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Der Schenkungsteuerbescheid vom 15.4.2024 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass für Zwecke der Prüfung des Überschreitens der Großerwerbsschwelle nach § 13a Abs. 1 ErbStG die Erwerbe begünstigten Vermögens, die vor dem 1.7.2016 erfolgt sind, nicht berücksichtigt werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Mit Vertrag vom 14.7.2004 übertrug die Klägerin ihrer Nichte, K. V. (Beschenkte), sowie zwei weiteren Nichten und einem Neffen jeweils einen Kommanditanteil an der L. GmbH (später L. B. GmbH & Co. KG – L. KG –). Die Klägerin behielt sich den lebenslangen Nießbrauch vor.
3Mit Vereinbarung vom 24.12.2018 übertrug die Klägerin mit Wirkung zum 31.12.2018 der Beschenkten sowie zwei weiteren Nichten und einem Neffen wiederum jeweils einen Kommanditanteil an der L. KG. Ferner verzichtete sie mit Wirkung zum 31.12.2018 auf das bestehende Nießbrauchsrecht an Teilkommanditanteilen der jeweiligen Erwerberin bzw. des Erwerbers. Die Klägerin verpflichtete sich, die anfallende Schenkungsteuer zu tragen.
4Die Klägerin reichte am 28.8.2019 eine Schenkungsteuererklärung ein. Dabei setzte sie für den Anteil an der L. KG einen Wert von 174.483 Euro und für den Verzicht auf das Nießbrauchsrecht einen Wert von 9.545.865 Euro, zusammen 9.720.348 Euro an. Das steuerpflichtige Verwaltungsvermögen wurde mit 106.960 Euro angegeben. Ferner teilte die Klägerin mit, der Schwellenwert von 26 Mio. Euro sei nicht überschritten, da die vor dem 1.7.2016 getätigten Schenkungen in die Ermittlung nicht einzubeziehen seien.
5Die Beschenkte beantragte mit Schreiben vom 5.9.2019 die Gewährung des Verschonungsabschlags nach § 13c des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) und behielt sich einen zusätzlichen Antrag auf Optionsverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG vor. Die Klägerin erklärte zugleich, mit dem Antrag auf Anwendung des § 13c ErbStG einverstanden zu sein.
6Mit unter Nachprüfungsvorbehalt stehendem Bescheid vom 26.11.2021 setzte der Beklagte Schenkungsteuer i.H.v. 438.935 Euro gegen die Klägerin fest. Auf das nach Abzug des Verwaltungsvermögens begünstigte Vermögen von 9.613.388 Euro gewährte er eine Verschonung nach § 13a ErbStG i.H.v. 80 %, also 7.690.711 Euro. Bei der Ermittlung des Schwellenwerts berücksichtigte er folgende Schenkungen:
7Datum |
Vermögen |
Wert in Euro |
30.6.2009 |
T. GmbH |
12.556.932 |
10.10.2012 |
V. u.a. |
6.974.932 |
31.12.2013 |
X. Aktien |
850.567 |
31.12.2018 |
L. KG + Nießbrauchsverzicht |
9.613.388 |
Summe |
29.995.631 (Rechnerisch richtig: 29.995.819) |
Ausgehend von einer Überschreitung des Schwellenwerts von 3.995.631 Euro kam der Beklagte zu einer Reduktion der Verschonung von 85 % um (3.995.631 / 750.000) = rund 5 Prozentpunkte.
9Hiergegen legte die Klägerin am 22.12.2021 Einspruch ein und rügte die Einbeziehung von Alterwerben sowie hilfsweise die Nichtberücksichtigung von Nießbrauchsbelastungen bei der Ermittlung der Großerwerbsschwelle. Sie machte zur Begründung u.a. geltend:
10Die herrschende Meinung in der Literatur lehne die von der Verwaltung vertretene Auffassung zur Einbeziehung von Alterwerben ab. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut: § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG ordne die Zusammenrechnung der Erwerbe von begünstigtem Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG an. Begünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG habe es aber vor dem 1.7.2016 noch nicht gegeben. Das begünstigte Vermögen des § 13a Abs. 1 ErbStG a.F. könne hiermit nicht gleichgesetzt werden, da ihm eine in wesentlichen Punkten unterschiedliche Definition zugrunde gelegen habe. Eine Beurteilung der Alterwerbe nach den Regelungen des § 13b ErbStG n.F. sei durch § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG ausgeschlossen. Es werde auch vertreten, dass die Einbeziehung von Alterwerben eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung darstelle.
