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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Abrechnungsbescheids zur Einkommensteuer 2004 sowie einer (durch Urteil) geänderten Einkommensteuerfestsetzung 2004 im Wesentlichen über die Frage, ob Zahlungsverjährung eingetreten ist und/oder ob ein geänderter Einkommensteuerbescheid 2004 (noch) ergehen durfte.
3Der einzeln zur Einkommensteuer veranlagte Kläger erzielte im Streitjahr gewerbliche Einkünfte. Er ist deutscher Staatsbürger und besitzt nach Aktenlage seit 2015 ferner die schweizerische (eidgenössische) Staatsangehörigkeit. Seit 2007 hat er seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz. Im November 2005 erging zum Streitjahr 2004 ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) stehender Erstbescheid. Im Anschluss an eine Betriebsprüfung erließ der Beklagte unter dem 3. August 2010 einen Änderungsbescheid (mit Aufrechterhaltung des VdN), welcher insbesondere erhöhte Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Besteuerung zugrunde legte. Der Bescheid wies eine festgesetzte Einkommensteuer von ... € und nach Anrechnung von Lohnsteuer (... €) und bereits bei der Erstveranlagung gezahlter Einkommensteuer (... €) einen Zahlbetrag von ... € (zzgl. Zinsen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag – SolZ) aus.
4Die weiteren Abläufe im Festsetzungsverfahren stellen sich wie folgt dar:
5Nach einem fristgerecht gegen den Änderungsbescheid vom 3. August 2010 erhobenen Einspruch erließ der Beklagte unter dem 9. Februar 2011 eine Einspruchsentscheidung, in welcher der Einspruch zum Streitjahr und auch weitere Einsprüche (anderer Veranlagungszeiträume) als unbegründet zurückgewiesen wurden. Die Einspruchsentscheidung hob den VdN auf. Die Rechtsbehelfsakte des Beklagten enthält vor der Einspruchsentscheidung „Anlagen zur Einkommensteuer“ mit den identischen Angaben gemäß Bescheid vom 3. August 2010 aufgrund einer lediglich intern (aus technischen Gründen) verfügten „VdN-Aufhebung“ (Ausdruck mit Dateneingabe abgeheftet; die Anlagen sind jeweils durchgestrichen und mit dem Vermerk „nicht versandt“ versehen).
6In der Folgezeit führte der Kläger vor dem erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen 15 K .../11 ein Klageverfahren u.a. zur hier streitgegenständlichen Einkommensteuer 2004. Die Akten des Verfahrens hat das Gericht beigezogen. Mit Urteil vom 29. November 2016, am Sitzungstag mit dem Tenor in öffentlicher Sitzung verkündet und vollständig abgefasst dem Beklagten am 2. Januar 2017 und der Klägerbevollmächtigten am 3. Januar 2017 zugestellt, gab der erkennende Senat der Klage teilweise statt.
7Der Tenor lautete:
8„Der Einkommensteuerbescheid 2004 vom 3. August 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2011 wird dahingehend geändert, dass die Einkünfte aus § 15 EStG um ... € vermindert werden.
9Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner dem Kläger das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und den Bescheid mit geändertem Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekanntzugeben.
10Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 77 % und der Beklagte zu 23 %.
11Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers vorläufig vollstreckbar.“
12Gegen das Urteil legte der Kläger am 31. Januar 2017 Nichtzulassungsbeschwerde ein (Az. Bundesfinanzhof – BFH – I B .../17), welche der BFH mit Beschluss vom 25. April 2018 als unbegründet zurückwies. Eine hiergegen vom Kläger erhobene Anhörungsrüge (Az. BFH I S .../18) wies der BFH mit Beschluss vom 27. November 2018 ebenfalls als unbegründet zurück. Eine später vom Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde (Az. Bundesverfassungsgericht – BVerfG – 2 BvR .../19) nahm das BVerfG mit Beschluss vom 4. Dezember 2019 nicht zur Entscheidung an.
13Unter dem 14. Februar 2020 (Blatt – Bl. – 14 ff. der elektronischen Gerichtsakte – eGA) erließ der Beklagte daraufhin den hier streitgegenständlichen Bescheid, den er auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 132 AO stützte und in den Erläuterungen anführte, dass dieser Bescheid auf Grundlage des Urteils des Finanzgerichts (FG) Köln vom 29. November 2016 (Az. 15 K .../11) ergehe. Die Festsetzung wurde von zuvor ... € um ... € auf nunmehr ... € verringert, die angerechnete Lohnsteuer (... €) und die abgerechnete Einkommensteuerzahlung (... €) blieben gleich. Trotz Verminderung der festgesetzten Einkommensteuer führte dies zu keinem Erstattungsanspruch des Klägers, weil auch nach der niedrigeren Festsetzung noch ein Betrag von ... € (Zahllast Einkommensteuer; zzgl. Zinsen und SolZ) verblieb. Dies beruht auf dem Umstand, dass der im Bescheid vom 3. August 2010 fällig gestellte Betrag unstreitig zu keinem Zeitpunkt vom Kläger gezahlt worden ist. Der Bescheid vom 14. Februar 2020 wies deshalb im Leistungsgebot („Bitte zahlen sie sofort“) neben der noch zu zahlenden Einkommensteuer auch ganz erhebliche Säumniszuschläge zur Einkommensteuer (i.H.v. ... €; Summe aus Einkommensteuer und Säumniszuschlägen: ... €) sowie Zinsen und SolZ (einschl. diesbezüglicher Säumniszuschläge) aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
14Die Abläufe im Erhebungsverfahren stellen sich wie folgt dar:
15Der Einkommensteuerbescheid 2004 vom 3. August 2010 wies eine zum 6. September 2010 fällige Einkommensteuer von ... € (zzgl. Zinsen und SolZ) aus, die am 20. September 2010 laut Erhebungskonto angemahnt wurde (Bl. 118 eGA). Eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) jenes Betrags ist nicht aktenkundig und wird auch vom Beklagten nicht behauptet (vgl. Seite 2 der Einspruchsentscheidung vom 22. März 2022: „Die mit Bescheid vom 03.08.2010 angeforderten Beträge wurde nicht von der Vollziehung ausgesetzt.“).
16Mit Schreiben vom 30. November 2010 wandte sich der Beklagte an das Hauptzollamt (HZA) A, das zentral für das Zoll-IT-Verfahren „BENGALI“ zuständig ist. BENGALI steht für „Bundeseinheitliche Grenzausschreibungsliste (Vollstreckung)“. Wird eine Person bei einer Grenzkontrolle aufgegriffen und werden dann im IT-Verfahren vermerkte Steuerschulden genannt, wird an Ort und Stelle ein Vollstreckungsversuch unternommen. In dem Schreiben benannte der Beklagte seinerzeit fällige Steuerschulden i.H.v. ca. ... €, hierunter auch die hier streitige Einkommensteuer 2004. Als „Zeitpunkt der Verjährung“ wurde vom Beklagten dort der 31. Dezember 2015 angegeben.
17Die am 9. Februar 2011 erlassene Einspruchsentscheidung enthielt, da die Festsetzungen nicht verändert wurden, keine Zahlungsaufforderung.
18Mit verwaltungsinternem Schreiben vom 12. Mai 2011 genehmigte die Oberfinanzdirektion (OFD) B eine vom Beklagten vorgeschlagene „Niederschlagung mit Überwachung der Zahlungsverjährung“. Die Niederschlagung begründete der Beklagte mit dem Umzug des Klägers in die Schweiz, fehlendem inländischen Vermögen, erfolglosen Vollstreckungsversuchen und einem fehlenden Rechtshilfe-/Vollstreckungshilfeabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz.
19In der Erhebungsakte ist ein vom 18. Dezember 2015 datierendes Schreiben des Beklagten an die Erhebungsstelle des Finanzamts (FA) C (ohne Anlage) abgeheftet, in welchem dem FA C aufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit des Vollziehungsbeamten des Beklagten ein Vollstreckungsauftrag erteilt wird. Nach außen hin getroffene Maßnahmen sind nicht ersichtlich und werden auch vom Beklagten nicht vorgetragen.
20Mit automatisiertem Schreiben des HZA A vom 11. Januar 2016 teilte dieses mit, dass das Amtshilfeersuchen als erledigt angesehen werde. Die Grenzausschreibung sei erfolglos verlaufen und es sei entsprechend der damaligen Mitteilung des Beklagten Verjährung eingetreten. Im Januar 2016 stellte der Beklagte beim HZA A ein (erneutes) Amtshilfeersuchen im IT-Verfahren BENGALI.
21Während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens 15 K .../11 kam es zum laufenden Austausch von Schriftsätzen u.a. zur hier angefochtenen Festsetzung der Einkommensteuer 2004. Das Erhebungsverfahren ist in diesem Zusammenhang von den Beteiligten nicht thematisiert worden. Zahlungsaufforderungen (o.ä.) während des Klageverfahrens und während der vor dem BFH und BVerfG geführten Verfahren sind nicht feststellbar und werden vom Beklagten auch nicht vorgetragen. Im zweiten Halbjahr 2017 korrespondierten die Bevollmächtigte des Klägers mit dem Beklagten bzgl. einer klägerseits begehrten „außergerichtlichen Schuldenbereinigung“. Diese wurde vom Beklagten abgelehnt. Die Prozessbevollmächtigte führt in diesem Zusammenhang auch an, dass sie keine Empfangsvollmacht für Mitteilungen im Erhebungsverfahren habe. Im Nachgang zum Bescheid vom 14. Februar 2020 führte die Erhebungsstelle des Beklagten im Jahre 2020 ein „Kontenabrufverfahren“ durch und pfändete erstmals im Dezember 2020 inländische Renteneinkünfte des Klägers.
