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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten im Kern über die Frage, ob nach Ergehen von zwei Einkommensteuerbescheiden (jeweils Einzelveranlagungen gemäß § 26a Einkommensteuergesetz (EStG)) noch eine Zusammenveranlagung der Kläger nach § 26b EStG durchgeführt werden kann.
3Die Kläger waren im Streitjahr unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 EStG. Sie waren verheiratet und nicht dauernd getrennt lebend.
4Nachdem die Kläger für das Streitjahr keine Einkommensteuererklärung(-en) abgegeben hatten, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und erließ am 22. Juli 2019 einen Einkommensteuerbescheid. Der Beklagte führte eine Zusammenveranlagung nach § 26b EStG durch und erließ den Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO).
5Gegen den Bescheid wurde am 22. August 2019 Einspruch eingelegt. Der Beklagte forderte daraufhin mit Schreiben vom 26. August 2019 und 2. Oktober 2019 zur Begründung des Einspruchs auf.
6Am 18. Oktober 2019 ging beim Beklagten ein Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld ein; der Beklagte lehnte den Antrag am 24. Oktober 2019 ab.
7Am 5. November 2019 erfolgte die elektronische Übermittlung von zwei separaten Einkommensteuererklärungen des Klägers und der Klägerin an den Beklagten. Unter Veranlagungsart war jeweils „Einzelveranlagung von Ehegatten/Lebenspartnern“ angegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die in den Steuerakten des Beklagten befindlichen Erklärungen Bezug genommen.
8Im weiteren Verlauf bat der damalige Steuerberater ab sofort den Schriftverkehr unmittelbar an die Mandanten zu übersenden. Unter dem 14. Mai 2020 erörterte der Beklagte den Einspruch -unter Adressierung an die Kläger persönlich- schriftlich. Er kündigte an, den erklärten Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 EStG auf …,- € zu erhöhen. Am 25. Mai 2020 bestellte sich Rechtsanwalt A unter Vorlage einer Vollmacht als Vertreter der Kläger; am 20. Juli 2020 teilte er mit, er sei mit der Erhöhung des Gewinns auf …,- € einverstanden.
9Daraufhin erging am 31. Juli 2020 ein geänderter Einkommensteuerbescheid unter Durchführung einer Zusammenveranlagung gemäß § 26 b EStG. Die Änderung erfolgte ausweislich des Bescheides nach § 164 Abs. 2 AO. Der Bescheid enthielt folgende Erläuterung: „Da Sie einen Wechsel der Veranlagungsart beantragt haben, erfolgt zunächst aus technischen Gründen eine Änderung der bisherigen Schätzungsveranlagung mit den Besteuerungsgrundlagen aufgrund der eingereichten getrennten Veranlagungen. Diese Vorgehensweise ist notwendig, um ein korrekte Zinsberechnung zu gewährleisten. Ihr Antrag ist insoweit noch nicht abschließend bearbeitet. Demnächst erhalten Sie einen Aufhebungsbescheid zur Steuerfestsetzung unter der hier angegebenen Steuernummer und die von Ihnen gewünschte Festsetzung als getrennte Veranlagung unter neuen Steuernummern. Wir bitten insoweit um Ihr Verständnis. Sollten Sie den Antrag im Einspruchsverfahren gestellt haben, bedarf es keines erneuten Einspruchs gegen diesen Bescheid/Abrechnung.“ Beigefügt war die Rechtsbehelfsbelehrung, der Bescheid könne mit dem Einspruch angefochten werden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
10Am 24. August 2020 legten die Kläger, vertreten durch Herrn A, Einspruch gegen den Bescheid vom 31. Juli 2020 ein. Das Schreiben lautet wie folgt:
11„... in der vorbezeichneten Angelegenheit lege ich...Einspruch ein. Die Begründung bleibt einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Da mir die steuerlichen Unterlagen zu dem streitgegenständlichen Bescheid nicht vorliegen werde ich zunächst mit dem bisherigen Steuerberater...Rücksprache nehmen müssen. Der Einspruch ist daher nur fristwahrend...“ Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 24. August 2020 (Einkommensteuerkaten des Beklagten) Bezug genommen.
