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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 96 % und der Beklagte zu 4 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger seinerseits Sicherheitsleistungen in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
2Streitig ist, ob der Beklagte wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung des Klägers Erlöse bzw. Umsätze hinzu schätzen durfte.
3Der Kläger betrieb in Jahren 2012 bis 2014 (Streitjahre) eine Lotto-Toto-Annahmestelle mit angeschlossenem Kiosk (Tabakwaren, Zeitschriften, etc.) ... unter der Anschrift M.-straße in X.. Er erzielte hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und ermittelte seinen Gewinn in allen Streitjahren durch Betriebsvermögensvergleich gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 EStG.
4Der Kläger verfügte in den Streitjahren über eine elektronische Registrierkasse des Models U. Er fertigte hierzu handschriftliche Kassenberichte, in denen er, ausgehend vom Kassenbestand des Vortages, zunächst regelmäßig eine Kontoeinzahlung in gleicher Höhe abzog. Anschließend notierte er die Geschäftseinnahmen meist mit jeweils einer Summe für bestimmte Warengruppen (z.B. Tabak, Zeitschriften, Süßwaren, ... etc.) teilweise jedoch auch nur mit einer Gesamtsumme, zog hiervon Ausgaben (wie z.B. „Q., G., F., C., W., I., P. etc.“) ab und notierte den Kassenbestand zum Geschäftsschluss. Wechselgeldbestände wurden in den Kassenberichten nicht erfasst.
5Der Kläger verfügte außerdem über eine eigene Lottokasse, die mit der Fa. V. direkt verbunden war. Über diese Kasse erfolgten der Verkauf von Lottoscheinen, Telefonkarten etc. sowie die Auszahlung von Lottogewinnen. Für diese Kasse fertigte er keinerlei Aufzeichnungen, insbesondere keine täglichen Kassenberichte. Die Buchungen auf dem Kassenkonto (Buchungskonten 1001 bzw. 1601) erfolgten anhand der Abrechnungen der Fa. V. und der entsprechenden Geldeingänge und Geldabgänge auf dem gesondert geführten Bankkonto für die Lottoannahmestelle (Bank X., Kontonummer N01, Buchungskonto 1201 bzw. 1801). Die Entnahme der Provisionen erfolgte ebenfalls über die Lottokasse.
6Der Kläger verkaufte seit Oktober 2012 auch Nahverkehrstickets für die X. B. (X.B.). Er war über eine Leitung direkt mit dem Anbieter verbunden und rechnete auch direkt mit diesem ab. Hierzu druckte er einen Abschlag aus. Ein extra Kassenfach gab es nicht, die Vereinnahmung der bar gezahlten Tickets lief über die Kasse Kiosk (Position 07 auf den Tagesendsummenbons, den sog. Z-Bons).
7Der Beklagte setze die Einkommensteuer zunächst für 2012 auf 3.624 € (Bescheid vom 22.07.2014), für 2013 auf 2.952 € (Bescheid vom 09.04.2015) und für 2014 auf 4.329 € (Bescheid vom 29.07.2015) fest, wobei er jeweils erklärte Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 52.167 € (2012), 50.367 € (2013) und 53.088 € (2014) berücksichtigte. Ebenso erließ er entsprechende Gewerbesteuermessbetragsbescheide und stimmte den eingereichten Umsatzsteuererklärungen zu, mit denen der Kläger Umsatzsteuer für 2012 i.H.v. 13.336,93 €, für 2013 i.H.v. 12.410,19 € und für 2014 i.H.v. 12.912,85 € berechnete.
8Mit Prüfungsanordnung vom 21.06.2017 ordnete der Beklagte beim Kläger für die Streitjahre eine Betriebsprüfung (BP) für die Einkommen- und Umsatzsteuer sowie den Gewerbesteuermessbetrag an. Im Verlauf der Prüfung gelangte der Prüfer zu der Feststellung, dass die Buchführung des Klägers nicht ordnungsmäßig sei. So lägen für den Zeitraum 01.01.2012 bis 30.09.2013 nur verdichtete Summenbuchungen und keine Einzelbuchungen vor. Weiterhin seien weder Kassendaten noch Verfahrensdokumentationen für die Kasse des Klägers vorgelegt worden. Eine Überprüfung der Vollständigkeit der Geschäftsvorfälle sowie deren Entstehung und Abwicklung könne daher nicht erfolgen. Aufgrund der vorgenannten Mängel setzte der Prüfer gemäß Tz. 2.2 des BP-Berichts vom 06.04.2018 einen Sicherheitszuschlag in Höhe von 5 % für den Zeitraum 01.01.2012 bis 30.09.2013 auf die erklärten Erlöse an. Weiterhin kürzte er die Vorsteuer aus Mietaufwendungen, da aufgrund des vorliegenden Mietvertrages ein Vorsteuerabzug nicht möglich sei (Tz. 2.3 des BP-Berichts). Zudem versagte der Prüfer die Aufwendungen für einen PKW, da der Kläger die betriebliche Nutzung von zwei PKW nicht nachgewiesen habe (Tz. 2.4 des BP-Berichts). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht der BP vom 06.04.2018 nebst Anlagen Bezug genommen.