22Die Erhebungsakten enthalten ferner diversen Schriftverkehr (zwischen März 2008 bis April 2020) zu einem vom Beklagten betriebenen „Passentzugsverfahren“. Im März 2008 beantragte der Beklagte erstmals beim Auswärtigen Amt einen Passentzug nach § 7 Abs. 1 Nr. 4, § 8 Passgesetz (PassG – „Passbewerber/-inhaber will sich seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen“). In der Folgezeit gab es mehrfache Korrespondenz zwischen dem Beklagten und dem Auswärtigen Amt bzw. der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in D (Schweiz). Mit Schreiben vom 22. August 2011 teilte der Beklagte mit, das Passentzugsverfahren erscheine derzeit als einzige Maßnahme, die einen gewissen Druck auf den Kläger (Vollstreckungsschuldner) auszuüben vermöge. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 teilte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in D mit, dass die Rechtsvertreter des Klägers der Botschaft umfangreiches Material übersandt hätten und zweifelhaft sei, ob ein „Steuerfluchtwille“ maßgeblich für die Wohnsitznahme in der Schweiz gewesen sei. Mit Schreiben der Botschaft vom 10. Dezember 2013 fragte diese den Sachstand zu Zahlungen und zu Rechtsbehelfsverfahren bzgl. der vom Beklagten benannten Steuerforderungen an. Der Beklagte antwortete mit Schreiben vom 10. Januar 2014, dass seit Ende 2010 keinerlei Zahlungen geleistet worden seien, keine laufenden Gespräche stattfänden und ein Klageverfahren vor dem Finanzgericht noch nicht abgeschlossen sei. Die benannten rückständigen Forderungen seien nicht von der Vollziehung ausgesetzt und daher vollstreckbar. Im März 2014 wurde vermerkt, dass die Botschaft mitgeteilt habe, ein Passentzug wegen der im Moment nicht bestandskräftig festgesetzten Rückstände komme nicht in Betracht und der Ausgang des Klageverfahrens sei abzuwarten. Mit Schreiben der Botschaft vom 12. Mai 2014 wurde dies dem Beklagten schriftlich mitgeteilt. Hierin verwies die Botschaft auf ein beigefügtes (in den Steuerakten befindliches) Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten, datierend vom 8. Mai 2014, an die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in D, in welchem der Sachstand geschildert und auf das anhängige Finanzgerichtsverfahren verwiesen wurde. Die Voraussetzungen für passbeschränkende Maßnahmen seien nach Meinung der Prozessbevollmächtigten vorliegend nicht gegeben, da der Kläger „sich seinen steuerlichen Verpflichtungen – wenn sie dann rechtskräftig festgestellt sind – durch seinen Auslandsaufenthalt nicht auf Dauer entziehen will“. Der Kläger sei seit 2008 „fester Bestandteil des Schweizer Wirtschaftslebens“ und der Besitz des Reisepasses sei für ihn aus geschäftlichen Gründen für die nötigen Reisetätigkeiten existenziell notwendig. Der Beklagte entgegnete der Botschaft mit Schreiben vom 28. Mai 2014, dass sich die inländische Steuerschuld auf ... € belaufe und die Steuerbescheide vollstreckbar und nicht offensichtlich rechtswidrig seien. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen über Schweizer Behörden seien dem Beklagten mangels gesetzlicher Grundlagen und eines Rechts- und Amtshilfeabkommens in Steuersachen verwehrt und lediglich der Passentzug vermöge eine Vereitelung des Steueranspruchs zu verhindern. Der Kläger habe mit seinem Umzug zum 1. Januar 2007 seinen zuvor inländischen (in Deutschland belegenen) Besitz in die Schweiz verbracht, wodurch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Inland (Deutschland) nicht mehr realisierbar seien. Der Kläger und auch sein Rechtsbeistand seien weder mit dem Beklagten zwecks Regulierung der Steuerschulden in Verbindung getreten noch habe der Kläger erkennen lassen, sich seinen Verpflichtungen stellen zu wollen. Das Klageverfahren sei noch anhängig. In der Zeit zwischen April 2017 und April 2020 korrespondierte der Beklagte zudem mehrfach mit der Botschaft. Das Passentzugsverfahren blieb erfolglos.
23Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Erhebungsakten verwiesen.
24Die weiteren Abläufe nach Bekanntgabe des Bescheids vom 14. Februar 2020 stellen sich wie folgt dar:
25Gegen den Bescheid legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und trug vor, dass dieser rechtswidrig sei. Es sei Zahlungsverjährung eingetreten und zahlungsverjährte Steuern dürften nicht mehr festgesetzt werden. Mit Einspruchsentscheidung vom 22. März 2022 (Bl. 19 ff. eGA) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte an, dass der Bescheid das Urteil des FG Köln vom 29. November 2016 zutreffend umsetze. Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten. Zahlungsverjährung sei nicht eingetreten und im Übrigen auch für das Festsetzungsverfahren nicht entscheidungserheblich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.
26Am gleichen Tage (22. März 2022) erteilte der Beklagte dem Kläger ferner einen – hier ebenso streitgegenständlichen – Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zur Einkommensteuer 2004 nebst Zuschlagsteuern und Nebenleistungen (Bl. 58 ff. eGA). Der Abrechnungsbescheid führt eine weiterhin offene (zu zahlende) Einkommensteuer von ... € (zzgl. Zinsen und SolZ) auf. Zahlungsverjährung nach § 228 AO sei – so der Beklagte – nicht eingetreten. Zur Begründung führte er im Wesentlichen unter Verweis auf BFH-Rechtsprechung (Az. VII R 68/11 und VII R 18/18) an, dass bei geänderter Steuerfestsetzung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen sei, ohne dass bis dahin ggf. abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen dem entgegenstünden. Wegen der weiteren Einzelheiten (auch zu Zuschlagssteuern, Zinsen und Säumniszuschlägen) wird auf den Abrechnungsbescheid verwiesen.
27Einem gegen den Abrechnungsbescheid fristgerecht erhobenen Einspruch gab der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 23. September 2022 (Bl. 64 ff. eGA) insoweit statt, als er die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer mit ... € (anstatt bisher ... €) ansetzte. In gleicher Weise verminderte er die Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag. Zur Begründung führte er an, dass für einen Zeitraum zwischen dem 3. Januar 2017 (Tag nach Zustellung des Urteils des FG Köln im Verfahren 15 K .../11) bis zur „letztendlichen Umsetzung des Urteils“ mit Bescheid vom 14. Februar 2020 für den Minderungsbetrag die Voraussetzungen einer sog. zinsfreien technischen Stundung (Verrechnungsstundung) gegeben seien. Für den Zeitraum vom 6. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 seien hingegen die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 2004 (basierend auf einer abgerundeten Zahllast von seinerzeit ... €) nicht (technisch) zu stunden und auch nicht zahlungsverjährt. Gleiches gelte für die weiterhin offene Einkommensteuer von (abgerundet) ... €, für welche ferner Säumniszuschläge in der Zeit vom 6. März 2020 bis zum 5. April 2022 verwirkt seien. Der Betrag von ... € (Zahllast Einkommensteuer laut Bescheid vom 14. Februar 2020) sei – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht zahlungsverjährt. Nach den vom BFH im Urteil VII R 18/18 aufgestellten Grundsätzen beginne durch den Erlass eines Änderungsbescheids eine neue fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist zu laufen. Der BFH habe auch eine Teilverjährung abgelehnt. Die im BFH-Fall gewährte AdV sei nicht entscheidungserheblich gewesen, weil die AdV nach übereinstimmender Auffassung des vorinstanzlichen FG München und des BFH bereits einen Monat nach Erlass der dortigen Änderungsbescheide vom 21. Dezember 2007 (d.h. im Januar 2008) beendet gewesen sei und Zahlungsverjährung damit grundsätzlich zum Ablauf des 31. Dezember 2013 (Fristberechnung: 31. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2013) eingetreten sei. Gleichwohl habe der BFH (für das Jahr 2014) keine Zahlungsverjährung angenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten und Begründung sowie Berechnung (auch zum SolZ) wird auf die Einspruchsentscheidung (insgesamt ausgewiesene fällige Steuern und Nebenleistungen zur Einkommensteuer 2004: ... €) verwiesen.
28Die gegen den Abrechnungsbescheid (in Gestalt der Einspruchsentscheidung) erhobene fristgerechte Klage ist im Wege der Klageerweiterung mit dem bereits zuvor anhängigen Klageverfahren zur Einkommensteuerfestsetzung verbunden worden.
