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Dem EuGH werden gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
I. Steht Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EGV) einer nationalen Steuervorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die von einer im Ausland ansässigen Gesellschaft, die Dividenden aus Beteiligungen bezieht und nicht die Mindestbeteiligung gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (in der durch die Richtlinie 2003/123 geänderten Fassung) erreicht, zum Zwecke der Erstattung der Kapitalertragsteuer den Nachweis durch Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung verlangt, dass die Kapitalertragsteuer nicht bei ihr oder einem unmittelbar oder mittelbar an ihr beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann und inwieweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt ist, wenn von einer im Inland ansässigen Gesellschaft bei gleicher Beteiligungshöhe zum Zwecke der Erstattung der Kapitalertragsteuer ein solcher Nachweis nicht gefordert wird?
II. Für den Fall, dass die Frage zu I. verneint werden sollte:
Stehen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip des Effet utile dem Erfordernis der in der Frage zu I. genannten Bescheinigung entgegen, wenn es dem im Ausland ansässigen Bezieher von Dividenden aus sog. Streubesitzanteilen faktisch unmöglich ist, diese Bescheinigung beizubringen?
Gründe
2A.
3I. Sachverhalt
4Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin in den Streitjahren 2006-2008 im Hinblick auf sog. Streubesitzdividenden ein Anspruch auf Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 32 Abs. 5 KStG zusteht.
5Die Klägerin ist eine in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschaft, die in den Streitjahren 2006, 2007 und 2008 zu 5,26 % am Nennkapital der Z GmbH in Y, beteiligt war. 100%iger Anteilseigner der Klägerin ist die X Co. Ltd., eine börsennotierte Gesellschaft. Wegen der Struktur der X Gruppe wird auf das Organigramm in der Verwaltungsakte des Beklagten (Bl. 196) Bezug genommen. Die Klägerin hat in den Streitjahren Gewinnausschüttungen von der Z GmbH erhalten. Für diese Gewinnausschüttungen hat die Z GmbH Kapitalertragsteuer i.H.v. 20 % zuzüglich Solidaritätszuschlag i.H.v. 5,5 % einbehalten und abgeführt.
6Mit Antrag vom 29. Dezember 2009 begehrte die Klägerin die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer zzgl. SolZ für die Streitjahre 2006 bis 2008. Der Antrag ging am 30. Dezember 2009 beim Finanzamt Y und am 31. Dezember 2009 beim Beklagten ein. Der Antrag wurde für jedes Streitjahr jeweils in zwei Teile aufgeteilt. Insoweit waren dem Antrag entsprechend ausgefüllte Antragsvordrucke beigefügt. Den einen Teil der Anträge stützte die Klägerin jeweils auf § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. Art. VI Abs. 1 DBA-GB, da das DBA-GB den Quellensteuersatz auf 15 % begrenzt. Den anderen Teil stützte sie hinsichtlich der Erstattung der verbleibenden Kapitalertragsteuer auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrags bzw. AEUV (später umgesetzt durch § 32 Abs. 5 KStG in der Fassung des Umsetzungsgesetzes des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011, C-284/09).
7Mit Bescheid vom 7. Oktober 2010 entschied der Beklagte über die auf § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. Art. VI Abs. 1 DBA-GB gestützten Anträge und gewährte insoweit eine antragsgemäße Erstattung der Kapitalertragsteuer zzgl. SolZ.
8Mit Bescheiden vom 8. Juni 2015 lehnte der Beklagte unter Bezugnahme auf den Antrag vom 31. Dezember 2009 die Freistellung und Erstattung von deutschen Abzugsteuern vom Kapitalertrag im Übrigen gemäß § 32 Abs. 5 KStG für die Streitjahre ab. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidungen vom 22. Januar 2016 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.
9Übersicht:
102006 |
2007 |
2008 |
|||||
Zufluss-Zeitpunkt |
19.06. |
29.09. |
19.03. |
22.03. |
04.03. |
18.07. |
22.10. |
Höhe Kapitalertrag € |
318.934,84 |
36.820,00 |
26.300,00 |
15.780,00 |
26.300,00 |
18.410,00 |
28.930,00 |
Einbeh. KapESt € |
63.787,00 |
7.364,00 |
5.260,00 |
3.156,00 |
5.260,00 |
3.682,00 |
5.786,00 |
Einbeh. SolZ € |
3.508,25 |
405,02 |
289,30 |
173,58 |
289,30 |
202,51 |
318,23 |
Einbeh. Summe € |
67.295,25 |
7.769,02 |
5.549,30 |
3.329,58 |
5.549,30 |
3.884,51 |
6.104,23 |
DBA-Erstattung gem. § 50d EStG € |
19.455,03 |
2.246,02 |
1.604,30 |
962,58 |
1.604,30 |
1.123,01 |
1.764,73 |
Str. Erstattung gem. § 32 Abs. 5 KStG € |
47.840,22 |
5.523,00 |
3.945,00 |
2.367,00 |
3.945,00 |
2.761,50 |
4.339,50 |
Streitige Erstattung, § 32 Abs. 5 KStG / Jahr |
53.636,22 € |
6.312,00 € |
11.046,00 € |
Daraufhin erhob die Klägerin fristgemäß Klage.
12Vortrag der Klägerin
13Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass die Nachweise i.S.d. § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) und c) KStG erbracht worden seien.
14Ziel des § 32 Abs. 5 KStG sei es, die Definitivbelastung ausländischer Kapitalgesellschaften (Muttergesellschaften), die von ihren inländischen Tochtergesellschaften Dividenden erhalten hätten, durch einen Erstattungsanspruch des ausländischen Gläubigers der Kapitalerträge in den vom EuGH vorgegebenen Fällen zu vermeiden.
15In persönlicher Hinsicht erfordere das Erstattungsrecht als Gläubiger eine nach § 2 Nr. 1 KStG beschränkt steuerpflichtige Körperschaft, deren Sitz (§ 10 AO) und Ort der Geschäftsleitung (§ 11 AO) sich innerhalb des Hoheitsgebiets eines EU-Mitgliedstaates oder eines EWR-Staates befinde. Sie, die Klägerin, sei in England ansässig und die jeweiligen Board Meetings in den Streitjahren hätten ebenfalls in England stattgefunden.
16Darüber hinaus seien auch ihre Geschäftsführer (Directors) überwiegend in England ansässig und die Board Meetings hätten am Sitz der Gesellschaft stattgefunden. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin einen Auszug aus dem englischen Handelsregister (Companies House) mit einer Liste der handelnden Personen, die überwiegend in England ansässig waren, vorgelegt:
17- Im Auszug vom 1. August 2007 waren der Company Secretary (A) und drei Directors (B, A, C) in England wohnhaft. Ein Director (D) hatte seine Adresse in Italien (vgl. Bl. 648 ff. der eFG-Akte).
18- Im Auszug vom 1. August 2008 waren der Company Secretary (E) und drei Directors (E, B, C) in England wohnhaft. Ein Director (D) hatte seine Adresse in Italien (vgl. Bl. 651 ff. der eFG-Akte).
