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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist die Wirksamkeit der Klageerhebung per Fax.
3In der Sache streiten die Beteiligten um das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung und die daraus zu ziehenden einkommensteuerrechtlichen Folgen in den Jahren 2016 und 2017.
4Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten in den Streitjahren unter anderem Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Arbeitgeber der Kläger war jeweils die Firma S. GmbH (nachfolgend GmbH), deren alleinige Gesellschafterin die Klägerin ist. Geschäftsführer der GmbH ist der Kläger.
5Mangels Abgabe der Einkommensteuererklärungen 2016 und 2017 schätzte das beklagte Finanzamt (FA) die Besteuerungsgrundlagen. Die Schätzbescheide vom 11.10.2017 (für 2016) sowie vom 12.04.2019 (für 2017) ergingen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
6Gegen die Bescheide legten die Kläger Einspruch ein und reichten die Einkommensteuererklärungen nach. Die Klägerin erklärte unter anderem Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 21 EStG aus einem Objekt, das teilweise an die GmbH vermietet wurde. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Vermietung an die GmbH zu einer Betriebsaufspaltung führe, setzte die bisherigen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung als Einkünfte aus Gewerbebetrieb an und korrigierte diese der Höhe nach. In den Einspruchsverfahren wurden jeweils entsprechende Änderungsbescheide für die Streitjahre erlassen. Über weitere Punkte (etwa Unklarheiten bei der tatsächlichen Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes sowie hinsichtlich der Flächen der vermieteten Räumlichkeiten, Höhe der Mieteinnahmen) konnte keine Einigung erzielt werden, so dass das FA mit Einspruchsentscheidungen vom 08.02.2023 unter weiterer Änderung der Bescheide die Einkommensteuer auf 17.089 EUR (2016) bzw. 19.340 EUR (2017) heraufsetzte. Der VdN wurde jeweils nach § 164 Abs. 3 AO aufgehoben. Die Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidungen enthält jeweils Hinweise auf §§ 52a und 52d der Finanzgerichtsordnung (FGO). Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidungen (Bl. 61 ff., 91 ff. d.A.) Bezug genommen.
7Gegen die vorgenannten Einspruchsentscheidungen vom 08.02.2023 hat die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Kläger, die O. GbR, vertreten durch Steuerberaterin B. T., am 08.03.2023 per Fax sowie am 09.03.2023 per Brief Klage erhoben. Beigefügt war jeweils eine auf den 06.03.2023 datierte und auf die „Steuerberaterinnen der Kanzlei O.“ lautende Vollmacht. Die O. GbR ist eine in das Steuerberaterverzeichnis eingetragene Berufsausübungsgesellschaft.
8Die Kläger beantragen,
9festzustellen, dass die Klage formwirksam und fristgerecht erhoben wurde.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Das FA ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig.
13Der Berichterstatter hat die ehemalige Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 09.03.2023 darauf hingewiesen, dass die Klage nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sei und daher formunwirksam sein könnte. Auf § 52d Satz 2-4 FGO wurde hingewiesen; ebenso wurde vorsorglich darauf hingewiesen, dass eine vorübergehende technische Unmöglichkeit gem. § 52d Satz 4 FGO – abweichend von der eingeräumten Frist zur Bezeichnung des Klagebegehrens und Begründung der Klage bis zum 19.04.2023 – unverzüglich glaubhaft zu machen sei.
14Mit Fax vom 28.03.2023 wies Steuerberaterin T. darauf hin, dass die Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs (beSt) schwierig bzw. zeitaufwendig in dem Sinne gewesen sei, dass zunächst der Kartenleser nicht funktioniert habe und dieser neu bestellt und neu installiert habe werden müssen. Zudem habe eine Unstimmigkeit mit den jeweils eingetragenen Namen bei der Bundessteuerberaterkammer (BStBK), dem Berufsregister und ihrem Personalausweis vorgelegen (ihr Vorname laute auf dem Personalausweis G., auf der Berufsurkunde G. und im Berufsregister B.). Die Änderung sei „nunmehr beantragt“. Dem Fax beigefügt war eine Email an die Steuerberaterkammer C. vom gleichen Tage mit folgendem Inhalt:
15Sehr geehrter Herr N.,
16wie soeben besprochen, übersende ich Ihnen meinen Personalausweis mit der Bitte um Änderung des Berufsregisters, damit die Einrichtung des BeSt bei der Bundessteuerberaterkammer erfolgen kann.
