Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Vollziehung des Bescheids über Grunderwerbsteuer vom 22.11.2023 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung aufgehoben.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten streiten für Zwecke der Aussetzung der Vollziehung darum, ob die in § 6 Abs. 3 S. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes– GrEStG – auf zehn Jahre verlängerte Nachbehaltensfrist anwendbar ist.
4Die Antragstellerin wurde von den Gesellschaftern S. M., Dr. K. M. und Z. M. im Jahr 2015 zunächst als offene Handelsgesellschaft gegründet. Durch eine notarielle Urkunde vom 19.01.2018 verpflichtete sich die ebenfalls aus den Gesellschaftern der Antragstellerin bestehende C. M. B. GmbH & Co. KG zur Einbringung zweier Flurstücke in J..
5Der Antragsgegner erließ hierauf einen Bescheid über Grunderwerbsteuer vom 15.02.2018, durch den er die Grunderwerbsteuer im Hinblick auf die Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 GrEStG i.H.v. 0 Euro festsetzte. In den Erläuterungen des Bescheides wies der Antragsgegner darauf hin, dass die gewährte Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit entfalle, wenn sich der Anteil des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesellschaft innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die andere Gesamthand vermindere (§ 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG).
6Durch Schreiben vom 10.09.2021 wies der Antragsgegner die Antragstellerin daraufhin, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 12.05.2021 die fünfjährige Nachbehaltensfrist mit Wirkung ab dem 01.07.2021 auf zehn Jahre verlängert habe. Diese Verlängerung gelte für alle Sachverhalte, für die die bisherige fünfjährige Frist – wie bei der Antragstellerin – vor dem Stichtag 01.07.2021 noch nicht abgelaufen sei (§ 23 Abs. 18 und Abs. 24 GrEStG).
7Die Gesellschafter der Antragstellerin beschlossen aufgrund notarieller Urkunde vom 00.00.2023 einen Formwechsel der Antragstellerin in die Rechtsform einer GmbH, welcher am 00.00.2023 ins Handelsregister eingetragen wurde.
8Der Antragsgegner änderte daraufhin den ergangenen Grunderwerbsteuerbescheid durch Bescheid vom 22.11.2023 wegen eines rückwirkenden Ereignisses und setzte die Grunderwerbsteuer hinsichtlich des Einbringungsvertrags vom 19.01.2018 auf 14.097 € fest.
9Die Antragstellerin legte hiergegen durch Schreiben vom 14.12.2023 Einspruch ein, über den der Antragsgegner bisher nicht entschieden hat. Sie beantragte ferner die Aussetzung der Vollziehung, welche der Antragsgegner durch Schreiben vom 21.12.2023 ablehnte. Am 09.01.2024 zahlte die Antragstellerin die festgesetzte Grunderwerbsteuer.
10Die Antragstellerin hat am 01.07.2024 bei Gericht die Aufhebung der Vollziehung beantragt.
11Zur Begründung trägt sie vor, dass durch das Gesetz vom 12.05.2021 zur Verlängerung der Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG eine unzulässige und verfassungswidrige echte Rückwirkung gegeben sei.
12Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
13die Vollziehung des Bescheids über Grunderwerbsteuer vom 22.11.2023 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung aufzuheben.
14Der Antragsgegner beantragt,
15den Antrag abzulehnen.
16Zur Begründung weist er darauf hin, dass eine unzulässige echte Rückwirkung nicht gegeben sei. Diese liege nur dann vor, wenn der Gesetzgeber in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife. Dies sei in Bezug auf die Verlängerung der fünfjährigen Frist nicht der Fall, da diese zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht abgelaufen sei.
17Für weitere Einzelheiten zum Sach- und Streitstand nimmt der Senat auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug.
18II.
19Der Antrag ist begründet.
20Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfrage auslösen. Der Erfolg braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg. Es brauchen insbesondere nicht erhebliche Zweifel in dem Sinne zu bestehen, dass eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs im summarischen Verfahren ebenso wenig auszuschließen ist, wie der Misserfolg (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 89 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
21Der Senat hat nach summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Diese beruhen entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht auf der Annahme einer unzulässigen echten Rückwirkung, sondern darauf, dass die zehnjährige Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG nach den einfachgesetzlichen Anwendungsvorschriften in § 23 Abs. 18 und Abs. 24 GrEStG auf den Erwerbsvorgang vom 19.01.2018 noch keine Anwendung findet.
