schriftstück der Kanzlei R. beigefügt mit „Erläuterungen zur Anlage KAP“. Darin wurde ausgeführt, dass der Emittent der Indexanleihe seine Verbindlichkeit entsprechend § 3 Abs. 2 Buchst. c der Emissionsbedingungen erfüllt habe, indem er dem Kläger je Teilschuldverschreibung ein Zertifikat angedient sowie einen Geldbetrag von 105,9964 EUR gezahlt habe. Die Depotbank habe die Auszahlung gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS i.V.m. Satz 2, § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung – EStG – als Sofortertrag behandelt.
29Die Veräußerung der Zertifikate an die GmbH sei aus steuerlichen Gründen erfolgt. Der aus diesem Verkauf resultierende Verlust sei nach § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG steuerbar und betrage 8.480.261,03 EUR. Die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen i.H.v. insgesamt 9.961.911,43 EUR seien gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3, 1. HS EStG auf die Zertifikate übergesprungen.
30Die Depotbank habe bei der für Zwecke des Kapitalertragsteuerabzugs erforderlichen Ermittlung des Verlusts aus der Veräußerung der Zertifikate pauschal auf den niedrigsten am Vortag der Übertragung im regulierten Markt notierten Kurs abgestellt. Den von ihr ermittelten Veräußerungsverlust i.H.v. 8.497.338,23 EUR habe die Depotbank mit den positiven Kapitalerträgen (Zinsen und Sofortertrag) verrechnet.
31Im Veranlagungsverfahren sei der tatsächliche Veräußerungsverlust von 8.480.261,03 EUR anzusetzen. Außerdem unterliege der Verlust – entgegen der Angabe in der Erträgnisaufstellung der Bank – nicht der Abgeltungssteuer und sei mit den positiven, der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünften des Klägers zu verrechnen. Das Verlustverrechnungsverbot des § 20 Abs. 6 EStG gelte wegen der Veräußerung der Zertifikate an die GmbH gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b, Satz 2 EStG nicht.
32Der Kläger habe aus der Kapitalanlage mithin folgende Erträge erzielt:
33Zinsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 32d Abs. 1 EStG |
49.807,63 EUR |
Sofortertrag § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS, § 32d Abs. 1 EStG |
8.619.627,25 EUR |
Ergebnis aus der Veräußerung |
./. 8.480.261,03 EUR |
Summe |
189.173,85 EUR |
Weiterhin wurde in dem Schreiben der Kanzlei R. ausgeführt, dass der Veräußerungsverlust in der Steuererklärung noch nicht als der tariflichen Einkommensteuer unterliegend deklariert worden sei. Die Steuererklärung sei entsprechend der möglichen Auffassung der Finanzverwaltung erstellt worden. Der Vorgang sei hinsichtlich der steuerlichen Folgen möglicherweise mit dem so genannten Bond-Stripping, welches von der Finanzverwaltung als Gestaltungsmissbrauch eingeordnet werde, vergleichbar. Sollte die Steuerfestsetzung abweichend von der in der Anlage dargestellten Rechtsauffassung durchgeführt werden, behalte sich der Kläger eine Anfechtung der Steuerfestsetzung vor.
35Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 19.09.2017 mit, dass er beabsichtige, die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen auf die Barrückzahlung und die Zertifikate aufzuteilen. Er berief sich hierzu auf Rn. 107 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) zu Einzelfragen der Abgeltungssteuer vom 18.01.2016 (Bundessteuerblatt Teil I – BStBl. I – 2016, 85). Der vorliegende Fall sei mit dem in diesem Erlass genannten Beispiel vergleichbar, weil in den Emissionsbedingungen ein hinreichend konkretisierter Aufteilungsmaßstab festgelegt worden sei.
36Der Kläger nahm hierzu Stellung und führte aus, dass eine Aufteilung der Anschaffungskosten nicht in Betracht komme. Die vom Beklagten zitierte Verwaltungsauffassung finde keine Stütze im Gesetz. Außerdem sei der in dem BMF-Schreiben dargestellte Fall mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Außerdem könnten dem Auszahlungsbetrag keine Anschaffungskosten zugeordnet werden.
37Unter dem 11.01.2018 erließ der Beklagte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, mit dem er Einkommensteuer i.H.v. 4.261.340 EUR festsetzte. In dem Bescheid berücksichtigte er Einkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, i.H.v. insgesamt 282.986 EUR. In diesem Betrag war der vom Kläger in der Steuererklärung angegebene Betrag von 189.173 EUR enthalten.
38Mit seinem am 06.02.2018 eingelegten Einspruch begehrte der Kläger, die Einkommensteuerfestsetzung dahingehend zu ändern, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. ./. 8.480.261,03 EUR mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden. Zur Begründung wiederholte er sein bisheriges Vorbringen.
39Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 12.10.2018 mit, dass er an seiner Auffassung festhalte. Die vom Kläger begehrte Verrechnung von negativen Kapitaleinkünften mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten sei nicht durchzuführen. Bei dem geltend gemachten Verlust handele es sich um ein so genanntes Bond-Stripping.
40Der Beklagte fragte an, ob der Kläger damit einverstanden sei, dass der Einspruch bis zu einer Entscheidung in dem seinerzeit beim Finanzgericht (FG) Düsseldorf anhängigen Verfahren 1 K 2163/16 E,F ruhend gestellt werde.
41Unter dem 09.11.2018 erließ der Beklagte einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO – geänderten Einkommensteuerbescheid 2015, mit dem die Einkommensteuer auf 4.325.591 EUR erhöht wurde. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Mit dem Änderungsbescheid wurde einem Änderungsantrag des Klägers entsprochen, den dieser am 09.02.2018 neben dem Einspruchsverfahren gestellt hatte und der Vermietungseinkünfte sowie hier nicht streitgegenständliche Kapitaleinkünfte betraf. In dem Änderungsbescheid wurden die Kapitalerträge, die der Abgeltungssteuer unterliegen, aus hier nicht streitigen Gründen um 307.107,46 EUR auf 590.093 EUR erhöht.
42Der Kläger teilte mit Schreiben vom 13.11.2018 mit, dass er mit einem Ruhen des Einspruchsverfahrens nicht einverstanden sei. Das vom Beklagten genannte Klageverfahren 1 K 2163/16 E,F betreffe einen Sachverhalt des so genannten Bond-Strippings. Das hiesige Verfahren betreffe hingegen den Erwerb eines TecDax-Zertifikates. Die relevanten Rechtsfragen seien allenfalls in Teilbereichen identisch.
43Am 15.03.2019 hat der Kläger Klage erhoben.
44Ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen trägt der Kläger vor, dass er aus seiner Investition Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Steuertarif nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG unterfallen, i.H.v. 8.619.627,26 EUR sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG der tariflichen Einkommensteuer i.S.d. § 32a EStG unterliegen, i.H.v. ./. 8.480.261,03 EUR erzielt habe. Das Verlustverrechnungsverbot des § 20 Abs. 6 EStG finde gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG keine Anwendung. Es liege kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor.
45Die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen i.H.v. 9.961.911,43 EUR seien gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG auf die Zertifikate übergegangen. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG lägen vor. Die Anleihe sei eine Kapitalforderung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Der aus der Anleihe aufgrund der Kapitalüberlassung erwachsene Rückzahlungsanspruch sei auf eine Geldleistung gerichtet. Etwaige in den Emissionsbedingungen zu den Rückzahlungsmodalitäten aufgenommenen Szenarien hätten einen Anspruch auf eine Geldleistung vorgesehen. Die ausweislich der Emissionsbedingungen in Einzelfällen vereinbarte Ersetzungsbefugnis des Emittenten zur teilweisen Erfüllung der Kapitalforderung durch Andienung eines Wertpapiers stehe dem nicht entgegen. Ein hiervon abweichendes Verständnis ließe den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG dem Grunde nach entfallen, da er eine Ersetzungsbefugnis tatbestandlich gerade voraussetze.