11Die Nießbrauchsbelastung müsse bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle berücksichtigt werden, da andernfalls die dort zu berücksichtigenden Erwerbe höher wären als die Bereicherung der Beschenkten. Dies widerspreche dem Sinn und Zweck, Großerwerbe einer höheren Steuerbelastung zu unterwerfen als geringe Erwerbe, und führe zu unvertretbaren Ergebnissen. Insbesondere würden mitunternehmerische Nießbräuche im Verzichtsfall doppelt in die Schwellenprüfung einbezogen.
12Mit Entscheidung vom 8.8.2023 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung u.a. an: Einzubeziehen seien Vorerwerbe begünstigten Vermögens, für die die Steuer nach der jeweils geltenden Gesetzeslage vor dem 1.7.2016 bzw. 1.1.2009 entstanden sei. Maßgeblich seien die nach der jeweiligen Rechtslage ermittelten Werte, wobei die bei der Besteuerung des jeweiligen Erwerbs angesetzten Werte ohne zusätzliche Ermittlungen übernommen werden könnten. § 37 Abs. 12 ErbStG schränke die Anwendung des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG nicht ein. Es liege keine unzulässige Rückwirkung vor, da das Überschreiten des Schwellenwerts für die Besteuerung der Alterwerbe keine nachteiligen Folgen habe. Die Berücksichtigung von Nießbrauchslasten sei jedenfalls für Erwerbe nach dem 1.1.2009 ausgeschlossen, da diese Lasten seit Aufhebung des § 25 ErbStG a.F. erwerbsmindernd berücksichtigt würden.
13Die Klägerin hat am 7.9.2023 Klage erhoben, mit der sie ihre Begehren weiterverfolgt.
14Die Klägerin und die Beschenkte haben mit Schreiben vom 6.12.2023 unwiderruflich erklärt, anstelle der Regelverschonung die Optionsverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG zu beantragen. Der Beklagte hat daraufhin mit nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geändertem Bescheid vom 15.4.2024 die Schenkungsteuer auf 111.486 Euro reduziert. Dabei hat er wiederum einen nach § 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG um fünf Prozentpunkte auf nun 95 % reduzierten Verschonungsabschlag berücksichtigt.
15Die Klägerin wiederholt zur Begründung ihrer Klage ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und macht ergänzend u.a. geltend: Wortlaut, Systematik, Gesetzesbegründung und Entstehungsgeschichte des § 13a Abs. 1 ErbStG zeigten die Zielrichtung, am 1.7.2016 das neue, von der Systematik her völlig andere Recht ohne Rückgriff auf vormalige Gesetzesfassungen beginnen zu lassen. § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG lasse eine Anwendung des § 13b ErbStG n.F. nur auf Erwerbe zu, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entstehe. Dies beziehe sich auch auf die in § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG genannten früheren Erwerbe. Auch die Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache – BT-Drucks. – 18/8911, 46) gehe von einem kompletten Neustart zum 1.7.2016 aus. Zudem liege eine unzulässige unechte Rückwirkung vor, da der Gesetzgeber selbst von einem bis zum 30.6.2016 bestehenden, schutzwürdigen Vertrauen ausgehe. Hiermit sei es unvereinbar, an Erwerbe vor dem 1.7.2016 anzuknüpfen. Es führe auch zu einem Systembruch, diese Erwerbe mit ihrem früheren Wert einzubeziehen. Wollte man wie der Beklagte das Alles-oder-Nichts-Prinzip des § 13a ErbStG a.F. anwenden, so würde dadurch auch Verwaltungsvermögen in den Großerwerb einbezogen, das nicht begünstigt i.S.d. § 13b ErbStG n.F. sei. Zudem sei bis zum 31.12.2008 gar nicht zwischen begünstigtem Vermögen und Verwaltungsvermögen unterschieden worden. Demnach könnte auch seinerzeit steuerpflichtiges Vermögen nunmehr in die Großerwerbsbemessung einbezogen werden, was mit dem Gleichheits-, Leistungsfähigkeits- und Folgerichtigkeitsprinzip unvereinbar sei.