19Außerdem hat die Klägerin – nach eigenen Angaben exemplarisch – Protokolle zweier dokumentierter Director Meetings vom 31. Januar 2007 vorgelegt, die am Sitz der Gesellschaft abgehalten wurden (vgl. Bl. 655 ff. und Bl. 658 ff. der eFG-Akte).
20Darüber hinaus hat die Klägerin den Directors´ Report and Financial Statements zum 31. März 2009 eingereicht, der ausdrücklich „UK based directors“ (vgl. Bericht Seite 14) unter key management personnel nennt. Die Klägerin beschäftigte im Wirtschaftsjahr 2008/2009 zwischen 42 und 44 Mitarbeitern (vgl. Bericht Seite 14; vgl. Bl. 709 ff., 725 der eFG-Akte).
21Im Übrigen hat die Klägerin die Bescheinigung der britischen Steuerbehörde vom 12. August 2014 eingereicht (Bl. 101 f. der eFG-Akte).
22Sie trägt vor, dass sie auch nachgewiesen habe, dass die deutsche Kapitalertragsteuer bei ihr nicht angerechnet, nicht abgezogen oder nicht vorgetragen werden könne und dass eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt seien. Es werde Bezug genommen auf die entsprechende Bescheinigung der britischen Steuerbehörde vom 12. August 2014 (Bl. 101 f. der eFG-Akte).
23Soweit der Beklagte die Vorlage einer Bescheinigung des Ansässigkeitsstaats verlange, dass die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht nur nicht bei ihr, der Klägerin, sondern auch bei den unmittelbar oder mittelbar an ihr beteiligten Anteilseignern nicht angerechnet oder steuermindernd berücksichtigt werden könne, habe sie diesen Nachweis durch entsprechende Steuerberechnungen geführt. Auf die Berechnungen werde Bezug genommen (Bl. 117 ff., 341 ff., 421 ff. der eFG-Akte). Hieraus sei ersichtlich, dass auf der Ebene der X Co. Ltd., der Muttergesellschaft, keine Anrechnung deutscher Quellensteuern erfolgt sei (auch nicht für den direkt bezogenen Teil der Dividende, vgl. Schedule A4 Dividend from Subsidiary Z GmbH), und dass insoweit die Informationen über die auf Ebene der Tochtergesellschaft – also ihrer, der Klägerin, Ebene – bezogenen Dividenden und damit zusammenhängende deutsche Quellensteuer vollständig verloren gehen würden. Die Vorlage einer HMCR-Bescheinigung könne auf dieser Ebene nicht verlangt werden.
24Die Erbringung dieses Nachweises sei als unverhältnismäßig anzusehen und weder durch § 32 Abs. 5 KStG noch durch § 90 Abs. 1, 2 AO gedeckt, da sie über das hinausgehe, was erforderlich sei, um den Erstattungsanspruch gemäß § 32 Abs. 5 KStG zu prüfen und positiv zu bescheiden.
25Dass eine derartige Anrechnung o.ä. auf Ebene eines direkt oder indirekt an ihr beteiligten Anteilseigners nicht möglich sei, bedürfe eigentlich keines weiteren Nachweises, da diesen Personen keine entsprechenden Einkünfte zugerechnet würden. Durch das Verlangen, für die direkten und indirekten Anteilseigner einer mittelbar börsennotierten Gesellschaft eine Musterbescheinigung vorzulegen, würde aber jedes vernünftige Verhältnis ganz offensichtlich verletzt. Insoweit dürfte die Nachweiserbringung bereits daran scheitern, dass die Aktionäre der Muttergesellschaft in dem Ausschüttungszeitraum nicht mehr ermittelbar seien.
26Im Laufe des Klageverfahrens hat die Klägerin Global-Nichtanrechnungsbescheinigungen des HMRC vom 24. Mai 2016 eingereicht. Hieraus geht hervor, dass bei nur mittelbar Beteiligten (d.h. ab den unmittelbaren Anteilseignern der Antragstellerin/Klägerin) eine Anrechnung generell nicht möglich ist. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Bescheinigung vom 24. Mai 2016 Bezug genommen (Bl. 617 der eFG-Akte). Unter Bezugnahme auf diese Bescheinigung trägt die Klägerin vor, das Verlangen der Vorlage einer solchen Global-Bescheinigung verstoße gegen Unions- und Verfassungsrecht.
27Beklagtenvortrag
28Der Beklagte trägt vor, ein Erstattungsanspruch gemäß § 32 Abs. 5 KStG bestehe nicht, da die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erstattung nicht nachgewiesen habe.
29Die Klägerin habe die gesetzlich gebotenen Nachweise des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) und c) KStG zunächst hinsichtlich des Ortes ihrer Geschäftsleitung nicht erbracht.
30Als weitere Voraussetzung sehe das Gesetz gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG vor, dass eine Anrechnung, ein Abzug oder ein Vortrag der einbehaltenen Steuer weder auf Ebene der Antragstellerin selbst noch bei einem an ihr unmittelbar oder mittelbar beteiligten Anteilseigner möglich gewesen sei. Die Vorschrift werde durch die Nachweispflicht in § 32 Abs. 5 Satz 5 KStG konkretisiert. Hiernach seien neben dem Nachweis, dass grundsätzlich keine Möglichkeit einer solchen Begünstigung bestehe, auch nachzuweisen, dass eine Begünstigung auch tatsächlich nicht erfolgt sei. Damit eine ordnungsgemäße Überprüfung dieses Tatbestandsmerkmals möglich sei, impliziere das Nachweiserfordernis auch die Pflicht, ausführliche Angaben über den genauen Personenkreis der unmittelbaren und mittelbaren Anteilseigner unabhängig von deren Rechtsform zu machen. Hierfür biete sich als sinnvoller Nachweis die Vorlage eines entsprechend detaillierten Organigramms an, welches Aufschluss über die gesamte Beteiligungskette bis hin zur letzten mittelbaren Person biete. Auch diese Voraussetzung habe die Klägerin nicht erfüllt. Die Klägerin habe die Unmöglichkeit einer steuerlichen Berücksichtigung des streitigen Abzugsbetrages bei einem ihrer mittelbaren oder unmittelbaren Anteilseigner in deren jeweiligen Ansässigkeitsstaat nicht nachgewiesen (§ 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. Satz 5 KStG).
31Entgegen der Auffassung der Klägerin führe das Nachweiserfordernis in § 32 Abs. 5 Satz 3 KStG nicht zu einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung.
32Eine etwaige Beschränkung der vom EU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten sei gerechtfertigt, wenn sie zur Wahrung der Kohärenz einer Steuerregelung diene. Das setze einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine bestimmte steuerliche Belastung voraus (EuGH-Urteil vom 13. März 2007, C-524/04, Test Claimants, Slg. 2007, I-000 Rn. 68; EuGH-Urteil Amurta, Rz.46). Demzufolge sei keine steuerliche Entlastung durch die Bundesrepublik Deutschland mehr erforderlich, wenn eine Befreiung vom Kapitalertragsteuerabzug der Dividenden, die durch in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Kapitalgesellschaften ausgeschüttet worden seien, bereits durch Entlastungen des ausländischen unmittelbaren oder mittelbaren Dividendenempfänger in einem Ansässigkeitsstaat tatsächlich erreicht worden sei bzw. hätte erreicht werden können. Deshalb dürften die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats der Europäischen Union vom Steuerpflichtigen alle Belege verlangen, die ihnen für die Beurteilung der Frage notwendig erscheinen würden, ob die Voraussetzungen für einen Steuervorteil nach den einschlägigen Rechtsvorschriften erfüllt seien, einschließlich der Frage, welche Steuerabzüge in anderen Mitgliedstaaten tatsächlich vorgenommen worden seien (BFH-Urteil vom 15. Januar 2015 – I R 69/12, Rn. 38 f.; EuGH-Urteile vom 30. Juni 2011, C-262/09, Meilicke II; vom 10. Februar 2011, C-436/08, Haribo).
