Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Der Einkommensteuerbescheid 2012 vom 14.10.2013 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 04.09.2014 werden mit der Maßgabe geändert, dass Einkünfte in Höhe von 55.313,87 EUR ermäßigt besteuert und die laufenden Einkünfte aus § 19 EStG (Entschädigungszahlungen) um 5.500 EUR reduziert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Beteiligten jeweils zur Hälfte auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist die Besteuerung von unfallbedingten Zahlungen des Landwirtschaftlichen Versicherungsvereins … a. G. (LVM) an den Kläger.
3Der Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 80 %) und bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ihm sind u.a. im Streitjahr Entschädigungszahlungen für entgangene und entgehende Einnahmen zugeflossen. Diesen Zahlungen liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
4Der Kläger wurde 1993 durch einen Verkehrsunfall schwer verletzt. Seine Behinderung ist die Folge der damals erlittenen Verletzungen. In einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Y. (Az. …) zwischen dem Kläger und der LVM vertrat der Senat des OLG Y. die Auffassung, dass davon auszugehen sei, dass der Kläger ohne den Unfall als Gymnasiallehrer verbeamtet worden wäre.
5Im Juli 2012 schlossen der Kläger und der LVM nach einem viele Jahre andauernden Rechtsstreit einen Vergleich, wonach der LVM ab dem 01.09.2008 regelmäßige monatliche Zahlungen auf den Erwerbs- und Fortkommensschaden an den Kläger auf Basis der Besoldungsgruppe A13 zu leisten hat. Die Parteien waren sich einig, dass der LVM berechtigt sein sollte, im Wege der Verrechnung eine Überzahlung für den Zeitraum bis zum 31.08.2008 in Höhe von 5.500,00 EUR sowie die im Januar 2012 geleistete weitere Zahlung in Höhe von 10.000,00 EUR von den auszuzahlenden Beträgen in Abzug zu bringen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Vergleich … ergänzend Bezug genommen.
6Im Rahmen der Abwicklung des Vergleichs für die Vergangenheit und die Zukunft erging ein Schreiben der LVM an den Bevollmächtigten des Klägers, wonach dem Kläger für den Zeitraum 01.09.2008 bis 30.09.2012 – entsprechend eigener Ermittlungen – ein Geldbetrag in Höhe von 68.356,56 EUR zustehen sollte. Hiervon waren zum Abzug zu bringen Überzahlungen in Höhe von 15.000,00 EUR und Fahrtkosten, so dass ein Gesamtbetrag in Höhe von 55.313,87 EUR überwiesen wurde. Weiterhin ermittelte die LVM den laufenden Verdienstausfall für Dezember in Höhe von 1.324,51 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben der LVM von Oktober 2012 verwiesen.
7Insgesamt hat der Kläger folgende (Aus-)Zahlungen erhalten:
822.06.2006 15.000,00 EUR
917.11.2006 10.000,00 EUR
1025.000,00 EUR
1101.02.2012 10.000,00 EUR
1206.11.2012 55.313,87 EUR
1302.12.2012 1.324,51 EUR
1466.638,38 EUR
15Mit Einkommensteuerbescheid vom 14.10.2013 unterwarf der Beklagte die Entschädigungszahlungen insgesamt zunächst nicht dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Einkommensteuergesetz (EStG). Der Einkommensteuerbescheid erging unter Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch vom 23.10.2013 beantragte der Kläger, die Einnahmen aus dem Vergleich in Höhe von 66.638,38 EUR bzw. 62.094,88 EUR (spätere Auffassung des Klägers) als außerordentliche Einkünfte zu behandeln.
16Der Beklagte gab dem Einspruch insoweit statt, als er Entschädigungszahlungen in Höhe von 55.674,29 EUR gemäß § 34 Abs. 1 EStG dem ermäßigten Steuersatz unterwarf und 16.464,09 EUR als laufende Einkünfte berücksichtigte. Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück. Er teilte die Entschädigungsleistungen für 2012 wie folgt auf:
17Als zugeflossen in 2012 gelten seiner Auffassung nach:
1810.000,00 EUR (01.02.2012 Vorschuss)
195.500,00 EUR (09.07.2012 Verrechnung Zahlung 2006, abgek. Zahlungsweg)
2055.313,87 EUR (06.11.2012 Überweisung nach Vergleich)
211.324,51 EUR (02.12.2012 Überweisung für Dezember 2012)
2272.138,38 EUR
23laufende Entschädigungsleistungen (keine ermäßigte Besteuerung):
2411.920,59 EUR (Januar bis September 2012 geschätzt 9 x 1.324,51 EUR)
251.324,51 EUR (Oktober 2012)
261.894,48 EUR (November 2012)
271.324,51 EUR (Dezember 2012)
2816.464,09 EUR
29zusammengeballte Entschädigungsleistungen (ermäßigte Besteuerung):
3072.138,38 EUR
31-16.464,09 EUR
3255.674,29 EUR
33Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Aufteilung in laufende und nachträgliche Einkünfte nicht den Zweck des § 34 EStG untergrabe. Nach seinem originären Zweck ist diese Regelung zum Ausgleich von Härten bestimmt, die sich wegen der progressiven Ausgestaltung des Einkommensteuertarifs ergeben könnten, wenn Einkünfte, die wirtschaftlich den Ertrag mehrerer Jahre darstellten, dem Steuerpflichtigen geballt in einem Veranlagungszeitraum zuflössen. Durch den Abzug der (laufenden) Zahlungen für das Jahr 2012 würden gerade nur die Einnahmen ermäßigt besteuert, die nachträglich zugeflossen seien und damit progressionserhöhende Wirkung entfaltet hätten.