12Unter dem 28. August 2020 erließ der Beklagte unter Verwendung neuer Steuernummern zwei separate Einkommensteuerbescheide im Wege der Einzelveranlagung. Die Bescheide wiesen nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten, abgesehen von der zuvor einvernehmlich erörterten Erhöhung des Gewinns aus § 15 EStG, keine Differenzen zu den eingereichten Erklärungen auf. Die Bescheide enthielten jeweils die Rechtsmittelbelehrung, dass ein Einspruch möglich sei.
13Ebenfalls unter dem 28. August 2020 erging ein weiterer Bescheid. Dieser ist mit „Aufhebungsbescheid zur Einkommensteuerfestsetzung 2016 vom 22.07.2019“ überschrieben. Der Bescheid lautet wie folgt: „...Die am 22.07.2019 unter der genannten Steuernummer durchgeführte Einkommensteuerfestsetzung 2016 wird hiermit aufgehoben. Hinsichtlich der Abrechnung wird auf die beigefügte Anlage verwiesen...Auf die Erläuterungen im „Bescheid“ vom 31.07.2020 wird verwiesen.“ Der Bescheid enthielt ebenfalls die Rechtsmittelbelehrung, dass ein Einspruch möglich sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheide (Einkommensteuerakten des Beklagten) befindlichen Bezug genommen.
14Mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 erklärte der jetzige Prozessbevollmächtigte „zur Erledigung der Einsprüche“ werde die Zusammenveranlagung beantragt mit der Bitte die Einzelveranlagung aufzuheben und „wie ursprünglich beantragt“ eine Zusammenveranlagung durchzuführen. Beigefügt war eine Erklärung, nach der die Kläger sich mit einer Zusammenveranlagung einverstanden erklären. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 7. Dezember 2020 und die beigefügte Erklärung der Kläger vom 30. November 2020 (Einkommensteuerakten des Beklagten) Bezug genommen.
15Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2021 zum Bescheid vom 31. Juli 2020 verwarf der Beklagte den Einspruch als unzulässig. Hiergegen erhoben die Kläger am 11. März 2021 Klage. Die unter dem Aktenzeichen … anhängige Klage wurde zurückgenommen; das Verfahren wurde eingestellt.
16Am 29. September 2021 erließ der Beklagte einen Ablehnungsbescheid wegen des Antrags auf Zusammenveranlagung vom 7. Dezember 2020. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid (Bl. 13 ff. der elektronischen Gerichtsakte –eGA-) Bezug genommen. Der Beklagte wies den eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2022 als unbegründet zurück. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung (Bl. 6 eGA) Bezug genommen.
17Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vorliegenden Klage.
18Die Kläger tragen vor, es sei durch den erneuten Einspruch gegen den Bescheid vom 31. Juli 2020 für den Beklagten erkennbar gewesen, dass weiterer Vortrag erfolgen und damit weitere Streitpunkte Gegenstand des (ersten) Einspruchsverfahrens sein sollten. Aus diesem Grund habe durch die Bescheide am 28. August 2020 auch keine Vollabhilfe mit Erledigung des Einspruchsverfahrens erfolgen können. Es sei danach weiterhin ein anfechtbarer Bescheid gegeben mit der Folge, dass das Veranlagungswahlrecht fortbestanden habe. Jedenfalls sei auch deswegen weiterhin ein anfechtbarer Bescheid gegeben, weil der Bescheid vom 31. Juli 2020 (Zusammenveranlagung), der Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden sei, noch existent sei. Der Bescheid sei schließlich auch nicht durch die Bescheide über Einkommensteuer im Wege der getrennten Veranlagung ersetzt worden. Damit sei im Ergebnis ein nicht unanfechtbarer Einkommensteuerbescheid gegeben, so dass den Klägern am 7. Dezember 2020 ein Wahlrecht noch zugestanden habe.