33Anträge
34Die Klägerin beantragt,
351. den Beklagten, unter Aufhebung des Freistellungsbescheides für das Kalenderjahr 2006 vom 8. Juni 2015 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2016, zu verpflichten, einen Freistellungsbescheid bezüglich Kapitalertragsteuer inkl. SolZ i.H.v. 53.363,22 € zu erlassen und die Kapitalertragsteuer entsprechend zu erstatten;
2. den Beklagten, unter Aufhebung des Freistellungsbescheides für das Kalenderjahr 2007 vom 8. Juni 2015 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2016, zu verpflichten, einen Freistellungsbescheid bezüglich Kapitalertragsteuer inkl. SolZ i.H.v. 6.312,00 € zu erlassen und die Kapitalertragsteuer entsprechend zu erstatten;
3. den Beklagten, unter Aufhebung des Freistellungsbescheides für das Kalenderjahr 2008 vom 8. Juni 2015 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2016, zu verpflichten, einen Freistellungsbescheid bezüglich Kapitalertragsteuer i.H.v. 11.046,00 € zu erlassen und die Kapitalertragsteuer entsprechend zu erstatten;
4. den Beklagten zu verpflichten, die Erstattungsbeträge zu 1) bis 3) ab 12 Monate seit jeweiliger Antragstellung i.H.v. 0,5 % pro Monat zu verzinsen;
5. hilfsweise dem EuGH die Sache im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV vorzulegen;
6. im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
48die Klage abzuweisen.
49B.
50Das Klageverfahren wegen Erstattung von Kapitalertragsteuer wird ausgesetzt. Es wird gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV die Vorabentscheidung des EuGH über die im Tenor des Beschlusses genannten Rechtsfragen eingeholt.
51Die Anrufung des EuGH ist gemäß Art. 267 AEUV geboten, weil das Verständnis der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EGV) in entscheidungserheblicher Weise zweifelhaft ist.
52Entscheidend für den Ausgang des Klageverfahrens ist, ob die vom deutschen Gesetzgeber in § 32 Abs. 5 KStG aufgestellten Voraussetzungen, von denen die Erstattung von Kapitalertragsteuer im Falle sog. Streubesitzdividenden – also Dividenden aus Beteiligungen unter 15 % (für Ausschüttungen bis zum 31. Dezember 2008) bzw. 10 % (für Ausschüttungen nach dem 31. Dezember 2008) – abhängt, mit EU-Recht vereinbar und folglich anwendbar sind.
53I. Rechtliche Grundlagen der Kapitalertragsteuererstattung
54Den Vorlagefragen liegt folgender nationaler rechtlicher Rahmen zugrunde:
551. Im Fall von Gewinnausschüttungen erzielt der im Ausland ansässige Gesell-schafter – hier die Klägerin – Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Dabei wird die Einkommensteuer gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (bei einer Kapitalgesellschaft wie im Streitfall: i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG) durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben.
562. Es besteht die Möglichkeit der Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer. Die Voraussetzungen der Erstattung differieren, je nachdem, ob die Streubesitzbeteiligung, also die Beteiligung von weniger als 15 % bzw. 10 %, von einer im Inland oder einer im Ausland ansässigen Körperschaft gehalten wird.
57a. Steuerliche Behandlung von an im Inland ansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden aus einer sog. Streubesitzbeteiligung
58Wird die Streubesitzbeteiligung von einer im Inland ansässigen Körperschaft gehalten, ist die von einer inländischen Gesellschaft an diese ausgeschütteten Dividenden in den Streitjahren und bis zum Inkrafttreten des „Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rs. C-284/09“ vom 21. März 2013 gemäß § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei. Gemäß § 31 Abs. 1 KStG i.V. m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG wird die einbehaltene Kapitalertragsteuer im streitgegenständlichen Zeitraum auf die Steuerschuld der inländischen Körperschaft angerechnet und kann ggf. auch erstattet werden. Die Anrechnung (und ggf. Erstattung) der Kapitalertragsteuer setzt voraus, dass die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde. Dies muss durch Einreichung einer Bescheinigung gemäß § 45a Abs. 2 oder 3 EStG nachgewiesen werden.
59b. Steuerliche Behandlung von an im Ausland ansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden aus einer sog. Streubesitzbeteiligung
60Für Dividendenausschüttungen an im Ausland ansässige Körperschaften, die eine sog. Streubesitzbeteiligung halten, sieht das Gesetz in § 32 Abs. 5 KStG die Möglichkeit einer Erstattung der Kapitalertragsteuer vor. Allerdings weichen die Voraussetzungen von denen ab, die für die Anrechnung bzw. Anrechnung der Kapitalertragsteuer an inländische Gesellschaften gelten.
61aa. Entstehungshistorie des § 32 Abs. 5 KStG
62§ 32 Abs. 5 KStG wurde vom Gesetzgeber nach Ergehen des Urteils des EuGH vom 20. Oktober 2011 - C-284/09, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2004/4349, Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland (vgl. BT-Drucks. 17/11314, Seiten 1 und 3) eingeführt. In diesem Urteil hat der EuGH entschieden, dass die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs gemäß § 32 Abs. 1 KStG für Dividenden an ausländische Körperschaften, die die in der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter-Tochter-Richtlinie) vorgesehene Mindestbeteiligung nicht erreichen, gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) verstößt.
63Nach der vor der Einführung von § 32 Abs. 5 KStG geltenden Rechtslage wurden Dividenden, die von einer inländischen Kapitalgesellschaft an im EU- oder EWR-Ausland ansässige Körperschaften ausgeschüttet wurden und die nicht vom Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie erfasst waren, definitiv mit Kapitalertragsteuer im Wege des Steuereinbehalts belastet. Der Kapitalertragsteuereinbehalt betrug (bzw. beträgt) 25%. Er konnte ggf. auf Grund von Doppelbesteuerungsabkommen – wie im Streitfall – oder der Regelung des § 44a Abs. 9 EStG auf 15 % vermindert, jedoch nicht gänzlich erstattet werden. Wurden dagegen Dividenden an im Inland ansässige Körperschaften ausgeschüttet, war die einbehaltene Kapitalertragsteuer für die bei der Einkommensermittlung gemäß § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleibenden Dividenden auf die Körperschaftsteuer anzurechnen.
64bb. Regelungsinhalt des § 32 Abs. 5 KStG
65§ 32 Abs. 5 KStG normiert verschiedene Voraussetzungen für die Erstattung der Kapitalertragsteuer, u.a. auch gewisse Nachweis- und Bescheinigungspflichten.
