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Die Vollziehung der Steueranmeldungen vom 30. August 2022 wird ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, längstens bis zum Eintritt der Bestandskraft ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird nicht zugelassen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung).
Gründe
2I.
3Die Antragstellerin, der die Erlaubnis erteilt worden war, ein Steuerlager für Alkoholerzeugnisse zu betreiben, belieferte die I. GmbH und die O. GmbH im Kalenderjahr 2020 mit insgesamt 197.652,522 Liter mit Methylethylketon vergälltem Ethanol mit einem Alkoholgehalt von insgesamt 193.173,625 Liter. Die I. GmbH und die O. GmbH bestätigten der Antragstellerin unter dem 21. Februar und 31. März 2020 schriftlich unter Bezugnahme auf § 57 der Verordnung zur Durchführung des Alkoholsteuergesetzes (AlkStV), den Alkohol zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, zu verwenden und ihn nicht zu handeln. Die von der Antragstellerin bei der Beförderung des Ethanols beigegebenen Handelspapiere enthielten nicht die nach § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV vorgesehenen Hinweise.
4Im Anschluss an eine Außenprüfung (Prüfungsbericht vom 6. Dezember 2021) vertrat der Antragsgegner die Auffassung, dass die Steuer für das an die I. GmbH und die O. GmbH gelieferte Ethanol durch die Entnahme aus dem der Antragstellerin bewilligten Steuerlager entstanden sei, weil sich kein wirksames Steueraussetzungsverfahren angeschlossen habe. Daraufhin gab die Antragstellerin beim Antragsgegner am 30. August 2022 zwölf Steueranmeldungen für die Monate Januar bis Dezember 2020 über insgesamt ... Euro ab.
5Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein. Ferner beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung trug sie vor: Die in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV vorgesehenen Hinweise seien keine zwingenden Voraussetzungen für ein Steueraussetzungsverfahren. Allein maßgebend sei das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 des Alkoholsteuergesetzes (AlkStG). Diese Voraussetzungen hätten vorgelegen. Das vergällte Ethanol sei in Betriebe von Verwendern befördert worden, die sich auf die allgemeine Verwendungserlaubnis des § 57 Satz 1 AlkStV hätten berufen können. Auch Art. 30 der Richtlinie 2008/118/EG (Richtlinie 2008/118) des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. EU 2009 L 9/12) verlange nicht die Kennzeichnung der Handelspapiere mit den in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV genannten Hinweisen. Ein derartiges Erfordernis würde nicht zu einer Verfahrenserleichterung, sondern zu einer Verschärfung der Anforderungen an ein wirksames Steueraussetzungsverfahren führen. Die in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV vorgesehenen Hinweise seien für die Steueraufsicht auch nicht erforderlich. Das Ethanol sei unstreitig bestimmungsgemäß verwendet worden. Eine Besteuerung von vergälltem Alkohol widerspreche zudem den Zielen der Richtlinie (EWG) 92/83 (Richtlinie 92/83) des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. EG Nr. L 316/21) und des AlkStG, lediglich die konsumtive Verwendung von Alkohol zum menschlichen Genuss zu besteuern. Darüber hinaus sei die Besteuerung von vergälltem und in zulässiger Weise verwendetem Alkohol wegen des Fehlens der in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV vorgesehenen Hinweise unverhältnismäßig. Die festgesetzte Steuer von mehr als ... Euro stehe in keinem Verhältnis zu dem Warenwert und den zu erwartenden geschäftlichen Vorteilen. Die Vollziehung der Steuerfestsetzung würde für sie überdies eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge haben. Durch eine Vollziehung der Steuerfestsetzung würde ihre wirtschaftliche Existenz bedroht werden.
6Der Antragsgegner lehnte mit Verfügung vom 6. Dezember 2023 eine Aussetzung der Vollziehung ab. Zur Begründung führte er aus: Alkoholerzeugnisse könnten nach § 14 Abs. 1 AlkStG nur dann ordnungsgemäß befördert werden, wenn die in § 35 AlkStV aufgeführten Dokumente vor der Entnahme der Erzeugnisse aus dem Steuerlager ausgestellt worden seien und die vorgesehenen Angaben enthielten. Da das Ethanol mit Handelspapieren befördert worden sei, die nicht die in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV vorgesehenen Hinweise enthalten hätten, sei die Steuer mit der Entnahme des Ethanols aus dem der Antragstellerin bewilligten Steuerlager entstanden. Die Besteuerung sei nicht unverhältnismäßig, weil es sich bei dem Erfordernis der Beifügung von Handelspapieren mit den in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV vorgesehenen Hinweisen um eine materiell-rechtliche Voraussetzung für ein Steueraussetzungsverfahren handele. Hierfür spreche auch der durch Art. 5 Nr. 22 Buchst. a des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I, 607) mit Wirkung ab dem 13. Februar 2023 eingefügte § 29 Abs. 2 AlkStG.