19Die Kläger beantragen,
201. den Ablehnungsbescheid vom 22.2.2022 aufzuheben
212. festzustellen, dass das Einspruchsverfahren vom 22.08.2019 nicht durch den Aufhebungsbescheid zur Einkommensteuerfestsetzung 2016 vom 28.08.2020 und den Einkommensteuerbescheiden 2016 vom 28.08.2020 erledigt ist,
223. entsprechend dem Antrag vom 07.12.2020 für 2016 die Zusammenveranlagung durchzuführen
234. festzustellen, dass auch für das außergerichtliche Verfahren die Hinzuziehung eines Bevollmächtigen notwendig war,
245. die Kosten des Verfahren dem Beklagten aufzuerlegen,
256. für den Fall, dass die Klage ganz oder teilweise ohne Erfolg bleibt, die Revision zuzulassen.
26Der Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen
28hilfsweise die Revision zuzulassen.
29Der Beklagte ist der Auffassung der Ablehnungsbescheid sei rechtmäßig. Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung.
30Ergänzend führt er aus, den Klägern stünde kein Anspruch auf erneute Ausübung des Veranlagungswahlrechts zu. Denn durch den Aufhebungsbescheid vom28. August 2020 seien sowohl der Bescheid vom 22. Juli 2019, als auch der Bescheid vom 31. Juli 2020 aufgehoben worden. Die Nennung des falschen Datums sei lediglich ein Begründungsmangel. Denn der ursprüngliche Bescheid vom 22. Juli 2019 sei im Bescheid vom 31. Juli 2020 aufgegangen, so dass im Aufhebungsbescheid nur der Bescheid vom 22. Juli 2019 in Gestalt des Bescheides vom 31. Juli 2020 gemeint gewesen sein könnte. Durch Aufhebung der Bescheide vom 22. Juli 2019 und vom 31. Juli 2020 sei das Einspruchsverfahren erledigt, so dass insoweit kein anfechtbarer Verwaltungsakt mehr gegeben sei.
31Selbst wenn keine Aufhebung sämtlicher Bescheide über die Zusammenveranlagung erfolgt sein sollte, so sei eine Erledigung des Einspruchsverfahrens spätestens im Zeitpunkt des Erlasses der Einkommensteuerbescheide im Wege der Einzelveranlagung, vom 28. August 2020 erfolgt. Denn diese Bescheide hätten dem vorgetragenen Einspruchsbegehren in vollem Umfang entsprochen. Im Ergebnis stünde den Klägern unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Recht auf erneute Ausübung des Wahlrechts zu.
32E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
33I. Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
34II. Das Gericht legt die Anträge der Kläger, die durch einen Steuerberater vertreten sind, dahingehend aus, dass die Kläger beantragen,
351. festzustellen, dass das Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 22. Juli 2019 nicht erledigt ist,
362. den Beklagten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29. Juli 2021 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2022 zu verpflichten, einen Einkommensteuerbescheid 2016 im Wege der Zusammenveranlagung zu erlassen und hierbei die Besteuerungsgrundlagen der im Wege der Einzelveranlagung erlassenen Einkommensteuerbescheide vom 28. August 2020 anzusetzen,
37hilfsweise,
38die Revision zuzulassen.
39Dabei hat das Gericht das Klagebegehren, so wie es sich bei rechtsschutzgewährender Auslegung darstellt, berücksichtigt. Es hat zur Bestimmung des Gegenstandes des Klagebegehrens alle bekannten und erkennbaren Umstände in tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt (BFH, Urteil vom 20. August 2015 – IV R 12/12 –, BFH/NV 2016, 412).
40III. Die so verstandene Klage ist teilweise unzulässig, im Übrigen zulässig und unbegründet.
411. Die Klage ist mit dem Antrag zu 1) unzulässig.
42Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage). Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird (§ 41 (FGO)).
43Die Kläger können schon kein berechtigtes Interesse an einer Feststellung durch das Gericht geltend machen. Das Feststellungsinteresse i.S.d. § 41 Abs. 1 FGO ist eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses. Daraus folgt, dass die Feststellungsklage nicht gegeben ist, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller, einfacher und billiger erreichen kann (st. Rspr. z.B. BFH, Urteil vom10. Februar 1987 – VII R 77/84 –, BFHE 149, 387, BStBl II 1987, 545 und vom11. April 1991 – V R 86/85 –, BFHE 164, 219, BStBl II 1991, 729). Da durch die bloße Feststellung das tatsächliche Ziel -der Erlass eines Bescheides im Wege der Zusammenveranlagung- nicht erreicht werden kann und ein sonstiges Interesse nicht ersichtlich ist, haben die Kläger schon kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.
44Die Unzulässigkeit folgt auch daraus, dass über das tatsächliche Begehren der Kläger nur im Rahmen einer Verpflichtungsklage entschieden werden kann und die Feststellung gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Die Feststellungsklage ist subsidiär zur Anfechtungs-/Verpflichtungsklage; es besteht gemäß § 41 Abs. 2 FGO ein gesetzliches Rangverhältnis von Gestaltungsklage und Feststellungsklage (BFH, Urteil vom 15. Juni 1999 – VII R 3/97 –, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46, Rn. 34). Im Streitfall ist die zur Entscheidung stehende Frage durch die, hier durch die Kläger ebenfalls erhobene, Verpflichtungsklage auf Erlass eines Bescheides im Wege der Zusammenveranlagung nach § 26 b EStG zu klären.
452. Mit dem Antrag zu 2) ist die Klage zulässig aber unbegründet.
46Die Klage ist zulässig; sie ist als Verpflichtungsklage i.S.v. § 40 Abs. 1, 2. Alt. FGO statthaft. Wird eine Änderung der Veranlagungsart beantragt, so ist das Begehren nicht als Anfechtung der Steuerfestsetzung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung in einer bestimmten Veranlagungsart gerichtetes Verpflichtungsbegehren (BFH, Urteil vom 19. Mai 2004 – III R 18/02 –, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980). Auf die Durchführung einer Zusammenveranlagung ist die vorliegende Klage gerichtet, nicht auf die Änderung einer Steuerfestsetzung. Das entsprechende Vorverfahren (§ 44 FGO) wurde erfolglos durchgeführt.
47Die Klage ist unbegründet.
48Die Ablehnung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Zu Recht lehnte der Beklagte den Erlass eines Einkommensteuerbescheides für den Veranlagungszeitraum 2016 unter Durchführung einer Zusammenveranlagung nach § 26 b EStG ab; die Kläger haben keinen Anspruch auf Erlass eines solchen Bescheides.
49Ehegatten werden einzeln veranlagt, wenn einer der Ehegatten die Einzelveranlagung wählt. Ehegatten werden zusammen veranlagt, wenn beide Ehegatten die Zusammenveranlagung wählen. Die Wahl wird für den betreffenden Veranlagungszeitraum durch Angabe in der Steuererklärung getroffen. Die Wahl der Veranlagungsart innerhalb eines Veranlagungszeitraums kann nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids nur noch geändert werden, wenn 1. ein Steuerbescheid, der die Ehegatten betrifft, aufgehoben, geändert oder berichtigt wird und 2. die Änderung der Wahl der Veranlagungsart der zuständigen Finanzbehörde bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Änderungs- oder Berichtigungsbescheids schriftlich oder elektronisch mitgeteilt oder zur Niederschrift erklärt worden ist und 3. der Unterschiedsbetrag aus der Differenz der festgesetzten Einkommensteuer entsprechend der bisher gewählten Veranlagungsart und der festzusetzenden Einkommensteuer, die sich bei einer geänderten Ausübung der Wahl der Veranlagungsarten ergeben würde, positiv ist. Die Einkommensteuer der einzeln veranlagten Ehegatten ist hierbei zusammenzurechnen (§ 26 Abs. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung).
50Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs können Ehegatten ihr Wahlrecht grundsätzlich bis zur Unanfechtbarkeit eines Bescheids (auch mehrfach) ausüben und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Frist grundsätzlich frei widerrufen (z.B. BFH-Urteile vom 3. März.2005 - III R 22/02 - BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690, BFH, und vom 25. September 2014 – III R 5/13 –, BFH/NV 2015, 811 zu § 26b a.F.). Eine wirksame Ausübung oder Änderung des Wahlrechts ist dagegen nach Eintritt der Unanfechtbarkeit nur noch unter den engen Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 Satz 4 EStG möglich.
51Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
52a) Die von den Klägern im Rahmen der Angabe in der Steuererklärung wirksam getroffene Wahl der Veranlagungsart (§ 26 b Abs. 2 Satz 3 EStG) hat der Beklagte mit Erlass der beiden Einkommensteuerbescheide vom 28. August 2020 umgesetzt. Die Kläger haben durch Abgabe von zwei separaten Steuerklärungen und die Angabe „Einzelveranlagung“ unstreitig die Veranlagung nach § 26 a EStG gewählt.
53b) Die getroffene Wahl war am 7. Dezember 2020 nicht mehr änderbar.
54Die den Kläger gegenüber im Wege der Einzelveranlagung ergangenen Einkommensteuerbescheide 2018 vom 28. August 2020 waren im Zeitpunkt des Antrags auf Zusammenveranlagung am 7. Dezember 2020 beide unanfechtbar; gegen die Bescheide wurde nicht innerhalb der Einspruchsfrist (§ 355 AO) Einspruch eingelegt. Die Voraussetzungen des § 26 Abs.2 Satz 4 EStG sind unstreitig nicht gegeben.
55Der Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzungen 2016 vom 28. August 2020 steht der (erste) Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid vom31. Juli 2019 nicht entgegen. Dabei kann sowohl die Entscheidung der Frage, ob der Klägerbevollmächtigte mit seinem erneuten Einspruch vom 24. August 2020 gegen den Bescheid vom 31. Juli 2020 zu erkennen gegeben hat, dass neben den in den Steuererklärungen mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen weitere Streitpunkte bestehen, als auch die Frage, ob der Beklagte mit dem am 28. August 2020 erlassenen „Aufhebungsbescheid zur Einkommensteuerfestsetzung 2016 vom 22.07.2019“ sowohl den Einkommensteuerbescheid vom 22. Juli 2019, als auch den Bescheid vom 31. Juli 2020 wirksam aufgehoben hat, dahinstehen.
56Denn eine Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide vom 28. August 2020 war, unabhängig von der Frage, ob das ursprüngliche Einspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 22.Juli 2019 erledigt war- in jedem Fall gegeben.
57Diesem Ergebnis steht auch § 365 Abs. 3 AO nicht entgegen. Wird der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens (§ 365 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Einkommensteuerbescheide vom 28. August 2018 sind jedoch nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden.
58aa) Die Einkommensteuerbescheide vom 28. August 2020 haben keinen Verwaltungsakt geändert. § 365 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. AO regelt für das Einspruchsverfahren, dass ein (nicht in vollem Umfang) dem Einspruchsbegehren abhelfender Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens wird, der damit unter Hemmung des Eintritts der Bestandskraft nach Maßgabe des § 367 Abs. 2 AO überprüfbar und änderbar bleibt, und zwar auch dann, wenn das Finanzamt fälschlich das Einspruchsverfahren für erledigt erklärt hat (z.B. BFH, Urteil vom 4. November 1981 II R 119/79, BFHE 134, 150, BStBl II 1982, 270). Entspricht hingegen ein außerhalb eines Einspruchsverfahrens ergangener Steuerbescheid nicht dem Begehren des Steuerpflichtigen, so muss der Steuerpflichtige rechtzeitig Einspruch einlegen, wenn er sein Begehren weiterverfolgen will (BFH, Urteil vom 7. November 2006 – VI R 14/05 –, BFHE 215, 61, BStBl II 2007, 236, Rn. 19). Der zunächst von den Klägern angefochtene Zusammenveranlagungsbescheid wurde durch den Erlass der Einzelveranlagungsbescheide nicht geändert (vgl. nur BFH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – VII B 47/15 –, BFH/NV 2016, 1428 m.w.N.); die Wahl der getrennten Veranlagung stellt sich insoweit nicht als Einspruchsbegehren, sondern als mit dem Einspruch verbundene (hier erstmalige) Ausübung des Veranlagungswahlrechts nach § 26 b EStG dar.