17Vielen Dank
18Mit freundlichen Grüßen
19B. T.
20Steuerberaterin
21Der Berichterstatter hat daraufhin mit Schreiben vom 28.03.2023 um ergänzende kurzfristige Stellungnahme gebeten, vor welchem Hintergrund trotz des mit Datum vom 09.03.2023 erteilten Hinweises auf § 52d FGO soweit ersichtlich eine Klärung mit der Steuerberaterkammer erst am 28.03.2023 erfolgt sei.
22Mit Fax ebenfalls vom 28.03.2023 bat Steuerberaterin T., das Versehen zu entschuldigen, dass sie dem Hinweis „unverzüglich“ nicht umgehend gefolgt sei. Sie habe zunächst den 19.04.2023 als Termin eintragen lassen. Sie sei zudem auch an einer schweren Bronchitis erkrankt gewesen, was durch ihren Arzt bestätigt werden könne. Daher hätte sie erst am Wochenende Gelegenheit gehabt, sich mit der Einrichtung zu beschäftigen. Zudem habe sie das Einladungsschreiben der BStBK erst Ende Februar 2023 erhalten. In der Zeit sei es aufgrund einer schweren plötzlichen Erkrankung im Mitarbeiterkreis zu zeitlichen Engpässen gekommen, sodass sie sich vor ihrer eigenen Erkrankung noch nicht um die Einrichtung habe kümmern können. Nachweise hierüber könnten auch erbracht werden. Sie habe zudem bei der Steuerberaterkammer nachgefragt, da die Änderung noch nicht wirksam sei. Auf die entsprechende Email vom 28.03.2023, 14:59 Uhr, nebst Antwort von 16:36 Uhr werde verwiesen.
23Am 29.03.2023 hat die ehemalige Prozessbevollmächtigte die Klage per beSt (aus dem Postfach der O. GbR) übersandt und hilfsweise bzw. vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
24Mit Schriftsatz vom 31.05.2023 haben die jetzigen Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, von den Klägern bevollmächtigt zu sein, und in der Sache vorgetragen. Sie haben mit Schriftsatz vom 03.07.2024 ergänzend vorgetragen, dass die Klage form- und fristgerecht per Telefax habe erhoben werden können, weil die aktive Nutzungspflicht für das beSt aufgrund der Unwirksamkeit der Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung (StBPPV) bislang nicht in Kraft getreten sei. Jedenfalls bestehe ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ein solcher bestehe, wenn das Gericht im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftslaufs einen Hinweis, dass die Klage nicht in der gebotenen elektronischen Form eingelegt worden sei, unterlasse. Zudem sei der ehemaligen Prozessbevollmächtigten ein Registrierungstoken mit falschem Namen zur Verfügung gestellt worden. Es werde bestritten, dass ein korrekter Registrierungstoken im Rahmen des Fast Lane-Verfahrens innerhalb der Klagefrist hätte ausgegeben werden können. Schließlich sei eine Annahme der Verfristung treuwidrig, da es einige Tage nach Einreichung der Klage ein Telefonat zwischen dem Berichterstatter / Vorsitzenden des Senats und Steuerberaterin T. gegeben habe, in dem dieser ihr klar in Aussicht gestellt habe, dass einem Antrag auf Wiedereinsetzung wohl stattzugeben sei.
25Entscheidungsgründe
26Die Klage ist unzulässig.
271. Die Kläger haben die Klageschrift nicht innerhalb der Klagefrist in der seit dem 01.01.2023 vorgeschriebenen Form eingelegt.
28Die am 08.03.2023 per Fax sowie am 09.03.2023 per Brief eingereichte Klageschrift entspricht nicht den Anforderungen des § 52d Satz 1 und 2 FGO (hierzu unter a). Eine wirksame Ersatzeinreichung nach § 52d Satz 3 und 4 FGO liegt nicht vor (hierzu unter b).