66§ 32 Abs. 5 KStG lautet im Einzelnen wie folgt:
67(5) 1Ist die Körperschaftsteuer des Gläubigers für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes nach Absatz 1 abgegolten, wird dem Gläubiger der Kapitalerträge auf Antrag die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer nach Maßgabe des § 36 Absatz 2 Nummer 2 des Einkommensteuergesetzes erstattet, wenn
681. der Gläubiger der Kapitalerträge eine nach § 2 Nummer 1 beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft ist, die
a) zugleich eine Gesellschaft im Sinne des Artikels 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder des Artikels 34 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist,
71b) ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, hat,
72c) im Staat des Orts ihrer Geschäftsleitung ohne Wahlmöglichkeit einer mit § 1 vergleichbaren unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ohne von dieser befreit zu sein, und
732. der Gläubiger unmittelbar am Grund- oder Stammkapital der Schuldnerin der Kapitalerträge beteiligt ist und die Mindestbeteiligungsvoraussetzung des § 43b Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes nicht erfüllt.
2Satz 1 gilt nur, soweit
761. keine Erstattung der betreffenden Kapitalertragsteuer nach anderen Vorschriften vorgesehen ist,
2. die Kapitalerträge nach § 8b Absatz 1 bei der Einkommensermittlung außer Ansatz bleiben würden,
3. die Kapitalerträge aufgrund ausländischer Vorschriften keiner Person zugerechnet werden, die keinen Anspruch auf Erstattung nach Maßgabe dieses Absatzes hätte, wenn sie die Kapitalerträge unmittelbar erzielte,
4. ein Anspruch auf völlige oder teilweise Erstattung der Kapitalertragsteuer bei entsprechender Anwendung des § 50d Absatz 3 des Einkommensteuergesetzes nicht ausgeschlossen wäre und
5. die Kapitalertragsteuer nicht beim Gläubiger oder einem unmittelbar oder mittelbar am Gläubiger beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann; die Möglichkeit eines Anrechnungsvortrags steht der Anrechnung gleich.
3Der Gläubiger der Kapitalerträge hat die Voraussetzungen für die Erstattung nachzuweisen. 4Er hat insbesondere durch eine Bescheinigung der Steuerbehörden seines Ansässigkeitsstaates nachzuweisen, dass er in diesem Staat als steuerlich ansässig betrachtet wird, dort unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und nicht von der Körperschaftsteuer befreit sowie der tatsächliche Empfänger der Kapitalerträge ist. 5Aus der Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung muss hervorgehen, dass die deutsche Kapitalertragsteuer nicht angerechnet, nicht abgezogen oder nicht vorgetragen werden kann und inwieweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt ist. 6Die Erstattung der Kapitalertragsteuer erfolgt für alle in einem Kalenderjahr bezogenen Kapitalerträge im Sinne des Satzes 1 auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids nach § 155 Absatz 1 Satz 3 der Abgabenordnung.
87II. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen
88Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Vorbehaltlich der gemäß der Vorlagefrage zweifelhaften Voraussetzung sind sämtliche übrigen Voraussetzungen für eine Erstattung gemäß § 32 Abs. 5 KStG erfüllt.
891. § 32 Abs. 5 KStG ist in den Streitjahren gemäß § 34 Abs. 13b KStG anwendbar.
902. Bei den Dividenden, auf die die streitige Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde, handelt es sich in sachlicher Hinsicht um Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG (§ 32 Abs. 5 Satz 1 KStG).
913. In persönlicher Hinsicht erfordert das Erstattungsrecht als Gläubiger eine gemäß § 2 Nr. 1 KStG beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft, die zugleich eine Gesellschaft im Sinne des Artikels 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist (§ 32 Abs. 5 Nr. 1 lit. a KStG), die ihren Sitz (§ 10 AO) und Ort der Geschäftsleitung (§ 11 AO) innerhalb des Hoheitsgebiets eines EU-Mitgliedstaates oder eines EWR-Staates hat (§ 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. b KStG) und im Staat des Orts ihrer Geschäftsleitung ohne Wahlmöglichkeit einer mit § 1 KStG vergleichbaren unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ohne von dieser befreit zu sein (§ 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. c KStG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
92a. Die Klägerin als Bezieherin von Dividenden einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft ist eine nach § 2 Nr. 1 KStG beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft. Sie ist zugleich eine Gesellschaft im Sinne des Artikels 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (§ 32 Abs. 5 Nr. 1 lit. a KStG).
93b. Auch die Voraussetzung des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. b KStG ist gegeben. Sowohl der Sitz der Klägerin i.S.d. § 10 AO als auch der Ort der Geschäftsleitung i.S.d. § 11 AO befinden sich in Großbritannien.
94aa. Insbesondere zum Ort der Geschäftsleitung hat die Klägerin zur hinreichenden Überzeugung des Senats vorgetragen und durch Einreichung geeigneter Unterlagen belegt, dass ihre Geschäftsführer (Directors) überwiegend in England ansässig sind und die Board Meetings am Sitz der Gesellschaft in Großbritannien stattgefunden haben. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin einen Auszug aus dem englischen Handelsregister (Companies House) mit einer Liste der handelnden Personen, die überwiegend in England ansässig waren, vorgelegt. Außerdem hat die Klägerin – nach eigenen Angaben exemplarisch – zwei Protokolle dokumentierter Director Meetings vom 31. Januar 2007 vorgelegt, die am Sitz der Gesellschaft abgehalten wurden (vgl. Bl. 655 ff. und Bl. 658 ff. der eFG-Akte). Darüber hinaus hat die Klägerin den Directors´ Report and Financial Statements zum 31. März 2009 eingereicht, der ausdrücklich „UK based directors“ (vgl. Bericht Seite 14) unter key management personnel nennt.
95bb. Ungeachtet dessen ist der Senat davon überzeugt, dass das Erfordernis, dass sich der Sitz (§ 10 AO) und der Ort der Geschäftsleitung (§ 11 AO) innerhalb des Hoheitsgebiets eines EU-Mitgliedstaates oder eines EWR-Staates befinden muss (§ 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KStG), gegen unionsrechtliches Primärrecht verstößt und daher ohnehin keine Anwendung findet.
96(1) Denn die Neuregelung wurde durch einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ausgelöst und die Reichweite dieser Grundfreiheit wirkt prinzipiell drittstaatenweit (vgl. Gosch, in Gosch, KStG, § 32 Rn. 36, 53; Geurts/Faller, DStR 2012, 2357, 2359; so i.E. auch Haisch/Helios, DB 2013, 724, 731). So hat der EuGH seine Entscheidung vom 20. Oktober 2011 (C-284/09, DStR 2011, 2038), die der Grund für die Einführung des § 32 Abs. 5 KStG war, auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) und gerade nicht auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) gestützt. Der EuGH hat hierin ausgeführt, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG, also gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, wenn er für den Fall, dass die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2003/123 geänderten Fassung vorgesehene Mindestbeteiligung der Muttergesellschaft am Kapital der Tochtergesellschaft nicht erreicht ist, Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterwirft als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz im Inland ausgeschüttet werden. Die Tatsache, dass hierin ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit zu sehen ist, führt dazu, dass auch Muttergesellschaften mit Sitz in Drittstaaten, die die Mindestbeteiligung nicht erreichen, sich auf eine Verletzung europäischen Primärrechts berufen können. Denn die Kapitalverkehrsfreiheit ist als einzige Grundfreiheit auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar (vgl. EuGH-Urteil vom 18. Dezember 2007, C-101/05, A, Slg. 2007, I-11531, IStR 2008, 66). So bestimmt Art. 63 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 56 EG), dass alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten sind.