9Der Beklagte machte sich die Feststellungen der BP zu eigen und erließ am 18.04.2018 (Einkommensteuer, Umsatzsteuer) und 11.05.2018 (Gewerbesteuermessbetrag) entsprechende Änderungsbescheide für die Streitjahre. Hiergegen legten die Kläger Einsprüche ein. Im Laufe des Rechtsbehelfsverfahrens reichte der Kläger die Buchführungsdaten für den Zeitraum 01.01.2012 bis 30.09.2013 im Einzelformat ein. Eine Minderung der Hinzuschätzungen wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung kam nach Ansicht des Beklagten trotzdem nicht in Betracht, da weitere erforderliche Unterlagen und Auskünfte nicht innerhalb einer vom Prüfer gesetzten Ausschlussfrist nach § 364b der Abgabenordnung (AO) eingereicht wurden. Der Beklagte erkannte allerdings nach Vorlage der Dauermietrechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis die Vorsteuern aus dem Mietvertrag an (Änderungsbescheide Einkommensteuer 2012 und 2013, Umsatzsteuer 2012 bis 2014 jeweils vom 28.09.2018 sowie Gewerbesteuermessbetrag 2012 und 2013 vom 19.10.2018), hielt jedoch auch an der Kürzung der Aufwendungen für einen PKW fest (geringfügige Teilabhilfe, da Überarbeitung anhand Einzelbuchungen erfolgte). Im Einzelnen wird auch hier auf die im Rechtsbehelfsverfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Einspruchsentscheidung vom 19.07.2019 verwiesen.
10Am 21.08.2019 hat der Kläger Klage erhoben und begehrt, die Hinzuschätzungen wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung in vollem Umfang aufzuheben und die seiner Ansicht nach unberechtigten Gewinnerhöhungen bei den Kraftfahrzeugkosten rückgängig zu machen. Die angefochtenen Bescheide seien bereits formell rechtswidrig, da § 364b AO wegen des Verlangens nach einem schriftlichen Fristverlängerungsantrag falsch angewandt worden sei.
11Sie seien darüber hinaus auch materiell rechtswidrig. Eine nunmehr durchgeführte Nachkalkulation habe ergeben, dass die gebuchten Umsatzerlöse den kalkulierten Werten entsprächen. Der Vorwurf der Mangelhaftigkeit der Kassenführung werde zurückgewiesen. Die beiden vom Beklagten benannten Z-Bon-Lücken seien dadurch erklärlich, dass die fehlenden Z-Bons offenbar wegen einer Störung (wie z.B. Papierstaus) nicht nummerisch vergeben worden seien und daher nicht existierten. Die Lücken rechtfertigten auch keine Hinzuschätzungen, da der gesamte Umsatz jeweils auf den folgenden Z-Bon übertragen worden sei. Dies ergebe sich aus den Summenspeichern Grand Total (GT) 1 und GT 2 in der Kopfzeile der jeweiligen Z-Bons. Die in einem Fall auftretende Wertdifferenz von 5 € sei unbeachtlich. Auch der Vorwurf von handschriftlichen Änderungen auf diversen Z-Bons sei unberechtigt. Es habe sich insoweit um Kassenfehlbedienungen oder Doppelbuchungen gehandelt, die der Kläger habe händisch beseitigen müssen. Ebenso unberechtigt sei der Vorwurf, dass der Kläger ohne Wechselgeldbestand arbeiten würde. Fakt sei, dass der Kläger für die Kioskkasse einen Wechselgeldbestand von 200 € und für die Lottokasse von 350 € gehabt habe. Diese Wechselgeldbestände seien nur nie in die Kassenberichte eingetragen worden. Die Tageseinnahmen seien immer durch Zählung des Kassenbestandes nach Separierung des Wechselgeldbestandes und Vergleich mit dem jeweiligen Z-Bon ermittelt worden. Diese Ermittlung sei fehlerfrei und nicht zu bemängeln. Dies werde umso deutlicher, als dass jeweils exakt der Kassenbestand, der der Tageseinnahme des Vortages entspreche, auf das Bankkonto des Klägers vor Öffnung des Kiosks eingezahlt worden sei. Die Feststellung des Beklagten, der Kassenbestand sei lediglich rechnerisch nachträglich unter Berücksichtigung der feststehenden Einzahlung auf das Bankkonto des Klägers ermittelt worden, sei daher eindeutig widerlegt. Bei den Barausgaben, die nicht am Tag ihrer tatsächlichen Zahlung, sondern erst mehrere Tage später im Kassenbericht erfasst wurden, handele es sich um vorgestreckte Betriebsausgaben, die der Kläger von der Verausgabung bis zur (Selbst-)Erstattung belegmäßig gesammelt habe und die im Wesentlichen im Kleinbetragsbereich unter 200 € lägen. Jedenfalls könne eine ggf. zu reklamierende Ausgabenerfassung nicht als Rechtfertigung für eine Hinzuschätzung von Erlösen herangezogen werden.