7Die Antragstellerin wiederholt mit ihrem bei Gericht gestellten Antrag im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren.
8Die Antragstellerin beantragt,
91. die Vollziehung der Steueranmeldungen vom 30. August 2022 auszusetzen;
2. die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zur gerichtlichen Entscheidung über ihren Antrag aufzuheben;
3. hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
14den Antrag abzulehnen.
15Zur Begründung trägt er vor: Es bestünden aus den dargelegten Gründen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung. Die Vollziehung der Steuerfestsetzung würde für die Antragstellerin auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge haben.
16II.
17Der nach § 361 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Antrag ist begründet.
18Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Steueranmeldungen vom 30. August 2022 stehen nach § 168 Satz 1 AO Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und damit Steuerbescheiden gleich.
19Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss vom 31. August 2021 VII B 64/20 (AdV), BFH/NV 2022, 5).
20Nach diesen Maßstäben bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steueranmeldungen.
21Gemäß § 18 Abs. 1 AlkStG entsteht die Steuer zum Zeitpunkt der Überführung der Alkoholerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an. Alkoholerzeugnisse werden nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 AlkStG durch die Entnahme aus dem Steuerlager in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt, es sei denn, es schließt sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung an.
22Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AlkStG dürfen Alkoholerzeugnisse unter Steueraussetzung aus Steuerlagern im Steuergebiet in Betriebe von Verwendern (§ 28 Abs. 1 AlkStG) befördert werden. Die I. GmbH und die O. GmbH waren Verwender im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 AlkStG, weil sie das vergällte Ethanol unstreitig zur Herstellung von Waren verwendet haben, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel waren (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG). Die hierfür nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AlkStG erforderliche Erlaubnis ist ihnen gemäß § 57 Satz 1 AlkStV allgemein erteilt worden.
23Nach § 13 Abs. 1 AlkStG gelten Beförderungen grundsätzlich nur dann als unter Steueraussetzung durchgeführt, wenn sie mit einem elektronischen Verwaltungsdokument nach Art. 21 der Richtlinie 2008/118 erfolgen. Gemäß Art. 30 der Richtlinie 2008/118 und § 13 Abs. 3 AlkStG i.V.m. § 35 AlkStV gelten für Beförderungen von Alkoholerzeugnissen im Steuergebiet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AlkStG) unter Steueraussetzung in Betriebe von Verwendern (§ 28 Abs. 1 AlkStG) allerdings Verfahrenserleichterungen. Die Antragstellerin musste gemäß § 35 Abs. 7 Satz 1 AlkStV für die Beförderung des mit Methylethylketon vergällten Ethanols (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AlkStV) nicht ein Begleitdokument oder ein Handelsdokument verwenden, das alle in einem Begleitdokument nach § 35 Abs. 1 Satz 1 AlkStV erforderlichen Angaben aufwies.
24Ernstlich zweifelhaft ist, ob die Antragstellerin für eine wirksame Beförderung des Ethanols unter Steueraussetzung der Beförderung Handelspapiere beizugeben hatte, welche die in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV aufgeführten Hinweise enthielten. Bislang ungeklärt ist die Frage, ob die Beifügung von Handelspapieren, welche die in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV aufgeführten Hinweise enthalten, eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Beförderung von Alkoholerzeugnissen im Steuergebiet unter Steueraussetzung in Betriebe von Verwendern (§ 28 Abs. 1 AlkStG) ist. Die Klärung dieser Frage ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
25Für die vom Antragsgegner vertretene Auffassung könnte der Wortlaut des § 35 Abs. 8 Satz 1 AlkStV sprechen. Danach „hat“ der Versender den in § 35 Abs. 7 AlkStV genannten Alkoholerzeugnissen Handelspapiere beizugeben, welche die bezeichneten Hinweise enthalten. Gegen die vom Antragsgegner vertretene Ansicht könnte sprechen, dass der eigentliche Dispens von dem Erfordernis der Verwendung der Begleitpapiere nach § 35 Abs. 1 und 4 AlkStV in § 35 Abs. 7 Satz 1 AlkStV geregelt ist („sind nicht erforderlich“). Demgegenüber sind die vom Antragsgegner vermissten Hinweise in den von der Antragstellerin verwendeten Handelspapieren lediglich in einem gesonderten Absatz 8 des § 35 AlkStV geregelt, ohne dass insoweit ausdrücklich bestimmt wurde, dass die Verwendung der Handelspapiere mit den genannten Hinweisen „erforderlich“ ist. Äußerungen im Schrifttum könnten zudem dahin zu verstehen sein, dass es sich bei der Bestimmung des § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV lediglich um klarstellende Regelungen der verfahrensrechtlichen Erleichterungen handeln soll (vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 4. Auflage, Randnr. G 126).