29a) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen – wie die Klageschrift –, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind nach § 52d Satz 1 FGO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.
30aa) Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO genannten, in das Steuerberaterverzeichnis gem. § 86b des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) eingetragenen Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 (i.V.m. § 49) StBerG steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung.
31Das beSt ist ein sicherer Übertragungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO. Denn es ist auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet worden und entspricht dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung.
32(1) Eine wirksame gesetzliche Grundlage ist mit §§ 86 Abs. 2 Nr. 11, 86d Abs. 1 Satz 1, 86e Abs. 1 StBerG gegeben. § 86 Abs. 2 Nr. 11 StBerG sieht vor, dass die Einrichtung des beSt der BStBK obliegt. Die empfangsbereite Einrichtung des beSt erfolgt für jeden Steuerberater (§ 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG) und jede im Steuerberaterverzeichnis eingetragene Berufsausübungsgesellschaft (§ 86e Abs. 1 StBerG).
33Die vorgenannten Vorschriften des StBerG sind durch Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021, (BerufsRÄndG) eingefügt worden. Das BerufsRÄndG wurde am 12.07.2021 verkündet (Bundesgesetzblatt Teil I -BGBl I- 2021, 2363) und ist am 01.08.2022 in Kraft getreten. §§ 86 Abs. 2 Nr. 11, 86d Abs. 1 Satz 1, 86e Abs. 1 StBerG sind gem. § 157e StBerG erstmals nach Ablauf des 31.12.2022, mithin ab dem 01.01.2023, anzuwenden.
34(2) Auch die auf der Grundlage des § 86f Nr. 2 StBerG erlassene StBPPV ist wirksam zustande gekommen. § 86f Nr. 2 StBerG ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung nach Anhörung der BStBK mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten des beSt zu regeln. § 86f StBerG ist ebenfalls durch Art. 4 BerufsRÄndG eingefügt worden. Die StBPPV wurde am 30.11.2022 verkündet (BGBl I 2022, 2105). Sie ist nach § 24 StBPPV am 01.01.2023 in Kraft getreten.
35Den seitens des X. Senats des BFH in seinem Beschluss vom 17.04.2024 (X B 68, 69/23, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2024, 845) geäußerten Zweifeln an der Wirksamkeit der StBPPV kann sich der erkennende Senat nicht anschließen.
36Ermächtigungsgrundlage für die StBPPV ist § 86f Nr. 2 StBerG. Die Vorschrift ist – als Teil des BerufsRÄndG – nach Verkündung am 12.07.2021 am 01.08.2022 in Kraft getreten und stellt damit eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die am 30.11.2022 verkündete StBPPV dar. Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der Verkündung und dem Inkrafttreten eines Gesetzes. Ein Gesetz ist rechtlich existent („erlassen“) mit seiner Verkündung, die den letzten Teil des Gesetzgebungsverfahrens bildet (Urteil des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 26.07.1972 2 BvF 1/17, BVerfGE 34, 9). Damit entfaltet das Gesetz noch keine Wirkungen; es bedarf noch des Inkrafttretens. Die Regelung des Inkrafttretens ist materieller Gesetzesinhalt und damit Teil der Rechtsetzung, da durch seinen Zeitpunkt der zeitliche Geltungsbereich der Norm bestimmt wird, d. h. der Zeitpunkt, von dem an die Norm Berechtigungs- bzw. Verpflichtungswirkung entfaltet (Butzer in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 82 Rn. 273). Die ermächtigende Norm muss in Kraft gesetzt sein, bevor die darauf gestützte Norm erlassen werden kann. Dies ist hier – anders als in der dem vom X. Senat des BFH zitierten Urteil des BVerfG vom 26.07.1972 (2 BvF 1/17, BVerfGE 34, 9) zugrundeliegenden Konstellation – der Fall.