46Die Zertifikate seien Erfüllungssurrogate. Der Emittent habe ihm – dem Kläger – pro Teilschuldverschreibung als Liefergegenstand ein Zertifikat angedient und zusätzlich einen Geldbetrag gezahlt. Der Emittent habe aufgrund des eingetretenen Rückzahlungsszenarios nach § 3 Abs. 2 Buchst. c der Emissionsbedingungen das Recht gehabt, den auf eine Geldleistung gerichteten Rückzahlungsanspruch durch Lieferung der Zertifikate zu erfüllen. Von diesem Andienungsrecht habe der Emittent mit der Übertragung der Zertifikate an den Kläger unter gleichzeitiger Rückzahlung des darüber hinausgehenden Betrags Gebrauch gemacht.
47Das Zertifikat sei ein Wertpapier i.S.d. § 20 Abs. 4 Satz 3 EStG. Der Begriff des Wertpapiers werde in dieser Vorschrift nicht näher definiert. Aus einem Rückschluss aus § 20 Abs. 4 Satz 7 EStG ergebe sich, dass zumindest nach dem Depotgesetz sammelverwahrte Wertpapiere solche im Sinne des Gesetzes seien.
48Die Anschaffungskosten der Anleihe i.H.v. 9.961.911,43 EUR seien nicht auf das Zertifikat und die Barrückzahlung aufzuteilen. Eine solche Aufteilung widerspreche dem Wortlaut des Gesetzes. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ordne die Fortführung der Anschaffungskosten ausdrücklich und vorbehaltlos an. Im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung sei eine eindeutige Angabe zur Tilgung nicht möglich gewesen, weil die Emissionsbedingungen verschiedene Rückzahlungsmodalitäten vorgesehen hätten. Der Eintritt der jeweiligen Szenarien sei – ebenso wie das am Ende der Laufzeit anzuwendende Aufteilungsverhältnis – ungewiss und nicht beeinflussbar gewesen.
49Durch den Übergang der Anschaffungskosten der Anleihe auf die Zertifikate habe er einen Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate an die GmbH i.H.v. 8.480.261,03 EUR erlitten. Dieser Verlust unterliege gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 32d Abs. 1 EStG. Zudem gelte nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG nicht. Die GmbH, an der er zu über 10 % beteiligt sei, habe die Zertifikate zum aktuellen Kurswert und damit zu einem marktüblichen Preis erworben.
50Der Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14.02.2022 (VIII R 44/18, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl. II – 2022, 636) berufen. Der Entscheidung liege ein anderer Sachverhalt zugrunde. Außerdem betreffe das Urteil § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG und damit eine andere als die hier relevante Vorschrift. Satz 1 und Satz 3 des § 20 Abs. 4a EStG hätten verschiedene Zielrichtungen. Satz 1 wirke begünstigend wohingegen Satz 3 zulasten des Steuerpflichtigen wirke.
51Es liege kein Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO vor. Der Kläger verweist hierzu auf die Entscheidungen des BFH zum so genannten Bond-Stripping (BFH-Urteile vom 30.11.2022, VIII R 15/19, BStBl. II 2023, 632 und VIII R 30/20, BStBl. II 2023, 638; vom 16.03.2023, VIII R 36/19, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2023, 808; vom 14.06.2023, VIII R 17/22, BFH/NV 2023, 1302). In diesen Entscheidungen habe der BFH auch zu der im vorliegenden Verfahren relevanten Frage zum Verhältnis von § 42 AO und § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG Stellung genommen.
52Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Generalklausel des § 42 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 AO gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 AO bereits dem Grunde nach nicht eröffnet sei, weil mit der Veräußerung der Zertifikate an die GmbH § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG und damit eine spezialgesetzliche Missbrauchsverhinderungsvorschrift erfüllt sei. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG sei nicht teleologisch zu reduzieren. Die Vorschrift sei in Fallkonstellationen, in denen – wie im Streitfall – bei der Veräußerung an eine GmbH, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entstehe ohne Einschränkungen anwendbar. Die Vorschrift könne außerdem nicht nur zum Nachteil des Steuerpflichtigen angewandt werden. Selbst wenn der Gesetzgeber bei Fassung der Vorschrift im Jahr 2007 zunächst nicht erkannt haben sollte, dass die Norm auch zugunsten des Steuerpflichtigen wirken könne, so könne diese begünstigende Wirkung nicht durch Anwendung des § 42 AO revidiert werden. Durch eine spezialgesetzliche Missbrauchsregelung werde dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit genommen, sich nach § 42 Abs. 2 Satz 2 AO zu exkulpieren. Wenn der Gesetzgeber den Einwand außersteuerlicher Gründe abschneide, müsse er im Gegenzug gegen sich gelten lassen, dass der Steuerpflichtige die Sondervorschrift auch zur Erreichung steuerlicher Vorteile in Anspruch nehmen könne. Lücken im Besteuerungssystem, die sich durch eine typisierende Sondervorschrift ergeben, dürften nicht durch einen Rückgriff auf § 42 AO geschlossen werden. Hierzu bedürfe es gesetzlicher Ergänzungen der Sondervorschrift. Der Gesetzgeber habe mit dem Jahressteuergesetz 2020 auf die vorhandene Lücke reagiert und § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG geändert.
53Eine teleologische Extension des § 42 AO wegen eines Missbrauchs einer Missbrauchsvorschrift komme nicht in Betracht. Es bestehe keine Divergenz zwischen Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, der das Konkurrenzverhältnis zu anderen Vorschriften regele, sei nicht planwidrig unvollständig.
54Selbst wenn man die Anwendung des § 42 AO bejahen sollte, so läge kein Gestaltungsmissbrauch vor. Denn die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 AO seien nicht erfüllt. Die Zwischenschaltung der GmbH sei keine unangemessene Gestaltung. Die BFH-Rechtsprechung werte eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft nicht als Rechtsmissbrauch, wenn der Steuerpflichtige alle sich daraus ergebenden Konsequenzen ziehe, was hier der Fall sei. Die GmbH sei eine dauerhaft geschäftlich aktive Kapitalgesellschaft. Außerdem werde durch die gewählte Gestaltung kein vom Gesetz nicht vorgesehener Steuervorteil in Anspruch genommen. Mit der Veräußerung der Zertifikate an die GmbH habe er nicht gegen eine durch das Gesetz vorgegebene Wertung verstoßen, sondern von einer ihm gesetzlich eingeräumten Verlustverrechnungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Der Gesetzgeber habe zur Vereinfachung des Verwaltungsvollzugs die Fallgruppe des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG bewusst generalisierend und pauschalierend ausgestaltet. Es komme weder auf einen Belastungsvorteil noch auf ein Absaugen betrieblicher Gewinne an.
55Außerdem könne nach der ständigen Rechtsprechung des BFH allein aus der Ausnutzung des Steuersatzgefälles nicht auf eine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO geschlossen werden. Vorteile aufgrund unterschiedlicher Steuersätze seien der Schedulenbesteuerung des § 32d EStG immanent.
56Überdies führe die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht zu einem Steuervorteil. Im Zeitpunkt des Tausches gelte der gezahlte Barbetrag als Kapitalertrag. Er habe daher einen Sofortertrag zu besteuern, der mit den in dem erhaltenen Wertpapier fortgeführten stillen Lasten korrespondiere. Der Kläger meint, es komme somit zu einer zeitweisen Übermaßbesteuerung und infolgedessen zu einer für ihn nachteiligen Rechtsfolge.