22Aufgrund des Einbringungsvertrags vom 19.01.2018 lag ein gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerbarer Vorgang vor, der seinerzeit – zwischen den Beteiligten unstreitig – gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 GrEStG steuerfrei war.
23§ 6 Abs. 3 S. 1 GrEStG schreibt (sinngemäß) vor, dass, beim Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand auf eine andere (personengleiche) Gesamthand die Steuer nicht erhoben wird. Aufgrund dieser Vorschrift hat der Antragsgegner auf den Einbringungsvertrag vom 19.01.2018 die Grunderwerbsteuer i.H.v. 0 Euro festgesetzt. Die am Einbringungsvertrag beteiligten Gesellschaften waren als Personengesellschaften auch Gesamthandsgemeinschaften i.S.v i.S. des § 718 des Bürgerlichen Gesetzbuches a. F. (vgl. nunmehr § 24 GrEStG, eingef. durch Art. 29 G. v. 22.12.2023 I Nr.411 m.W.v. 1.1.2024). An diesen waren dieselben Personen in gleicher Höhe beteiligt.
24Gemäß § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung ist diese Steuerbefreiung insoweit nicht entsprechend anzuwenden, als sich der Anteil des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesamthand innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks von der einen auf die andere Gesamthand vermindert. Ab dem 01.07.2021 beinhaltet die Vorschrift anstelle des Zeitraums von fünf einen solchen von zehn Jahren.
25Bei Geltung einer fünfjährigen Nachbehaltensfrist bliebe der Erwerbsvorgang vom 19.01.2018 steuerfrei, da diese Frist bei der Eintragung des Formwechsels der Klägerin am 16.06.2023 bereits verstrichen war. Bei einer zehnjährigen Nachbehaltensfrist wäre die Steuerbefreiung wegen des Formwechsels aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses i.S.v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung zu versagen, da nach dem Formwechsel innerhalb der Nachbehaltensfrist kein Anteil des Gesamthänders, sondern nur noch ein solcher des Kapitalgesellschafters vorhanden ist.
26Aufgrund der Vorschrift in § 23 Abs. 18 GrEStG gilt für diesen Vorgang nur die fünfjährige Nachbehaltensfrist.
27Nach dieser Vorschrift ist § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG in der am 01.07.2021 geltenden Fassung mit einer Nachbehaltensfrist von zehn Jahren erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 30.06.2021 verwirklicht werden. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da der Erwerbsvorgang bereits durch den Abschluss der notariellen Urkunde vom 19.01.2018 vollendet war.
28Ein Erwerbsvorgang ist ein Rechtsvorgang im Sinne der §§ 1 Abs. 1-3a GrEStG, der einen Erwerb eines Grundstücks erzeugt oder hierauf gerichtet ist (Meßbacher-Hönsch in Viskorf GrEStG § 1 GrEStG Rn. 8). Der Verlust oder die Verminderung von Gesamthandseigentum stellt – soweit keiner der Ergänzungstatbestände in § 1 Abs. 2a-3 GrEStG erfüllt ist – keinen eigenständigen Erwerbsvorgang dar (Loose in Viskorf GrEStG § 23 GrEStG Rn.118).
29Auch § 23 Abs. 24 GrEStG führt im Ergebnis nicht dazu, dass die verlängerte Nachbehaltensfrist auf den Erwerbsvorgang vom 19.01.2018 Anwendung findet.
30Nach dieser Vorschrift sind die § 5 Abs. 3 S. 1, § 6 Abs. 3 S. 2 und 4 und § 7 Abs. 3 in der am 01.07.2021 geltenden Fassung nicht anzuwenden, wenn die in § 5 Abs. 3 S. 1, § 6 Abs. 3 S. 2 oder Abs. 4 oder § 7 Abs. 3 in der am 30.06.2021 geltenden Fassung geregelte Frist vor dem 01.07.2021 abgelaufen war.