37(a) Die Anwendungsregel des § 157e StBerG steht der Wirksamkeit der StBPPV nach Auffassung des Senats nicht entgegen. § 157e StBerG sieht für alle Vorschriften im Zusammenhang mit der Errichtung der Steuerberaterplattform sowie des beSt deren Anwendung ab dem 01.01.2023 vor. Dies bezieht sich nach Auffassung des Senats allein auf deren zeitlichen Anwendungsbereich.
38Aus den Gesetzgebungsmaterialien wird ein entsprechender gesetzgeberischer Wille deutlich. Der Gesetzgeber ging ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien zum BerufsRÄndG davon aus, eine „berufsrechtliche (passive) Nutzungspflicht“ zum 01.01.2023 einzuführen (Bundestags-Drucksache 19/30516, S. 66 zu § 86d Abs. 6 StBerG). In diesem Zusammenhang wurde mit Art. 2 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBI I 2021, S. 4607) § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO n.F., früher § 174 ZPO) mit Wirkung zum 01.01.2023 dahin geändert, dass eine Verpflichtung der Steuerberater zur Eröffnung eines sicheren Übermittlungsweges für die elektronische Zustellung aufgenommen wurde. Dabei ging der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien ebenfalls von einer Einführung des beSt zum 01.01.2023 aus (Bundestags-Drucksache 19/31119, S. 7 zu Art. 2 und S. 3 zu Art. 1 Nr. 5). Gleichsam war dem Gesetzgeber auch bewusst, dass es vorgelagert zur Einführung des beSt am 01.01.2023 noch weiterer technischer Umsetzungsschritte bedurfte. In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu: „Die Anwendungsregel nach § 157e StBerG-E bezieht sich auf die Vorschriften zur Steuerberaterplattform und auf die besonderen elektronischen Steuerberaterpostfächer. Diese sind auf Grund der noch erforderlichen technischen Umsetzung erstmals ab dem 1. Januar 2023 anzuwenden“ (Bundestags-Drucksache 19/30516, S. 69). Grundlage für die erforderliche technische Umsetzung war gerade die auf der Grundlage des § 86f Nr. 2 StBerG erlassene StBPPV. Diese trat nach § 24 StBPPV erst am 01.01.2023 in Kraft. Die Anwendungsregel des § 157e StBerG wurde damit in Kenntnis der notwendigen vorgelagerten technischen Umsetzungsschritte formuliert, wobei dem Gesetzgeber unterstellt werden kann, dass er keine widersprüchliche Regelung schaffen wollte.
39Anders als in den Fällen, in denen eine Ermächtigungsgrundlage zeitgleich (BVerfG-Urteil vom 26.07.1972 2 BvF 1/17, BVerfGE 34, 9) oder nachträglich (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- vom 29.04.2010 2 C 77.08, BVerwGE 137, 30, Rz 20 und vom 20.04.2023 2 C 18.21, BVerwGE 178, 201) geschaffen wurde, liegt mit § 86f Nr. 2 StBerG eine rechtlich existente und in Kraft getretene Ermächtigungsgrundlage seit dem 01.08.2022 vor. Der Gesetzgeber hat damit zwischen dem zeitlichen Geltungsbereich (Inkrafttreten) und dem zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschriften differenziert. Die „Anwendungsregel“ des § 157e StBerG soll – konsistent mit dem Inkrafttreten der StBPPV am 01.01.2023 – den „Start“ der Steuerberaterplattform und des beSt zum 01.01.2023 sicherstellen. Dies steht einem Erlass der StBPPV auf der Grundlage einer wie zuvor beschrieben existenten Ermächtigungsgrundlage nicht entgegen.
40(b) Überdies entbindet nach Auffassung des erkennenden Senats auch die (unterstellte) Unwirksamkeit der StBPPV nicht von der sich aus § 52d Satz 2 FGO ergebenden aktiven Nutzungspflicht des beSt (zweifelnd BFH-Beschluss vom 17.04.2024 X B 68, 69/23, BFH/NV 2024, 845). § 52d Satz 2 FGO setzt voraus, dass ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.