29Zum Abrechnungsbescheid führt der Kläger an, dass dieser rechtsfehlerhaft sei. Es sei Zahlungsverjährung für sämtliche dort ausgewiesenen Steuern und Nebenleistungen eingetreten. Aufgrund der Einspruchsentscheidung des Beklagten (zum Änderungsbescheid nach der Betriebsprüfung) vom 9. Februar 2011 habe die fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist (spätestens) mit Ablauf des 31. Dezember 2011 begonnen und (spätestens) mit Ablauf des 31. Dezember 2016 geendet. Die Erhebung der Klage habe zwar die Festsetzungsverjährung durch Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 3a AO gehemmt, nicht aber die Zahlungsverjährung. Der Beklagte habe auch keinen Tatbestand zur Unterbrechung der Verjährung gem. § 231 AO verwirklicht. Insbesondere stellten Stellungnahmen und Anträge der Finanzbehörde im Finanzgerichtsverfahren keinen Unterbrechungstatbestand dar. Der Anspruch sei daher (spätestens) mit Ablauf des 31. Dezember 2016 gem. §§ 47, 232 AO erloschen und könne auch nicht durch eine wiederholte Änderung der Festsetzung wiederaufleben. Das vom Beklagten angeführte BFH-Urteil VII R 18/18 sei auf den Streitfall nicht anwendbar, da im BFH-Fall eine AdV gewährt worden sei, die zu einer Unterbrechung der Zahlungsverjährung gem. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geführt habe. Der BFH habe im Urteil VII R 18/18 klargestellt, dass seine Entscheidung als „Bestätigung der Rechtsprechung“ zu verstehen sei. Der BFH habe jedoch bereits mit Urteil VII R 33/06 (und weiteren Urteilen) in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass zahlungsverjährte Ansprüche einen Rücknahmebescheid hinderten. Gleiches gelte auch für die Änderung des Einkommensteuerbescheids (nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 171 Abs. 3a Satz 3 AO). Die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass der Ausweis einer Abschlusszahlung in einer Anrechnungsverfügung einen „neuen“ Anspruch begründe, sei falsch. Der BFH habe im Urteil VII R 68/11 zwar ausgeführt, dass bei geänderter Festsetzung der Einkommensteuer im Umfang dieser Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen sei und dass hier bereits abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen dem nicht entgegenstünden. Der BFH habe dies aber aus der in § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG; in der seinerzeit geltenden Fassung; heute § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) hergestellten Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren gefolgert. In diesen Fällen sehe der BFH eine dem Grundlagenbescheid ähnliche Wirkung. Der BFH habe indes in seinen bisherigen Entscheidungen nicht festgestellt, dass eine Änderung des Einkommensteuerbescheids die Zahlungsverjährung sämtlicher Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis überlagere. Vielmehr habe der BFH entschieden, dass die Änderung eines Einkommensteuerbescheids oder eines Steuerverwaltungsakts dann rechtswidrig sei, wenn zum Zeitpunkt des Änderungsbescheids Zahlungsverjährung eingetreten sei, selbst wenn nach den Vorschriften des Festsetzungsverfahrens eine Änderung der Steuerfestsetzung noch möglich sei.
30Bei mehrfach geänderten Steuerfestsetzungen müsse der Anspruch vielmehr– richtigerweise – nach den einzelnen Steuerzahlungsansprüchen aufgeschlüsselt werden, soweit sie unterschiedlichen Verjährungsfristen unterlägen. Dies werde in der Kommentarliteratur auch so vertreten, da es andernfalls nie zu einer in § 231 Abs. 4 AO vom Gesetz vorgesehenen Teilverjährung kommen könne. Der BFH habe – entgegen der Ansicht des Beklagten – seine ständige Rechtsprechung nicht durch das Urteil VII R 18/18 geändert. Der BFH führe dort aus, dass die Anrechnungsverfügung der geänderten Steuerfestsetzung anzupassen sei und dies innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist des § 228 AO zu geschehen habe, die mit Bekanntgabe des Steueränderungsbescheids in Lauf gesetzt werde. Wenn schon eine Anpassung der Anrechnungsverfügung nur innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist erfolgen könne, könne erst recht eine neuerliche Änderung des Steuerbescheids selbst nur innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist erfolgen, es sei denn, es werde ein höherer Steueranspruch festgesetzt, der noch nicht erloschen sei.
31Auch wenn im Regelfall die Zahlungsverjährung später als Festsetzungsverjährung eintrete, könne es ausnahmsweise – wie im vorliegenden Fall – dazu kommen, dass Zahlungsverjährung vor Festsetzungsverjährung eintrete, sofern der Steuerpflichtige die mit dem beigefügten Leistungsgebot angefochtene Steuer nicht entrichtet habe und (lediglich) der Ablauf der Festsetzungsfrist, nicht aber die Zahlungsverjährung durch einen der Tatbestände des § 171 AO gehemmt worden sei. Anders seien Fälle gelagert, in denen eine Änderung der Steuerfestsetzung, beispielsweise wegen eines Grundlagenbescheids, zur Steuernachzahlung führten. In Höhe des durch die Korrekturvorschrift eröffneten Änderungsrahmens sei dann auch eine Nachforderung möglich, aber nicht für andere Beträge. Aus § 231 Abs. 4 AO ergebe sich, dass darüber hinaus gehende Änderungen unzulässig seien, sofern kein Unterbrechungstatbestand erfüllt sei. Hier sei der Zahlungsanspruch bereits (spätestens) mit Ablauf des 31. Dezember 2016 erloschen. Durch das neuerliche Leistungsgebot im Bescheid vom 14. Februar 2020 könne der Lauf der Zahlungsverjährungsfrist nicht erneut in Gang gesetzt werden. Dem widerspreche auch nicht § 171 Abs. 3a Satz 3 AO, denn die Ablaufhemmung zur Festsetzungsverjährung wirke nach der im Streitfall geltenden Rechtslage nicht zugleich hemmend auf die Zahlungsverjährung. Wolle die Finanzbehörde verhindern, dass ein bereits festgesetzter Steueranspruch (Zahlungsanspruch) während eines Rechtsbehelfs-/Rechtsmittelverfahrens verjähre, müsse es die Zahlungsverjährung durch eine der in § 231 AO genannten Maßnahmen unterbrechen.
32Die mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2022 (Bundesgesetzblatt I 2022, 2294) eingefügten Regelungen in § 229 Abs. 1 Satz 3 AO n.F. sowie § 230 Abs. 2 AO n.F. seien auf den Streitfall nicht anwendbar. Der Gesetzgeber habe keine rückwirkende Geltung angeordnet. Die Regelung gelte gem. Art. 97 § 14 Abs. 6 EGAO für alle am 21. Dezember 2022 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen. Hier sei aber – wie dargelegt – bereits zuvor (nach Klägerauffassung mit Ablauf des 31. Dezember 2016) Zahlungsverjährung eingetreten. Würde man die Regelung rückwirkend anwenden, wäre dies jedenfalls verfassungswidrig (wird i.E. näher dargelegt).
33Da die Einkommensteuernachforderung 2004 (spätestens) mit Ablauf des 31. Dezember 2016 durch Zahlungsverjährung erloschen sei, könnten ab dem 1. Januar 2017 auch keine Säumniszuschläge entstanden sein. Die Zahlungsverjährungsfrist für die – von Gesetzes wegen entstehenden und keiner Festsetzung bedürfenden – Säumniszuschläge habe spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2016 (gesetzliche Entstehung der Säumniszuschläge bis zur Zahlungsverjährung des Steueranspruchs) begonnen und damit mit Ablauf des 31. Dezember 2021 geendet. Bei Ergehen des Abrechnungsbescheids am 22. März 2022 seien indes auch jene Säumniszuschläge bereits zahlungsverjährt.
34Da im Streitfall Zahlungsverjährung eingetreten sei, hätte auch kein geänderter Steuerbescheid (am 14. Februar 2020 in Umsetzung des FG-Urteils vom 29. November 2016; Umsetzungsbescheid nach § 100 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO) mehr erlassen werden dürfen. Der BFH habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Änderung eines Einkommensteuerbescheids oder eines Steuerverwaltungsakts insoweit rechtswidrig sei, als Zahlungsverjährung eingetreten sei, selbst wenn nach den Vorschriften des Festsetzungsverfahrens eine Änderung der Steuerfestsetzung noch möglich wäre. Da die Zahlungsverjährung rechtsbeendend wirke, müsse sie in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen geprüft werden, und zwar auch im Festsetzungsverfahren (Verweis auf BFH-Urteil VII R 33/01 sowie Kommentarliteratur). Der gleichwohl erfolgte Erlass des Bescheids habe dies nicht beachtet und der Kläger habe – entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung – hiergegen zulässigerweise Einspruch und später Klage erhoben.
35Der Kläger beantragt,
361. den Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 2004 vom 22. März 2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. September 2022 dahingehend zu ändern, dass die fällige Einkommensteuer 2004 und sämtliche Zuschlagssteuern und Nebenleistungen sowie Säumniszuschläge mit 0 € ausgewiesen werden,
372. das Verfahren wegen der geänderten Einkommensteuerfestsetzung 2004 zur gesonderten Entscheidung abzutrennen und das abgetrennte Verfahren nach § 74 FGO bis zur Erledigung des Rechtsstreits gegen den Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 2004 auszusetzen,
38hilfsweise, den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. Februar 2020 nebst Einspruchsentscheidung vom 22. März 2022 aufzuheben,
393. im Falle des vollständigen oder teilweisen Unterliegens die Revision zuzulassen.