12Hinsichtlich der Kürzung der Kraftfahrzeugkosten wendet der Kläger ein, dass eine über die Kostenhöhe hinausgehende Eigenverbrauchsbesteuerung sachlich unzutreffend sei.
13Der Kläger beantragt sinngemäß,
14die Umsatzsteuerbescheide für 2012 bis 2014 vom 18.04.2018, geändert durch Umsatzsteuerbescheide vom 28.09.2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.07.2019, für 2012 erneut geändert durch Umsatzsteuerbescheid vom 04.12.2023 aufzuheben.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Hinsichtlich des formellen Einwands bezüglich der Ausschlussfristsetzung nach § 364b AO führt der Beklagte aus, der Prüfer habe dem Klägervertreter telefonisch mitgeteilt, dass eine Fristverlängerung nur auf schriftlichen Antrag gewährt werden könne, da es zuvor bereits zu Unstimmigkeiten bezüglich der Kommunikationswege gekommen war. Es sei jedoch lediglich eine schriftliche Gegenäußerung nach Ablauf der gesetzten Frist erfolgt.
18Nach Auffassung des Beklagten nach bestünden erhebliche Buch- und Kassenführungsmängel, die eine Hinzuschätzung von Einnahmen bzw. Erlösen rechtfertigten (vgl. hierzu Schriftsatz vom 19.11.2019). Zwar werde vorgetragen, dass die fehlenden Z-Bons keine Tagesumsätze enthielten. Der in den fehlenden Z-Bons enthaltende Saldo von 0 € könne jedoch auch dadurch entstanden sein, dass die in den fehlenden Z-Bons enthaltenen Umsätze in vollem Umfang storniert worden seien. Ohne Vorlage der Z-Bons sei nicht mehr nachvollziehbar, wie der Saldo tatsächlich entstanden sei. Zudem verbleibe es für einen Tag bei einer Differenz von 5 €, die zwar für sich genommen geringfügig, jedoch nicht unbeachtlich sei. Denn diese Differenz beweise, dass der dort fehlende Z-Bon Umsätze enthalten haben müsse. Auch die dauerhafte Nichterfassung von Wechselgeld in den Kassenberichten stelle einen Mangel dar, weil die Kasse damit zu keiner Zeit sturzfähig gewesen sei bzw. der tatsächliche Kassenbestand nie mit dem Kassenbestand laut Kassenberichten habe übereinstimmen können. Hinzu komme, dass im Klageverfahren erstmals vorgetragen wurde, dass (und in welcher Höhe) Wechselgeld außerhalb der Buchführung vorgehalten worden sei. Die genannten Beträge seien in keiner Weise überprüfbar, so dass durch einen entsprechenden Wechselgeldbestand letztlich jeder beliebige Kassenbestand erklärbar gemacht werden könne. Die Kassenberichte verlören dadurch jegliche Aussagekraft und erfüllten nicht mehr die in der Rechtsprechung (z.B. BFH vom 17.11.1981, VIII R 174/77) geforderte Funktion, jederzeit einen Abgleich zwischen Soll- und Istbestand vornehmen zu können. Auch seien die Programmierprotokolle für das Kassensystem weiterhin nicht vorgelegt worden, obwohl dies nach der Rechtsprechung (BFH vom 25.03.2015, X R 20/13) auch bereits für die Streitjahre erforderlich gewesen wäre. Darüber hinaus habe der Prüfer lediglich eine Hinzuschätzung für Zeiträume vorgenommen, für die während der BP keine Einzelbuchung vorgelegt worden seien (2012 bis 09/2013). Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Sachlage wäre jedoch eine Hinzuschätzung für den gesamten Prüfungszeitraum gerechtfertigt gewesen.
19Das Gericht hat die Gerichtsprüferin ... N. mit der vorbereitenden Sachverhaltsaufklärung beauftragt. Nach den Feststellungen der Gerichtsprüferin in ihrem Bericht vom 27.10.2023 sei eine aussagekräftige Kalkulation nicht möglich, da weder Preislisten noch detaillierte Warenumsatzberichte vorlägen (...). Weiterhin sei bei den verkauften Tabakwaren laut Z-Bons nicht erkennbar, ob es sich um Zigaretten oder Zubehör handele, bei dem sich eine deutlich höhere Gewinnmarge ergebe. Dies habe auch der Kläger bei der von ihm im Klageverfahren eingereichten Nachkalkulation nicht berücksichtigt. Mit den vom Kläger zugrunde gelegten Aufschlagsätzen bei den Tabakwaren ergäben sich geringere Erlöse als vom Kläger selbst erklärt, weshalb diese nicht zutreffend sein könnten. Gleiches gelte für die Kalkulation der Zeitschriftenumsätze. Zudem lägen die vom Kläger ermittelten Rohgewinnaufschlagsätze alle deutlich unter dem niedrigsten Rohgewinnaufschlagsatz der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF von 14 % für den Einzelhandel von Tabakwaren und Zeitschriften. Die vom Beklagten vorgenommene Hinzuschätzung mittels Sicherheitszuschlags sei daher nach Auffassung der Gerichtsprüferin grundsätzlich nicht zu beanstanden, da Buchführungsmängel für alle Streitjahre festgestellt worden seien. Allerdings seien bei der Bemessungsgrundlage für die Hinzuschätzungen alle Provisionserlöse und durchlaufenden Posten auszunehmen. Weiterhin seien die Kürzungen bei den Kraftfahrzeugkosten entsprechend der im Klageverfahren vorgelegten Berechnung des Klägers rückgängig zu machen. Hinsichtlich der Feststellungen der Gerichtsprüferin zu den Buchführungsmängeln im Einzelnen und den betragsmäßigen Auswirkungen ihres Änderungsvorschlags wird auf den auf den Bericht vom 27.10.2023 Bezug genommen.
