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Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 28.12.2016, betreffend die Einkommensteuer des verstorbenen A, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.07.2020 wird mit der Maßgabe abgeändert, dass ausgehend von gewerblichen Einkünften in Höhe von ... EUR die Einkommensteuer 2010 auf ... EUR festgesetzt wird.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Die Klage richtet sich gegen die Einkommensteuerfestsetzung für 2010 mit Bescheid vom 28.12.2016 (Erstbescheid, bekanntgegeben an den Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.7.2020. Streitig ist, ob Umsatzsteuererstattungsansprüche (einschließlich Erstattungszinsen) aus den Jahren 2003 und 2004 im Streitjahr 2010, dem Jahr der Auszahlung, einkommensteuerlich als nachträgliche Betriebseinnahmen zu berücksichtigen sind.
3Der Kläger ist Insolvenzverwalter über den Nachlass des verstorbenen Unternehmers A (A), der gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb von Spielhallen erzielte. Im ... 2004 schloss A die Spielhallen im Zuge eines gewerberechtlichen Widerrufsverfahrens, gab die Erlaubnisurkunden zurück und ging fortan keiner gewerblichen Tätigkeit mehr nach. Dieser Vorgang wird von den Beteiligten übereinstimmend als Betriebsaufgabe angesehen; eine Betriebsaufgabebilanz ist allerdings nicht erstellt worden.
4Am ...2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des A eröffnet (Amtsgericht Z-Stadt Az. 00 IN 000/00) und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 10.12.2007 erklärte der Kläger die Masseunzulänglichkeit. Nach dem Tod des A im Dezember 2014 wurde das Verfahren in ein Insolvenzverfahren über den Nachlass des A übergeleitet (Amtsgericht Z-Stadt Az. 00 IN 000/01); dieses Verfahren ist noch nicht beendet.
5A erzielte bis 2004 Erlöse aus Geldspielgeräten, die mit Umsatzsteuer belastet worden waren; dem entsprachen die Umsatzsteuervoranmeldungen und zunächst auch die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen; entsprechend erfolgte auch noch am 25.04.2005 eine Umsatzsteuerfestsetzung für 2004; die Umsatzsteuerakten sind inzwischen vernichtet worden.
6Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 17.2.2005 C-453/02 u.a., Slg. 2005, I-1131-1166; Sammlung der Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 2005, Beilage 2, 94, und nachfolgend der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 12.5.2005 V R 7/02, Bundessteuerblatt (BStBl) II 2005, 617 entschieden hatten, dass die mit Geldspielautomaten erzielten Umsätze nicht umsatzsteuerpflichtig sind (dazu BMF IV B 2-S 2141-7/06 vom 5.7.2006, BStBl I 2006, 418), reichten der Kläger und A im November 2005 berichtigte Umsatzsteuererklärungen ein, zunächst nur für die Jahre 1999 bis 2002.
7Am 30.01.2006 setzte das damals zuständige Betriebsfinanzamt die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1999 bis 2002 entsprechend herab. Aus den Bescheiden ergaben sich Erstattungsansprüche (Umsatzsteuer und Erstattungszinsen) von insgesamt ca. ... EUR. Anschließend erließ das Betriebsfinanzamt einen Abrechnungsbescheid gegen den Kläger, in dem es diese Erstattungsansprüche gegen Steuerforderungen aufrechnete, die es zur Insolvenztabelle angemeldet hatte (ca. ... EUR). Es verblieb ein Betrag von rund ... EUR, der in 2006 an den Kläger ausgezahlt wurde. Der Abrechnungsbescheid ist mit Zurückweisung der Revision gegen das klageabweisende Urteil des 12. Senats des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf (vom 15.05.2014 12 K 4478/11 AO, EFG 2014, 1362) bestandskräftig geworden (BFH-Urteil vom 18.08.2015 VII R 29/14, BFH/NV 2016, 87).
8Ferner setzte der Beklagte als Wohnsitzfinanzamt (im folgenden: Finanzamt) gegenüber dem Kläger Einkommensteuern des A für 2006 fest. Es vertrat die Auffassung, mit der im Streitjahr 2006 vorgenommenen Auszahlung bzw. Aufrechnung seien der Insolvenzmasse nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb zuzurechnen, die nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermitteln seien. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erging im anschließenden Klageverfahren ein Zwischenurteil (vom 8.07.2014 9 K 2384/10 E), wonach die nach der Betriebsaufgabe erfolgten Umsatzsteuererstattungen in sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 3 EStG als nachträgliche Einkünfte unter Berücksichtigung des Zuflussprinzips zu ermitteln seien. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (BFH-Beschluss vom 28.01.2015 X B 103/14, BFH/NV 2015, 702).