16Zum Abzug der Nießbrauchsbelastung sei ergänzend zu berücksichtigen, dass die Großerwerbsschwelle sich nach Sinn und Zweck und Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/5923, 31) lediglich auf unentgeltlich erworbenes Vermögen beziehe. Beim Erwerb der Anteile an der T. GmbH vom 30.6.2009 sei daher die Nießbrauchsbelastung abzuziehen. Hinsichtlich des Verzichts zum 31.12.2018 sei zu berücksichtigen, dass das Nießbrauchsrecht wegen des im Jahr 2004 noch geltenden § 25 ErbStG a.F. sowie anteilig nach § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG a.F. nicht abzugsfähig gewesen sei. Der Verzicht stelle eine freigebige Zuwendung dar, so dass eine Doppelbesteuerung durch den Abzug des ursprünglich unberücksichtigt gebliebenen Werts des Nutzungsrechts von der Bemessungsgrundlage für den Verzicht vermieden werden müsse. Die Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt sei 2004 erfolgt, so dass eine Einbeziehung des Werts des Nießbrauchs in die Prüfung der Großerwerbsschwelle sogar über den Zehn-Jahres-Zeitraum hinausgehe.
17Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
181. den Schenkungsteuerbescheid vom 15.4.2024 mit der Maßgabe aufzuheben, dass für Zwecke der Ermittlung des Überschreitens der Großerwerbsschwelle des § 13a Abs. 1 ErbStG die Erwerbe begünstigten Vermögens, die vor dem 1.7.2016 erfolgt sind, nicht berücksichtigt werden;
2. hilfsweise, den Schenkungsteuerbescheid vom 15.4.2024 mit der Maßgabe aufzuheben, dass für Zwecke der Ermittlung des Überschreitens der Großerwerbsschwelle des § 13a Abs. 1 ErbStG die Erwerbe begünstigten Vermögens, die vor dem 1.7.2016 erfolgt sind, mit ihrem um die Nießbrauchslast geminderten Wert berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
22die Klage abzuweisen.
23Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung sowie die Verwaltungsauffassung in Abschnitt 13a.2 Abs. 2 des Anwendungserlasses zum ErbStG 2017. Es liege keine unzulässige Rückwirkung vor, da die Vorerwerbe nicht korrigiert würden. Vielmehr beschränkten sich die Rechtsfolgen allein auf den Erwerb vom 31.12.2018, der in geringerem Umfang entlastet werde. Die Regelungen in § 13a Abs. 1 Satz 2, Satz 3 ErbStG seien eindeutig. Erwerbe nach dem 30.6.2016 seien mit dem Wert nach § 13b Abs. 2 ErbStG anzusetzen, Erwerbe vor dem 1.7.2016 mit dem Wert nach § 13b Abs. 4 ErbStG a.F. Eine Ermittlung der Vorerwerbe nach § 13b ErbStG n.F. sei nicht erforderlich. Ein Abzug der Nießbrauchsbelastung komme nicht in Betracht, da § 13a Abs. 1 ErbStG auf das von § 13b Abs. 1 Nr. 1-3 ErbStG definierte begünstigte Vermögen abstelle und diese Regelungen den Abzug einer Nießbrauchslast nicht vorsähen.
24Entscheidungsgründe:
25Der Senat entscheidet nach § 90a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.
26Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 15.4.2024, der nach § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, ist, soweit er angefochten wurde, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
27Der Beklagte hat die Erwerbe der Jahre 2009, 2012 und 2013 zu Unrecht bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG berücksichtigt und den Verschonungsabschlag daher zu Unrecht nach § 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG von 100 % auf 95 % reduziert.
28Nach § 13a Abs. 1 Satz 1, Abs. 10 ErbStG kann ein Verschonungsabschlag (vorbehaltlich § 13c ErbStG) nur gewährt werden, wenn der Erwerb begünstigten Vermögens i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG zuzüglich der Erwerbe i.S.d. § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG insgesamt 26 Mio. Euro nicht übersteigt. Nach Satz 2 der Regelung werden bei mehreren Erwerben begünstigen Vermögens i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG von derselben Person innerhalb von zehn Jahren bei der Anwendung des Satzes 1 die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert dem letzten Erwerb hinzugerechnet.