20Der Beklagte hat daraufhin die angefochtenen Bescheide entsprechend des von der Gerichtsprüferin unterbreiteten Änderungsvorschlags geändert (Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2012 und 2013 sowie Umsatzsteuerbescheid 2012 vom 04.12.2023 (Einkommensteuer, Umsatzsteuer) bzw. 29.11.2023 (Gewerbesteuermessbetrag)). Gegen diese Bescheide hat der Kläger erneut Klagen erhoben, die zunächst unter den Aktenzeichen 11 K 734/24 E, 11 K 736/24 G und 11 K 737/24 U geführt wurden. Insoweit macht er im Wesentlichen geltend, die Bescheide seien nicht als Änderungsbescheide gekennzeichnet worden und enthielten keinen Hinweis auf § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Außerdem sei die Klage wegen der jeweils erfolgten Beendigungen der Aussetzung der Vollziehung und der Endgültigkeitserklärung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO im Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2012 erforderlich gewesen.
21Der Kläger hat zum Bericht der Gerichtsprüferin inhaltlich nicht Stellung genommen, sondern lediglich die Ergebnisse zurückgewiesen, da es sich zum Teil um rechtliche Wertungen handele, die dem Gericht vorbehalten seien. Die Auskunft der Gerichtsprüferin solle sich ausschließlich auf Tatsachenfeststellungen beschränken. Zudem sei es unzutreffend, dass die eingereichten Y.-Buchungskonten nachträglich erstellt worden seien. Die vertiefte Prüfung durch die Gerichtsprüferin werde insgesamt gerügt.
22Wegen der weiteren Einzelheiten zum Verfahren und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.06.2024 verwiesen.
23Entscheidungsgründe
24I. Das Gericht konnte in der Sitzung vom 11.06.2024 ohne Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Klägers entscheiden, weil dieser mit Ladung per Postzustellungsurkunde, ihm zugestellt am 30.03.2024, darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 FGO). Auf die Ablehnungen der Terminverlegungsanträge vom 04.06.2024, 10.06.2024 und 11.06.2024 nimmt der Senat Bezug.
25II. Die Änderungsbescheide im Klageverfahren sind gemäß § 68 FGO (jeweils) Gegenstand der betreffenden Klageverfahren mit den Aktenzeichen 11 K 2308/19 U, 11 K 2317/19 E und 11 K 2321/19 G geworden. Das daher hinsichtlich der Verfahren mit den Aktenzeichen 11 K 734/24 E, 11 K 736/24 G und 11 K 737/24 U bestehende Prozesshindernis der doppelten Rechtshängigkeit wurde durch Verbindung der Verfahren in der mündlichen Verhandlung vom 11.06.2024 beseitigt. Entgegen der Auffassung des Klägervertreters wurden die Bescheide in den Erläuterungen als Änderungsbescheide gekennzeichnet. Die erneuten Klageerhebungen waren auch nicht wegen der Beendigungen der Aussetzung der Vollziehung und der Endgültigkeitserklärung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO im Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2012 erforderlich.
26III. Die Klage ist unbegründet.
27Der Senat vermag dem Vortrag des Klägers zur formellen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide nicht zu folgen (dazu unter 1.). Der Beklagte war wegen vorhandener Mängel in der Buchführung des Klägers dem Grunde nach zur Schätzung befugt (dazu unter 2.) und auch gegen die Höhe der im laufenden Klageverfahren aufgrund der Feststellungen der Gerichtsprüferin geänderten Hinzuschätzung bestehen keine Bedenken (dazu unter 3.).
281. Es liegt nahe, dass der Prüfer gemäß § 364b AO berechtigt war, dem Kläger mit Schreiben an seinen Bevollmächtigten vom 01.08.2018 im Einspruchsverfahren eine Ausschlussfrist, insbesondere zur Erläuterung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte und zur Vorlage von Urkunden, bis zum 04.09.2018 zu setzen. Die Frage, ob der Beklagte § 346b AO zutreffend angewandt hat, kann jedoch offen bleiben. Entscheidung des Gerichts beruht nicht auf der Zurückweisung von Tatsachen nach § 76 Abs. 3 FGO, die der Kläger außerhalb einer Ausschlussfrist gemäß § 364b AO geltend gemacht hat, sondern insbesondere auf eigener Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht.