9In dem vor dem nunmehr zuständigen 10. Senat des FG fortgeführten Klageverfahren hatte die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 im Wesentlichen keinen Erfolg. Das FG vertrat im Endurteil zwar im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 10.02.1994 IV R 37/92 (BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564) die Auffassung, der nachträgliche Eingang der zunächst bestrittenen Forderung hätte rückwirkend den Aufgabegewinn des Jahres 2004 erhöhen müssen. Es sei aber gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 318 der Zivilprozessordnung (ZPO) an die gegenteilige Aussage im rechtskräftig gewordenen Zwischenurteil des 9. Senats gebunden. Daher seien sowohl die Umsatzsteuer-Erstattungen als auch die Verrechnungen einkommensteuerrechtlich gemäß § 4 Abs. 3 EStG als nachträgliche Einkünfte im Streitjahr 2006 zu erfassen. Da der Steuertatbestand damit erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt worden sei, handele es sich um Masseverbindlichkeiten. Die Klage sei nur insoweit begründet, als es sich mit Ausnahme der Erstattungszinsen um Vergütungen für mehrjährige Tätigkeit handele, so dass gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG der ermäßigte Steuersatz anzuwenden sei (FG Düsseldorf Urteil vom 19.07.2016 10 K 2384/10 E, EFG 2016, 1443). Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (BFH-Beschluss vom 14.06.2017 X B 118/16, BFH/NV 2017, 1437).
10Im Dezember 2006 hatte der Kläger auch für die Streitjahre 2003 und 2004 auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH (berichtigte) Umsatzsteuererklärungen eingereicht. Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuern für 2003 und 2004 neu fest (Bescheide vom 2.04.2007), wobei sich Umsatzsteuererstattungen von ... EUR (für 2006) und von ... EUR (für 2004) sowie Erstattungszinsen gemäß § 233 a der Abgabenordnung (AO) von ... EUR (für 2006) und von ... EUR (für 2007) ergaben. Die Beträge wurden allerdings erst im August 2010 an den Kläger ausgezahlt.
11Das Finanzamt berücksichtigte diese Zahlungen (insgesamt ... EUR) als nachträgliche Betriebseinnahmen des A im Streitjahr 2010. Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 28.12.2016 ist an den Kläger gerichtet, als Nachlassinsolvenzverwalter des verstorbenen A; er enthält ein Leistungsgebot. Den gegen die Steuerfestsetzung erhobenen Einspruch des Klägers wies das Finanzamt als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 23.07.2020). Es wies darauf hin, dass es an die Rechtsauffassung des BMF gebunden sei (BMF-Schreiben vom 5. 07.2006 IV B 2 - S 2141 - 7/06, BStBl I 2006, 418, Tz. 7).
12Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger ist der Auffassung, die Umsatzsteuererstattungsansprüche für die Jahre 2003 und 2004 seien nicht im Streitjahr 2010 zu erfassen. Die Forderung auf Erstattung der Umsatzsteuern sei spätestens durch das EuGH-Urteil vom 17.02.2005 entstanden und zu aktivieren gewesen. Auch die Finanzverwaltung vertrete im BMF-Schreiben vom 5.07.2006 die Auffassung, die Forderung auf Erstattung von Umsatzsteuer sei in der Schlussbilanz des ersten nach dem Datum der Entscheidung des EuGH endenden Wirtschaftsjahres auszuweisen. Es handele sich nicht um einen Gewinn, der Gegenstand nachträglicher, nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermittelnder Einkünfte gemäß § 24 Nr. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG sei, sondern um einen Teil des im Jahr 2004 erzielten Aufgabegewinns. Auf den Zahlungseingang komme es nicht an.
13Dies führe im Streitfall dazu, dass die Forderung auf Umsatzsteuererstattung wegen des nach § 155 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) zu bildenden Rumpfwirtschaftsjahrs vom 1.01.2005 bis 16.03.2005 zwingend in der Insolvenzeröffnungsbilanz zum 16.03.2005 zu aktivieren gewesen sei. Die ertragsteuerliche Gewinnauswirkung habe sich daher bereits bei Insolvenzeröffnung realisiert, so dass die Einkommensteuer auf diesen Gewinn eine Insolvenzforderung gewesen sei, die zur Insolvenztabelle hätte angemeldet werden müssen und nicht durch Steuerbescheid gegenüber der Insolvenzmasse als Masseverbindlichkeit habe festzusetzt werden dürfen.