41Ein sicherer Übermittlungsweg ist § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Voraussetzung für einen sicheren Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO ist somit allein der Umstand, dass das beSt auf gesetzlicher Grundlage errichtet worden ist. Das beSt ist auf Grundlage des § 86d Abs. 1 i.V.m. § 86c StBerG „auf gesetzlicher Grundlage“ errichtet worden. Die Wirksamkeit der StBPPV ist hierfür unerheblich (so auch Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.05.2024 6 K 6002/24, juris, Rn. 38). Sie enthält zwar nähere Bestimmungen zu den in den §§ 86c bis 86e StBerG geregelten Bereichen (Bundesrats-Drucksache 489/22, S. 1), ist aber nicht gesetzliche Grundlage für die Errichtung des beSt.
42bb) Das beSt stand der ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger auch im Zeitpunkt der erstmaligen Einreichung der Klageschrift am 08.03.2023 zur Verfügung.
43Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass Steuerberater seit dem 01.01.2023 verpflichtet sind, das beSt zu nutzen (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 27.04.2022 XI B 8/22, BFH/NV 2022, 2082; vom 28.04.2023 XI B 101/22, BStBl II 2023, 763; vom 11.08.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221; vom 16.01.2024 VIII B 141/22, BFH/NV 2024, 405; zuletzt BFH-Beschluss vom 08.05.2024 II R 3/23, BFH/NV 2024, 804, Rn. 16). Ihnen steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung; denn seit dem 01.01.2023 richtet die BStBK über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ein beSt empfangsbereit ein, §§ 86d Abs. 1 Satz 1, 157e StBerG. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, bestehen dabei keine generellen verfassungsrechtlichen Zweifel an der gesetzlichen Stichtagsregelung und deren zeitlich unbedingter Geltungsanordnung (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 11.08.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221).
44Diese Nutzungspflicht besteht gem. §§ 86e, 157e StBerG auch für jede im Steuerberaterverzeichnis eingetragene Berufsausübungsgesellschaft (Steuerberatungsgesellschaft) im Sinne von § 3 Satz 1 Nr. 2, § 49 StBerG (BFH-Beschluss vom 23.01.2024 IV B 46/23, BFH/NV 2024, 392, Rn. 5). Ob der Gesellschaft selbst die von ihr vorzuhaltenden technischen Einrichtungen zur Verfügung stehen und das beSt von ihr tatsächlich freigeschaltet wurde, ist insoweit unerheblich (BFH-Beschluss vom 23.01.2024 IV B 46/23, BFH/NV 2024, 392, Rn. 5). Die Gesellschaft handelt zudem durch ihre vertretungsberechtigten und ebenfalls nutzungsverpflichteten Berufsträger, für die Entsprechendes gilt.
45cc) Einer rechtsschutzgewährenden verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift des § 52d Satz 2 FGO im Lichte des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes bedarf es auch in der im Streitfall vorliegenden Konstellation nicht.
46Dabei kann die Frage, ob eine solche verfassungskonforme Auslegung überhaupt geboten ist (vgl. hierzu bereits ausführlich FG Düsseldorf, Urteil vom 17.08.2023 14 K 125/23 E, EFG 2023, 1688), im Streitfall dahinstehen. Denn betroffen sind nur Konstellationen, in denen zu prüfen ist, ob mögliche Nachteile für Steuerberater aufgrund des verzögerten Ablaufes der Registrierung für das beSt – typischerweise Nichterhalt des Registrierungsbriefes im Zeitpunkt der Klageerhebung – in Folge der typisierenden und unwiderleglichen Vermutung des „zur Verfügung stehens“ ab dem 01.01.2023 abzuwenden sind. Eine solche Konstellation liegt hier bereits nicht vor. Die Vertreterin der ehemaligen Prozessbevollmächtigten hat den Registrierungsbrief nach eigenem Vortrag bereits Ende Februar, mithin vor Klageerhebung, erhalten.
47Jedenfalls ab Erhalt des Registrierungsbriefes besteht kein Anlass für eine rechtsschutzgewährende Auslegung des § 52d FGO. Ab diesem Zeitpunkt liegt der weitere Ablauf der Registrierung in der Verantwortungssphäre des jeweiligen Steuerberaters. Bei auftretenden Schwierigkeiten haben sich diese individuell mit der zuständigen Steuerberaterkammer ins Benehmen zu setzen. Nach Erhalt des Registrierungsbriefes ist somit auch – entgegen dem klägerischen Vortrag – die Nutzung des sog. Fast Lane-Verfahrens obsolet.