292. Der Beklagte war – wie sich insbesondere aus der vorbereitenden Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht ergibt – zur Vornahme von Hinzuschätzungen für die Streitjahre dem Grunde nach berechtigt.
30Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können. Nach dieser Vorschrift sind die Buchführung und Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Formelle Mängel berechtigen nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (vgl. BFH-Urteile vom 17.11.1981, VIII R 174/77, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1982, 430; vom 26.10.1994, X R 114/92, BFH/NV 1995, 373; vom 07.06.2000, III R 82/97, BFH/NV 2000, 1462; vom 14.12.2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921; BFH-Beschluss vom 14.08.2018, XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1).
31In formeller Hinsicht muss die Buchführung gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 AO so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 145 Abs. 1 Satz 2 AO). Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Buchungen und sonstigen Aufzeichnungen daher vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Dadurch soll es ermöglicht werden, den Sollbestand nach dem Kassenbuch jederzeit mit dem inventurmäßigen Istbestand der Kasse auf seine Richtigkeit hin überprüfen zu können. Bei einem bargeldintensiven Betrieb – wie dem des Klägers – ergeben sich die tatsächlichen Betriebseinnahmen, die für die Besteuerung maßgeblich sind, aus den Kassenaufzeichnungen. Insofern sind besondere Anforderungen an die Kassenaufzeichnungen zu stellen.
32Der Kläger ist als Unternehmer nach § 22 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verpflichtet, zur Feststellung der Umsatzsteuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Dazu gehört insbesondere die Verpflichtung, die vereinbarten Entgelte für ausgeführte Lieferungen und sonstige Leistungen aufzuzeichnen. Dabei ist ersichtlich zu machen, wie sich die Entgelte auf die steuerpflichtigen Umsätze, getrennt nach Steuersätzen, und auf die steuerfreien Umsätze verteilen (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG i. V. m. § 63 Abs. 3 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung).
33Diesen Anforderungen ist der Kläger nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht gerecht geworden, weshalb eine Schätzungsbefugnis besteht.
34Zum Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. BFH-Beschluss vom 16.07.2019, X B 114/18, BFH/NV 2019, 1127) gehören auch die ausführlichen schriftlichen Feststellungen der vom Gericht mit der vorbereitenden Sachverhaltsaufklärung beauftragten Gerichtsprüferin ... N.. Da das Gericht die Prüfungsbeamtin nicht aufgrund eines förmlichen Beweisbeschluss als Sachverständige eingesetzt hat, ist deren Zurückweisung bzw. Ablehnung – wie von dem Kläger geltend gemacht – nicht zulässig (vgl. BFH-Beschluss vom 07.11.1995 VIII B 31/95, BFH/NV 1996, 344). Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) und erforscht den Sachverhalts von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). In diesem Zusammenhang lag es – entgegen der Auffassung des Klägervertreters – nahe, die Kassenführung des Klägers unter Beauftragung der Gerichtsprüferin zu untersuchen, da der Beklagte bereits in seiner Klageerwiderung auf diese Möglichkeit hingewiesen hatte. Eine von Seiten des Klägervertreters beanstandete zweite Betriebsprüfung ist hieraus nicht erkennbar. Die Gerichtsprüferin hat vielmehr die Buchführung des Klägers insbesondere mit Blick auf die Kassenführung ausgewertet. Sofern der Klägervertreter beanstandet, dass die Gerichtsprüferin hierbei rechtliche Schlussfolgerungen gezogen habe, hält der Senat dem entgegen, dass er hieran nicht gebunden ist und seine eigene rechtliche Bewertung vorgenommen hat.
35a) Die Buchführung des Klägers weist danach folgende gewichtige formelle Mängel auf.
36aa) Die Anleitungen zur Kassenbedienung und -programmierung sowie die Programmierungsprotokolle wurden nicht vorgelegt.
37Diese Unterlagen sind als sonstige Organisationsunterlagen gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtig und waren es auch bereits im hier streitigen Prüfungszeitraum (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743 zu den Streitjahren 2001 und 2003). Mangelt es an einer lückenlosen Dokumentation zur Kassenprogrammierung, wirkt sich dies auf die Beurteilung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und der Eröffnung einer Schätzungsbefugnis in gleichem Maße aus wie das Fehlen von Tagesendsummenbons bei Registrierkassen bzw. wie bei mangelhaften Protokollen über das Auszählen einer offenen Ladenkasse. In allen Fällen gibt es systembedingt keine Gewähr mehr für die vollständige Erfassung der Bareinnahmen. Jedenfalls dann, wenn – wie im Streitfall – vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel bei der Dokumentation der Kassenprogrammierung als gewichtige Mängel die Beweiskraft der Buchführung erschüttern und daher grundsätzlich zu Hinzuschätzungen berechtigen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BFH auch dann, wenn der Steuerpflichtige alle Tagesendsummenbons vorlegen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 11.01.2017 X B 104/16, BFH/NV 2017, 561).