57Mit einem Bond-Stripping sei die streitgegenständliche Gestaltung weder tatsächlich noch rechtlich vergleichbar. Beim Bond-Stripping würden Zinsscheine und damit die Früchte vom Stammrecht abgetrennt; den Zinsscheinen könnten keine Anschaffungskosten zugerechnet werden. Bei der streitgegenständlichen Gestaltung werde der Übergang der Anschaffungskosten auf die Zertifikate nach § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ausdrücklich angeordnet und sei somit gesetzlich vorgesehen.
58Der Kläger beruft sich zudem auf die Entscheidungen des FG München vom 29.09.2020, Az. 5 K 2870/19 (Revision anhängig unter VIII R 28/20) und des FG Nürnberg vom 30.03.2022, Az. 3 K 1470/19 (Revision anhängig unter VIII R 9/22).
59Unter dem 19.11.2020 erließ der Beklagte aus hier nicht streitigen Gründen einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2015, in dem die dem gesonderten Steuertarif nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegenden Kapitaleinkünfte auf 285.147 EUR herabgesetzt und die Einkommensteuer auf 4.405.582 EUR festgesetzt wurde.
60Der Kläger beantragt,
611. den Bescheid vom 11.01.2018 über Einkommensteuer für 2015, geändert durch die Bescheide vom 09.11.2018 und vom 19.11.2020 dahingehend zu ändern, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von ./. 8.480.261,03 EUR, die bislang bei der Besteuerung nach § 32d Abs. 1 EStG berücksichtigt worden sind, mit Einkünften, die der tariflichen Besteuerung unterliegen, verrechnet werden,
622. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,
633. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
64Der Beklagte beantragt,
65die Klage abzuweisen.
66Der Beklagte ist der Ansicht, dass die vom Kläger begehrte Verlustverrechnung nicht zu erfolgen habe. Entgegen der bisherigen Steuerfestsetzung habe der Kläger aus der Einlösung der Teilschuldverschreibungen einen dem gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegenden Gewinn i.H.v. 128.241,65 EUR und aus der Veräußerung der Zertifikate einen dem Steuertarif des § 32a EStG unterliegenden Gewinn i.H.v. 11.124,57 EUR erzielt. Die Barauszahlung i.H.v. 8.619.627,26 EUR sei nicht als Kapitalertrag anzusetzen.
67§ 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sei im Streitfall nicht anzuwenden. Wegen der Höhe der Barzahlung liege ein verschleierter Veräußerungsvorgang vor. Hierzu beruft sich der Beklagte auf das Urteil des BFH vom 14.02.2022 (VIII R 44/18). Die Barzuzahlung sei so hoch, dass sie der gesamten Maßnahme das Gepräge gebe und dazu führe, dass der Vorgang nicht in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG falle. Hohe Barzahlungen seien nicht mit dem Sinn und Zweck des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG, der die Vereinfachung des Abzugsverfahrens bezwecke, zu vereinbaren. In dem vom BFH entschiedenen Fall habe der Steuerpflichtige für den Untergang von Aktien neben anderen Aktien eine Zuzahlung erhalten; dabei habe der Wert der angedienten Aktien nur ca. 28 % der Gesamtleistung ausgemacht. Im vorliegenden Fall mache die Andienung der Zertifikate mit einem Wert von 1.470.525,83 EUR im Vergleich zur erhaltenen Barzahlung von 8.619.627,26 EUR sogar nur einen Anteil von 14,57 % des Wertes des Gesamtbetrags der Rückzahlung von 10.090.153,08 EUR aus.
68Wende man § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG im Streitfall an, läge eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber einem Tausch mit Zuzahlung i.S.d. § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG sowie einer Veräußerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG vor. Außerdem würde die Barrückzahlung i.H.v. 8.619.627,26 EUR in einen steuerpflichtigen Ertrag umqualifiziert und die erhaltenen Zertifikate wären mit hohen stillen Lasten ausgestattet. Dadurch käme es zeitweise zu einer Übermaßbesteuerung. Bei einem Open-End-Zertifikat könnte die Verlustrealisation sogar dauerhaft aufgeschoben sein. Dies entspreche nicht dem Sinn und Zweck des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG.
69Es seien folglich die allgemeinen Grundsätze zum Tausch von Wertpapieren anzuwenden. Bei wirtschaftlicher Betrachtung habe der Kläger einen Gewinn aus der Veräußerung der Teilschuldverschreibungen i.H.v. 128.241,65 EUR (10.090.153,08 EUR ./. 9.961.911,43 EUR) erzielt.
70Bei der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung der Zertifikate an die GmbH seien Anschaffungskosten i.H.v. 1.470.525,83 EUR anzusetzen. Hierzu sei vom gemeinen Wert der hingegebenen Anleihen im Zeitpunkt der Depotausbuchung i.H.v. 10.090.153,08 EUR die erhaltene Baraufgabe i.H.v. 8.619.627,26 EUR abzuziehen. Folglich habe der Kläger einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 11.124,57 EUR (1.481.650,40 EUR ./. 1.470.525,83 EUR) erzielt, der gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht zu den Einkünften gehöre, die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen.
71Hilfsweise vertritt der Beklagte die Ansicht, dass § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG steuerrechtlich außer Betracht bleibe, weil ein steuerrechtlich nicht anzuerkennender Gestaltungsmissbrauch vorliege. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 AO entstehe der Steueranspruch so wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen würde.
72Die vom Kläger gewählte Gestaltung führe zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil und sei unangemessen. Der „Ertrag" aus der von ihm gewählten Gestaltung ergebe sich eindeutig aus der Steuerersparnis und nicht aus der Kapitalanlage selbst. Durch die gewählte Gestaltung sei ein Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate i.H.v. 8.480.261,03 EUR künstlich erzeugt worden. Aufgrund der Zwischenschaltung der GmbH bei der Veräußerung der Zertifikate lägen die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG vor. Diese Verschiebung der Verluste aus Kapitalvermögen in den tariflichen Bereich und die damit einhergehende Verrechnungsmöglichkeit mit den anderen Einkunftsarten führe zu einer Steuerersparnis von etwa 1,4 Mio. EUR. Ohne den steuerlichen Vorteil hätte der Kläger durch den gesamten Vorgang vom Erwerb der Teilschuldverschreibungen bis zur Veräußerung der Zertifikate einen Totalüberschuss von 139.366 EUR (128.241,65 EUR + 11.124,57 EUR) erzielt. Außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung habe der Kläger nicht dargetan.
73§ 42 Abs. 2 AO werde nicht durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG verdrängt. Die Anwendung des § 42 AO werde nicht ausgeschlossen, wenn die spezielle Missbrauchsvorschrift, aus welchen Gründen auch immer, nicht greife. § 42 AO sei somit ein allgemeiner Auffangtatbestand. Halte der Steuerpflichtige die Grenzen der speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschrift ein, könne § 42 AO gleichwohl zur Anwendung gelangen. Mit der Einführung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.08.2007 (Bundesgesetzblatt Teil I – BGBl. I – 2007, 1912) habe der Gesetzgeber Gestaltungen verhindern wollen, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne abgesaugt werden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz reduziert wird.
74Außerdem sei der vorliegende Sachverhalt mit dem so genannten Bond-Stripping vergleichbar. Auch der Kläger gehe in seiner Erläuterung zur Anlage KAP von einer Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen aus.