48Außergewöhnlichen Umständen, die eine Klageerhebung per beSt im Einzelfall dennoch unmöglich machten, kann mit der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begegnet werden (hierzu bereits FG Düsseldorf, Urteil vom 18.07.2023 14 K 125/23 E, EFG 2023, 1688).
49b) Die Klageschrift durfte nicht im Wege der Ersatzeinreichung gem. § 52d Satz 3 und 4 FGO als Fax übermittelt werden. Gem. § 52d Satz 3 FGO bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften (z.B. durch Telefax) zulässig, wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Nach § 52d Satz 4 FGO muss die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht werden.
50Eine vorübergehende technische Störung liegt beispielsweise bei einem Serverausfall vor. Es spielt nach den Gesetzgebungsmaterialien keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Prozessvertreters soll dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen (Bundestags-Drucksache 17/12634, S. 27 zu § 130d ZPO).
51Eine solche vorübergehende technische Störung lag im Streitfall bereits nicht vor, vielmehr hatte sich die ehemalige Prozessbevollmächtigte im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht für das beSt registriert und konnte den ihr zur Verfügung stehenden sicheren Übermittlungsweg nicht nutzen. Eine vorübergehende technische Störung nach § 52d Satz 3 FGO ist hierin nicht zu sehen. Denn § 52d Satz 3 FGO ist nur bei technischen Problemen im Rahmen der Verwendung des vollständig eingerichteten beSt anwendbar, nicht bei Verzögerungen bei dessen Einrichtung (BFH-Beschluss vom 16.01.2024 VIII B 141/22, BFH/NV 2023, 1221, Rn. 24 m.w.N.). Der Umstand, dass ein elektronisches Postfach noch nicht in Betrieb genommen wurde, stellt einen von einer technischen Störung zu unterscheidenden „strukturellen Mangel“ dar, der nicht von § 52d Satz 3 FGO erfasst wird (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 17.08.2023 14 K 125/23 E, EFG 2023, 1688 m.w.N. zur Rechtsprechung).
522. Die Einreichung der Klageschrift per beSt am 29.03.2023 war verfristet (hierzu unter a). Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor (hierzu unter b).
53a) Die einmonatige Klagefrist für die Anfechtungsklage (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO) endete mit Ablauf des 13.03.2023. Die Einspruchsentscheidungen enthalten jeweils eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne des § 55 Abs. 1 FGO. Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist für einen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Unbeschadet der Frage, ob es eines Hinweises auf § 52d FGO bedurft hätte (dazu FG München, Urteil vom 16.05.2024 14 K 103/23, juris), enthält die Rechtsbehelfsbelehrung im Streitfall einen solchen. Der Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften genügt als Information über die zu beachtenden Formvorschriften (FG Düsseldorf., Urteil vom 23.11.2022 7 K 504/22 K, EFG 2023, 344).
54b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO sind nicht erfüllt. Die Kläger waren bereits nicht ohne Verschulden verhindert, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln (hierzu unter aa). Ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Wiedereinsetzung besteht nicht (hierzu unter bb).
55Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist gem. § 56 Abs. 2 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung, hier die formgerechte Erhebung der Klage, nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
56aa) Die Kläger waren nicht ohne Verschulden verhindert, die Klageschrift als elektronisches Dokument per beSt zu übermitteln. Das Verschulden der Vertreterin ihrer ehemaligen Prozessbevollmächtigten ist ihnen nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zuzurechnen.