29Nach § 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG verringert sich auf Antrag des Erwerbers der Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 oder Abs. 10 ErbStG um jeweils einen Prozentpunkt für jede vollen 750.000 Euro, die der Wert des begünstigten Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG den Betrag von 26 Mio. Euro übersteigt, wenn der Erwerb von begünstigtem Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG die Grenze des § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG von 26 Mio. Euro überschreitet. Nach § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG werden bei mehreren Erwerben begünstigten Vermögens i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG von derselben Person innerhalb von zehn Jahren für die Bestimmung des Verschonungsabschlags für den letzten Erwerb nach § 13c Abs. 1 ErbStG die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert dem letzten Erwerb hinzugerechnet.
30Unstreitig ist, dass mehrere Erwerbe von derselben Person – der Klägerin – innerhalb von zehn Jahren vorliegen. Es handelte sich jedoch nicht um Erwerbe „begünstigten Vermögens i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG“. Der Senat legt die Regelung so aus, dass sie auf § 13b Abs. 2 ErbStG in der seit dem 1.7.2016 geltenden Fassung Bezug nimmt. Eine solche Auslegung legt bereits der Wortlaut nahe, da die zuvor und im Zeitpunkt der früheren Erwerbe (2009, 2012 und 2013) geltende Vorschrift des § 13b Abs. 2 ErbStG keine Definition begünstigten Vermögens, sondern nicht begünstigten Verwaltungsvermögens vorsah. Der Verweis auf „begünstigtes Vermögen“ i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG würde daher ins Leere laufen, wenn er auf die vor dem 1.7.2016 geltenden Gesetzesfassungen Bezug nähme. Begünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG kann daher erst ab dem 1.7.2016 erworben worden sein.
31Selbst wenn man annähme, dass der Wortlaut eine andere Auslegung zuließe – etwa im Sinne einer dynamischen Verweisung auf die jeweils das begünstigte Vermögen definierende Norm –, wäre eine solche Auslegung unter Berücksichtigung teleologischer Gesichtspunkte nicht vorzugswürdig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber auch Erwerbe erfassen wollte, die nach der bis zum 30.6.2016 geltenden Rechtslage begünstigt waren (a.A. Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 37 ErbStG Rn. 67a (5/2020)). Vielmehr sollte die Zusammenrechnung bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle ausweislich der Begründung des zugrundeliegenden Gesetzentwurfs der Bunderegierung Gestaltungen durch gestaffelte Übertragungen verhindern (BT-Drucks. 18/5923, S. 23, S. 31). Übertragungen, die zeitlich vor Einführung der Großerwerbsschwelle stattgefunden haben, können indes denknotwendig keine Gestaltungen zur Umgehung ebenjener Schwelle darstellen.
32Aus § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG ergibt sich nichts Anderes (Geck, in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rn. 23 (5/2022); Viskorf/Löcherbach/Jehle, Deutsches Steuerrecht 2016, 2425, 2431; a.A. Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 37 ErbStG Rn. 67a (5/2020)). Nach Satz 1 der Regelung finden u.a. §§ 13a, 13c ErbStG auf Erwerbe Anwendung, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht. Zwar verweist der Beklagte zu Recht darauf, dass durch §§ 13a Abs. 1 Satz 2, 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Erwerbe vor dem 1.7.2016 nicht ihrerseits besteuert, sondern lediglich bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle für die Schenkung zum 31.12.2018 einbezogen werden. § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG dürfte daher der vom Beklagten favorisierten Auslegung nicht entgegenstehen. Die Regelung ändert aber nichts daran, dass §§ 13a Abs. 1 Satz 2, 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG auf Erwerbe nach § 13b Abs. 2 ErbStG n.F. und damit nach seinem Wortlaut und Telos auf Erwerbe nach dem 30.6.2016 verweist.
33Auch aus § 37 Abs. 12 Satz 2 f. ErbStG ergibt sich nichts Anderes (a.A. Söffing, in Wilms/Jochum, § 13a ErbStG Rn. 34.1 (5/2023)). Zwar sehen die Regelungen eine Anwendung der §§ 13a, 13c ErbStG auf „frühere Erwerbe“ vor, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht. Diese Anweisungen beziehen sich aber nur auf § 13a Abs. 1 Satz 3 und 4 ErbStG sowie auf § 13c Abs. 2 Satz 3-5 ErbStG, nicht auf die hier maßgeblichen Regelungen in § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG und § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG (gl.A. Esskandari, in Stenger/Loose, § 13a ErbStG Rn. 48 (3/2022)). Dieses Verständnis wirft zwar die Frage auf, ob § 37 Abs. 12 Satz 2 f. ErbStG neben der allgemeinen Anwendungsregel des § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG noch einen Anwendungsbereich hat (Wachter, Finanzrundschau 2016, 690, 703 f.). Der eindeutige Wortlaut lässt eine Anwendung auf § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG und § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG gleichwohl nicht zu.
34Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine Auslegung aus, nach der Erwerbe vor dem 1.7.2016 nunmehr nach § 13b Abs. 2 ErbStG n.F. zu beurteilen sind, um zu ermitteln, inwieweit ein Erwerb „begünstigten Vermögens i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG“ vorliegt. Gegen eine solche Auslegung spricht bereits, dass frühere Erwerbe gemäß §§ 13a Abs. 1 Satz 2, 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG ausdrücklich „nach ihrem früheren Wert“ hinzuzurechnen sind. Dies spricht dafür, frühere Erwerbe auch nach der früheren Rechtslage zu beurteilen. Eine Maßgeblichkeit der früheren Rechtslage wird herrschend auch bei der identischen Formulierung in § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, an die die Zusammenrechnungsregelung des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG angelehnt ist (BT-Drucks. 18/5923, S. 23), vertreten (Fumi, in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 14 ErbStG Rn. 15; Halaczinsky, in Daragan/Halaczinsky/Riedel, 4. Aufl. 2023, § 14 ErbStG Rn. 18; Curdt, in Kapp/Ebeling, § 14 ErbStG Rn. 9 (4/2024); R E 14.1 Abs. 2 Satz 1 f. Erbschaftsteuerrichtlinien – ErbStR – 2019).
35Zwar scheint es nach dem Wortlaut auch nicht ausgeschlossen zu sein, die Formulierung „nach ihrem früheren Wert“ lediglich auf den maßgeblichen Bewertungsstichtag bzw. zusätzlich auf die maßgeblichen Bewertungsregeln zu beziehen, jedoch für die Definition des begünstigten Vermögens auf § 13b Abs. 2 ErbStG n.F. abzustellen (ähnlich Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 37 ErbStG Rn. 68a (5/2020): Unterscheidung zwischen Neubewertung und „Neukategorisierung“).
36Jedoch entspräche eine solche Auslegung nicht der dargestellten Zielsetzung der Regelung, da eine gezielte Umgehung der Großerwerbschwelle durch frühere Erwerbe nicht möglich ist. Eine solche Auslegung würde zudem, wie die Klägerin anschaulich dargelegt hat (Bl. 115 ff. der Gerichtsakte – GA –), dazu führen, dass die Regelung praktisch kaum anwendbar ist, da die entsprechenden Daten für eine rückwirkende Beurteilung nach § 13b Abs. 2 ErbStG häufig nicht oder nicht mehr vorhanden sein werden (gl.A. Geck, in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rn. 23 (5/2022); Stalleiken, in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 13a ErbStG Rn. 35). Dies stellt auch der Beklagte nicht in Abrede, der eine Ermittlung der Vorerwerbe unter Beachtung der Regelungen des § 13b ErbStG n.F. nicht für erforderlich hält und stattdessen auf § 13b Abs. 4 ErbStG a.F. abstellen möchte (Bl. 155 GA). Diese Verwaltungsauffassung (so auch R E 13a.2 Abs. 3 Satz 6 ErbStR 2019: Anwendung von § 13b Abs. 1-4 ErbStG a.F.) ist allerdings aus den oben genannten Gründen mit den in §§ 13a Abs. 1 Satz 2, 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG enthaltenen Verweisen auf § 13b Abs. 2 ErbStG n.F. nicht vereinbar.
37Der Umstand, dass der Gesetzgeber die Frage der Bewertung von Erwerben vor dem 1.7.2016 im Rahmen der §§ 13a Abs. 1 Satz 2, 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht geregelt hat, spricht ergänzend dagegen, dass beabsichtigt war, solche Erwerbe in die Prüfung der Großerwerbsschwelle einzubeziehen (Esskandari, in Stenger/Loose, § 13a ErbStG Rn. 48 (3/2022)).
38Die Ausklammerung von Erwerben vor dem 1.7.2016 führt nach der vom Beklagten durchgeführten Ermittlung dazu, dass die Großerwerbsschwelle der §§ 13a Abs. 1 Satz 1, 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG nicht überschritten wird und dem Hauptantrag stattzugeben war.
39Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.