97Dies wird durch das Urteil des EuGH vom 13. November 2019 (C-641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933) bestätigt. Hiernach verstößt die Besteuerung von an ausländische Pensionsfonds ausgeschütteten Streubesitzdividenden gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Denn gebietsansässige Pensionsfonds können Dividenden steuerfrei vereinnahmen, da es ihnen im Rahmen der Veranlagung möglich ist, die einbehaltene Kapitalertragsteuer auf die Körperschaftsteuer anzurechnen bzw. sich nahezu vollständig erstatten zu lassen. Für gebietsfremde Pensionsfonds – im dortigen Sachverhalt ein Pensionsfonds mit Sitz in Kanada, also im Drittstaat – sind solche Anrechnungen oder Erstattungen hingegen ausgeschlossen, da für diese Pensionsfonds die im Wege des Steuerabzugs entrichtete Körperschaftsteuer gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG abgegolten ist und ihnen gegenüber eine endgültige Steuerbelastung darstellt. Der EuGH hat hierin eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit gesehen. Folglich spricht auch dieses Urteil dafür, dass auch Streubesitzdividenden erzielende Gesellschaften mit Sitz in Drittstaaten aufgrund der Kapitalverkehrsfreiheit nicht schlechter gestellt werden dürfen als Streubesitzdividenden erzielende Gesellschaften mit Sitz im Inland bzw. Gemeinschaftsgebiet.
98Da die Klägerin mit einer Beteiligung i.H.v. 5,26 % in den Streitjahren über keine beherrschende Beteiligung an der Z GmbH verfügt, ist insoweit eine Entscheidung zum Verhältnis zwischen Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit, insbesondere in Drittstaatenkonstellationen, jedenfalls entbehrlich.
99(2) Im Hinblick auf die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit ist § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KStG dahingehend einzuschränken, dass die Regelung auch für Gesellschaften gilt, deren Sitz und/oder Sitz der Geschäftsleitung sich in Drittstaaten befindet.
100(a) Das Recht der Europäischen Union ist gemäß Art. 23 GG, Art. 267 AEUV (ex-Art. 249 EGV) Bestandteil des Bundesrechts und zwar mit Anwendungsvorrang vor nationalem Recht (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147; vom 9. Januar 2000 – 1 BvR 1036/99, NJW 2001,1267). Die Gerichte dürfen deshalb deutsche Vorschriften nicht anwenden, soweit sie Unionsrecht verletzen.
101Allerdings ist die nationale Norm bei einem Verstoß gegen EU-Primärrecht nicht generell überhaupt nicht anwendbar. Denn der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang wirkt sich nicht dergestalt aus, dass von der Anwendung der EU-rechtswidrigen Norm grundsätzlich gänzlich abzusehen ist. Die vom EuGH verbindlich formulierten gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind vielmehr in geeigneten Fällen durch die sog. „geltungserhaltende Reduktion“ in die betreffenden Normen hineinzulesen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Oktober 2009 – I R 114/08, BFH/NV 2010, 279; vom 13. Juni 2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79; vom 3. Februar 2010 – I R 21/06, BStBl II 2010, 692). Dadurch wird im Wege richterlicher Fortbildung ein unionsrechtskonformer Zustand geschaffen.
102(b) Angesichts dessen ist § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KStG dahingehend geltungserhaltend auszulegen, dass die Regelung auch auf Gesellschaften mit Sitz und/oder Sitz der Geschäftsleitung in Drittstaaten Anwendung findet.
103Mit Blick auf den Streitfall bedeutet dies, dass die Regelung des § 32 Abs. 5 EStG auch dann einschlägig wäre, wenn der Sitz der Geschäftsleitung der Klägerin sich nicht in Großbritannien befunden hätte. Denn auf den Ort des Sitzes der Geschäftsleitung in einem EU-Mitgliedstaat oder einem EWR-Staat kommt es angesichts der insoweit geltungserhaltenden Reduktion der Norm nicht an.
104c. Auch § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) KStG ist erfüllt. Die Klägerin unterliegt in dem Staat des Orts ihrer Geschäftsleitung ohne Wahlmöglichkeit einer mit § 1 KStG vergleichbaren unbeschränkten Steuerpflicht, ohne von dieser befreit zu sein.
105Der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin befindet sich in Großbritannien. Dort ist die Klägerin auch unbeschränkt steuerpflichtig. Es besteht weder eine Wahlmöglichkeit noch eine Befreiung.
106d. Des Weiteren ist auch das Erfordernis des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 KStG gegeben. Die ausländische Muttergesellschaft muss hiernach unmittelbar an dem Grund- oder Stammkapital der Schuldnerin der Kapitalerträge beteiligt sein und darf die Mindestbeteiligungsvoraussetzung des § 43b Abs. 2 EStG nicht erfüllen. Somit muss die Höhe der Beteiligung unter 10 % liegen. Die Klägerin ist an dem Nennkapital der deutschen Z GmbH zu 5,26 % und damit zu unter 10 % beteiligt.
107e. Die Bescheinigung der britischen Steuerbehörde (HM Revenue & Custom) vom 12. August 2014 (Bl. 101 f. der eFG-Akte) erfüllt die Nachweiserfordernisse des § 32 Abs. 5 Satz 4 KStG.
1084. § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 KStG verlangt, dass der Gläubiger der Kapitalerträge eine diesbezügliche Erstattung nicht nach anderen Vorschriften verlangen kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Insbesondere kommt im Streitfall auch keine Erstattung gemäß § 44a Abs. 9 oder § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG in Betracht.
1095. Auch § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG ist gegeben. Gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG kommt der Erstattungsanspruch i.S.v. § 32 Abs. 5 Satz 1 KStG nur bei Kapitalerträgen in Betracht, die gemäß § 8b Abs. 1 KStG bei der Einkommensermittlung außer Ansatz bleiben würden. Auf diese Weise stellt das Gesetz zum einen sicher, dass der Erstattungsanspruch nicht i.S.v. § 8b Abs. 5 um die pauschalierten nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben (sog. Schachtelstrafe gemäß § 8b Abs. 5 KStG) gemindert wird. Zum anderen – und vor allem – verhindert der Querverweis auf § 8b Abs. 1 KStG die Erstattung von Kapitalertragsteuer in den Fällen des § 8b Abs. 4 n.F., also für die Fälle des steuerpflichtigen sog. Streubesitzes. Das Erstattungsverfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG erfasst sonach ohne Einschränkung – unter Einschluss von Schachtel- wie von Streubesitz – fortan allein diejenigen Bezüge, die bis zu dem Stichtag 28. Februar 2013 zugeflossen sind, vgl. § 34 Abs. 7a Satz 2 i.d.F. des EuGHUmsG vom 21. März 2013 (vgl. Gosch, in Gosch, KStG, § 32 Rn. 58; Benz/Jetter, DStR 2013, 489, 495). Diese Voraussetzung ist für die Dividendenausschüttungen in den Streitjahren erfüllt.