40Der Beklagte beantragt,
41die Klage abzuweisen,
42hilfsweise, die Revision zuzulassen.
43Zur Klage gegen den Abrechnungsbescheid und zur Zahlungsverjährung führt der Beklagte wiederholend und vertiefend an, dass sich der hier vorliegende Sachverhalt mit dem im BFH-Verfahren VII R 18/18 decke. Auch dort seien Einkommensteuern vermindert worden. Nach dortigem Erlass der Änderungsbescheide vom 21. Dezember 2007 (und Fälligkeit im Januar 2008, Anm. des Gerichts) habe die dortige Zahlungsverjährungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2008 begonnen und folglich mit Ablauf des 31. Dezember 2013 geendet. Die dortigen (weiteren) Änderungsbescheide vom 21. Oktober 2014 seien bei dieser Betrachtung mehr als fünf Jahre nach dem grundsätzlichen Zahlungsverjährungsbeginn und damit nach Zahlungsverjährung erlassen worden. Gleichwohl habe der BFH entschieden, dass der Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist für die sich aus den Änderungsbescheiden vom 21. Dezember 2007 ergebenden Abschlusszahlungen dem sich aus den Änderungsbescheiden vom 21. Oktober 2014 jeweils ergebenden Steueranspruch auf Entrichtung der Abschlusszahlung nicht entgegenstehe. Unter Verweis auf das BFH-Urteil VII R 68/11 habe der BFH herausgestellt, dass in Fällen, in denen mit einem Steuerbescheid die Festsetzung der Einkommensteuer geändert werde, im Umfang dieser Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen sei, ohne dass bis dahin ggf. abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis dem entgegenstünden. Durch den Änderungsbescheid verliere der geänderte Bescheid in vollem Umfang seine Wirkung und eine Teilverjährung komme laut BFH für den einheitlichen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis auch bei mehrfach geänderten Steuerfestsetzungen nicht in Betracht. Der Änderungsbescheid bewirke vielmehr für den gesamten hiernach ausstehenden Steuerbetrag eine (neue) Zahlungsverjährung. Dem stehe auch § 231 Abs. 4 AO nicht entgegen, da diese Norm die Verjährungsunterbrechung der Höhe nach aufgrund einer bestimmten Unterbrechungshandlung betreffe. Um eine solche Unterbrechungshandlung gehe es im BFH-Verfahren VII R 18/18 – wie auch das FG München als Vorinstanz und der BFH zum dortigen Fall zutreffend ausgeführt hätten – nicht. Gleiches gelte für den Streitfall.
44Zu den Säumniszuschlägen führt der Beklagte an, dass auch die für die Zeit vom 6. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 entstandenen Säumniszuschläge nicht zahlungsverjährt seien. Für diese Säumniszuschläge gelte eine Zahlungsverjährungsfrist vom Ablauf des 31. Dezember 2015 (Ablauf des Jahres der Entstehung der Säumniszuschläge 2015) bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 (Ablauf der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist) bzw. 31. Dezember 2016 bis 31. Dezember 2021 (für Säumniszuschläge 2016). Mit dem Abrechnungsteil des Einkommensteuerbescheids vom 14. Februar 2020 seien dem Kläger die Säumniszuschläge mitgeteilt und angefordert worden, damit sei die Zahlungsverjährung unterbrochen worden und habe neu begonnen. Im Abrechnungsbescheid vom 22. März 2022 seien daher zutreffend für eine in 2015 und 2016 (noch) fällige Einkommensteuer von (abgerundet) ... € Säumniszuschläge berechnet und ausgewiesen worden. Ferner seien für die nach Erlass des Bescheids vom 14. Februar 2020 ausgewiesene, noch fällige Einkommensteuer (abgerundet ... €) Säumniszuschläge entstanden, welche ebenso im Abrechnungsbescheid zutreffend berechnet und ausgewiesen worden seien. Gleiches gelte für Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag.
45Zur Klage gegen den geänderten Steuerbescheid zur Einkommensteuer 2004 (vom 14. Februar 2020) führt er an, dass dieser die finanzgerichtliche Entscheidung (im Verfahren FG Köln 15 K .../11) zutreffend umsetze. Die Festsetzungsfrist sei nicht abgelaufen, da nach § 171 Abs. 3a Satz 3 AO i.V.m. §§ 100, 101 FGO eine Ablaufhemmung bestanden habe. Eine vom Kläger angeführte – aus Beklagtensicht nicht gegebene – Zahlungsverjährung beeinflusse nicht die Befugnis der Finanzbehörde zum Erlass einer geänderten Einkommensteuerfestsetzung. Vom Kläger angeführte BFH-Urteile (BFH VII R 33/06, VII R 51/08, VIII R 3/10, VII R 55/10, VII R 68/11) seien allesamt zu einer geänderten Anrechnungsverfügung (wegen Minderung zuvor berücksichtigter anzurechnender Steuerabzugsbeträge) bei unveränderter Einkommensteuerfestsetzung ergangen. Der Streitfall liege anders.
46Das Gericht hat angeregt, das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des anhängigen Revisionsverfahrens BFH X R 8/22 (nach Änderung des BFH-Geschäftsverteilungsplans nun Az. BFH III R 46/22) zu einer vergleichbaren Rechtsfrage zum Ruhen zu bringen. Der Beklagte ist mit einem Ruhen einverstanden, der Kläger hat ein Ruhen abgelehnt. Er strebt ein eigenes Revisionsverfahren an, um deutlich zu machen, dass die in der BFH-Entscheidung VII R 18/18 aufgestellten Grundsätze nicht auf den hiesigen Fall anwendbar seien.
47Die Beteiligten hatten zwischenzeitlich eigenständig eine mögliche Erledigungserklärung zur Klage gegen die Festsetzung der Einkommensteuer 2004 (Bescheid vom 14. Februar 2020) thematisiert. Der Kläger hat hierzu ausgeführt, dass seine gegen die geänderte Festsetzung erhobene Klage (ursprünglich) zulässig und auch begründet gewesen sei, da zahlungsverjährte Steuern nicht festgesetzt werden dürften. Mit dem späteren Erlass der Einspruchsentscheidung zum Abrechnungsbescheid und der hiergegen erhobenen Klage sei aber das Rechtsschutzinteresse entfallen. Die Aufhebung des geänderten Einkommensteuerbescheids habe sich erledigt, da im Falle des Obsiegens mit der Änderung des Abrechnungsbescheids (dahingehend, dass keine Einkommensteuer 2004, kein Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2004 und keine Nebenleistungen sowie Säumniszuschläge offen sind) aus dem geänderten Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. Februar 2020 nicht mehr vollstreckt werden könne. Im Unterliegensfalle beim Abrechnungsbescheid sei eine Klagerücknahme bei der Einkommensteuerfestsetzung geboten. Das Gericht hat die prozessuale Situation in einem Schreiben des Berichterstatters vom 3. April 2024 (Bl. 163 ff. eGA) thematisiert und zu bedenken gegeben, dass zwar nach der Argumentation des Klägers bei einem vollständigen Obsiegen im Abrechnungsbescheidverfahren eine Entscheidung zur Festsetzung – eine zulässige Klage unterstellt – obsolet sein könnte. Folge man aber der Argumentation des Beklagten, könnte es möglicherweise durch die geänderte Festsetzung zu einer Auswirkung auf das Erhebungsverfahren gekommen sein. Der Kläger selbst habe in der Vergangenheit zudem argumentiert, dass zahlungsverjährte Steuern nicht festgesetzt werden dürften (vom Kläger angeführter umgekehrter Einfluss des Erhebungsverfahrens auf das Festsetzungsverfahren). Da sich das Verhältnis von Festsetzungs- und Erhebungsverfahren laut Gericht als komplex und mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet darstelle, haben die Beteiligten von der Abgabe von Erledigungserklärungen abgesehen. Die Klägerseite hat daraufhin ausgeführt, sie begehre eine Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens zur geänderten Einkommensteuerfestsetzung, um das Ergebnis des Verfahrens gegen den Abrechnungsbescheid abzuwarten.
48Entscheidungsgründe
49Die Klage ist insgesamt ohne Erfolg. Der Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 2004 (nebst Zuschlagsteuern und Nebenleistungen) in Gestalt der Einspruchsentscheidung (mit Verringerung der als fällig ausgewiesenen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag 2004) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO (hierzu nachfolgend I.). Das Klageverfahren wegen geänderter Festsetzung der Einkommensteuer 2004 (Umsetzungsbescheid i.S.d. § 100 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 FGO) ist nicht abzutrennen und auszusetzen (hierzu nachfolgend II.). Die gegen den Umsetzungsbescheid erhobene Klage ist zwar wegen der durch ihn für das Erhebungsverfahren entfalteten Beschwer ausnahmsweise zulässig (hierzu nachfolgend III.), aber unbegründet (hierzu nachfolgend IV.).
50I. Der Abrechnungsbescheid vom 22. März 2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. September 2022 (mit Herabsetzung von als fällig ausgewiesenen Säumniszuschlägen) ist nicht zu beanstanden.
51Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§§ 37, 218 Abs. 1 AO) betreffen, entscheidet die Finanzbehörde gem. § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid. Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind u.a. Steuerbescheide (§ 218 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Var. 1 AO). Bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 218 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AO i.V.m. § 240 AO).