75Weiterhin hilfsweise vertritt der Beklagte die Ansicht, dass die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen aufzuteilen und nur teilweise auf die Zertifikate übergegangen seien. Dies stehe zwar auf den ersten Blick im Widerspruch zum Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG, entspreche aber dem wirtschaftlichen Gehalt des Geschäftes. Der Sinn und Zweck des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG bestehe darin, Kapitalmaßnahmen, bei denen die Erträge nicht in Geld, sondern in Form von Sachleistungen zufließen, praktikabler zu gestalten. Es handele sich um eine Vereinfachungsregelung. Vorliegend bestehe der Hauptteil der Leistung an den Kläger in einer Barzahlung. Es könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, dass in Fällen, in denen der Baranteil höher als der Anteil der zugeteilten Wertpapiere sei, sämtliche Anschaffungskosten der hingegebenen Anteile auf die erhaltenen Anteile übertragen werden. Dies widerspreche auch dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, da der Steuerpflichtige in solchen Fällen einen Ertrag aufgrund der Barzahlung zu versteuern habe, obwohl er gemessen an dem Wert der in seinem Besitz befindlichen Anteile tatsächlich keinen Zuwachs an Leistungsfähigkeit erlangt habe.
76Ergänzend beruft sich der Beklagte auf Rn. 107 des BMF-Schreibens vom 19.05.2022, BStBl I 2022, 742. Aufgrund der kurzen Laufzeit der Indexanleihe und der noch kürzeren Besitzzeit des Klägers ähnele die vorliegende Fallgestaltung dem in dem BMF-Schreiben beschriebenen Fall, dass die Emissionsbedingungen von vornherein eine eindeutige Angabe zur Tilgung in bar oder in Stücken vorsehen. Im hiesigen Fall habe die Laufzeit der am 26.11.2015 ausgegebenen Indexanleihe am 18.12.2015 geendet und sei ungewöhnlich kurz gewesen. Der Kläger habe die Anleihe am 15.12.2015 und somit kurz vor der Endfälligkeit erworben. Nach den Emissionsbedingungen wäre es nur dann zu einer reinen Barrückzahlung gekommen, wenn der Basiswert auf weniger als 85 % gesunken wäre. Bei allen anderen Entwicklungen sei die Lieferung der Zertifikate in Verbindung mit einer hohen Barkomponente vorgesehen gewesen. Wegen der Ausgestaltung der Emissionsbedingungen der Indexanleihe sei bei Erwerb der Teilschuldverschreibungen am 15.12.2015 mit einer fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit klar gewesen, in welcher Form die Rückzahlung erfolgen würde.
77Eine Einspruchsentscheidung ist noch nicht ergangen.
78Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der hinzugezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
79Entscheidungsgründe
80Die zulässige Klage ist unbegründet.
81I.
82Die Klage ist zulässig, obwohl der Beklagte über den am 06.02.2018 eingelegten Einspruch des Klägers noch nicht entschieden hat.
83Gemäß § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – ist in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage grundsätzlich nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Daran fehlt es hier, weil das Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
84Abweichend von § 44 FGO ist eine Anfechtungsklage ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO). Angemessen ist eine Frist, innerhalb welcher eine Rechtsbehelfsentscheidung nach den Umständen des Falls erwartet werden kann (Krumm in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 177. Lieferung, 09/2023, § 46 FGO Rn. 8). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO brauchen dabei erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt zu sein (Krumm in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 177. Lieferung, 09/2023, § 46 FGO Rn. 6).
85Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Im Streitfall dauert das Einspruchsverfahren seit über 5 ½ Jahren an. Da der Beklagte sowohl vor Erlass des Erstbescheids als auch im Klageverfahren inhaltlich zu dem im Klageverfahren verfolgten Begehren des Klägers Stellung genommen hat, ist nicht ersichtlich, weshalb ihm eine Entscheidung über den Einspruch innerhalb dieser Zeit nicht möglich gewesen sein sollte.
86Zureichende Gründe für die Nichtbearbeitung hat der Beklagte nicht mitgeteilt. Wird kein Grund für die Nichtbearbeitung des Einspruchs mitgeteilt, so ist die Untätigkeitsklage ohne weiteres zulässig (vgl. Steinhauff in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 276. Lieferung, 10/2023, § 46 FGO Rn. 139, 170 ff.). Die Anfrage des Beklagten vom 12.10.2018, ob ein Einverständnis mit einem Ruhen des Einspruchsverfahrens im Hinblick auf das seinerzeit beim FG Düsseldorf anhängige Klageverfahren 1 K 2163/16 E,F besteht, genügt hierzu nicht. Der Kläger hat dem Ruhen des Einspruchsverfahrens nicht zugestimmt.
87Der Senat musste das Klageverfahren nicht aussetzen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 3, 1. HS FGO kann das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm zu bestimmenden Frist, die verlängert werden kann, aussetzen. Eine Aussetzungspflicht besteht im finanzgerichtlichen Verfahren nicht (vgl. Steinhauff in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 276. Lieferung, 10/2023, § 46 FGO Rn. 242). Gründe für eine Aussetzung des Klageverfahrens sind nicht ersichtlich.
88II.
89Die Klage ist unbegründet.
90Eine Anfechtungsklage kann nur dann erfolgreich sein und zur Aufhebung oder Änderung eines angefochtenen Verwaltungsakts führen, wenn dieser nicht nur rechtswidrig ist, sondern der Kläger dadurch auch in seinen Rechten verletzt ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Fehlt es an der Verletzung eines subjektiven Rechts, ist die Klage als unbegründet abzuweisen (BFH, Urteil vom 16.12.2021 IV R 7/19, BStBl II 2023, 378).
91So liegt es hier. Die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung 2015 ist zwar fehlerhaft. Der Kläger ist dadurch aber nicht in seinen Rechten verletzt, weil eine höhere Einkommensteuer festzusetzen gewesen wäre (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
92Der Beklagte hat bei der Einkommensteuerfestsetzung 2015 aus der hier streitbefangenen Investition des Klägers neben den Zinsen, deren Besteuerung zu Recht zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, den vom Emittenten ausgezahlten Barbetrag i.H.v. 8.619.627,26 EUR und einen Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate i.H.v. 8.480.261,03 EUR, im Ergebnis also 139.366,23 EUR, bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, berücksichtigt. Ein Gewinn aus der Einlösung der Teilschuldverschreibungen wurde bislang nicht angesetzt.
93Bei zutreffender Besteuerung hätte bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, nur ein Gewinn aus der Einlösung der Teilschuldverschreibungen i.H.v. 128.241,65 EUR angesetzt werden dürfen (dazu Ziffer 1.). Bei den Einkünften, auf die der Einkommensteuertarif des § 32a EStG anzuwenden ist, hätte ein Gewinn aus der Veräußerung der Zertifikate i.H.v. 11.124,58 EUR berücksichtigt werden müssen (dazu Ziffer 2.). Bei Zugrundelegung dieser Besteuerungsgrundlagen wäre eine höhere Steuer festzusetzen gewesen; einer Änderung der Steuerfestsetzung durch das Gericht zu Ungunsten des Klägers steht das Verböserungsverbot entgegen (dazu Ziffer 3.).
941.
95Der Kläger hat bei Fälligkeit der Teilschuldverschreibungen am 28.12.2015 einen Veräußerungsgewinn i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG i.H.v. 128.241,65 EUR erzielt, der gemäß § 32d Abs. 1 EStG dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegt. Einen weiteren Kapitalertrag i.H.v. 8.619.627,26 EUR hat der Kläger daneben nicht erzielt.
96a.
97Aus der Einlösung der Teilschuldverschreibungen bei Fälligkeit am 28.12.2015 hat der Kläger einen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerbaren Veräußerungsgewinn erzielt. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Zu den Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.
98Die Teilschuldverschreibungen sind Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Nach § 3 der Emissionsbedingungen der Indexanleihe war der Emittent – in allen der drei in den Emissionsbedingungen vereinbarten Szenarien – jedenfalls zur teilweisen Rückzahlung des Anlagebetrags verpflichtet. Zudem wurde dem Anleger eine Verzinsung und somit ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt.