59bb) Die am 28. August 2020 erlassenen Einzelveranlagungsbescheide haben den ursprünglich angefochtenen Einkommensteuerbescheid auch nicht im Sinne des § 365 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. AO ersetzt. Zweck des § 365 Abs. 3 AO (und des für das Klageverfahren entsprechenden § 68 FGO) ist es, dem Einspruchsführer bzw. Kläger, gegen den während eines schwebenden Rechtsbehelfs- bzw. Klageverfahrens ein Änderungsbescheid ergangen ist, nach Möglichkeit ein weiteres Verfahren zu ersparen; die Vorschriften dienen insoweit der Vereinfachung und der Prozessökonomie. Es soll verhindert werden, dass das Finanzamt den Steuerpflichtigen durch den Erlass eines Berichtigungsbescheides gegen seinen Willen aus einem anhängigen Verfahren hinausdrängen kann (st. Rspr., z.B. BFH, Urteil vom 20. Mai 1994 – VI R 105/92 –, BFHE 175, 3, BStBl II 1994, 836, m.w.N.). Der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem zur Ersetzung im finanzgerichtlichen Klageverfahren geltenden Vorschrift des § 68 FGO entspricht es deswegen, dass der Begriff der Ersetzung weit auszulegen ist (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 8. September 1994 – IV R 20/93 und vom 20. Mai 1994 –VI R 105/92, a.a.O).
60Auch bei der gebotenen weiten Auslegung ist im Streitfall keine Ersetzung durch die Bescheide über die Einzelveranlagungen gegeben. Die (bisherige) finanzgerichtliche Rechtsprechung (zu § 68 FGO), ging in weiten Teilen davon aus, dass der Erlass von Bescheiden über die getrennte Veranlagung nach Erlass eines Zusammenveranlagungsbescheides eine Änderung oder Ersetzung i. S. von § 68 FGO darstellt (Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Mai 2008 – 11 K 188/04 –, EFG 2008, 1400; FG Düsseldorf, Urteil vom 25. Juni 1996 – 6 K 3526/92 –, EFG 1996, 1075, Finanzgericht München, Urteil vom 20. Februar 2012, EFG 2013, 872-877, a.A. FG Köln Urteil vom 10. September 2021 5 K 2277/19, EFG 2021,138, Rev. anhängig, Az. des BFH: IR 38/20 ). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird der Anwendungsbereich der Norm jedoch begrenzt durch die sachliche Beziehung, die zwischen dem mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt und jenem Verwaltungsakt besteht, der in das Verfahren eingeführt werden soll: beide Verwaltungsakte müssen "dieselbe Steuersache" betreffen (vgl. BFH, Beschluss vom 8. Februar 2017 – III B 66/16 -, BFH/NV 2017, 743 und Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 8.November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219 und vom 25.Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231 zu § 68 a.F., der ein Antragserfordernis beinhaltete). Von einem ersetzenden Verwaltungsakt ist danach zu fordern, dass es in beiden Verwaltungsakten um dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand geht. Die Verwaltungsakte müssen einen, zumindest teilweise, identischen Regelungsbereich haben, damit es zu einem Austausch des Verfahrensgegenstandes kommen kann (BFH, Urteile vom 12. Mai 2016 – II R 17/14 –, BFHE 253, 505, BStBl II 2016, 822 und vom 27. April 2004 - X R 28/02 -, BFH/NV 2004, 1287 und Beschluss vom 16. Dezember 2014 – X B 113/14 –, BFH/NV 2015, 510).
61Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind bei dem im Streitfall vorliegenden Wechsel der Veranlagungsart die Voraussetzungen für eine „Ersetzung“ nicht erfüllt (vgl. auch FG Köln Urteil vom 10. September 2021 5 K 2277/19, a.a.O.). Die Bescheide über die Einzelveranlagung haben keinen mit dem im Wege der Zusammenveranlagung ergangenen Bescheid identischen Regelungsbereich; sie betreffen im Ergebnis einen abweichenden Steuerpflichtigen. Bei Durchführung der Zusammenveranlagung erfolgt gemäß § 26b EStG (nach getrennter Ermittlung der Einkünfte) die steuerliche Behandlung der Eheleute gemeinsam als [ein] Steuerpflichtiger (vgl. § 26b a.E.). Steuerpflichtiger sind danach die Ehegatten gemeinsam. Es wird, nachdem einzelne Besteuerungsgrundlagen getrennt ermittelt wurden, ein einheitlicher Tarif zur Anwendung gebracht und eine einheitliche Steuer gegenüber den Eheleuten festgesetzt (z.B. BFH, Urteil vom 24. Juli 1996 – I R 62/95 –, BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115, m.w.N.); es besteht Gesamtschuldnerschaft. Demgegenüber wird bei Einzelveranlagungen gemäß § 26a EStG für die Eheleute die Einkommensteuer jeweils einzeln und unabhängig voneinander festgesetzt. Es sind zwei Steuerpflichtige gegeben; jeder Ehegatte ist selbständiger Steuerpflichtiger.