52Entgegen der Auffassung des Klägers ist weder der im Abrechnungsbescheid ausgewiesene Anspruch auf Zahlung der Einkommensteuer 2004 nebst Solidaritätszuschlag und Zinsen erloschen (hierzu nachfolgend 1.), noch sind Säumniszuschläge (zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag) nicht entstanden oder zwischenzeitlich erloschen (hierzu nachfolgend 2.).
531. Der Anspruch auf Zahlung der Einkommensteuer 2004 (i.H.v. ... €) und die ihm folgenden Ansprüche auf Zahlung des Solidaritätszuschlags und Zinsen zur Einkommensteuer 2004 werden zu Recht als fällig ausgewiesen.
54Durch den Abrechnungsbescheid wird (nur) darüber entschieden, ob ein bestimmter Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis verwirklicht ist oder nicht. Die Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ist grds. kein Gegenstand des Abrechnungsbescheids, sie wird vorausgesetzt. Maßgebend ist die „formelle Bescheidlage“. Nur ausnahmsweise, etwa bei nicht erforderlicher Festsetzung, wird die Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis zum Gegenstand des Abrechnungsbescheids (vgl. zum Ganzen Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 218 AO Rn. 17, 18 m.w.N., Stand November 2022). Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h. regelmäßig beim Erlass der Einspruchsentscheidung, maßgebend (Loose, a.a.O., § 218 AO Rn. 33 m.w.N.).
55Im hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt (Erlass der Einspruchsentscheidung am 23. September 2022) bestand durch die Einkommensteuerfestsetzung mit Bescheid vom 14. Februar 2020 eine ausgewiesene Zahllast von ... € (zzgl. SolZ und Zinsen). Durch diese wirksame (wenngleich angefochtene – siehe hierzu Ausführungen unter III. und IV.) Festsetzung wird ein Zahlungsanspruch ausgewiesen, welcher bei der für ihn geltenden Zahlungsverjährungsfrist (Beginn der Zahlungsverjährung gem. § 229 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2020, Eintritt der Zahlungsverjährung gem. § 228 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2025, wobei nunmehr gem. § 230 Abs. 2 AO n.F. die Zahlungsverjährung nicht abläuft, solange die Festsetzungsfrist des Anspruchs noch nicht abgelaufen ist) im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung (und auch heute) noch nicht abgelaufen ist.
56Soweit der Kläger darauf abstellt, dass dieser Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits zuvor zahlungsverjährt gewesen sei und nicht mehr durch eine (geänderte) Steuerfestsetzung „wiederaufleben“ könne, ist dem nicht zu folgen.
57Mit Urteil vom 18. September 2018 (VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107) hat sich der BFH mit der Zahlungsverjährung bei mehrfach geänderter Steuerfestsetzung befasst. Der BFH hat hierzu im Einklang mit der Begründung der Vorinstanz (Urteil des FG München vom 16. Februar 2018, 8 K 2196/15, EFG 2018, 1509) und früherer BFH-Rechtsprechung (insbesondere BFH-Urteil vom 29. Oktober 2013, VII R 68/11, BStBl II 2016, 115) darauf abgestellt, dass bei Änderung der Einkommensteuerfestsetzung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen sei, ohne dass bis dahin ggf. abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entgegenstünden. Dies folge aus der durch § 36 Abs. 2 Satz 2 EStG (in der Fassung der dortigen Streitjahre) hergestellten Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren, die dem Steuerbescheid eine einem Grundlagenbescheid ähnliche bindende Wirkung für ihm folgende Anrechnungsverfügungen bzw. Abrechnungsbescheide verleihe. Die Anrechnungsverfügung sei der geänderten Steuerfestsetzung anzupassen, indem der geänderte festgesetzte Steuerbetrag „in sie eingestellt“ werde. Dies habe innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist des § 228 AO zu geschehen, die mit der Bekanntgabe des Steueränderungsbescheids (insoweit erneut) in Lauf gesetzt werde. Eine Teilverjährung der wegen des Steueränderungsbescheids nunmehr angepassten Abschlusszahlung in dem Sinne, dass ein Steueranspruch nur auf Entrichtung eines über die frühere Abschlusszahlung hinausgehenden Betrags bestehe, komme nicht in Betracht. Für einen bestimmten Veranlagungszeitraum der Einkommensteuer bestehe ein einheitlicher Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, der bei mehrfach geänderter Steuerfestsetzung nicht in unterschiedliche Steuerzahlungsansprüche oder Erstattungsansprüche aufgespalten werden könne, die bezogen auf die jeweils ergangenen Steuerbescheide unterschiedlichen Verjährungsfristen unterlägen. Mit der der geänderten Steuerfestsetzung angepassten Anrechnungsverfügung werde der Betrag der Abschlusszahlung bzw. der Erstattung im Ganzen neu ausgewiesen und nicht etwa nur ein über die geänderte Anrechnungsverfügung hinausgehender Betrag. Durch den Änderungsbescheid verliere der geänderte Bescheid in vollem Umfang seine Wirkung. Um Unterbrechungshandlungen i.S.d. § 231 Abs. 4 AO gehe es dabei – so der BFH – nicht.
58Diese BFH-Rechtsprechung ist nach Überzeugung des erkennenden Senats dahingehend zu verstehen, dass eine geänderte Steuerfestsetzung stets in Höhe der durch sie ausgewiesenen Zahllast (bei der Einkommensteuer: Abschlusszahlung i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG) eine neue Zahlungsverjährungsfrist auslöst. Soweit der erkennende Senat in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 19. Mai 2022, 15 K 3317/17, EFG 2022, 1807; Revision unter dem Az. BFH III R 46/22 – zuvor X R 8/22 – anhängig) bei Herabsetzung der festgesetzten Einkommensteuer und unveränderten An- und Abrechnungsbeträgen eine andere Auffassung vertreten hat, hält er hieran nicht fest.
59Die vom BFH dargelegten Wirkungen des Steueränderungsbescheids ergeben sich bei Einkommensteuerbescheiden aus § 36 Abs. 2-4 EStG. Auch wenn bspw. anzurechnende Einkommensteuer-Vorauszahlungen (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG), anzurechnende Abzugssteuern (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG; Steueranrechnung durch gesonderten, regelmäßig aber mit der Festsetzung verbundenen sonstigen Steuerverwaltungsakt – vgl. BFH-Urteil vom 15. April 1997, VII R 100/96, BStBl II 1997, 787) und ggf. auch (im Erhebungsverfahren „abzurechnende“) weitere Zahlungen auf die Einkommensteuer unverändert bleiben, führt eine vermindernde Einkommensteuerfestsetzung nach dem Verständnis des erkennenden Senats durch die in § 36 Abs. 2-4 EStG geregelte (gem. BFH-Beschluss vom 31. Oktober 1975, VIII B 14/74, BStBl II 1976, 258 und BFH-Urteil vom 18. Juli 2000, VII R 32, 33/99, BStBl II 2001, 133 auch für Änderungsbescheide geltende) Berechnungsweise zwingend zu einer neu auszuweisenden Abschlusszahlung.
60Wenn die Steuerfestsetzung für die Anrechnungsverfügung eine „grundlagenbescheid-ähnliche“ bindende Wirkung dahingehend hat, dass der geänderte festgesetzte Steuerbetrag in sie (d.h. die Anrechnungsverfügung) „einzustellen“ ist, spricht dies für eine durch die Festsetzung ausgelöste „Änderungskette“. Der neue fällige Betrag kann sodann mit einem Leistungsgebot (i.S.d. § 254 AO) versehen werden und eine – für das Abrechnungsbescheidsverfahren maßgebliche – neue (Vollstreckungs-)Grundlage bilden.
61Der Senat verkennt hierbei nicht, dass über diesen Weg eine verminderte Steuerfestsetzung eine belastende (verbösernde) Wirkung auf das Steuererhebungsverfahren dergestalt haben kann, dass die Minderung der Festsetzung auf Erhebungsebene zur Neuentstehung eines Anspruches führt und eine Einspruchs- oder Klagerücknahme günstiger als eine (teil-)abhelfende Sachentscheidung wirken würde. Diese unter dem Blickwinkel des Verböserungsverbots bedenklich erscheinende Rechtsfolge hätte aber – wie nachfolgend unter III. und IV. geschildert wird – im Festsetzungsverfahren nach alter Rechtslage vermieden werden können und müssen. Nach neuer Rechtslage (§§ 229 Abs. 1 Satz 3, 230 Abs. 2 AO in der durch das JStG 2022 geltenden Fassung) kann es nicht mehr zu einer Zahlungsverjährung von Steuerforderungen während eines Einspruchs- oder Klageverfahrens kommen mit der Folge, dass die geänderte Festsetzung im Erhebungsverfahren nicht „verbösernd“ wirken kann.
622. Der Abrechnungsbescheid (in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit Ausweis geringerer Säumniszuschläge) weist auch zu Recht fällige (entstandene, nicht durch Zahlungsverjährung erloschene) Säumniszuschläge für den Zeitraum nach Erlass des „Umsetzungsbescheids“ (Säumniszuschläge ab März 2020 auf Basis einer fälligen Steuer von abgerundet ... €) aus, ebenso werden Säumniszuschläge für die Jahre 2015 und 2016 (auf Basis einer damals fälligen Steuer von abgerundet ... €) zutreffend ausgewiesen.