99Der Kläger hat diese sonstigen Kapitalforderungen veräußert. Als Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG gilt auch die Einlösung. Eine Einlösung ist die Erfüllung einer verbrieften sonstigen Kapitalforderung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG durch die Erbringung der versprochenen Leistungen (Bleschick in: Kirchhof/Seer, EStG, 22. Auflage 2023, § 20 Rn. 141). Die Zahlung des Geldbetrags und die Übertragung der Zertifikate am 28.12.2015 war eine solche Einlösung der Teilschuldverschreibungen, die als Veräußerung fingiert wird.
100b.
101Der Gewinn des Klägers aus der Veräußerung der Teilschuldverschreibungen beträgt 128.241,65 EUR.
102Gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist der Gewinn i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten. Einnahmen sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EStG alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG zufließen.
103Der Kläger hat bei Fälligkeit der Teilschuldverschreibungen am 28.12.2015 einen Geldbetrag von 105,9964 EUR pro Teilschuldverschreibung (insgesamt 81.320 x 105,9964 EUR = 8.619.627,26 EUR) sowie pro Teilschuldverschreibung ein Zertifikat, also insgesamt 81.320 Zertifikate, erhalten. Die als Gegenleistung hingegebenen Zertifikate sind mit ihrem Kurswert im Zeitpunkt der Einbuchung zu bewerten (vgl. zur Bewertung von erhaltenen Aktien als Einnahme aus einer Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG: BFH, Urteil vom 14.02.2022 VIII R 44/18, BStBl II 2022, 636). Am 28.12.2015 betrug der Kurswert der Zertifikate 18,0832 EUR, so dass insofern eine Einnahme aus der Veräußerung i.H.v. 1.470.525,82 EUR (18,0832 EUR x 81.320) anzusetzen ist.
104Demnach ermittelt sich der Veräußerungsgewinn wie folgt:
105Rückzahlungsbetrag |
8.619.627,26 EUR |
Zertifikate 81.320 x 18,0832 EUR |
1.470.525,82 EUR |
Summe der Einnahmen aus der Veräußerung |
10.090.153,08 EUR |
abzgl. Anschaffungskosten Teilschuldverschreibung |
./. 9.961.911,43 EUR |
abzgl. Veräußerungskosten |
- |
= Veräußerungsgewinn |
128.241,65 EUR |
Dieser Veräußerungsgewinn i.H.v. 128.241,65 EUR ist gemäß § 32d Abs. 1 EStG mit dem gesonderten Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern.
107c.
108Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Gewinn aus der Einlösung der Teilschuldverschreibungen nicht nach § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zu ermitteln und beträgt mithin nicht 0 EUR. Die Vorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG, die eine von § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG abweichende Gewinnermittlungsvorschrift für bestimmte Kapitalmaßnahmen enthält, ist im Streitfall nicht anzuwenden. Entgegen der Entscheidungen des FG Nürnberg vom 30.03.2022 (3 K 1470/19, EFG 2022, 1681, Rev. anhängig unter VIII R 9/22) und des FG Düsseldorf vom 06.06.2023 (13 K 84/22 E, juris, Rev. anhängig unter VIII R 18/23), die zu vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, sieht der Senat die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG im Streitfall nicht als erfüllt an.
109aa.
110Nach § 20 Abs. 4a Satz 3, 1. HS EStG ist abweichend von § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG das Entgelt für den Erwerb der Forderung als Veräußerungspreis der Forderung und als Anschaffungskosten der erhaltenen Wertpapiere anzusetzen, wenn bei sonstigen Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Inhaber das Recht besitzt, bei Fälligkeit anstelle der Zahlung eines Geldbetrags vom Emittenten die Lieferung von Wertpapieren zu verlangen oder wenn der Emittent das Recht besitzt, bei Fälligkeit dem Inhaber anstelle der Zahlung eines Geldbetrags Wertpapiere anzudienen und wenn der Inhaber der Forderung oder der Emittent von diesem Recht Gebrauch macht. § 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS EStG erklärt den § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG, wonach eine Gegenleistung, die der Steuerpflichtige in den Fällen des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG zusätzlich zu den Anteilen erhält, als Ertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gilt, für entsprechend anwendbar.
111§ 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sieht demnach für bestimmte Kapitalmaßnahmen vor, dass die Anschaffungskosten der Kapitalforderung als deren Veräußerungspreis angesetzt werden, so dass der Veräußerungserlös den Anschaffungskosten entspricht und der Veräußerungsgewinn 0 EUR beträgt (vgl. Schmidt/Levedag, 42. Aufl. 2023, EStG § 20 Rn. 217). Zugleich wird angeordnet, dass die Anschaffungskosten der sonstigen Kapitalforderung auf die „neuen“ Wertpapiere übergehen. Durch die entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG gelten Zahlungen, die der Steuerpflichtige zusätzlich zu Wertpapieren als Gegenleistung erhält, als Kapitalertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (vgl. hierzu Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 320. Lieferung, 8/2023, § 20 EStG Rn. 586; Geurts in: Bordewin/Brandt, EStG, 456. Lieferung, 9/2023, § 20 Rn. 766a).
112Die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG setzt neben dem Vorliegen einer sonstigen Kapitalforderung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, die im Streitfall wie ausgeführt gegeben ist, voraus, dass entweder dem Gläubiger oder dem Emittenten ein Rückzahlungswahlrecht bei Fälligkeit eingeräumt wurde (vgl. Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 320. Lieferung, 8/2023, § 20 EStG Rn. 586). Erforderlich ist die Ausübung eines Wandlungs-/Umtauschs- oder Andienungsrechts durch den Steuerpflichtigen oder den Emittenten (Schmidt/Levedag, 42. Aufl. 2023, EStG § 20 Rn. 217; Geurts in: Bordewin/Brandt, EStG, 456. Lieferung, 9/2023, § 20 Rn. 766a).
113Die Ausübung eines solchen Wahlrechts setzt wiederum voraus, dass mindestens zwei Auswahlmöglichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit bestehen. An einer solchen Auswahlmöglichkeit und damit an einer Ausübung eines Wahlrechts im Zeitpunkt der Fälligkeit der Teilschuldverschreibungen fehlt es hier. Bei Fälligkeit am 28.12.2015 konnte weder der Kläger noch der Emittent zwischen einer vollständigen Geldzahlung und einer Lieferung von Wertpapieren nebst Geldzahlung wählen. Bei Fälligkeit am 28.12.2015 hätte der Emittent den vollen Geldbetrag nicht an den Kläger auszahlen dürfen; ein solches Recht stand ihm nach den Emissionsbedingungen nicht zu. Auch der Kläger hätte keine ausschließliche Geldzahlung vom Emittenten verlangen können. Denn nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. c der Emissionsbedingungen war der Emittent verpflichtet, die Rückzahlung durch Übertragung von Zertifikaten und Zahlung eines Ausgleichsbetrags zu erbringen, weil anhand der für maßgeblich erklärten Stände des DAX und des TecDAX am 18.12.2015 ein Referenzpreis von 12.407,96 Indexpunkten ermittelt worden war. Die Zusammensetzung der Rückzahlung, also die konkrete Art, wie der Emittent die Indexanleihe einzulösen hatte, hing von Bedingungen, die weder die Anleger noch der Emittent beeinflussen konnten, an einem Stichtag, der vor dem Fälligkeitstag der Schuldverschreibung lag, ab. In einem solchen Fall fehlt es an einer Ausübung eines Wandlungs-/Umtauschs- oder Andienungsrechts im Zeitpunkt der Fälligkeit der Schuldverschreibung (so auch FG Berlin-Brandenburg Urteil vom 14.04.2021 1 K 1142/19, juris, rkr. – zu einem Fall, in dem ein Steuerpflichtiger aufgrund von in Emissionsbedingungen festgelegten Regelungen neue Wertpapiere erhalten hatte; a.A. wohl Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, 339. Lieferung, 10/2023, § 20 Rn. Fa 41 und tendenziell Geurts in: Bordewin/Brandt, EStG, 456. Lieferung, 9/2023, § 20 Rn. 766a, jeweils ohne Begründung).