31§ 23 Abs. 24 GrEStG scheint davon auszugehen, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG n.F. auch für Erwerbsvorgänge vor dem 01.07.2021 gilt, sofern die fünfjährige Nachbehaltensfrist i.S.v. § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung noch nicht abgelaufen war. Dementsprechend geht insbesondere die Finanzverwaltung davon aus, dass die zehnjährige Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG für alle Erwerbsvorgänge gilt, die ab dem 01.07.2016 verwirklicht worden sind (gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder – Anwendung der §§ 5 und 6 GrEStG vom 05.03.2024 unter Ziff. 124). Anderes soll nur für Rechtsvorgänge gelten, die nach dem 01.07.2021 verwirklicht wurden und die unter die „Übergangsregelung“ des § 23 Abs. 24 GrEStG fallen (gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder – Anwendung der §§ 5 und 6 GrEStG vom 05.03.2024 unter Ziff. 123).
32Der Senat teilt diese Auslegung der Finanzverwaltung zum Verhältnis zwischen den Abs. 18 und 24 in § 23 GrEStG nicht.
33Es handelt sich bei Abs. 24 nicht um eine verschärfende Sonderregelung zu Abs. 18, die dazu führt, dass die zehnjährige Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG für Erwerbsvorgänge ab dem 01.07.2016 gilt. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 18 GrEStG und der gebotenen systematischen, historischen und teleologischen Auslegung der Übergangsregelungen (gleiches vertreten im Ergebnis Loose in Viskorf GrEStG § 23 GrEStG Rn.118, Bartone in Behrens/Wachter GrEStG § 23 GrEStG Rn. 79; Behrens/Seemaier in UVR 2021, 348).
34Es entspricht in § 23 GrEStG der Systematik des Gesetzes für die Anwendung neuen Rechts daran anzuknüpfen, wann ein Erwerbsvorgang verwirklicht wurde (vgl. exemplarisch § 23 Abs. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17). Auch soweit mit gesetzlichen Neuregelungen im Anwendungsbereich von § 5 und § 6 GrEStG Vor- oder Nachbehaltensfristen eingeführt wurden, hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit für die Anwendung der Gesetzesänderung auf „Erwerbsvorgänge“ abgestellt, die ab einem bestimmten Zeitpunkt verwirklicht wurden, vgl. § 23 Abs. 6 GrEStG. Dementsprechend weist auch die Literatur darauf hin, dass der Begriff des Erwerbsvorgangs im Falle von Gesetzesänderungen für die Anwendung der jeweils geltenden Vorschriften nach § 23 GrEStG Bedeutung hat (Meßbacher-Hönsch in Viskorf GrEStG § 1 GrEStG Rn. 11; Loose in Viskorf § 23 GrEStG Rn. 11).
35Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte § 23 Abs. 18 GrEStG den zeitlichen Anwendungsbereich der durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 12.05.2020 geänderten Vorschriften zur Absenkung der Beteiligungsgrenzen und der Verlängerung von Fristen bestimmen (Bundestagsdrucksache 19/13437 Seite 15; § 23 Abs. 18 GrEStG sollte zu diesem Zeitpunkt noch § 23 Abs. 17 GrEStG werden, vgl. Bundestagsdrucksache - BT-Drs. -19/28528 S. 28). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Absenkung der Beteiligungsgrenzen und die Verlängerung von Fristen – auch in § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG – grundsätzlich auch Bedeutung für Rechtsvorgänge der Vergangenheit hätten. Aus diesen Gründen sah der Gesetzgeber sich veranlasst, aus Gründen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes die allgemeine Übergangsregelung in § 23 Abs. 18 GrEStG in den nachfolgenden Absätzen 19, 23 und 24 – zu ergänzen (BT-Drs. 19/13437 am angegebenen Ort; BT-Drs. 19/28528 S. 12-15). § 23 Abs. 24 GrEStG ergänzt die Anwendungsregelung in Abs. 18 als Vertrauensschutzregelung. Abgelaufene Fristen sollen nicht wieder aufleben (vgl. BT-Drs. 19/13437 S. 15, 19).
36Der Sinn und Zweck der Regelung in Abs. 24 war danach nicht darauf gerichtet, Erwerbsvorgänge vor dem 01.07.2021 in die Anwendung der gesetzlichen Neuregelungen mit einzubeziehen. Dass Abs. 24 in Bezug auf die verlängerte Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 S. 2 GrEStG leerläuft, ist aufgrund des dargestellten Gesetzeszwecks hinzunehmen.
37Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
38Der Senat lässt die Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 S. 1 FGO zu, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat.