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Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 22.10.2018 wird der Beklagte verpflichtet, den Erstattungsanspruch der Klägerin wegen Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von ... € zu verzinsen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 80 Prozent und die Klägerin zu 20 Prozent.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Im Rahmen einer Untätigkeitsklage ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, einen Kapitalertragsteuererstattungsanspruch der Klägerin zu verzinsen.
3Die Klägerin ist eine in Österreich ansässige Gesellschaft.
4Am 12.05.2009 stellte sie einen Antrag auf Freistellung und Erstattung von deutscher Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag in einer Gesamthöhe von ... €, der mit Bescheid vom 12.07.2018 zugunsten der Klägerin beschieden wurde. Der Antrag vom 03.02.2011 über erstattungsfähige Steuern i.H.v. ... € und vom 10.07.2012 über erstattungsfähige Steuern i.H.v. ... € wurde ebenfalls mit Bescheiden vom 12.07.2018 zugunsten der Klägerin beschieden. Der Antrag vom 12.05.2009 über erstattungsfähige Steuern i.H.v. ... € wurde mit Bescheid vom 28.09.2018 zugunsten der Klägerin beschieden. Die jeweiligen Anträge waren zunächst unter Hinweis auf § 50d Abs. 3 EStG abgelehnt worden. Die Einsprüche ruhten bis zur Abhilfe im Hinblick auf anhängige Musterverfahren.
5Im Einzelnen gab es folgende Erstattungsvorgänge:
6Bescheid vom |
Register- nummer |
Kapitalertragsteuer-Einbehalt |
Erstattungsantrag |
Erstattete Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag |
Erstattungs- datum |
12.07.2018 |
AT09... |
12.03.2008 |
12.05.2009 |
... € |
13.08.2018 |
12.07.2018 |
AT11... |
17.03.2009 |
03.02.2011 |
... € |
13.08.2018 |
12.07.2018 |
AT12... |
16.03.2011 |
10.07.2012 |
... € |
13.08.2018 |
28.09.2018 |
AT09... |
21.03.2007 |
12.05.2009 |
... € |
01.10.2018 |
Am 14.8.2018 und 05.10.2018 beantragte die Klägerin die Festsetzung von Erstattungszinsen im Hinblick auf die erstatteten Abzugssteuern.
8Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.10.2018 ab. Der Beklagte wies darauf hin, dass im nationalen Recht keine Verzinsungsregelungen vorgesehen seien. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH käme eine Verzinsung nicht in Betracht, da im Hinblick auf die Erstattungsanträge keine Klagen anhängig gewesen seien. Vielmehr hätten außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren wegen vergleichbarer Klagen geruht.
9Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch vom 23.11.2018. Zur Begründung trug sie vor, dass die Kapitalertragsteuererstattungsanträge unter Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften zunächst abgelehnt worden seien. Eine Erstattung sei erst nach Feststellung der Unvereinbarkeit der nationalen Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG mit dem Unionsrecht durch den EuGH im Jahr 2018 erfolgt. Nach der Rechtsprechung des EuGH müsse eine Behörde für die Dauer einer unionsrechtswidrigen Erhebung einer Steuer einen Ausgleich für den eingetretenen Liquiditätsnachteil leisten. Im Streitfall habe man das Klageverfahren lediglich aus Praktikabilitätsgründen nicht geführt, sondern dem vorgeschlagenen Ruhen des Einspruchsverfahrens wegen anhängiger Parallelverfahren zugestimmt. Dies könne jedoch nicht dazu führen, dass ein Zinsanspruch nicht entstanden sei. Da nationale Vorschriften im Streitfall keine Verzinsung vorsähen, sei der Zinsanspruch unionsrechtlich begründet.
10Den Einspruch beschied der Beklagte bis heute nicht. Der Beklagte wies darauf hin, dass die Frage der Verzinsung von Steuerabzugsbeträgen im Kontext von EuGH-Entscheidungen Gegenstand von Erörterungen der Finanzverwaltung auf Bund-/Länderebene sei.
11Daraufhin erhob die Klägerin am 06.07.2020 eine Untätigkeitsklage.
12Es entspreche der ständigen Rechtsprechung sowohl der nationalen Gerichte als auch des EuGH, dass Steuerbeträge, die unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden seien, zu verzinsen seien. Dies habe der BFH beispielsweise in seinem Urteil vom 22.10.2019 (VII R 24/18) ausdrücklich unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH festgehalten. Seit der Entscheidung des EuGH vom 20.12.2017 (C-504/16) sei die Rechtsfrage der Verzinsung geklärt. Es sei nicht verständlich, welche Frage die Referatsleiter des Bundes und der Länder noch klären müssten. Eine Untätigkeitsklage sei daher geboten gewesen.
13Die zu Unrecht abgeführten Steuern seien bis zum Erstattungszeitpunkt mit einem Zinssatz von 0,5 % je Monat in Anwendung von § 238 Abs. 1 AO zu verzinsen. Die Anwendung dieses Zinssatzes entspreche dem europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz, wonach der Klägerin eine angemessene Entschädigung für den Entzug von Finanzmitteln zu gewähren sei.
14Schließlich weist die Klägerin noch auf eine Entscheidung des FG Köln vom 30.06.2020 in der Sache 2 K 140/18 hin, in welcher der erkennende Senat den Beklagten verpflichtet habe, eine Rückerstattungsforderung wegen Kapitalertragsteuer mit 6 % pro Jahr zu verzinsen.
15Der Zinslauf beginne mit dem Zeitpunkt der unionrechtswidrigen Erhebung der Kapitalertragsteuer. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei das Urteil des BFH in der Sache VII R 24/18, wonach der Zinslauf erst vier Monate und zehn Tage nach Antragstellung beginnen solle, auf den Streitfall nicht übertragbar. Die Entscheidung des BFH sei zur Energiesteuer ergangen. Ausweislich der Entscheidung des BFH sei zu unterscheiden, ob ein Mitgliedstaat in Widerspruch zum Unionsrecht Abgaben erhoben habe oder ob es lediglich um eine unionsrechtswidrige Nichtgewährung einer obligatorischen Steuerbefreiung gehe. Die Unterscheidung sei auf der Ebene des Unionsrechts zu treffen. Die im Streitfall einschlägige Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 verbiete es gemäß Art. 5, ausgeschüttete Gewinne einer in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Muttergesellschaft einem Steuerabzug an der Quelle zu unterwerfen. Bei einer unionsrechtlichen Betrachtung sei im Streitfall also die Kapitalertragsteuer rechtswidrig erhoben worden. Der deutsche Gesetzgeber habe gegen Art. 5 durch die Schaffung von § 50d Abs. 3 EStG nicht nur materiell-rechtlich verstoßen, sondern er habe auch die Durchsetzung des Europarechts verfahrensrechtlich massiv erschwert. Dies habe die Klägerin in der Vergangenheit im Hinblick auf ihren Freistellungsantrag selbst erfahren müssen. So habe sie auf ihren Antrag vom 10.12.2009 hin zunächst eine Freistellungsbescheinigung erhalten, diese sei 2011 unter Berufung auf den unionsrechtswidrigen § 50d Abs. 3 EStG jedoch wieder aufgehoben worden. Der rechtswidrige Einbehalt von Kapitalertragsteuer wäre in der Folge unterblieben, hätte der Beklagte die Freistellungsbescheinigung nicht unter Berufung auf eine unionrechtswidrige Vorschrift widerrufen.
16Nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Irimie (18.04.2013, C-565/11) sei eine nationale Regelung unionsrechtswidrig, die die von der Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer zu zahlenden Zinsen auf jene Zinsen beschränke, die ab dem Datum des Erstattungsantrages anfielen. Eine derartige nationale Regelung dürfe im Hinblick auf die Erfordernisse des Effektivitätsgrundsatzes nicht dazu führen, dass einem Steuerpflichtigen eine angemessene Entschädigung für solche Einbußen vorenthalten werde, die er durch eine zu Unrecht gezahlte Steuer erlitten habe. Die Einbußen hingen davon ab, wie lange der zu Unrecht gezahlte Betrag nicht zur Verfügung gestanden habe und entstünden somit grundsätzlich im Zeitraum vom Tag der zu Unrecht geleisteten Zahlung bis zum Tag ihrer Erstattung. Somit sei im Streitfall auf den Zeitpunkt des Einbehalts und nicht auf den Tag, an dem ein vollständiger Erstattungsantrag vorgelegen habe, abzustellen.
17Die Klägerin beantragt,
18den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 22.10.2018 zu verpflichten, den Erstattungsanspruch wegen Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag i.H.v. ... € zu verzinsen.
19Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen,
21hilfsweise einen Zinsbetrag i. H. v. ... € festzusetzen.
22In Anwendung der Grundsätze der BFH-Entscheidung vom 22.9.2019 in der Sache VII R 24/18 beginne der Zinslauf erst ab dem Zeitpunkt, ab dem alle erforderlichen Antragsunterlagen vorgelegen hätten und eine angemessene Bearbeitungszeit von vier Monaten und 10 Tagen abgelaufen sei. Im Streitfall sei in drei Verfahren die Entscheidungsreife bei der ersten Antragstellung erreicht worden, im Verfahren zum Jahr 2011 sei der Antrag erst am 30.08.2013 komplettiert worden.
23Vor diesem Hintergrund seien die Erstattungszinsen hilfsweise wie in der Berechnung, die in der m. V. am 22.09.2021 vorgelegt worden sei, vorgesehen, zu bemessen. Auf Bl. 139 GA wird Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe
251. Die Klage ist als Untätigkeitsklage zulässig.
26Gemäß § 46 FGO ist eine Klage ohne Abschluss eines Vorverfahrens zulässig, wenn die Behörde über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes innerhalb einer angemessenen Frist sachlich nicht entscheidet. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit der Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.
27Im Streitfall hat der Beklagte den Einspruch vom 23.11.2018 bis heute nicht beschieden. Zur Begründung verweist er auf noch nicht abgeschlossene Beratungen der Referatsleiter der Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder zur Frage, wie mit dem in der Rechtsprechung anerkannten Zinsanspruch umzugehen sei. Diese Beratung ist jedoch kein zureichender Grund, um eine Entscheidung über den Einspruch der Klägerin nicht herbeizuführen. Der Abstimmungsprozess der einzelnen Finanzministerien dient ausschließlich innerorganisatorischen Interessen der Verwaltung. Die Klägerin hat auf den Ablauf des Abstimmungsverfahrens keinen Einfluss. Der Umstand, dass sich der Beklagte aufgrund eigener organisatorischer Beschränkungen seit nunmehr mehr als drei Jahren nicht in der Lage sieht, unter Berücksichtigung der ergangenen Rechtsprechung zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und inwieweit der Klägerin ein Zinsanspruch zusteht, kann nicht zulasten der Klägerin gehen.
282. Die Klage ist begründet.
29Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit eine Verzinsung in Gänze abgelehnt wurde.
30Die Klägerin hat einen Verzinsungsanspruch.
31Der Senat hat bereits entschieden, dass ein zu Unrecht nach § 50d Abs. 3 EStG versagter Kapitalertragsteuererstattungsanspruch zu verzinsen ist (vgl. FG Köln vom 30.06.2020, 2 K 140/18, EFG 2021, 117 m. Anm. Bozza-Splitt).
32Nach der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich im Fall von Steuerbeträgen, die unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden sind, ein Anspruch auf Erstattung der erhobenen Beträge zuzüglich Zinsen unmittelbar aus dem Unionsrecht (vgl. EuGH-Urteil vom 18. April 2013, C-565/11, Irimie, HFR 2013, 659; s.a. EuGH-Urteil vom 27. September 2012, C-234/10, Jülich, HFR 2012, 1210; vgl. BFH-Urteil vom 22. September 2015, VII R 32/14, BStBl II 2016, 323).
33So ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine nationale Regelung unionsrechtswidrig, die die bei der Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer zu zahlenden Zinsen auf jene Zinsen beschränkt, die ab dem auf das Datum des Antrags auf Erstattung der Steuer folgenden Tag angefallen sind. Eine derartige nationale Regelung dürfe im Hinblick auf die Erfordernisse des Grundsatzes der Effektivität nicht dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen eine angemessene Entschädigung für die Einbußen, die er durch die zu Unrecht gezahlte Steuer erlitten habe, vorenthalten werde. Die Einbußen hingen u.a. davon ab, wie lange der unter Verstoß gegen das Unionsrecht zu Unrecht gezahlte Betrag nicht zur Verfügung gestanden habe und entstünden somit grundsätzlich im Zeitraum vom Tag der zu Unrecht geleisteten Zahlung der fraglichen Steuer bis zum Tag ihrer Erstattung (vgl. EuGH-Urteil vom 18. April 2013, C-565/11, Irimie, HFR 2013, 659). Der EuGH hat somit grundsätzlich entschieden, dass Zinsen auf unionsrechtswidrig erhobene Steuern für den Zeitraum, in dem die Mittel nicht zur Verfügung stehen, zuzusprechen sind (bestätigt durch EuGH-Urteil vom 24. Oktober 2013, C‑431/12, Rafinăria Steaua Română, HFR 2013, 1163).
34Für den Bereich der Energiesteuerentlastung hat der BFH entschieden, dass der Behörde bei der Prüfung von Anträgen auf Entlastung eine angemessene Bearbeitungszeit zuzubilligen sei (BFH Urteil vom 22. Oktober 2019, VII R 24/18, BFHE 267, 90). Er berief sich hierzu auf die Rechtsprechung des EuGH zum Mehrwertsteuerüberschuss und bemaß die Frist in Ermangelung ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen in Anlehnung an die Art. 19 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG, wonach eine Behörde insgesamt vier Monate und zehn Arbeitstage zur Verfügung stünden, um einen Erstattungsantrag zu bearbeiten und den Erstattungsbetrag auszuzahlen. Der BFH hat in seiner Entscheidung ausdrücklich auf das Urteil des EuGH in der Sache Irimie (a. a. O.) Bezug genommen und den von ihm entschiedenen Fall dahingehend abgegrenzt, dass es bei der Energiesteuervergütung nicht um eine unionsrechtswidrige Erhebung einer Abgabe gegangen sei, sondern um eine unionsrechtswidrige Nichtgewährung einer obligatorischen Steuerbefreiung.
35Die Abgabenordnung sieht im Zusammenhang mit Erstattungsansprüchen indes lediglich einen Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit gemäß § 236 AO vor; Ausnahmen hiervon sind in § 233a AO abschließend normiert und sind im Streitfall nicht einschlägig.
36Angesichts dessen steht der Klägerin ein Anspruch auf Verzinsung zu (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 22. September 2015, VII R 32/14, BStBl II 2016, 323). Die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer wurde zunächst zu Unrecht nicht erstattet. Die zunächst nicht vorgenommene Erstattung basierte auf der Anwendung der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG. Diese Norm verstieß in der seinerzeit geltenden Fassung jedoch gegen EU-Recht, so dass der Klägerin die Erstattung der Kapitalertragsteuer in unionsrechtswidriger Weise zeitweise vorenthalten wurde.
37In Ermangelung einer nationalen Normierung der Verzinsungsmodalitäten ist auf die allgemein gültigen Verzinsungsgrundsätze zurückzugreifen. Hiernach beträgt der Zinssatz für jeden Monat 0,5 Prozent (vgl. § 238 Abs. 1 AO).
38Im Hinblick auf den Beginn des zu verzinsenden Zeitraumes ist zu differenzieren. Soweit die Klägerin das gesetzlich vorgesehene Freistellungsverfahren nicht genutzt hat, ist dem Beklagten vor dem Beginn der Verzinsung ein angemessener Prüfungszeitraum hinsichtlich des Erstattungsantrages zuzubilligen. Soweit die Kapitalertragsteuer jedoch einbehalten wurde, weil ein Freistellungsbescheid aus rechtswidrigen Gründen zurückgenommen wurde, besteht ein Verzinsungsanspruch ab dem Zeitpunkt des Steuereinbehalts.
39Ausgangspunkt des Anspruchs der Klägerin auf Nichterhebung der Kapitalertragsteuer ist Art. 5 Mutter-Tochter-Richtlinie (RL 90/435/EWG vom 9.9.1990 bzw. RL 2011/96/EG vom 18.1.2012). Danach sind die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle befreit. Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie mit § 43b/ § 50d EStG in nationales Recht umgesetzt. Er hat hierbei das Verfahren in der Weise ausgestaltet, dass grundsätzlich ein Steuerabzug zu erfolgen hat und die Kapitalertragsteuer im Nachgang in einem gesonderten Erstattungsverfahren wieder zurückgezahlt wird. Unter besonderen Voraussetzungen kommt gemäß § 50d Abs. 2 auch ein Freistellungsverfahren zur Anwendung (vgl. zum Verfahren: Jachmann/Michel in Brandis/Heuermann, § 43b EStG, Rn. 3 ff.). Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung ist europarechtskonform (vgl. BFH v. 20. Dezember 2006, I R 13/06, DStR 2007, 943).
40Im Streitfall hat die Klägerin im Dezember 2009 eine Freistellungsbescheinigung beantragt und diese auch erhalten, bis diese 2011 unter Berufung auf die nicht mit dem Unionsrecht vereinbare Vorschrift des § 50d Abs. 3EStG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung zurückgenommen wurde. Hätte die Freistellungsbescheinigung Bestand gehabt, wäre es ab dem Zeitpunkt der Erteilung nicht mehr zu einem Kapitalertragsteuerabzug gekommen, sodass unter Berücksichtigung der skizzierten Rechtsprechungsgrundsätze der Klägerin eine angemessene Entschädigung für die aufgrund der einbehaltenen Kapitalertragsteuer erlittenen Einbußen zusteht. Dies betrifft die erstattete Kapitalertragsteuer, die am 16.03.2011 einbehalten wurde. Hier hat die Verzinsung ab dem Zeitpunkt des Steuereinbehalts zu erfolgen. Eine Bearbeitungsfrist nach Stellung des Erstattungsantrages ist nicht zu berücksichtigen, da im Falle der Weitergeltung der Freistellungsbescheinigung ein Kapitalertragsteuerabzug nicht erfolgt wäre und dementsprechend auch ein Erstattungsantrag erst gar nicht hätte gestellt werden müssen.
41Anders sind jedoch die vor dem Zeitpunkt der Ausstellung der Freistellungsbescheinigung erfolgten Steuereinbehalte zu beurteilen. In diesen Fällen sah das mit dem Europarecht vereinbare Verfahren vor, dass von den Kapitalerträgen zunächst die Steuer einzubehalten war und erst in einem anschließenden Erstattungsverfahren wieder ausgekehrt wird. Für diesen Fall sind die Grundsätze des BFH aus seiner Entscheidung vom 22.10.2019 (a. a. O.) heranzuziehen, wonach dem Beklagten ab dem Erstattungsantrag zunächst eine angemessene Bearbeitungszeit zuzugestehen ist und vor diesem Hintergrund der Zinslauf erst mit Ablauf der Bearbeitungszeit beginnt. Im Hinblick auf die Angemessenheit der Bearbeitungszeit teilt das Gericht die Auffassung des BFH, wonach in Ermangelung ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen in Anlehnung an die Art. 19 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG dem Beklagten insgesamt vier Monate und zehn Arbeitstage zur Bearbeitung des Erstattungsantrages zur Verfügung stehen.
42Unter Bezugnahme auf die Berechnungen der Klägerin (vgl. Bl. 50 GA) und des Beklagten (vgl. Bl. 139 GA) ergeben sich somit Zinsansprüche in der Gesamthöhe von: ... €.
43Registernummer |
Zinsen |
AT09... |
... € |
AT11... |
... € |
AT12... |
... € |
AT09... |
... € |
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 709 der Zivilprozessordnung.
454. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob die vom BFH für den Bereich der Energiesteuerentlastung herausgearbeiteten Grundsätze im Hinblick auf den Beginn des Zinslaufs auch auf die Kapitalertragsteuererstattung anzuwenden sind, zugelassen.