114Der Emittent hat durch die Festlegung der Emissionsbedingungen auch nicht antizipiert ein Wahlrecht i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG wirksam ausgeübt.
115In den Emissionsbedingungen der Indexanleihe wurden drei Szenarien für die Rückzahlung der Indexanleihe geregelt. In einem Fall (§ 3 Abs. 2 Buchst. a) sollte die Rückzahlung ausschließlich in Geld erfolgen. In den beiden anderen Fällen (§ 3 Abs. 2 Buchst. b und c) sollte die Rückzahlung durch Lieferung von Zertifikaten und eine Geldzahlung erfolgen. Somit war vorgesehen, dass der Emittent seine Rückzahlungsverpflichtung entweder ausschließlich in Geld oder durch eine Lieferung von Zertifikaten und einer Barzahlung erbringen wird. Vorgesehen waren somit zwei verschiedene Arten der Einlösung der Indexanleihe.
116Darin liegt aber keine Wahlrechtsausübung i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG. Im Verhältnis zur allgemeinen Gewinnermittlungsvorschrift des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG handelt es sich bei § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG um eine Ausnahmevorschrift, die nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen eng auszulegen ist. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist der Tatbestand des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nur erfüllt, wenn die Rückzahlung der sonstigen Kapitalforderung bei Fälligkeit entweder in Geld oder eine Wertpapierlieferung erfolgen kann.
117Daran fehlt es hier. Wie ausgeführt wurde in den Emissionsbedingungen als maßgeblicher Stichtag für die Konkretisierung der Rückzahlungsverpflichtung der 18.12.2015 festgelegt. Es stand somit schon seit dem 18.12.2015 – und damit bereits zehn Tage vor der Fälligkeit der Indexanleihe am 28.12.2015 – fest, dass der Emittent entsprechend § 3 Abs. 2 Buchst. c der Emissionsbedingungen neben der Geldzahlung Zertifikate zu liefern hatte. Selbst wenn man in der Festlegung der Emissionsbedingungen eine antizipierte Wahlrechtsausübung des Emittenten sehen würde, so wäre diese Wahlrechtsausübung vor dem Fälligkeitszeitpunkt der Indexanleihe und damit zu früh erfolgt.
118bb.
119Selbst wenn man eine Ausübung eines Andienungsrechts durch den Emittenten und damit das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3, 1. HS EStG bejahen sollte, wäre § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG im Streitfall nicht anzuwenden. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist dahingehend auszulegen, dass die Norm nicht anzuwenden ist, wenn der Steuerpflichtige neben einer Lieferung von Wertpapieren eine Barzahlung erhält, die – wie im Streitfall – den Wert der übertragenen Wertpapiere um ein Vielfaches übersteigt (a.A. FG Düsseldorf Urteil vom 06.06.2023 13 K 84/22, EFG 2023, 1308, Rev. anhängig unter VIII R 18/23).
120Der Kläger hat bei Einlösung der Teilschuldverschreibungen einen Geldbetrag i.H.v. 8.619.627,26 EUR und Zertifikate mit einem Wert von 1.470.525,82 EUR erhalten. Die Geldleistung hat gemessen an der Gesamtgegenleistung i.H.v. 10.090.153,08 EUR einen Anteil von 85,4 % ausgemacht. Sie übersteigt damit den Wert der hingegebenen Zertifikate i.H.v. 1.470.525,82 EUR um ein Vielfaches.
121Der Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG lässt eine Auslegung, dass die Vorschrift bei hohen Barzahlungen nicht zur Anwendung kommt, zu. § 20 Abs. 4a Satz 3, 1. HS EStG erfasst zunächst nur Fälle, in denen bei Fälligkeit der sonstigen Kapitalforderung anstelle der Zahlung eines Geldbetrags Wertpapiere hingegeben werden. Die Regelung gilt somit primär für Fälle, in denen zum Ausgleich der Forderung ausschließlich Wertpapiere hingegeben werden. Über den Verweis in § 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS EStG, wonach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG entsprechend anzuwenden ist, erfasst die Regelung auch Fälle, in denen der Steuerpflichtige Wertpapiere und Geld erhält.
122Gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS i.V.m. Satz 2 EStG gelten Gegenleistungen, die der Steuerpflichtige zusätzlich zu den Wertpapieren erhält, als Kapitalertrag. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis bedeutet Zusatz eine Ergänzung, Beigabe oder eine Erweiterung. Daraus ist zu folgern, dass der Hauptteil der Gegenleistung i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in einer Lieferung von Wertpapieren liegen muss. Denn läge der Hauptanteil der Gegenleistung – wie hier mit ca. 85 % – in einer Geldzahlung, kann nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr von einem reinen „Zusatz“ zur Wertpapierlieferung gesprochen werden.
123Auch der Wille des Gesetzgebers spricht für eine einschränkende Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG.
124§ 20 Abs. 4a EStG bezweckt die Vereinfachung der Abwicklung von Kapitalanlagen. Die mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, 2794) eingeführte und mit dem Jahressteuergesetz 2010 vom 08.12.2010 (BGBl. I 2010, 1768) sowie dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.06.2013 (BGBl. I 2013, 1809) geänderte Vorschrift des § 20 Abs. 4a EStG führt zu einer Verschiebung der Besteuerung. Die Regelung dispensiert den Quellensteuerabzug der Kreditinstitute. Dabei liegt § 20 Abs. 4a EStG der Gedanke einer Cashflow-Besteuerung zugrunde, bei der eine Besteuerung nur dann vorzunehmen ist, wenn es zu einer Barzahlung an den Anleger kommt (vgl. Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, 339. Lieferung, 10/2023, § 20 Fa Rn. 8).
125Zur Begründung des Regierungsentwurfs eines Jahressteuergesetzes 2009 (BT-Drs. 16/10189, dort Seite 50) wurde ausgeführt, dass die Abgeltungssteuer für Steuerpflichtige und Quellensteuerabzugsverpflichtete, insbesondere für Kreditinstitute, noch praktikabler ausgestaltet werden solle. Dies erscheine vor allem bei Kapitalmaßnahmen notwendig, bei denen die Erträge nicht als Geldzahlungen, sondern insbesondere in Form von Anteilen an Kapitalgesellschaften zufließen. Es solle vermieden werden, dass Banken – auf Grund fehlender Zahlungsvorgänge – die Steuerbeträge von den Steuerpflichtigen einfordern müssen oder das Finanzamt die Quellensteuer vom Steuerpflichtigen anzufordern hat, sofern dieser die Leistungen nicht gegenüber der Bank erbringt. Zusätzlich sollte die Finanzverwaltung von zusätzlichen Veranlagungsfällen entlastet werden, in denen über die fingierte Bewertung des Veräußerungspreises und des Veräußerungszeitpunktes gestritten wird. Die Verschiebung der Besteuerung erscheine bei diesen Kapitalmaßnahmen im Hinblick auf die Vereinfachung des Abgeltungssteuerverfahrens sachgerecht, da dadurch keine erheblichen Steuerausfälle zu erwarten seien und – anders als z. B. bei der Besteuerung von Sachausschüttungen – keine steuerlichen Gestaltungsfälle produziert würden.
126Diese Entwurfsbegründung verdeutlicht, dass der Gesetzgeber eine Vorschrift für Kapitalmaßnahmen ohne Barzahlungen einführen wollte. Für derartige Kapitalmaßnahmen sollte die Besteuerung aufgeschoben werden. Dabei ging er davon aus, dass es dadurch nicht zu Steuerausfällen kommen werde und keine steuerlichen Gestaltungen möglich seien.
127Dabei hat der Gesetzgeber die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht auf reine Tauschvorgänge beschränkt, sondern im Laufe des Gesetzgebungsverfahren zum Jahressteuergesetz 2009 die Möglichkeit, dass als weitere Gegenleistung auch Barzahlungen erfolgen, in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a EStG einbezogen (vgl. hierzu BT-Drs. 16/11108, Seite 16). Der Gesetzesentwurf wurde dahingehend abgeändert, dass die Barzahlungen als laufende Kapitalerträge zu besteuern sind (§ 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS i.V.m. Satz 2 EStG).
128Aus dieser Änderung des Gesetzesentwurfs kann aber nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber von seiner Grundidee, dass die Besteuerung des Veräußerungsvorgangs ausgesetzt werden soll, wenn der Steuerpflichtigen insbesondere Leistungen erhält, die keine Geldzahlung sind, abrücken wollte. Anhaltspunkte für eine solche Sichtweise sind den Gesetzgebungsmaterialien nicht zu entnehmen. Der Begründung zur Änderung des Gesetzesentwurfs ist nur zu entnehmen, dass es sich um eine Klarstellung handele, dass eine weitere Gegenleistung in bar als steuerpflichtiger Kapitalertrag zu besteuern sei.
129Einer einschränkenden Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 (BGBl. I 2020, 3096) auch § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG geändert hat. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG wurde dahingehend eingeschränkt, dass er ab dem Veranlagungszeitraum 2021 nicht mehr für die Hingabe sämtlicher Wertpapiere, sondern nur noch für Wertpapiere i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gilt. Zur Begründung der Gesetzesänderung wurde ausgeführt, dass die Erfahrung der Praxis in den letzten Jahren gezeigt habe, dass die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zu missbräuchlichen Steuergestaltungen genutzt werde. Ziel sei es dabei, bei den Einkünften aus Kapitalvermögen einerseits voll abzugsfähige Verluste und andererseits steuerfreie Gewinne in ähnlicher Höhe zu erzeugen. Solche vom Gesetzgeber nicht gewollte Missbräuche seien nicht hinnehmbar. Um das Steuerschlupfloch schnell zu schließen, sei es daher erforderlich, die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG – entsprechend der ursprünglichen Zielrichtung – auf den Eintausch in Aktien zu beschränken (vgl. BT-Drs. 19/23551, Seite 22).
130Zudem wurde durch das Jahressteuergesetz 2020 § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG dahingehend geändert, dass der Ausschluss von der Anwendung des gesonderten Steuertarifs nur noch gilt, soweit die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen und § 20 Abs. 9 Satz 1, 2. HS EStG keine Anwendung findet. Nach der Gesetzesbegründung soll mit dieser Einschränkung in der Praxis bekannt gewordenen Gestaltungen begegnet werden, bei denen die Ausnahmeregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG genutzt werde, künstlich erzeugte Verluste i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG in voller Höhe mit tariflich versteuerten Einkünften zu verrechnen, wohingegen mit den Verlusten korrespondierende positive Kapitalerträge dem günstigen Abgeltungssteuertarif unterliegen (vgl. BT-Dr. 19/22850, Seite 81).
131Diese Änderung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG durch das Jahressteuergesetz 2020 steht der vom Senat vorgenommenen einschränkenden Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht entgegen (so aber FG Düsseldorf Urteil vom 06.06.2023 13 K 84/22 E, EFG 2023, 1308, Revision anhängig unter VIII R 18/23). Zwar hat der Gesetzgeber auf Steuergestaltungen, die mit dem im hiesigen Verfahren zu beurteilenden Sachverhalt vergleichbar sind, reagiert und § 20 Abs. 4a EStG nur dahingehend abgeändert, dass die von der Regelung erfassten Wertpapiere begrenzt wurden. Daraus ergibt sich aber nicht zwangsläufig, dass § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG auch in Fällen anzuwenden ist, in denen die Barzuzahlung den Wert der angedienten Wertpapiere nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG um ein Vielfaches übersteigt. Der Gesetzgeber hat mit den vorgenommenen Änderungen des § 20 Abs. 4a EStG und des § 32 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG die Nutzung des Steuersatzgefälles für mit dem Streitfall vergleichbare Gestaltungen für die Zukunft rechtssicher unterbunden. Dabei ging es ihm – wie es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich formuliert wurde – um eine schnelle Schließung eines Steuerschlupflochs. Der Gesetzgeber hat sich somit für eine von mehreren Möglichkeiten zur Änderung bzw. Klarstellung der Gesetzeslage entschlossen, die aus seiner Sicht die schnellste Umsetzung seines Willens ermöglichte. Einer (ergänzenden) Änderung des § 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS, Satz 2 EStG bedurfte es hierzu aus seiner Sicht nicht. Daraus kann indes nicht im Wege eines Umkehrschlusses sicher abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG im Fall von verhältnismäßig sehr hohen Barzahlungen für anwendbar hält. Hinzu kommt, dass für die Auslegung der im Streitjahr geltenden Fassung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG der Wille des historischen Gesetzgebers, nicht aber der Wille des Gesetzgebers des Jahressteuergesetzes 2020, maßgeblich ist.
132Eine einschränkende Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Denn die Besteuerung der Barauszahlung i.H.v. 8.619.627,26 EUR als Kapitalertrag würde zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Übermaßbesteuerung (Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes; vgl. zum Übermaßverbot Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2020, Rn. 3.182 ff. m.w.N.) führen, die durch eine einschränkende Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG vermieden werden kann.
133Bei Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG würde der Gewinn des Klägers aus der Einlösung der Teilschuldverschreibungen 0 EUR betragen. Der Wert der Zertifikate, die der Kläger bei der Einlösung erhalten hat, i.H.v. 1.470.525,82 EUR würde sich bei der Besteuerung der Einlösung der Teilschuldverschreibungen nicht auswirken. Der an den Kläger ausgezahlte Barbetrag von 8.619.627,26 EUR wäre als Kapitalertrag i.S.d. § 20 Abs. 4a Sätze 2, 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 7 EStG zu versteuern. Die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen i.H.v. 9.961.911,43 EUR würden auf die Zertifikate übergehen und sich im Zeitpunkt der Einlösung der Teilschuldverschreibungen steuerlich nicht auswirken.
134Von diesen Grundsätzen ausgehend müsste der Kläger also einen Betrag von 8.619.627,26 EUR als Kapitalertrag versteuern, obwohl er im Zeitpunkt der Einlösung wirtschaftlich betrachtet seinen Kapitalanlagebetrag zurückerhalten hat und die von ihm für die Teilschuldverschreibungen gezahlten Anschaffungskosten i.H.v. 9.961.911,43 EUR steuerverstrickt blieben und somit bei der Besteuerung des Auszahlungsbetrags nicht berücksichtigt würden. Der Kläger müsste mithin einen Kapitalertrag von 8.619.627,26 EUR versteuern, obwohl sich seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit lediglich um einen Betrag von 128.241,65 EUR erhöht hat. Von einer Übermaßbesteuerung der Einlösung der Teilschuldverschreibungen im Fall der Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus, weshalb der Senat von weitergehenden Ausführungen absieht.
135Diese Übermaßbesteuerung wird nicht dadurch kompensiert, dass durch die Übertragung der Anschaffungskosten auf die Zertifikate stille Lasten auf die Zertifikate übergehen. Denn dieser Übergang der Anschaffungskosten würde sich – wie ausgeführt – zunächst steuerlich nicht auswirken.
136Auch die im Streitfall am Tag nach der Einlösung der Teilschuldverschreibungen erfolgte Veräußerung der Zertifikate und die dadurch im Fall der Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG eintretende Realisierung eines Veräußerungsverlusts gleicht die Übermaßbesteuerung nicht aus. Zwar würde durch eine Verrechnung eines Verlusts aus der Veräußerung der Zertifikate mit dem Kapitalertrag i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 3, 2. HS, Satz 2 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG die Besteuerung des Auszahlungsbetrags wirtschaftlich ausgeglichen. Eine solche wirtschaftliche Kompensation durch einen Veräußerungsvorgang im selben Veranlagungszeitraum genügt aber nicht, um die Übermaßbesteuerung der Einlösung der Teilschuldverschreibung rechtlich zu kompensieren. Denn bei der Betrachtung der Besteuerung des Einlösevorgangs sind steuerlich relevante Lebenssachverhalte, die zu einem späteren Zeitpunkt verwirklicht werden, außer Betracht zu lassen. Der Einlösevorgang und die Veräußerung der Zertifikate sind zwei Lebenssachverhalte, die für die Prüfung, ob § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zur Anwendung kommt, getrennt voneinander zu betrachten sind.
137Nach alledem ist § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift nicht zur Anwendung kommt, wenn der Steuerpflichtige eine Barzahlung erhält, die den Wert der übertragenen Wertpapiere um ein Vielfaches übersteigt. Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ab welcher Grenze eine solche einschränkende Auslegung vorzunehmen ist. Da der Kläger im Streitfall bei der Einlösung der Teilschuldverschreibung einen Geldbetrag erhalten hat, der im Verhältnis zu der Gesamtleistung einen Anteil von 85,4 % ausgemacht hat, ist eine solche Wertgrenze jedenfalls eindeutig überschritten.
138d.
139Die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen, ob die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen aufzuteilen und nur teilweise auf die Zertifikate übergegangen sind sowie die Frage, ob ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, kann der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen lassen.
1402.
141Der Kläger hat aus der Veräußerung der Zertifikate keinen Verlust i.H.v. 8.480.261,03 EUR, sondern einen Gewinn i.H.v. 11.124,58 EUR erzielt. Dieser Gewinn gehört nicht zu den Einkünften, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden; anzuwenden ist insofern der Steuertarif des § 32a Abs. 1 EStG.
142Die Veräußerung der Zertifikate an die GmbH ist ein nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerbarer Veräußerungsvorgang. Der daraus resultierende Gewinn ist nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu ermitteln. Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, weshalb der Senat von weiteren Ausführungen absieht.
143Als Veräußerungserlös ist der von der GmbH gezahlte Kaufpreis i.H.v. 1.481.650,40 EUR anzusetzen. Veräußerungskosten sind dem Kläger nicht entstanden, so dass bei der Gewinnermittlung lediglich die Anschaffungskosten der Zertifikate abzuziehen sind.
144Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen i.H.v. 9.961.911,43 EUR nicht nach § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG auf die Zertifikate übergegangen. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist – wie ausgeführt – im Streitfall nicht anzuwenden.
145Folglich sind die Anschaffungskosten der Zertifikate nach den allgemeinen Regeln zu ermitteln. Der Begriff der Anschaffungskosten ist sowohl im Rahmen der Gewinneinkünfte als auch im Rahmen der Überschusseinkünfte einheitlich nach § 255 des Handelsgesetzbuches auszulegen (BFH, Urteil vom 28.10.2009 VIII R 22/07, BStBl. II 2010, 469; Schmidt/Levedag, 42. Aufl. 2023, EStG § 20 Rn. 204). Demnach sind Anschaffungskosten die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können.
146Der Kläger hat die Zertifikate im Wege eines Tausches erhalten. Für die Hingabe seiner 81.320 Teilschuldverschreibungen mit einem Referenzpreis von 124,0796 EUR pro Stück (Gesamtwert 81.320 x 124,0796 EUR = 10.090.153,07 EUR) hat der Kläger bei Fälligkeit am 28.12.2015 81.320 Zertifikate mit einem Kurswert von 18,0832 EUR und eine Geldauszahlung von 8.619.627,26 EUR (81.320 x 105,9964 EUR) erhalten.
147Wird ein Wirtschaftsgut im Wege des Tausches übertragen, bemessen sich die Anschaffungskosten des neu erworbenen Wirtschaftsguts gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG nach dem gemeinen Wert des hingegebenen Wirtschaftsgutes; spiegelbildlich hierzu gilt das hingegebene Wirtschaftsgut als zu seinem gemeinen Wert veräußert. Diese Vorschrift ist auch für die Ermittlung von im Privatvermögen gehaltenen Zertifikaten anzuwenden. Zwar betrifft § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG unmittelbar nur Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens, jedoch strahlt diese gesetzliche Regelung auf die anderen Einkunftsarten aus (vgl. FG Münster Urteil vom 09.06.2021 13 K 207/18 E,F, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst 2022, 724).
148Der gemeine Wert wird gemäß § 9 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre; dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen. Wird im Wege des Tausches auch eine Barzahlung geleistet, ist diese von dem gemeinen Wert des hingegebenen Wirtschaftsguts abzuziehen.
149Hiervon ausgehend ermitteln sich die Anschaffungskosten der Zertifikate wie folgt:
150Gemeiner Wert der hingegebenen Teilschuldverschreibungen |
10.090.153,07 EUR (81.320 x 124,0796 EUR) |
abzgl. erhaltene Barzahlung |
./. 8.619.627,26 EUR) |
Anschaffungskosten Zertifikate |
1.470.525,81 EUR |
Somit berechnet sich der Gewinn aus der Veräußerung der Zertifikate wie folgt:
152Veräußerungserlös |
1.481.650,40 EUR |
./. Anschaffungskosten |
1.470.525,82 EUR |
Veräußerungsgewinn |
11.124,58 EUR |
Der Gewinn aus der Veräußerung der Zertifikate gehört nicht zu den Einkünften, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden. Nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG beträgt die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht unter § 20 Abs. 8 EStG fallen, 25 %. Dies gilt gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht, wenn die Kapitalerträge von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger ist Alleingesellschafter der GmbH, die den Veräußerungserlös an den Kläger gezahlt hat.
1543.
155Bei Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen wäre die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung 2015 zu erhöhen.
156Im Ergebnis wären die Einkünfte, die nach § 32a Abs. 1 EStG besteuert werden, um 11.124,58 EUR (Gewinn aus der Veräußerung der Zertifikate) zu erhöhen. Die Einkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, wären um insgesamt 11.124,58 EUR zu mindern. Dabei setzt sich der Minderungsbetrag bei den Einkünften, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, wie folgt zusammen:
157Gewinn Veräußerung Teilschuldverschreibungen |
128.241,65 EUR |
Korrektur Sofortertrag |
./. 8.619.627,26 EUR |
Korrektur Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate |
8.480.261,03 EUR |
Summe |
./. 11.124,58 EUR |
Dadurch wäre eine Einkommensteuer i.H.v. ... EUR festzusetzen und damit im Vergleich zu der bisherigen Steuerfestsetzung i.H.v. ... EUR um 2.325 EUR zu erhöhen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vom Gericht eingeholte Prüfberechnung Bezug genommen (Bl. 238 ff. GA).
159Aufgrund des im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots (vgl. hierzu BFH, Beschluss vom 10.03.2016 X B 198/15, BFH/NV 2016, 1042 m.w.N.) darf das Gericht den angegriffenen Bescheid nicht zu Lasten des Klägers ändern.
160III.
161Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
162IV.
163Die Revision wird im Hinblick auf die anhängigen Revisionsverfahren VIII R 9/22 und VIII R 18/23 zugelassen.