62Gegen die Annahme einer Ersetzung spricht ferner, dass nach ständiger Rechtsprechung durch den Wechsel der Veranlagungsart ein neues, selbständiges Veranlagungsverfahren in Gang gesetzt wird. Die nachträgliche Änderung der Veranlagungsart wirkt sich rechtsgestaltend auf die Steuerschuld aus, und zwar rückwirkend auf die Entstehung der Steuer zum Ablauf des Veranlagungszeitraums (st. Rspr., vgl. nur BFH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – VII B 47/15 –, a.a.O., m.w.N.)
63c) Schließlich kommt eine Durchbrechung der Bestandskraft der Bescheide vom28. August 2020 im Streitfall nicht in Betracht. Im Streitfall sind beide Ehegatten wie ausgeführt, mit unangefochtenen Bescheiden (einzeln) zur Einkommensteuer für das Jahr 2016 veranlagt worden.
64Die geänderte Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts stellt für sich genommen keine verfahrensrechtliche Grundlage für eine Änderung von Bescheiden dar (BFH, Urteil vom 9. Dezember 2015 – X R 56/13 –, BFHE 252, 241, BStBl II 2016, 967). Im Streitfall greift auch keine Korrekturvorschrift der Abgabenordnung, die die Durchbrechung der Bestandskraft erlauben würde.
65Die Voraussetzungen der Vorschriften des § 129 AO und § 172 Abs.1 Nr.2 a AO sind offensichtlich nicht erfüllt. Auch liegen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor, da dem Beklagten keine neuen Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind. Die erstmalige oder geänderte Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts (Gestaltungsrechts) ist keine Tatsache, sondern eine Verfahrenshandlung (BFH, Urteil vom 13. Juni 1989 – VIII R 174/85 –, BFHE 157, 196, BStBl II 1989, 789, FG Hamburg, Urteil vom 1. Oktober 2020 – 6 K 188/18 –, juris).
66Ferner kann die Berichtigungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht angewendet werden, weil im Streitfall nicht eine ''unvollkommene'' Bestandskraft dergestalt vorliegt, dass ein Ehegatte hinsichtlich seines (noch nicht bestandskräftigen) Bescheides die Wahl der Veranlagungsart geändert hätte und diesem Ereignis steuerliche Wirkung für den Steueranspruch des anderen Ehegatten hätten (vgl. z.B. FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 1. August 2013 – 2 K 279/12 –, juris). Denn die Wahl einer bestimmten Veranlagungsart oder deren Änderung ist kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn beide Ehegatten für den betreffenden Veranlagungszeitraum bestandskräftig zur Einkommensteuer veranlagt sind (BFH, Urteil vom 25. September 2014 – III R 5/13 –, BFH/NV 2015, 811, FG Münster, Urteil vom 22. Mai 2015 – 6 K 2928/12 E –, juris).
67Schließlich kommt eine Änderung nach § 174 Abs.1 AO nicht in Betracht. Dabei kommt es auch hier nicht darauf an, ob der Einkommensteuerbescheid vom 31. Juli 2020 wirksam aufgehoben oder im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 28. August 2020 noch existent war. Soweit einander widerstreitende Steuerfestsetzungen im Sinne des § 174 AO gegeben wären, wäre allenfalls der Bescheid über die Zusammenveranlagung nach § 174 Abs. 1 AO aufzuheben; die Bescheide vom 28. August 2020 entsprachen der zu diesem Zeitpunkt ausgeübten Wahl der Kläger.
68IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.