38bb) Es wurden keine lückenlosen Tagesendsummenbons für die Streitjahre vorgelegt.
39Tagesendsummenbons von elektronischen Registrierkassen sind als Buchungsbelege nach § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO aufbewahrungspflichtig. Lassen sich Lücken bei aufbewahrten Z-Bons feststellen, gibt es auch hier systembedingt keine Gewähr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen mehr und damit eine Berechtigung zur Vornahme von Hinzuschätzungen. Vorliegend fehlen für alle Streitjahre vereinzelt Tagesendsummenbons (vgl. hierzu S. 5 und 6 des Berichts der Gerichtsprüferin vom 27.10.2023).
40Soweit der Kläger hierzu vorträgt, dass anhand des GT 1 und GT 2 festgestellt werden könne, dass keine Verkürzung von Einnahmen vorliege, ist dem entgegenzuhalten, dass aufgrund von zahlreichen handschriftlichen Berichtigungen der Z-Bons nicht von der Richtigkeit des GT ausgegangen werden kann. Die handschriftlichen Berichtigungen sind teilweise nicht lesbar und auch nicht nachvollziehbar. Zwar will der Kläger hierdurch Kassenfehlbedienungen und Doppelbuchungen händisch berichtigt haben, jedoch erklärt sich dem Gericht nicht, weshalb der Kläger hierzu nicht entsprechende Stornobuchungen durchgeführt hat. Ausweislich mehrerer vorliegender Z-Bons war eine Stornotaste vorhanden und wurde vom Kläger auch benutzt. Da der Kläger auf den Z-Bons nur die Einnahmen und nicht auch den GT 1 und GT 2 handschriftlich berichtigt hat, ist dementsprechend dessen Richtigkeit nicht mehr gewährleistet.
41Ebenso lückenhaft sind in allen Streitjahren die Abschläge zur Direktabrechnung mit X.B. (vgl. S. 10 des Berichts der Gerichtsprüferin).
42cc) Die Kassenbuchführung war nicht ordnungsgemäß, da mangels ordnungsmäßiger Kassenberichte die Kassensturzfähigkeit nicht gegeben war.
43Vorliegend sind Kasseneinnahmen und -ausgaben im Kassenbericht entgegen § 146 Abs. 1 Satz 2 AO nicht vollständig täglich festgehalten worden. Vielmehr erfolgten die Eintragungen teilweise weder zeitgerecht noch chronologisch, sondern gesammelt (S. 8 und 9 des Berichts der Gerichtsprüferin). Zudem wurden zahlreiche Kassenberichte durch den Kläger bzw. im Rahmen der Verbuchung (mit rotem Stift) zur Korrektur von Rechen- oder Erfassungsfehlern handschriftlich berichtigt. Hierzu wird auf die Feststellungen der Gerichtsprüferin verwiesen (S. 7 und 8 des Berichts der Gerichtsprüferin). Darüber hinaus verfügte die Kioskkasse nach Angaben des Klägers stets über einen Wechselgeldbestand von 200,00 € und die Lottokasse von 350,00 €, die jedoch nie in Kassenberichten erfasst wurden. Insofern sind die ausgewiesenen Kassenanfangs- und -endbestände in allen Streitjahren unzutreffend.
44Für die Lottokasse fertigte der Kläger keinerlei Aufzeichnungen an, insbesondere keine täglichen Kassenberichte. Die Buchungen auf dem Kassenkonto erfolgten allein anhand der Abrechnungen der Fa. V. und der entsprechenden Geldeingänge und Geldabgänge auf dem gesondert geführten Bankkonto für die Lottoannahmestelle. Bei den so gebuchten Vorgängen handelt es sich nicht um tägliche Buchungen, sondern um zusammengefasste Vorgänge, die einen täglichen Kassenbestand nicht wiedergeben.
45dd) Die Buchführung erfüllt die Voraussetzungen des § 145 Abs. 1 Satz 1 AO nicht.
46Bis zum 30.09.2013 erfolgte die Verbuchung durch die Vorberaterin ursprünglich mit dem System D.. Durch die Übernahme des Mandats erfolgten zahlreiche Anpassungs- und Korrekturbuchungen, z.B. am 01.10.2013 die Anpassung des Kassenbestandes (Buchung über Privatentnahmen 10,23 €). Zudem wurde ab Oktober 2013 ein anderer Kontenrahmen verwendet. Darüber hinaus erfolgten diverse Nachbuchungen wegen fehlender Belege für 2012 sowie Nachbuchungen von Privatentnahmen am 31.12.2013 für den Zeitraum Januar bis Dezember 2013. Die Übersichtlichkeit der Buchführung ist aufgrund der zahlreichen Änderungen nicht mehr gegeben.
47b) Die Buchführung des Klägers weist auch materielle Mängel auf.