26Gegen die vom Antragsgegner vertretene Auslegung des § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV könnte zudem der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sprechen. Die Möglichkeit, Alkoholerzeugnisse gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AlkStG unter Steueraussetzung in Betriebe von Verwendern (§ 28 Abs. 1 AlkStG) befördern zu dürfen, trägt dem Umstand Rechnung, dass diese die Erzeugnisse nach § 27 Abs. 1 AlkStG steuerfrei verwenden dürfen. Die Steuerbefreiung des § 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG beruht auf der obligatorischen Steuerbefreiung des Art. 27 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/83 in der Fassung vor Inkrafttreten der Richtlinie (EU) 2020/1151 des Rates vom 29. Juli 2020 (ABl. EU L 256/1). Danach befreien die Mitgliedstaaten die von der Richtlinie 92/83 erfassten Erzeugnisse von der harmonisierten Verbrauchsteuer, sofern die betreffenden Erzeugnisse nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats denaturiert worden sind und zur Herstellung eines nicht für den menschlichen Genuss bestimmten Erzeugnisses verwendet werden.
27Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) können die Mitgliedstaaten für die Verletzung formeller Anforderungen zwar die Verhängung einer Geldbuße vorsehen. Die Verletzung formeller Anforderungen kann jedoch eine nach dem Unionsrecht vorgesehene Steuerbefreiung für Erzeugnisse nicht in Frage stellen, wenn die nach dem Unionsrecht vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen (vgl. EuGH, Urteile vom 27. Juni 2018 C-90/17, ECLI:EU:C:2018:498 Randnr. 44; vom 7. November 2019 C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933 Randnr. 59). Denn die Versagung einer Verbrauchsteuerbefreiung durch eine einzelstaatliche Behörde allein auf Grund des Umstands, dass gewisse formelle Anforderungen nicht erfüllt wurden, ohne dass geprüft wurde, ob die materiellen Voraussetzungen für die steuerfreie Verwendung einer Ware erfüllt sind, geht über das hinaus, was erforderlich ist, um eine korrekte und einfache Anwendung der Steuerbefreiungen sicherzustellen sowie Steuerhinterziehung oder Missbrauch zu verhindern (vgl. EuGH, Urteile vom 2. Juni 2016 C-355/14, ECLI:EU:C:2016:403 Randnr. 62; vom 13. Juli 2017 C-151/16, ECLI:EU:C:2017:537 Randnr. 46; vom 22. Dezember 2022 C-533/21, ECLI:EU:C:2022:1030 Randnr. 34).
28Die Frage, ob die Besteuerung des Ethanols mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren ist, stellt sich im Streitfall insbesondere deshalb, weil die I. GmbH und die O. GmbH der Antragstellerin unter dem 21. Februar und 31. März 2020 schriftlich unter Bezugnahme auf § 57 AlkStV bestätigt hatten, den Alkohol zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, zu verwenden und ihn nicht zu handeln. Die Verwender sind daher bereits auf die Vergällung des Ethanols und das Verbot des Handelns hingewiesen worden, wie dies § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV verlangen. Dass eine Verwendung des Ethanols zu Trinkzwecken oder zur Herstellung alkoholhaltiger Getränke straf- und steuerrechtliche Folgen haben konnte, dürfte den gewerblichen Verwendern der I. GmbH und der O. GmbH gleichfalls bekannt gewesen sein. Der Antragsgegner hat überdies nicht festgestellt, dass die I. GmbH und die O. GmbH das Ethanol anders, als ihnen dies nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG und § 57 Satz 1 AlkStV erlaubt war, verwendet haben.