63Bei Säumniszuschlägen genügt als Grundlage zur Verwirklichung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 218 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AO). Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Säumnis nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist (§ 240 Abs. 1 Satz 3 AO). Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt (§ 240 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 AO).
64a. Die hier im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge ab März 2020 beruhen auf der wirksamen (wenngleich angefochtenen – vgl. hierzu nachfolgend unter III. und IV.) Festsetzung vom 14. Februar 2020 und sind demnach nicht zu beanstanden.
65b. Die für das Jahr 2015 berechneten Säumniszuschläge sind mit Ablauf des Jahres 2015 entstanden, da zu jener Zeit für die Hauptansprüche (Einkommensteuer und SolZ) noch die durch den Änderungsbescheid vom 3. August 2010 ausgelöste Zahlungsverjährungsfrist (Beginn mit Ablauf des 31. Dezember 2010, Ende mit Ablauf des 31. Dezember 2015) lief. Hemmungs- und Unterbrechungstatbestände (§§ 230, 231 AO) sind in diesem Zusammenhang unerheblich.
66Ebenso ist gem. § 240 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 AO unerheblich, dass die Steuerfestsetzung später zugunsten des Klägers geändert worden ist. Soweit die Vertreter der Prozessbevollmächtigten es in der mündlichen Verhandlung als unbillig angesehen haben, dass Säumniszuschläge für eine rechtswidrige Steuer erhoben werden, wären derartige Einwendungen in einem gesonderten – hier nicht streitgegenständlichen – Verfahren auf Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen zu klären. Der Senat gibt aber zu bedenken, dass der Gesetzgeber mit der AO 1977 in Reaktion auf einen vorherigen Beschluss des BFH (vom 8. Dezember 1975, GrS 1/75, BStBl II 1976, 262; zum „Steuersäumnisgesetz“) mit der Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO eine strenge Akzessorietät der Säumniszuschläge von der zugrundeliegenden Steuerschuld gerade abgelehnt hat (vgl. BFH-Urteil vom 20. Mai 2010, V R 42/08, BStBl II 2010, 955). Der BFH verneint seitdem in der Regel einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1999, X R 87/96, BFH/NV 2000, 161). Auch das BVerfG hat bereits zuvor eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde unter Verweis auf die hinreichenden Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Steuerbescheide nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 30. Januar 1986, 2 BvR 1336/85, Juris). Dies steht im Einklang mit der Regelung in § 361 Abs. 1 AO sowie § 69 Abs. 1 FGO, wonach die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts durch die Einlegung eines Einspruchs oder einer Klage nicht gehemmt wird, sofern keine Aussetzung der Vollziehung gewährt wird oder ein Sonderfall nach § 361 Abs. 4 AO oder § 69 Abs. 5 FGO vorliegt. Ein weiterer Sonderfall liegt vor, wenn eine AdV aufgrund der Regelung in § 361 Abs. 2 Satz 4 AO und § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO nur beschränkt möglich ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. Mai 2010, V R 42/08, BStBl II 2010, 955). Im Streitfall ist kein derartiger Sonderfall ersichtlich. Soweit die Klägerseite der Auffassung ist, Säumniszuschläge auf eine rechtswidrige (später herabgesetzte) Steuer nicht zahlen zu müssen oder – wie Äußerungen im Passentzugsverfahren zeigen – sogar der Auffassung sind, die bloße Anfechtung suspendiere bei der Steuer den Zahlungsanspruch, ist dem nicht zu folgen.
67Die im Jahr 2015 entstandenen Säumniszuschläge sind auch nicht zwischenzeitlich verjährt. Die eigenständig für Säumniszuschläge zu berechnende fünfjährige Zahlungsverjährung beginnt dabei mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Säumniszuschläge verwirkt (d.h. fällig) geworden sind (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 240 AO Rn. 88, Stand August 2021). Die Zahlungsverjährungsfrist begann folglich mit Ablauf des 31. Dezember 2015 und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2020. Da die Säumniszuschläge im Bescheid vom 14. Februar 2020 ausgewiesen und mit einer Zahlungsaufforderung („Bitte zahlen Sie sofort“) versehen sind, liegt hierin eine schriftliche Geltendmachung i.S.d. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AO, wodurch gem. § 231 Abs. 3 AO eine neue fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist (bis zum Ablauf des 31. Dezember 2025) begann. Soweit die Klägerseite hier bei der Zahlungsverjährung der Säumniszuschläge auf den Erlass des Abrechnungsbescheids (im März 2022) abstellt, ist dem nicht zu folgen. Die Klägerseite verkennt hierbei, dass es für die Säumniszuschläge keiner förmlicher Festsetzung bedarf und die Einbeziehung der Säumniszuschläge in ein Leistungsgebot ausreicht.
68c. Die für das Jahr 2016 berechneten Säumniszuschläge sind im Ergebnis ebenso entstanden und nach der für sie geltenden Zahlungsverjährungsfrist (Beginn mit Ablauf des 31. Dezember 2016, Ende mit Ablauf des 31. Dezember 2021; Neubeginn der Zahlungsverjährung durch Geltendmachung im Bescheid vom 14. Februar 2020) nicht verjährt. Der Klägerseite ist zwar zuzugeben, dass regulär mit Ablauf des 31. Dezember 2015 Zahlungsverjährung eingetreten ist und für eine verjährte (und damit nicht mehr „fällige“) Hauptschuld keine Säumniszuschläge entstehen (hierzu aa.), diese materielle Rechtslage wird aber im Streitfall durch die Rechtskraft des Urteils vom 29. November 2016 überlagert (hierzu bb.).
69aa. Aufgrund des Änderungsbescheids (nach Betriebsprüfung) vom 3. August 2010, die dort ausgewiesene Fälligkeit zum 6. September 2010 und die Mahnung vom 20. September 2010 begann die Zahlungsverjährungsfrist gem. § 229 AO für diesen Anspruch unstreitig mit Ablauf des 31. Dezember 2010 und endete gem. § 228 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2015. Bei dieser Fristberechnung folgt der Senat der – letztlich von beiden Beteiligten vertretenen – Ansicht, dass im Streitfall weder die durch JStG 2022 eingefügte Neuregelung in § 230 Abs. 2 AO zur Anwendung kommt (diese gilt gem. Art. 97 § 14 Abs. 6 EGAO nur für alle am 21. Dezember 2022 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen) noch im Streitfall Unterbrechungstatbestände i.S.d. § 231 AO verwirklicht worden sind, welche die Zahlungsverjährungsfrist verlängert (erneuert) hätten.
70Der Senat kann im Streitfall keine schriftliche Geltendmachung des Anspruchs (i.S.d. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AO) in den Jahren 2011 bis 2015 erkennen, der Schriftsatzaustausch im FG-Verfahren genügt hierzu nicht. Das Zoll-IT-Verfahren „BENGALI“ dürfte als verwaltungsinternes Verfahren schon keine Vollstreckungsmaßnahme i.S.d. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO darstellen, jedenfalls aber ist in den Jahren 2011 bis 2015 keine Wiederholung erfolgt; der Anfang 2016 wiederholte Antrag ist rechtlich unerheblich. Das Passentzugsverfahren kann der Senat – wie auch der Beklagte nach einem zwischenzeitlich dort wohl eingetretenen Wechsel in der rechtlichen Beurteilung – unter keinen der Tatbestände des § 231 Abs. 1 AO subsumieren, insbesondere ist der Passentzug als Druckmittel nach Auffassung des erkennenden Senats nicht als „Vollstreckungsmaßnahme“ anzusehen, da eine solche typischerweise darauf gerichtet ist, den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwangsweise durchzusetzen und nicht durch eine außersteuerliche Maßnahme den Steuerpflichtigen zur „freiwilligen“ Leistung zu veranlassen. Bei bekanntem Wohnsitz des Klägers im Ausland ist auch nicht erkennbar, dass der Tatbestand des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO verwirklicht worden wäre, in dem IT-Verfahren „BENGALI“ wird auch keine (fortwährende) Ermittlung des Aufenthaltsortes erblickt. Eine im Jahr 2017 vom Kläger angestrebte „außergerichtliche Schuldenbereinigung“ ist nach Eintritt der (originären) Zahlungsverjährung ebenso unerheblich wie spätere Vollstreckungsmaßnahmen (Pfändung von Rentenansprüchen seit 2020).
71Der Eintritt der Zahlungsverjährung ist in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und kann nach der für die Beurteilung des Streitfalles maßgeblichen Gesetzeslage auch während eines Rechtsstreits über die Steuerfestsetzung eintreten (vgl. etwa BFH-Urteil vom 7. November 2018, X R 34/16, BFH/NV 2019, 686). Zahlungsverjährung bewirkt dabei ein Erlöschen des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. etwa BFH-Urteil vom 18. November 2003, VII R 5/02, BFH/NV 2004, 1057).
72bb. Trotz zwischenzeitlich eingetretener Zahlungsverjährung sind im Streitfall Säumniszuschläge für das Jahr 2016 entstanden. Dies folgt aus der Rechtskraftwirkung des Urteils vom 29. November 2016.
73Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, u.a. gem. § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Die Rechtskraftwirkung ist auf den Streitgegenstand und die „Entscheidung“ des Gerichts begrenzt (vgl. i.E. Ratschow in Gräber, FGO, 9. Auf. 2019, § 110 Rn. 35 ff.). Kommt das Finanzgericht im Anfechtungsprozess des Steuerschuldners gegen den Steuerbescheid der Finanzbehörde zu dem Ergebnis, dass der Steuerbescheid rechtmäßig oder teilweise rechtmäßig ist, und weist es infolgedessen die Klage durch Sachurteil im ganzen oder zum Teil ab, und wird diese Entscheidung rechtskräftig, so steht zwischen den Beteiligten nicht nur fest, dass die Festsetzung des staatlichen Steueranspruchs im Umfang der Klageabweisung rechtmäßig war, sondern dass auch der sich aus der rechtmäßigen Festsetzung ergebende Zahlungsanspruch der Finanzbehörde besteht und bis zum Tag der Entscheidung des Finanzgerichts nicht durch Zahlungsverjährung erloschen ist (so ausdrücklich BFH-Beschluss vom 6. August 1996, VII B 24/96, BFH/NV 1997, 95). Für diese Rechtskraftwirkung ist es unerheblich, dass weder die Beteiligten, noch der erkennende Senat im Klageverfahren den zwischenzeitlichen Eintritt der Zahlungsverjährung erkannt und thematisiert haben. In dem erlassenen Sachurteil und der vom Gericht (bei einer Anfechtungsklage in Form der sog. Änderungsklage mit der Wirkung eines „Gestaltungsurteils“, vgl. Teller in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 40 Rn. 9, 10, 14: „VA-bezogene Gestaltungsklage“) vorgenommenen Änderung der Steuerfestsetzung ist inzident die Feststellung enthalten, dass der Steueranspruch nicht (zahlungs-)verjährt ist. Andernfalls hätte das Finanzgericht nicht durch Sachurteil entscheiden dürfen, sondern hätte wegen der während des Klageverfahrens (Eintritt der Zahlungsverjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2015, mündliche Verhandlung erst am 29. November 2016) eingetretenen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1990, V R 90/87, BStBl II 1990, 802) bei etwaigen fehlenden Erledigungserklärungen durch Prozessurteil (Abweisung der Klage als unzulässig) entscheiden müssen. Bei nur einseitiger Erledigungserklärung (des Klägers) hätte das Gericht die Erledigung feststellen müssen. Hätten beide Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt, wäre nur noch durch Beschluss gem. § 138 FGO über die Kostenverteilung zu entscheiden gewesen. In keinem dieser Fälle wäre ein Sachurteil zum festgesetzten Steueranspruch ergangen.
74Mit dem – nach Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gemäß BVerfG-Beschluss vom 4. Dezember 2016 rechtskräftigen – Urteil vom 29. November 2016 hat das Gericht einen noch im Jahre 2016 bestehenden Steueranspruch (inzidenter) festgestellt. Der Senat sieht im Streitfall keine durchgreifenden Gründe, bei der Entstehung der Säumniszuschläge allein auf die „materiell-rechtliche Rechtslage“ unter Außerachtlassung der durch das Sachurteil geschaffenen „formellen Rechtslage“ zu entscheiden. Die Säumniszuschläge knüpfen gem. § 240 Abs. 1 Satz 3 AO an die Steuerfestsetzung an; deren Aufhebung, Änderung oder Berichtigung lässt die Säumniszuschläge gem. § 240 Abs. 1 Satz 4 AO unberührt. Indem das finanzgerichtliche Urteil die Steuerfestsetzung in Höhe des nicht verminderten Betrags (d.h. der Teilabweisung) bestätigt, bleibt die durch den Steuerbescheid titulierte Steuerschuld bestehen. Auch wenn nach der wohl herrschenden materiellen Rechtsgrundtheorie die Entstehung des Steueranspruchs unabhängig von seiner Festsetzung ist und die Festsetzung insoweit deklaratorisch wirkt (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 38 AO Rn. 10 m.w.N., Stand Oktober 2020), entsteht durch die Festsetzung eine formelle Leistungsverpflichtung, die bei formeller Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) des Bescheids dessen materielle Fehlerhaftigkeit überlagert. Der Steuerpflichtige kann sich (dann) nicht mehr darauf berufen, dass der festgesetzte Steueranspruch nicht besteht. Der (unangreifbar fehlerhafte) Steuerbescheid begründet dann zwar keine „materielle“ (durch das materielle Steuerrecht gedeckte), aber eine aus dem Steuerbescheid resultierende formelle Leistungspflicht, die ebenso Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sein kann (vgl. Drüen, a.a.O., § 37 AO Rn. 34 m.w.N. mit Verweis auf § 218 Abs. 1 AO; zur für die Erhebung unerheblichen „materiellen Richtigkeit“ siehe Loose, a.a.O., § 218 AO Rn. 12, 13 m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 15. Juni 1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46).
75II. Die Klage wegen Einkommensteuer 2004 ist nicht gem. § 73 Abs. 1 Satz 2 FGO abzutrennen und nicht gem. § 74 FGO auszusetzen, weil die Sache entscheidungsreif und das Verfahren betreffend den Abrechnungsbescheid nicht vorgreiflich zum Festsetzungsverfahren (hier bezogen auf einen „Umsetzungsbescheid“ i.S.d. § 100 Abs. 2 Satz 3 HalbSatz 2 FGO) ist.
761. Nach § 73 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht u.a. anordnen, dass mehrere in einem Verfahren zusammengefasste Klagegegenstände (auch bei gemeinsamer Verhandlung) in getrennten Verfahren entschieden werden. Die Entscheidung über die Trennung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, welches sich von prozessökonomischen Gesichtspunkten leiten zu lassen hat (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 73 Rn. 22, 2, 14)
77Eine Trennung ist insbesondere zweckmäßig, wenn von trennbaren Streitgegenständen nur ein Streitgegenstand entscheidungsreif ist (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 73 FGO Rn. 10 mit Rspr. zur „teilweisen Entscheidungsreife“, Stand Juli 2022). Sind hingegen alle Klagegegenstände (Streitgegenstände) entscheidungsreif und liegen auch keine Schwierigkeiten in prozessualer Hinsicht vor, die durch eine Trennung behoben werden könnten, ist eine Trennung nicht sachgerecht, d.h. ermessensfehlerhaft (Brandis, a.a.O.; Schoenfeld in Gosch, AO/FGO, § 73 FGO Rn. 47, Stand Januar 2023). Fehlende Entscheidungsreife liegt u.a. dann vor, wenn eine Aussetzung der Verhandlung nach § 74 FGO geboten ist. Das Gericht kann hiernach, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, welches den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Regelung verlangt eine „Vorgreiflichkeit“ eines anderen Rechtsverhältnisses in Bezug auf das (ggf. auszusetzende) Verfahren. In der Rechtsprechung ist dabei einerseits geklärt, dass Maßnahmen im Erhebungsverfahren grundsätzlich nicht auszusetzen sind, weil Änderungs- oder Rechtsbehelfsverfahren gegen die zugrundeliegenden Steuerfestsetzungen anhängig sind (vgl. Herbert, a.a.O., § 74 Rn. 46 m.w.N.). Umgekehrt ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber auch geklärt, dass das Abrechnungs(bescheid)verfahren für das Steuerfestsetzungsverfahren nicht vorgreiflich sein kann (BFH-Beschlüsse vom 16. Mai 2007, V B 75/06, BFH/NV 2007, 1688; vom 13. Dezember 2011, VIII B 39/11, BFH/NV 2012, 418; vom 1. April 2015, V B 121/14, BFH/NV 2015, 1003; vom 6. März 2019, V S 25/18, BFH/NV 2019, 581).
782. Nach diesen Grundsätzen sieht der Senat im Streitfall keine Vorgreiflichkeit des Verfahrens betreffend den Abrechnungsbescheid für das Festsetzungsverfahren. Eine allgemeine Vorgreiflichkeit des Erhebungsverfahrens für das Festsetzungsverfahren besteht nicht. Soweit die Klägerseite vorträgt, dass „zahlungsverjährte Steuern nicht festgesetzt werden dürfen,“ und hieraus einen Vorrang des Erhebungsverfahrens für das Festsetzungsverfahren herleitet, greifen derartige Einwände jedenfalls im Streitfall nicht durch. Da – wie unter I. ausgeführt – eine geänderte Festsetzung durch die im BFH-Urteil VII R 18/18 beschriebene Wirkung auf das Erhebungsverfahren einwirkt, ist gerade kein eindeutiges Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen beiden Verfahren erkennbar.
79III. Die gegen den „Umsetzungsbescheid“ vom 14. Februar 2020 (zur vermindernden Festsetzung der Einkommensteuer 2004 im Anschluss an das finanzgerichtliche Urteil vom 29. November 2016) und die Einspruchsentscheidung vom 22. März 2022 gerichtete Klage ist zulässig.