1106. § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 KStG, wonach die Kapitalerträge aufgrund ausländischer Vorschriften keiner Person zugerechnet werden, die keinen Anspruch auf Erstattung nach Maßgabe dieses Absatzes hätte, wenn sie die Kapitalerträge unmittelbar erzielte, ist im Streitfall gegeben. Insbesondere werden die streitigen Dividenden im Hinblick auf ausländische Vorschriften etwa zur Gruppenbesteuerung keiner Person zugerechnet, die selber keine Erstattung i.S.v. § 32 Abs. 5 KStG beanspruchen könnte.
1117. Schließlich ist ein Anspruch der Klägerin auf völlige oder teilweise Erstattung der Kapitalertragsteuer bei entsprechender Anwendung des § 50d Absatz 3 EStG nicht ausgeschlossen, da dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Angesichts dessen kann es dahingestellt bleiben, ob diese Voraussetzung rechtens ist (vgl. hierzu Gosch, in Gosch, KStG, § 32 Rn. 60).
1128. Problematisch erscheint indes das Erfordernis des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG.
113a. Hiernach wird der Erstattungsanspruch versagt, wenn die einbehaltene Kapitalertragsteuer bei dem Gläubiger oder dem am Gläubiger unmittelbar oder mittelbar beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann; bereits die Möglichkeit eines Anrechnungsvortrags genügt insoweit. Auf diese Weise wird eine Erstattung gemäß § 32 Abs. 5 KStG nur gewährt, wenn die Benachteiligung ausländischer Dividendenbezieher im Vergleich zu inländischen Dividendenbeziehern nicht durch Anrechnung, Abzug von der Bemessungsgrundlage oder Anrechnungsvortrag im Ausland ausgeglichen werden kann.
114Hinzu kommt, dass diese Voraussetzung von der Klägerin gemäß § 32 Abs. 5 Satz 5 KStG durch die Vorlage einer Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung nachzuweisen ist, aus der hervorgeht, dass die deutsche Kapitalertragsteuer nicht angerechnet, nicht abgezogen oder nicht vorgetragen werden kann und inwieweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt ist. Dabei versteht der Senat die gesetzliche Regelung dahingehend, dass die Bescheinigung sowohl für den Gläubiger der Kapitalerträge, also die Klägerin, sowie für sämtliche unmittelbar und mittelbar beteiligten Anteilseigner vorzulegen ist. Denn die Regelung ist allgemein formuliert, so dass sie generell und damit bezogen auf sämtliche Ebenen zu verstehen ist. Dies wird durch den systematischen Zusammenhang mit § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG bestätigt, in dem verlangt wird, dass die Kapitalertragsteuer nicht beim Gläubiger oder einem unmittelbar oder mittelbar am Gläubiger beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann. Angesichts dieser Voraussetzung ist das Erfordernis der Bescheinigung, die offensichtlich auf § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG bezogen ist, aus systematischen Gründen auch auf sämtliche Beteiligungsebenen zu erstrecken.
115b. Im Streitfall ist es indes nicht möglich, festzustellen, ob die Voraussetzung des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG erfüllt ist. Die Anteile an der Klägerin werden zu 100 % von der X Co. Ltd. gehalten. Es handelt sich hierbei um eine börsennotierte Gesellschaft. Die Behandlung der Kapitalertragsteuer bei der X Co. Ltd. und insbesondere bei deren Gesellschaftern ist nicht konkret nachvollziehbar.
116aa. Im Hinblick auf die Klägerin selbst hat diese eine Bescheinigung der britischen Steuerbehörde HMRC vom 12. August 2014 (Bl. 101 f. der eFG-Akte) vorgelegt. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Bescheinigung vom 12. August 2014 nebst Begleitschreiben vom 13. August 2014 Bezug genommen (Bl. 101 f. der eFG-Akte). In dieser Bescheinigung wird sowohl für das WJ 2006/2007 (Dividendenzuflüsse der Jahre 2006 und 2007) als auch für das WJ 2008/2009 (Dividendenzuflüsse des Jahres 2008) bestätigt, dass eine Entlastung von der deutschen Kapitalertragsteuer nicht erfolgt ist und auch in Zukunft nicht erfolgen kann. Ob dies rechtstatsächlich auf einer Dividendenfreistellung oder auf fehlendem Anrechnungsvolumen aufgrund einer Verlustsituation beruht, ist dabei – entgegen der Auffassung des Beklagten – unerheblich. Denn in einem innerstaatlichen Fall wird die Kapitalertragsteuer auch in einem Verlustjahr angerechnet und erstattet.
117bb. Im Hinblick auf das Erfordernis, dass die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht nur nicht bei der Klägerin, sondern auch bei den unmittelbar oder mittelbar an ihr beteiligten Anteilseignern nicht angerechnet oder steuermindernd berücksichtigt wurde, ist ein entsprechender Nachweis indes nicht möglich.
118Mit Blick auf die X Co. Ltd., der Muttergesellschaft hat die Klägerin zwar Steuerberechnungen eingereicht (vgl. Bl. 117 ff., 341 ff., 421 ff. der eFG-Akte). Selbst wenn man auf dieser Grundlage mit der Klägerin davon ausgehen wollte, dass auf der Ebene der X Co. Ltd. keine Anrechnung deutscher Quellensteuern erfolgt ist, fehlt es jedenfalls an entsprechenden Feststellungen hinsichtlich der Anteilseigner der X Co. Ltd. als mittelbare Anteilseigner der Klägerin. Außerdem handelt es sich hierbei nicht um eine ausländische Bescheinigung i.S.d. § 32 Abs. 5 Satz 5 KStG.
119Soweit die Klägerin Global-Nichtanrechnungsbescheinigungen des HMRC vom 24. Mai 2016 eingereicht hat, geht hieraus hervor, dass bei nur mittelbar Beteiligten (d.h. ab den unmittelbaren Anteilseignern der Antragstellerin/Klägerin) eine Anrechnung generell nicht möglich ist. Es handelt sich hierbei jedoch um eine allgemeine Erklärung der britischen Finanzbehörde, die keinen konkreten Bezug zu dem Streitfall, insbesondere den mittelbaren Anteilseignern der Klägerin hat. Hinzu kommt, dass unbekannt ist, in welchen Staaten die mittelbaren Anteilseigner – also die unmittelbaren Anteilseigner der börsennotierten X Co. Ltd. – in den Streitjahren ansässig waren und sich dies auch nicht klären lässt. Folglich leiden die Global-Nichtanrechnungsbescheinigungen auch daran, dass sie nicht erkennbar von der jeweils zuständigen Steuerverwaltung ausgestellt wurden.