48aa) Es ergeben sich mehrfach Abweichungen zwischen den Abrechnungen (Datenaustausch) der X.B. und der Erfassung der bar vereinnahmten Beträge laut Z-Bons bzw. Kassenberichten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Feststellungen der Gerichtsprüferin (S. 10 ihres Berichts) verwiesen. Zwar stellen die Einnahmen aus den Ticketverkäufen beim Kläger nur durchlaufende Posten dar, allerdings stehen dem Kläger auch Provisionserlöse aus den Ticketverkäufen zu. Zudem belegen die vorgenannten Mängel ebenfalls die Fehlerhaftigkeit der vom Kläger vorgelegten Z-Bons und Kassenberichte.
49bb) Ebenso ergeben sich hinsichtlich der Abrechnung der Lottogelder Unstimmigkeiten. Zwar handelt es sich bei den vom Kläger vereinnahmten und verausgabten Lottogeldern ebenfalls nicht um seine eigenen Betriebseinnahmen und -ausgaben, allerdings vereinnahmt der Kläger auch hier seine Provisionen. Die Entnahme dieser Provisionen erfolgte über die Lottokasse. Für das Jahr 2012 liegen die gebuchten Privatentnahmen geringfügig (Differenz 55,72 €) für das Jahr 2013 deutlich (Differenz 23.298,63) über den erzielten Provisionserlösen. Die Erfassung der Entnahmen mag zwar den Gewinn des Klägers erhöht haben, ungewöhnlich sind diese Entnahmen dennoch. Denn der Kläger kann maximal die ihm zustehenden Provisionen entnehmen, die übrigen Gelder gehören der Fa. V..
503. Die durch den Beklagten vorgenommenen und im laufenden Klageverfahren bereits reduzierten Hinzuschätzungen sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
51a) Eine Schätzung soll so erfolgen, dass die mit der größten Wahrscheinlichkeit verwirklichten Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt werden (grundlegend BFH-Urteil vom 31.08.1967 V 241/64, BStBl III 1967, 686). Die Schätzung muss in sich schlüssig und ihr Ergebnis wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (BFH-Urteil vom 08. Dezember 1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226). Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer Schätzung eine Bandbreite möglicher Wertansätze (sog. Schätzungsrahmen) besteht. Der Schätzungsrahmen ist umso größer, je ungesicherter das Tatsachenmaterial ist, auf dem die Schätzung basiert. Der Steuerpflichtige hat insofern keinen Anspruch darauf, dass sich die Schätzung im untersten Rahmenbereich bewegt, denn der seine Mitwirkungspflicht verletzende Steuerpflichtige soll nicht besser stehen als derjenige, der die Besteuerungsgrundlagen ordnungsgemäß aufzeichnet und erklärt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 08.12.2011 12 K 389/09, EFG 2013, 291).
52b) Es ist zunächst nicht ersichtlich, dass der Beklagte aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen zur Durchführung eines inneren Betriebsvergleichs in Form einer Nachkalkulation verpflichtet gewesen wäre.
53Die Kläger haben zwar im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 29.10.2019 eine eigene Nachkalkulation vorgelegt, diese kann der Hinzuschätzung jedoch nicht zugrunde gelegt werden. Denn mit den in dieser Kalkulation angewandten Aufschlagsätzen von 8,50 % für 2012, von 6,00 % für 2013 und von 7,00 % für 2014 für Tabakwaren ergeben sich für 2012 und 2014 geringere Erlöse als vom Kläger selbst erklärt, weshalb diese Aufschlagsätze nicht zutreffend sein können. Gleiches gilt für den bei der Kalkulation jeweils angesetzten Aufschlagsatz von 18,00 % für Zeitschriften. Auch hier liegt der Kläger bei den kalkulierten Erlösen in allen drei Streitjahren unter den von ihm selbst erklärten Erlösen, so dass auch dieser Aufschlagsatz nicht zutreffend sein kann. Die weiteren Erlöse des Klägers ... und den sonstigen Verkäufen (Getränke, Lebensmittel, Süßwaren etc.) wurden in der Kalkulation ebenso wenig berücksichtigt wie der Eigenverbrauch und mögliche Bestandsveränderungen. Letztlich liegen die vom Kläger in der eingereichten Nachkalkulation ermittelten Rohgewinnaufschlagsätze für 2012 von 10,11 %, für 2013 von 7,11 % und für 2014 von 8,40 % alle deutlich unter dem niedrigsten Rohgewinnaufschlagsatz der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF von 14 % für den Einzelhandel von Tabakwaren und Zeitschriften ohne dass hierfür plausible Gründe vorgetragen wurden oder ersichtlich sind.
54Eine aussagekräftige Kalkulation ist nach Ansicht des Senats, wie bereits die Gerichtsprüferin zutreffend festgestellt hat, vorliegend auch nicht möglich, da dem Gericht keine Preislisten, detaillierte Warenumsatzberichte etc. vorliegen. Die Z-Bons des Klägers reichen hierzu nicht aus, weil sich diesen insbesondere für den Bereich ... der sonstigen Verkäufe (Getränke, Lebensmittel, Süßwaren) keine Einzelpreise entnehmen lassen. Auch bei den verkauften Tabakwaren ist laut Z-Bons nicht erkennbar, ob es sich um Zigaretten oder um Zubehör, bei dem sich eine deutlich höhere Gewinnmarge ergibt, handelt.