14Der Kläger beantragt,
15den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 28.12.2016, betreffend die Einkommensteuer des verstorbenen A, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.07.2020 ersatzlos aufzuheben bzw. die Einkommensteuer auf 0 EUR festzusetzen;
16hilfsweise: die Revision zuzulassen.
17Das Finanzamt beantragt,
18die Klage abzuweisen;
19hilfsweise: die Revision zuzulassen.
20Das Finanzamt trägt ergänzend vor, wenn auch die Einwendungen des Klägers vor dem Hintergrund des Urteils des FG Düsseldorf vom 19.07.2016 nachvollziehbar seien, so sei es weiterhin an die Weisungen des BMF-Schreibens vom 5.07.2006 gebunden.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
22Die Klage ist weitaus überwiegend begründet.
23Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 ist rechtswidrig, soweit darin die Umsatzsteuererstattungen für 2003 und 2004 in Höhe von insgesamt ... EUR als gewerbliche Einkünfte des Klägers enthalten sind. Demgegenüber hat das Finanzamt die ausgezahlten Erstattungszinsen von insgesamt ... EUR zu Recht als nachträgliche gewerbliche Einkünfte des Klägers im Einkommensteuerbescheid für 2010 berücksichtigt. Nach alledem ist keine ersatzlose Aufhebung oder eine Herabsetzung der Einkommensteuer 2010 auf 0 EUR geboten, sondern ein Herabsetzung der Einkommensteuerfestsetzung 2010 auf ... EUR.
241. Die im Jahr 2010 erstatteten Umsatzsteuern sind nicht als im Jahr 2010 zugeflossene Betriebseinnahmen, sondern im Rahmen des Ergebnisses der Betriebsaufgabe im Jahr 2004 zu erfassen. Die Erstattung der Umsatzsteuer im Jahr 2010 ist ein auf den Aufgabegewinn bzw. -verlust im Jahr 2004 zurückwirkendes Ereignis.
25a) Allerdings war der Umsatzsteuererstattungsanspruch für 2003 und 2004 bei der Betriebsaufgabe (... 2004) noch nicht bilanzierungsfähig. A war während seiner aktiven gewerblichen Tätigkeit zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich verpflichtet. Der Spielhallenbetrieb bedurfte nach seiner Größe einer kaufmännischen Einrichtung und war damit ein Handelsgewerbe i. S. des § 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB). A hatte daher seinen Gewinn gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. § 238 HGB durch Buchführung und Bilanzierung zu ermitteln.
26Dementsprechend hätte A Forderungen gegen das Finanzamt auf Rückerstattung überzahlter Umsatzsteuer in dem Zeitpunkt in der Steuerbilanz ansetzen müssen, in welchem der daraus resultierende Gewinn realisiert wurde (sog. Realisationsprinzip). Hiernach sind Forderungen zu aktivieren, sobald sie (unabhängig von der rechtlichen Entstehung) wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht und am Bilanzstichtag hinreichend sicher sind. Bestrittene oder ungewisse Forderungen sind (erst) dann bilanziell anzusetzen und ggf. als Betriebseinnahme zu behandeln, wenn das Bestreiten aufgegeben wird (vgl. BFH-Urteile vom 26.02.2014 I R 12/14, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -- BFH/NV -- 2014, 1544; vom 15.11.2011 I R 96/10, BFH/NV 2012, 991; vom 14.03.2006 VIII R 60/03, Bundessteuerblatt -- BStBl -- II 2006, 650; vom 15.03.2000 II R 15/98, BStBl II 2000, 588 und vom 26.04.1989 I R 147/84, BStBl II 1991, 213). Dies gilt auch für bestrittenen Steuererstattungsansprüche.
27Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche in Zusammenhang mit dem Betrieb von Geldspielautomaten, die der eindeutigen Verwaltungsauffassung vor Ergehen des EuGH-Urteils im Februar 2005 entgegenstanden, waren hiernach (frühestens) zum ersten Bilanzstichtag zu aktivieren, der auf die vorbehaltlose Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12.05.2005 V R 7/02 (BFHE 210, 164, BStBl II 2005, 617) im BStBl II vom 30.09.2005 folgte (BFH-Urteil vom 31.08.2011 X R 19/10, BFHE 234, 420, BStBl II 2012, 190; BFH-Beschluss vom 15.11.2011 I R 96/10, BFH/NV 2012, 991).