34Mit der hiergegen am 11.09.2014 erhobenen Klage vertritt der Kläger die Auffassung, dass die Zahlungen in steuerbegünstigte Entschädigungen in Höhe von 62.094,88 EUR sowie sonstige Bezüge in Höhe von 4.543,50 EUR aufzuteilen sind. Der abgeschlossene Vergleich manifestiere als Ergebnis einer langjährigen rechtlichen Auseinandersetzung über mehrere Jahre, dass eine Zusammenballung der Entschädigungszahlungen für einen zusammenhängenden Entschädigungszeitraum entstanden sei. Die Zusammenballung der Entschädigungszahlungen umfasse auch die Abschlagszahlungen vom 22.06.2006 in Höhe von 15.000,00 EUR und vom 07.11.2006 in Höhe von 10.000,00 EUR. Ein entscheidender Beleg dafür sei die Verrechnung in Höhe von 5.500,00 EUR aus diesen Zahlungen im Rahmen des Vergleichs 2012.
35Der Kläger beantragt,
36den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 14.10.2013 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 04.09.2014 mit der Maßgabe zu ändern, dass Einkünfte in Höhe von 62.094,88 EUR ermäßigt besteuert werden.
37Der Beklagte beantragt,
38die Klage abzuweisen.
39Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, auf die ergänzend Bezug genommen wird.
40Die Streitsache wurde am 25.05.2016 erörtert und am 28.11.2016 vor dem/der Einzelrichter/in mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen.
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
42Die Klage ist insofern begründet als die laufenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 5.500,00 EUR zu kürzen sind und Einkünfte in Höhe von insgesamt 55.313,87 EUR als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1 a) EStG gem. § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern sind. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
43Nach § 24 Nr. 1 a) EStG sind Entschädigungen Leistungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen oder als Ausgleich für einen Schaden in Gestalt des Verlustes oder der Verringerung von Einnahmen oder einer Einnahmemöglichkeit gewährt werden. Der Steuerpflichtige muss einen Schaden durch den Wegfall von Einnahmen/der Einnahmemöglichkeit erlitten haben und die Zahlung muss unmittelbar dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen (vgl. BFH-Urteile vom 29.02.2012 IX R 28/11, BStBl. II 2012, 569 und vom 11.01.2005 IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044). Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen eines Schuldverhältnisses sind, gehören nicht zu den Entschädigungen. Dementsprechend liegt eine Entschädigung nur vor, wenn die bisherige Grundlage für den Erfüllungsanspruch weggefallen ist und der an die Stelle der bisherigen Einnahmen getretene Ersatzanspruch auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht (vgl. BFH-Urteil vom 13.08.2003 XI R 18/02, BStBl. II 2004, 106). Löst das schädigende Ereignis für den Steuerpflichtigen zugleich anderweitige Vorteile aus, so steht dies der Beurteilung einer Abfindung als Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 a) EStG nicht entgegen; ein Vorteilsausgleich ist nicht vorzunehmen (BFH-Urteil vom 22.01.2009 IV R 12/06, a.a.O.).
44Eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 a) EStG setzt ferner voraus, dass der Ausfall der Einnahmen oder der Wegfall der Einnahmemöglichkeit entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand (BFH-Urteil vom 22. Januar 2009 IV R 12/06, BFH/NV 2009, 933; FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 15.09.2011 4 K 2653/08, EFG 2013, 358). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann (vgl. BFH-Urteil vom 13.08.2003 XI R 18/02, BStBl. II 2004, 106).
45Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG sind schließlich nur dann gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Denn die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 03.07.2002 XI R 80/00, BStBl. II 2004, 447). Die - veranlagungszeitraumbezogen betrachtet - begünstigende Behandlung von zusammengeballt zugeflossenen Einnahmen, deren Zufluss sich beim jeweiligen Steuerpflichtigen nach dessen regelmäßiger Einkünftesituation normalerweise auf mehrere Jahre verteilt hätte, verwirklicht eine gleichmäßige progressive Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dementsprechend sind solche Entschädigungen als außerordentliche Einkünfte zu behandeln, deren zusammengeballter Zufluss zu einer Ausnahmesituation in der Progressionsbelastung des jeweiligen Steuerpflichtigen führt. Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird. Indes kann z.B. eine nur geringfügige Teilleistung in dem dem Zuflussjahr der Hauptentschädigungsleistung vorangegangenen Veranlagungszeitraum dieser Ausnahmesituation mit ihrem Bedarf nach der von § 34 EStG bezweckten Progressionsabmilderung entsprechen (vgl. BFH-Urteil vom 08.04.2014 IX R 28/13, BFH/NV 2014, 1514).
46Nach diesen Maßstäben ist der auf der Grundlage des Vergleichs … von der LVM gezahlte Betrag in Höhe von 55.313,87 EUR als eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a) EStG zu beurteilen und gem. § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Die Entschädigung erfolgte auf Grund des Wegfalls einer Einnahmemöglichkeit für den Kläger, der durch den von ihm erlittenen Unfall verursacht wurde. Nachdem sich die Parteien des Zivilrechtstreits auf einen Vergleich verständigten, der dem Kläger im Ergebnis eine Zahlung für vergangene und bis zur Auszahlung ablaufender Zeiträume in Höhe von 55.313,87 EUR sicherte, beruhte dieser Zahlungsanspruch auf dem Vergleich als neuer Rechtsgrundlage (vgl. §§ 278, 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung), denn ein Vergleich ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Der Vergleich begründete danach einen Entschädigungsanspruch des Klägers, der damit auf die Geltendmachung weiterer ‑ nicht durch den Vergleich geregelter ‑ Schadensersatzansprüche verzichtet.
47Darüber hinaus hat der Kläger bei Abschluss des Vergleichs auch unter rechtlichem, wirtschaftlichem und tatsächlichem Druck gestanden, d.h. er konnte sich auf Grund einer Zwangssituation dem geballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen. In den vergangenen 19 Jahren vor Abschluss des Vergleichs konnte eine positive und das Verfahren abschließende Regelung nicht gefunden werden. Das Risiko, dass das ansonsten fortlaufende Gerichtsverfahren vor dem OLG Y. sich noch erheblich in die Länge gezogen und für den Kläger ggf. zu einem ungünstigeren Ergebnis als das tatsächlich erreichte geführt hätte, hält das Gericht für gegeben.
48Schließlich kann das Gericht auch eine Zusammenballung der Einnahmen in Höhe von 55.313,87 EUR im Streitjahr feststellen. Auch wenn der Kläger bereits 2006 und auch am 01.02.2012 Abschläge auf Entschädigungszahlungen erhalten hatte, so bedeutet das nicht, dass die auf Grund des Vergleichs geflossenen Vergütungen in voller Höhe nicht zusammengeballt zugegangen sind. Wie bereits dargelegt, stellt der Vergleich die neue Rechtsgrundlage für die hierauf erfolgte Zahlung dar. Die im Vorfeld geleisteten Zahlungen standen nicht im Zusammenhang mit dem Vergleich und sind insofern für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes unschädlich.
49Aus diesem Grund ist indes die vor Abschluss des Vergleichs am 01.02.2012 geleistete Zahlungen der LVM in Höhe von 10.000,00 EUR nicht als ermäßigt zu besteuernde Entschädigungszahlungen zu behandeln. Insofern liegt keine Zusammenballung von Zahlungen vor. Vielmehr hat der LVM bereits im Jahr 2006 mehrere Abschlagszahlungen (15.000,00 EUR bzw. 10.000,00 EUR) auf eine noch zu erwartende Entschädigungszahlung geleistet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich das Gericht anschließt, liegt keine Zusammenballung vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird. Aus diesem Grund ist - entgegen der Auffassung des Klägers - der im Februar des Streitjahres ausgezahlte Abschlag nicht als ermäßigt zu besteuernde Einnahme zu erfassen.
50Der Beklagte ist zwar zu Recht im Einspruchsverfahren zu dem Ergebnis gekommen, dass die empfangenen Zahlungen grundsätzlich als zusammengeballte Entschädigungsleistung zu versteuern sind. Indes hat der Beklagte die an den Kläger auf Grund des zivilgerichtlichen Vergleichs ausgezahlten Beträge zu Unrecht nach laufenden Entschädigungsleistungen bzw. zusammengeballten Entschädigungsleistungen unterteilt. Darüber hinaus, insofern besteht zwischen den Beteiligten Einvernehmen, ist zu Unrecht ein Betrag in Höhe von 5.500,00 EUR im Wege des abgekürzten Zahlungswegs ‑ entgegen dem Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 EStG ‑ als im Streitjahr zugeflossen behandelt worden. Insofern sind die laufenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu verringern.
51Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
52Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.