55c) Nach Auffassung des Gerichts war vorliegend auch keine Schätzung im Wege eines äußeren Betriebsvergleichs mit Hilfe der Richtsatzsammlung vorzugswürdig.
56Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Betrieb des Klägers der Gewerbeklasse „Tabakwaren und Zeitschriften, Eh.“ nicht hinreichend entspricht, weil er darüber hinaus eine ... betreibt.
57Hinzu kommt, dass sich bei Anwendung des dort genannten mittleren Rohgewinnaufschlagsatz von 23% bzw. 22 % auf den um die durchlaufenden Posten bereinigten Wareneinsatz höhere Umsatzerlöse als bislang seitens des Beklagten geschätzt ergeben würden.
58d) Das Gericht sieht daher die vom Beklagten durchgeführte Schätzung mittels Unsicherheitszuschlags zu den erklärten Umsätzen als am besten geeignete Schätzungsmethode an, das wirtschaftlich wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen. Denn es ist grundsätzlich gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen im Wege einer griffweisen Schätzung einen Unsicherheitszuschlag vorzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 10.05.2012 X B 71/11; BFH/NV 2012, 1461 m.w.N.). Bei der Bestimmung eines angemessenen Sicherheitszuschlages ist u.a. das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 28.02.2020 2 V 129/19, juris). Die Rechtsprechung hält Sicherheitszuschläge von bis zu 20 % der erklärten Umsätze für vertretbar (BFH-Beschlüsse vom 10.05.2012 X B 71/11, BFH/NV 2012, 1461; 05.12.2007 X B 4/07, BFH/NV 2008, 587).
59Der Höhe nach hält das Gericht den Unsicherheitszuschlag in Höhe von 5 % auf die erklärten Umsätze mit Ausnahme der Provisionserlöse und durchlaufenden Posten für angemessen und zutreffend. In diesem Zusammenhang ist zur Überzeugung des Senats zu Lasten der Kläger zu berücksichtigen, dass die Kassenbuchführung und die Kassenaufzeichnungen gewichtige Mängel aufweisen, sodass nicht überprüfbar ist, inwieweit die Barumsätze und damit auch die vom Kläger erklärten Umsätze und Gewinne tatsächlich der Höhe nach richtig und vollständig sind. Dies wiegt umso schwerer, als dass es sich bei dem klägerischen Betrieb um einen bargeldintensiven Betrieb handelt und darüber hinaus auch die Bedienungs- und Programmieranleitung sowie die Programmierprotokolle für die elektronische Registrierkasse nicht vorgelegt wurden. Die Höhe des Sicherheitszuschlags bewegt sich letztlich auch im unteren Bereich des von der Rechtsprechung gezogenen Rahmens.
60Bei der Hinzuschätzung ist zu berücksichtigen, dass diese grundsätzlich auch für die Monate Oktober bis Dezember 2013 sowie für das Jahr 2014 in gleicher Höhe vorzunehmen ist, da die dargestellten Buchführungsmängel für alle Streitjahre festgestellt werden konnten. Hierbei sind jedoch die Grenzen des aus den § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes abzuleitenden finanzgerichtlichen Verböserungsverbots zu beachten.
614. Hinsichtlich der Rückgängigmachung der Kürzung der Kraftfahrzeugkosten soweit der Eigenverbrauch die Kosten übersteigt, besteht zwischen den Beteiligten kein Streit mehr.
625. Die sich aus der Anpassung der Hinzuschätzung (Kürzung um Provisionserlöse und durchlaufende Posten sowie Vornahme von Hinzuschätzungen auch für Oktober 2013 bis Dezember 2014) und der teilweisen Rückgängigmachung der Kürzung der Kraftfahrzeugkosten insgesamt ergebenden steuerliche Auswirkungen lassen sich den Berechnungen der Gerichtsprüferin auf den S. 14 und 15 ihres Berichts entnehmen, die der Senat überprüft hat und sich zu eigen macht. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2013 verbleibt es daher nach erfolgter Saldierung aufgrund Verböserungsverbots bei der bisher festgesetzten Umsatzsteuer. Gleiches gilt für die Einkommen- und Umsatzsteuer sowie den Gewerbesteuermessbetrag für 2014.
63Der Beklagte hat seine Schätzungen bereits unmittelbar nach Übersendung des Berichts der Gerichtsprüferin durch Änderungsbescheide vom 29.11.2023 (Gewerbesteuermessbetrag 2012 und 2013) und 04.12.2023 (Umsatzsteuer 2012 und Einkommensteuer 2012 und 2013) entsprechend angepasst.
64IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Soweit der Beklagte im Klageverfahren nach Erhalt des Berichts der Gerichtsprüferin Teilabhilfebescheide erlassen hat, hat er die Kosten zu tragen.
65V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.