28Im Streitfall ist zudem zu berücksichtigen, dass Umsatzsteuer-Erstattungsansprüchen für 2003 und 2004 die bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung) für diese Jahre entgegenstanden – solange nicht deren Änderung beantragt worden war, konnte im Hinblick auf die fortbestehende Bescheidlage kein entgegenstehender Erstattungsanspruch bilanziert werden.
29Nach alledem war in einer Aufgabebilanz (zum ...2004) die Forderung nicht zu erfassen. Auch eine spätere Bilanzierung kommt nicht in Frage. Denn für das Jahr 2005 war keine Steuerbilanz mehr zu erstellen, weil der Kläger seine gewerbliche Tätigkeit bereits in 2004 mit der Betriebsaufgabe i.S. von § 16 Abs. 3 EStG aufgegeben hatte. Daran ändert die vom Kläger erwähnte Liquidationseröffnungsbilanz (zum 16.03.2005) nichts; denn diese ist keine Bilanz über Betriebsvermögen nach ertragsteuerlichen Grundsätzen.
30b) Die Betriebsaufgabe hatte allerdings nicht zur Folge, dass diese (gemäß § 38 AO materiell-rechtlich mit der unberechtigten Entrichtung der Umsatzsteuer bereits entstandenen) Rückerstattungs-Ansprüche ihre Eigenschaft als Betriebsvermögen verloren. Eine nach Grund und Höhe ungewisse betriebliche Forderung kann nicht aus dem Betriebsvermögen entnommen werden; sie bleibt auch nach der Aufgabe des Betriebs Betriebsvermögen. Bei einer solchen Forderung erweist sich erst aus der weiteren Entwicklung der Verhältnisse, ob und in welcher Höhe sie zu einem Ertrag führt. Damit tritt für Besteuerungszwecke der tatsächlich später vereinnahmte Betrag aus der Forderung an die Stelle ihres gemeinen Wertes im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe. Das Betriebsaufgabeergebnis wird so ermittelt und besteuert, als sei die Forderung im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe nach Grund und Höhe unstreitig gewesen. Sachlich gehört der vereinnahmte Betrag, weil er an die Stelle des sonst anzusetzenden gemeinen Wertes der Forderung im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe tritt, zum Betriebsaufgabegewinn. Damit stellt sich der tatsächliche Zahlungseingang auf die bei der Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns wegen der Ungewissheit über ihren Grund und ihre Höhe nicht angesetzte Forderung ebenso als rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar wie der Ausfall einer Forderung, die bei der Ermittlung des Betriebsveräußerungsgewinns mit einem Wert angesetzt wurde, der später nicht realisiert werden kann (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.07.2016 10 K 2384/10 E, EFG 2016, 1443; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 5.07.2018 1 K 2502/15, EFG 2018, 1712; BFH-Urteil vom 10.02.1994 IV R 37/92, BStBl II 1994, 564, und BFH-Beschluss vom 23.02.1995 III B 134/94, BFH/NV 1995, 1060).
31c) Der gegenteiligen Auffassung des BMF im Schreiben vom 5.07.2006 IV B 2 – S 2141 – 7/06 (BStBl I 2006, 418, Tz. 7), wonach spätere Umsatzsteuererstattungen oder -rückzahlungen zu keiner Änderung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns führen können, ist nicht zu folgen. Die Behörde nimmt insoweit die Rechtsprechung des BFH zum rückwirkenden Ereignis nach Betriebsveräußerung (Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) bzw. Betriebsaufgabe (BFH-Urteil vom 10.02.1994 IV R 37/92, BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564; BFH-Beschluss vom 23.02.1995 III B 134/94, BFH/NV 1995, 1060) nicht hinreichend zur Kenntnis.
322. Die nach der Betriebsaufgabe entstandenen Zinsen nach § 233a AO in Höhe von ... EUR hat das Finanzamt dagegen zu Recht im Einkommensteuerbescheid 2010 als gewerbliche Einkünfte des Klägers berücksichtigt. Insoweit (in Höhe von ... EUR) ist die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung 2010 rechtmäßig.