120c. Vor diesem Hintergrund wäre das Erstattungsbegehren der Klägerin unter Anwendung des § 32 Abs. 5 KStG abzulehnen. Anders verhielte es sich indes, wenn das Erfordernis des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 und Satz 5 KStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen würde und daher nicht anzuwenden wäre. In diesem Fall wäre dem Erstattungsbegehren der Klägerin stattzugeben. Mithin ist die Frage, ob die Kapitalverkehrsfreit der Regelung des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 und Satz 5 KStG entgegensteht, entscheidungserheblich.
121III. Europarechtliche Zweifel
122Die europarechtlichen Bedenken ergeben sich für den Senat im Hinblick auf die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1, 65 AEUV) als primärem Gemeinschaftsrecht, sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Prinzips des Effet utile.
1231. Vorlagefrage 1: Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1, 65 AEUV)
124Die Klägerin wird als beschränkt steuerpflichtige ausländische Gesellschaft mit einer 15%igen Kapitalertragsteuer auf die von ihr bezogenen Dividenden belastet und hat wegen § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 und Satz 5 KStG keine Möglichkeit einer Anrechnung oder Erstattung. Demgegenüber wird unbeschränkt steuerpflichtigen deutschen Gesellschaften die Kapitalertragsteuer in vollem Umfang auf ihre Körperschaftsteuerschuld angerechnet und gegebenenfalls erstattet. Aus dieser Ungleichbehandlung ergeben sich für den Senat Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 AEUV.
125a. Eingriff in den Schutzbereich
126Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehören zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (vgl. u.a. Urteile des EuGH vom 13. November 2019, C-641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933 Rn. 48; vom 10. April 2014, C-190/12 - Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, IStR 2014, 334 Rn. 39).
127aa. Insbesondere kann der Umstand, dass ein Mitgliedstaat an ausländische Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden weniger günstig behandelt als an inländische Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden, Gesellschaften, die im Ausland ansässig sind, davon abhalten, im Inland zu investieren, und stellt damit eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die nach Art. 63 AEUV grundsätzlich verboten ist (vgl. so zur Besteuerung von gebietsfremden Pensionsfonds, die Dividenden aus dem Gemeinschaftsgebiet beziehen, Urteile des EuGH vom 13. November 2019, C-641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933 Rn. 49; s.a. Urteil des EuGH vom 20. Oktober 2011, C‑284/09 - Kommission / Deutschland, IStR 2011, 840 Rn. 72 f.; in diesem Sinne auch Urteil des EuGH vom 22. November 2012, C-600/10 - Kommission / Deutschland, DStRE 2013, 538 Rn. 15).
128Werden Dividenden, die an im Ausland ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, höher besteuert als Dividenden gleicher Art, die an im Inland ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, so stellt dies eine solche weniger günstige Behandlung dar (vgl. so zur Besteuerung von gebietsfremden Pensionsfonds, die Dividenden aus dem Gemeinschaftsgebiet beziehen, Urteile des EuGH vom 13. November 2019, C‑641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933 Rn. 49; in diesem Sinne auch Urteil vom 17. September 2015, C-10/14, C-14/14 und C-17/14 – Miljoen ua, IStR 2015, 921 Rn. 48). Gleiches gilt für die vollständige oder in wesentlichem Umfang erfolgende Befreiung der an eine inländische Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden, während die an eine ausländische Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden einer endgültigen Quellensteuer unterliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil v. 8. November 2012, C-342/10 – Kommission/Finnland, IStR 2013, 204 Rn. 32 und 33).
129bb. Vor diesem Hintergrund ist ein Eingriff in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV gegeben. Denn § 32 Abs. 5 KStG knüpft die Erstattung der Kapitalertragsteuer an im Ausland ansässige Gesellschaften, die Beteiligungen i.H.v. weniger als 10 % bzw 15 % an einer im Inland ansässigen Gesellschaft halten, an strengere Voraussetzungen als die Erstattung der Kapitalertragsteuer an im Inland ansässige Gesellschaften, die Beteiligungen i.H.v. weniger als 10 % bzw. 15 % an einer im Inland ansässigen Gesellschaft halten. Denn ausländischen Gesellschaften wird die Kapitalertragsteuer nur erstattet, wenn die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht bei dem Gläubiger oder dem am Gläubiger unmittelbar oder mittelbar beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann. Dies ist zudem gemäß § 32 Abs. 5 Satz 5 KStG durch die Vorlage einer Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung nachzuweisen. Für die Erstattung der Kapitalertragsteuer an inländische Gesellschaften gilt dieses Erfordernis indes nicht.
130b. Zweifel an der Rechtfertigung des Eingriffs
131Der Senat hat Zweifel daran, dass dieser Eingriff gerechtfertigt ist.
132aa. Art. 65 AEUV
133Es bestehen Zweifel daran, dass die Regelung des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 und Satz 5 KStG gemäß Art. 65 Abs. 1 Buchst. a) AEUV gerechtfertigt ist. Hiernach berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln.
134Diese Bestimmung ist, da sie eine Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs darstellt, eng auszulegen. Daher kann sie nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Mitgliedstaat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem AEU-Vertrag vereinbar wäre (vgl. Urteil des EuGH vom 13. November 2019 (C-641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933 Rn. 63). Die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a) AEUV vorgesehene Ausnahme wird nämlich ihrerseits durch Art. 65 Abs. 3 AEUV eingeschränkt, wonach die in Abs. 1 dieses Artikels genannten nationalen Vorschriften „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs i.S.d. Artikels 63 [AEUV] darstellen [dürfen]“ (vgl. Urteil des EuGH vom 13. November 2019, C-641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933 Rn. 63; Urteil des EuGH vom 10. April 2014, C‑190/12 – Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, IStR 2014, 334 Rn. 55 und 56).
135Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a) AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen müssen daher von den durch Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen Diskriminierungen unterschieden werden. Eine nationale Steuerregelung kann insoweit nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. Urteil des EuGH vom 13. November 2019, C-641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933 Rn. 64; Urteil des EuGH vom 10. Mai 2012, C-338/11 bis C-347/11 – Santander Asset Management SGIIC u.a., IStR 2012, 432 Rn. 23).
136Dabei ist die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels sowie ihres Zwecks und ihres Inhalts zu prüfen (vgl. Urteil des EuGH vom 13. November 2019, C-641/17 – College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933 Rn. 65 m.w.N. der EuGH-Rspr.).
137Außerdem nähert sich die Situation der gebietsfremden Steuerpflichtigen derjenigen der gebietsansässigen Steuerpflichtigen an, sobald ein Staat einseitig oder im Wege eines Abkommens nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Steuerpflichtigen hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, der Einkommensteuer unterwirft (vgl. Urteil des EuGH vom 8. November 2007, C-379/05 – Amurta, IStR 2007, 853 Rn. 38; Urteil des EuGH vom 20. Oktober 2011, C-284/09 – Kommission/Deutschland, IStR 2011, 840 Rn. 56 m.w.N. der EuGH-Rspr.).