29Unergiebig für die Auslegung des § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV dürfte demgegenüber der durch Art. 5 Nr. 22 Buchst. a des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I, 607) mit Wirkung ab dem 13. Februar 2023 eingefügte § 29 Abs. 2 AlkStG sein. Offen bleibt danach, ob es sich bei der Verwendung von Handelspapieren durch den Versender der Alkoholerzeugnisse, welche die in § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV aufgeführten Hinweise enthalten, um eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Beförderung der Erzeugnisse unter Steueraussetzung im Steuergebiet handelt. § 29 Abs. 2 AlkStG n.F. setzt vielmehr voraus, dass es nicht zu einer wirksamen Beförderung der Alkoholerzeugnisse gekommen ist, ohne die Frage zu regeln, was für eine wirksame Beförderung der Erzeugnisse erforderlich ist. Da Art. 30 der Richtlinie 2008/118 keine näheren Regelungen über die vereinfachten Verfahren für Beförderungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren enthält, dürften dem Urteil des EuGH vom 24. März 2022 C-711/20 (ECLI:EU:C:2022:215 Randnr. 45) keine Hinweise für die Auslegung der einzelstaatlichen Bestimmung des § 35 Abs. 8 Satz 1 und 2 AlkStV zu entnehmen sein.
30Unbeschadet dessen wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob sich an die vom Antragsgegner angenommene Überführung des Ethanols in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Entnahme aus dem der Antragstellerin bewilligten Steuerlager jedenfalls eine Steuerbefreiung angeschlossen hat. Die Steuer kann nach § 18 Abs. 1 AlkStG nur dann für das Ethanol entstanden sein, wenn sich an die Entnahme aus dem Steuerlager weder ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AlkStG) noch eine Steuerbefreiung angeschlossen hat (vgl. BFH, Beschluss vom 9. April 2014 VII R 7/13, BFH/NV 2014, 1244 Randnr. 10; Roth in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG/StromStG, § 8 EnergieStG Randnr. 24; Falkenberg, EnergieStG – eKommentar, § 8 EnergieStG Randnr. 29). Die I. GmbH und die O. GmbH durften das vergällte Ethanol (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AlkStV) indes gemäß § 57 Satz 1 AlkStV als Verwender im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 AlkStG unstreitig zur Herstellung von Waren verwenden, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel waren (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG).
31Der BFH hat zwar die Auffassung vertreten, von einer Steuerbefreiung könne dann nicht ausgegangen werden, wenn das Gesetz im Hinblick auf einen bestimmten Ge- oder Verbrauch der betroffenen Ware ausdrücklich die Verwendung des Steueraussetzungsverfahrens anordne und damit die Überführung der Ware in den steuerrechtlich freien Verkehr auf einen späteren Zeitpunkt als dem der Entnahme aus dem Steuerlager verlege (vgl. BFH, Beschluss vom 9. April 2014 VII R 7/13, BFH/NV 2014, 1244 Randnr. 19). Andererseits hat der BFH jedoch die Ansicht geäußert, dass das Verfahren der Steueraussetzung zur Vermeidung einer Steuerentstehung möglicherweise in den Fällen entbehrlich sein könne, in denen die Mitgliedstaaten nach Art. 30 der Richtlinie 2008/118 auf ihr eigenes Hoheitsgebiet beschränkte Ausnahmen zugelassen hätten (vgl. BFH, Beschluss vom 9. April 2014 VII R 7/13, BFH/NV 2014, 1244 Randnr. 16). Ein derartiger Fall liegt hier indessen vor (§ 35 AlkStV). Das könnte dafür sprechen, dass die berechtigte Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung, die nach § 18 Abs. 1 AlkStG die Entstehung der Steuer ausschließt, als solche ausreichen könnte, um die Steuer nicht entstehen zu lassen, ohne dass noch zusätzlich die Überführung des Erzeugnisses in das Verfahren der Steueraussetzung erforderlich ist, was bereits nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 AlkStG die Entstehung einer Steuer hindert.
32Das AlkStG enthält zwar nicht eine dem § 24 Abs. 3 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) entsprechende ausdrückliche Regelung. Dies könnte unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 18 Abs. 1 AlkStG und des unionsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit jedoch unerheblich sein. Überdies enthält § 27 AlkStG keine dem § 24 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG vergleichbare Begriffsbestimmung des Verfahrens der Steuerbefreiung, die ausdrücklich zwischen steuerfreier Verwendung und steuerfreier Verteilung unterscheidet.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 128 Abs. 3 Satz 2, 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.