33Die in der Zeit nach der Betriebsaufgabe entstandenen Zinsen sind nicht vom Betriebsaufgabegewinn umfasst. Ein hierauf zurückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegt nur in Bezug auf Zinsen vor, die im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe (... 2004) bereits entstanden waren. Hinsichtlich der hier erheblichen Umsatzsteuererstattungen für 2003 und 2004 begann der Zinslauf erst im April 2005 (für 2003) bzw. April 2006 (für 2004) und reichte bis Ende März 2007. Die Zinsen beinhalten damit die Gegenleistung für eine Kapitalvorenthaltung in 2005, 2006 und 2007. Insofern sind sie nachträgliche gewerbliche Betriebseinnahmen i. S. d. § 24 Nr. 2 EStG; das Finanzamt hat sie zu Recht in sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 3 EStG nach dem Zuflussprinzip (§ 11 EStG) im Streitjahr (Zahlungsjahr) 2010 berücksichtigt (BFH-Urteil vom 23.02.2012 IV R 31/09, BFH/NV 2012, 1448, Rz. 31 ff.; FG Saarland, Urteil vom 12.05.2011 1 K 1099/06, juris, Rz. 28 f.).
34Die Zinsen sind auch nicht begünstigt zu besteuern. Erstattungszinsen nach § 233a AO sind keine außerordentlichen Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG; sie erfüllen weder den Tatbestand des § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG noch den des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (BFH-Urteil vom 25.09.2014 III R 5/12, BFHE 247, 226, BStBl II 2015, 220).
353. Das Finanzamt durfte die Einkommensteuer 2010 des A gegenüber dem Kläger festsetzen. Dem steht nicht entgegen, dass nach Abschluss des Insolvenzverfahrens möglicherweise nur eine begrenzte Haftung für Masseverbindlichkeiten besteht.
36a) Nach § 155 Abs. 1 Satz 1 AO werden Steuern, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, von der Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt. Nach § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Sie haben ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden (§ 174 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dementsprechend sind Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO während eines Insolvenzverfahrens nach § 251 Abs. 3 AO nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern allenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen.
37Diese Einschränkungen gelten allerdings nicht für Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen sind (vgl. BFH-Urteile vom 29.08.2007 IX R 4/07, BStBl II 2010, 145, und vom 29.01.2009 V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682).
38b) Die gegen den Kläger ‑ in geänderter Höhe von nunmehr ... EUR - festzusetzende Einkommensteuer 2010 ist eine durch ihn als Insolvenzverwalter bewirkte sonstige Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die gemäß § 53 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen sind. Es handelt sich nicht um eine bereits bei Insolvenzeröffnung begründete Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Denn der Besteuerungstatbestand, verwirklicht durch die Zinsentstehung und schließlich erst durch den Zufluss der Einnahmen, ist vollumfänglich nach Insolvenzeröffnung, und zwar erst im Streitjahr 2010 verwirklicht worden (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 19.07.2016 10 K 2384/10 E, EFG 2016, 1443, Rz. 35 ff.; FG Baden-Württemberg Urteil vom 5.07.2018 1 K 2502/15, EFG 2018, 1712, Rz. 38 ff.).
39c) Auch die Erklärung der Masseunzulänglichkeit durch den Kläger bereits in 2007 steht der Steuerfestsetzung für 2010 nicht entgegen. Dabei handelt es sich um eine nicht die Steuerfestsetzung, sondern die Steuererhebung und -vollstreckung betreffende Frage.
40d) Dahinstehen kann auch, ob der Einkommensteuerbescheid 2010 insoweit dem § 210 InsO entgegensteht und rechtswidrig ist, soweit er trotz der erklärten Masseunzulänglichkeit ein Leistungsgebot enthält (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 19.07.2016 10 K 2384/10 E, EFG 2016, 1443, Rz. 42 a. E.). Denn insoweit wäre eine hiergegen gerichtete Klage mangels Vorverfahren gemäß § 44 Abs. 1 FGO unzulässig, weil der Kläger nur gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 Einspruch eingelegt und Klage erhoben hat, nicht aber gegen das darin enthaltene Leistungsgebot gestritten, einen Abrechnungsbescheid herbeigeführt und hiergegen ein erfolgloses Einspruchsverfahren betrieben hat (vgl. auch BFH-Beschluss vom 14.06.2017 X B 118/16, BFH/NV 2017, 1437, Rz. 40ff.).
414. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
425. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 FGO.