138Allein schon die Ausübung der Steuerhoheit durch diesen Mitgliedstaat birgt nämlich unabhängig von einer Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat die Gefahr einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung in sich. In einem solchen Fall hat der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfängergesellschaften hinsichtlich des in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Empfängergesellschaften gleichwertig ist, damit sie sich nicht einer – nach Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EG) grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen (vgl. Urteil des EuGH vom 8. November 2007, C-379/05 – Amurta, IStR 2007, 853 Rn. 39; Urteil des EuGH vom 20. Oktober 2011, C-284/09 – Kommission/Deutschland, IStR 2011, 840 Rn. 56 m.w.N. der EuGH-Rspr.).
139Im Streitfall hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf Streubesitzdividenden, die an im Inland ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, für die Ausübung ihrer Steuerhoheit durch die Besteuerung mit der Kapitalertragsteuer mit anschließender Anrechnungsmöglichkeit entschieden. Allerdings hat sich die Bundesrepublik Deutschland auch für die steuerliche Belastung der an ausländische Gesellschaften ausgeschütteten Streubesitzdividenden mit Kapitalertragsteuer entschieden. Sie befinden sich zur Vermeidung einer Mehrfachbesteuerung in einer vergleichbaren Situation.
140Es ist nicht ersichtlich, dass im Inland ansässige Empfängergesellschaften von Streubesitzdividenden mit im Ausland ansässigen Empfängergesellschaften von Streubesitzdividenden nicht vergleichbar wären. Insoweit erscheinen unterschiedliche Voraussetzungen für die Erlangung der Erstattung bzw. Anrechnung der Kapitalertragsteuer nicht gerechtfertigt.
141bb. Amurta-Klausel
142Der Senat hat auch Zweifel daran, dass die Ungleichbehandlung nach der sog. Amurta-Klausel gerechtfertigt ist.
143So kann die definitive Erhebung von Kapitalertragsteuer im Quellenstaat nach der sog. Amurta-Klausel gerechtfertigt sein, wenn der Ansässigkeitsstaat sie vollumfänglich auf die festgesetzte Steuer anrechnet und ggf. auch erstattet (vgl. hierzu Urteil des EuGH vom 8. November 2007, C-379/05 – Amurta, IStR 2007, 853 Rn. 79 ff); dem könnte die hier zweifelhafte Regelung des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG Rechnung tragen (Rz. 61).
144Im Streitfall könnte sich eine solche Anrechnungsmöglichkeit im Ansässigkeitsstaat der Klägerin aus Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Großbritannien ergeben. Hiernach wird die nach dem Recht Deutschlands von Gewinnen oder Einkünften aus Quellen innerhalb Deutschlands unmittelbar oder im Abzugswege zu zahlende deutsche Steuer auf die Steuern des Vereinigten Königreichs angerechnet, die anhand der Gewinne oder Einkünfte berechnet werden, die der Berechnung der deutschen Steuer dienen. Folglich sieht das Abkommen zwar eine Anrechnung vor, jedoch ist diese Anrechnung auf die britische Steuer beschränkt, die auf die von einer deutschen Körperschaft ausgeschütteten Dividenden entfällt. Mithin ist nicht die Anrechnung der deutschen Kapitalertragsteuer in voller Höhe von 15 % gewährleistet.
145Bezüglich der mittelbaren Anteilseigner ist es faktisch nicht möglich, diese zu ermitteln, so dass nicht feststellbar ist, ob bilaterale Anrechnungsmöglichkeiten mit der Folge der Anrechnung der Kapitalertragsteuer im Ansässigkeitsstaat bestehen.
146Hinzu kommt, dass die Erstreckung des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG insbesondere auch auf sämtliche mittelbaren Anteilseigner Ermittlungserfordernisse bedingt, die einer inländischen dividendenempfangenden Gesellschaft nicht auferlegt werden.
1472. Vorlagefrage 2: Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes und des Prinzips des Effet utile
148Sollte die Vorlagefrage zu I. verneint werden und es folglich mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sein, dass eine im Ausland ansässige Gesellschaft, die Streubesitzdividenden bezieht, zum Zwecke der Erstattung der Kapitalertragsteuer den Nachweis durch Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung führen muss, dass die Kapitalertragsteuer nicht bei ihr oder einem unmittelbar oder mittelbar an ihr beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann, so ergeben sich für den Senat Zweifel insoweit, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip des Effet utile dem Erfordernis der diesbezüglichen Bescheinigung entgegenstehen, wenn es dem im Ausland ansässigen Bezieher von Dividenden aus sog. Streubesitzanteilen faktisch unmöglich ist, diese Bescheinigung beizubringen.
149Nach dem Prinzip des Effet utile müssen die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen treffen, um dem Gemeinschaftsrecht die größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen. Das Effektivitätsprinzip besagt, dass die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung verleiht, nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf (vgl. Urteil des EuGH vom 8. März 2001, Rs. C‑397/98 u. C-410/98 – Metallgesellschaft, Slg. 2001, I-727 Rn. 85 m.w.N.; vom 2. Oktober 2003, Rs. C-147/01 – Weber´s Wineworld, Slg 2003, I-11365 Rn. 38). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besagt, dass Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele geeignet sein müssen und nicht über das hinausgehen dürfen, was hierfür erforderlich ist (vgl. Urteil des EuGH vom 26. Februar 2019, C-581/17 – Wächtler, IStR 2019, 260 Rn. 63).
150Selbst wenn die Voraussetzung des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sein sollte, stellt das Erfordernis, das Vorliegen dieser Voraussetzung bezüglich sämtlicher unmittelbarer und mittelbarer Gesellschafter durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen der ausländischen Steuerbehörden gemäß § 32 Abs. 5 Satz 5 KStG nachzuweisen, den die Kapitalertragsteuererstattung begehrenden Steuerpflichtigen – hier: die Klägerin – vor erhebliche Schwierigkeiten. Das Beibringen dieser Bescheinigungen erfordert mitunter einen unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwand oder kann – wie im Streitfall – sogar praktisch unmöglich sein. In diesem Fall wird die Ausübung der Kapitalverkehrsfreiheit für den die Kapitalertragsteuererstattung begehrenden Steuerpflichtigen – hier: die Klägerin – praktisch unmöglich gemacht. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit diesem Erfordernis folglich keine Maßnahme getroffen, um dem Gemeinschaftsrecht größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen, sondern würde dessen Umsetzung sogar faktisch vereiteln.
151Das Gesetz sieht auch keinerlei Ausnahmen vom Nachweiserfordernis des § 32 Abs. 5 Satz 5 KStG vor. Nach der gesetzlichen Regelung ist es unbeachtlich, dass es dem Gläubiger faktisch unmöglich ist, die Nachweise oder die Bescheinigungen der ausländischen Finanzverwaltung vorzulegen, oder dass ihm dies unzumutbar ist. Der Senat hat Zweifel, ob dies mit rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsaspekten und insbesondere mit dem unionsrechtlich anerkannten Grundsatz des Effet utile vereinbar ist. Auch wenn der EuGH dem nationalen Mitgliedsstaat gemeinhin weiten Raum in der verfahrensrechtlichen Umsetzung des unionsrechtlich einzufordernden materiellen Rechts einräumt, gibt es Grenzen. Diese sind jedoch überschritten, wenn die Nachweiserbringung faktisch blockiert ist (vgl. Gosch, in Gosch, KStG, § 32 Rn. 63).