57Nach der Rechtsprechung des BFH begründet bei berufsmäßigen Vertretern – wie einem Steuerberater – die mangelnde Kenntnis über verfahrensrechtliche Fristen grundsätzlich einen Verschuldensvorwurf; dabei genügt schon einfache Fahrlässigkeit (vgl. BFH-Urteil vom 28.07.2015 VIII R 50/14, Bundessteuerblatt Teil II -BStBl II- 2015, 894 zu § 110 AO). Bei berufsmäßigen Vertretern kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur ausnahmsweise in Betracht, z.B. wenn die Rechtslage in hohem Maße unsicher ist, die einzuhaltende Frist versäumt wurde, weil rechtlich vertretbare Überlegungen zu der Fristversäumung geführt haben, und schließlich trotz der Unsicherheit die Zweifel über die bestehende Frist bzw. die Möglichkeiten der Fristwahrung auch durch zumutbare Ausschöpfung bestehender Informationsmöglichkeiten nicht ausgeräumt werden konnten (BFH-Urteil vom 27.08.1998 III R 47/95, BStBl II 1999, 65).
58Solche Wiedereinsetzungsgründe sind im Streitfall nicht gegeben. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Rechtslage hinsichtlich des Beginns der aktiven Nutzungspflicht des beSt im Zeitpunkt der erstmaligen Klageerhebung unklar war. Dies betraf jedoch insbesondere Konstellationen, in denen Steuerberater im Zeitpunkt einer zu erhebenden Klage ihren Registrierungsbrief noch nicht erhalten hatten. In Konstellationen wie der hiesigen, in denen Steuerberater ihre Registrierungsbriefe bereits erhalten hatten, bestand auch nach der Auffassung der BStBK und der für die ehemalige Prozessbevollmächtigte zuständigen Steuerberaterkammer C. eine Nutzungspflicht ab diesem Zeitpunkt, im Streitfall mithin ab Ende Februar 2023. Zwar können auch nach der Übersendung des Registrierungsbriefs unter Umständen technische Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Einrichtung des beSt auftreten. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein Steuerberater nach § 86d Abs. 6 StBerG die für die Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorhalten und sich entsprechend um die Beseitigung technischer Probleme bemühen muss. Dies betrifft hier den Vorhalt eines funktionierenden Kartenlesegeräts und auch die Klärung des Namensunterschiedes zwischen Berufsregister und dem Personalausweis der Vertreterin der ehemaligen Prozessbevollmächtigten.
59Mit dieser Maßgabe wurden Gründe, dass die Klage ohne Verschulden nicht innerhalb der Klagefrist formwirksam erhoben werden konnte, nicht dargetan. Arbeitsüberlastung stellt regelmäßig keinen entschuldbaren Hinderungsgrund dar (BFH-Beschluss vom 21.09.2009 I B 48, 49/08, BFH/NV 2010, 439, Rn. 11; Stapperfend in Gräber, FGO, § 56 Rn. 21). Dies gilt auch, wenn diese – wie hier vorgetragen – aufgrund zeitlicher Engpässe wegen einer plötzlichen und schweren Erkrankung im Mitarbeiterkreis aufgetreten ist, für die Registrierung aber ein Zeitraum von knapp zwei Wochen (von dem Erhalt des Registrierungsbriefes Ende Februar bis zum Ende der Klagefrist mit Ablauf des 13.03.2023) zur Verfügung stand und der letztliche Hinderungsgrund nachweislich mit einer Email innerhalb eines Tages beseitigt werden konnte.
60bb) Ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Wiedereinsetzung besteht nicht. Dieser wäre allenfalls denkbar, hätte das Gericht die ehemalige Prozessbevollmächtigte nicht auf die fehlende elektronische Übermittlung hingewiesen (vgl. BFH-Beschluss vom 31.08.2023 XI B 89/22, BFH/NV 2023, 1322, Rn. 9). Ein entsprechender Hinweis erfolgte jedoch durch den Berichterstatter innerhalb der noch laufenden Klagefrist mit Schreiben vom 09.03.2023.
61cc) Auch kann der Senat keinen sonstigen Vertrauenstatbestand erkennen, auf den die Kläger sich berufen können. Insbesondere hat weder der Berichterstatter noch der Vorsitzende der Vertreterin der ehemaligen Prozessbevollmächtigten in Aussicht gestellt, dass einem Antrag auf Wiedereinsetzung stattzugeben sei.
623. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.