801. Begehrt ein Kläger die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts durch eine Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 Var. 1 FGO), ist diese Klage nur zulässig, wenn der Kläger gem. § 40 Abs. 2 FGO geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Beim Rechtsschutz gegen Steuerbescheide muss grundsätzlich eine zu hohe Steuerfestsetzung geltend gemacht werden (Teller in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 40 Rn. 95 m.w.N.). Von diesem Grundsatz werden Ausnahmen gemacht, etwa wenn ein Bescheid eine (Quasi-) Grundlagenbescheidwirkung für einen nachfolgenden Bescheid hat (vgl. allgemein § 351 Abs. 2 AO sowie bspw. in Bezug auf Verlustfeststellungen nach § 10d Abs. 4 EStG Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 FGO Rn. 57 m.w.N., Stand April 2021) oder wenn ein höherer Ansatz von Besteuerungsgrundlagen sich im An- oder Abrechnungsverfahren günstig auswirken kann (Krumm, a.a.O., § 40 Rn. 60 mit Rechtsprechungsnachweisen.).
812. Der Senat sieht hier einen Ausnahmefall darin, dass die geänderte Festsetzung – wie unter I. geschildert – eine sich aus der BFH-Rechtsprechung (VII R 18/18) ergebende Wirkung für das Erhebungsverfahren hat. Der BFH misst der geänderten Festsetzung nach dem Verständnis des erkennenden Senats eine „einem Grundlagenbescheid ähnliche bindende Wirkung für ihm folgende Anrechnungsverfügungen bzw. Abrechnungsbescheide“ dergestalt zu, dass in die Anrechnungsverfügung der geänderte Steuerbetrag eingestellt wird (BFH VII R 18/18, Rn. 9 der in Juris abgedruckten Entscheidungsgründe).
82Soweit der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2022 (15 K 3317/17, EFG 2022, 1807) die Beschwer einer Klage gegen einen Änderungsbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen verneint hat, hält er hieran in dieser Allgemeinheit nicht fest. Wenn ein Änderungsbescheid die zuvor geschilderten Folgen für das Erhebungsverfahren hat, aber geltend gemacht wird, dass der Änderungsbescheid nicht hätte ergehen dürfen, muss dessen Anfechtung auch wegen des aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) hergeleiteten Gebots des effektiven Rechtsschutzes möglich sein.
83IV. Die Klage gegen den Umsetzungsbescheid ist jedoch unbegründet.
841. Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht – wie im Streitfall geschehen – die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit (§ 100 Abs. 2 Satz 3 HalbSatz 1 FGO); nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben (§ 100 Abs. 2 Satz 3 HalbSatz 2 FGO).
85Gibt das Finanzgericht einer Klage (teilweise) statt und überträgt es – wie im Streitfall – die Berechnung der Steuer der Finanzbehörde, hat diese zunächst unverzüglich – ohne Verwaltungsaktqualität – dem Kläger formlos das Ergebnis der Berechnung mitzuteilen. Nach der – hier am 4. Dezember 2019 nach Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde – eingetretenen Rechtskraft hat die Finanzbehörde sodann die Steuerfestsetzung mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben. Hierbei ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 100 FGO Rn. 33 mit Rechtsprechungsnachweisen, Stand November 2022) geklärt, dass es sich um einen grundsätzlich mit Einspruch und Klage anfechtbaren Verwaltungsakt handelt. Die Anfechtung ist aber auf die Überprüfung derjenigen Umstände beschränkt, denen die Rechtskraft des vorangegangenen Urteils gem. § 110 FGO nicht entgegensteht (vgl. etwa BFH-Urteil vom 8. März 2017, IX R 47/15, BFH/NV 2017, 1044). Hiernach kann der Kläger bspw. geltend machen, dass die Berechnung nicht den Vorgaben des Gerichts entspreche oder Rechenfehler enthalte (vgl. Brandis, a.a.O., § 100 FGO Rn. 33 m.w.N.). Ferner kann die Anfechtung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auf Umstände gestützt werden, die seit Ergehen des Urteils eingetreten sind und die nach den insoweit einschlägigen Vorschriften eine Änderung des Verwaltungsakts gebieten (BFH-Urteil vom 4. Mai 2011, I R 67/10, BFH/NV 2012, 6).
862. Im Streitfall setzt der Bescheid vom 14. Februar 2020 das am 4. Dezember 2019 (Nichtannahmebeschluss des BVerfG) rechtskräftig gewordene Urteil vom 29. November 2016 sachlich und rechnerisch zutreffend um. Der Kläger selbst erhebt insoweit auch keine Einwendungen.
87Soweit der Kläger indes unter Berufung auf BFH-Rechtsprechung anführt, dass der Umsetzungsbescheid wegen Zahlungsverjährung nicht mehr hätte ergehen dürfen, kann er diese Einwände im Einspruchs- und Klageverfahren gegen den Umsetzungsbescheid nicht mehr geltend machen.
88Wie zuvor (unter I.2.c.bb.) ausgeführt, ist die Zahlungsverjährung originär mit Ablauf des 31. Dezember 2015, d.h. während des erstinstanzlichen Klageverfahrens eingetreten. Tritt Zahlungsverjährung (nach der Rechtslage vor Einführung von § 230 Abs. 2 AO n.F.) während eines erstinstanzlichen Klageverfahrens ein, führt dies dazu, dass der Rechtsstreit materiell-rechtlich in der Hauptsache erledigt ist (vgl. allgemein BFH-Urteil vom 26. April 1990, V R 90/87, BStBl II 1990, 802).
89Im Streitfall wurde indes – vom Gericht und den Beteiligten – der Eintritt der Zahlungsverjährung übersehen. Das Urteil vom 29. November 2016 beruhte hiernach auf einem Verfahrensfehler, da eine Entscheidung durch Sachurteil erging, obwohl der Rechtsstreit bei beidseitiger Erledigungserklärung durch Kostenbeschluss, bei einseitiger Erledigungserklärung (insbesondere bei Streit über den Eintritt der Zahlungsverjährung) durch Feststellungsurteil hinsichtlich der Erledigung und bei fehlenden Erledigungserklärungen durch Prozessurteil (Abweisung der Klage als unzulässig) hätte entschieden werden müssen. Der Kläger hat indes den Verfahrensfehler im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geltend gemacht. Mit den BFH-Beschlüssen vom 25. April 2018 und vom 27. November 2018 und dem BVerfG-Beschluss vom 4. Dezember 2019 ist das finanzgerichtliche Urteil rechtskräftig geworden. Da – wie oben bereits unter I.2.c.bb. ausgeführt – das Sachurteil zugleich eine in Rechtskraft gem. § 110 FGO erwachsende Entscheidung dahingehend trifft, dass Zahlungsverjährung bezüglich des Steueranspruchs bis zum Tage der Entscheidung des Gerichts nicht eingetreten ist, kann der Einwand der Zahlungsverjährung im Einspruchs- und Klageverfahren gegen einen Umsetzungsbescheid gem. § 100 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 FGO nicht mehr angeführt werden, weil er die Rechtskraft umgehen würde. Da der Umstand der Zahlungsverjährung bereits vor dem finanzgerichtlichen Urteil eingetreten ist, liegt auch kein „seit Ergehen des Urteils“ eingetretener Umstand vor.
90Selbst wenn man – aus Sicht des Senats unzutreffend – von einer Zahlungsverjährung zum Ablauf des 31. Dezember 2016 (anstatt 31. Dezember 2015) ausginge, würde dies zu keinem abweichenden Ergebnis führen. In diesem Fall wäre zwar eine sog. „Erledigung zwischen den Instanzen“ eingetreten (das am 29. November 2016 verkündete Urteil konnte, auch bei Zustellung im Januar 2017, nur die bis zur Verkündung eingetretenen Umstände berücksichtigen). In jenen Fällen beeinflusst das erledigende Ereignis zwar weder die ergangene Entscheidung noch den Lauf der Rechtsmittelfrist (Morsch in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 138 FGO Rn. 42, Stand Januar 2023). Erklären beide Beteiligten innerhalb der Rechtsmittelfrist den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt, wird die finanzgerichtliche Entscheidung dadurch wirkungslos und das Gericht hat nach § 138 FGO (nur noch) über die Kosten zu entscheiden (Morsch, a.a.O., § 138 FGO Rn. 42; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 138 FGO Rn. 58, 55 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen, Stand Juli 2023). Ist die Abgabe der Erklärungen nicht fristgerecht möglich, muss ein Rechtsmittel eingelegt werden. Die Erledigung der Hauptsache ist dann beim BFH zu erklären (BFH-Beschluss vom 11. Dezember 1990, IX R 79/90, BFH/NV 1991, 611 – bei dort zugelassener Revision reicht für die Zulässigkeit der Revision die formelle Beschwer durch die angefochtene Entscheidung aus; zur Zulässigkeit einer diesbezüglichen Nichtzulassungsbeschwerde vgl. BFH-Beschluss vom 5. Mai 2011, VII B 244/10, BFH/NV 2011, 1535; ebenso bereits BFH-Beschluss vom 29. Mai 2007, X B 66/06, BFH/NV 2007, 1693). Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist in diesen Fällen alleine deshalb zulässig, um dem Kläger die Möglichkeit zu erhalten, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären und eine (andere) Kostenentscheidung herbeizuführen. In jenem Fall hätte die Klägerseite folglich, sofern fristgerecht keine beidseitigen Erledigungserklärungen hätten abgegeben werden können, die Erledigung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BFH geltend machen können und müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen.
91V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
92VI. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.